Liebe Angst, Zeit, dass du gehst - Annett Möller - E-Book

Liebe Angst, Zeit, dass du gehst E-Book

Annett Möller

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Beschreibung

Als Annett Möller 2008 das Angebot erhält, eine der erfolgreichsten Nachrichtensendungen im deutschen Fernsehen zu moderieren, ergreift sie die Chance. Womit sie gar nicht rechnet: Trotz ihrer langjährigen Erfahrung überfallen sie plötzlich Angst- und Panikattacken vor laufender Kamera. Sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen, überspielt die Angst und quält sich durch die immer häufiger auftretenden Panikschübe – jahrelang unbemerkt von ihrem Umfeld. Sie sucht nach professioneller Hilfe und beginnt zusätzlich sich selbst zu helfen, um endlich aus der quälenden Angst-Spirale heraus zu finden. Am Ende gelingt es ihr die inneren Dämonen zu enttarnen und zu erkennen, welche Botschaften und neue Perspektiven die Angst für sie bereithält. In ihrem Buch beschreibt Annett Möller ihren persönlichen Weg aus dem Angstkreislauf. Unterstützt von Experten, stellt sie verschiedene Therapiemöglichkeiten vor und erklärt dazu wirkungsvolle Selbsthilfetechniken. Sie ermutigt ihre Leserschaft sich ihrer Angst zu stellen und sie sogar als Chance zu begreifen.

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

DIE ERSTE ATTACKE

EXPERTENSTIMME DR. DORIS WOLF

Was geschieht bei einer Panikattacke in unserem Gehirn?

Welche körperlichen Symptome treten auf?

WIE ALLES MIT DEM FERNSEHEN BEGANN

ERSTE ZWEIFEL — DER WEG IN DIE ANGST

DER BEGINN MEINES INNEREN KAMPFES

EXPERTENSTIMME DR. MICHAEL KLESSASCHECK

Können Panikattacken und Burn–out im Zusammenhang stehen?

INFO | Burn–out

INFO | Benzodiazepine

DIE ZWEITE ATTACKE

EXPERTENSTIMME DR. DORIS WOLF

Wie entwickelt sich aus einer Panikattacke eine Störung?

EXPERTENSTIMME DR. MICHAEL KLESSASCHECK

Welche Formen von Panik– und Angststörungen gibt es?

KRANKSCHREIBUNG UND KEINE BESSERUNG IN SICHT

INFO | Therapieformen

INFO | Die wingwave®–Methode

INFO | Die EFT–Methode

EXPERTENSTIMME DR. MICHAEL KLESSASCHECK

Was können Ursachen von Angst und Panikstörungen sein?

EXPERTENSTIMME DR. DORIS WOLF

Was sind mögliche Auslöser von Panikattacken?

INFO | Familienaufstellung

INFO | Depression

EXPERTENSTIMME DR. MICHAEL KLESSASCHECK

Welche anderen Erkrankungen können mit einer Angststörung gemeinsam auftreten?

EXPERTENSTIMME DR. DORIS WOLF

In welchen Situationen kommt es zu Panikattacken?

ZURÜCK IN DEN JOB — MEIN LEBEN MIT DER ANGST

DIE ANGST UND WAS ICH VON IHR LERNTE

INFO | Systemische Therapie und systemisches Coaching

INFO | Was zahlt die Krankenkasse?

INFO | Das Erlebnismodell „inneres Kind“

EXPERTENSTIMME DR. DORIS WOLF

Welche Psychotherapie empfiehlt sich bei Angst- und Panikstörungen?

INFO | Betablocker

OHNE ANGST AUF NEUEN WEGEN

WARUM SIND MENTALTRAINING UND COACHING SO WIRKUNGSVOLL?

EINFÜHRUNG IN DEN 10–PUNKT 1E–PLAN

Wie du das Programm für dich nutzen kannst

Bevor du loslegst

Das Wichtigste zur Arbeit mit dem 10-Punkte-Plan

Die 4 goldenen Regeln im Coaching: Worauf du bei den einzelnen Übungen achten solltest

DIE MACHT DER GEDANKEN

Wie du durch Gedanken dein Erleben erschaffst

Warum das Üben deiner neuen Gedanken so wichtig ist

Was möchtest du mithilfe dieses Buches erreichen?

VERGANGENHEIT

PUNKT 1

Die Stimmen deiner Vergangenheit

Negative Glaubenssätze und wie sie entstehen

Das innere Kind und unsere Glaubenssätze

Finde dein inneres Kind

ÜBUNG Finde dein inneres Kind

Die Bedürfnisse des inneren Kindes in Problemsituationen erkennen

ÜBUNG Die Bedürfnisse des inneren Kindes erkennen und danach handeln

ÜBUNG Stärke dein erwachsenes Ich

SOFORTHILFE Bevor deine negativen Gefühle dich überrollen

PUNKT 2

Dein Weg, das Verzeihen zu lernen

Warum nicht zu verzeihen nur uns selbst schadet

ÜBUNG Ein erster Schritt, das Verzeihen zu lernen

Höre auf zu kämpfen und befreie dich

ÜBUNG Lerne, dich zu befreien

ÜBUNG Gedankenreise zu deinen positiven Gefühlen

GEGENWART

PUNKT 3

Dein Weg zu mehr Selbstliebe

Selbstliebe: Was ist das und wie geht das (nicht)?

Mein 4–Stufen–Plan zu mehr Selbstliebe

ÜBUNG

Schritt 1: Betrachte dich selbst liebevoll — innerlich und äußerlich

Schritt 2: Sprich in Gedanken liebevoll über dich (später auch vor anderen)

Schritt 3: Schau als Bewunder*in von außen auf dich und sammle positives Feedback

Schritt 4: Wiederhole die positiven Gedanken und Gefühle, die du dir erarbeitet hast — eine Gedankenreise

PUNKT 4

Erlebe deinen Körper

Wie sich unsere Gedanken auf unseren Körper auswirken und umgekehrt

ÜBUNG Verändere die körperlichen Auswirkungen deiner Angst positiv

PUNKT 5

Dein Weg zur Entspannung

Was dir hilft, loszulassen

Progressive Muskelentspannung

ÜBUNG Progressive Muskelentspannung

Meditation — so einfach

ÜBUNG „Der Ort deiner Entspannung“ — eine Meditation

ÜBUNG Gehmeditation

Atmung

ÜBUNG Die 4–7–8–Atmung

Fühle dich lebendig — raus aus der Angst, rein ins (Er–)Leben!

