Land der Töchter zukunftsreich - Doris Schmidauer - E-Book

Land der Töchter zukunftsreich E-Book

Doris Schmidauer

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Beschreibung

Doris Schmidauer beschreibt sich am liebsten als »First Volunteer« und als Teil einer großen Gruppe an engagierten Frauen. Es sind Frauen, die durch ihren Mut und ihren Gestaltungswillen unser »Land der Töchter« zu einem noch besseren Ort machen. Einige dieser Pionierinnen erzählen in diesem Buch auch ihre Geschichte. So entstand mehr als eine Autobiografie: Sie erzählt sehr persönlich von ihrer Vorstellung von Freundschaft und Familie, von ihrer Kindheit und Jugend auf dem Land, von dem, was sie im Leben geprägt hat. Wir erfahren, wie die überzeugte Feministin ihren Mann, Alexander Van der Bellen, kennenlernte und wie sie an seiner Seite für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung kämpft.

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Seitenzahl: 198

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Doris Schmidauer

Land der Töchter zukunftsreich

aufgezeichnet von Nina Horaczek

Inhalt

Cover

Titel

Vorwort

Einleitung

Pionierinnen

Carmen Possnig – eine österreichische Pionierin im Weltall

Die erste Kanzlerin

Angelika Ritter-Grepl – eine fromme „Ehrenlesbe“

Alles auf Anfang

Angie Rattay – die Planetenretterin

Frauen in Österreich

Sandra Gott-Karlbauer – eine Pippi Langstrumpf kämpft sich an die Spitze

Die erste Reihe

Sonja Ottenbacher und Maria Knauder – zwei Polit-Pionierinnen vom Land

Aufstehen

Rosemarie „Rosi” Imre – eine Frau kämpft sich ins Leben zurück

Politische Wendepunkte

Hermine Hanke – eine starke Frau, die für andere da ist

Solidarität zeigen

Jaleh Lackner-Gohari – Kämpferin für Frauen- und Menschenrechte

Unabhängig sein

Elham Agoosh und Christine Scholten – Nachbarinnen helfen Frauen aus der Isolation

Die Geburtslotterie

Dorith Salvarani-Drill – mit Engagement für Bildungsgerechtigkeit

Mit Behinderung leben

Miriam Labus – eine Frau, die sich nicht ausbremsen lässt

Ist künstliche Intelligenz sexistisch?

Ingrid Brodnig – eine Kämpferin gegen Hass im Netz

She goes digital

Martina Mara – Frauenpower für eine digitale Welt ohne Sexismus

Anmerkungen

Nachwort

Danksagung

Impressum

Vorwort

Ein Buch über Doris Schmidauer zu schreiben, ist eine Herausforderung. Beginnt Österreichs First Lady über sich und ihre Aktivitäten zu erzählen, dauert es kaum länger als zwei Atemzüge, und schon spricht sie über ganz viele andere Frauen: Frauen, die ihr imponieren, Frauen, mit denen sie Initiativen gestartet hat, Frauen, die sie auf ihren Reisen an der Seite des Bundespräsidenten kennengelernt hat, Frauen, die sie seit ihrer Schulzeit begleiten, Frauen, die dieses Land positiv verändern.

Nach einigen Gesprächen ist klar: Doris Schmidauer kriegt man nicht solo. Damit würde man ihr auch nicht gerecht. Viel lieber beschreibt sie sich als Teil einer großen Gruppe an engagierten Frauen im Land.

So wurde aus einem Buch, in dem die First Lady, die gar nicht so genannt werden will, ihr Leben beschreibt, ein Buch über eine Kämpferin für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit. Aber vor allem auch über eine Frau, die sich in ihrer Rolle nicht als etwas Besonderes sieht, sondern als eine von vielen Menschen in unserem Land, die sich Tag für Tag engagieren.

