Lorenzo Da Ponte - Rodney Bolt - E-Book

Lorenzo Da Ponte E-Book

Rodney Bolt

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Beschreibung

Als Kind hieß er noch Emanuele. Bis sich sein Vater, ein jüdischer Lederarbeiter, im antisemitischen Klima von Ceneda gezwungen sah, die Familie taufen zu lassen und den Sohn nach dem dortigen Bischof zu benennen. Zehn Jahre später erhält der Konvertit selbst die Priesterweihe - und wird nach Bekanntschaft mit einer verarmten Patrizierin doch lieber Lehrer. Das Leben Lorenzo Da Pontes ist geprägt von einer unablässigen Identitätssuche, von freiwilligen und erzwungenen Rollenwechseln. Aus Venezien verbannt, kommt er nach Wien und schafft gemeinsam mit Mozart drei der wichtigsten Werke der Operngeschichte. Eine Intrige am Kaiserhof zwingt ihn zur Flucht nach London, der finanzielle Ruin zum Aufbruch nach Amerika. Mit großem erzählerischen Schwung schildert Rodney Bolt die Lebensstationen einer der schillerndsten Figuren der Musikgeschichte. Dabei spiegelt sein Buch zugleich eine politisch bewegte Zeit und würdigt einen Künstler, der viel zu lange in Mozarts Schatten stand.

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Rodney Bolt

Lorenzo Da Ponte

Mozarts Librettist und sein Aufbruch in die Neue Welt

Aus dem Englischen

von Martin Pfeiffer

BERLIN VERLAG

Chi crede a’ sogni è matto; e chi non crede, che cos’è?

Wer an Träume glaubt, ist verrückt;

und wer nicht an sie glaubt – was ist der?

Lorenzo Da Ponte

Inhalt

Vorwort

Erster Teil –Venedig

Ein Abbé auf Abwegen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Zweiter Teil –Wien

Ein wahrer Phönix

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Dritter Teil –London

Pygmäen auf dem Parnass

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Vierter Teil –New York

Mozarts Gemischtwarenhändler

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Anhang

Anmerkungen

Danksagung

Bibliographie

Bildnachweis

Vorwort

In dem Musical Gigi von Lerner und Loewe, entstanden 1958, erinnern sich die beiden Personen, die von Maurice Chevalier und Hermione Gingold gespielt werden, an eine lange zurückliegende Liebesaffäre. Sie trafen sich um neun, erinnert er sich; um acht, korrigiert sie ihn trocken. Er war pünktlich, erinnert sich der alte Mann; nein, er kam zu spät, sagt sie. Aber ja, er weiß es noch gut, sie aßen zusammen mit Freunden. Allein. Seiner Erinnerung zufolge sang ein Tenor. Es war ein Bariton. Aber natürlich, er erinnert sich an alles. Familien, die sich alte Anekdoten erzählen, verfahren in ähnlicher Manier: »Es war an einem Donnerstag.« – »Nein, an einem Mittwoch.« Autoren von Memoiren entgehen diesem Gigi-Effekt, wie man ihn nennen könnte, ebenso wenig. Biographen stehen häufig vor in bestem Glauben vertretenen, aber grundlegend widersprüchlichen Versionen ein und desselben Ereignisses, die in verschiedenen Quellen berichtet werden. Und dann sind da die regelrechten Lügen – weil Verfasser von Autobiographien von ihrem Vorrecht Gebrauch machen, sich in einem möglichst strahlenden Federkleid darzustellen.

In Lorenzo Da Pontes Memoiren wimmelt es von Fehlern, unabsichtlichen und bewussten, und der Text ist von romanhaften Elementen durchsetzt, da sich der Autor die Werke seines guten Freundes Casanova zum Vorbild nimmt. Darüber hinaus verhüllen die Memorie die Wahrheit insofern, als sie zu einer Zeit geschrieben wurden, in der Da Ponte in den Achtzigern stand und das Leben mit Bitterkeit betrachtete. Im Alter sieht er Ereignisse verdrießlich, denen er selbst und andere zu ihrer Zeit eine positivere Seite abgewinnen konnten. Berichte von Zeitgenossen helfen dabei, die Fakten auszusieben. Briefe aus der Zeit des Geschehens werfen ebenfalls ein schärferes Licht auf die Wahrheit, wenngleich Briefe, wie Virginia Woolf einmal bemerkt hat, zum Teil eine Widerspiegelung des anderen sind. Wenn Da Ponte an seinen Vater schreibt, dann bringt er das zu Papier, was sein Vater seiner Ansicht nach hören möchte; wenn er sich bei Casanova beklagt, übertreibt er diejenigen Aspekte seiner Geschichte, die vermutlich Casanovas Mitgefühl wecken werden.

Die folgenden Seiten bieten ein Porträt Lorenzo Da Pontes in der Art, wie ein Maler einen Menschen porträtieren könnte. Ebenso wie der Maler ist der Biograph im fertigen Produkt präsent (wenngleich ich in diesem Fall die Hoffnung hätte, mehr von einem Gainsborough zu haben als von einem Francis Bacon). Ich habe nichts erfunden, habe aber gelegentlich das unvermeidliche Gezänk der Biographen in die Anmerkungen verbannt, um jenen Mann, von dem ich nach Prüfung des gesamten Materials meine, dies sei Da Ponte gewesen, klarer porträtieren zu können.

