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Die Amerikanerin Marianne und der Araber Ali lernen sich auf der Universität kennen und lieben. Schließlich heiraten die beiden, und Marianne folgt ihrem Mann nach Saudi-Arabien. Fortan ist sie Teil seines Harems. Ihr gelingt es nur langsam, ihren Platz in der fremden, von archaischen Traditionen geprägten Welt zu finden. Doch mit der Zeit schafft sie es, und ihr Leben in der Gemeinschaft der anderen Frauen und Kinder ist glücklich.
Nach zwölf Jahren spürt Marianne jedoch, wie Ali sich ihr immer mehr entfremdet. Schließlich teilt er ihr mit, dass er sich hat scheiden lassen. Die fünf Kinder will er behalten. Doch diese Entscheidung wird Marianne nicht akzeptieren.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Glossar
Die Amerikanerin Marianne und der Araber Ali lernen sich auf der Universität kennen und lieben. Schließlich heiraten die beiden, und Marianne folgt ihrem Mann nach Saudi-Arabien. Fortan ist sie Teil seines Harems. Ihr gelingt es nur langsam, ihren Platz in der fremden, von archaischen Traditionen geprägten Welt zu finden. Doch mit der Zeit schafft sie es, und ihr Leben in der Gemeinschaft der anderen Frauen und Kinder ist glücklich.
Nach zwölf Jahren spürt Marianne jedoch, wie Ali sich ihr immer mehr entfremdet. Schließlich teilt er ihr mit, dass er sich hat scheiden lassen. Die fünf Kinder will er behalten. Doch diese Entscheidung wird Marianne nicht akzeptieren.
Marianne Alireza ist im Süden Kaliforniens geboren und aufgewachsen. In den vierziger Jahren lernte sie während des Studiums den reichen Araber Ali kennen. Sie heiratete ihn 1943. Fünfzehn Jahre lang lebte sie in Saudi-Arabien als Mitglied seines Harems. Ihre Erlebnisse hat sie in dem Buch »Leben in tausendundeiner Nacht« verarbeitet.
Marianne Alireza
Leben in tausendundeiner Nacht
Aus dem Amerikanischen vonHans Wilhelm Werner
Deutsche Digitalausgabe
Für die Originalausgabe:
© 1971 by Marianne Alireza
© für das Vorwort zu dieser Ausgabe 1991 by Marianne Alireza
Originalausgabe: »At a Drop of a Veil«
Erste deutsche Ausgabe:
© 1992 by Bastei Lübbe AG, Köln
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Covergestaltung: Tanja Oestlyngen
unter Verwendung von Motiven © teena137/shutterstock
E-Book-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7325-8919-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Allen, die mich »Oomie« nennen
Wir, die wir das Arabien der vierziger und der fünfziger Jahre erlebt haben, blicken heute mit ungläubigem Staunen auf das moderne Saudi-Arabien. Niemand hätte damals auch nur im Traum für möglich gehalten, dass dieses Land, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast völlig vom Rest der Welt abgeschnitten war und dessen Bevölkerung kaum einen Grund hatte, an den seit Jahrhunderten überlieferten Lebensformen irgendetwas zu ändern, einen so tiefgreifenden Wandel durchmachen würde.
Ob in den Sandwüsten, Küstenregionen oder im Hochland des Landesinneren, überall sind moderne Städte aus dem Boden geschossen. Wo das riesige Land seit Jahrtausenden nur durch Karawanenwege verbunden war, sind in unseren Tagen alle größeren Städte durch ein gut ausgebautes Straßennetz verbunden. Die Menschen, die vor noch nicht allzu langer Zeit kaum etwas über die Welt jenseits ihres Horizontes wussten, fliegen heute mit der nationalen Fluggesellschaft in alle Welt und besteigen für Inlandflüge das Flugzeug so selbstverständlich, als benutzten sie einen Zubringerbus. Erst auf diese Weise hat sich ihnen ihr eigenes Land erschlossen. Zu meiner Zeit hatten wir so gut wie keine Vorstellung davon, wie der Rest des Königreichs aussah, eben weil es für uns unerreichbar war. Während die modernen Saudis sich als wirkliche Nation empfinden, war unsere Identität noch regional bestimmt.
Der Wandel wurde schlagartig durch die Erträge der reichen Ölschätze eingeleitet, die man in den späten dreißiger Jahren unter Arabiens Sand entdeckt hatte. Damals reichte das, was das Land erwirtschaftete, gerade zum Überleben; Haupteinnahmequellen waren der Handel mit Datteln und Tierhäuten sowie eine Pro-Kopf-Steuer, welche Pilger auf ihrem Weg nach Mekka und Medina entrichten mussten – die arabischen Städte, die zusammen mit Jerusalem für den Islam die drei heiligsten Orte sind.
In den fünfziger Jahren begann das Ölgeld die königlichen Schatullen zu füllen, und das schon bald in solchen Mengen, dass Saudi-Arabien eine Sonderstellung unter allen Ländern zufiel, die von diesem Entwicklungsboom erfasst wurden: Es kam ohne Kredite aus, ohne Steuereinnahmen von seinen Untertanen. Allerdings benötigte es Arbeitskräfte, vom Hilfsarbeiter bis zur hochqualifizierten Führungskraft. In den ersten Jahren des Umbruchs war der Prozentsatz an Analphabeten noch sehr hoch, ein Großteil der Bevölkerung bestand aus Nomaden, und es gab nicht genug saudische Fachleute. Daher mussten Arbeitskräfte importiert werden. In den siebziger und achtziger Jahren erreichte der Zustrom von Ausländern im Zuge des enormen Booms von Entwicklungs-, Modernisierungs- und Industrialisierungsprojekten seinen Höhepunkt. Erstmals näherte sich ihr Anteil der Zweimillionengrenze.
So fand innerhalb weniger Jahrzehnte eine wahrhaft unglaubliche Umwälzung statt – in einem Zeitraum, der in der Geschichte ohne Beispiel ist. Noch bemerkenswerter ist dabei, dass Saudi-Arabien nicht nur diesen Umbruch bewältigte, sondern zugleich für seine Bevölkerung ein modernes Schulwesen schuf. Mittlerweile gibt es bereits eine oder zwei Generationen von Saudis, Männer wie Frauen, die ihre Nation »saudisieren« und so gut ausgebildet sind, dass sie die Positionen und Aufgaben übernehmen, die zuvor Fachleute aus anderen Ländern innehatten. Für einige hingegen blieb der Grad der Veränderung gering. Bestimmte Aspekte des Lebens in ländlichen Gebieten, der Lebensformen der Beduinen sowie einiger anderer Bestandteile der Gesellschaft bleiben von der heutigen Dynamik entweder unangetastet oder unbeeindruckt.
Auch soziokulturelle Veränderungen haben stattgefunden, jedoch eher graduell. In diesem weiterhin fortschreitenden Prozess werden neue Wege nur so weit akzeptiert, wie sie nicht den vom Islam vorgegebenen Rahmen sprengen. Saudi-Arabien kennt keine Trennung von Staat und Religion, und der Koran schreibt nicht nur Gottes Wort fest, sondern auch moralische und gesellschaftliche Verhaltensregeln, die ein integrierter Bestandteil im alltäglichen Leben eines jeden Moslems sind. Man kann also keineswegs von einer Religion sprechen, die sich im Moscheebesuch am Freitag erschöpft. Sicher, bei allen Veränderungen von Status und Rolle der Frau hat sowohl im öffentlichen Leben als auch innerhalb der Familie immer noch der Mann das letzte Wort. Doch jeder, der hier von außen urteilt, sollte genau zu unterscheiden verstehen zwischen dem, was als für Frauen erlaubt oder verboten eindeutig festgelegt ist, und dem, was bloße Tradition ist oder von Männern durchgesetzter Wille, der durch die Männerherrschaft als religiöses Gebot maskiert überliefert wurde. Hierzu nur eine Anmerkung: Der Islam des siebten Jahrhunderts erkannte seiner weiblichen Gefolgschaft einen relativ fairen und gleichberechtigten Status zu, und das lange vor irgendeinem anderen Kulturkreis. Heutzutage sind gebildete mohammedanische Mädchen und Frauen durchaus in der Lage, ihren Koran selbst zu lesen.
