Kreuzfahrt zurück ins Leben - Isabella Lovegood - E-Book

Kreuzfahrt zurück ins Leben E-Book

Isabella Lovegood

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Beschreibung

Ein Traum, der in Erfüllung geht. Ein verzweifelter Entschluss. Eine Reise um die Welt, die alles verändert. Mit fünfundzwanzig eine eigene Autowerkstatt! Vijays Traum geht in Erfüllung, als Robert Aigner seinen Betrieb aus gesundheitlichen Gründen verkauft. Dass er sich dabei ein Mädchen - Roberts Enkelin Kerstin - als Lehrling aufhalsen muss, ist ihm die Sache wert. Doch sehr schnell geraten die Dinge außer Kontrolle und auch Roberts Kreuzfahrt entwickelt sich anders als gedacht. Soll Vijay Roberts dunkles Geheimnis bewahren, auch wenn ihm Kerstin bald sehr viel mehr am Herzen liegt als erwartet? Ein Liebesroman mit sinnlich-prickelnder Erotik. Es handelt sich um einen in sich abgeschlossenen Roman. Die Reihe "Zimmer frei für die Liebe": - Heiße Küsse für das Christkind - Ein Koch zum Verlieben - Die Liebe kommt in Gummistiefeln - Liebe ist kein Computerspiel - Zuckerbäcker küssen besser - Regenbogenküsse - Kreuzfahrt zurück ins Leben - Starthilfe fürs Herz - Herzenskinder Von der Autorin sind außerdem folgende sinnliche Liebesromane erschienen: Die Reihe "Club Red Vulcano" - Zweite Chance für Lust und Liebe - Wer mit dem Feuer spielt Die Reihe "Nachhilfe für die Liebe" - Die Sexpertin - Patchwork mit Herz - Dich zu sehen Die Reihe "Mallorca-Erotic-Romance" - Ich, du und sie - Wir drei für immer - Zitronenblütenküsse und Lebkuchensterne - Weil die Liebe siegt - Wahre Liebe rostet nicht - Das Meer, du und ich - Ein Boot, ein Kuss und du - Du, ich und Weihnachtszauber - Sommertanz & Einhornküsse "Keine Cupcakes für Bad Boys" zwei Romane in einem Buch - (K)ein Bad Boy für Carolin von Isabella Lovegood - Ein Cupcake zur Mittsommernacht von Tamara Leonhard "Traumprinz nicht gesucht und doch gefunden" (Fortsetzung) erscheint am 28. April 2021 Die "Rosen-Reihe": - Sommerflirt mit Folgen - Liebe zu dritt - Rosen-Himmel - Geteilte Liebe - Drei plus zwei und jede Menge Liebe - Auf Liebe gebaut - Herbstgenüsse - Aller guten Dinge sind 5 - Weihnachten am Heckenrosenweg "Hot Holiday Lovers" - erotischer Liebesroman "Neujahrsliebe" - Sinnlich-erotische Kurzgeschichte "Venus trifft Venus" - Sinnlich-erotische Kurzgeschichte Unter dem Pseudonym C.P. Garrett "A Groupie's Dream" - erotische Kurzgeschichte "Nina" - erotischer Roman "Mein 10. Hochzeitstag" - erotische Kurzgeschichte "Der Zucker und das Salz des Lebens" + "Honig und Chili" 2-teiliger, erotischer Roman Unter dem Pseudonym Ingrid Fuchs - Die Hexe Veronika: Roman für Kinder ab ca. 5 Jahren und dazu passendes Malbuch

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Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Nachwort
Leseprobe aus „Liebe zu dritt“

Kreuzfahrt zurück ins Leben

Liebesroman

von

Isabella Lovegood

Band 7 der Reihe

ZIMMER FREI für die Liebe

Copyright © 2018 Isabella Lovegood

Alle Rechte vorbehalten. Jede Weitergabe, Kopie oder sonstige Vervielfältigung verletzt das Urheberrecht und fügt der Autorin finanziellen Schaden zu.

www.Isabella-Lovegood.at

[email protected]

Covergestaltung: Isabella Lovegood Cover-Fotos: www.foto-und-mehr.de, Rawpixel Ltd., kebox - Fotolia

Alle Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten sind rein zufällig und ungewollt.

Die wunderschönen Kurorte Bad Gastein und Bad Hofgastein in den Salzburger Hohen Tauern gibt es tatsächlich, ebenso wie die während der Weltreise angesteuerten Ziele. Die Schauplätze der Handlung sind jedoch nur an die realen Örtlichkeiten angelehnt.

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser!

Mein oberstes Ziel als Autorin ist es, Sie gut zu unterhalten und mit einem angenehmen Gefühl zurückzulassen.

Viele von uns wurden bereits mit der Diagnose Krebs konfrontiert, sei es im persönlichen Umfeld, oder als Patient. Deshalb war es mir ein Anliegen, das Thema in diesem Roman aufzugreifen und auf die mir eigene Art zu einem guten Ende zu führen.

Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich zwar gründlich recherchiert habe, dies aber weder eine medizinische Abhandlung, noch eine reale Krankengeschichte ist, sondern ein Liebesroman, der ausschließlich meiner Fantasie entspringt.

Und nun wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung!

Alles Liebe,

Isabella Lovegood

Kapitel 1

„Sie wollen also meinen Betrieb übernehmen?“ Robert Aigner musterte den jungen Mann mit dem etwas fremdländischen Aussehen, der ihm in seinem Büro gegenübersaß. Mit dem weißen Hemd, das am Kragen offen stand, dem gut sitzenden Sakko und den dunkelblauen Jeans wirkte er gepflegt und solide. Eigenschaften, die er an einem potentiellen Nachfolger durchaus schätzte. Es irritierte ihn, dass ihm irgendetwas an dem Fremden vertraut vorkam. Unwillkürlich durchforstete er sein Gedächtnis, ob er das Gesicht aus den Nachrichten oder der Zeitung kannte. War er etwa ein gesuchter Betrüger? Allerdings machte er nicht den Eindruck, als ob er etwas zu verbergen hätte. Seine Körperhaltung war entspannt, die braunen Augen blickten wach und offen.

Dabei kostete es Vijay Khatun einige Mühe und Selbstbeherrschung, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Mit fester Stimme antwortete er auf die Frage, die die Verhandlungen eingeleitet hatte. „Das kommt darauf an.“

„Ob Sie die Finanzierung zusammenbekommen?“ Der Ältere konnte und wollte seine Skepsis nicht verbergen. Er verspürte wenig Lust, seinen Samstag mit jemandem zu vergeuden, der keine ernsthaften Kaufabsichten hatte. Ein Lächeln huschte über das schmale Gesicht des jungen Mannes.

„Nein, es hängt eher davon ab, ob er mich interessiert und wir uns einigen können!“

„Wo kommen Sie her?“

„Aus Niederösterreich, ich lebe in Wiener Neustadt.“ Vijay lächelte verschmitzt. „Oder wollten Sie etwas über meine ethnische Herkunft wissen?“

Robert nickte. „Beides. Sie müssen entschuldigen, aber Sie wirken doch etwas ... exotisch.“

Vijay machte eine wegwerfende Handbewegung. „Kein Thema. Ich kenne das zur Genüge, das können Sie mir glauben. Mein Vater kam als Kind aus Indien nach Österreich. Von ihm habe ich den Namen und einen Teil meines Aussehens.“

„Und wie kommen Sie ausgerechnet auf meine Werkstatt?“

„Meine Mutter und meine Schwester haben sich in Bad Gastein angesiedelt. Ich wäre gerne in ihrer Nähe.“ Er hoffte, damit nicht verraten zu haben, wie hoch seine Motivation war, den Betrieb zu kaufen.

Ein Bild blitzte in Roberts Gehirn auf. „Ihre Schwester? Jetzt weiß ich, warum Sie mir so bekannt vorkommen! Das muss die junge Frau sein, die in den Huber-Hof eingeheiratet hat. Die exotische Schönheit mit den berühmten Schafen.“ Er taute spürbar auf, als sich auf Vijays Gesicht ein liebevolles, stolzes Lächeln ausbreitete.

„Genau, das ist Sheela! Und meine Mutter ist Köchin im Zwergenhotel, diesem Familienhotel am Ortsrand.“

Ein Teil von Roberts Anspannung löste sich. Er lehnte sich zurück. „Dann unterhalten wir uns mal über den Betrieb. Sie werden einen Meister brauchen.“

„Kein Problem. Ich hab selbst den Meisterbrief für Fahrzeugtechnik und genug Kenntnisse in Spengeln und Lackieren, um gute von schlechter Arbeit unterscheiden zu können.“

Der Alte hob anerkennend eine Augenbraue. „Nicht schlecht. Das sieht für mich so aus, als ob Sie schon länger darauf hinarbeiten, sich selbstständig zu machen.“

„Seit ich denken kann.“

„Dann ist Ihnen auch bewusst, dass es da mit einer Vierzigstundenwoche nicht getan ist“, stellte Robert fest.