Nina Horaczek

Einleitung

Wieso ein Buch über mich? So lautete meine erste Reaktion, als mich der Verlag im Herbst 2023 kontaktierte. Dann dachte ich über mögliche Beweggründe, Chancen und Ideen nach und vor allem an die vielen großartigen Projekte und Frauen, die ich in den vergangenen Jahren – insbesondere, seit mein Mann zum Bundespräsidenten gewählt worden war – kennengelernt habe. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit, einige von ihnen vor den Vorhang zu holen und damit nicht nur meine Geschichte, sondern auch ihre zu erzählen? Darüber zu berichten und damit auch den Frauen in Österreich eine Bühne zu geben, das fand ich spannend.

Im Rahmen des „Neuwaldegger Curriculums für Systemische Unternehmensberatung“, das ich 2010/2011 absolvierte, lernte ich naturgemäß viel Neues kennen. Aber an eine Übung kann ich mich besonders gut erinnern. Wir waren aufgefordert, drei Fragen für uns und unser Leben zu beantworten, die sinngemäß folgenden Inhalt hatten:

Was hat dich im Leben geprägt, aber nicht gebrochen?

Auf wessen Schultern ruhst du?

Was brennt in deinem Inneren?

Diese Fragen begleiten mich seither und helfen mir immer wieder, mich zu verorten, meine Stärken, meine Motivation zu definieren und Strategien für mich zu entwickeln, vor allem auch in schwierigen Situationen. Was zählt im Leben, was hat Sinn und Bedeutung, was kann ich bewegen und verändern, wie gehe ich mit Rückschlägen um, worauf kann ich mich verlassen – das ist es doch, was uns alle immer wieder beschäftigt.

Das Buch gibt Ihnen Einblicke und zeigt Blitzlichter meines Lebens, ist aber keine klassische „First Lady“-Homestory. Denn das bin ich nicht.

Ich bin ein Familienmensch, und die Geburtslotterie hat es gut gemeint mit mir. Ich bin gut behütet aufgewachsen, unterstützt und gefördert, und ich wurde auch in schwierigen Situationen nicht alleingelassen. Mein Familiensinn, eine gute Gastgeberin zu sein, ein offenes Haus zu führen und Freundschaften zu pflegen – all das wurde mir familiär mitgegeben. Und das habe ich mit Konsequenz und Begeisterung fortgeführt.

Freundinnen und Freunde fürs Leben zu haben und mit den eigenen Wurzeln verbunden zu bleiben, das nennt man wohl Erdung. Darunter verstehe ich keinen verklärten Zustand, in dem man sich alles schönredet, sondern das Ergebnis von Abgrenzung und Auseinandersetzung auf der einen Seite und Verbundenheit auf der anderen. Jedes Leben durchläuft die unterschiedlichsten Stationen und Erfahrungen, Erfolge und Niederlagen, Höhenflüge und Enttäuschungen. Glücklich ist, wer dabei auf Menschen zählen kann, die diesen Lebensweg mitgehen, manchmal vielleicht nur einige Stationen teilen und prägen. Manche Beziehungen gehen auf dem Weg verloren, andere kommen dazu und besondere bleiben. Das alles ist für mich essentiell: Offenheit, Beständigkeit und Verbindlichkeit.

Meine Familie wird gern als „Clan“ bezeichnet, weil wir – für manche unverständlich – ein intensives Familienleben führen. Zur Kernfamilie zählen natürlich meine Mutter – mein Vater ist leider schon verstorben – und mein Bruder mit seiner Lebensgefährtin. Ebenso Teil davon sind Tanten und Onkel sowie meine Cousinen und Cousins mit ihren Familien. Dieser Clan ist kein familiär abgeschlossenes System, wir erweitern gerne und umfassend. Und selbstverständlich gehören all unsere besten Freundinnen und Freunde fix dazu. Ein Clan mit Erweiterungspotenzial – so habe ich diese wachsende Gruppe an verbundenen Menschen bei einer Geburtstagsrede einmal genannt.

Als mein Mann in mein Leben trat, erlebten wir den größten Wachstumsschub mit der „Aufnahme“ seiner Familie, seiner Söhne, Nichten und der Familie seiner Schwägerin. Richtig zusammengeschweißt hat uns der Dauerwahlkampf 2016 – nicht nur eine politische, sondern auch eine emotionale Herausforderung, die wir mit allen Höhen und Tiefen gemeinsam bewältigt haben. Die seinerzeit gegründete WhatsApp-Gruppe „Hofburg“ existiert immer noch und unsere Geburtstagsfeiern werden von Jahr zu Jahr größer. Und mein Mann, der sehr gerne für sich allein ist, erfreut sich – wohldosiert, versteht sich – inzwischen auch am Clanleben.