Ernährung, die dich stärkt

Sport gegen Panikattacken

Gesunder Schlaf

Fazit

PUNKT 6

Deine Angst und was sie dir sagen will

Die körperlichen Symptome und ihre Hintergründe

Wie du die körperlichen Symptome annehmen kannst

ÜBUNG Erkenne die Symptome deiner Angst

Deine Angst und ihre positive Absicht

ÜBUNG Lerne deine Angst kennen

SOFORTHILFE Heiße deine Angst willkommen

PUNKT 7

Finde deine Helfer im Alltag

Wie du dich selbst in Momenten der Angst unterstützen kannst

Affirmationen — bestärkende Glaubenssätze

Wie sie genau funktionieren

ÜBUNG So findest du deine eigenen Glaubenssätze

So funktionieren Anker

ÜBUNG Dein ganz persönlicher Glücksmoment — Anker gegen die Angst finden

ZUKUNFT

PUNKT 8

Nutze deine verborgenen Kräfte und Fähigkeiten

So kannst du dein Potenzial finden und einsetzen

ÜBUNG Aktiviere deine innere Kraft — eine Gedankenreise

ÜBUNG Wunderfrage: Was, wenn dein Problem über Nacht gelöst wäre?

ÜBUNG Was dein Spiegelbild dir raten würde

PUNKT 9

Erschaffe die schönste Vision deiner Zukunft

Wie du das erreichen kannst, was du dir wünschst

Ereignisse gedanklich positiv vorbereiten

ÜBUNG So bereitest du Ereignisse gedanklich positiv vor

ÜBUNG „Der Blick in die Zukunft“ — wie du deine Ziele findest und gedanklich bereits (er)lebst

Ein Stimmungsbild deiner Zukunft — wie du dich selbst noch mehr unterstützen kannst

ÜBUNG Baue dir ein Stimmungsbild deiner Zukunft

PUNKT 10

Mut zur Veränderung

Wie du es schaffst, dein Leben gezielt zu gestalten

Die konkrete Umsetzung deiner neuen Denk– und Verhaltensweisen

ÜBUNG Schritt 1: Plane die konkrete Umsetzung deiner neuen Denk– und Verhaltensweisen

Der Umgang mit Hindernissen

ÜBUNG Schritt 2: So gehst du mit Hindernissen um

Fazit

DIE EXPERT*INNENDr. Michael Klessaschek | Dr. Doris Wolf | Marcel Hübenthal

Danke

Quellennachweise

VORWORT

Sie nimmt uns die Luft zum Atmen, sie hält uns gefangen und sie kann uns die Freude am Leben rauben – und doch traut sich kaum jemand, offen über sie zu sprechen: die Angst.

Viele Menschen leiden so sehr unter ihrer Angst, dass sie alles nach ihr ausrichten. Dinge, die früher normal waren, werden nach und nach unmöglich. Betroffene versuchen ihr Leiden zu verheimlichen, rutschen dadurch oft noch tiefer hinein und finden jahrelang nur schwer oder gar nicht wieder aus ihrer misslichen Lage.

Noch vor Depressionen sind Angststörungen die häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Etwa 12 Millionen Frauen und Männer hierzulande, 60 Millionen in Gesamteuropa, leiden darunter. Forschungen zeigen, dass 25 Prozent aller Menschen in Deutschland mindestens einmal im Leben mit einer Angststörung zu tun haben.1

Zugegeben, es braucht Mut, über das Thema zu sprechen. Eine Angststörung ist nicht nur sehr leidvoll, sondern auch sehr persönlich und hat oft tief liegende Ursachen.

Als meine erste Panikwelle mich während einer Livesendung überrollte, war ich 32 Jahre alt. Ich hatte es geschafft, meinen Kindheitstraum als Fernsehmoderatorin wahr werden zu lassen, arbeitete für zwei große nationale private Fernsehsender in den Nachrichten und moderierte zusätzlich ein Magazin. Ich hatte Erfolg, viele Pläne und stand mitten im Leben. Von einem Tag auf den anderen änderte sich alles für mich. Die Lebensfreude, die Leichtigkeit, die Energie, die ich zuvor hatte – all das hat mir die Panikattacke innerhalb von Minuten genommen. Was die Sache noch schwieriger machte: Niemand sah mein Leiden. Außer die wenigen, die ich irgendwann einweihte. Ich befürchtete, abgestempelt oder für verrückt gehalten zu werden, wenn ich darüber spräche. Für mich wäre es einer Kapitulation gleichgekommen, mich zu offenbaren, und ich nahm an, dass man mich fallen lassen würde.

Mit Therapie und sehr viel harter Arbeit an mir selbst gelang es mir nach einem schier endlosen Weg von gut sechs Jahren, die Angst endlich loszuwerden. Heute bin ich frei von diesem inneren Dämon.

Mein Heilungsweg hätte sicher sehr viel kürzer sein können, hätte ich mehr Hilfe, Anleitung und Wissen gebündelt zur Hand gehabt.

Aus diesem Grund möchte ich in diesem Buch über meine persönliche Erfahrung mit meiner Panik- und Angststörung sprechen und weitergeben, was ich daraus gelernt habe.

Ich weiß, was es heißt, wenn man von einer Sekunde auf die andere in Todesangst versetzt ist, und wie hilflos und handlungsunfähig man sich fühlt, nachdem man die Attacke dann doch überlebt hat.

Die Angst scheint aus dem Nichts zu kommen. Heute bin ich mir im Klaren darüber, dass dem nicht so ist. Dass meine Angst Ursachen hatte, denen ich inzwischen nach und nach auf die Schliche gekommen bin. Und ich weiß, dass es Methoden und Wege gibt, die akut und langfristig helfen. Für mein Leben und meine Selbstfindung war es ein wichtiger, wenn auch harter Lernprozess.

Dem Wunsch, dir als Betroffene*r all mein Wissen aus dieser Zeit, in der ich selbst an der Angststörung litt, zur Verfügung zu stellen, entspringt der zweite Teil dieses Buches mit seinem 10-Punkte-Plan zur Selbsthilfe. Da ich heute nicht nur als freie Moderatorin, sondern auch als Systemische Coachin arbeite, greife ich bei den Übungen unter anderem auf ein fundiertes Wissen der Methoden und Informationen aus der Systemischen Therapie, der Hypnose und der Körperarbeit zurück und biete dir eine professionelle Anleitung auf deinem persönlichen Weg im Umgang mit deiner Angst. Ich selbst habe damals viel davon für mich allein erarbeitet. Nur so war es mir möglich, mich immer mehr von meinen Ängsten zu befreien.