Vijay lachte. „Ich bin in einem Familienbetrieb aufgewachsen. Mein Vater war Inhaber eines Restaurants mit indischer Küche. Alle mussten mitanpacken, wann immer es nötig war.“

„Oje! Ja, das Gastgewerbe ist noch schlimmer. Es hat Sie nie interessiert, bei ihm einzusteigen?“

„Nein, ganz bestimmt nicht, auch wenn mein Vater mit den Zähnen geknirscht hat.“

„Das kann ich nachvollziehen“, stimmte Robert zu. „Was wird er dazu sagen, dass Sie so weit wegziehen?“

„Mein Vater ist vor einem halben Jahr verstorben. Er hat mir das Haus mit dem Restaurant und zehn Wohnungen vererbt. Ich habe es verkauft und gedenke, das Geld gut anzulegen. So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben.“

„Und Ihre Mutter und Sheela sind leer ausgegangen?“ Im selben Moment hob er die Hände. „Vergessen Sie´s, das geht mich nichts an.“

„Mein Vater stammte aus einem anderen Kulturkreis, obwohl das sein Verhalten nicht entschuldigt. Er hielt wenig von Frauen und hat sie schlecht behandelt.“ Die weich geschwungenen Lippen pressten sich für ein paar Sekunden zu einem schmalen Strich zusammen. „Die beiden wollten nicht einmal den Pflichtteil annehmen. Sie stellen es mir als zinsloses Darlehen zur Verfügung, sollte es nötig sein. Was ich nicht hoffe. Ich habe vor, es für sie anzulegen und, wenn möglich, nach und nach aufzustocken. Sheela hat zwei Kinder. Da ist eine Rücklage immer gut.“ Bei dem Gedanken an seinen Neffen und seine Nichte wurden seine Gesichtszüge weich. „Aber das tut ja jetzt nichts zur Sache. Jedenfalls ist die Finanzierung kein Problem.“

Robert beobachtete das offene, unverfälschte Mienenspiel seines Gegenübers. Sein anfängliches Misstrauen verflüchtigte sich zusehends.

„Würden Sie die Mitarbeiter behalten wollen?“, sprach er einen Punkt an, der ihm am Herzen lag.

„Es wäre dumm, es nicht zu tun. Es sei denn, sie hätten etwas gegen einen jungen Chef, oder entsprächen nicht meinen Anforderungen. Freibrief stelle ich keinen aus.“

„Verständlich.“

„Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?“

„Drei Kfz-Techniker, einen Spengler, einen Lackierer, einen Kfz-Technik-Lehrling im dritten Lehrjahr und eine Halbtags-Bürokraft.“

„Das ist eine ganze Menge.“

„Wir sind gut ausgelastet. Einen der Mechaniker habe ich erst vor ein paar Monaten eingestellt, weil ich nicht mehr aktiv in der Werkstatt mitarbeite.“

Vijay nickte verständnisvoll. Die Arbeit war schwer und sein Gegenüber wirkte müde und kraftlos. „Ab wann wollen Sie den Betrieb denn abgeben?“

„So bald als möglich. Auch wenn es kein Notverkauf ist!“ Herr Aigner fixierte den jungen Mann aus schmalen Augen. „Ich kann es mir aussuchen, an wen ich verkaufe.“ Allerdings war er der erste und bisher einzige Interessent, der sich gemeldet hatte, aber das würde er ihm nicht auf die Nase binden.

„Das ist auch gut so. Wie gesagt, ich komme aus einer Unternehmerfamilie. Ich weiß, wie viel Herzblut in einem Betrieb steckt. So ein Handel sollte eine Win-win-Situation sein.“ Vijay lächelte beruhigend. „Ich habe natürlich eine Kündigungsfrist einzuhalten, aber abgesehen davon, bin ich flexibel. Darf ich mich in der Werkstatt umsehen?“

Kapitel 2

Robert ließ den jungen Mann in Ruhe durch die Halle gehen. Alleine, in der Art, wie er sich umsah, konnte er erkennen, dass er wusste, worauf es ankam.

„Was ist hier?“, fragte Vijay an einer hellgrau lackierten Metalltür.

„Das Ersatzteillager. Sie können gerne einen Blick hineinwerfen.“

Kaum war sein Interessent darin verschwunden, fuhr ein scharfer Schmerz unvermittelt durch Roberts Unterleib, der ihn fast in die Knie zwang. Er konnte sich gerade noch an einer Werkbank festhalten. Bewusst konzentrierte er sich darauf, tief und gleichmäßig zu atmen. Das half ihm meistens. Der brennende Schmerz verschwand fast so schnell, wie er gekommen war. Er reduzierte sich wieder auf das diffuse Unwohlsein, das sein ständiger Begleiter geworden war. Robert holte ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er überlegte kurz, ob er am Morgen die Schmerztablette vergessen hatte, doch dann erinnerte er sich, dass er sich bei der Einnahme an dem heißen Kaffee die Zunge verbrannt hatte. Offenbar ließ die Wirkung bereits nach.

Vijay gefiel, was er sah. Die Werkstatt machte einen guten, gepflegten, wohlgeordneten Eindruck. Nichts deutete darauf hin, dass sie heruntergewirtschaftet worden wäre, oder jemand die Zügel hatte schleifen lassen.

„Ich zeige Ihnen noch den Aufenthaltsraum“, informierte ihn Herr Aigner und ging voraus.

Die einfache, aber zweckmäßige Ausstattung bestand aus drei kleinen Tischen mit Stühlen und einer Miniküchenzeile, die in einer Ecke untergebracht war. An eine Wand war ein großer Jahreskalender gepinnt, der offenbar als Urlaubsübersicht der einzelnen Mitarbeiter diente.

„Möchten Sie auch einen Kaffee?“ Herr Aigner hatte die Maschine bereits eingeschaltet. Als sein Gast nickte, nahm er einen zweiten Becher aus dem Oberschrank.

Vijay bemühte sich, seine Euphorie zu verbergen, auch wenn sein Puls weit höher war als normal. Herr Aigner brauchte nicht zu wissen, wie sehr er darauf brannte, den Betrieb zu übernehmen. „Die Werkstatt ist gut in Schuss. Das hatte ich nicht erwartet“, bemerkte er mit ruhiger Stimme.

„Danke. Ich hatte vor, sie noch ein paar Jahre zu behalten.“ Er machte eine Pause und drehte Vijay den Rücken zu, während er darauf wartete, dass sich der zweite Becher füllte. Erst als sie sich gegenübersaßen, redete er weiter.

„Sie waren sehr offen zu mir, Herr Khatun. Ich will ehrlich sein: Sie gefallen mir. Deshalb erzähle ich Ihnen etwas, das in jedem Fall unter uns bleiben muss. Kann ich mich auf Ihre Diskretion verlassen?“

„Sie haben mein Wort.“

Vijay goss Milch in seinen Kaffee und gab einen Löffel voll Zucker hinein. Während er rührte, wartete er gespannt, was nun kam.

„Ich fühle mich schon länger nicht gut. Nun weiß ich warum. Ich habe Krebs in einem Stadium, wo nichts mehr zu machen ist. Die Ärzte geben mir maximal noch sechs Monate.“ Er machte eine Handbewegung, um Vijays Entgegnung im Keim zu ersticken. „Vielleicht ist es besser so. Meine Frau hatte Gebärmutterkrebs. Sie kam zweimal unters Messer und machte drei höllische Serien Chemotherapie durch. Es war alles umsonst. Sie hat fürchterlich gelitten, bis es endlich zu Ende war.“ Das Grauen dieser Zeit legte sich wie ein Schatten über sein Gesicht und seine Stimme hatte etwas von ihrer Festigkeit verloren. „Meine Enkelin ist meine einzige noch lebende Verwandte. Sie wird das bei mir nicht mitbekommen.“

Er sah Vijay fest in die Augen. „Sie ist mein Lehrling. Derjenige, dem ich den Betrieb verkaufe, muss mir versprechen, gut auf das Mädchen aufzupassen und sie zu behalten, bis sie ihre Gesellenprüfung bestanden hat. Und sie darf von alledem nichts erfahren.“

Vijay schluckte. Er spürte, dass Mitleidsbekundungen unerwünscht waren, also beschränkte er sich auf das Praktische. „Wie wollen Sie denn das durchziehen?“

„Mit einem Teil des Verkaufserlöses begebe ich mich auf eine Weltreise. Vorher regle ich alles, damit meine Kiki versorgt ist und keine Scherereien mit meinen Überresten hat.“ Ein bitterer Zug legte sich um seinen Mund. „Sie soll mich so in Erinnerung behalten, wie ich jetzt bin und nicht als Häufchen Elend.“

Vijay kämpfte plötzlich gegen unerwünschte Tränen, die ihm in die Augen stiegen. Gemeinsam mit einem Mundvoll Kaffee schluckte er den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte.

