Liebesverrückt - Lena Einhorn - E-Book

Liebesverrückt E-Book

Lena Einhorn

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Beschreibung

Ich dachte, ich kenne Greta Garbo … 33 Briefe waren ihr wertvollster Schatz – Mimi Pollak trug sie ein Leben lang in ihrer Handtasche bei sich. Briefe, die ihr Greta Garbo geschrieben hatte. Der Briefwechsel der beiden beginnt zu einer Zeit, als die Garbo noch Greta Lovisa Gustafsson heißt und auf die Schauspielschule in Stockholm geht. Dort lernt sie Mimi kennen und lieben, eine Freundschaft, aus der bald mehr wird. Sie sollte die nächsten turbulenten Jahrzehnte überdauern. Lena Einhorn erzählt in dieser Romanbiografie anschaulich und mitreißend von diesen prägenden Jahren im Leben der jungen Garbo – von einer Zeit, die sie später als die glücklichste in ihrem Leben bezeichnen sollte.

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Seitenzahl: 464

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Die Originalausgabe erschien 2013 unter

dem Titel »Blekingegatan 32« bei Norstedts.

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook:

2014 LangenMüller in der

F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Published by agreement with Hedlund Agency.

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: atelier-sanna, München

Umschlagmotiv: Interfoto/Mary Evans

Satz und eBook-Produktion:

Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

www.Buch-Werkstatt.de

ISBN 978-3-7844-8196-8

Zum Andenken

an Halina Lis-Himelfarb

»Greta! Greta!«

Sie schaut aufs Meer, blinzelt in die Sonne. Er steht am Ufer und blickt in ihre Richtung. Sie kann nur die Konturen seiner charakteristischen Frisur und seines drahtigen Körpers mit den langen Beinen erkennen. Jetzt winkt er ihr zu, sie soll ebenfalls zum Meer kommen und mit ihm hineinspringen.

Sie lacht und schüttelt den Kopf.

Aber natürlich gibt er nicht klein bei. Er gibt nie klein bei, das ist das Fantastische.

Sie erhebt sich von der Treppe, legt das Skript beiseite, zieht die Bluse aus und rennt auf dem weichen, warmen Sand an ihm vorbei ins Meer.

Sie läuft schneller als er, viel, viel schneller. Dann taucht sie Kopf voran ins Wasser.

Sobald er sie außer Atem eingeholt hat, nimmt er ihren nassen Kopf in seine großen Hände und betrachtet sie lange. Er sieht ihr nicht in die Augen und nicht in sie hinein. Er betrachtet sie, wie man ein großartiges Kunstwerk betrachtet.

»Greta«, sagt er und jetzt sieht er in sie hinein. »Ich werde dir die Welt zu Füßen legen.«

1

Eine Glocke läutet leise, so leise, dass sie beim besten Willen niemanden stören könnte. Sie dreht sich auf die Seite und kneift die Augen zusammen. Es ist die Allerheiligenkirche, sechs Schläge. Nicht jetzt, noch nicht, sie soll mindestens noch eine Viertelstunde haben, sie hat ein Recht darauf.

»Halt die Schnauze, du Balg!«, klingt es von oben.

Sie stöhnt leise. Es waren … nicht die Kirchenglocken.

Jetzt sind die schwankenden Schritte des Nachbarn von oben zu hören. Herrgott! Warum kann er seinen Rausch nicht einfach ausschlafen? Sie will nicht, kann es dann aber doch nicht lassen. Sie muss lauschen. Weil die schlimmsten Geräusche durch die Decke kaum zu hören sind. Wenn es wirklich gefährlich wird, ist es oft beunruhigend still. Aber jetzt entfernen sich die Schritte. Sie seufzt erleichtert auf. Dann schaut sie sich im Zimmer um. Das Sonnenlicht strömt durch die dünnen Gardinen und erleuchtet den Rahmen des Porträts auf der Kommode. Wäre jetzt Sonntag, dann sähe alles ganz anderes aus. Fjäderholmarna? Skansen? Ein Ort, wo sie ihre Ruhe hätte.

Aber es ist nicht Sonntag. Es ist fast nie Sonntag.

Von der anderen Seite des ausziehbaren Bettes sind ruhige, leise Atemzüge zu hören. Alva kommt mit allem zurecht, selbst wenn sie schläft. Alva lauscht nicht auf den Nachbarn über ihnen, das hat sie in ihrem siebzehnjährigen Leben noch nie getan.

Jetzt rumpelt es im Nebenraum, in der Küche. Bald ist es mit ihrer Ruhe endgültig vorbei.

»Kata!«

Eins, zwei, drei, vier …

»Kata!«

Eins, zwei, drei …

»Kata, nicht schon wieder!«

Neben ihr regt sich etwas.

»Wir kommen, Mama, Kata und ich, wir kommen gleich.«

Ein leises Schimpfen ist jenseits der Tür zu vernehmen. Eine Hand streckt sich ihr entgegen und streicht ihr über die Wange.

»Kata, du musst aufstehen.«

Mamas verlängerter Arm. Nein, das war ungerecht.

Sie stellt sich schlafend.

Alva zieht den Morgenmantel an, der einmal Papa gehört hat, steht auf und verlässt das Zimmer.

Jetzt ist sie allein, und es ist plötzlich vollkommen still.

Einen kurzen Augenblick.