Anders als die Menschen heute kannten wir zu der Zeit, als ich in Arabien lebte, keine schwankenden Wertvorstellungen wie die Menschen unserer Tage. Wir hatten eine statische Weitsicht, unsere Gebräuche waren fest verankert, und Traditionen wurden fraglos befolgt. Von den offenen Lebensformen, vom anderen Rollenverhalten der Frauen in der Welt um uns herum, hatten wir keine Kenntnis. Wir verhielten uns so, wie es schon immer gewesen war. Selbst unsere Sprache war von erstarrten Grußformeln und Erwiderungen, von festen Regeln im sozialen Umgang bestimmt. Diese Floskeln und Rituale betrafen im Wesentlichen Höflichkeiten, die strikt zu beachten waren und an denen seit Generationen festgehalten wurde, doch meinen Enkeln heute sind sie vollkommen fremd.
Es gab nur wenige Möglichkeiten, überhaupt hinauszukommen, und so gingen wir nie aus und taten überhaupt kaum etwas von all dem, was in Amerika normal ist. Wenn mich jemand danach fragt, sage ich immer, dass es erstens nichts gab, wo man hätte hingehen können, und dass wir zweitens etwas viel Wesentlicheres taten: Wir lebten miteinander. Darin waren die Araber wahre Meister, und das musste ich von ihnen lernen.
In der Monotonie dieses Lebens musste ich immer wieder über die heitere Gelassenheit, über die vielschichtige Persönlichkeit der Frauen staunen, die ich kennenlernte, und stets habe ich mich dabei gefragt: »Wenn sie ohne jede Schulbildung schon so sind, wie könnten sie erst sein, wenn sie etwas hätten lernen dürfen?« Nun, inzwischen weiß ich es, und immer noch staune ich. Die Veränderungen in ihrem Leben waren gewaltig, doch ihre ureigenen Qualitäten haben sich diese Frauen bewahrt, bestärkt durch den Glauben und vielleicht auch durch die Jahrhunderte von Duldung und Überlebensfähigkeit.
Ich genieße es ungemein, dass ich, vor so langer Zeit einer der Jüngsten im Familienverband, nun als älteres Mitglied einer großen, edlen arabischen Familie geachtet werde, die über all die Jahre hinweg zu mir gestanden hat, ja mich stets zu den Ihren zählte, und das trotz all der Dinge, die sich ereignet haben. Regelmäßig verbringe ich zwei bis drei Monate pro Jahr im Königreich: Mein Stadthaus in Jeddah haben mir meine Kinder geschenkt, die heute fast alle in Saudi-Arabien leben und arbeiten. Nur mein jüngster Sohn lebt mit seiner Familie in Kalifornien.
Inzwischen habe ich fünfzehn Enkel und zwei Urenkel. Wenn ich bedenke, mit welchem Blut ich diese Sippe aufgefrischt habe, kann ich mich eines Schmunzelns nicht erwehren. Meine Großeltern auf der einen Seite waren englisch-irisch-schottischer Herkunft, die andere Seite stammte von Polen und reinrassigen nordamerikanischen Indianern ab. Als wäre das noch nicht kurios genug, habe ich es fertiggebracht, meine Kinder – Hamida, Faisal, Tarik, Nadja und Chassan – in die Stammesrollen der Nation der Creek-Indianer von Oklahoma eintragen zu lassen. Das Beste daran ist, dass sie darauf genauso stolz sind wie auf alle anderen Elemente ihrer kunterbunten Herkunft. Ich habe gehört, dass sie sich einen Spaß daraus machen, ihre Ausweise des Büros für Indianer-Angelegenheiten zu zücken und dann die Reaktion zu beobachten – sie sind vermutlich die einzigen saudi-amerikanischen Indianer der Welt.
Dass ich die Erfahrung des traditionellen Lebensstiles machen durfte und dann beobachten konnte, wie Saudi-Arabien seine gegenwärtige Position in der Weltgemeinschaft aufbaute, war ein Glücksfall, an dem ich mich gar nicht genug erfreuen kann. Wer heute so nach Saudi-Arabien ginge, würde alles ganz anders antreffen als ich zu meiner Zeit. Die Leute meinen, es sei schon bemerkenswert, dass ich mich an das Leben im alten Saudi-Arabien habe gewöhnen können. Doch ich sehe das anders. Wirklich bemerkenswert ist, dass die Menschen in meiner Umgebung mir damals halfen, mich einzuleben und meinen Frieden zu finden. Ich war die Einzige, die in der homogenen Gesellschaft jener Zeit anders war – ein christlich-abendländisches Mitglied einer im wahrsten Sinne des Wortes weitverzweigten Familie. Zu Anfang erschien mir alles so altmodisch, so ungewohnt, so fremd, dass ich es wohl niemals geschafft hätte, wenn die Menschen mir anders begegnet wären. Gerade in den schwersten Augenblicken halfen sie mir am meisten, und dann lachten wir miteinander.
Dies ist also die Geschichte von Menschen, die bewiesen haben, dass es uns, obwohl wir aus völlig verschiedenen Welten stammten, durchaus möglich war, dem Gegenüber Achtung, Toleranz, Verständnis, Feingefühl und Liebe entgegenzubringen, so dass ein festes Band der Freundschaft und Menschlichkeit entstand. Müsste ich noch einmal von vorne beginnen, würde ich es tun? Da können Sie wetten! Um nichts in der Welt möchte ich das alles missen!
Pasadena, Kalifornien
März 1991
Das Vorwort übersetzte Achun Bourmer
In der gebirgigen arabischen Wüste oberhalb von Mekka, in einem Ort namens Hawiyah, saß die Lieblingsfrau des Königs auf einem niedrigen Sofa und begrüßte die sieben verschleierten und verhüllten Frauen, die das Zelt betraten. Oom Talal war der Name der Lieblingsgefährtin und die Besucherinnen lüfteten ihre schwarzen Gesichtsbedeckungen, küssten ihre Hand und setzten sich auf den vor ihr liegenden Teppich. Der traditionelle Austausch von Willkommensgrüßen begann.