Jede*r Betroffene hat einen eigenen Leidensweg und jede Angst hat ihre ganz individuellen und persönlichen Ursprünge. Was ich erlebt habe, kann sich von deinem inneren Erleben und deinen Symptomen sehr unterscheiden. Angststörungen haben ganz unterschiedliche Erscheinungsformen. Eine*r kann sich nicht mehr unter Menschen begeben, ohne panisch zu werden, ein*e andere*r nicht mehr einschlafen, vor lauter Sorge um die scheinbar alltäglichsten Dinge. Aus diesem Grund biete ich hier ein breit angelegtes Spektrum an Übungen an, von denen die eine oder andere sicher auch für dich hilfreich sein kann.

Das Buch soll auch helfen, dich zurechtzufinden und einzuordnen, was gerade mit dir passiert und was hilfreich sein könnte.

Zwar können meine Hilfestellungen keine Ärzt*innen oder psychologischen Therapeut*innen ersetzen, wenn deine Angst dein Leben bereits massiv beeinträchtigt. Vor, während und nach einem therapeutischen Prozess können sie jedoch eine wertvolle Ergänzung sein, um in deinem eigenen Tempo an dir zu arbeiten, Gelerntes zu vertiefen und in das heilsame Arbeiten weiter hineinzugehen.

Ich möchte dich einladen, mich mit diesem Buch durch meine Angstgeschichte zu begleiten und anschließend zu dir selbst zu reisen, um deinen eigenen tief liegenden Bedürfnissen und deiner Angst auf die Spur zu kommen. Wie die Lösung deiner Probleme aussieht, kannst nur du allein herausfinden. Es ist dein eigener individueller Prozess, der Zeit braucht. Der so ablaufen darf, wie es sich für dich richtig anfühlt. Ich wünsche dir von Herzen, dass du deinen für dich passenden Weg zu innerer Ausgeglichenheit findest und dass mein Buch dir dabei helfen wird.

DIE ERSTE ATTACKE

Hätte ich damals gewusst, dass mich dieser Tag verändern, über Jahre hinweg extrem herausfordern und bis an den Rand der Verzweiflung bringen würde: Ich wäre morgens einfach im Bett geblieben. Aber es gab keine Vorwarnung, der Tag war einer wie jeder andere. Das ganze Wochenende war eines wie jedes andere. Ich hatte – wie immer, wenn ich Dienst hatte – bereits Freitag und Samstag in der Nachrichtenredaktion verbracht, um mit den Kolleg*innen die anliegenden Themen für das Wochenende zu erarbeiten. Inzwischen war es Sonntag, nach 15 Uhr, die Nachmittag- und die Abendmoderation der Nachrichten am Samstag hatte ich schon hinter mir. Nach mehr als eineinhalb Jahren beim Sender war das Routine für mich. Meine Nacht zum Sonntag war kurz gewesen, wie auch die davor, auch das war wie fast immer, wenn ich ein Moderationswochenende zu übernehmen hatte. Ich hatte mich am Abend noch lange in die aktuellen Themen eingelesen und dazu laufende Diskussionen verfolgt. Ich brauchte das, um das Gefühl zu haben, dran zu sein, an dem, was ich da vor der Kamera erzählte, gerade in Bezug auf Nachrichten aus der Politik. Eine gute Vorbereitung gab mir die Souveränität und Gelassenheit, die ich vor der Kamera ausstrahlen wollte.

Und da stand ich nun. Sonntagnachmittag, inhaltlich bestens präpariert und fertig geschminkt für die nächste Moderation – die Maskenbildnerin hatte mit Pinsel und Make-up wieder ein Wunder vollbracht, ich sah aus wie das blühende Leben, keine Spur von Augenringen und müder Haut. Vor mir lag der kurze Nachrichtenüberblick für den Nachmittag. An den Wochenenden wurden meistens gegen 15, 16 Uhr Kurznachrichten live ausgestrahlt. Etwa drei Minuten lang. Dabei las ich mehrere Themen hintereinander weg und war nur kurz zu sehen, wenn ein neues Thema begann. Der Rest wurde von passenden Bildern begleitet, sogenannten Off-MAZen.

Nach außen war ich völlig gelassen…

Ich war wie fast immer ein bisschen aufgeregt. Ein angenehmes Flattern im Bauch. Ein Gefühl, das ich liebte. Gleich sollte es losgehen. Die Kameras waren auf Position, ich mittendrin im Scheinwerferlicht, der Regisseur über einen kleinen Knopf in meinem Ohr mit mir verbunden. Nach außen war ich völlig gelassen.

Heute wollte ich besonders cool sein, denn an der Studiotür lehnte eine der erfolgreichsten Moderatorinnen Deutschlands und sah zu. Sie wartete auf eine Aufzeichnung, die nach meinem Nachrichtenüberblick stattfinden sollte.

Kurz vorher hatten wir uns in der Maske getroffen und uns ganz locker unterhalten. Ich weiß nicht mehr worüber, nur noch, dass es ein netter Small Talk gewesen war. Es war eine der bisher wenigen persönlichen Begegnungen mit ihr in meiner noch kurzen Zeit im Sender. Von dieser charismatischen Frau wollte ich als Vertretung für einen der bekanntesten Nachrichtenanchor Deutschlands als kompetent und souverän wahrgenommen werden.

Der Regisseur zählte runter: „In 30 Sekunden gehts los … Noch 10 Sekunden … 3 … 2 … 1 …“ Die kurze Openingmusik der Sendung ertönte, und das rote Licht an der Kamera ging an, als Zeichen, dass ich auf Sendung war. „Herzlich willkommen zu einem kurzen Nachrichtenüberblick am Nachmittag …“, begann ich. Ich war jetzt live auf Sendung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hundertausende hatten in diesen Stunden das Programm eingeschaltet. Sahen alles, was ich tat, hörten alles, was ich sagte. Der erste Satz ging mir noch ganz gut über die Lippen. Ich hatte nur blöderweise viel zu tief angefangen zu sprechen und anstatt in den Bauch nur in den Brustkorb geatmet. Mit der Absicht, cool rüberzukommen, hatte ich meine Stimme gefühlt drei Oktaven tiefer angesetzt. Für ein paar Sekunden kam mir das extrem lässig vor, bis ich merkte, dass ich mit der Luft nicht hinterherkam. Ich erschrak richtig, denn gleichzeitig derart tief zu sprechen und dabei zu atmen schien mir in meiner Aufregung ganz plötzlich unmöglich. Ich spürte Panik in mir aufsteigen, doch ich war mitten im Nachrichtenüberblick. Ich musste weitersprechen. Die Zeit lief gegen mich. Ich musste die Texte zu den vier, fünf verschiedenen Themen vom Teleprompter vorlesen. Die Bilder, die die Zuschauer auf ihren Bildschirmen sahen, waren genau an meinen Text angepasst.

