Kühe schubsen - Nicholas Müller - E-Book

Kühe schubsen E-Book

Nicholas Müller

4,6

Beschreibung

Im Internet-Zeitalter noch echte Briefe zu verschicken, ist eher selten. Daher starteten Nicholas Müller und Hubert vom Venn ihr Experiment: Sie begannen einen Briefwechsel. Aus völlig unterschiedlichen Perspektiven schildern die beiden ihre Kindheit und Jugend in der Eifel. 30 Jahre Altersunterschied liegen zwischen dem Musiker und dem Kabarettisten. Trotzdem finden sich Ähnlichkeiten in den Erlebnissen und Aufzeichnungen: Die erste Zigarette, der erste Kinofilm, der erste öffentliche Auftritt. Eine liebevolle Retrospektive, ein Resümee voller Irrungen, Wirrungen und komischer Episoden.

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© 2015 E-BookRHEIN-MOSEL-VERLAGZell/MoselBrandenburg 17, D-56856 Zell/MoselTel 06542/5151 Fax 06542/62258Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-89801-834-0Ausstattung: Marina FollmannUmschlag: Marina FollmannFoto: Katharina Isabel Franke
Signets: Janosch HüblerKorrektur: Thomas Stephan

Nicholas Müller/Hubert vom Venn

Kühe schubsen

Briefe in und aus der Eifel

Rhein-Mosel-Verlag

***

Danke an unsere Bühnenpartner Achim Konejung und Tobias Schmitz

***

Einleitung

Im August 2014 hatte Nicholas Müller eine Idee: Im Zeitalter von SMS, Mails und – fast schon veraltet: Telefon und FAX – einfach mal wieder Briefe schreiben – im wahrsten Sinne sogar mit Siegel.

Briefe zwischen einem Eifeler, den es in die große, weite Welt nach Westfalen getrieben hat, und einem Eifeler, der im Weichbild geblieben ist.

Briefe und Postkarten mit kurzen Gedanken also zwischen dem Musiker Nicholas Müller und dem dreißig Jahre älteren Hubert vom Venn.

Lieber Nicholas,

ich finde Deine Briefwechsel-Idee ganz toll, habe mir da auch ein paar Gedanken gemacht: Ich nenne das Spinn-Phase, wenn ich die ersten Ideen (oft für den Papierkorb) sammele – hier so’ne Idee, wie ein Titel aussehen könnte. Jetzt müssen wir uns noch darüber austauschen, wie Du Dir die Inhalte vorgestellt hast. Schreibst Du aus Deiner Eifelzeit und ich wie es zu meiner Zeit 100 Jahre früher war? Schildern wir beide Jetzt-Zeit-Erlebnisse? Vergleichen wir Westfalen und Eifeler? Oder schwebt Dir was ganz anderes vor?

Viele Grüße
Hubert

Hallo Hubert!

So, endlich komme ich auch mal zu einer Antwort. Das Vatersein wirft meine Kreativphasen immer tiefer in die Nacht, aber eigentlich kenne ich es ja auch nicht wirklich anders.

Du gehst die Sache von einer sehr interessanten Seite an, die ich bisher noch gar nicht in Betracht gezogen habe: Eure Generation und meine Generation. Ich müsste halt in die Recherche gehen, was die Zeit nach Alt-68 angeht, ich bin ja Generation Tschernobyl, aber da kannst Du mir bestimmt sehr gut auf die Sprünge helfen!

Am Rande: Der Name Deiner Band, »Kiffing Embryo«, ist übrigens so bescheuert schön, herrlich!

Mein Ansatz war: Der Typ, der aus dem Eifel-Kosmos in die weite Welt (Westfalen! Hah!) gewandert ist, um dort festzustellen, dass er ein echter Underdog ist. Beispielsweise der Arztbesuch, bei dem dieser mich nach der Niederlassung meiner Krankenkasse fragt, ich »Prüm, in der Eifel« sage und er mich kurz mitleidig anguckt, um dann die Anamnese von einem ganz anderen Standpunkt aus anzugehen und mich erst mal nach meiner Erblinie zu fragen (Kennste ja: Stichwort Inzest). Worauf­hin ich ihn damit beruhige, dass ich zu 50 Prozent Duisburger Blut in mir trage und er nur noch mitleidiger wird. Oder ich bin beim Zahnarzt und der packt erst mal die Vorletzte-Jahrhundertwenden-Edition seiner Werkzeuge aus.