»Gott heiße euch willkommen«, sagte Oom Talal, und die Frauen erwiderten: »Möge Gott Euch ein langes Leben schenken.«
»Gott schütze Eure Majestät, Dank dem Allmächtigen.«
»Und Ihr Ehemann und die Kinder, geht es ihnen gut?«
»Gott sei Dank, es geht ihnen gut, und sie küssen Eure Hand.«
Während die Frauen sich unterhielten, kam ein Sklavenmädchen herein und servierte aus einer besonderen Messingkanne in winzigen Tassen Kaffee; bunt gekleidete Dienstmädchen wurden gerufen und mit geflüsterten Befehlen wieder fortgeschickt. Der Kontrast zwischen der orientalischen Pracht im Innern des Zeltes und der öden, ausgedörrten Wüste draußen war typisch arabisch, und in diesem besonderen Zelt einer besonderen Frau glitzerten Pailletten und Edelsteine, und selbst alltägliche Dinge waren von einer sagenhaften Qualität. Der Teppich, auf dem die Frauen Platz genommen hatten, war wunderschön und ein Symbol für größten orientalischen Luxus; aber unter seinem kompliziert gewobenen Muster zeichneten sich die Konturen des Wüstensandes ab, auf dem er lag. In weiteren Zelten wohnten der König und sein Hofstaat und weitere Ehefrauen sowie andere Frauen und die vielen Kinder, aber Oom Talal hielt Hof wie eine wahre Königin und verdiente den Respekt, den ihr die Besucherinnen erwiesen. An diesem speziellen Tag folgte man der üblichen Routine, bis die Königin plötzlich ihre Augen über die Gesichter der vor ihr sitzenden Frauen wandern ließ und die unerwartete Frage stellte: »Wer von Euch ist die Amerikanerin?« Aus dem Haufen schwarzumhüllter Gestalten antworteten gleich mehrere Stimmen auf einmal und bedeuteten ihr, dass die Gestalt da hinten die Person sei, die sie suche.
Ich war diese Amerikanerin. Man schrieb das Jahr 1945, es war September, und König Ibn Saud von Saudi-Arabien versammelte seine Höflinge und seine Familie wie jedes Jahr vor Beginn der Pilgerzeit in einem Zeltlager. Oom Talals Frage mochte in diesem tief in der Wüste gelegenen Vorposten seltsam erscheinen, sie war jedoch nicht seltsamer als das, was ich empfand. Ich war erst seit einem Monat mit meinem Mann Ali in Arabien und beherrschte die Sprache noch nicht, aber dieses Land sollte für die nächsten zwölf Jahre meine Heimat sein, und die arabischen Frauen, die für mich geantwortet hatten, waren meine Schwiegermutter Lady Asma Alireza, meine Schwägerin Zainab und Hayat, die Frau meines Schwagers. Uns begleiteten eine Syrierin namens Sitt Gemila Pharaon, deren Mann der Leibarzt des Königs war, ihre Schwester Inaam und eine junge Libanesin namens Almas, Hebamme der Frauen der königlichen Familie und in der übrigen Zeit Oberschwester im Staatlichen Krankenhaus von Mekka.
Frisch aus Amerika angekommen, war ich noch weit davon entfernt, mich der anderen Welt, die ich in Arabien vorfand, angepasst zu haben, und mein arabisches Vokabular reichte nicht weit über die gebräuchlichsten Ausdrücke wie alhamdulilah, inshaalah und shokran1 hinaus. Das fremde Land und die fremde Sprache, die verwirrenden Gebräuche und das Zusammenleben mit freundlichen, aber doch fremden Menschen in ungewohnten Unterkünften waren mir schon unwirklich vorgekommen, aber der Besuch im Zeltlager des Königs in Hawiyah versetzte mich in die Welt von Tausendundeiner Nacht. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich lächelnd fragte, ob wirklich ich es war, die mit überkreuzten Beinen mitten in der Wüste auf einem orientalischen Teppich saß, verschleiert und verhüllt wie eine biblische Gestalt, so weit von der Heimat entfernt, dass sie mir mindestens mehrere Jahrhunderte entrückt erschien.
Ich amüsierte mich über die einsame Glühlampe, die vom Mittelpfosten des Zeltes baumelte, weil sie genauso fehl am Platze war wie ich. Wenn es noch eine verzauberte Öllampe gewesen wäre, deren Geist vielleicht meine Anwesenheit hier hätte erklären können! Ich war keine Touristin auf der Durchreise, keine Ausländerin mit begrenztem Visum – ich war Mitglied einer prominenten arabischen Familie und, was noch erwähnenswerter ist, so an die Sitten und Gebräuche Arabiens gebunden, als wäre ich dort geboren worden. Mein Körper hatte in den letzten Wochen rein mechanisch das getan, was man von mir erwartete; aber mein Geist hatte Schwierigkeiten, sich an die Veränderungen zu gewöhnen. Am Tag unseres Besuches war ich noch nicht lange genug in Arabien, um mich an die Unterschiede im alltäglichen Leben angepasst zu haben, geschweige denn den Besuch bei einer Königin als einigermaßen normal zu betrachten. Die Tatsache, dass ich dort saß und mich fragte, warum die Szene nicht vollständig schien, solange kein Fächer aus Straußenfedern über uns oder zumindest über der Königin auf dem Sofa geschwenkt wurde, zeigt, dass ich tatsächlich die Orientierung verloren hatte. Mein Hirn war wie betäubt von der Anstrengung, mit Situationen konfrontiert zu werden, die meine Vorstellungskraft überstiegen, und als ich versuchte, mich zu bewegen, stellte ich fest, dass ich von der Taille an abwärts ebenfalls wie taub war. Es war eine ungewohnte Haltung für mich, mit überkreuzten Beinen auf einem Teppich zu sitzen, daher waren mir beide Beine eingeschlafen, während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen. Ich konnte die Beine nicht ausstrecken, denn eine der Lektionen, die ich gelernt hatte, bestand darin, dass man nie die Fußsohlen auf einen Araber richten darf, wenn man ihn nicht beleidigen will. Ich konnte nur hoffen, dass meine Verwandten, die ich ständig aufmerksam beobachtete, um mir eventuelle Zeichen, was als Nächstes zu tun sei, nicht entgehen zu lassen, nicht plötzlich aufbrechen würden; dann wäre ich gezwungen gewesen, hinter ihnen herzuwanken.
Meine Schwiegermutter sprach nun zu Oom Talal über mich. Es ging darum, dass ich in der Gesellschaft von fünf Prinzen nach Arabien gereist war, von denen der jüngste Oom Talals Sohn war, Seine Königliche Hoheit Prinz Nawaf. Er hatte ihr offensichtlich von meiner Anwesenheit in ihrer Gemeinschaft erzählt und auch von den kleinen Aufmerksamkeiten, die ich ihm während der Reise hatte zukommen lassen. Meine Freundin Almas, die an der Amerikanischen Universität in Beirut Englisch gelernt hatte, übersetzte Oom Talals Dank für die Liebenswürdigkeit gegenüber ihrem Sohn; ich war erfreut, dass der Junge mich bei seiner Mutter erwähnt hatte, und gerührt von ihrem Wunsch, mir zu danken. Ich quälte mich gerade mit dem Versuch einer Antwort, als ein Sklavenmädchen mit der Nachricht hereinkam, dass der König unterwegs sei, um Oom Talal zu besuchen; wir sollten uns bitte in ein angrenzendes Zelt begeben, wo Erfrischungen auf uns warteten.
Wir wurden in eine Art Korridor zwischen den Zelten geführt, wo Schalen mit Weintrauben und Gläser mit sherbet, einem stark gezuckerten Getränk aus ausgepressten Granatäpfeln, auf einem Tuch im Sand bereitstanden. Auf dem »Tisch« sah ich Teller voller Dattelgebäck und Mandelkuchen, aber so stark mit Fliegen übersät, dass mir der Appetit verging. Ich hielt mich dicht bei Zainab, und als wir uns setzten, bot sich ein guter Blick auf die vor mir liegenden Weintrauben. Auch sie waren staubig und mit Fliegen bedeckt. Ich warf Zainab einen verzweifelten Blick zu, der ihr sagen sollte, dass ich sie einfach nicht würde anrühren können. Sie verstand und bat in ihrer stillen, stets aufmerksamen Art einen Diener um ein Glas Wasser, darin wusch sie meine Weintrauben und ersparte mir und meinen Gastgebern so die Peinlichkeit einer Ablehnung.