Neben dem Clan bin ich vielen anderen Menschen eng verbunden, die mich auf meinem Weg begleitet, gefordert und unterstützt haben. Sei es im Studium, während meiner langjährigen Tätigkeit im Grünen Parlamentsklub oder zuletzt bei der Entwicklung und Ausübung meiner neuen Rolle in der Präsidentschaftskanzlei.

Auf diesen Schultern ruhe ich.

Sie fragen sich vielleicht, warum ich das zu Beginn erzähle, wo ich doch ein ganzes Buch zur Verfügung habe? Das hat einen sehr guten Grund. Meine Privatsphäre ist mir wichtig, dieser geschützte Raum abseits der Öffentlichkeit. Sie sollen erfahren, wer ich bin, was mich ausmacht, geprägt hat und bewegt, aber mein unmittelbares privates Umfeld soll weiter geschützt bleiben und wird deswegen in diesem Buch zurückhaltend beleuchtet.

Was aber dringend an die Öffentlichkeit muss, sind die großartigen Frauen in diesem Land, die durch Engagement, Zivilcourage und Beharrlichkeit, ihren Gestaltungswillen und ihren Einsatz für Gleichberechtigung zeigen, wie wir unser schönes Land – und damit die Welt – zu einem noch besseren Ort für alle, die hier leben, machen können.

Begleiten Sie mich auf der Reise durch das „Land der Töchter zukunftsreich“. Sie werden starke Frauen – sogenannte Role Models – kennenlernen. Ihre Geschichten stehen stellvertretend für die Hälfte der Bevölkerung, die auf vielen Ebenen immer noch nicht gleichberechtigt vertreten ist.

Die „Vertöchterung“ der Bundeshymne, die ganz bewusst im Titel dieses Buches anklingt, haben wir im Übrigen einer Initiative der früheren ÖVP-Politikerin Maria Rauch-Kallat zu verdanken, die es gegen erheblichen Widerstand – auch aus den eigenen Reihen – geschafft hat, diese längst fällige Änderung durchzusetzen, die am 1. Jänner 2012 in Kraft trat.

Lassen Sie sich, so wie ich, inspirieren und motivieren, denn wir brauchen Sie alle, jede und jeden Einzelnen von Ihnen, im Einsatz für Chancengleichheit und Gleichberechtigung!

Gerechtigkeit soll als Grundlage allen sozialen Lebens dienen.

Bertha von Suttner

Mit meiner besten Freundin Sabine im Juni 1982 beim Feiern der positiv bestandenen Matura

Pionierinnen

Das Büro, in dem ich arbeite, liegt im zweiten Stock der Hofburg, ganz am Ende eines langen Ganges. Jeden Morgen rast unser Hund Juli voller Freude durch diese Gangfluchten. Auf dem langen Teppich gehen sich ihre wilden Bremsmanöver gerade noch aus. Juli ist auf zwei Stockwerken zu Hause. Manche Arbeitstage verbringt sie im Büro des Bundespräsidenten auf ihrer Decke, dann wieder macht sie es sich in meinem Büro auf ihrem persönlichen Sessel bequem.

Im Fernsehen ist der zweite Stock nur selten zu sehen. Von der Präsidentschaftskanzlei in der Hofburg in Wien, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, filmen die Fernsehkameras meist nur die berühmte rote Tapetentür in der ersten Etage.

Vor dieser Tapetentür, im sogenannten Maria-Theresien-Zimmer, hält der Bundespräsident Reden, trifft Besucherinnen und Besucher aus dem Inland und Staatsgäste anderer Länder oder gelobt die Mitglieder einer Bundesregierung und einzelne Ministerinnen und Minister und auch Landeshauptleute an. All das passiert in dieser prächtigen Räumlichkeit, die einst Schlafgemach und gleichzeitig Repräsentationszimmer der Kaiserin war. Hinter der roten Tapetentür befindet sich das Arbeitszimmer des Bundespräsidenten. Dort steht der Schreibtisch meines Mannes, immer bis oben gefüllt mit Büchern, Zeitungen und Unterlagen.