Dann würde ich gerne eine fiktive Selbsthilfegruppe von Eifelern gründen, bei der wir das Für und Wider des Imperativs (Fress oder sterb!) und andere Unwegsamkeiten wie das 
»Sch-Ch«-Problem besprechen, halt die kleinen Kruditäten, mit denen der Eifeler halt so zu kämpfen hat. 

Und das berichte ich Dir halt, während Du mich über die politische, soziokulturelle oder wie auch immer geartete Lage in der Eifel auf dem Laufenden hältst und mir auch Deine Anekdötchen zum Besten bringst. Ich lache bei jeder einzelnen Deiner Kolumnen echt Tränen. Das ist so herrlich respektvoll respektlos auf den Punkt gebracht!

Kiffing Embryo, ey … Wo das wieder herkommt! 

Ein Kuriosum am Rande, aus Deiner Amazon-Biographie:

»Seit 1912 tritt Hubert vom Venn solo auf.«

Tjifft jo! Du hast Dich echt gut gehalten, mein lieber Hubert! Haha!

Beste Grüße,

Nicholas

Lieber Nicholas,

1912! Ich erinnere mich noch genau. Ich trug damals einen völlig albernen Anzug, arbeitete als Truppenbetreuer und wollte mit einem Mühlenbesitzer aus Westfalen einen Briefwechsel veröffentlichen. Leider sind uns damals die Brieftauben ausgegangen. Da haben wir doch viel bessere Chancen …

Herzliche Grüße

Hubert

Lieber Hubert,

Du warst 1912 Deiner Zeit schon meilenweit voraus, zumindest, was die albernen Hosen angeht. Der neueste Scheiß sind nämlich Meggings. Leggings für Männer. Was leider kein Scherz ist. DAS sieht albern aus. Da ich ja weiß, dass die Eifel in Sachen Trends immer eine leichte Latenz vorzuweisen hat, schicke ich demnächst mal ein Beweisfoto. Mit ein bisschen Glück kommt das nie bei Euch an! Wenn doch, lache ruhig herzlich und offen darüber. Passt schon!

Beste Grüße,

Nicholas

Hallo Nicholas,

ich bin genau Deiner Meinung – wir beide schreiben über uns als reale Personen. Nur als Beispiel: Die »Kiffing Embryo«-Geschichte stimmt nämlich. So 1969 gegründet, nie ein Ton gespielt, geschweige denn ein Konzert gegeben, aber immerhin ein halbes Lied geschrieben: »Che«, scheiterte an meinem Grotten-Englisch.

Bin dann mit meinem Vetter Benno, den es schon lange aus der Eifel in die Provence verschlagen hatte, nach Trier gelaufen (und ein bisschen getrampt, aber nur ganz, ganz wenig). Trier war für mich immer wichtig. Ein Jahr später – 1970 – spielte ich mit meiner Fußballmannschaft gegen Trier und anschließend gingen wir dort ins Kino: »Easy Rider«. Hat vieles in meinem Leben umgekrempelt – nur meine Mitspieler fanden den Film langweilig, stinklangweilig sogar.

Wenn die damals diese Hosen, deren Foto Du geschickt hast, angehabt hätten …

Fahre Samstag gen Trier, will mit meiner Frau den -Tempel bei Igel besuchen und – natürlich – Viez vom Bohrshof holen …

Zu Generation Tschernobyl, wie Du es so schön nanntest, fällt mir ein Fast-Eifel-Erlebnis ein (Luxemburg ist ja Eifel). Als es krachte, hatte ich bei »RTL Radio« Nachtdienst mit Beppo Pohlmann (der hatte mal den Hit »Kreuzberger Nächte sind lang«). Wir dachten: Normaler Störfall, gründeten für die Morgensendung die Band »Tscherno und Bill« und nahmen auf »Geil« die Cover-Version »Gau« auf. Noch während der Sendung rief CBS an und wollte das. Micky Meuser, ein Klassenkamerad meiner Frau und heute Produzent in Berlin, produzierte das und als wir fertig waren, waren auch die Ausmaße von Tschernobyl bekannt. Somit starb das Projekt. Schicke Dir die Produktion für den Papierkorb als vertrauliche Anlage. 