Nachdem wir uns erfrischt hatten, wurden wir in einen anderen Bereich des Lagers geführt, wo ein großes, aus zwei Räumen bestehendes Zelt mit prunkvollen vergoldeten Lehnstühlen und vielen Teppichen stand. Damen der königlichen Familie gesellten sich zu uns, und ich sah zum ersten Mal die Kleidung der königlichen Frauen von Nejdi in ihrer vollen Pracht. Die bauschigen Gewänder waren mit Gold bestickt und voller vielfarbiger Pailletten, die jeden Zentimeter Stoff unter den äußeren schwarzen Spitzenhüllen glitzern ließen. Die Ärmel lagen von den Ellbogen bis zu den Handgelenken so eng an, dass ich mich wunderte, wie sie sie hatten überziehen können, bis ich erfuhr, dass solche Ärmel vor jedem Tragen neu angenäht und abends vor dem Ausziehen wieder abgerissen wurden. Jedes dieser reich bestickten Kleider muss aus fünf Metern Stoff bestanden haben, die wallenden, hauchdünnen Spitzen, die sie umhüllten, gar nicht mitgerechnet. Die Gesichter der Frauen waren mit einem Wickelband eng eingerahmt, und die mit Pailletten besetzten Bordüren der Kopfbedeckungen wurden nur durch ihr Gewicht an ihrem Platz gehalten. Ich war zugleich überrascht und beeindruckt von der Körpergröße dieser Prinzessinnen. Die Frauen im Gebiet von Hejaz, wo wir lebten, waren im Allgemeinen klein und zierlich, diese Nejdi-Frauen aber außergewöhnlich hochgewachsen, und sie neigten zu körperlicher Fülle. Wir trafen Töchter, Ehefrauen, Schwägerinnen und Cousinen des Königs, auch eine sehr alte Frau, die still abseits in einer Ecke saß und von der es hieß, sie sei die Großmutter des Prinzen Faisal Al-Saud. Alle bewegten sich mit einer solchen Grazie, dass ich, in einem fort über meinen einlagigen Umhang stolpernd, mich fragte, wie sie es schafften, sich in so vielen Lagen Stoff derart würdevoll zu bewegen.
Eine der sympathischsten unter den jungen Prinzessinnen war die Frau von Abdullah Al-Faisal, die mich besonders interessierte, weil ich ihrem Mann in Kalifornien begegnet war und ihn auf unserer gemeinsamen Reise nach Arabien gut kennengelernt hatte. Sie hatte ein bezauberndes Gesicht mit reiner Haut und schönen Augen, die sich wunderbar von dem Band abhoben, das ihre Kopfbedeckung einfasste. Altersschätzungen waren schwierig; aber ich wusste, dass sie schon Mutter zweier Söhne war, obwohl sie sehr jung wirkte.
Die anderen redeten, und ich hörte zu. Hin und wieder, wenn eine der vielen Szenen, die sich vor mir abspielten, im Nebel zu entschwinden drohte, musste ich meine Augen auf etwas anderes konzentrieren, um den Kontakt mit der Realität wiederherzustellen. Ich konnte die Verwunderung darüber nicht ablegen, dass ich ein Teil von alledem war. Es war, als ob man eine Bühnenaufführung mit kostümierten Schauspielern durch ein umgedrehtes Fernglas beobachtet und plötzlich ein anderes Ich unter den Mitspielern sitzen sieht. Ich wusste, dass ich den Text nicht kannte – und nicht einmal das Stück –, aber dort war ich, kostümiert und zurechtgemacht. Ich nahm teil und bewegte mich zusammen mit den anderen, doch beim Dialog blieb ich stumm, und meine Stichworte kannte ich nicht.
Das Gespräch brach ab, als Sklaven eine Mahlzeit hereinbrachten, die aus einem im Ganzen gegrillten Lamm, Bergen von weißem Reis und verschiedenen Gemüsegerichten in Soßen bestand. Die riesigen Tabletts wurden am Boden abgesetzt, zwei schwarze Sklavinnen begannen mit dem Servieren des Fleischs. Sie stellten sich mit gespreizten Beinen über das dampfende Tier, gruben ihre Hände hinein und rissen das Fleisch in großen Stücken heraus, um es nicht gerade behutsam auf die Teller zu werfen. Mir fielen angesichts dieses Spektakels fast die Augen aus dem Kopf; ich reagierte, ohne darüber nachzudenken; ich wandte mich schockiert und ungläubig zu Zainab und streckte meine Hand vor, um die Technik des Fleischherausreißens zu imitieren, die ich gerade gesehen hatte. Zainabs Augen verengten sich und signalisierten Warnzeichen. Ihre Hand schnellte heraus und drückte meine auf den Teppich; da erst wurde ich wieder Herr meiner Sinne und erkannte, dass ich meine königlichen Gastgeber lächerlich machte, wenn ich ihre Umgangsformen verspottete. Bis zum heutigen Tag besteht meine einzige Entschuldigung darin, dass ich das Gesehene nicht glauben konnte. Ich hoffte inständig, dass keine der Prinzessinnen meinen Fauxpas bemerkt hatte, fand jedoch später heraus, dass Zainab es nicht ganz geschafft hatte, meine Geste vor den anderen zu verbergen.
Das Essen ging weiter, und ich zog mich wieder in meine stille Beobachter- und Warterolle zurück. Als alle satt waren, wurde eine große Messingkanne voll Wasser hereingebracht. Sie sah aus, als stammte sie aus der Zeit der Kreuzzüge, und ich fragte mich, ob sie wohl eine symbolische Bedeutung habe. Nun, Symbolik oder dergleichen war nicht im Spiel. Sie diente dem sehr praktischen Zweck, die Frauen, die gerade Fleisch und Reis gegessen hatten, mit einem Getränk zu versorgen, und ich beobachtete mit wachsendem Unbehagen, wie die Kanne von Hand zu Hand und von Mund zu Mund weitergereicht wurde. Als sie bei mir ankam, hatte sich bereits eine Menge Hammelfett daran angesammelt. Aber ich hatte mich schon im Stillen mit Zainab verständigt; sie hatte meinen flehenden Blick mit einem leichten Nicken beantwortet, so dass ich wusste, ich würde daraus trinken müssen. Das Warten auf die Kanne wurde zur Qual, doch als sie mir gereicht wurde, trank ich. Zumindest tat ich so; ich schummelte ganz gehörig, indem ich den Rand der Kanne mehr an das Kinn als an die Lippen hielt und ein wenig Wasser gegen meinen Mund spülte, ohne wirklich zu trinken. Ich glaube, außer Zainab hat es niemand bemerkt.
Als es mir an diesem Tag gelang, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren, beschwingte mich der Gedanke, was meine Leute zu Hause wohl sagen würden, wenn sie mich jetzt nur sehen könnten. So weit entfernt sie auch waren, klammerte ich mich doch geistig an sie, da es in meiner unmittelbaren Umgebung nichts gab, was mir vertraut war. Ich verstand die Sprache nicht, und ich konnte nicht auf frühere Erfahrungen zurückgreifen, weil es keine gab. Alles war neu – alles! Ich hangelte mich von einer Situation zur nächsten, indem ich mich an die Umhänge meiner angeheirateten Verwandten heftete und sie so gut ich konnte imitierte. Sie halfen mir großartig, aber in unserer letzten Stunde in Hawiyah machten selbst sie eine neue Erfahrung.