Einen Stock darüber gehe ich meinen Aufgaben als sogenannte First Lady nach. Ich persönlich bevorzuge ja den Begriff „First Volunteer“, also Erste Freiwillige, und sehe mich nicht als Erste Frau, sondern als eine von vielen Freiwilligen, die dieses Land positiv gestalten wollen. Für Österreich ist freiwilliges Engagement unverzichtbar. Fast die Hälfte der Bevölkerung ab 15 Jahren leistet in irgendeiner Form Freiwilligenarbeit und damit einen wichtigen Beitrag für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Als Ehefrau des Bundespräsidenten bin ich auch eine sehr enge und ehrliche Beraterin meines Mannes und gleichzeitig Teil des großartigen Teams der Präsidentschaftskanzlei.

Ich möchte Ihnen einen Einblick in mein Leben und in meine vielfältigen ehrenamtlichen Aktivitäten geben. Ich erzähle Ihnen, wie ich zu der Frau wurde, die ich heute bin, welche politischen und gesellschaftlichen Themen mich beschäftigen und warum ich mich dafür einsetze, dass Frauen in Österreich endlich den Platz einnehmen, der ihnen zusteht. All die Frauen, die Sie in diesem Buch kennenlernen werden, stehen stellvertretend für die vielen, vielen Frauen in Österreich, die sich täglich und unermüdlich engagieren.

Auf sie und ihre Anliegen möchte ich den Scheinwerfer richten: die vollständige Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern, wie es im Übrigen unsere schöne Verfassung vorsieht; mehr Aufmerksamkeit für die Menschen im Land, die unter Armut leiden; und mehr Unterstützung für Kinder, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen müssen und die wie alle Kinder in diesem Land ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit verdienen.

Das Zimmer, in dem mein Schreibtisch steht, wurde bereits von meiner Vorgängerin Margit Fischer, Ehefrau des früheren Bundespräsidenten Heinz Fischer, verwendet. Formal ist es das zweite Büro des Bundespräsidenten. Es wird Bertha-von-Suttner-Zimmer genannt, nach der berühmten österreichischen Schriftstellerin und Friedensnobelpreisträgerin. Wer mich besuchen kommt, kann in diesem Zimmer Folgendes lesen:

Gerechtigkeit soll als Grundlage allen sozialen Lebens dienen.

Es gibt nichts Größeres, nichts Wichtigeres auf der Welt als den

Kampf gegen das Joch des Krieges.

Die Zukunft gehört der Güte.

Diese Zeilen entlang der Wände sind Zitate von Bertha von Suttner. Margit Fischer ließ sie dort anbringen. Ich finde es gut und wichtig, in diesen Räumen eine Frau zu Wort kommen zu lassen. Bertha von Suttner, die von 1843 bis 1914 lebte, setzte sich mit all ihrer Kraft für den Frieden und gegen den Krieg ein, sie verausgabte sich darin, diese Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Zwar erhielt sie dafür 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis, letztlich aber scheiterten ihre Bemühungen. Ich schätze an diesen Zitaten und dem Bezug auf diese große Pazifistin, dass damit ein Gegenpol geschaffen wird zu all den in der Präsidentschaftskanzlei auf großen Ölbildern dargestellten Kriegsherren.

Außerdem haben diese Zitate auch aus heutiger Sicht nichts an Aktualität verloren. Sie motivieren mich täglich.

Natürlich habe ich nie gedacht, dass ich einmal an der Seite eines Bundespräsidenten aktiv sein werde. Heute bin ich aber froh und dankbar, in dieser Rolle tätig sein zu können. Österreich ist ein schönes und reiches Land, das auf seine Leistungen, besonders im sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Bereich, stolz sein kann. Viel hat sich zum Besseren verändert, aber es bleibt genug zu tun.