Für ein Anhalten, um mich kurz zu sammeln und dann weiterzumachen, war keine Zeit. Die Panik wuchs. Ich war überzeugt, das hier niemals zu überstehen. Und es wurde schlimmer. Während ich mich quälte, irgendwie Luft zu holen und den Text weiter vorzulesen, klopfte mein Herz wie wild und ich hatte das Gefühl, mir würde die Kehle zugeschnürt. Mir war gleichzeitig heiß und kalt, erst schwitzte ich wie verrückt, dann liefen mir Kälteschauer über den Rücken. Übelkeit stieg in mir hoch. Ich wollte nur noch weg, ich hatte Angst, keine Luft mehr zu bekommen und gleich in Ohnmacht zu fallen. Es war Wahnsinn, was in diesen wenigen Sekunden in meinem Kopf abging: Bilder blitzten auf, wie ich das Bewusstsein verlor oder weglief und mein Totalausfall am nächsten Tag die Schlagzeile auf den Titelseiten diverser Tageszeitungen sein würde, oder besser noch, mein Umfallen als Video im Internet kursierte! Was für ein Horror!

Ohnmächtig werden oder weglaufen, das durfte einfach nicht passieren – das zumindest wusste ich in diesen Sekunden der Panik, sonst wäre ich meinen Job wahrscheinlich für immer los. Ich musste sitzen bleiben! Ich musste durchsprechen. Ohne Pause. Zur Not ohne Luft.

Ich wusste überhaupt nicht, was gerade mit mir passierte, ich krümmte und wand mich innerlich, um diesem Klammergriff der Panik zu entkommen.

In meinem Hirn pochte es: „Du fällst tot um. Jetzt sofort!“…

Ich las wie eine Getriebene weiter vom Teleprompter ab – mein Tempo war irre. Ich wurde immer schneller, hatte das Gefühl, einen 300-Meter-Sprint hinzulegen. Bereits am Ende meiner Kräfte spürte ich, wie die Beine mir immer weniger gehorchten und zu Pudding wurden. Alles in mir schrie: „Gib auf, du kannst nicht mehr, du bist erledigt!“ Aber ich machte weiter, hechelte nach Luft. Es waren doch nur gut drei Minuten. Wie konnte das alles nur so lange dauern? Die Scheinwerfer brannten in meinen Augen, ich konnte den Text kaum lesen. Schweiß lief mir den Rücken herunter. Meine Hände klebten an den Moderationsblättern, die vor mir auf dem Tisch lagen. Mein Atmen war flach, und das bisschen Luft, das ich irgendwie in meine Lungen einsaugen konnte, drückte auf meine Rippen. Mein Herz raste und in meinem Hirn pochte es: „Du fällst tot um. Jetzt sofort!“

Doch ich fiel nicht um. Ich krallte mich am Tisch fest und schleppte mich mit allerletzter Kraft durch die letzten Sekunden. Danach fühlte ich mich, als wäre ich in Todesangst vor einem angreifenden Raubtier geflohen und gerade noch entkommen: vollkommen fertig, zittrig, schweißgebadet, am Ende meiner Kräfte. Ein Panikmonster hatte mich überfallen, aus dem Nichts, und ich war dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen.

„Was war denn mit dir los?“, hörte ich eine verwunderte Stimme über den Knopf im Ohr aus der Regie. „Alles in Ordnung?“

„Ich hatte eine Migräneattacke“, stammelte ich. Mir war klar, dass das keine Migräne-, sondern eine handfeste Panikattacke gewesen war. Aber sollte ich dem Kollegen erzählen: „Du, ich hatte eben Todesangst und dachte, ich bekomme keine Luft mehr und falle einfach um …“ – das erschien mir wenig sinnvoll. Schnell riss ich mir den kleinen Kopfhörer aus dem Ohr und sah zu, dass ich raus aus dem Studio kam. Mir war flau im Magen. Ich hatte Angst, mich übergeben zu müssen. Mit zittrigen Beinen schaffte ich es zur nächsten Toilette. Einen Heulkrampf konnte ich auf dem Weg gerade noch unterdrücken. Wie lange ich auf dem Klodeckel saß und versuchte, wieder einen klaren Gedanken zu fassen und zu mir zu kommen, weiß ich nicht mehr. Ich weiß auch nicht, wie ich es am Abend noch schaffte, die ganze Sendung zu moderieren, und ob ich dabei auch in Panik geraten bin. Ich stand unter Schock. Äußerlich ruhig, innerlich wie gelähmt. Abgerückt von der Welt, wie gefangen unter einer Glasglocke. Ich nahm nichts mehr richtig wahr, versuchte nur noch, den Tag zu überleben. Ich funktionierte einfach.

Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Diese wenigen Minuten waren der Anfang eines gut sechs Jahre andauernden Kampfes gegen Angst- und Panikattacken. Ein Kampf, den ich ganz allein kämpfen würde. Und von dem kaum jemand etwas wissen und on air niemand etwas mitbekommen würde: Ein Kampf, der mich an den Rand meiner Kräfte bringen und der mir alles abverlangen würde.

WAS GESCHIEHT BEI EINER PANIKATTACKE IN UNSEREM GEHIRN?

DR. DORIS WOLF: Angst- und Panikattacken treten meist scheinbar aus heiterem Himmel im Alltag auf. Bei der Entwicklung solch unangemessen starker Ängste spielen unsere Gedanken und Fantasien jedoch eine wichtige Rolle. Angst ist ein Gefühl, das sich bei tatsächlicher Gefahr einstellt – aber auch bei nur vorgestellter Gefahr. Wenn wir glauben, etwas sei gefährlich, dann müssen wir Angst empfinden! Unser Körper muss mit Reaktionen wie Schwindel, Herzstechen, Übelkeit etc. reagieren, wenn wir uns ausmalen, dass eine Situation lebensgefährlich ist.

Denn Angst entsteht in unserem Körper nach einem ganz bestimmten Schema. Zunächst einmal nehmen unsere Sinnesorgane etwas wahr. Wir hören, sehen, spüren, riechen oder schmecken etwas. Diese Wahrnehmung wird an das Gehirn weitergeleitet. Die Großhirnrinde interpretiert die Reize aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit.

Im Falle der Angst interpretiert unser Gehirn die Wahrnehmung als (lebens)gefährlich. Von dort gelangt die Meldung dann an das limbische System, das für unsere Gefühle zuständig ist. Spezielle Bereiche des limbischen Systems, der Hippocampus und die Amygdala, auch als Mandelkern bezeichnet, veranlassen dann den Hypothalamus, die entsprechenden körperlichen Reaktionen auszulösen. Der Hypothalamus bewirkt über Nervenbahnen im Nebennierenmark die Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol und Kortison.