„Das Leben ist verdammt ungerecht“, presste er dann hervor. „Mein Vater ist in den Armen einer jungen Asiatin gestorben, mit der er gerade Sex hatte. Er hat sich kaum um jemand anderen gekümmert, als um sich selbst, und hatte auch noch einen schönen Tod.“

„Ja, so ist das nun mal. Immerhin hat er Ihnen genügend hinterlassen, damit Sie sich Ihren Traum verwirklichen können.“

Widerstrebend nickte Vijay. Einen Moment herrschte Stille, dann sagte er mit fester Stimme: „Sollten wir uns einig werden, können Sie sich auf mich verlassen.“

Der Alte blickte ihm ein paar Sekunden prüfend in die Augen, dann stahl sich ein Lächeln in seine Mundwinkel. „Also, ich an Ihrer Stelle würde einen Blick in die Bücher werfen wollen.“

Kapitel 3

Die Hunde entdeckten ihn als Erste und ihr Bellen lockte die Bewohner aus dem Haus. Er streichelte Harry und Hermine noch einmal über den Kopf, dann begrüßte er ihr Frauchen. Vijay umarmte Sheela fest und küsste sie auf beide Wangen. Es tat ihm gut, ihre liebevolle Nähe zu spüren. Sein Schwager drückte ihm die Hand und klopfte ihm dabei auf die Schulter. Jakob lief auf ihn zu und ließ sich quietschend von seinem Onkel hoch über den Kopf heben.

„Hallo mein Großer! Du bist ja schon richtig schwer geworden!“

„Lea, nicht so schnell!“, mahnte Sheela besorgt, als ihre Tochter mit raschen, etwas unsicheren Trippelschrittchen auf Vijay zusteuerte. Sie hob er deutlich behutsamer auf den Arm und drückte ihr ein Küsschen auf das runde Bäckchen. „Es ist unglaublich, wie schnell die beiden wachsen. Es wird wirklich höchste Zeit, dass ich hierher ziehe. Ich verpasse ja viel zu viel!“

Gemeinsam betraten sie das Haus. In der gemütlichen Wohnküche war Therese, die Schwiegermutter seiner Schwester, damit beschäftigt, in einem großen Topf zu rühren. Es duftete intensiv und würzig nach Rindfleisch, Paprika und Zwiebeln. Sie drehte sich zu ihrem Gast um und lächelte ihm zu. „Hallo Vijay, ich hoffe, du isst noch immer so gerne Gulasch!“

Er setzte Lea in den Kinderhochstuhl. Dann trat er näher an den Herd und schüttelte Therese die Hand. Er lugte in den Topf und schnupperte genüsslich. „Allerdings, und es riecht äußerst verführerisch.“

„Mama hat Spätschicht“, teilte Sheela ihrem Bruder mit.

„Ich weiß, wir haben vorhin kurz telefoniert. Wie geht es euch?“

„Gut, aber erzähle du lieber, wie es beim Aigner gelaufen ist.“ Siegfried wies seinem Schwager einen Platz auf der Sitzbank zu und setzte sich ihm gegenüber. Jakob kletterte ebenfalls auf die Bank und dann auf Vijays Schoß. Er umfing ihn mit einem Arm und drückte ihn ein wenig an sich. Der Kleine lächelte zu ihm auf und das diffuse Gefühl von Traurigkeit, das noch immer auf Vijays Seele gelegen war, löste sich auf. Er wandte sich an seinen Schwager.

„Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich gleich informiert hast, als du davon erfahren hast, dass die Werkstatt zum Verkauf steht. Ich denke, es sieht nicht schlecht aus.“

Sheela stellte eine Schüssel mit Keksen und einen Krug mit Himbeersaft auf den Tisch und füllte die Gläser. „Sie hat einen sehr guten Ruf. Du wirst kaum jemanden finden, der unzufrieden ist.“

„Und sie ist die Einzige im Gasteinertal, die auch die technischen Überprüfungen für das Pickerl macht“, ergänzte Siegi.

„So einen alteingesessenen Betrieb mit solidem Kundenstock übernehmen zu können, ist ein absoluter Glücksfall.“ Vijay wirkte ausgesprochen zufrieden.

„Das wird der alte Aigner aber auch wissen und es sich ordentlich bezahlen lassen“, stellte Therese vom Herd her fest.

„Ich habe ein gutes Gefühl, dass wir uns einig werden. Morgen setzen wir uns noch einmal zusammen.“

Sheela und Siegi sahen ihn erstaunt an. „Denkst du, er wird sich so schnell entscheiden?“

„Ja, den Eindruck habe ich.“ Mehr wollte Vijay dazu nicht sagen und steckte sich einen Keks in den Mund.

„Bevor du etwas unterschreibst, lass es Barbara überprüfen.“ In diesem Moment war Sheela ganz die große Schwester, die ihn vor einer Dummheit bewahren wollte. Vijay verbiss sich ein Grinsen. Seit sie wieder mehr Kontakt hatten, schien sie alles nachholen zu wollen, was sie in den Jahren davor versäumt hatte.

„Das ist bestimmt nicht verkehrt. Sie hat sich auf Wirtschaftsrecht spezialisiert.“ Siegi griff ebenfalls in die Schüssel mit dem süßen Gebäck.

„Ich hätte den Vertrag ohnehin überprüfen lassen. Schließlich geht es um eine Menge Geld. - Die sind gut“, stellte Vijay fest und nahm noch einen Keks. „Erzählt mal, was es bei euch Neues gibt!“

Die Eheleute wechselten einen Blick, dann legte Sheela die rechte Hand demonstrativ auf ihren Bauch. Diese Geste, zusammen mit ihrem strahlenden Lächeln, sagte alles.

„Ich werde wieder Onkel! Gratuliere ganz herzlich.“ Er beugte sich vor und legte seine Hand über Sheelas linke, die auf dem Tisch ruhte. „Geht es dir gut?“

Sie nickte. „Drei Wochen lang war mir am Morgen kotzübel, aber das ist wieder vorbei. Ich bin schon Anfang des vierten Monats.“

„Und das erfahre ich erst jetzt? Vor allem wundert mich, dass Mama dichtgehalten hat. Das muss ihr schwergefallen sein.“ Vijay rechnete nach. „Das heißt, es kommt wieder im September?“

„Ja, genau. Wenn Florian geboren wird, ist Jakob vier und Lea zwei Jahre alt. Perfekt.“

Sie hörten, dass die Haustür geöffnet wurde. „Ah, da konnte sich jemand vom Computer losreißen.“

Er begrüßte Reinhard herzlich. Der zweite Mann seiner Mutter programmierte Computerspiele. Vijay war schon lange, bevor der hier in Gastein Marlies kennengelernt hatte, sein Fan gewesen.

„Und? Wie läufts?“, fragte er, als er sich zu den anderen an den Tisch setzte. Auch Therese gesellte sich nun zu ihnen und wartete gespannt auf seinen Bericht.

Vijay erzählte von der Werkstatt und was er über die Mitarbeiter erfahren hatte. Siegi hob erstaunt die Augenbrauen.

„Ein Lehrmädchen? Das ist ungewöhnlich. Na, hoffentlich handelst du dir da keine Belastung ein. Wenn das so ein Prinzesschen ist, das Angst um seine Fingernägel hat ...“

Sheela stieß ihren Mann mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Hey, wo kommen diese Vorurteile plötzlich her? Ich kann doch auch zupacken, obwohl ich eine Frau bin.“

Sofort lenkte Siegfried ein. „Das stimmt allerdings. Also gehen wir mal davon aus, dass sie einen anderen Beruf ergriffen hätte, wenn sie eine Abneigung hätte, sich schmutzig zu machen.“

„Oberhalb der Werkstatt sind zwei Wohnungen. Eine davon hat Herr Aigner seiner Enkelin überschrieben, die andere gehört zum Unternehmen. Ich hab sie noch nicht gesehen, aber nachdem er sie bewohnt, wird sie wohl brauchbar sein.“

„Da wird er ja nicht ausziehen, oder?“

„Doch, das hat er vor. Mir kann es nur recht sein. Gleich über dem Betrieb zu wohnen, ist extrem praktisch.“

„Ich finde gut, dass er einen klaren Strich ziehen will“, meinte Therese. „An einem Unternehmen, das man selbst aufgebaut hat, hängt das halbe Leben. Es fällt schwer, das alles aufzugeben. Die Alten müssen loslassen, damit die Jungen sich entfalten können. Ich hoffe, mir gelingt das ausreichend.“ Sie sah dabei ihren Sohn und die Schwiegertochter an, die lächelnd nickten.