»Greta Gustafsson! Du kommst nicht noch einmal zu spät zur Arbeit, nicht noch einmal!«

2

Jede junge Frau in ihrer Situation hätte ihrem Glücksstern gedankt. Jedes Mädchen aus ihrem Viertel wäre selig gewesen, wenn sich ihr eine solche Chance geboten hätte.

Sie jedoch nicht. Und sie wusste nicht einmal, weshalb. Irgendwie hing das mit ihrer Grundstimmung zusammen. Ihrem unglücklichen Naturell. Denn wie ließe sich sonst erklären, dass es nicht genügte? Obwohl es gut war, genügte es ihr nicht. Nicht einmal annäherungsweise.

Man musste dankbar sein, dass gewisse Aspekte dies aufwogen.

Sie strich mit der Hand über die Schachtel. Zwei Mal. Eine perfekte Wölbung mit einer filzartigen Oberfläche. Der Preiszettel hing an einem Faden. Darauf stand achtundzwanzig Kronen. Fast ein ganzer Wochenlohn! Sie musste lächeln. Hutschachtel oder Essen und Miete? Hutschachtel natürlich, wenn sie es sich hätte aussuchen dürfen. Nein, nicht die Hutschachtel. Hutschachtel war Eitelkeit. Leere, sinnlose Eitelkeit, die eigentlich nur deprimierte. Natürlich durfte man sich um sein Aussehen bemühen, aber sinnlose Eitelkeit war schlimmer als Ratten im Treppenhaus. Ratten haben wenigstens ein Ziel, ein wichtiges. Das kann man respektieren.

»Entschuldigen Sie, was kostet der?«

Sie blickt auf. Eine Dame mittleren Alters, ganz sicher aus Östermalm. Ihr Blick passt zu ihrem überheblichen Tonfall.

Sie richtet sich sofort auf und ist dadurch fast zehn Zentimeter größer als die Kundin. Sie sieht ihr direkt in die Augen und wartet eine Sekunde.

»Das ist ein ganz neues Modell, das unsere Hutmacherin ›Margit‹ nennt.« Ihre Stimme ist fest, ruhig und außerordentlich sachlich. »Er ist aus Lisérégeflecht gefertigt und in marineblau und beige, braun und beige, rosa und beige, grün und beige sowie rostrot und beige erhältlich.«

Jetzt wird es still. Hängt im rechten Augenwinkel der Kundin etwa abgebröckelte Wimperntusche? Außerdem hat sie einen Teil der linken Wimpern vergessen. Den Blick nicht abwenden …

»Ich verstehe …« Die Überheblichkeit der Dame ist wie weggeblasen. »Und was kostet er?« Jetzt klingt sie geradezu schüchtern.

»Achtzehn Kronen. Das ist einer unserer preiswertesten Hüte.«

Sie erkennt aus dem Augenwinkel, dass ihre Vorgesetzte, Frau Hellberg, zuschaut. Frau Hellberg sieht zufrieden aus.

Wo hat sie das nur gelernt? Woher weiß sie das? Wer alles über sie weiß, kann das vielleicht als Scharade, als Schauspiel sehen. Eine Rolle, die eine Fünfzehnjährige vor dem Spiegel geübt hat. Eine Person, die nur so tut. Aber so ist es nicht, nicht ganz. Sie tut nicht so, als ob, sie zeigt nur nicht immer alles. Das geschieht ihr tatsächlich nur äußerst selten.

Und im Warenhaus Paul U. Bergström A.B., im Volksmund PUB genannt, weiß man die Stilsicherheit und den routinierten Umgang der Verkäuferin Greta Gustafsson mit den Kunden sehr zu schätzen.

Sie ist eine ausgezeichnete Verkäuferin. Aber das hilft nichts.

3

Es hatte zwei Orte gegeben, die sehr lange geholfen hatten. Zwei rettende Engel, falls Orte Engel sein können.

Das Freilichtmuseum Skansen mit seinen historischen Gebäuden war als Erstes gekommen. Das war zu einer Zeit gewesen, als sie noch nichts mitzureden gehabt hatte, da sie jeden Tag in dem großen Kasten am Nytorget eingesperrt gewesen war. Dorthin hatten sie sie gebracht, als sie sieben gewesen war. Das Grauenvolle und gleichzeitig Fantasielose. Dieser hässliche Riesenkasten war irgendwie der Inbegriff dessen, was sie mit ihr machten, was sie mit ihr vorhatten. Sie hatte jeden Tag die Minuten gezählt und nicht begreifen können, warum es sie interessieren sollte, wie viele Liter durch einen Wasserhahn liefen oder warum ihre Sprache in kleine, seelenlose Skelettfragmente zerteilt werden musste, und sie war vollkommen außerstande zu verstehen, was sie mit den gleichaltrigen Personen gemeinsam hatte, die sie umgaben und die sich vollkommen reibungslos an die Ordnung der Dinge, von der sie nicht das Geringste begriff, anzupassen schienen. Wenn das Leben nur darauf hinauslief, zu beschreiben, zu organisieren und zu erklären, dann verstand sie nicht, wozu das Leben gut sein sollte. Das Schlimmste war, dass sogar das Spielen an diesem unerfreulichen Ort Regeln unterworfen werden sollte. Es graute ihr vor den Pausen. Sie fand es unerträglich, auf Befehl eine gewisse Anzahl Minuten ausgelassen zu sein. Sie fand es unerträglich, dass man von ihr erwartete, dass sie sich in einem Augenblick öffnete, im nächsten amüsierte und dann ganz hibbelig war, um diese Impulse dann ebenso schnell wieder abzuschalten. Diejenigen, die um sie herum lebten, die in ihrem Alter waren und deshalb und aufgrund einer gewissen geografischen Nähe in dieselbe Einrichtung geraten waren wie sie, schienen hingegen bereits auf dem Weg zum Schulhof auf den Murmelspielmodus, den Springseilmodus oder den Klatschmodus umgeschaltet zu haben. Sie fand es unerträglich.

