Lore-Roman 59 - Wera Orloff - E-Book

Lore-Roman 59 E-Book

Wera Orloff

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Beschreibung

Ihre barmherzige Lüge
Aus Liebe brach sie ihren Schwur
Von Wera Orloff

Christa wuchs im Kloster Marienberg auf, nachdem sie ihre Eltern bei einem Brand verlor. Sie erwies sich als sehr anstellig, fromm und liebenswert und wurde im Lauf der Jahre von den Schwestern ins Herz geschlossen. Nun soll Christa dieses schützende Haus verlassen, um eine Aufgabe zu übernehmen, die jenseits der Klostermauern auf sie wartet.
Der Neffe der Äbtissin, Camillo Baron von Lindenheim, lebt seit einem Autounfall mit seiner Frau zurückgezogen auf seinem Schloss. Er ist gelähmt und muss sein Dasein im Rollstuhl fristen. Christa soll ihn pflegen und den Haushalt führen. Sie ist noch zu jung, um sich vor dem Ungewissen, das auf sie wartet, zu ängstigen. Doch sie merkt schnell, dass in diesem Schloss etwas nicht stimmt, will aber dem Getratsche der Dorfleute keinen Glauben schenken. Erzählt man sich doch, die überaus schöne Baronin setze ihrem armen Mann die Hörner auf.
Aber als Christa selbst Zeugin einer eindeutigen Szene wird, schwört sie, dass sie den Baron für das, was hinter seinem Rücken vorgeht, entschädigen will: mit Menschlichkeit, Liebe und Hilfsbereitschaft. Und sie muss ihn anlügen, er darf es nicht erfahren, ist doch die Baronin sein einziger Halt. Christa hasst Lügen, doch in diesem Fall ist eine barmherzige Lüge angebracht ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ihre barmherzige Lüge

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: mammuth / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8376-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ihre barmherzige Lüge

Aus Liebe brach sie ihren Schwur

Von Wera Orloff

Christa wuchs im Kloster Marienberg auf, nachdem sie ihre Eltern bei einem Brand verlor. Sie erwies sich als sehr anstellig, fromm und liebenswert und wurde im Lauf der Jahre von den Schwestern ins Herz geschlossen. Nun soll Christa dieses schützende Haus verlassen, um eine Aufgabe zu übernehmen, die jenseits der Klostermauern auf sie wartet.

Der Neffe der Äbtissin, Camillo Baron von Lindenheim, lebt seit einem Autounfall mit seiner Frau zurückgezogen auf seinem Schloss. Er ist gelähmt und muss sein Dasein im Rollstuhl fristen. Christa soll ihn pflegen und den Haushalt führen. Sie ist noch zu jung, um sich vor dem Ungewissen, das auf sie wartet, zu ängstigen. Doch sie merkt schnell, dass in diesem Schloss etwas nicht stimmt, will aber dem Getratsche der Dorfleute keinen Glauben schenken. Erzählt man sich doch, die überaus schöne Baronin setze ihrem armen Mann die Hörner auf.

Aber als Christa selbst Zeugin einer eindeutigen Szene wird, schwört sie, dass sie den Baron für das, was hinter seinem Rücken vorgeht, entschädigen will: mit Menschlichkeit, Liebe und Hilfsbereitschaft. Und sie muss ihn anlügen, er darf es nicht erfahren, ist doch die Baronin sein einziger Halt. Christa hasst Lügen, doch in diesem Fall ist eine barmherzige Lüge angebracht …

Aus der gewölbeartigen Klosterküche drang das Geschwätz der Küchenschwestern, vermischt mit dem Geklirr und Geplapper, das die mittägliche Abwascharbeit verursachte.

Die alte, knöchern aussehende Dame hinter dem mächtigen Schreibtisch hatte sich endlich zu einem Entschluss durchgerungen. Sie schob den Brief, den sie mehrmals gelesen hatte, mit einer ruckartigen Bewegung zur Seite und betätigte den Klingelknopf. Wenige Augenblicke später erschien eine junge Nonne unter der Tür.

„Frau Oberin haben geklingelt?“, fragte die Schwester des Marienordens.

„Wo ist Christa?“

„In der Küche, Frau Oberin.“

„Bitte, schicken Sie sie mir her, Schwester Getraut.“

Die Ordensschwester verschwand wieder.

Frau von Lindenheim, die Äbtissin vom Kloster Marienberg, geliebt und wegen ihrer Strenge manchmal auch gefürchtet, seufzte.