Seine Majestät der König hatte erfahren, dass sich unsere Familie in seinem Lager aufhielt, und befahl eine Privataudienz für uns. Für die Frauen war dies ein seltener Gunstbeweis, der für großes Aufsehen sorgte; aber inmitten der Aufregung, die er nach sich zog, passierte etwas Erstaunliches. Zainab, meine verlässliche Führerin und Mentorin in arabischen Gebräuchen und gesellschaftlichen Pflichten, verblüffte uns alle mit der kategorischen Feststellung, sie werde nicht zu der Audienz gehen. So wurde sie statt meiner zum Problem. Wir versuchten ihr klarzumachen, dass eine königliche Bitte ein königlicher Befehl ist, ja wir flehten sie sogar an. Wir gingen so weit, dass wir versuchten, sie in das königliche Zelt hineinzuschubsen, als es an der Zeit war; aber sie klammerte sich starrköpfig an einen Zeltpfosten und weigerte sich. Der Grund für ihr Verhalten ist nicht geklärt. Vielleicht war es die lebendige Erinnerung daran, dass ihr Vater die Stadt Dschidda, deren Gouverneur er gewesen war, an Ibn Saud übergeben musste, möglicherweise lag es an Ereignissen, die im Vorfeld passiert waren, oder vielleicht hatte sie einfach nur Hemmungen. Was immer auch sie so entschlossen machte, den König nicht treffen zu wollen, wir anderen gingen, ohne sie.
Man hatte mir gesagt, dass ich mit einer Verneigung die Hand des Königs küssen müsse, und davor war mir bis zum Zeitpunkt unseres Einmarsches in das königliche Zelt ausgesprochen bange. Ich hatte schon genug Probleme damit, meinen Schleier am rechten Platz zu halten, solange ich aufrecht stand, deshalb war ich sicher, nicht nur über meinen Umhang zu stolpern, sondern auch den verfluchten Schleier zu verlieren. In meinem Geist liefen schreckliche Bilder ab, in denen mein Schleier über die königliche Hand fiel, über die ich mich zum Kuss beugte – und was dann? Würde ich von meinem Zauberteppich stürzen, auf dem ich mich den ganzen Tag befunden hatte? Würde meine Reise nachträglich storniert werden?
Unser nervöses Warten endete, als von Mund zu Mund die Nachricht weitergegeben wurde, seine Majestät warte, und wir in das entsprechende Zelt geleitet wurden. Wir zogen unsere Schuhe am Türlappen des Zeltes aus, ließen sie dort zurück und traten nacheinander ein. Seine Majestät saß zur Linken auf einem großen Thron, aber alles war schwer zu erkennen – auch, weil wir aus dem hellen Sonnenlicht in das relativ dunkle Innere des Zeltes gekommen waren. Während ich mich hinter den anderen hineintastete, sagte ich mir immer wieder: Sieh auf die anderen, sieh auf die anderen; denn das war wohl meine einzige Chance, das Ganze erfolgreich zu überstehen. Wir traten dem Alter nach ein, meine Schwiegermutter zuerst, ich als Letzte, weil ich die Jüngste, zumindest die Neueste war. Ich wollte gern etwas sehen und reckte mich, während die anderen nach und nach ihre Ehrerbietung bezeugten und sich dann in einer Reihe auf den Teppich vor dem Thron setzten. Dann war ich an der Reihe, aber die Gewissheit, dass ich kein einziges Mal gestolpert war, sondern meine Huldigung erwies, wie man es sich nicht besser hätte vorstellen können, empfand ich fast enttäuschend, als ich bebend an meinem Platz am Ende der Reihe in mich zusammensank.
Selbst durch die zwei dicken Lagen meines Schleiers aus schwarzem Georgette konnte ich den König gut sehen, und ich war richtiggehend beeindruckt. Seine über einen Meter neunzig große Gestalt wirkte in den Gewändern, die er trug, noch größer, und ich glaube, er hatte die größten Hände, die ich je gesehen habe. Sein Gesicht war immer noch fest, trotz seines Alters und trotz der Kampfwunden, die es zeichneten. Sein Kopf war mit einem rot-weiß karierten Tuch bedeckt, das oben von dem viereckigen goldenen Kopfschmuck der Könige geziert wurde; die Kleidungsstücke, die ihn einhüllten, waren reich mit Gold gesäumt. Während er erst zu dieser, dann zu jener von uns sprach, gestikulierte er ständig mit der rechten Hand. Im Gespräch mit Lady Asma lobte er ihre Söhne, Ali und Mohamed, und meinte, ihr Ehemann Scheich Abdullah sei ein hochgeschätzter, feiner und ehrenwerter Mann gewesen. Er sagte ihr ferner, wie sehr seine Familie sie respektiere, und fügte hinzu, dass alle sie als ummuna bezeichneten, was »unsere Mutter« heißt – ein Name, von dem sie nicht gerade begeistert war, da der König wesentlich älter war als sie. Die nächsten Tage verbrachte sie damit, dem Titel, der ihr auf diese Weise verliehen worden war, lauthals seine Berechtigung abzusprechen.
Ich konnte der Unterhaltung natürlich nicht folgen, sondern erfuhr erst später ihren Inhalt. Meine größte Sorge war zu der Zeit, was ich tun sollte, wenn ich an die Reihe käme und Seine Majestät mit seiner großen Hand in meine Richtung deutete. Während er der Reihe nach die anderen ansprach, versuchte ich mich mit trockenem Mund an meine beiden besten arabischen Wörter zu erinnern, alhamdulilah und inshallah, die schließlich zwei der wichtigsten Wörter im alltäglichen Leben sind. Es war ein Glücksspiel, da ich nicht wirklich wusste, was er zu mir sagen würde, und es war in jedem Fall klar, dass sie in einem längeren Gespräch von begrenztem Nutzen sein würden. An einem Punkt vergaß ich diese Sorgen einen Moment lang: als es mir plötzlich komisch vorkam, dass dort der König von Arabien saß, ohne eine Miene zu verziehen, und mit diesem gesichtslosen Haufen aus schwarzem Stoff sprach, der vor ihm saß. Noch lustiger fand ich, dass ich zu ihnen gehörte. Mein Kichern verging mir, als mir einfiel, dass er derlei gewöhnt war, während dies bei mir noch eine Weile dauern würde. Daher konzentrierte ich mich auf die Schleier, die sich in kurzen Abständen rhythmisch blähten, wenn die Lippen dahinter sprachen. Und dann begannen meine Hände zu schwitzen, als die Reihe immer näher an mich kam und ich wieder das Wort amerikania hörte. Damit war ich gemeint, und schon hörte ich, wie die gewaltige Stimme mir entgegendröhnte. »Eh – Ähh – alhamdulilah«, stotterte ich, und das freundliche Gesicht strahlte und nickte; meine Schwiegermutter sagte ein paar Worte in meinem Namen, dann war plötzlich alles vorbei. Wir erhoben uns zum Gehen, und ich betete, dass meine kribbelnden, erneut eingeschlafenen Beine mich tragen würden, bis ich draußen war. Seine Majestät bot seine Hand wieder zum Kuss dar, und wir gingen nacheinander hinaus, in der gleichen Reihenfolge, wie wir gekommen waren. Da ich die Letzte war, blieb ich am Ende für ein paar Augenblicke mit ihm allein, und zu meinem Entsetzen hörte ich, wie er mich wieder ansprach. Die anderen hatte er lediglich mit einem »Auf Wiedersehen, möge Gott mit dir sein« verabschiedet, ich hatte keine Ahnung, was er zu mir sagte. Völlig verwirrt und allein, da die anderen zu diesem Zeitpunkt schon draußen waren, fing ich neuerlich zu stottern an, ich überlegte, was ich sagen könne, als meine Zunge schließlich eines der Wörter, die durch meinen Kopf wirbelten, aufgriff und aussprach, so dass seine Majestät eine Antwort erhielt und ich hinaus in die Sonne huschen konnte.