Sie stand auf, um nach dem Gulasch zu sehen, und rührte eifrig darin. Sie kostete, dann wandte sie sich zu ihrer Familie um. „Ich hoffe, ihr habt nicht zu viel Süßes gegessen. Das Essen ist fertig.“

Kapitel 4

„Dann sind wir uns also einig“, stellte Herr Aigner fest. Vijay nickte. Sein Herz klopfte hart und schnell.

„Ja, ich hatte nicht erwartet, dass die Entscheidung so rasch fällt, aber ich freue mich sehr darüber.“

„Geht mir gleich. Diese Erfahrung habe ich oft gemacht: Wenn etwas passt, dann geht es wie geschmiert.“ Er legte die Hand auf das Blatt, auf dem sie ihre Vereinbarungen notiert und soeben beide unterzeichnet hatten. „Ich gebe Ihnen davon eine Kopie mit. Den richtigen Vertrag maile ich Ihnen im Laufe der Woche. Den Plan der Wohnung schicke ich mit. Und jetzt zeige ich sie Ihnen, damit Sie überlegen können, wie Sie sich einrichten.“

Der Eingang zu den beiden Wohneinheiten befand sich an der Rückseite des Gebäudes. Vijay stieg hinter Herrn Aigner die Treppe in den ersten Stock hoch. An der linken Tür hing ein Kranz mit künstlichen Frühlingsblumen und einer bunten Schleife. Sein Begleiter wandte sich nach rechts und drehte den Schlüssel im Schloss. Neugierig sah sich Vijay um. Von einem kleinen Vorraum führten mehrere Türen in die verschiedenen Räume.

„Links ist das Badezimmer mit WC, rechts sind zwei Schlafzimmer, geradeaus geht es ins Wohnzimmer und von dort in die Küche. Schauen Sie sich ruhig um. Aufgeräumt ist halt nicht.“ Er zuckte müde mit den Schultern. „Fast vierzig Jahre lang brauchte ich mich um den Haushalt nicht zu kümmern. Meine Helga hat alles in Schuss gehalten. Wie gut, ist mir erst bewusst geworden, als sie es nicht mehr konnte. Jetzt, auf meine alten Tage, lerne ich es auch nicht mehr.“

Vijay lächelte verständnisvoll. „Ich hab es auch nicht so mit dem Haushalt, aber als Single muss man eben irgendwie zurechtkommen.“

Die Wohnung war praktisch geschnitten, aber ihm wurde sofort klar, dass er sie generalsanieren musste, bevor er hier einzog. Das Badezimmer und die Küche stammten dem Stil nach aus den Achtzigerjahren, ebenso wie ein Großteil der übrigen Einrichtung.

‚Gut, dass ich zwischenzeitlich bei Sheela und Siegi unterkomme‘, dachte Vijay erleichtert. ‚Das hier wird ein ordentliches Stück Arbeit.‘ Als er die Balkontür öffnete, fiel ihm auf, dass sie relativ neu aussah. Herr Aigner schien seine Gedanken zu erraten.

„Vor acht Jahren haben wir die Fassade erneuert und mit Wärmedämmung versehen. Dabei haben wir gleich auch die Fenster ausgetauscht.“ Herr Aigner trat mit ihm zusammen vom Wohnzimmer auf den kleinen Balkon. Eine schmale, etwas angerostete Bank, die nicht besonders einladend aussah, war das einzige Möbelstück. Gleich nebenan befand sich der zweite Balkon, auf dem in Blumenkistchen bunte Primeln blühten. Auf dem Tisch einer zierlichen Sitzgruppe standen eine gelb lackierte Laterne mit einer Kerze darin und ein Hase aus Keramik. Eine pinkfarbene Blume strahlte in einem Übertopf in der gleichen Farbe Fröhlichkeit aus. Vijay fragte sich unwillkürlich, ob sich ein Mädchen, das solche Freude an Blumen und Deko hatte, gerne die Hände mit Schmieröl schmutzig machte. Ein unangenehmer Gedanke schlich sich ein: ‚Hoffentlich hatte sie nicht nur deshalb eine Ausbildung bei ihrem Großvater begonnen, weil sie sonst keine Lehrstelle bekommen hat.‘ Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie über die Enkelin kaum gesprochen hatten. ‚Nun, ich werde mir selbst ein Bild von der Kleinen machen, wenn es so weit ist. Irgendwie werde ich schon mit ihr fertig. Der Betrieb ist es allemal wert, dass ich sie mir aufhalse.‘

Nach der Besichtigung der Wohnung verabschiedete sich Vijay. Als er auf den Hof trat, kam eine junge Frau auf das Haus zu. Sie trug mehrere Einkaufstaschen, die schwer aussahen. Automatisch hielt er die Haustür für sie auf und ließ sie eintreten.

„Dankeschön!“ Ihr fröhliches Lächeln und der offene Blick aus den braungrünen Augen gingen ihm durch und durch. Sein Herz kam augenblicklich aus dem Takt. Es beruhigte sich erst, als er seinen Wagen aufschloss und sich hinters Steuer setzte. ‚War das eine Freundin von dieser Kerstin? Dann besteht die Hoffnung, dass ich sie wiedersehe.‘ Er atmete einmal tief durch, bevor er den Zündschlüssel umdrehte und losfuhr.

***

„War er das?“ Kerstin stellte die Platte mit Apfelkuchen auf der Küchenarbeitsfläche ihres Großvaters ab. Sie hatte ihn gebacken, bevor sie zum Supermarkt nach Bad Gastein gefahren war. Nun war er gerade noch lauwarm. So mochte sie ihn am liebsten. „Er sieht besser aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Danke, dass du mir keinen alten Griesgram als Chef ausgesucht hast, wenn ich schon auf dich verzichten muss.“ Sie zwinkerte ihrem Opa zu. Sie würde ihm nicht verraten, dass sie hoffte, in der Nacht von dem jungen Mann zu träumen, der ihr so galant die Tür aufgehalten hatte. Von den dunkelbraunen Augen, den dichten, geraden Brauen und dem hübschen Lächeln, das strahlend weiße Zähne zum Vorschein gebracht hatte. Im selben Moment gewann die nüchterne, praktische Seite ihres Wesens die Oberhand. ‚Mich in meinen Chef zu verlieben, wäre eine wirklich blöde Idee! Das kann ich gleich vergessen. Das Lehrmädchen und der Big Boss. Ganz sicher nicht!‘

Die Worte ihres Großvaters und Noch-Lehrherren bestärkten sie in ihrem Vorsatz. „Versprichst du mir, die Ausbildung weiterhin so ernst zu nehmen wie bisher, und dich von nichts und niemandem ablenken zu lassen?“

Kerstin beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. „Natürlich, das weißt du doch. Auch wenn er gut aussieht, ist es am wichtigsten, dass er mir was beibringt.“

„Das hoffe ich sehr! Auf jeden Fall hat er vor, aktiv im Betrieb mitzuarbeiten und nicht nur den Chef zu spielen.“

„Du bist ja in ein paar Monaten von deiner Weltreise wieder zurück und kannst dich selbst davon überzeugen.“

Er schüttelte abwehrend den Kopf. „Ich werde mich hüten, hier nochmal die Nase reinzustecken. Das steht mir nicht zu.“

„Dann werde ich dich eben so auf dem Laufenden halten! Hast du schon gesehen, was ich mitgebracht habe?“

„Ja, danke, aber ich ...“

„Keine Widerrede, Opa. Du hast doch Omas Kuchen auch immer so gerne gegessen. Ich habe ihn nach ihrem Rezept gebacken. Aber du darfst dir aussuchen, ob du Tee oder Kaffee dazu trinken willst.“

„Dann einen Kaffee bitte.“ Robert gab sich geschlagen. Müde setzte er sich an den Tisch und warf die Zeitung achtlos auf den Stoß zu den anderen. Kerstin legte ihm die Hand auf die Schulter. „Am Anfang hat es mir ja gar nicht gepasst, dass du die Werkstatt verkaufen wolltest. Aber nachdem mir klar wurde, wie erledigt du aussiehst und wie dünn du geworden bist, weiß ich, dass das die richtige Entscheidung ist. Du musst dich gründlich erholen.“ Sie wandte sich zur Küchenzeile, füllte Wasser in die Kaffeemaschine und maß das Kaffeepulver ab. „Schließlich hast du das Pensionsalter ohnehin längst erreicht. Es ist lieb, dass du meinetwegen durchhalten wolltest, aber das steht nicht dafür. Du sollst ja noch was haben von deinem Leben!“

Sie war zu beschäftigt, um zu bemerken, wie schwer es ihrem Großvater fiel, sich zu beherrschen. Es schnitt ihm tief ins Herz, dass er ihren Lehrabschluss nicht mehr erlebte. Dass er den Mann nicht mehr kennenlernte, den sie sich aussuchte, und keinen seiner Urenkel aufwachsen sah. Nur mit Mühe gelang es ihm, die aufsteigende Verzweiflung niederzuringen und ein zittriges Lächeln aufzusetzen. Sie aßen und tranken gemeinsam, dann ging Kerstin in ihre eigene Wohnung zurück.