Das sympathische und das parasympathische Nervensystem werden aktiviert. Das Entscheidende: Sind blitzschnelle Reaktionen für unser Überleben erforderlich, reagiert der Mandelkern auch ohne vorherige Verarbeitung und Bewertung der Großhirnrinde. 

Wir kennen das z. B. dann, wenn wir durch ein plötzlich auftretendes Geräusch aufschrecken. Dann wird unser Körper in Bruchteilen von Sekunden auf Kampf, Flucht oder Verharren vorbereitet. Schon seit Urzeiten gibt es diese automatische Reaktion. Nur so konnten unsere Vorfahren überleben. Manchmal werden wir durch diese schnelle unbewusste Verarbeitung ohne tatsächliche Gefährdung in Angst versetzt.

WELCHE KÖRPERLICHEN SYMPTOME TRETEN AUF?

Folgende Angstsymptome (körperliche Veränderungen) werden durch das sympathische Nervensystem hervorgerufen:

•Unser Herzschlag erhöht sich und die Herzkranzgefäße erweitern sich.

•Unser Blutdruck steigt an.

•Die Blutgefäße der Haut und der inneren Organe verengen sich.

•Die Skelettmuskeln werden stärker durchblutet und spannen sich an, sodass wir bereit zu Kampf oder Flucht sind.

•Als Vorbereitung auf mögliche Verletzungen verdickt sich unser Blut.

•Unsere Bronchien erweitern sich, wir atmen schneller, um uns besser mit Sauerstoff zu versorgen.

•Wir verbrauchen mehr Energie, der Stoffwechsel wird beschleunigt.

•Wir verlieren den Appetit, die Verdauung wird eingestellt.

•Der Blutzuckerspiegel und die Blutfettwerte (Cholesterin) steigen.

•Unser Speichelfluss wird reduziert, der Speichel wird zähflüssig.

•Wir verlieren die Lust auf Sex, die Genitalien werden schwächer durchblutet.

•Unsere Pupillen erweitern sich, um das Sehfeld zu vergrößern und die Gefahr besser zu erkennen.

•Die Ausscheidung, Harn- und Stuhldrang werden eingestellt.

•Unsere Energiereserven (Zucker und Fette) werden angezapft, um genügend Energie für eine mögliche Verteidigung zu haben.

•Unsere Temperatur steigt im Körperinnern an.

•Wir haben kalten Schweiß.

•Wir sind hellwach und richten unsere Aufmerksamkeit auf die Gefahr.

•Wir sind nervös, unruhig und erregt.

Im Normalfall kommt es nach einigen Minuten zu einer Gewöhnung an die Situation. Das parasympathische Nervensystem kommt zum Einsatz. Es ist dafür zuständig, dass unser Körper wieder in den Normalzustand, zur Ruhe und Entspannung zurückkehrt. Wir bleiben jedoch noch einige Zeit erregt, bis das freigesetzte Adrenalin und Noradrenalin abgebaut sind.

Das parasympathische Nervensystem veranlasst nun folgende Angstsymptome (körperliche Veränderungen):

•Unser Herzschlag verlangsamt sich und die Herzkranzgefäße verengen sich.

•Unser Blutdruck verlangsamt sich.

•Die Blutgefäße der Haut und der inneren Organe erweitern sich.

•Die Skelettmuskeln entspannen sich.

•Unser Blut verdünnt sich.

•Unsere Bronchien verengen sich, wir atmen langsamer.

•Wir sparen Energie ein, der Stoffwechsel wird verlangsamt.

•Die Verdauung kommt wieder in Gang.

•Die Insulinproduktion wird aktiviert.

•Unser Speichelfluss kommt wieder in Gang, der Speichel wird dünnflüssig.

•Unser sexuelles Verlangen kehrt zurück, die Genitalien werden stärker durchblutet.

•Unsere Pupillen verengen sich, wir weinen möglicherweise.

•Es kommt zu Blasen- und Darmentleerung.

•Unsere Energiereserven (Zucker und Fette) werden nicht mehr angezapft.

•Wir schwitzen. Die Körpertemperatur im Innern nimmt ab und in der Haut zu.

Bei intensiven Erregungszuständen und bei Panikanfällen können sowohl das sympathische als auch das parasympathische System gleichzeitig aktiviert sein.

WIE ALLES MIT DEM FERNSEHEN BEGANN

Schon in der Schule liebte ich es, vor der Klasse unterhaltsame Vorträge zu halten. Ich war neugierig auf andere Menschen, hatte Interesse an ihren Geschichten, stellte viele Fragen. Schon damals träumte ich davon, die Gastgeberin einer lebendigen Abendshow im TV zu sein.

Gab es irgendwoauch nur dieunscheinbarsteGelegenheit, eineBühne zu betreten:Ich war da!…

Von meinem Umfeld bekam ich nicht sonderlich viel Bestätigung oder Unterstützung. Ich war ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen mit überdimensionierten Träumen. Flausen im Kopf, wie man das nannte. Meine Familie hatte keine Beziehungen irgendwohin und mit Fernsehen schon gar nichts am Hut. Meine alleinerziehende Mutter rackerte sich ab, um meinen Bruder und mich über Wasser zu halten, und versuchte, uns so gut sie konnte unsere Wünsche zu erfüllen, aber das Geld war immer knapp.

Also begann ich schon mit zwölf Jahren, an den Wochenenden zu arbeiten. Vom Toiletten- und Fensterputzen im Bürokomplex übers BH-Verkaufen auf dem Wochenmarkt bis hin zum Zeitungaustragen: Es war alles dabei. Meine Ferien verbrachte ich auf einem Recyclinghof, wo ich an einem Fließband tote Katzen und volle Babywindeln händisch vom Altpapier trennte. Ein paar Jahre später, etwa mit siebzehn, kam ein Nebenjob hinzu, den ich weit aufregender fand: Ich begann kleine Straßenfeste und Events zu moderieren. Und wenn es nur eine Tombola war. Gab es irgendwo auch nur die unscheinbarste Gelegenheit, eine Bühne zu betreten: Ich war da!

Die Schule lief so nebenbei – sobald ich mein Abi mit neunzehn in der Tasche haben würde, wäre ich weg aus meiner beschaulichen Ostseeheimat! Mir war klar, dass ich mit meinem Traum vom Fernsehen in Wismar nicht weit kommen würde. Trotzdem schrieb ich mich nach dem Abschluss in meiner ostdeutschen Kleinstadt für ein BWL-Studium ein. Wohl eine Art Übersprungshandlung. Mein Ziel war in Wirklichkeit Hamburg. Die Medienstadt war nur etwa anderthalb bis zwei Stunden mit dem Auto entfernt und erschien mir perfekt für meinen Karrierestart. Die Frage war nur: Wie könnte ich dort möglichst schnell landen? Die Gelegenheit sollte sich bald ergeben.