Bei Gott, ich wünschte mir keine weiteren Überraschungen. Ich wollte jetzt nur noch weg. Glücklicherweise fand ich die anderen vor, wie sie allen für den schönen Tag dankten; unser Fahrer wurde gerufen, und wir fuhren nach Hause. Nach Hause, dachte ich, aber dieses Mal weigerte sich mein Geist, gegen die niederschmetternde Fremdheit zu rebellieren, die diesen Tag geprägt hatte, selbst in dem Wort Zuhause. Ja, selbst das Zuhause war fremd, aber es war doch ein Ankerplatz, nach dem ich mich furchtbar sehnte.
Leider war das noch nicht alles gewesen für diesen Tag. Als mein Mann in dieser Nacht nach Hause kam, brüllte er dermaßen vor Lachen, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Mit Mühe schaffte er es, mir zwischen den Lachsalven eine Frage zu stellen: »Was hast du heute Nachmittag zum König gesagt?«
»Was ich gesagt habe? Woher weißt du, was ich gesagt habe? Warum?«
»Haha!«, sagte er. »Es hat sich schon in der ganzen Stadt herumgesprochen, was die amerikanische Frau von Alireza zum König gesagt hat. Und Seine Majestät fand es so lustig, dass er die Geschichte während seiner Abendaudienz höchstpersönlich zum Besten gegeben hat.«
»Komm, raus mit der Sprache! Was habe ich gesagt?«, kreischte ich. »Hör auf zu lachen, sag es mir!«
»Also gut! Du weißt doch, dass der König Sinn für Humor hat – er weiß genau, dass du Christin bist, und er weiß genauso gut, dass du kein Arabisch verstehst, aber er konnte nicht widerstehen, dir beim Abschied zu sagen, ›Wir hoffen, dass du ein Moslem wirst.‹ Du hast ihn mit der einzigen wirklich perfekten Antwort erfreut, die man darauf geben konnte. Du hast zu ihm gesagt: ›So Gott will.‹«
Ich wurde nie zum Moslem, aber unser Besuch hatte noch ein weiteres Nachspiel. Als wir an diesem Abend nach Hause kamen, erhielten wir für den folgenden Tag von Prinzessin Abdullah Al-Faisal eine Einladung zum Tee. Wir gingen zur genannten Zeit hin, die Diener nahmen uns Umhänge und Schleier ab, und wir wurden in einen Raum geführt, wo Ihre Hoheit uns herzlich begrüßte und zum Sitzen aufforderte. Ich sah mich in dem Zimmer um, das sie zu unserer Bewirtung ausgesucht hatte, und stellte fest, dass es wunderschön, nach bestem westlichem Geschmack und mit den elegantesten französischen Möbeln ausgestattet war. Wir bekamen unseren Tee aus glänzendem silbernem Geschirr auf makelloser weißer Tischwäsche; mit den Porzellantassen und -tellern hätte man selbst die Königin von England verwöhnen können. Untadelige Diener, die die Servierzangen handhabten, als seien sie damit geboren worden, füllten uns die Teller mit köstlichem Teegebäck und orientalischen Spezialitäten. Nie ist mir eine Lektion auf angenehmere Weise erteilt worden, und indem ich sie annahm, gewann ich eine Hochachtung und Zuneigung zu der Prinzessin, die von Dauer sein sollten. Es war völlig eindeutig, dass sie am Tag zuvor meine abfällige Geste bemerkt hatte und dass dies ihre Art war, mir zu zeigen, dass sie sich für ihre Lebensweise nicht zu entschuldigen brauchten, aber durchaus in der Lage waren, die unsrige zu übertreffen.
Der Anspruch, mit dem sie mich konfrontierte, war wunderbar in seinem stillschweigenden Charakter und in seinem Zweck genauso nobel wie das Verhalten der großen, liebenswürdigen Prinzessin. Ich will nicht leugnen, dass ich eine ganze Weile brauchte, bis ich dem Anspruch gerecht wurde, aber wann immer ich mich dabei ertappte, nach westlichen Maßstäben zu urteilen, versuchte ich mich daran zu erinnern, dass es kein Wettbewerb ist. Ihre Lebensweise ist gut für sie; ich musste nur ein Gleichgewicht finden zwischen dem, was ich gewohnt war, und dem, was ich lernen musste, und erkennen, dass beide Seiten viel zu geben haben. Meine Freundin, die Prinzessin, verstand das. Sie hatte sowohl über sich als auch über die neu angekommene Amerikanerin genug nachgedacht, um den Standpunkt zu vertreten, dass jeder sich auch in der Welt des anderen zurechtfinden kann.
Unsere Romanze hatte am College begonnen. Man fragte uns immer, wo wir uns kennengelernt hätten, und Alis Lieblingsantwort war, er habe mich bei den Fossilien gefunden. Das stimmte auch – er sah mich zum ersten Mal, als ich auf einer paläontologischen Exkursion beim Sammeln von Fossilien auf nassem Gestein ausrutschte. Er fragte mit seinem geschliffenen britischen Akzent: »Kann ich Ihnen helfen?« Er konnte, und er tat es, und bald hatte ich eine Verabredung mit dem großen, dunklen und gutaussehenden Araber.
Ali studierte an der Universität Erdöltechnik, weil die Förderung des Erdöls damals in Arabien noch im Anfangsstadium war, und Betriebswirtschaft, weil seine Familie sowieso seit Generationen führende Kaufleute, Bankiers und Kommissionäre hervorgebracht hatte. Ich hatte Spanisch und Französisch belegt mit dem Ziel, meine Kenntnisse in Stenografie, Sekretariatsarbeit und Sprachen miteinander zu verbinden, um dann nach Südamerika zu gehen. Meine Pläne änderten sich nach anderthalb Jahren, als Ali und ich anfingen, vom Heiraten zu reden, und daran dachten, gemeinsam in Arabien zu leben. Das Problem bestand darin, dass bis dahin noch nie ein saudischer Staatsbürger ein westliches Mädchen geheiratet hatte; wir machten uns die unmöglichsten Gedanken deswegen und fragten uns, ob er vielleicht verbannt würde, wenn er mich heiratete. Das geschah natürlich nicht, aber es erforderte schon die »Erschließung von etwas Neuland«, bis der König zustimmte und die Familie ihren Segen gab. Diese Aufgabe fiel Alis acht Jahre älterem Bruder Mohamed zu. Er war es auch gewesen, der sich Jahre zuvor geduldig die Einwände der Familie angehört hatte, als es darum ging, Ali im Ausland studieren zu lassen, und der ihn schließlich doch hatte gehen lassen. Man fürchtete, der Junge würde seine Religion verlieren, die arabische Sprache verlernen und sich durch eine eventuelle Vorliebe für die westliche Lebensart von seinem Land und dessen Bräuchen entfremden. Die Tatsache, dass er nun eine amerikanische Frau mit nach Hause brachte, schien einige in ihren Befürchtungen zu bestätigen, aber Mohamed tat sein Möglichstes, um das notwendige Einverständnis von allen zu bekommen. Was meine Familie betrifft, so kannten und mochten sie Ali, bezweifelten jedoch, ob eine Heirat ratsam sei, da wir aus so unterschiedlichen Verhältnissen stammten. Unter anderem machten sie sich Sorgen darüber, dass es Moslems erlaubt ist, vier Frauen zu haben. Ali erklärte ihnen ausführlich, dass der harem (»hariem« ausgesprochen) nicht das sei, was sie sich darunter vorstellten, sondern das respektvolle Wort für alle Frauen einer Familie: Mütter, Töchter, Tanten, Großmütter usw. Er sagte, eine einzige Frau würde ihm völlig genügen, und versicherte ihnen, dass er mich liebe und respektiere.