Wir können alles werden

Ein Symbol für diese Veränderung ist für mich ein Bild im zweiten Stock der Präsidentschaftskanzlei. Es hält einen historischen Moment fest: Die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags am 15. Mai 1955 im Oberen Belvedere. Dieser Vertrag gab der Republik Österreich ihre Souveränität zurück. Was ist auf diesem Bild zu sehen? Ganze 80 Menschen wurden darauf verewigt, vom damaligen sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow über den damaligen amerikanischen Außenminister John Foster Dulles bis zum österreichischen Außenminister Leopold Figl. Keine einzige Frau findet sich auf diesem Gemälde. Ich glaube nicht, dass nur Männer im Oberen Belvedere zugegen waren. Die Geschichte wurde aber von Männern geschrieben. Das bedeutet nicht, dass es damals keine mutigen Frauen gab. Ich denke dabei an Widerstandskämpferinnen gegen die nationalsozialistische Unrechtsdiktatur wie die Sozialdemokratin Rosa Jochmann, die nach 1945 als Abgeordnete im Nationalrat tätig war. Oder an die Kommunistin Hella Postranecky, ebenfalls eine Widerstandskämpferin. Sie war in der ersten provisorischen Regierung im Jahr 1945 Unterstaatssekretärin für Volksernährung. Heute ist die erste Frau in einer österreichischen Bundesregierung beinahe vergessen.

Denn das, was vom 15. Mai 1955 bildlich überliefert ist, unterscheidet sich nicht von den damaligen österreichischen Bundesregierungen. Zwischen 20. Dezember 1945, als Österreich mit dem Kabinett Leopold Figl seine erste gewählte Bundesregierung der Zweiten Republik bekam, bis zum 19. April 1966, als der ÖVP-Politiker Josef Klaus zum zweiten Mal Bundeskanzler wurde, war keine einzige Frau in einer österreichischen Bundesregierung vertreten. Das änderte sich erst im Jahr 1966 mit Grete Rehor (ÖVP). Sie war die erste Sozialministerin der Republik.

Heute wäre das so nicht mehr möglich. Bilder von Meetings in der Politik, auf denen nur Männer zu sehen sind, fallen mittlerweile negativ auf. Das zeigt, dass es durchaus Fortschritte gibt. Frauen haben zweifellos an Einfluss gewonnen, haben sich ihren Platz in Männerdomänen erobert. Die Notwendigkeit, dass Frauen in unserem Land den Raum einnehmen sollen, den sie verdienen – und sich auf Augenhöhe mit Männern die Macht und Verantwortung teilen –, ist mittlerweile weiten Teilen der Gesellschaft bewusst.

Frauen können alles werden. Das zeigt zum Beispiel die Kärntnerin Carmen Possnig, die mich gleich bei unserer ersten Begegnung sehr beeindruckt hat. Ich habe sie im September 2023 bei einem Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter kennengelernt, zu dem König Philippe und Königin Mathilde von Belgien eingeladen hatten. Bei dieser Zusammenkunft wurde über europäische Raumfahrt und Weltraumpolitik diskutiert. Die Kärntnerin Carmen Possnig, Medizinerin und Astronautin, trat dort als Expertin auf. Sie wird hoffentlich bald als erste Österreicherin ins Weltall fliegen. Ihre wissenschaftliche Kompetenz, aber vor allem auch ihr Mut und ihre Zielstrebigkeit, neue Welten erforschen zu wollen, faszinieren mich.

Frauen sind also nicht einmal im All zu bremsen. Aber trotzdem: Selbst wenn sich das Ausgangsniveau glücklicherweise geändert hat, die Kampfzonen von gestern sind die Herausforderungen von heute – immer noch.

Carmen Possnig

eine österreichische Pionierin im Weltall

Carmen Possnig

Eines Tages fragt die Volksschullehrerin ihre Schülerin Carmen, was sie werden möchte, wenn sie groß ist. „Astronautin”, schießt es sofort aus ihr heraus. Erst danach habe sie sich gefragt, ob das ein Berufswunsch sei, der auch für Mädchen in Erfüllung gehen könne. „Mein damaliger Wunsch war sehr stark von Science-Fiction-Serien wie Star Trek geprägt”, sagt Carmen Possnig. „Aber ich fand damals gar keine Vorbilder, keine Frauen, die schon einmal in den Weltraum geflogen sind.” Auch in den Büchern über Entdecker und Entdeckerinnen, die sie damals liest, die den Nordpol, den Südpol oder den Dschungel erforscht haben, tummeln sich vor allem Männer.