Ich war schon ein paar Jahre zuvor in meiner Stammdisco gefragt worden, ob ich nicht Lust hätte, meine unermüdliche Tanzlaune professionell zu nutzen und das Discopublikum in Partystimmung zu bringen. Ich war immer die Erste und Letzte auf der Tanzfläche. Ich liebte es, tanzte manchmal stundenlang durch, wenn die Musik für mich passte. Das Angebot, dafür bezahlt zu werden, war geradezu genial. Von da an tanzte ich also auf Boxen, Bühnen und Podesten und verdiente mit dem, was mir Spaß machte, gutes Geld neben der Schule. Ich wuchs da einfach so rein und konnte obendrein mein handwerkliches Talent an der Nähmaschine meiner Mutter ausleben: Oft saß ich tage- und nächtelang, schneiderte, nähte, klebte, bastelte mir aufwendige Showkostüme für meine Auftritte.

Eines Abends, kurz nach meinem Schulabschluss, sprach mich eine junge Frau in meiner Disco an: Ob ich nicht auch in Hamburger Clubs tanzen wolle? Ich sagte sofort zu.

Hätte ich schon damals gewusst, dass ich eines Tages als Moderatorin in den Nachrichten landen würde: Ich hätte es trotzdem getan. Ich mochte es. Und stand dazu. Auch wenn mich dieser Nebenjob später jahrelang verfolgen sollte.

Zunächst brachte er mich aber in meine Traumstadt. Mein BWL-Studium lief nur noch nebenher, wenn ich in meiner alten Heimat war, und irgendwann ließ ich es ganz sein.

Stattdessen landete ich nach einer Disconacht in Hamburg beim Casting für eine Band, die eine große Blondine suchte: Fun Factory – Next Generation. Die Band Fun Factory hatte ein paar Jahre zuvor, Mitte der Neunziger, mehrere Chartplatzierungen gehabt und war mit ihrem Euro-Dance-Pop ziemlich erfolgreich gewesen. Nach ihrer Auflösung 1997 wollte der Produzent nun ein Jahr später noch die eine oder andere Mark machen und suchte eine neue Besetzung. Drei neue Sänger und Rapper waren bereits am Start, ich sollte die große singende Blondine werden. Und Gott, war ich groß: Immer Plateauschuhe an, die damals heftig hoch waren, kam ich auf gut 1,90 Meter – mit langen blondierten Haaren fast bis zum Hintern. Meinen ersten Auftritt mit der Band in einem hautengen, knielangen schwarzen Pannesamtkleid werde ich nie vergessen. Wie aufgeregt ich war! Aber ich hatte keine Angst, im Gegenteil, es war ein großartiger Nervenkitzel und ich genoss ihn. Auf einer kleinen Bühne mit wenigen Hundert Zuschauer*innen ging es los, aber das sollte sich bald ändern. Irgendwann reisten wir durch die Welt. Waren mehrfach in Japan, wo unser Album in den Charts landete, und tourten durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und Osteuropa. Gut vier Jahre ging das so. Ein Highlight war ein Auftritt auf einem Festival in Arad, Rumänien, vor 40 000 Zuschauer*innen. Sie konnten unsere Texte mitsingen und feierten uns wie wild. Es war beeindruckend und ein wahnsinnig tolles Gefühl, da oben auf der Bühne zu stehen. Nach der Show wurden wir von Soldat*innen vom Gelände eskortiert, sonst hätten uns die Fans überrannt.

Der einzige Haken an der Sache für mich: Ich durfte nur bei den Liveshows singen. Die Studioaufnahmen kamen von der späteren Ehefrau des Produzenten. Sollte unser Projekt ein Erfolg werden, wäre ich durch sie ersetzt worden. Davon sollte natürlich niemand etwas erfahren, und ich musste so tun, als wäre ich es, die auf dem Album gesungen hätte. Auch wenn ich trotzdem mein Ding machte: Es nagte an mir. Ich hasste es, das Publikum und unsere Interviewpartner*innen anlügen zu müssen. Und dennoch war es eine fantastische Zeit, in der wir als Band die Welt kennenlernten und wie Stars gehypt wurden. Und für mich war es die Chance, Publikumserfahrung zu sammeln für mein späteres Ziel, Moderatorin zu werden.

Aber wie sollte ich von der Euro-Dance-Band zum Fernsehen kommen? Noch lag die Fernsehkarriere in weiter Ferne. Es war ein Promotionjob, der mich ihr näher brachte:

Ausgestattet mit einem Hut, der aussah wie eine gigantische Sushirolle, und einem übergroßen Mantel aus Kuhfellimitat war ich zusammen mit einer Freundin als Promoterin bei einem Tennisturnier am Hamburger Rothenbaum im Einsatz. Wir sollten auf ein neues Restaurant aufmerksam machen. Ich nutzte die Gelegenheit direkt für mich und sprach ein Kamerateam vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen an: „Ich will Moderatorin werden, was muss ich tun?“ Sie schickten mich zu einem Team vom Privatfernsehen, das auch mit vor Ort war. Die Kolleg*innen waren glücklicherweise offen für meine Frage und luden mich ein, mich hier an Ort und Stelle vor laufender Kamera vorzustellen.

Und tatsächlich folgten nicht viel später ein Casting und ein Praktikum beim privaten Regionalfernsehen. Aber der Moderationsjob: Fehlanzeige. Der war noch nicht drin. Der damalige Geschäftsführer und Programmleiter sagte augenzwinkernd, ich hätte Talent, aber ich müsse, so wörtlich, „noch auf die Weide“. Eine Formulierung, die ich nie vergessen habe. Diese Feststellung hatte zum Glück nichts mit dem Kuhmantel zu tun, den ich im Bewerbungsvideo getragen hatte. Der Mann meinte ganz einfach, ich müsse noch viel üben, das Handwerk erst mal lernen. Es blieb nicht sein letzter wichtiger Hinweis. Später wurde er für mich zu einem Mentor, den ich immer um Rat fragen konnte und dem ich mich noch heute verbunden fühle.

Also ab auf die Weide mit mir! In diesem Fall war das eine renommierte private Schauspielschule. Hals über Kopf bewarb ich mich kurz vor den letzten Terminen für ein Vorsprechen und bekam prompt einen der begehrten Ausbildungsplätze. Während des Studiums tanzte ich wieder nebenbei, trat mit der Band auf, kellnerte und arbeitete als Promoterin, um mir die Ausbildung zu finanzieren. Ich hatte gut zu tun.