Oder vielleicht war es ihre eigene Schüchternheit, die sie nicht ertrug.

Aber wie jemand, der sich nach etwas so stark sehnt und plötzlich und unerklärlich das Objekt seiner Liebe findet, hatte sie die Lösung entdeckt. Und es war in der Tat die verhasste Schule gewesen, die ihr diese Lösung beschert hatte. Es begann mit der Aufforderung, das Buch Selma Lagerlöfs über den Jungen zu lesen, der auf einem Gänserücken über ganz Schweden hinwegflog und alles über die Städte, Bauwerke und Landschaften wusste. Sie schlug das Buch gehorsam auf (denn gehorsam war sie), und während die anderen in dem dicken Wälzer lasen, ließ sie wie immer ihre Gedanken schweifen, wobei sie gleichzeitig trotzdem Fragmente des Texts aufnahm. Aber dann, plötzlich, entdeckte sie etwas, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Dieser Junge, der im Buch, Nils Holgersson, der fesselte sie. Ja, ihn konnte sie verstehen! So zu schweben, weit über der Erde, weit über den Köpfen aller Menschen … Alles mit Abstand zu sehen … Das einzige Lebewesen im All zu sein, der Junge und sein treuer Gänserich. Sich einfach wegträumen zu dürfen. Ja …

Am Ende der Stunde erklärte Fräulein Rosenqvist, dass sie genau jetzt in diesem Buch lasen, weil die Schriftstellerin darin vom Skansen erzählte, »dem großen Park am Stockholmer Stadtrand, in dem man so viel Merkwürdiges zusammengetragen hat«. Skansen entsprach außerdem in gewisser Weise der Reise Nils Holgerssons, nur halt auf einen einzigen Ort konzentriert: Straßen und Häuser aus allen Teilen des Landes, Bauernhöfe, Marktstände und Fabriken, das meiste aus vergangenen Zeiten. Die Lektüre dieses Buches, sagte die Lehrerin, solle auf den Besuch jenes Ortes vorbereiten. Vorbereiten, dachte Greta, damit einem nicht dieses Fürchterliche widerfuhr: überrascht zu werden! Aber dieses Mal überlistete sie alle. Sie las das dicke Buch nicht, um etwas zu lernen. Sie wurde Nils Holgersson, der Junge, der hoch über dem Land schwebte und flog, wohin es ihm beliebte, ohne dass ihn jemand aufhalten konnte.

Dann kam der Tag, an dem sie diesen Park besuchen sollten. Es war früh am Morgen, Herbst, fast schon Winter. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und etliche Laternen auf der Katarina Bangatan brannten noch, als sie sich in einer langen Zweierreihe vor Fräulein Rosenqvist auf dem Schulhof aufstellten. Greta fröstelte, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Sie hatte rasch ihren Platz neben Lisa, der einzigen Klassenkameradin, mit der sie sich überhaupt unterhalten mochte, eingenommen. Oder genauer gesagt, die einzige, die nicht von ihr erwartete, dass sich Greta mit ihr unterhielt. Dann erhielten sie die Anweisung, sich in Bewegung zu setzen. In einer langen, geordneten Zweierreihe überquerten sie den Nytorget, folgten dann der Skånegatan Richtung Renstiernas Gata und anschließend den steilen Katarinavägen hinunter. Die Kirchendächer funkelten bereits, das Wasser aber noch nicht, als sie den hohen Södermalms Berg zur Gamla Stan hinunterwanderten. Zur Altstadt, mit ihren vielen Dächern und den scheinbar zufällig verteilten Turmspitzen, die dem Himmel entgegenstrebten, aber trotzdem nicht zu ihnen auf den Berg zu gelangen vermochten. Eins, zwei, eins, zwei, marschierten sie wie eine kleine Armee.

Unten auf der Räntmästartrappan, an der die Djurgårds-Fähren nebeneinander im Morgendunkel lagen, wehte es ungemütlich.

»Die Mädchen zuerst«, rief Fräulein Rosenqvist. Die Mädchen zuerst, weil sie nie so warm gekleidet waren wie die Jungen und außerdem so unerhört viel fragiler waren.

Sie balancierte über die Gangway auf das kleine Boot zu. »Djurgården 4« stand mit großen Buchstaben auf der Seite. Dann war sie an Bord und betrachtete die langen lackierten Holzbänke an den Seiten. Vielleicht bahnte sich bereits bei diesem Anblick etwas an, denn sie waren wie im Theater angeordnet. Und sobald die Fähre vom Kai ablegte, verstand sie, dass sie sich in ein großes Abenteuer begab. Hinaus auf das große Meer, einem fremden Strand entgegen.

Das Märchenland tat sich innerhalb eines Augenblicks vor ihr auf. Denn verreisen kann man auf vielerlei Weise. Man kann an andere Orte und in andere Welten reisen, aber auch in andere Zeiten. Zumindest in der Fantasie. Und hier im Skansen ging das auch in der Wirklichkeit.