Robert atmete tief ein, dann wählte er eine Nummer auf seinem Handy.

„Hallo, Frau Grün, hier spricht Robert Aigner. Haben Sie sich mein Angebot durch den Kopf gehen lassen?“

„Grüß Gott! Ja, ich bin dabei! Wann wird es losgehen?“

„Ich muss erst sehen, welche Reise so kurzfristig verfügbar ist, die in meinen Zeitrahmen passt.“

„Ich kann frühestens in einem Monat weg. Mein Chef hat der Karenzierung zugestimmt. Allerdings unter der Bedingung, dass Sie sich von ihm untersuchen und die passenden Medikamente verschreiben lassen.“

Robert stöhnte auf. „Weitere Tests?“

„Nein, es sind ja reichlich Befunde vorhanden. Er möchte sichergehen, dass wir beide mit dieser außergewöhnlichen Situation nicht überfordert sind.“

Das klang vernünftig. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Schmerztabletten, die er einnahm, bald nicht mehr ausreichen würden.

„Okay, dann vereinbare ich wohl möglichst rasch einen Termin mit dem Herrn Doktor.“ Er notierte die Telefonnummer und verstaute sie in seiner Brieftasche. „Ich werde mich bemühen, Ihnen die Reise so angenehm wie möglich zu machen, Frau Grün.“

„Davon bin ich überzeugt, sonst würde ich mich darauf nicht einlassen. Wir sehen uns.“

Der Klang ihrer warmen, fröhlichen Stimme erzeugte einen angenehmen Widerhall, der erhalten blieb, als das Gespräch schon lange beendet war.

Kapitel 5

Robert schritt den hellen Gang entlang und hielt an der dritten Tür an der linken Seite. Das Türschild ‚Dr. med. Friedbert Winkelmayer, Ärztlicher Leiter‘ zeigte ihm, dass er der Wegbeschreibung der jungen Dame an der Rezeption richtig gefolgt war. Er klopfte und reagierte auf die männliche Stimme, die ihn zum Eintreten aufforderte.

„Herr Aigner, nehme ich an?“ Der Arzt kam ihm um seinen Schreibtisch herum entgegen und reichte ihm die Hand. „Bitte, nehmen Sie Platz!“ Er wies auf eine bequeme Sitzgarnitur, die in einer Ecke des Raumes stand. Doktor Winkelmayer setzte sich Robert gegenüber und klopfte mit der Hand auf die Mappe, die dort lag.

„Ich habe mir Ihre Befunde angesehen. Wie geht es Ihnen?“

Robert zuckte mit den Schultern. „Noch geht es mir relativ gut. Ich kann meinen Alltag bewältigen, doch die Müdigkeit und die immer öfter auftretenden Schmerzen machen mir zu schaffen.“

„Ich nehme an, Ihr Entschluss steht fest?“

„Ja, absolut. Die Entscheidung ist getroffen und die Reise bereits gebucht. Wir gehen am 8. Juli in Italien an Bord eines Kreuzfahrtschiffes.“

Es war dem Arzt anzusehen, dass ihm die Antwort nicht gefiel. Er fuhr sich mit der Hand von der schon sehr hohen Stirn über den verbliebenen grauen Haarkranz am Hinterkopf. „Dann bleibt mir nur, Sie mit geeigneten Schmerzmitteln zu versorgen, die Ihnen bestmögliche Lebensqualität gewährleisten.“

Robert nickte zustimmend. „Das wäre hilfreich.“

„Sehr bewährt hat sich Methadon.“ Er beobachtete Roberts Reaktion, die jedoch ausblieb. „Keine Fragen? Das Erste, was dann normalerweise kommt, ist der Hinweis auf die Suchtgefahr. Methadon ist ja vor allem aus dem Drogenersatzprogramm bekannt.“

„Warum sollte ich mir darüber Gedanken machen, süchtig zu werden, wenn ich ohnehin nur noch sechs Monate zu leben habe?“

„Sie scheinen sich tatsächlich mit Ihrer Diagnose abgefunden zu haben“, stellte der Arzt nüchtern fest. „Dann bleiben wir gleich bei den Fakten. Es gibt wie bei allen Medikamenten Nebenwirkungen. Da die Dosierung sehr niedrig ist, sind sie wesentlich geringer als bei der Substitutionstherapie. Sie können auftreten, müssen aber nicht. Am Anfang kann es zu Übelkeit, Schwindel und Benommenheit kommen. Das dauert ungefähr zwei Wochen. In dieser Zeit sind Sie nicht verkehrstüchtig. Eine dauerhafte Beeinträchtigung kann Verstopfung sein. Ballaststoffreiche Ernährung und viel Flüssigkeit wirken dem entgegen.“

„Wenn dafür die Schmerzen erträglich bleiben, ist das ein guter Tausch.“

„Das denke ich auch. Ich gebe Frau Grün entsprechende Medikamente mit und auch die Schiffsapotheke müsste dahingehend ausgerüstet sein.“ Er lehnte sich zurück und sah Robert aufmerksam an. „Ich hoffe, Ihnen ist beiden bewusst, worauf Sie sich da einlassen. Frau Grün ist eine meiner besten und erfahrensten Schwestern. Wäre sie das nicht, hätte ich ihr von diesem Vorhaben dringend abgeraten.“

Robert wurde etwas unbehaglich. Mutete er der sympathischen Krankenschwester zu viel zu? ‚Sie hätte auch nein sagen können. Es war ihre eigene Entscheidung‘, beruhigte er sich selbst. Gleichzeitig nahm er sich vor, den Geldbetrag zu erhöhen, den sie bekommen sollte, wenn sie ihre Aufgabe erledigt hatte. In einigen Tagen hatte er einen Termin mit seinem Notar, der den Geschäftsabschluss und auch seine privaten Vorkehrungen abwickelte.

„Wollen Sie mit der Methadon-Einnahme sofort beginnen, oder erst auf der Reise?“ Dr. Winkelmayers Frage riss ihn aus seinen Überlegungen.

„Ich brauche jetzt einen klaren Kopf, um alles ordentlich zu regeln. Also nicht sofort, aber so bald wie möglich.“

Der Arzt stand auf und schloss einen Schrank auf. Er entnahm ihm ein Braunglas-Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit. „Methadon ist eine hochwirksame Substanz. Sie werden eine vergleichsweise niedrige Menge einnehmen. Die Lösung ist so standardisiert, dass zwei Mal täglich ein Milliliter ausreichen sollten. Die Wirkung hält bis zu vierundzwanzig Stunden an. Vielleicht genügt anfangs also sogar eine Gabe täglich. Die Dosierung nach Tropfenanzahl hat sich als zu unsicher erwiesen, weil unter Umständen die Tropfengröße variiert. Sie ziehen die Flüssigkeit mit einer Kolbenpipette auf und träufeln sie direkt in den Mund.“ Er zeigte auf die Skalierung. „Die Substanz wird bereits über die Mundschleimhaut aufgenommen. Daher ist die Wirkung gewährleistet, auch wenn in einem späten Stadium Schluckbeschwerden auftreten sollten.“ Robert durchlief es kalt, doch er ließ sich nichts anmerken.

„Ich werde Frau Grün mit entsprechenden Mengen der Medikamente für sechs Monate ausstatten. Zusammen mit einem internationalen Arztbrief, den ich Ihnen ausstelle, sollte es keine Probleme geben.“ Der Arzt legte die Fingerspitzen aneinander und sah ihn abschätzend an. „Sind Sie noch immer sicher, dass Sie das durchziehen wollen?“

Robert nickte, auch wenn ihm etwas mulmig geworden war.