Nicht nur deshalb waren die insgesamt drei Jahre Ausbildung hart. Ich musste viel einstecken, denn hier wurde niemand geschont. Im Gegenteil: Die Kritik der Schauspiellehrkräfte war unerbittlich, manchmal niederschmetternd. Es ging darum, die Schale unserer Persönlichkeit zu knacken, Eitelkeiten und Oberflächlichkeiten abzusprengen, um auf unseren wahren Kern zu stoßen. Erst dann würden wir authentisch sein und die jeweilige Rolle wahrhaftig erfühlen und ausfüllen können, um überzeugend zu spielen. Auch meine Sprechstimme veränderte sich durch diese Arbeit. War sie früher oft hoch und piepsig – das war immer wieder ein Kritikpunkt –, klang sie später voll, entspannt und warm, auch unter Anspannung.

Bei all den wertvollen Lernerfahrungen war es auch eine tränenreiche Zeit. Aus so manch tiefem Loch, in das ich in dieser Zeit fiel, musste ich mich sehr mühsam wieder herausarbeiten – ich fühlte mich schutzlos, extrem verletzbar, und doch setzte ich meine lädierten Einzelteile immer wieder neu zusammen. Und lernte viel über mich.

Die Schauspielausbildung ermöglichte es mir, viel mehr in meine Mitte zu kommen, als ich es je zuvor gewesen war. Ich lernte, sensibler auf das, was um mich herum passierte, zu schauen und auch im Umgang mit mir selbst aufmerksamer zu sein und meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen. All das tat mir gut und bestärkte mich, weiter voranzugehen und mich nicht von meinem Weg abbringen zu lassen. Denn ich wusste nun mehr denn je, was ich wollte und wohin.

Heute denke ich, dass dies vielleicht die beste Vorbereitung auf das war, was eines Tages gefragt sein sollte: mit Druck, harscher Kritik und Selbstzweifeln umgehen, sodass es mich nicht komplett umhaut.

Denn, machen wir uns nichts vor, als Schauspieler*in auf der Bühne oder im Fernsehen oder etwa als Moderator*in vor der Kamera zu stehen, ist für viele ein Traumjob – und auch wenn er das durchaus sein kann, plötzlich bist du auch wahnsinnig angreifbar.

Auf einmal hat jede*r eine Meinung zu dir und glaubt, über dich urteilen zu dürfen. Ob es um die Frisur, die Klamotten, deine Persönlichkeit oder die Inhalte geht, für die du stehst. Durch Social Media ist es noch dramatischer geworden. Alle können heute ihren Senf dazugeben. Und oft ist das alles andere als freundlich.

Das musst du aushalten können. Ich war mir dessen überhaupt nicht bewusst, als ich damals ins Business einstieg. Unter anderem deswegen waren die Prozesse, die ich in der Schauspielschule durchlaufen habe, sehr wichtig und hilfreich für mich.

Dank meiner Entwicklung durch die Ausbildung und durch die Erfahrungen bei mehreren Castings hatte ich irgendwann begriffen, worauf es ankam. Es war ein herausfordernder Weg, aber endlich hatte ich verstanden, was ich zuvor immer wieder zu hören bekommen hatte: „Du musst das, was du moderierst, auch fühlen. Mit dem Inhalt verbunden sein. Wenn du dich vor die Kamera stellst, dann lässt du die Maske fallen. Du musst echt sein.“

Ich nahm meinen Mut zusammen, rief noch einmal bei dem Mann an, der mich auf die Weide geschickt hatte, und bat nach drei Jahren und bereits zwei gescheiterten Versuchen bei seinem Sender um einen weiteren Termin. Ich absolvierte ein Casting als Wetterfee und durfte mich auch als Moderatorin des Regionalmagazins versuchen.

Und tatsächlich: Ein paar Wochen später bekam ich endlich den lang ersehnten Job beim Regionalfernsehen und sogar die Moderationsstelle des Magazins für Hamburg! Statt dem Angebot als freie Moderatorin zu folgen, bat ich um eine Ausbildung, ein Volontariat. Es gab weniger Geld, aber ich wollte den Job von der Pike auf lernen. Es sollte sich später als Vorteil herausstellen, denn ohne ein Volontariat in der Tasche hätte ich den großen Newsjob nicht bekommen.

Von den zwei Volontariatsjahren mit Schwerpunkt Moderation moderierte ich etwa anderthalb Jahre. Ich lernte mit Sprech- und Moderationstrainer*innen, wie ich mich vor der Kamera am besten verhalte. Sie zeigten mir, wie ich unter großer Anspannung locker wirke und fehlerfrei sprechen kann. Wie ich richtig betone, gucke und mich am besten bewege. Ich lernte, auch mit den größten Stresssituationen umzugehen, zum Beispiel live on air, wenn Pannen oder Missgeschicke passierten.

Meine Schauspielausbildung und meine Auftrittserfahrung auf zahlreichen Bühnen kamen mir dabei enorm zugute.

Den Rest der Zeit wollte ich unbedingt lernen, Magazinbeiträge zu erstellen, selbst zu drehen und zu recherchieren. Es war in dem Umfang damals nicht unbedingt notwendig, aber ich wollte so viel wie möglich mitnehmen, um auf den nächsten Schritt vorbereitet zu sein. Selbst wenn ich nicht genau wusste, wie der aussehen würde, meine innere Stimme sagte mir: „Du musst nach Köln. Du musst ins nationale Programm. Unbedingt.“ Das war es, wofür ich brannte. Ich wollte unbedingt weiterkommen, in die Unterhaltung gehen, eine eigene Abendsendung moderieren. Und ich hatte keine Zweifel daran, dass ich das auch schaffen würde.

Auch in diesem Fall ergriff ich die Chancen, die sich mir boten. Als eine der letzten Stationen meines Volontariats verbrachte ich vier Wochen bei einem Nachrichtensender in Köln und stieg nach dem Abschluss als Nachtredakteurin dort ein. Auch wenn Nachrichten nie das waren, was ich wirklich wollte, war es ein Glücksgefühl, endlich den Fuß in der Tür zu haben. Ein anderer Weg tat sich gerade auch nicht auf.

Achtzehn Nachtschichten im Monat waren irgendwann normal für mich, und das war okay so, ich nahm an, was auf mich zukam.

Meinen damaligen Chefredakteur ließ ich zur Sicherheit jedoch wissen: „Ich möchte unbedingt moderieren. Ein Magazin. Bloß nicht die Nachrichten.“ Bei diesem Sender war vieles möglich, von Magazinen über Talks bis zur seriösen Newssendung. Möglicherweise hätte ich besser aufpassen sollen, was ich mir auf welche Weise wünsche. Denn es lief wie mit dem blauen Elefanten: Wenn es heißt, denke nicht an einen blauen Elefanten, tun wir genau das. Meinem Chefredakteur schien es genauso zu gehen. Nur dass der blaue Elefant in diesem Fall ich war – als Moderatorin in seinem Nachrichtenstudio.