Bevor wir uns offiziell verlobten, ging Ali noch einmal all die Dinge mit mir durch, die von mir als Frau eines Arabers verlangt würden, und alles, was für mich an der arabischen Lebensart fremd sein würde. Anstelle von Zärtlichkeiten bekam ich an unserem Verlobungsabend eine weitere Litanei über das, was mich erwartete. Wir hatten natürlich schon viele Male darüber gesprochen, aber Ali wollte völlig sicher sein, dass ich alles wusste, was es zu wissen gab – ein Verhalten, das ich sehr lobenswert fand und das mich sicher machte.
Daher wusste ich, ich würde einen Schleier tragen müssen und würde kein gesellschaftliches Leben haben, wie ich es aus Amerika kannte – keine Partys, kein Kino, keine Essen in Restaurants. Ich würde unter keinen Umständen allein auf die Straße gehen dürfen, auch nicht in ein Geschäft, oder überhaupt irgendwelche Einkäufe selbst erledigen können. Das Leben in Arabien würde für mich fast ausschließlich zu Hause stattfinden, und das noch nicht einmal in meinem eigenen Heim. Ich würde mit der restlichen Familie zusammenleben, mit meiner verwitweten Schwiegermutter als Hausherrin, meinem Schwager Mohamed und seiner Frau und deren fünf Kindern. Und Zainab würde da sein; sie war die älteste Schwester (nur fünfzehn Jahre jünger als ihre Mutter), die zusammen mit ihrem Sohn in das große Haus in Dschidda zurückgekehrt war, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Tagsüber oder abends würde ich Besuche machen können, wobei Besuche und Feiern jedoch nur innerhalb der Familie oder im Kreis anderer Frauen stattfinden würden.
Das gesellschaftliche Leben – bzw. dessen Fehlen – war nicht die einzige drastische Veränderung, der ich ausgesetzt sein würde. Das Wetter sollte unangenehm heiß und feucht sein, unsere Wasservorräte knapp. Die Stadt habe keine Stromversorgung, aber Fliegen und Krankheiten, Moskitos und Malaria und nur unzulängliche sanitäre Anlagen. Kaum Ärzte, medizinische Einrichtungen praktisch gar nicht, Erholungsparks und Spielplätze existieren nicht, und wenn es sie gäbe, hätte ich nichts davon. Selbst das Schwimmen im Meer sei eines der vielen Privilegien, die da noch völlig den Männern vorbehalten seien.
Das Bild, das Ali zeichnete, war in der Tat düster, aber ich sagte trotzdem ja, und die Heiratspläne machten Fortschritte. Der Einzige, der danach noch Bedenken hatte, war Mohamed. Nachdem er uns die Heirat ermöglicht hatte, fing er auf einmal an, sich darum zu sorgen, dass mein Mädchenname Likowski vielleicht jüdisch sei (was er nicht ist), und was für ein Typ Mensch ich sein möge. Erstere Befürchtungen konnten zerstreut werden; um jedoch auch bei letzteren sicherzugehen, bat er einen befreundeten amerikanischen Diplomaten, Mr. E. Burke Smith, mich aufzusuchen und zu begutachten, wenn er in die Vereinigten Staaten käme, und ihm über das Ergebnis Bericht zu erstatten. Ali und ich gingen also mit ihm essen, und irgendwann während des Hauptganges war Mr. Smith anscheinend so zufrieden, dass er den wahren Grund seines Besuches eingestand, was er vermutlich nicht getan hätte, wenn seine Entscheidung zu meinen Ungunsten ausgefallen wäre. Den Ausschlag für sein Urteil gab wahrscheinlich die Tatsache, dass ich kein Makeup auf den Augen hatte und keine falschen Wimpern trug. Das waren zweifellos seine eigenen Kriterien, denn ich war mir sicher, dass Mohamed an etwas anderes gedacht hatte.
Ich machte mein Examen im Juni 1943, unsere Hochzeit wurde für Oktober festgesetzt. Der ursprüngliche Termin wurde dreimal verschoben, da Ali sich nicht freimachen konnte. Er begleitete Seine Königliche Hoheit Prinz Faisal Al-Saud, damals Vizekönig und Außenminister von Saudi-Arabien, auf einem offiziellen Besuch in den Vereinigten Staaten, und der Prinz verschob aus irgendwelchen Gründen ständig seine Abreise. Ali hatte gute Gründe, ihm noch nichts von unserer Heirat zu erzählen, und so mussten wir jedes Mal unsere Hochzeit verschieben, wenn Prinz Faisal wieder einmal seine Rückreise nach Arabien hinauszögerte.
Der Feier bei mir zu Hause in Long Beach wohnten nur ein paar Freunde und enge Verwandte bei. Die meisten waren Araber, die an den Universitäten von Berkeley oder Los Angeles studierten. Alis Trauzeuge, Mohamed Mohamed Moughazi, ein langjähriger Freund und Schulkamerad, musste seine Rolle bei der Zeremonie um ein Haar in Strümpfen spielen, weil er die Schuhe zu seinem Anzug bei einem ägyptischen Freund in Los Angeles gelassen hatte. Ihm war telefonisch zugesichert worden, dass er sie rechtzeitig bekommen würde, aber als das Haus sich allmählich mit Gästen füllte und die Musiker sich anschickten, den Hochzeitsmarsch zu intonieren, tapste der Trauzeuge immer noch in schwarzen Socken herum.
Auf der dringenden Suche nach dem Überbringer der Schuhe stand meine Mutter am Eingang, begrüßte jeden neuen Gast mit einem Lächeln, hieß Leute willkommen, die sie nicht kannte und deren Namen sie nicht aussprechen konnte, und ließ begierig jeder Begrüßung mit unterdrückter Stimme die Frage folgen: »Haben Sie die Schuhe?« Noch hatte sie die Gefühle, die jede Mutter bei der Heirat ihrer Tochter hat, gut im Griff; aber sie gab zu, dass die arabischen Gesichter und die arabische Sprache, von denen ihr Wohnzimmer erfüllt war, allmählich an ihrer Gelassenheit nagten. Diese kam dem Kippen gefährlich nahe, als einer der Eintretenden, ein dunkeläugiger, kugelrunder, bebrillter Ägypter namens Hosni, sich förmlich über ihre rechte Hand beugte und ein Paar Lackhalbschuhe, Größe elf, in die linke gleiten ließ. Und das geschah keine Sekunde zu früh. Wir nahmen gerade unsere Plätze ein, und es gab im ganzen Haus keinen Mann, der Moughazi hätte Schuhe leihen können.