Hatte übrigens noch ein Band-Projekt – da gab es die Single »Hühnchen explodieren am Horizont« und die LP – so hieß das damals – »Die Stimme des Westens«.

Herzliche Grüße

Hubert

Lieber Hubert,

die Knotenpöhler Band. Du ahnst es nicht! Hubert, wenn wir uns nächste Woche sehen, will ich Ton- und Fotonachweise! 

Auch beim Bandnamen Feindbild bin ich, als alter Punker, voll im Thema. Vielleicht sollten wir irgendwann eine All-Star Band gründen und Eifeler Volksweisen rückwärts vertonen, um die geheime Botschaft zu entschlüsseln. Und um dem Ganzen eine politische Konnotation zu geben, nennen wir uns »Die Eifeler Volkswaisen« … Oh ich freu mich!

In diesem Sinne,

allerherzlichsten Dank, die besten Grüße,

Nicholas

Lieber Nicholas,

ja, so gehen wir die Sache an. Ich gebe ja zu, dass ich gerne in der Vergangenheit schwelge – sicher auch eine Frage des Alters. Mir fallen gerade ein paar Dinge ein, die sicher für die Menschheit sowas von überflüssig sind, wie sie überflüssiger nicht sein könnten – aus der Zeit, als die Bilder schon laufen konnten.

Beginnen möchte ich mit einer Errungenschaft meiner Jugend, die es heute nicht mehr gibt: Die »Fruchtsuppe von Zamek« – eiskalt einfach ein Knaller. Früchte so frisch wie kandiertes Zitronat und Orangeat, dickflüssig wie Honig, der bei Sonnenschein auf der Fensterbank gestanden hat, und süß wie die Zedern des Libanon. Ich weiß auch, dass das letzte Beispiel völliger Blödsinn ist, klingt aber gut …

Heute sagt kein Mensch mehr Fruchtsuppe – vielmehr Kaltschale, aber diese erreicht nicht annähernd den Geschmack meiner Kindheit.

Soviel ich weiß, gab es die »Fruchtsuppe von Zamek« in Pappdöschen nur auf der Theke beim Metzger – Inhalt waren ein süßes Pulver und getrocknete Früchte – siehe oben. Es war damals noch Nix mit »kalt anrühren«. Der Inhalt musste in Wasser aufgelöst, richtig gekocht und dann im Kühlschrank auf Eiseskälte runtertemperiert werden. Derweil machten wir Kinder Klimmzüge am Eisschrank, bis es endlich soweit war.

Schmeckte einfach wahnsinnig, wahrscheinlich eine Chemiebombe vor dem Herrn. Egal, das war der Sommergeschmack meiner Kindheit.

Ich springe jetzt einfach – macht der Eifeler gerne – zu einem Thema, das mit der »Fruchtsuppe von Zamek« überhaupt nichts zu tun hat: Bestellen.

Natürlich kannten wir kein »Amazonas« oder »Zaraleando« –

dafür aber »Quelle« und »Neckermann«. Der frühe Mensch des vorigen Jahrhunderts war bekanntlich treu – wer die »Rolling Stones« hörte, legte nie eine »Beatles«-Platte auf.

Und so war es auch mit den sogenannten Versandhäusern. Die meisten waren nur einem treu, in meiner Familie siegte das blaue Paket. Mehrmals im Jahr trudelte der Katalog dieses Versenders ein, dicker als jedes Telefonbuch der Eifel. Immer ein Festtag für die ganze Familie – allerdings erst, wenn Oma den Katalog freigegeben hatte, nachdem sie ihn der unfreiwilligen Selbstkontrolle unterzogen hatte.

Merke: Eine Zensur findet auf jeden Fall statt.