Auch er sah mich zumindest anfänglich noch „nicht in den Nachrichten“! Am Ende saß ich genau dort. Ich bekam den Job als Moderatorin der Morgennews.

Ein Job in der Unterhaltung schien damit vorerst in weite Ferne gerückt. Wie hätte ich da auch hinkommen sollen? Was mir nicht klar war: Einmal in der Schublade, immer in der Schublade. Das Fernsehen folgt dieser Formel wie einem Naturgesetz. Es würde noch Jahre dauern, bis man mir eine unterhaltsamere Sendung anbot.

Gleichzeitig saß ich in dieser Schublade – ohne sie als solche zu erkennen – sehr gut. Es war großartig. Ich war Moderatorin und liebte es. Ich fühlte mich richtig und wichtig und kämpfte fleißig um die Anerkennung der „alten Hasen“ in der Redaktion. Meine Newssendungen moderierte ich mit der nötigen Seriosität, Hintergrundwissen eignete ich mir nebenher nachts an, und da, wo ich konnte, in Überleitungen, bei bunten Themen, in leichteren Talks, lebte ich mein Unterhaltungstalent aus.

Ich hatte denAnspruch, immerperfekt abzuliefern…

Ich war immer gut vorbereitet und zur Stelle, wenn man mich im Sender brauchte, egal wofür. Ich arbeitete jeden Tag morgens in der Frühschicht. Oft auch am Wochenende. Moderierte die ersten Sendungen von 6 bis 8 Uhr, arbeitete danach weiter als Redakteurin für den Rest des Arbeitstages. 3:30 aufstehen, 4:30 im Sender, 13:30 Feierabend. Und zu Hause ging es weiter. Ich wollte mich akribisch auf den nächsten Tag vorbereiten, fräste und bohrte mich hinein in die Themen, mit denen ich mich bisher kaum beschäftigt hatte. Das tat ich allerdings weniger, weil es meinen wahren Interessen entsprach. Ich wollte einfach richtig gut werden, kompetent rüberkommen und mich dabei wohlfühlen. Nur so konnte ich dabei auch Spaß haben. Ich hatte den Anspruch, immer perfekt abzuliefern und eine sichere Bank vor der Kamera zu sein. Und das gelang mir auch.

Privatleben? Das war mir nicht so wichtig und lief eher nebenbei. Freundinnen traf ich kaum. Hatte ich in Köln auch noch nicht wirklich. Ich war schließlich neu in der Stadt und meistens mit der Arbeit beschäftigt. Einen Freund gab es allerdings. Wir sahen uns jedoch eher am Wochenende.

Er hatte wenig Verständnis dafür, dass ich mich von der einstigen „Tanzmaus“ zur Früh-ins-Bett-Geherin entwickelt hatte und mein Drang, mir die Nächte um die Ohren zu schlagen, gegen null ging.

Ich wollte vorankommen, Karriere machen. Ich war hungrig nach Erfolg.

In diese Zeit fiel die Anfrage zu einem großen Casting. Ursprünglich hieß es, dass eine neue Moderatorin für das Morgenprogramm des Schwestersenders gesucht werde. Ich witterte meine Chance. Da wäre sie doch noch, die unterhaltsame Abwechslung! Ein Mix aus Talks, seriösen und bunten Themen, Ernsthaftigkeit und Unterhaltung. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen.

Kurz vor dem Termin stellte sich heraus, dass es um eine ganz andere Sendung ging. Um das Flaggschiff des Senders: die Nachrichten. Dennoch ging ich hin. Es war fast schon eine Ehre, überhaupt zum Casting ausgewählt worden zu sein. Mehrere potenzielle Kandidatinnen waren geladen … Ich war unfassbar aufgeregt, hatte nasse Hände, inneres Zittern, einen Herzschlag, den alle hätten hören müssen. Aber: Ich schaffte es, kam in die zweite Runde. Meine Haare, mein Make-up sollten dafür noch mal verändert werden. Ich ließ alles mit mir machen, auch wenn das Styling nicht meinen persönlichen Vorlieben entsprach. Das gehörte eben dazu und ich würde mich sicher entwickeln können. In mir wuchs die Hoffnung, diese große Sendung bald moderieren zu dürfen. Mein Traum von der Unterhaltung? Ach, egal! Wer vergibt so eine Chance? Ich jedenfalls nicht.

Und es lohnte sich: Tatsächlich bekam ich die Stelle. Ich war unendlich stolz auf mich, so weit gekommen zu sein. Ein einmaliges Gefühl.

Und dann saß ich da, im Newsstudio in Köln, in der bekanntesten Nachrichtensendung des Privatfernsehens. Es muss der 5. Januar 2008 gewesen sein. Ich war 29 Jahre alt und durfte das erste Mal als Wochenendvertretung auf dem Stuhl des deutschlandweit bekannten und beliebten Anchors der Sendung sitzen und durch die Nachrichten führen. Was für ein Riesending!!! Ich hätte ausflippen können vor Freude! Ich hatte so hart dafür gearbeitet, hierhin zu kommen, und ich genoss den Sieg. Ich liebte diesen unfassbaren Adrenalinkick, der mich schon seit Tagen permanent wie ein Duracell-Häschen auf den Beinen hielt, mich stark und sicher fühlen ließ, obwohl mir unter dem Tisch die Knie schlotterten. Meine Stimme war fest und klar, der Blick entschlossen, meine Mimik kontrolliert und der Situation entsprechend.

Ein riesiger Triumph! Nur wenige hatten bis dato wirklich an mich geglaubt und daran, dass ich diesen Traum wahr machen würde. Mein bisheriger Moderationsjob war toll, das hier aber war der Ritterschlag! Ich fühlte mich stark und erfolgreich – ich hatte es allen gezeigt.

ERSTE ZWEIFEL — DER WEG IN DIE ANGST

Es ist müßig, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn … Das Leben läuft nun mal oft nicht so, dass Zeit genug ist abzuwägen. Türen gehen auf, und du musst dich manchmal schnell entscheiden, ob du durchgehst oder nicht, ohne dass du die Konsequenzen absehen kannst.

Aber was macht es mit dir, wenn du einen Weg eingeschlagen hast, der ganz knapp an dem Ziel vorbeiführt, das du eigentlich erreichen wolltest? Wenn dir das tatsächlich Erwünschte und Erhoffte die ganze Zeit weiter vor Augen ist, wie eine Karotte, die dem Esel vor der Nase baumelt? Dann gehst du vermutlich weiter, weil der ganz große Traum so greifbar nah ist.