Aus der Ferne erblickte sie die Kyrkhultstugan, dicht hinter den Ententeichen. Ein kleiner Bauernhof mit Bienenstöcken davor und Bäumen an jeder Hausecke. Und sie wusste, dass Papa von so einem Haus so oft gesprochen hatte, besonders dann, wenn er ein wenig über den Durst getrunken hatte. Ohne jemals dort gewesen zu sein, hatte sie sich immer nach dem kleinen Holzhaus in Norra Sunhult und in die grüne, hügelige Landschaft, die es umgab, gesehnt. Denn wenn ihr geliebter Papa mit Tränen in den Augen von einem himmlischen Ort weit, weit weg und so fern von jenem Elend, in dem sie jetzt lebten, erzählte, dann sprach er direkt zu ihrer Kinderseele. Es gab ein Paradies – ganz woanders. Jetzt war sie dort. Die Gerüche und Bilder, Menschen aus einer vergangenen Zeit, umgeben von bunten Blumen, und die einfache, unverfälschte Stube mit ihrem Holztisch und den liebevoll gezimmerten Stühlen. Hier gab es keinen Platz für Rechenaufgaben und Beschreibungen. Hier gab es nur Platz für das Leben, das richtige, echte Leben.

So wurde Skansen zu ihrem festen Punkt. Von diesem Tag an suchte sie ihn, so oft es ihr nur möglich war und sie etwas Geld übrig hatte, auf. An Sonntagen, in den Ferien, ja, hin und wieder ging sie sogar nach der Schule dorthin. Einzig problematisch war, dass ihr die Rückkehr in den Alltag mit jedem Mal schwerer fiel. Dann umfing sie stets dieses Grau, das ihr manchmal das Gefühl gab, ersticken zu müssen. Wenn es am schlimmsten war, merkte sie jedoch, dass es half, einfach nur an Skansen zu denken. Auf diese Weise schuf sie ein neues Ausflugsziel: Skansen in ihren Gedanken. Bald kannte sie jedes Haus bis ins kleinste Detail, jeden Baum, jede Heckenrose. Ja, die Gedanken waren ein Segen. Niemand konnte sie ihr rauben.

So sah also ihr Leben in dieser Zeit aus, in dem großen, hässlichen Kasten in Södermalm. Unter ihren Klassenkameraden galt Greta Gustafsson als ein seltsamer Vogel, als ein seltsam anziehendes, aber unnahbares Mädchen, auf das man sich nur selten einen Reim machen konnte.

Aber es gab Augenblicke, in denen dieses Mädchen seine Seele jemandem darbot. Dies geschah ganz besonders dann, wenn jemand aus der Klasse ausgeschimpft wurde oder nachsitzen musste. Dann stand Greta auf dem Korridor und wartete. Und wenn die Klassenkameradin getadelt und am Boden zerstört die Tür des Klassenzimmers hinter sich schloss, stand Greta da und nahm die Ausgeschimpfte in den Arm. So verharrte sie lange, lange, oft mit Tränen in den Augen, und tröstete.

***

Dann starb Papa. Und damit verschwand die letzte Unze erträglichen Daseins. Es geschah nicht schnell und eigentlich auch nicht unerwartet, denn er hatte so lange dahingesiecht. Die Nieren, sagten sie. Aber tot? Wie sollte man sich so etwas vorstellen?

Er hatte nicht einmal auf würdevolle Weise verschwinden dürfen. Sie war dabei gewesen, hatte es gesehen. Sie hatten zusammen in einer langen Reihe gestanden, sie selbst neben ihm.

»Nehmen Sie den Hut ab!«

Er hatte die Frau verwirrt angeschaut. Blaue Bluse mit gestärktem weißem Kragen, blendend weiße Schürze. Die schmutzig grauen Zähne nahmen sich angesichts all dieses Weißes nur noch grauer aus.

Angestrengt hob er die Hand und nahm den Hut ab.

»Entschuldigen Sie …« Die Augen glänzten, ihn fröstelte, obwohl es so warm war.

»Einkommen?«

Sie starrte die widerliche Krankenschwester an. Die so war, wie sie war, weil sie in der Armenklinik arbeitete. Die war, wie sie war, weil sie sich Menschen widmete, die in schlechteren Umständen lebten als sie selbst. Menschen, die ihre Verachtung nicht erwidern konnten.

»Nennen Sie Ihr Einkommen!«, die Krankenschwester hatte die Stimme erhoben.

Papa sah Greta flehend an, aber sie konnte ihm nicht beistehen. Schließlich wusste sie es nicht.

»Ihr Einkommen, Mann!«

Plötzlich schwankte er.

»Aber sehen Sie denn nicht!« Sie hörte den Schrei aus ihrer eigenen Kehle, als käme er von jemand anderem. »Sehen Sie denn nicht! Er stirbt!«

Auf immer, für alle Ewigkeit entschwunden. Nie wieder gegenwärtig. Wie bewältigt man so etwas? Und wer trägt die Schuld? Irgendjemand ist schuld. Irgendjemand oder irgendetwas hatte ihren armen Papa dazu gezwungen, sich abzuarbeiten, ohne ausreichend Kleidung am Leib in Regen und Kälte zu schuften, schwerer zu heben, als es sein schmächtiger Körper vermochte, nie ordentlich auszuruhen, sachte dahinzuschwinden, ja, sich aufzulösen, zu Nichts zu werden, kaum noch ein lebendiges Wesen.