So richtig geschehen ist es um das junge Mädchen, als es das erste Mal durch das Teleskop, das ihre ältere Schwester geschenkt bekommen hatte, blicken darf. Carmen sieht den Mond und sogar den Saturn ganz nahe und denkt sich: Dort will ich hin.

Knapp drei Jahrzehnte später ist Possnig, mittlerweile 36 Jahre alt, der einzige Mensch in Österreich, der auf wissenschaftliche Mission ins All fliegen darf. Im November 2022 wurde sie als eine von 22.523 Bewerberinnen und Bewerbern aus ganz Europa als Reserve-Astronautin der Europäischen Weltraumorganisation ESA ausgewählt.

In einem mehrstufigen Testverfahren musste sich Carmen Possnig durchsetzen. Die ESA prüft dabei nicht nur die körperliche und psychische Belastbarkeit. Die Bewerberinnen und Bewerber müssen auch über einen Abschluss in einem naturwissenschaftlichen Fach, in Ingenieurswissenschaft oder Medizin verfügen.

Weltraumliebhaberin Possnig entschied sich für ein Medizinstudium in Graz. Zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert, und mit Menschen zusammenzuarbeiten, hat sie nämlich immer schon interessiert. „Zuvor habe ich aber auf der Homepage der ESA nachgesehen, ob es Astronauten mit einem medizinischen Hintergrund gibt.” Es ist das Jahr 2008. Die ESA sucht nach neuen Astronautinnen und Astronauten. Carmen Possnig ist mit ihren damals 20 Jahren noch zu jung. Aber sie beobachtet das Auswahlverfahren aus der Ferne. „Ich kann mich erinnern, dass ich damals bei den neu Ausgewählten extra geschaut habe, ob auch Frauen darunter sind”, erinnert sie sich. Unter den damals sieben ausgewählten Weltreisenden war eine Frau. Eine Erleichterung sei es für sie damals gewesen, zu sehen, dass auch eine Frau die Testverfahren schaffen könne. „Aber gleichzeitig habe ich mich schon gefragt, da sind sieben Leute, warum ist darunter nur eine Frau?”

Immerhin ist Samantha Cristoforetti aus Italien, so der Name der damals erwählten Astronautin, für Possnig ein Zeichen, dass ihr Traum in Erfüllung gehen könnte. Die Kärntnerin schließt ihr Medizinstudium ab, schreibt ihre Abschlussarbeit über die „Auswirkungen einer künstlichen Schwerkraftexposition auf die orthostatische Toleranzzeit bei Männern und Frauen”. Sie sucht also Antworten darauf, wie sich die Schwerkraft auf unseren Blutdruck und auf das Kreislaufsystem auswirkt.

Danach absolviert sie ihren Turnus in einem Wiener Spital, erhält die Zulassung zur Allgemeinmedizinerin. Etwa um diese Zeit landet eine E-Mail der ESA in ihrem Postfach. Gesucht wird eine Ärztin, die bereit ist, für ein Jahr in die Antarktis zu gehen, als eine von insgesamt 13 Forscherinnen und Forschern in der Forschungsstation Dome Concordia. Es ist ein unwirtlicher Ort. Im Winter beträgt die Außentemperatur minus 80 Grad. Egal aus welchem Fenster man blickt, es gibt nichts anderes zu sehen als unendliche Schneeweiten – wenn man in den dunklen Wintern, die dort zehn Monate dauern, überhaupt etwas sieht. Und es ist wohl der einsamste Ort auf der Welt. In der Kälte ist das 13-köpfige Team völlig auf sich selbst gestellt. Während des arktischen Winters ist keine Evakuierung aus Dome C, wie die Forscherinnen und Forscher die Station nennen, möglich. Das Camp, 1.200 Kilometer von der Küste entfernt und auf über 3.000 Meter Seehöhe, ist nur per Propellermaschine erreichbar. Der Flugzeugsprit friert bei minus 52 Grad, während des Winters liegen die Temperaturen weit tiefer. „Diese Forschungsstation ist der Ort auf dem Planeten, der dem, was uns im All erwartet, am nächsten kommt.” Hier sei man genauso isoliert wie im Weltall und müsse mit allen Problemen selbst fertigwerden. „Deshalb war für mich sofort klar, dass ich dorthin möchte”, sagt Possnig.