So sei es denn, dachte die Äbtissin. Ich will ihm den Wunsch erfüllen. Das Schicksal hat ihn hart genug gestraft.

Die Frau versank in Nachdenken und überhörte das schüchterne Klopfen an der Tür. Erst als es noch einmal pochte, rief sie in gewohnt herrischem Ton: „Ja, bitte!“

Ein etwa achtzehnjähriges Mädchen, blond, mit tiefblauen Augen, bekleidet mit einem weiß-blau gewürfelten Arbeitskittel, trat ein und knickste ehrfurchtsvoll.

„Sie haben mich rufen lassen, Schwester Oberin?“

Die Frau nickte. „Seid ihr fertig mit der Küchenarbeit, Christa?“

„Fast, Schwester Oberin“, lautete die Antwort. „Schwester Esmeralda lässt fragen, ob sie Walter in die Stadt schicken kann, um den neuen Kühlschrank zu holen.“

„Ich spreche dann selbst mit Schwester Esmeralda, mein Kind. Nimm Platz.“ Die Äbtissin deutete auf den Besucherstuhl, der in einiger Entfernung vor dem Schreibtisch stand.

„Ich habe dich rufen lassen“, sagte sie in mütterlichem Ton, „weil ich mit dir etwas Wichtiges zu besprechen habe, Christa.“ Ihre grauen Augen ruhten eine Weile wie prüfend auf dem hübschen jungen Ding.

„Du bist jetzt seit neun Jahren bei uns“, begann Frau von Lindenheim mit gedämpfter Stimme. „Wir waren immer bemüht, dir eine Heimat zu bieten, Christa. Du hast uns diese Mühe stets durch Fleiß und ein gottesfürchtiges Benehmen gelohnt. Hier bei uns bist du zu einem sehr hübschen und liebenswerten Mädchen herangewachsen, hier hast du etwas gelernt, und hier warst du allzeit sicher und geschützt vor der Unruhe dieser Welt.“ Die Äbtissin beugte sich etwas vor.

„Höre weiter, was ich dir zu sagen habe, mein liebes Kind. Niemand von uns hat dich jemals zu überreden versucht, den Schleier zu nehmen und dein junges Leben Gott zu weihen. Wir haben dich gelehrt, was ein junges Mädchen wissen muss, und es war stets mein Bestreben, dir trotz der Abgeschiedenheit, in der wir hier leben, Wissen, Benehmen und Umgangsformen beizubringen. Nun soll dir die erste wirklich große Aufgabe gestellt werden.“ Die Äbtissin räusperte sich. „Kurzum, Christa: Du wirst Marienberg für einige Zeit verlassen.“

Frau von Lindenheim lehnte sich wieder zurück und legte ihre Hände auf die Armstütze des Schreibsessels.

„Ich erhielt heute einen Brief von meinem Neffen Camillo von Lindenheim. Er erlitt vor drei Jahren einen schweren Autounfall und ist seither an beiden Beinen gelähmt. Seit diesem Unglück wohnt er mit seiner Frau Renate auf Schloss Lindenheim. Camillo braucht jemand, der ihn pflegt und der gleichzeitig auch etwas von Hauswirtschaft versteht. Deshalb habe ich mich entschlossen, dich nach Lindenheim zu schicken und dich zu bitten, dich dort nützlich zu machen.“

Das Mädchen saß auf dem Besucherstuhl und war ganz blass geworden. Es nagte an seiner Unterlippe, so, als müsse es die Tränen niederkämpfen.

Christa war neun Jahre alt, als sie ihre Eltern durch eine Brandkatastrophe verlor und von den nächsten Angehörigen nach Marienberg ins Kloster gebracht wurde. Seither war ihr Marienberg zur zweiten Heimat geworden. Die Schwestern liebten das junge anstellige Ding, das in der Klosterschule die besten Noten erhielt, sich als fromm und arbeitswillig erwies und im Laufe der Zeit insbesondere von der Äbtissin ins Herz geschlossen wurde. Nun sollte Christa dieses schützende Haus verlassen, eine Aufgabe übernehmen, die draußen in der Welt auf sie wartete? War es da ein Wunder, dass zwei blaue Augen verdächtig nass wurden?

„Schwester Oberin, warum ausgerechnet ich?“, fragte Christa.

Die alte Frau hinter dem Schreibtisch lächelte nachsichtig.