Oma holte sich dann immer einen wunden Daumen, weil sie als erste den Katalog zur Kontrolle erhielt. Sie lebte nämlich mit mehreren Generationen unter einem Dach – unter anderem »die beiden Mädchen«, als ihre Stieftöchter nicht viel jünger als sie. Und dann eine leibliche Tochter nebst Familie.

Alle diese mussten doch geschützt werden – vor dem Moloch des Sittenverfalls und den Versuchungen der Unzucht.

Also nahm Oma sich den schweren Versandhaus-Schinken vor, schlug die Abteilung »Unterwäsche« auf, spuckte auf den Daumen und rieb stunden- und seitenlang all das weg, wo sie einen Busen auch nur wähnte.

Übrig blieben durchlöcherte Seiten – ähnlich dem Fluchtauto von Bonnie und Clyde.

So wurde ihre Hausgemeinschaft vor dem Sittenverfall geschützt. Als mein Vetter uns – ein paar Dörfer weiterwohnend und stolzer Besitzer eines der ersten Fernseher – einmal besuchte und Bikinis in einer Badeanstalt sah, rief er entrüstet aus:

»Nee, kickens, Tant Trina, wat für Bläckstüppe« – frei übersetzt: »Schau mal, Tante Katharina, was für nackte Gesäße!«

In einem Nebendorf gab es mal Ärger, weil eine Großmutter alle verdächtigen Seiten aus dem »Lesezirkel« rausgerissen hatte, der von ihren Enkeln ausgetragen wurde. Dort weiß man bis heute nicht, wer Jayne Mansfield, Brigitte Bardot, Jane Russel, Gina Lollobrigida oder Sophia Loren waren.

Aber zurück zum Katalog.

Wir Kinder interessierten uns weder für Pin-up-Ikonen noch für die Hüfthalter, die bekanntlich umbrachten – wir waren erpicht auf die Seiten weit dahinter:

Spielzeug – im Weihnachtskatalog mit einem Angebot, das uns schier aus dem Häuschen brachte.

In meinem Eifeldorf gab es bereits einen »Spielsachenladen«, an dessen Fenster ich mir die Nase platt drückte: Piratenschiffe, Burgen, Lassie, Fury (das Pferd – kein Slaughterhouse) und Joey als Gummifiguren.

In den Orten meiner Vettern und Cousinen existierten dagegen keine Spielzeugläden. Also war der Katalog die einzige Informationsquelle in Sachen Blech-, Gummi- und Plastikspielzeug. Stundenlang saßen wir über dem Katalog und suchten uns die Dinge aus, die wir meistens nie erhielten. Groß war immer das Geschrei, wenn zwei sich für den gleichen »Stabil«-Metallbaukasten entschieden, da wir der festen Überzeugung waren, dass die Herren Quelle oder Neckermann von allen Angeboten nur ein einziges Teil besaßen.

»Mamaaaaaaa, der will den Matador-Kasten, den ich mir als Erster ausgesucht habe.«

Der Hit meiner Kindheit, den ich dann tatsächlich einmal zu Weihnachten erhielt, war eine Ritterrüstung aus … Plastik: Helm mit Feder, Brustpanzer, Schwert und Futteral. Ich sah darin aus wie eine Bonsai-Ausgabe des St. Martin. Das Bild wurde lediglich durch die Gummistiefel etwas getrübt, die doch so gar nicht ritterlich aussahen.

Aber zurück zur Quelle – zum Katalog.

Beliebt waren besonders die Angebote des Wilden Westens: Indianerlager, Western-Forts und natürlich all die so wichtigen Figuren der Indianerstämme und der blauen Kavallerie. Die billigsten Figuren waren einfarbig, die bunten schon etwas wertvoller, und wenn man hin und wieder sogar eine Winz-Statue von Elastolin bekam, war das schon so etwas wie der Rolls-Royce unter den Apachen.

Zum Heulen nur: Fast alle Figuren hatten nur noch Rest-Pistolen in den Händen, da der hauchdünne Lauf bereits bei der ersten Schießerei abgebrochen war.

Abgebrochen, ein gutes Stichwort.

Ich breche jetzt mal meine Kindheitserinnerungen ab – sonst schreibe ich hier gleich noch über Matchbox-Autos oder Märklin-Eisenbahnen.