„Da eine solche Vorgehensweise für uns Neuland ist, hatte ich eine Unterredung mit unserem juristischen Berater. Damit wir alles abwickeln können wie besprochen, werden Sie als Privatpatient der Klinik geführt. Sollte es Probleme geben, können sich Behörden oder Krankenhäuser dann an uns wenden. Wir verrechnen Ihnen lediglich den heutigen Termin und die Medikamente. Sind Sie damit einverstanden?“

„Selbstverständlich. Ich danke Ihnen!“ Robert war erst im Laufe des Gesprächs klar geworden, dass er sich wohl alles etwas zu einfach vorgestellt hatte. ‚Vielleicht wäre ich in der Klinik doch besser aufgehoben, wenn es zu Ende geht?‘ Er schob die Zweifel beiseite und beruhigte sich damit, dass sie die Reise jederzeit abbrechen und nach Hause fliegen konnten, sollte ihnen danach sein.

„Ich hoffe, Ihnen ist bewusst und honorieren entsprechend, was Frau Grün für Sie tut.“ Erneut war deutlich zu erkennen, dass der Arzt von der Übereinkunft nicht begeistert war. Dabei hatte Robert das Gefühl, dass der dabei entstehende personelle Engpass nicht der Hauptgrund war. „Rund um die Uhr über Monate alleine für die Pflege eines Palliativ-Patienten da zu sein, ist selbst für eine versierte Kraft wie sie beinahe unzumutbar.“

„Ich werde mir Mühe geben, ein angenehmer Patient zu sein und ihr die Reise so schön wie möglich zu machen. Finanziell wird es sich für sie auf jeden Fall lohnen“, fühlte er sich bemüßigt zu sagen, auch wenn es ihren Chef eigentlich nichts anging.

Der machte eine abschließende Handbewegung. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Herr Aigner, und das meine ich ehrlich.“ Er stand auf und Robert folgte seinem Beispiel. Sie verabschiedeten sich mit Handschlag, dann stand er mit gemischten Gefühlen wieder auf dem hellen Korridor der Klinik. Er straffte sich innerlich und wandte sich zum Ausgang. Es war noch viel zu tun.

Kapitel 6

Ab Anfang Juni hatte Sonja Grün frei. Sie nutzte die letzten Tage bis zur Abreise, um ihre Kontakte zu pflegen. Mit ihrer Freundin traf sie sich in einem Café.

„Du machst es also wirklich?“ Sandra sah sie zweifelnd an. „Ich bewundere dich.“ Ihr Tonfall besagte eher: ‚Dir ist nicht zu helfen.‘

Sonja schmunzelte. „Findest du nicht, dass man wenigstens einmal im Leben etwas Verrücktes machen sollte?“

„Ja schon, aber vielleicht eher Fallschirmspringen oder ein Blind-Date. Aber vier Monate mit einem dir unbekannten Mann durch die Weltgeschichte zu gondeln und ihm beim Sterben zusehen? Nein, das fällt bei mir unter ‚in Irrsinn ausgeartetes Helfersyndrom‘.“

„Fast fünf Monate“, berichtigte Sonja, ohne auf die Beurteilung ihrer Freundin einzugehen. „Wir werden uns davor noch Italien ansehen.“

„Was ist, wenn er denkt, du stehst ihm auch für andere Dienste zur Verfügung, nachdem er dir die gesamte Reise bezahlt?“

„Es wäre nicht das erste Mal, dass ich unerwünschte männliche Aufmerksamkeit von Patienten im Keim ersticke. Außerdem darfst du meiner Menschenkenntnis ruhig ein wenig mehr vertrauen. Denkst du, ich würde mich darauf einlassen, wenn ich irgendwelche Bedenken bei Herrn Aigner hätte?“

Sandra spürte, dass sie zu weit gegangen war. „Entschuldige. Ich mache mir eben Sorgen um dich. Die Aktion passt irgendwie so gar nicht zu dir.“

Sonja nickte. „Ich weiß, ich bin sonst immer vernünftig und bewege mich auf vorhersehbaren Wegen. Aber als er mir den Vorschlag unterbreitet hat, konnte ich einfach nicht nein sagen. Besser gesagt, ich wollte es nicht. Wann habe ich denn noch einmal die Chance, eine Weltreise zu machen? Und er ist mir sympathisch und hat schon so viel mitgemacht. Wo sollte er denn sonst auf die Schnelle eine Begleitung herbekommen?“ Sie sah ihrer Freundin fest in die Augen. „Ich freue mich darauf.“

„Okay, ich bin ja schon still. Aber melde dich hin und wieder, damit ich weiß, dass es dir gut geht!“

Sonja lächelte erleichtert. „Ja, klar mach ich das. Und vielen Dank, dass du in meiner Wohnung nach dem Rechten siehst!“

„Kein Thema. Es wird ohnehin höchste Zeit, dass ich mich revanchiere. Wenn ich zusammenrechne, wie oft du das schon für mich gemacht hast, könntest du zweimal um die Welt reisen.“

„Wie geht es dir mit Günther?“, wechselte Sonja das Thema.

Sandra wackelte anzüglich mit den Augenbrauen auf und ab. „Gestern ging es noch.“ Dann wurde sie ernster. „Im Bett und sonst wo ist er einsame Spitze, aber abgesehen davon, macht er sich rar. Ich werde wohl der Tatsache ins Auge sehen müssen, dass er es ernst meint, keine Beziehung zu wollen. Mein Fehler, mir mehr zu erhoffen.“

Sonjas nickte mitfühlend. „Es ist doch jedes Mal das gleiche Thema in Variation. Wenigstens hat er es dir schon am Anfang gesagt. Wenn ich da an seine Vorgänger denke ... “

Die letzten drei Männer, die Sandra kennengelernt hatte, machten fast auf den Tag genau nach einem halben Jahr sang- und klanglos mit ihr Schluss. Jedes Mal war sie aus allen Wolken gefallen und ihr Herz hatte eine weitere Delle davongetragen. Diesmal hatte sie – mit wenig Erfolg – beschlossen, sich emotional nicht mehr einzulassen. Doch das gelang keiner der beiden Freundinnen so richtig. Während Sandra es immer wieder versuchte, hatte Sonja aufgegeben und lebte ein geruhsames Single-Dasein ohne großen Höhen und Tiefen.

Sie waren beide seit mehr als zehn Jahren geschieden. Sandra befand sich noch weit unter der magischen Fünfzig, Sonja hatte diesen Geburtstag schon vor knapp fünf Jahren gefeiert.

„Es kann doch nicht so schwer sein, einen passenden Mann kennenzulernen.“ Sandra blieb beharrlich.

„Das nicht. Einen zu halten, offenbar schon. Aber sei doch mal ehrlich: Der dich gehen lässt, ist doch selbst schuld.“

Sandra schenkte ihr einen aufreizenden Augenaufschlag mit klimpernden Wimpern. „Es ist wirklich jammerschade, dass du mit Frauen so gar nichts anfangen kannst.“

Sonja hob lachend beide Hände. „Das Thema hatten wir schon.“ Ihre Freundin hatte niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie keine festen Vorlieben hatte. Mittlerweile war das bereits ein ‚Running Gag‘ zwischen ihnen. „Genieße Günthers Qualitäten, so lange es dir Spaß macht, aber pass auf dein Herz auf, okay? Diesmal bin ich leider nicht da, um dich zu trösten.“ Der Gedanke, Sandra so lange nicht zu sehen, machte sie traurig.

„Vielleicht sollte ich ihm zuvorkommen und ihn abservieren, solange du noch greifbar bist. Ich bin es ohnehin leid, immer die Verlassene zu sein“, meinte ihre Freundin nur halb im Scherz.

„Das kann ich dir nachfühlen.“

Sandra sah auf die Uhr. „Wir haben vierzig Minuten, bis ich losmuss. Bestellen wir noch etwas?“

***

Mit Eva telefonierte sie am Abend.

„Hallo Mama, wie geht es dir?“, meldete sich ihre Tochter etwas atemlos.

„Danke, gut. Stör ich dich? Bist du gerade in Eile?“ Eigentlich war Eva das meistens, doch diesmal meinte sie entspannt: „Nein, gar nicht. Das Telefon war nur ganz woanders als ich. Erzähl, wie hast du dich entschieden?“

„In einer Woche geht es los. Zuerst nach Italien, dann ans andere Ende der Welt.“

„Wow, das hätte ich dir ehrlich gesagt nicht zugetraut. Find ich toll!“

Sonja war nicht sicher, wie sie diese Äußerung einordnen sollte. Sie beschloss, sie als Kompliment zu werten.