„Weil ich weiß, dass du diese Aufgabe in meinem Sinn lösen wirst“, erklärte sie. „Ich wüsste niemand, den ich sonst nach Lindenheim schicken könnte, Christa. Du stehst mir am nächsten von allen, die hier sind.“

Christa nickte. Die Tränen ließen sich wieder verdrängen. Was soll’s, dachte sie. Ich muss dankbar sein, und ich werde das tun, was die Schwester Oberin von mir verlangt.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Neffen haben, Schwester Oberin.“

Das Lächeln in dem alten Frauengesicht erstarrte. Der Kopf mit der großen Haube senkte sich.

„Camillo ist der einzige Sohn meines verstorbenen Bruders Clemens von Lindenheim, Christa. Ich habe, als Camillo noch ein Knabe war, versucht, sein Leben in eine bestimmte Richtung zu dirigieren, weil mein verstorbener Bruder …“ Sie brach ab und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Ein Seufzer ertönte.

Die alte Frau gab sich plötzlich einen Ruck. Das Mädchen musste alles wissen! Zumindest das Hauptsächliche.

„Hör zu, Christa“, begann die Äbtissin. „Wenn du nach Lindenheim kommst, wirst du nicht nur einen gelähmten Mann, sondern auch ein merkwürdiges Verhältnis vorfinden, das dich erstaunen oder vielleicht sogar erschrecken wird. Mein verstorbener Bruder war das, was man einen Luftikus, einen Taugenichts nennt. Er hat es glänzend verstanden, das, was uns unsere Eltern hinterließen, abzuwirtschaften. Camillo, sein einziger Sohn, mein Neffe also, verlor die Mutter bei der Geburt, und ich versuchte, seine Erziehung in die Hände zu nehmen. Aber Camillo hat viele Charaktereigenschaften seines Vaters geerbt. Es war mein Wunsch, dass Camillo Priester wird. Er studierte Theologie, aber kurz vor der Priesterweihe gab er das Studium auf und trieb sich jahrelang in der Welt herum. Dies war der Grund, warum ich meine Hand von ihm abzog. Er heiratete eines Tages eine Tänzerin. Vor drei Jahren verunglückte er auf einer Autofahrt in Spanien und verbrachte mehr als ein Jahr in verschiedenen Krankenhäusern und Spezialkliniken. Er blieb an beiden Beinen gelähmt.“

„Schwester Oberin“, erklärte Christa Howald mit leiser, aber fester Stimme, „ich bin bereit, nach Lindenheim zu gehen. Wann soll es geschehen?“

Die alte Frau hinter dem Schreibtisch hob langsam den Kopf.

„Bald schon“, erwiderte sie, „in drei Tagen wirst du uns verlassen. Du wirst mir, du wirst uns allen fehlen, mein Kind.“

„Ich habe es hier immer so gut gehabt, dass ich auch einmal die andere Seite des Lebens kennenlernen muss, Schwester Oberin.“

Die Frau hinter dem Schreibtisch nahm den Krückstock und erhob sich schwerfällig.

„Ich danke dir, Christa“, bekannte sie. „Wir werden dich wirklich sehr vermissen.“

Das Mädchen stand ebenfalls auf.

„Marienberg wird immer meine Heimat bleiben“, versicherte es mit bebender Stimme.

***

Es war die erste größere Reise, die Christa antrat. Sie war noch zu jung, um sich vor dem Ungewissen, das auf sie wartete, zu ängstigen. Mit einer gehörigen Portion Neugier traf sie drei Tage nach dem Gespräch mit der Äbtissin in Lindenheim ein.

Der Personenzug, der an vielen Stationen Halt gemacht hatte, erreichte den kleinen Bahnhof am späten Nachmittag und entließ als einzigen Reisenden das blonde, einfach gekleidete Mädchen, das nicht mehr als einen kleinen neuen Vulkanfiberkoffer und eine mittelgroße altmodische Handtasche trug.

Das also war Lindenheim: eine winzige Bahnstation mit einem Holzhaus und einem rundlichen Beamten an der Sperre. Weites Wald- und Wiesenland erstreckte sich bis zum Horizont, und die Ortschaft Lindenheim mochte wohl irgendwo weiter drüben liegen, am Ende einer sandigen Straße, die durch wogende Kornfelder führte.