Herzliche Grüße nach Westfalen

Dein Hubert

Dann meldet »Lokalo« – »… vor der Basilika in Prüm ausgelost, wer als erster startet«, sagt Hubert vom Venn, »und das bin ich.«

Lieber Nicholas,

und schon wieder Hahnplatz!

Da standen wir nun im Dunstkreis der Prümer Basilika, deren Schönheit ich keinem urbanen Umfeld gönne. Du fragtest: »Gerade oder ungerade?«, ich murmelte etwas, Fritz-Peter Linden vom »Trierischen Volksfreund« rief etwas, und Du stelltest fest, dass mir das Recht der ersten Tat zufiel – will sagen: Die ersten Zeilen unseres Briefwechsels sind an mir.

Nun denn! Und schon wieder Hahnplatz!

Obwohl der Platz im Prümer Weichbild eher Dein Heim-Thing aus Bushaltestellen-Schülerzeiten ist, spielte der Fleck in meinem Leben oft eine kleine, aber feine Rolle.

Der Reihe nach: 1969 gründeten wir »Kiffing Embryo«. Vetter Benno und ich, quasi die Köpfe dieser Newcomer-Band (das Wort gab es damals wahrscheinlich noch nicht), beschlossen, zu Fuß auf PR-Tour von Monschau nach Trier zu gehen. Immerhin waren wir mal Sänger, Schlagzeuger, Gitarrist der kommenden Stones (im wahren Leben aber nichts davon). Ein paar Agfa-Klick oder Klack-Kleinformate mussten als Autogrammkarten herhalten:

Mädchenpensionate wir kommen!!!

Zuerst kam aber der Hahnplatz! Dort entstand das erste Foto meines Lebens mit schwarzem Hut, ein liebenswerter Tourist hatte es mir zugeschickt. Aus einem Aachener Kloster waren mir nämlich ein halbes Dutzend fast ungebrauchter Hüte »zugespielt« worden, die eigentlich für den Altkleidersack vorgesehen waren. Merke: Der Pater von Welt zieht seinen Hut kaum häufiger an als Elton John seine Socken.

Das Bild vom Hahnplatz überzeugte mich – ich bin nie wieder ohne schwarzen Hut auf die Straße gegangen.

Nur am Rande: Das Pensionat fiel aus, die beiden Mädchen, die wir in der Trierer Arena busselten, trugen Zahnspangen und haben noch lange Fan-Post an das »Kiffing-Embryo-
Castle« geschickt – schön wenn Eifeler Briefträger jeden Quatsch mitmachten.

Jahre später spielte ich auf einer winzigen Bühne im Portal der Basilika beim »Prümer Sommer« einen katholischen Pfarrer (wieder mit schwarzer Kopfbedeckung) – für mich (trotz drohender Gewitterwolken über dem Schwarzen Mann) bis heute der schönste Auftrittsort meines Lebens.

Der örtliche Pastor ging übrigens zur Pause.

Und Jahre vorher war in Prüm die erste Lesung meines Lebens. Die Veranstalterin begrüßte mich mit »Ich habe Feierabend« und »Wenn Sie fertig sind, machen Sie das Licht aus, abschließen tut der Hausmeister.«

Mit meinen fünf Lesern ging ich in ein Hotel am Hahnplatz und sollte mich doch tatsächlich – war ich stolz!! – ins Gästebuch eintragen.

Auf der Seite vor mir hatte Roberto Blanco unterschrieben …

Herzliche Grüße

Hubert

Lieber Hubert,

auf ins Abenteuer also! Und Du lieferst mir mit Deinem Brief gleich mehrere Steilvorlagen in meine Biographie.

Beginnen wir doch mit dem Hahnplatz: Der war seinerzeit Start- und Zielpunkt für viele meiner Aktivitäten, ob nun sinnvoll oder nicht. Meistens eigentlich eher nicht, aber man ist ja schließlich auch nur einmal jung, zumindest auf dem Papier. Das muss ich mir wohl auch gedacht haben, als ich mich so ca. 1995/1996, mit zarten 14 Jahren jedenfalls, in die legendäre Bushaltestelle am Hahnplatz gehockt habe, um dort meine erste echte Untugend aus der Taufe zu heben: Das

Rauchen. Und frag nicht wie! Ich hatte zwanzig Mark in der Tasche und acht davon sind in den Automaten gewandert. Zwei Schachteln Camel sollten es sein, frag nicht warum.