Sie war vierzehn, aber sie trauerte nicht, jedenfalls nicht offen. Diese Demütigung wollte sie ihnen nicht gönnen. Und als Alva und Sven vor den Augen der anderen weinten, wurde sie wütend. Wies sie an, zu schweigen.

Danach gewann das Södra Teatern so ungemein an Bedeutung. Das Södra Teatern war ihr zweiter Ort. Eigentlich gab es ihn schon lange, sogar vor Nils Holgersson und Skansen. Aber es dauerte, bis sie ihn auf gleiche Weise nutzen konnte. Dann allerdings wies das Södra Teatern verglichen mit Skansen einen entscheidenden Vorteil auf. Es bot ihr nicht nur einen Zufluchtsort, es flößte auch Hoffnung ein. Eine sehr vage Hoffnung, gewiss, aber für ein Mädchen, das es gewohnt ist, in Träumen zu leben, kann auch eine vage Hoffnung Wunder wirken.

Das Södra Teatern, das schönste Theater Södermalms.

Genau genommen begann es bereits, als sie von ihrem Vater das Geschenk zu ihrem vierten Geburtstag erhielt. Papa hatte es sich abgespart, ohne Mama davon zu erzählen. In der folgenden Nacht hatte Mama ihn angeschrien. So etwas könnten sie sich nicht leisten. Mama schrie Papa oft an, vor allem nachts, und jedes Mal ging es Greta durch Mark und Bein. So sehr, dass sie manchmal mit den Händen über den Ohren einschlief.

Sie hätte also wegen dieser Wasserfarben ein schlechtes Gewissen haben müssen. Dem war aber nicht so, denn sie wusste, dass Papa sie ihr aus gutem Grund geschenkt hatte. Er hatte ihr nämlich kein Papier gegeben, nur Farben und einen Pinsel. Sie hatte sich unverzüglich auf den Hof hinter dem Schuppen begeben, und dort, hinter dem Gerümpel und den Glasscherben, hatte sie sich mit dem Farbkasten, dem Pinsel, einem Glas Wasser und einem kleinen Spiegel hingesetzt. Dann hatte sie begonnen zu malen, Bilder auf sich, auf die eigene Haut. Häuser und Sonnen, Bäume und Männchen. Danach hatte sie sich die Lippen, die Augenlider und die Wangen bemalt. Und als sie sich im Spiegel betrachtete, sah sie, dass sie sich verändert hatte, sie war nicht mehr Greta. Sie kokettierte und stolzierte. Sie erkannte, dass sie sich von einer Sekunde zur nächsten von einem kleinen Mädchen in einen alten Mann verwandeln konnte. Sie legte das ganze Gesicht in Falten und spürte, dass sie kaum mehr zu gehen vermochte und dass ihre Stimme einen Ton annahm, der noch tiefer war als Papas. Da lachte sie. Wie ausgesprochen begabt sie doch war! Dass musste sie gleich Papa vorführen. Er sah stolz aus, was ihr Freudenschauer verursachte. Ja, manchmal erfüllten sie derartige Gefühle. Wenn Papa froh aussah, richtig glücklich, dann erging es ihr so.

Nach und nach besorgte sie sich Mitschauspieler – Alva und Sven, die große Schwester und der große Bruder. Sie staffierte sie aus und erteilte ihnen Anweisungen. »Du bist der Papa« (sie deutete auf Sven), »du bist die Mama« (sie deutete auf Alva), »und ich bin euer ertrunkenes Kind.« Die beiden hinterfragten sie nie, ihr Wille war so stark, obwohl Sven, der ganze sieben Jahre älter war, bald verschwand und es Alva schwerfiel, jeden Tag mehrere Stunden auf dieses Spiel aufzuwenden, obwohl auch sie es liebte. Wenn Alva keine Zeit hatte, musste Lisa einspringen. Lisa, ihre Klassenkameradin, gehorchte und war mit fast allem, was Greta vorschlug, einverstanden. Dieser Umstand beflügelte Gretas Fantasie und Ideenreichtum. Manchmal begaben sie sich sogar bis zum königlichen Schloss. Und dort schritten sie den Slottsbacken »als Prinzessinnen« auf und ab. Was genau es bedeutete, als Prinzessin herumzugehen, erläuterte Greta nicht näher, reckte sich nur, zog die Brauen hoch und blickte weit, weit in die Ferne, ins Nichts. »Vielleicht erspäht dich ja einer der Prinzen«, erklärte sie.

Ja, Lisa machte da meistens mit. Aber als Greta vorschlug, Svens Kleider anzuziehen und als Jungen verkleidet zum Schuster zwei Straßen weiter zu gehen, genierte sich Lisa.

»Da ist nichts weiter dabei«, antwortete Greta. »Du machst große Schritte und tust, als würde dir die Straße gehören. Dann glauben alle, dass du ein Junge bist. Du bist ein Junge!« Lisa machte also mit, schwieg aber. Und Greta, die mehr redete als sonst (viel mehr als sonst), täuschte alle. Sogar den Schuster, obwohl er sie kannte.