„Und, bist du schon aufgeregt? Hast du eigentlich eine ordentliche Kamera? Solche einmaligen Highlights musst du ja gebührend festhalten!“

Sofort schlitterte sie wieder in ihr altbekanntes Muster. Seit sich Eva halbwegs durch die Pubertät gekämpft hatte, bekam Sonja bei den unmöglichsten Gelegenheiten das Gefühl, sich vor ihrer Tochter rechtfertigen zu müssen. „Meine alte Knipskamera, du kennst sie ja.“

„Ach Mama, das Ding ist doch vollkommen veraltet.“

„Sie macht gar keine so schlechten Bilder“, verteidigte sie den Fotoapparat, den sie nach ihrer Scheidung günstig bei einem Discounter gekauft hatte. Sie hatte ihn vor allem dazu benutzt, Kindergeburtstage, Weihnachten und Muttertage für alle Zeiten festzuhalten. Zugegeben, die Zoomfunktion war nicht überragend und besonders hochwertig war die Kamera ohnehin nie gewesen.

„Hast du eine Reiseversicherung abgeschlossen?“

„Das hat Herr Aigner für uns gemacht. Er ist sehr umsichtig“, beeilte sie sich zu versichern. Neuerlich kam sie sich vor, als wäre sie die Tochter und nicht die Mutter.

„Ihm liegt wohl viel daran, dass du ihn begleitest, wenn er für alles aufkommt. Pass bloß auf dich auf, Mama! Wer weiß, was der mit dir vorhat.“

„Der Mann ist sterbenskrank, Eva. Er braucht eine Krankenschwester und mich kennt er von früher. Das habe ich dir doch erzählt.“

„Ja. Du musst gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht haben, wenn er sich nach Jahren noch an dich erinnert. Irgendwie kommt mir das Ganze komisch vor. Vielleicht ist er ja ein Psychopath oder so.“

Langsam fing Sonja an, sich zu ärgern. „Mach dir keine Gedanken. Mein Chef ist eingeweiht und unterstützt mich. Es ist also alles kein Problem. “

„Na gut, du musst ohnehin selbst wissen, was du tust. Ich hab auch noch eine Neuigkeit für dich, Mama.“ Eva machte eine dramatische Pause. „Wir bekommen ein Baby! Ralf freut sich wie irre!“

„Oh, das ist wunderbar! Geht‘s dir gut? Wie weit bist du denn schon? Wann kommt es?“, sprudelte es aus Sonja heraus.

„Mir geht es bestens. Der Termin ist Ende Dezember. Vielleicht wird es ja ein Christkindl.“

„Und ich bin die ganze Zeit nicht da! Wir kommen erst Anfang November zurück!“

„Du kannst ja ohnehin nichts dazu tun. Das ist ja das Schöne am Oma-Werden, oder? Du lässt dir gemütlich die Sonne auf den Bauch scheinen und ich werde kugelrund. Mach dir keine Sorgen, Ralf passt gut auf mich auf. Er ist irrsinnig lieb und fürsorglich“, schwärmte sie von ihrem Ehemann.

So quasi als unnütz eingestuft zu werden, gefiel Sonja nicht, obwohl sie wusste, dass Eva im Prinzip Recht hatte. Auch wenn sie daheim geblieben wäre, hätte sie ihr nicht wirklich beistehen können. Eva und Ralf wohnten in der Nähe von Wien. Von Salzburg aus waren das mindestens dreieinhalb Stunden Fahrt.

Ein melodiöser Dreiklang drang durch den Lautsprecher. „Ich muss Schluss machen, Mama, wir bekommen Besuch. Ich wünsche dir eine tolle Reise und dass du alles immer gut im Griff behältst!“ Sonja konnte sich gerade noch verabschieden, dann war das Gespräch beendet.

Am nächsten Tag machte Sonja einige Besorgungen für die Reise. Da die Kleidung in der Schiffswäscherei gewaschen wurde, hatten ihre alten ausgeleierten Slips keine Chance, eingepackt zu werden. Obwohl Herr Aigner ihr versichert hatte, dass er alle Kosten für ihre Ausstattung übernehmen würde, wollte sie ihn nicht unbedingt dabeihaben, wenn sie Unterwäsche und etwas für die Nacht einkaufte. Der Gedanke, sich mit einem Mann, den sie kaum kannte, eine Doppelkabine zu teilen, war schon befremdlich genug. Da sie jedoch so kurzfristig gebucht hatten, gab es keine andere Möglichkeit mehr, und sie hatte zugestimmt.

Normalerweise schlief Sonja nackt, aber das war ja nun keine Option. Sie entschied sich für ein Doppelpack leichter Schlafanzüge. Einer war blau geblümt, der andere hatte ein maritim anmutendes feines, dunkelblaues Streifenmuster und ein gesticktes Steuerrad auf dem Oberteil.

Nachdenklich sah sie sich in der Dessous-Abteilung um. Sollte sie von ihren üblichen praktischen Baumwoll-Slips abweichen und sich für die Reise ausnahmsweise etwas Hübsches, Feminines leisten? Ihre Hand strich wie von selbst über feine, hellblaue Spitze.

„Das ist ein sehr schönes Material, finden Sie nicht auch?“, sprach die Verkäuferin sie an. Sie schien ungefähr ihm selben Alter wie Sonja zu sein und trug ihr graumeliertes Haar selbstbewusst und zu einer modernen Frisur gestylt. „Das hier dürfte Ihre Größe sein. Möchten Sie den passenden BH dazu probieren? Welche Form bevorzugen Sie?“

Es dauerte nur wenige Minuten, bis die tüchtige Dame sie mit mehreren Teilen zur Umkleidekabine führte. Bei einem Set gefiel ihr der Schnitt nicht, doch in einem anderen fühlte sie sich auf Anhieb wohl. Das, was sie im Spiegel sah, gefiel ihr überraschend gut, sodass sie sogar darauf vergaß, wie sonst den Bauch einzuziehen.

„Wie sieht es aus?“, fragte die Verkäuferin durch den Vorhang.

„Das hier ist nichts für mich.“ Sonja reichte die Teile hinaus. „Haben Sie vielleicht noch etwas in Weiß oder Hautfarben?“

Sie schlüpfte aus den entzückenden hellblauen Dessous. Ein Blick auf die kleinen, dezenten Anhänger ließ sie staunen, wie so wenig Stoff einen so stolzen Preis haben konnte.

„Ich habe Ihnen eine kleine Auswahl mitgebracht. Ein Set in champagner, eines in einem zarten apricot und ein wundervolles Ensemble in mitternachtsblau.“

Sonja schmunzelte über die blumigen Farbbezeichnungen und nahm die Stücke aus der üppig beringten Hand entgegen, die sich durch den Vorhang streckte.

Und dann stand sie vor einem Dilemma: Alle Teile passten, und eines war schöner als das andere.

In die zartblauen Dessous hatte sie sich auf Anhieb verliebt. Das helle Set hatte gefütterte Cups und würde unter einer weißen Bluse gut aussehen. Das fast Hautfarbene war ebenso blickdicht und zusätzlich mit zarter elastischer Spitze überzogen. Es war luftiger und würde ideal unter helle, leichte Kleidung passen. Und das dunkle, beinahe schwarze Set ... Es war einfach himmlisch! Der glänzende Satin und der elegante Schnitt brachten ihre Formen perfekt zur Geltung.

Um Zeit zu gewinnen, zog sich Sonja wieder an. ‚Meine Güte, wann habe ich mir denn zuletzt etwas richtig Schönes gegönnt?‘, fragte sie sich selbst. Sie rümpfte die Nase, als sie im Spiegel ihren ausgeleierten BH betrachtete, der ihr bereits ziemlich lange gute Dienste geleistet hatte. Schnell zog sie das Shirt darüber. Während sie ihren Rock zumachte und den Reißverschluss hochzog, ließ sie den Blick über die Dessous gleiten. Nachdem sie in die Schuhe geschlüpft war, suchte sie nach den Preisschildern. Im Kopf überschlug sie die Summe. ‚Das würde für einen wirklich guten Wintermantel reichen. Aber ich brauche keinen Mantel, sondern neue Unterwäsche.‘

„Darf ich Ihnen schon etwas abnehmen? Hat alles gepasst?“

Sonja zog den Vorhang beiseite. Sie raffte die Dessous behutsam zusammen und legte sie der Grauhaarigen in die Arme. „Sie passen, aber ich überlege noch.“

„Lassen Sie sich ruhig Zeit.“ Sie entfernte sich und breitete die zarte Wäsche sorgfältig auf der Theke aus. „Wir haben jetzt übrigens gerade eine Aktion. Wenn Sie zu einem Set einen zweiten Slip dazunehmen, gibt es den zum halben Preis. “

Das erschien Sonja sinnvoll. Sie gab sich einen Ruck. ‚Diese Reise ist etwas absolut Einmaliges. Und ich habe es verdient, mich selbst zu verwöhnen.‘ „Ich nehme alle vier Sets und zu jedem ein zusätzliches Höschen.“

Die Verkäuferin strahlte. „Sie werden es nicht bereuen! Es ist einfach ein herrliches Gefühl, hochwertige Wäsche zu tragen.“

Sie scannte die Strichcodes ein und bildete die Summe. „Bei diesem Betrag darf ich Ihnen noch eine schöne Strumpfhose mit dazugeben. Welche Farbe bevorzugen Sie?“

Sie zog eine Schublade auf und legte eine Auswahl auf die Theke. „Das ist eine besonders feine, seidige Qualität und sehr haltbar.“ Sonja entschied sich für eine nicht zu helle Hautfarbe.