Nach einer kurzen Hochzeitsreise ins Russian River Country in Nordkalifornien lebten wir glücklich, aber sicherlich nicht feudal in einem Apartment nahe dem Universitätsgelände von Berkeley. Wir mussten auf jeden Cent achten, da der Krieg das Überweisen von Geld aus dem Ausland problematisch machte; und obwohl Alis Geldgeber seinen Scheck um 30 Dollar aufstockten, als er heiratete, bekam er nur 120 Dollar im Monat. Moughazi wohnte im selben Korridor, er kam sonntags immer zum Waffelessen vorbei und nervte bei geselligen Treffen, weil er ewig eine »Sparpuppe« herumgehen ließ, die meine Mutter spaßeshalber mit Doktorhut und Talar aus schwarzem Krepppapier bekleidet hatte, als ich mein Examen bestand. »Für die Ausbildung von Junior«, pflegte er zu sagen, dann wartete er, bis jedermann sein Kleingeld zur Unterstützung des nichtexistenten Juniors darin deponiert hatte. Mit der Zeit türmte sich das Kleingeld, und Mo zog uns damit auf, dass er seinen Teil zur Pflichterfüllung beigetragen habe, aber keine Anzeichen dafür sehe, dass wir jetzt das Unsrige tun würden. Er war überglücklich, als er erfuhr, dass der Bezieher seines »Ausbildungsfonds« im nächsten Frühjahr zur Welt kommen würde.
Unsere Tochter Hamida, deren arabischer Name »lobenswert« bedeutet, wurde am 7. März 1945 geboren. Sie war blond und blauäugig und eine Freude für jedermann. Die arabische Familie telegrafierte herzliche Glückwünsche und fügte hinzu, dass es am Tag der Geburt geregnet habe, ein Zeichen, dass dem Kind viel Glück beschieden sei und es uns viel Glück bringen werde. Wir konnten uns auch nichts anderes vorstellen. Zur allgemeinen Überraschung freute Ali sich darüber, dass sein Erstgeborenes ein Mädchen war – man glaubt, Araber hätten lieber Söhne. Ali hatte jedoch schon immer behauptet, das Baby werde nicht nur ein Mädchen, sondern auch blauäugig sein. Er behielt recht und meinte: »Ich hab’s euch ja gesagt«, aber meine Mutter hielt ihm entgegen, dass alle Babys bei der Geburt blaue Augen haben und Hamidas ganz bestimmt braun werden würden. Sie schlossen eine Wette über zehn Dollar ab und stritten sich ein ganzes Jahr lang darüber. Mutter bat Ali in ihren Briefen eindringlich, sie doch auf jeden Fall zu informieren, sobald die Augen braun würden, und Ali drängte sie umgekehrt, ihre Niederlage einzugestehen und ihre Schulden zu bezahlen. Als ich einmal zusammen mit Hamida zu Hause auf Besuch war, während sich Ali auf einer Geschäftsreise befand und eines Tags bei uns anrief, verwandelte meine Mutter seine Schadenfreude in einen gequälten Aufschrei: Sie erzählte ihm, dass ihr morgens beim Baden Hamidas aufgefallen sei, dass ein Auge blau und das andere braun sei. Aber Mutter hatte verloren und bezahlte schließlich. Sie schob eines Abends eine Zehndollarnote unter Alis Teller, auf die sie die folgenden Worte geschrieben hatte: »Die Augen haben gesprochen.« Er bewahrte sie jahrelang in einem kleinen Winkel seiner Brieftasche auf, und soweit ich weiß, befindet sie sich dort immer noch.
Ali arbeitete hart für sein Studium, aber er konnte es nicht beenden. Die Geschichte klopfte eines Morgens an unsere Tür: in Form eines Telegramms von Seiner Majestät König Ibn Saud von Saudi-Arabien, der Ali zum Delegierten bei der Friedenskonferenz von San Francisco ernannte, die für den 25. April 1945 einberufen worden war. Das Telegramm war einfach an »Ali Alireza, USA« adressiert, aber es erreichte uns, weiß der Himmel, auf welchen Wegen, und brachte unser Leben in den folgenden Tagen ganz schön durcheinander. Unsere anfängliche freudige Erregung darüber, dass Ali von seinem König für diese Aufgabe ausgewählt worden war, wich langsam, als wir uns vergegenwärtigten, was auf ihn zukam. Alle Prinzipien, Hoffnungen und Bestrebungen einer nach Frieden suchenden Welt sollten in diesen organisatorischen Versuch, einen durchführbaren Plan zu finden, kanalisiert werden, und wenn die Weltbevölkerung bei diesen Bemühungen vertreten sein würde, dann war die Teilnahme eine große Ehre und Verantwortung.
Vom Nachrichtenwert her gesehen barg Alis Ernennung alle Voraussetzungen für einen großen Sonderbericht – KÖNIG BERUFT 23 JÄHRIGEN ARABISCHEN STUDENTEN oder DER JÜNGSTE DELEGIERTE DER FRIEDENSKONFERENZ –, und der Reporter, der den Knüller bekam, hatte genau dies im Sinn, als er wegen eines Interviews an der Tür klingelte. Ich werde sein Gesicht nie vergessen, als ihm bewusst wurde, dass er zwei Storys auf einmal serviert bekam. Dieser Araber war nicht nur der jüngste Delegierte bei der Konferenz, er war auch mit einer Amerikanerin verheiratet und Vater einer drei Wochen alten Tochter – was für eine Story! Der verblüffte Reporter fiel fast über meine Füße, als er zum Telefon stürzte, um seine Redaktion anzurufen: »Ich hab den Volltreffer gelandet – schickt schnellstens einen Fotografen her!« Der Fotograf kam, die Story wurde veröffentlicht, und in den nächsten Tagen brach eine Flut von weiteren Reportern und Fotografen über uns herein, die zwar den großen Knüller verpasst hatten, aber ihre eigene Story und ihre eigenen Bilder haben wollten.
Diese Zeitungsfotos waren die letzten Bilder eines glattrasierten Alis; ich sollte ihn nie wieder ohne den Bart sehen, den alle saudischen Männer tragen müssen und den er sich für die neue Aufgabe wachsen lassen musste. Es wurde vereinbart, dass er die von Seiner Königlichen Hoheit Prinz Faisal Al-Saud geführte arabische Delegation bei ihrer Ankunft in New York treffen und dann auf dem Flug nach San Francisco begleiten würde. Er musste sich zunächst von der Universität beurlauben lassen; als er dem Dekan erklärte, warum er eine Zeitlang nicht an den Kursen teilnehmen könne, war er sich seines ungepflegten Aussehens durchaus bewusst und glaubte eine Erklärung schuldig zu sein. Seine Entschuldigung ist sicherlich einzigartig in den Annalen der Universität. Er rieb sich mit den Fingern über das Stoppelkinn und sagte zum Dekan: »Bitte entschuldigen Sie meine unrasierte Erscheinung, aber auf Anordnung meiner Regierung muss ich mir einen Bart wachsen lassen.« Er ließ ihn wachsen, und der Bart blieb, gewollt oder ungewollt.
Die Eröffnung der Friedenskonferenz war von vielen Fahnen und großem Gepränge begleitet. Die Hoffnungen auf einen Erfolg des Treffens flogen hoch, die Einwohner von San Francisco waren sich ihrer Ehre als Gastgeber bewusst und hießen jede einzelne Delegation enthusiastisch willkommen. Die aufsehenerregendste Gruppe war zweifellos die saudi-arabische. Sie waren hier, um die moderne Geschichte mitzugestalten, aber in ihren goldschwarzen Kopfbedeckungen, ihren langen weißen Gewändern und den Umhängen aus Kamelwolle mit goldenen Bordüren und Quasten sahen sie eher wie Gestalten aus der Vergangenheit aus. Die bärtigen Männer, ob königliche Prinzen oder nubische Leibwächter, zogen ein unglaubliches Interesse auf sich. Ihre Fotos füllten die Zeitungen, und die Menschen kamen in Scharen zu ihrem Hotel in der Hoffnung, einen Blick auf sie zu erhaschen.