Nun gab es da eine logistische Feinheit zu klären. Meine Mutter sah, hörte und roch alles, was ich so an Unfug in petto hatte, und dementsprechend mussten die Dinger weg, weil ich genau wusste, dass sie, egal wie gut ich sie verstecken würde, irgendwann, irgendwo auftauchen und mir den Tag versauen würden.

Die Zigaretten jetzt, nicht meine Mutter. Obwohl, die wahrscheinlich auch, das hätte sich wohl gegenseitig bedingt. Ganz Ökonom, der ich war, war Wegwerfen keine Option, also habe ich die erste Schachtel auf dem Hahnplatz weggezogen. Eine nach der anderen auf Kette paffend, kam ich mir vor wie der dicke James Dean der Eifel, mit Zahnspange und Topffrisur zwar, aber sonst hat das schon gepasst. Nachmittags war ich mit meinem damalig besten Freund im Eifel-Kinocenter (Hieß das damals schon so? Im Leben nicht!) verabredet und dort sollte dann die zweite Schachtel dran glauben. Mein Freund hat sich beömmelt, weil ich die Dinger nur paffte, in meinem Mund fühlte es sich auch schon seit mindestens zehn Fluppen so an, als hätte dort eine Katze gejungt und so kam mir sein Ratschlag, bei jedem Zug »Hhhh! Mama kommt!« (Hah!) zu sagen, um den Rauch in die Lungen zu quälen und den angenehmen Nikotinrausch zu spüren, nur recht. Machte ja Sinn.

Initiationsritus, Ende der Kindheit, auf der Leinwand flimmerte passender Weise »Independence Day«. Auf zu neuen Ufern!

Dachte ich zumindest bis zu dem Moment, an dem dieser elende Trick zum ersten Mal wirklich funktionierte.

Auf den kurzen, nicht uninteressanten Schwindel folgte das spontane, unabwendbare Bedürfnis rückwärts zu essen, das große weiße Telefon zu schnappen und mit Jörg zu telefonieren, etc. Du weißt schon.

Was soll ich sagen? Die angebrochene Schachtel liegt eventuell immer noch unter Sitz 6, Reihe 5, ich schulde dem Eifel-Kinocenter die Grundreinigung mindestens eines Sitzes, das Ende von »Independence Day« habe ich bis heute nicht gesehen und für mindestens eine Woche habe ich nie, nie wieder geraucht.

In diesem Sinne,

Nicholas

Lieber Nicholas,

vielen Dank für Deinen Brief, der bei mir einiges in Sachen »Jugend in der Eifel« aufgewühlt hat: Aber dazu gleich mehr.

Zunächst noch einige Worte zum Prümer »Hahnplatz«, der ja wohl eine zentrale Rolle in unser beider Jugend/Leben gespielt hat. Wenn unsere Vita einmal verfilmt werden sollte, und die Film-Crew es nicht schafft, einen verdammten Minensuchzerstörer in der Prüm zu wässern, sollte man die Handlung einfach unter dem Titel »Der Hahnplatz war ihr Schicksal« vor die Basilika verlegen. Schade, dass Humphrey Bogart und Lee Marvin auf der Besetzungsliste fehlen müssten …

Aber nun Eifel-Jugend! Ich arbeite mal die Themen ab, die Du aufgeworfen hast.