Sie schafft die schwierigen Aufnahmetests. Im November 2017 verlegt sie ihren Wohnsitz in die Antarktis. Der Großteil des täglichen Lebens spielt sich in der Forschungsstation ab. Wer diese verlässt, begutachtet sich zuvor von oben bis unten in einem riesigen Spiegel. Jedes kleinste Fleckchen Haut, das ungeschützt ist, erleidet in der antarktischen Kälte binnen Sekunden Erfrierungen. Die Hände müssen unter fünf Paar Handschuhen warm gehalten werden, den Kopf schützen zwei Hauben. Die extreme Kälte sei unangenehm gewesen. Noch schlimmer sei aber, wenn man diese nicht mehr spürt. „Dann weißt du, an dieser Stelle hat der Körper Erfrierungen. Die Schmerzen, wenn das Gewebe wieder auftaut, sind kaum auszuhalten.”

Es ist aber auch ein psychologisches Experiment: 13 Menschen, völlig isoliert von der Außenwelt. Man lerne einander so gut kennen, dass sich die Kommunikation irgendwann verlangsamt. Possnig macht auf der Station medizinische Experimente, erforscht, wie sich das Immunsystem zurückschraubt, wenn es über Monate hindurch nicht mit Viren und anderen Feinden konfrontiert ist.

Am schwierigsten sei aber die Rückkehr in die Zivilisation gewesen. Körperlich und psychisch. Kurz nachdem sie von der Propellermaschine abgeholt wurden, lag die Hälfte der Crew mit hohem Fieber im Bett. Ein neu in der Forschungsstation angekommener Wissenschaftler, der leichten Schnupfen hatte, ließ ihr plötzlich wieder erwachtes Immunsystem völlig überschießend reagieren. Und dann plötzlich wieder so viele Farben, die grünen Bäume, der blaue Himmel, eine Explosion an Gerüchen und Geräuschen. „Wir sind nach Neuseeland geflogen worden und dort war alles so laut und überfordernd”, erinnert sich Carmen Possnig. In der Antarktis war ihr System heruntergefahren. Jetzt musste es langsam wieder aufwachen. Es gibt sogar einen Fachbegriff für das, was Menschen nach einer solchen Expedition durchmachen: Winter-Over-Syndrom. Erstmals beschrieben wurde es im Jahr 1900 vom Arzt Frederick Cook, der als Arzt der Belgica-Expedition als einer der ersten Menschen in der Antarktis überwinterte: Er erlebte Konzentrationsschwierigkeiten, temporären Gedächtnisverlust und milde Trance-Zustände, auch „arktisches Starren“ genannt.

Für Carmen Possnig ist nach ihrer Antarktis-Expedition klar: Genau so soll ihr Leben weitergehen. Sie beginnt ein Doktoratsstudium an der Universität Innsbruck, forscht an den Herz-Kreislauf-Veränderungen von Astronautinnen und Astronauten im Weltall.

Im März 2021 startet die ESA ein neues Auswahlverfahren, sucht die nächste Generation für den Weltraum. Possnig bewirbt sich sofort. Was folgt, sind eineinhalb Jahre des Zitterns und Bangens. Possnig durchläuft medizinische, kognitive, psychologische Testverfahren. Dann schließlich das letzte, entscheidende Interview bei Josef Aschbacher. Der Österreicher ist Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Drei Wochen später der Anruf: Sie hat es geschafft, sie ist eine von elf Reserve-Austronautinnen und -Astronauten. Noch etwas hat sich verändert: Unter den 17 im Jahr 2022 präsentierten europäischen Weltraumreisenden befinden sich neben Possnig weitere sieben Frauen. Vielleicht ist Pionierin Carmen Possnig schon bald Österreichs erste Frau im All.