Kam niemand, um Christa abzuholen? Da hielt plötzlich ein kleiner, staubiger, offener Sportwagen am Bahnhäuschen, und eine sehr schlanke dunkelhaarige Dame mit einem zitronengelben Chiffontuch um den Kopf und einer überdimensionalen Sonnenbrille vor den Augen stieg aus, schlug die Wagentür zu und blieb wartend neben dem Fahrzeug stehen.

Das muss die Baronin sein, dachte Christa und ging entschlossen auf die Dame zu; letztere trug einen kurzen Rock, der ihre schlanken Beine gut zur Schau stellte, und eine hellgrüne Bluse. Jetzt nahm sie die Sonnenbrille ab.

„Sie sind Christa Howald, nicht wahr?“, fragte eine rauchige Stimme, und ein Paar mandelförmig geschnittene, ins grünliche spielende Augen mit langen, aufwärts gebogenen Wimpern betrachteten das junge Mädchen.

Christa fand die Baronin atemberaubend schön. Diese lächelte jetzt gewinnend und streckte Christa die Hand entgegen.

„Herzlich willkommen“, sagte sie. „Wir freuen uns sehr, dass Sie endlich da sind, Fräulein Christa. Hoffentlich werden Sie sich bei uns wohlfühlen.“

Mit diesen Worten nahm sie Christa die Gepäckstücke ab und verstaute sie auf dem Rücksitz des Wagens; dann bedeutete sie Christa, auf dem Nebensitz Platz zu nehmen, rutschte selbst hinter das Steuer, setzte die Sonnenbrille wieder auf und brauste los.

Die jagende Fahrt wurde erst langsamer als ein kleiner Mischwald, den ein schmaler Bach durchfloss, passiert war und weiter drüben zwischen großen Laubbäumen die grauen Mauern einer Schlossumfriedung und eine gewölbte Toreinfahrt auftauchten.

„Dies also ist Lindenheim“, erklärte die Baronin und fuhr jetzt langsam auf das weit geöffnete Tor zu. „Oder haben Sie ein Prunkschloss mit einem Schwarm Diener und Zofen erwartet?“, fragte sie.

Christa versicherte hastig, dass ihr die Ehrwürdige Mutter nichts dergleichen erzählt habe und sie die Lage Lindenheims wunderschön fände.

Der Wagen passierte das Tor und rollte auf ein herrschaftliches Gebäude zu, dessen Vorderfront zweifellos etwas verfallen wirkte. An verschiedenen Stellen waren große Putzflächen aus dem Mauerwerk gebröckelt. Die hohen schmalen Fenster sahen ungepflegt aus, die Rahmen verwittert, der schmiedeeiserne Balkon über dem Portal war verrostet.

Zwei Hunde bellten wütend im Zwinger und sprangen an den Drahtmaschen auf und nieder. Kein Mensch ließ sich sehen. Lindenheim machte fast den Eindruck, als ob es unbewohnt sei. Dennoch wirkte es lieblich-romantisch.

Die Baronin war ausgestiegen und nahm Christas Gepäckstücke aus dem Wagen.

„Kommen Sie, mein Kind“, sagte sie freundlich, „jetzt zeige ich Ihnen zu allererst Ihr Zimmer. Sie werden ja müde sein von der langen Reise.“

Sie betraten einen breiten, düsteren und kühlen Hausflur. An den Wänden hingen Jagdtrophäen und ein paar große dunkle Bilder mit Jagdmotiven.

Christa folgte der Baronin über die mit einem abgetretenen Teppich belegte Treppe in die erste Etage. Hier wurde es etwas heller. Viele Türen gingen von dem Korridor ab. Eine lebensgroße Heiligenfigur, die Christa als den heiligen Johannes erkannte, stand in einer Mauernische und streckte wie segnend die rechte Hand aus.

Von einem Gefühl der Ehrfurcht erfasst, folgte Christa der schweigsam gewordenen Baronin, die jetzt eine Tür öffnete, hinter der sich ein großes Zimmer auftat.

„So, hier werden Sie bleiben“, erklärte die rauchige Stimme der Hausherrin. „Hoffentlich gefällt es Ihnen hier.“

Christa sah sich rasch um. Die beiden hohen Fenster, die geputzt werden mussten, führten in einen Garten hinaus. Rechts an der Wand, an der wieder ein Heiligenbild hing, stand ein großes Bett ohne Bettbezüge, nur mit einer verschossenen grünen Seidendecke zugedeckt. Auf der anderen Wandseite befand sich ein mächtiger Schrank mit geschnitztem Zierrat, in der Mitte des Raumes ein Tisch mit vier Stühlen. Die Baronin öffnete eine zweite schmale Tür.