»Ich bin der Jüngste von den Gustafssons.« Es war ihr geglückt, ihre Stimme richtig tief klingen zu lassen. »Und das ist mein Freund.« Dann begann sie zu pfeifen und, die Hände in den Hosentaschen vergraben, herumzuspazieren. Der Schuhmacher lachte, bis er fast keine Luft mehr bekam, denn zu guter Letzt hatte er sie doch erkannt.

Nach diesem Erfolg wollte Greta dieses Sich-als-Junge-verkleiden-Spiel jede Woche spielen und dabei neue Stadtviertel erkunden. Lisa fühlte sich bei diesen Streichen nie richtig wohl, spielte aber trotzdem mit, um mit Greta zusammen sein zu dürfen. Und bei dem, was sich immer anschließend ereignete. Wenn sie auf das Dach des Schuppens kletterten.

»Wir befinden uns auf einem weißen Sandstrand. Lisa, spürst du das?«

Sie waren mithilfe der alten Holzleiter, die an der Wand lehnte, hinaufgeklettert. Dann hatten sie sich so flach auf das Blechdach gelegt, dass niemand sie vom Hof aus sehen konnte.

Am Schluss landeten sie immer hier, auf dem Dach. Jedes Mal.

»Kannst du die Wellen sehen, die an den Strand spülen? Und den Himmel, schau dir den Himmel an, von so klarem Blau! Hörst du die Kapelle? Dort hinten beim Kasino, wie schön das klingt! Die Posaune, wie die trötet.«

Lisa liebte es, Greta zuzuhören. Greta war eine ebenso gute Erzählerin wie Darstellerin. Wenn sie etwas erzählte, konnte Lisa alles bis ins kleinste Detail vor sich sehen. Wenn sie etwas erzählte, war sie anders als in der Schule, nicht im Geringsten schüchtern. Nein, in solchen Stunden konnte Greta ewig lange erzählen.

Und das Södra Teatern? Man konnte sagen, dass das Södra Teatern eine Verlängerung dieses Spiels darstellte, den äußersten Punkt. Nicht, dass sie es sich hätten leisten können, ins Södra Teatern zu gehen, Theaterbesuche waren etwas für eine andere Sorte Mensch. Es war eben einfach da, fast in Reichweite. Und mit etwas Fantasie war da noch mehr. Schon bevor sie in die Schule ging, hatte sich Greta unter dem Vorwand, zum Spielen auf den Hof zu gehen, zum Mosebacke Torg und zum Theater geschlichen. Da man sie schließlich nicht einsperren konnte, gelang ihr dieser Trick hin und wieder. Wenn dann zu Hause entdeckt wurde, dass sie verschwunden war, und Sven oder Papa sich auf die Suche machte und sie zu guter Letzt fand, waren meist ein bis zwei Stunden vergangen. Von der Blekingegatan bis zum Södra Teatern war es weit.

Sie versuchte bis sieben Uhr, wenn die Schauspieler eintrafen, dortzubleiben. Sie postierte sich auf der Veranda, die zum Bühneneingang führte. Dort gingen alle hinein: die Varietékünstler, die Primadonnen, die Komödianten. Niemand hielt sie auf, obwohl sie so klein war. Sie sahen vielleicht nichts unterhalb ihrer eigenen Augenhöhe. Die Schauspieler waren meist gut gekleidet, trugen Pelzmäntel und Anzüge und stolzierten an ihr vorbei, als befänden sie sich bereits auf der Bühne. Manchmal stieg ihr der Duft von Damen-, manchmal auch von Herrenparfüm in die Nase.

Selbst nachdem alle hineingegangen waren, blieb sie stehen, denn sie konnte ihre Stimmen hören. Selbst im Winter blieben die Türen immer etwas offen. Und nicht nur die Stimmen drangen zu ihr ins Freie, auch die Gerüche – Theaterschminke, der Staub des Bühnenbodens, alte Kostüme. Eine einzige berauschende Mischung. Wenn bereits Bilder, Geschichten und Musik in eine andere Welt entführen konnten, dann waren Gerüche in dieser Beziehung unschlagbar. Dieses Erlebnis genießen zu dürfen war jede nachfolgende Schelte wert. Denn sie wusste, dass dies für sie das Reich Gottes war, dies und nichts anderes.

»Fräulein Gustafsson.«

Sie drehte sich rasch um. Frau Hellberg betrachtete sie nachdenklich. Neben ihr stand Herr Bergström, der Chef des PUB-Warenhauses! Greta überlief ein Schauer. Was hatte sie falsch gemacht? Sie machte hastig einen Knicks.

»Was meinen Sie?« Frau Hellberg wandte sich an Herrn Bergström, der Greta mit gerunzelter Stirn betrachtete. »Sie ist immer sehr adrett und ordentlich und hat ja ein nettes Gesicht.«

»Ja …« Herr Bergström sah nachdenklich aus. »Recht groß … Wie alt sind Sie?« Er sprach sie an! Sie schluckte.

»Fünfzehn … fast sechzehn …« Sie würden sie entlassen! Sie war zu jung!

Herr Bergström zog die Brauen hoch.

»Aber die Größe hat doch wohl nichts zu bedeuten, oder?«, warf Frau Hellberg rasch ein.

»Nein … nein … keineswegs.« Er betrachtete Greta schweigend. Dann lächelte er, nickte rasch und ging seiner Wege. Frau Hellberg eilte ihm nach.

So hatte es begonnen. So einfach.

Er starrte auf die Bilder. Sie versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten.