„Sehr gute Wahl, die passt überall dazu.“

Während Sonja ihre Bankomatkarte zückte und den Kauf abschloss, wanderten ihre Neuerwerbungen Stück für Stück in eine exklusiv aussehende, glänzende Papiertragetasche.

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es Zeit war, den Domplatz aufzusuchen. Kaum war sie am verabredeten Treffpunkt angelangt, als sie in der Menge der Passanten Benjamin erkannte, der mit langen Schritten auf sie zukam. Sein Dreitagebart fühlte sich rau an, als er sie auf beide Wangen küsste.

„Hallo Mama! Gut siehst du aus! Warst du shoppen?“

„Ich habe gerade einer eifrigen Verkäuferin den Tag gerettet. Vielleicht sogar die ganze Woche!“ Sonja lachte zu ihrem Sohn auf. Zu dem Hochgefühl wegen des außergewöhnlichen Einkaufs mischte sich die Freude, Beni nach fast zwei Monaten wiederzusehen.

„Soll ich sie dir tragen?“, fragte er und zeigte auf die Tasche.

„Das ist lieb, aber danke, nicht nötig. Wohin gehen wir essen? Geld ausgeben macht hungrig.“

„Schon mal Sushi probiert?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Traust du dich?“

„Ich werde in den nächsten Monaten einiges kosten, was ich noch nie gegessen habe. Also kann ich ebenso gut gleich damit anfangen, oder?“

„Gute Einstellung. Dann los. Es ist nicht weit.“

Auf dem Weg zum Restaurant erzählte er ihr von seiner letzten Dienstreise, die ihn nach Vietnam geführt hatte. Er arbeitete für ein Unternehmen, das Schuhe herstellte. Seine Aufgabe war es, in verschiedenen Fertigungsländern die Qualität und die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen zu überprüfen und den Kontakt zum örtlichen Führungspersonal zu pflegen.

„Ich bin wirklich froh, dass sie uns immer zu zweit losschicken. Man muss seine Augen und Ohren überall haben. Das ist gemeinsam leichter.“

„Hast du diesmal auch etwas von Land und Leuten gesehen?“, erkundigte sie sich. Dass das nicht immer der Fall war, wusste sie aus seinen Erzählungen.

„Wir wurden einmal vom Chef zu sich nach Hause eingeladen. Das war sehr interessant. Einen anderen Abend haben sich Rick und ich auf eigene Faust in die Stadt begeben. Das war ... na sagen wir mal, nicht ganz ungefährlich. Wir sind in eine nicht so gute Gegend geraten und waren froh, als wir heil aus dem Viertel heraußen waren. Aber wenn du siehst, wie die einfachen Leute dort leben, welche Bedingungen da herrschen, wirst du sehr dankbar für unseren Standard, das kann ich dir versichern.“

„Ich denke, ich werde auf meiner Reise diese Erfahrung auch machen. Obwohl ich nicht die Absicht habe, mich in die schlimmen Viertel zu wagen.“

Benjamin lachte. „Wir hatten es auch nicht darauf angelegt, sondern uns verlaufen. Niedrigerem Lebensstandard als unserem zu begegnen, ist ziemlich leicht, habe ich festgestellt. - So, da sind wir.“ Er hielt ihr die Türe auf und Sonja freute sich, dass ihre Erziehung offenbar reiche Früchte getragen hatte. Sie ließ sich von ihm erklären, was da so auf dem kleinen Förderband vorbeikam und kostete sich quer durch. Während des Essens unterhielten sie sich weiter.

„Freust du dich auf die Reise? Wirst du sie ein wenig genießen können?“

„Ich denke schon. Auf jeden Fall werde ich das Bestmögliche daraus machen.“

„Das glaube ich dir sofort. Das machst du doch immer, oder?“ Das liebevolle Lächeln ihres Sohnes wärmte Sonja das Herz.

„Erzähl mir von deinem Patienten. Wie ist er denn so?“

„Tja, was soll sagen? So gut kenne ich ihn ja nicht. Sympathisch auf jeden Fall. Zurückhaltend. Er hat viel durchlitten und ist verbittert, habe ich das Gefühl.“

„Du hast seine Frau betreut, hast du erzählt, oder?“

Sonja freute sich, dass er es sich gemerkt hatte. „Ja, genau. Deshalb ist er auf mich zugekommen. Ich denke, es wird trotz allem eine schöne Reise und eine interessante Erfahrung für mich.“

„Ja, bestimmt. Noch geht es ihm offenbar recht gut.“

Sonja dachte an das Gespräch mit ihrer Tochter am Vortag. „Machst du dir keine Sorgen um mich?“

Benjamin sah sie erstaunt an. „Warum sollte ich? Du bist die stärkste Person, die ich kenne. Mit deiner Berufspraxis und deiner Menschenkenntnis kannst du die Situation sicher einschätzen. Außerdem gibt es auf so einem Schiff eine Unmenge von hilfreichen Geistern, die dich unterstützen, sollte es nötig sein.“

Sie lächelte. „Das hast du schön gesagt. Danke.“

Er zuckte ein wenig verlegen mit den Schultern und erinnerte sie dabei an den süßen, kleinen Jungen, der er einmal war.

„Ich finde es nur schade, dass wir deinen Geburtstag nicht zusammen feiern können. Wobei es ja bei mir ohnehin nie sicher ist, ob ich dann gerade im Lande bin. Deshalb habe ich jetzt schon ein Geschenk für dich.“ Er klappte seinen Aktenkoffer auf und entnahm ihm ein kleines Päckchen in Geschenkpapier. Er schob es ihr über den Tisch. „Von Eva und mir.“

„Das ist aber lieb! Da bin ich gespannt.“ Sonja löste die Klebestreifen und zog das Papier auseinander. „Ein Fotoapparat! Gestern hab ich mit Eva noch ...“ Sie lachte. „Hat sie dich losgeschickt?“

„Klar. Ich hoffe, du hast Freude damit?“ Benjamin sah sie mit schief gelegtem Kopf an. „Ich habe mich beraten lassen und eine ausgesucht, die gute Fotos macht, ohne dass du ewig lange etwas einstellen musst. Der Verkäufer hat mir versichert, dass sie intuitiv zu bedienen ist. Die Batterien sind schon drinnen, du kannst also ...“ Er stöhnte, als Sonja das Gerät einschaltete und auf ihn richtete. „Ich hätte es wissen müssen. Cheeeeeese.“ Sein Lächeln wirkte dann doch nicht so gequält, wie man hätte annehmen können. Gemeinsam beugten sie sich über die Vorschau-Ansicht.

„Das Display ist toll. Doppelt so groß wie bei meinem alten Fotoapparat!“

„Gar nicht so schlecht geworden. Sogar ohne Blitz.“ Benjamin klang zufrieden. „Jetzt kannst du deine Weltreise in allen bunten Details festhalten.“

„Vielen Dank! Das ist wirklich ein tolles Geschenk. Ich hätte mir bestimmt keine Kamera gekauft. Mein Urlaubsgeld habe ich in Dessous angelegt“, rutschte ihr heraus.

Ihr Sohn grinste, verkniff sich jedoch eine Bemerkung. Stattdessen griff er nach einem kleinen Schälchen mit Kokospudding und fing an zu löffeln.

Der Abschied verlief herzlich. „Lass dich drücken, Mama!“ Seine Umarmung brachte ihr zu Bewusstsein, was für ein großer, starker Mann ihr Junge geworden war.

„Pass gut auf dich auf, Beni. Wir hören uns.“

„Meine Mail-Adresse hast du, oder? Lass es dir gut gehen, genieße die Reise und hab so viel Spaß wie möglich!“

Als er ging, drehte er sich nach ein paar Metern noch einmal zu ihr um und winkte zurück. Sobald er in der Menschenmenge verschwunden war, holte Sonja das Handy aus ihrer Tasche und rief Eva an, um sich bei ihr zu bedanken.

Kapitel 7