„Hier sind das Bad und die Toilette. Wir haben leider niemand, der vorher ein bisschen sauber machen konnte. Bitte, entschuldigen Sie das.“

Christa nickte nur; sie spürte deutlich, dass hier viel Arbeit auf sie wartete und dass ihr Tag von früh bis spät ausgefüllt sein würde.

Die Baronin war zu den Fenstern gegangen und öffnete diese nun.

„Unsere Tante wird Ihnen ja schon verraten haben, was Sie hier erwartet. Mein Mann ist gelähmt. Er erlitt vor drei Jahren einen schweren Autounfall, der uns in wirtschaftliche Schwierigkeiten brachte.“

Die Baronin drehte sich um und lehnte sich an das Fensterbrett; sie sprach mit gedämpfter Stimme weiter: „Auf Lindenheim geht es knapp zu. Wir pflegen keinerlei Umgang mit den Leuten des Dorfes. Alle zwei Tage kommt eine Frau und wird Ihnen bei den Arbeiten behilflich sein. Wenn Sie im Dorf zu tun haben, wird man versuchen, Sie auszufragen oder Ihnen Geschichten über uns zu erzählen. Ich hoffe, dass Sie uns gegenüber loyal sind und sich um das Getratsche der Leute nicht kümmern. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Christa?“

„Ich werde nur für Sie da sein, gnädige Frau“, erwiderte Christa mit einem offenen Blick.

„Dann werden wir ja auch immer gut miteinander auskommen“, entgegnete die Baronin lächelnd und streichelte dem Mädchen flüchtig über die Wange.

Dann sprach sie von der Höhe des Taschengeldes, das Christa zu erwarten hatte, und von ihrer Freizeit.

„Mir kommt es hauptsächlich darauf an“, erklärte sie weiter, „dass mir die Haus- und Küchenarbeiten abgenommen werden, damit ich mich ausschließlich der Pflege meines Mannes widmen kann. Er ist oftmals sehr schwierig. Sie müssen ihm gegenüber viel Geduld und Nachsicht aufbringen.“

Christa erwiderte, sie werde sich alle Mühe geben, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Dann redete man noch eine kurze Weile über die Hausordnung, die Tischzeiten und den Küchenzettel, der Christa reichlich schmal und einfach vorkam, und nachdem die Baronin ihr noch einmal die Hand reichte und sagte, sie erwarte ein gutes Einvernehmen, ging sie.

Es wird schon alles gutgehen, dachte Christa und ging dann daran, sich in ihren vier Wänden häuslich einzurichten.

***

In den nächsten zwei Tagen versuchte sie zunächst, sich in ihrem neuen Aufgabenbereich zurechtzufinden. Die große Küche war ihr Platz, in der sie erst einmal gründlich für Sauberkeit und Ordnung sorgen musste.

Den Schlossherrn hatte Christa noch nicht zu Gesicht bekommen; sie wusste aber, dass er sich die ganze Zeit über in seinem Wohnzimmer, das im Südteil des Hauses lag, aufhielt, und sie hörte manchmal seine Stimme, wenn er sich mit seiner Frau unterhielt. Die Baronin war ausnehmend nett und nach wie vor von gewinnender Freundlichkeit.

Christa gelangte rasch zu der Überzeugung, dass auf Lindenheim Schmalhans Küchenmeister war.

Die Zugehfrau, von der die Baronin gesprochen hatte, ließ sich nicht blicken. Eine tiefe Stille herrschte auf Lindenheim, die nur ab und zu von dem Gebell der beiden Hunde gestört wurde.

Christa hatte sich rasch mit den zottigen Tieren, die Bella und Hasso hießen, angefreundet und fütterte sie zweimal am Tag. Die Tiere, die im Zwinger ein echtes Hundeleben führten, taten ihr leid und dankten ihr das regelmäßige Füttern durch erfreutes Winseln. Christa entschloss sich, den beiden Tieren etwas mehr Freiheit zu lassen, aber als sie darüber mit der Baronin sprach, erhielt sie die Antwort: „Die Hunde bleiben im Zwinger, dafür sind es Hunde.“

Christa hatte manchmal den Eindruck, als ob die Baronin zwei Gesichter hätte: ein freundliches und ein hartes, ja gar böses.