»Moje, glaubst du, dass sie helfen?«

Der Fotograf in der 49th Street hatte sie gebeten, schmachtend auszusehen, schmachtend, gehetzt und verführerisch zugleich. Er hatte sie aufgefordert, wie ein Tier, das auf einen Angriff wartet, die Hand auf den Hals zu legen. Er hatte ihr gesagt, schön zu sein. Obwohl sie nicht ganz verstanden hatte, was er genau verlangte, hatte sie ihr Möglichstes getan. Der Fotograf hatte zufrieden gewirkt.

Aber Moje. Was würde Moje sagen?

»Sie sind fantastisch«, murmelte er.

Sie erschauderte.

»Glaubst du, dass sie etwas nützen? Glaubst du, dass sie uns jetzt haben wollen?«

Moje lachte.

»Sie wollen uns schon die ganze Zeit, Greta. Verstehst du das denn nicht? Sie wollten uns so sehr, dass sie uns erst einmal in die Schranken weisen mussten. Sie mussten uns pulverisieren, damit sie uns anschließend in ihrer warmen Milch auflösen können.«

Sie sah ihn verwirrt an.

»Die Bilder erfüllen also keinen Zweck?«

»Doch, doch …« Er lächelte verschmitzt. »Ich kenne Lazar Mayer. Er wird sich in die Hosen machen.« Dann lachte er erneut, sein lautes Lachen, das man auch noch mehrere Hundert Meter weiter hören konnte, ja vielleicht sogar bis zum Central Park. Moje war kein Mensch, an dem man vorbeiging, ohne ihn zu bemerken. Dann senkte er die Stimme:

»Jetzt, meine Greta, werden sie uns nicht mehr widerstehen können.«

4

Auf den Seiten 108 und 109 des Paul-U.-Bergström-Frühjahrskatalogs aus dem Jahre 1921 ist eine junge Frau mit Hut abgebildet. Zehn Bilder, ebenso viele Hüte, aber immer dasselbe Mädchen. Sie sieht aus wie neunzehn oder zwanzig, ist aber erst fünfzehn. Obwohl sie noch so jung ist, besitzt Greta Gustafsson eine erstaunliche Haltung. Aber vielleicht liegt das auch in ihrer Natur. Sie blickt mit einem Ernst in die Kamera, der zu verkünden scheint: »Hier bin ich. Ich mache dir nichts vor, so bin ich wirklich, lasse dich aber nicht richtig an mich heran.« Aufrichtig und unnahbar zugleich, und das zu einem so frühen Zeitpunkt. Hat sie Frau Hellberg deswegen für den Katalog empfohlen? Oder weil Greta ein Mädchen ist, das mit gleichmäßigen – man könnte sogar sagen schönen – Zügen zur Welt gekommen ist? Sie selbst kümmert das nicht. Im Gegenteil, es wäre schrecklich, wenn man so etwas Unwichtigem und Vergänglichem wie dem Äußeren Bedeutung beimessen würde. Aber manchmal, gelegentlich, weiß sie, dass sie aus ihrem Äußeren auch Nutzen ziehen kann. Wenn sie bei anderen sieht, dass es funktioniert.

Gretas Mutter sagt, dass sie zwar stolz auf den Katalog ist, den Sinn dieser Bilder aber nicht recht versteht. Die Arbeit, die Greta vor der Kamera geleistet hat, wird nämlich nicht extra honoriert – im PUB hat man ihr noch dazu mitgeteilt, sie erhielte ihren gewöhnlichen Lohn, obwohl sie während der Fototermine keine Hüte verkaufe. Kein zusätzlicher Ertrag also. Dieser Umstand ist es nicht, der Anna Gustafsson in erster Linie bekümmert, denn sie versteht sehr gut, dass man dem Warenhaus keine Einnahmen bringt, wenn man keine Hüte verkauft. Anna Gustafsson beunruhigt viel mehr, dass ihre Tochter sich Dinge einbilden könnte, denn das ist Anna Gustafssons ständige Sorge. Und dass Greta Alva wie im vergangenen Jahr mitreißen könnte. Jetzt hat Alva eine Arbeit als Laufmädchen in einem Büro gefunden, und Anna trägt morgens Zeitungen aus, putzt in einer Konservenfabrik und verrichtet abends Näharbeiten. Sven muss teilweise alleine zurechtkommen. Er hat ein Mädchen im Viertel geschwängert, wohnt nicht mehr zu Hause und versorgt drei Personen mit seiner Arbeit als Verkäufer in einem Obstgeschäft. Aber Greta hat den besten Arbeitsplatz von ihnen dreien. Anna bezeichnet das PUB-Warenhaus als das »Himmelreich«.

Da kann sich ein Modekatalog als gefährlich erweisen.

Auch von anderen Dingen geht Gefahr aus. Eine Kinokarte kostet 85 Öre. Man bezahlt also ungefähr so viel pro Kinostunde, wie man in der gleichen Zeit verdient, und könnte dies als doppelten Verlust bezeichnen. Aber natürlich lauert nicht darin die große Gefahr.