RAUCHEN! Es war 1966 – ich erinnere mich genau, weil ARAL damals zur Fußball-Weltmeisterschaft ein grandioses Sammelalbum veröffentlicht hatte – also im Vor-Panini-Zeitalter. Damals spielte ich – mehr mit Begeisterung, weniger mit Talent – bei der Jugend von Alemannia Aachen. Da die Tanke direkt neben dem legendären »Tivoli« lag, erhielten wir Jugendspieler gegen Vorlage des Mitgliedsausweises jede Woche ein Bild von dem freundlichen Tankwart, der uns allerdings auch Zigaretten verkaufte. Am Tag, als ich das Sammelbild von Karl-Heinz Schnellinger (als Dürener ein Peripherie-Eifeler) ergatterte, kaufte ich mein erstes Päckchen und schritt sofort zur paffenden Tat – es waren HB mit der Werbe-Ikone: »Halt mein Freund, wer wird denn gleich in die Luft gehen?«

Das tat mein ungarischer Trainer Jôzsef Fehérvári, der mir immer »Dickes Brummer, marschieren nach vorne« vom Spielfeldrand zurief. An diesem Tag musste »Dickes Brummer« zur Strafe die Fußballschuhe anziehen und auf den – ich nenne es mal so – hohen Gipfel des nahen Lousbergs »nach oben marschieren« – ich habe nie wieder eine Zigarette angerührt. Das mangelnde Talent führte mich dann sportlich wieder in die Eifel zurück. Dank Jôzsef Fehérvári habe ich viel Geld gespart/verdient – mehr als so mancher Profi in den sechziger Jahren.

KINO!

Im Kino in Hellenthal, das – wenn ich mich richtig erinnere – einfach nur »Kino« hieß, hing »unter« (sagt kein Eifeler) der Woche die Wäsche. Am Wochenende wurde ich dort unter leeren Leinen zum Indianer – der »Schatz im Silbersee« war mein erster Film. Hängen geblieben ist aber »Winnetou I«. Ich verliebte mich sofort in Marie Versini, die Winnetous Schwester »Nscho-tschi« spielte, und heulte der Oma ins Taschentuch, als der gemeine Frederick Santer (Mario Adorf) zum feigen Meuchler wurde.

Damals wusste ich noch nicht, dass der Mörder ein Eifeler war.

Ein furchtbarer Sprung: Mörder! – bei nostalgischen Erinnerungen fällt mir auch das Böse ein: In unmittelbarer Nähe des Kinos befand sich eine Fleischerei. Davor standen am 31. Mai 1962 einige Frauen zusammen – es war der Tag, an dem der Nazi-Mörder Adolf Eichmann in Israel hingerichtet wurde. Einen Satz behielt ich in Erinnerung, dessen Tragweite mir erst viel später bewusst wurde: »Dem werden sie auch noch einmal bei uns ein Denkmal setzen.« Ich kann mich nicht erinnern, dass es Widerspruch gab – die Nazi-Denkmäler in den deutschen Seelen habe ich damals sicherlich noch nicht verstanden …

Viele Grüße aus der Eifel

Hubert

Lieber Hubert,

noch ein Wort zum Thema Rauchen: Ich hätte es besser dabei belassen, dann wäre ich wahrscheinlich auch nicht in den Kreis der Verdächtigen geraten, als mein Mitschüler Pat… Gustav (Name zum Schutz geändert) beim allmittwochmorgendlichen Schulgottesdienst-Schwänzen durch eine unbedacht weggeworfene Kippe beinahe den Schuppen des Vinzenz von Paul-Gymnasiums zu Niederprüm abfackelte.

Dort sollte ich eine grandiose Bruchlandung in Sachen Schulkarriere hinlegen. Sollte Dir das V.V.P.G. kein Begriff sein: Es ist ein vom Vinzentiner-Orden geführtes Gymnasium, das wohl bis heute noch den zärtlichen Spitznamen »Knast« trägt, weil der Mär nach auf den Mauern rund um die Schule ein Stacheldrahtzaun prangte, als es anno Tuck noch ein Jungeninternat war. Ich habe dafür keine Belege und lasse das einfach mal so stehen. Bei Beschwerden wende sich die Schulleitung doch bitte an den Verlag.

Die Patres dort trugen meines Wissens keine Hüte, zumindest nicht während der Schulzeit, was Deine Theorie zur Unversehrtheit des Geistlichenhutes ja unterstreicht. Vielleicht lässt sich also dort noch ein besonders schönes Exemplar für Dich auftreiben?! Ich lasse mal meine Kontakte spielen.