Die erste Kanzlerin

Mächtige Männer begegnen mir täglich auf meinen Wegen durch die Präsidentschaftskanzlei. Es sind Männer, die viel für dieses Land getan haben. In einem Raum im zweiten Stock sind die Wände geschmückt mit Gemälden der österreichischen Bundespräsidenten seit 1945.

Es sind Porträts von Karl Renner, Theodor Körner, Adolf Schärf, Franz Jonas, Rudolf Kirchschläger, Kurt Waldheim, Thomas Klestil, Heinz Fischer. Seit 1951 hat Österreich einen vom Volk direkt gewählten Bundespräsidenten als höchsten politischen Repräsentanten im Staat. Eine Bundespräsidentin gab es noch nie. Ein einziges Bild eines weiblichen Staatsoberhaupts sehe ich auf dem Weg zu meinem Schreibtisch jedes Mal: Maria Theresia. Die Kaiserin trägt auf diesem Gemälde Trauerkleidung, wie sie es seit dem Tod ihres Ehemanns im Jahr 1765 bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 1780 tat.

Mehr als 200 Jahre später, im Februar 2000, erhielt Österreich mit der damaligen FPÖ-Politikerin Susanne Riess-Passer, heute Susanne Riess-Hahn, die erste Vizekanzlerin.

Nochmals fast zwei Jahrzehnte danach, im Jahr 2019, war es für die Republik Österreich so weit: Die angesehene Juristin Brigitte Bierlein wird am 3. Juni 2019 zur ersten Bundeskanzlerin in der Geschichte Österreichs angelobt. Die Vorgeschichte war turbulent und bisher einmalig in Österreich.

Kurz zuvor hatte die „Ibiza-Affäre“ die politische Landschaft der Republik erschüttert. Am 17. Mai 2019 um 18 Uhr abends veröffentlichen die deutschen Medien Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel Ausschnitte aus einem Video, das den damaligen FPÖ-Politiker und Vizekanzler Heinz-Christian Strache bei einem privaten Abend auf der Insel Ibiza zeigt. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Strache Oppositionspolitiker. In diesem Video ist zu sehen, wie Strache einer Frau, die sich als reiche Russin ausgibt und vorgibt, viel Geld in Österreich investieren zu wollen, ein Versprechen macht. Er stellt in Aussicht, dass er ihr gewinnbringende öffentliche Aufträge zukommen lassen wird, sobald seine Partei die Regierung stellt. Zuvor solle sie Anteile an der auflagenstarken Kronen Zeitung erwerben und Straches damaliger Partei FPÖ durch positive Berichterstattung zu einem Wahlsieg verhelfen. Dieses Video, das unter dem Schlagwort „Ibiza-Affäre“ in die politische Geschichte Österreichs einging, war ein unglaublicher Schock für das Land. „So sind wir nicht!”, sagte der Bundespräsident damals den Bürgerinnen und Bürgern in einer Fernsehansprache.

Am Tag nach der Veröffentlichung des „Ibiza“-Videos tritt Strache von seinen politischen Ämtern zurück. Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärt einen Tag später den Rücktritt des damaligen Innenministers Herbert Kickl zu einer weiteren Bedingung für die Fortführung der Koalition. Der Kanzler schlägt dem Bundespräsidenten die Entlassung Kickls als Innenminister vor, die am 22. Mai 2019 erfolgt. Alle FPÖ-Ministerinnen und -Minister außer der damaligen von der FPÖ nominierten Außenministerin Karin Kneissl treten von ihren Ämtern zurück. Kanzler Kurz versucht, ein Weiterregieren zu ermöglichen, indem er am 22. Mai die vakant gewordenen Ministersessel mit Expertinnen und Experten besetzt. Aber mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und der damaligen Liste Pilz wird dem Kanzler und der gesamten Bundesregierung bereits nach wenigen Tagen Ende Mai 2019 von der Mehrheit im Parlament in einer Abstimmung das Misstrauen ausgesprochen.