Greta Gustafsson pflegt in der vierten Reihe in der Mitte zu sitzen. Ihre Lippen sprechen langsam die lautlosen Dialoge auf der großen Leinwand mit. Im Saal gibt es keine speziellen Gerüche. Es gibt keine lebendigen Schauspieler. Aber es funktioniert trotzdem. Hier sitzt sie oft, mindestens einmal in der Woche, öfter, wenn es ihr gelingt, ein paar Kronen beiseitezuschaffen. Heute Abend läuft Herrn Arnes Schatz, der neueste Film des großen Regisseurs Stiller. Letzte Woche war es etwas Amerikanisches, Love Sublime mit Mildred Harris Chaplin. Dieser hier ist besser, Stiller ist besser. Er versteht es, die Zuschauer zu packen. Er hat es nie eilig, alles darf dauern. So soll es sein, nur so kann man sich einleben. Und Elsalill, Elsalill, als sie entdeckt, dass der Mann, den sie liebt, der Mörder ihrer Schwester ist! Ihr Blick … Oh, wie wunderbar! So fürchterlich quälend wunderbar!

Anschließend verlässt sie mit weichen Knien, wie schlaftrunken, als sei sie mitten in einem Traum geweckt worden, den Saal. Sie benötigt den gesamten Spaziergang von der Biblioteksgatan bis nach Södermalm, um wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Gott sei Dank hat sie diesen Spaziergang. Wenn Alva dabei ist, weiß sie, dass sie schweigend nach Hause gehen muss. Zumindest die halbe Strecke. Meist geht Greta aber allein ins Kino, da Alva ihren Aufgaben im Haushalt pflichtbewusster nachkommt. Und wenn Greta nach Hause in die Blekingegatan kommt, legt sie sich neben ihre Schwester ins Ausziehbett und erzählt ihr den ganzen Film von Anfang bis Ende und verlängert auf diese Weise das Filmerlebnis. Alva liebt es außerdem, sie erzählen zu hören, denn das ist dann fast, als wäre sie selbst dabei gewesen und hätte das Schauspiel gesehen. Greta erzählt wie eine große Schwester, obwohl Alva zwei Jahre älter ist. Manchmal nennt sie Alva Lillan, Kleine. »Lillan«, sagt sie, wenn sie geendet hat, »jetzt habe ich alles erzählt, jetzt musst du schlafen.« Und dann küsst sie sie auf die Stirn.

***

Warum war alles, wie es war? Warum wurde sie, wie sie nun war – was ihre Mutter gerne als kompliziert bezeichnete? Alva und Sven waren schließlich anders, unbeschwerter, obwohl sie zusammen aufgewachsen sind und dieselben langen Winterabende in einem vom Tod geprägten Zimmer verbracht hatten. Mit demselben bettelarmen und kranken Vater, der in einem alten Sessel am Fenster saß und Abend um Abend auf einer alten Zeitung herumkritzelte. Mit einer Mutter, die am anderen Ende des Zimmers saß, Kleider flickte, seufzte und kein Wort sprach. Nein, niemand sagte etwas. Wenn sich die Kinder unterhalten wollten, flüsterten sie, aber meist wurde geschwiegen. Als hätte eine Drohung in der Luft gehangen, eine Spannung, die nur spätnachts ihre Entladung fand, als die Kinder zu schlafen schienen, oder manchmal, wenn Papa betrunken nach Hause kam und sich Mama nicht beherrschen konnte. Er trank, weil er seine Arbeit hasste, sie keifte, weil er keine bessere fand. Die Explosion war beinahe besser als dieses Unausgesprochene, Schneidende, in dem sie sonst lebten.

Manchmal in ihrer frühen Kindheit pflegte sie sich in der Küche, dem einzigen weiteren Raum, unter den Tisch zu setzen. Dort saß sie dann stundenlang und dachte nach.

Einmal, als sie dort saß, fragte Onkel David, der Taxifahrer war und ein gutes Leben führte, worüber sie so lange nachdächte. Sie blickte zu ihm auf und antwortete:

»Ich überlege mir, was ich werden will, wenn ich groß bin.«

»Und was willst du werden?«, wollte er natürlich lächelnd wissen.

Die blitzschnelle Antwort lautete:

»Ich will eine Diva werden. Und dann will ich Prinzessin werden. Und wenn ich reich bin, dann werde ich fast alles Geld den armen Kindern geben.«

Und Onkel David, der keine eigenen Kinder aber eine besondere Schwäche für Greta hatte, fand, dass das das Bezauberndste war, was er je gehört hatte. Greta war ganz einfach die Bezauberndste, die er kannte.

5

Veränderungen kommen selten allein. Sie haben die Tendenz, andere Veränderungen mit sich zu bringen. Oder vielleicht sorgt man dafür, dass sie es tun. Im Hinblick auf Gretas Interessen konnte man sich mit Recht fragen, ob sie das Geschehen nicht sogar selbst in Gang gesetzt hatte. Aber nein, das war unmöglich. Sofern es sich nicht um Gedankenübertragung handelte, waren die Dinge ohne ihr Zutun ins Rollen gekommen. Aber die sich bietenden Möglichkeiten zu ergreifen, das war das Entscheidende, die Möglichkeiten, die einem das Leben bot, zu nutzen. Auf kluge Weise zu nutzen.

Es begann fast genauso wie beim vorhergehenden Mal, nur dass die Personen ausgetauscht worden waren. Dieses Mal waren weder Frau Hellberg noch Herr Bergström dabei. Dieses Mal war es stattdessen der Mann, der den Katalog zusammengestellt und Greta in allen Hüten fotografiert hatte. Er trat an den Ladentresen mit den Hüten. Und direkt hinter ihm stand der große Hauptmann Ring.

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