Warum Da Ponte? Er lebte in vier Städten – Venedig, Wien, London und New York – in faszinierenden Phasen ihrer Geschichte, und in gewissem Sinne hat er Erfahrungen mit vier komplett verschiedenen Epochen gemacht. Venedig in seinem glanzvollen Todeskampf blickte auf tausendjährigen Ruhm zurück; Wien befand sich auf einem Höhepunkt des gesellschaftlichen Experimentierens im 18. Jahrhundert, und London war das Mekka der zeitgenössischen Mode; New York schließlich brach in eine nachaufklärerische, demokratische, industrialisierte Welt auf. Da Pontes Ankunft in Amerika als mittelloser italienischer Einwanderer, der den Versuch unternimmt, sich neu zu erfinden und es zu etwas zu bringen, kehrt in zahllosen Geschichten des 19. und sogar des 20. Jahrhunderts wieder.

In dieser Geschichte von vier Epochen und vier Städten ist Da Ponte nie der Held, aber er steht auch nicht völlig abseits. Er war, wie er selbst schreibt, »wenn nicht Protagonist der Tragikomödie, so doch einer der Hauptdarsteller«. Verfolgt man seinen Weg, dann erhält man einen faszinierenden Einblick in seine Zeit und bekommt so etwas wie eine Geschichte der Oper von innen geliefert.

Das vorliegende Buch bietet keine detaillierte musikalische Analyse der Opern Mozarts. Diese Aufgabe überlasse ich Autoren, die unendlich viel berufener sind als ich, die Grenzen der Mozartforschung zu erweitern. Stattdessen wirft es einen eingehenderen Blick auf die Frage, wie die Opern in der komplexen (und für das 18. Jahrhundert außerordentlich egalitären) Zusammenarbeit von Künstlern und Handwerkern, die das Genre verlangt, produziert wurden. Und ganz besonders untersucht das Buch die Beziehung zwischen Komponist und Librettist. Es ist seltsam, dass in der Welt des Musicals Textdichter und Komponist gleichberechtigt genannt werden – wir sprechen von Rodgers und Hammerstein, Lerner und Loewe, Rice und Lloyd Webber –, während in Opern der Textverfasser nahezu ignoriert wird. Diese stiefmütterliche Behandlung des Librettisten rechtfertigt man oft durch die betrübliche Qualität des Librettos, aber Da Ponte verdient in seinen besten Momenten Lob und Aufmerksamkeit. Selbst die sorgfältigsten Kommentatoren sprechen von Mozarts Charakterisierung, wenn sie sich nicht auf die köstliche Komplexität seiner Musik beziehen, sondern auf das, was die Figuren sagen und wie sie in eine dramatische Beziehung zueinander treten. Nicht selten zitieren Schriftsteller Worte aus Don Giovanni, Figaro oder Così fan tutte und schreiben sie Mozart zu.

Da Ponte haderte mit solcher Ungerechtigkeit. Ich hoffe, dieses Buch trägt ein wenig dazu bei, das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Rodney Bolt

Amsterdam 2006

Erster Teil

Venedig

Ein Abbé auf Abwegen

Kapitel 1

Vierzehnjährige Jungen stehen mit ihrem Vater nicht selten aufKriegsfuß, und der junge Lorenzo Da Ponte hatte Grund zum Groll. Er sollte eine Stiefmutter bekommen, die so jung war, dass sie seine Schwester hätte sein können. Sein Vater hatte die Familie aus ihrem alten Heim im Ghetto entführt, mit den Freunden seiner Kindertage durfte Lorenzo nicht mehr zusammenkommen. Und er hieß noch nicht einmal Lorenzo Da Ponte. Zumindest hatte er bis vor wenigen Minuten noch nicht so geheißen.

Der Name, mit dem er aufgewachsen war und den er soeben für immer verloren hatte, lautete Emanuele Conegliano. Sein Vater, ein jüdischer Lederarbeiter, hatte seiner Familie eine neue Religion aufgezwungen. Kaum waren die buricche von Emanueles Bar-Mizwa-Feier erkaltet, da hatte der Knabe christliche Oblaten auf der Zunge. Sein Vater Geremia hieß von nun an Gaspare; Emanuele würde sich daran gewöhnen müssen, seine Brüder nicht mehr Baruch und Anania, sondern Girolamo und Luigi zu nennen. Wie es der Brauch vorschrieb, nahmen sie alle den Nachnamen des Bischofs an, der sie getauft hatte, und Emanuele übernahm als ältester Sohn auch den Vornamen des Prälaten. Nach einer pompösen Zeremonie in der Kathedrale schritten die vier hinter Monsignor Lorenzo Da Ponte her und hinaus in das gleißende Licht auf der piazza maggiore von Ceneda.

Ceneda, »eine kleine, doch nicht unbedeutende Stadt des venezianischen Staates«, lag eingezwängt zwischen den Dolomiten und den klaren, eisigen Wassern des Meschio. Die Berge begannen abrupt, sie hoben schon den westlichen Rand der Stadt hoch, als sei er die Ecke eines Teppichs. Schnee hielt die Berggipfel bis weit ins Frühjahr hinein bedeckt, und im Winter froren die Trinkwasserquellen zu. Der Sommer aber brachte Gluthitze. Geckos huschten zwischen den Steinen der Gartenmauern umher, Sonnenlicht glitzerte auf dem weißen Kies, der die Straßen bedeckte. Seidenraupen, die sich während des Frühjahrs vollgefressen hatten, hüllten sich in Kokons, die auf die emsigen Finger der Stadtbewohner warteten. Das ganze Jahr hindurch drehten sich längs des Flusses geräuschvoll die Wasserräder, mit denen Spinnereien und Papiermühlen betrieben wurden. Weiter stromabwärts bearbeiteten Gerber stinkende Häute, und Abkömmlinge der Familie Marsoni schmiedeten ihre berühmten Schwertklingen. Dahinter, aber nie weiter als wenige Gehminuten von den Straßen und Plätzen Cenedas entfernt, lagen Weinberge, fruchtbare Äcker und Wälder. Emanuele Conegliano konnte sich im Freien austoben oder mit seinen Freunden auf den Straßen herumtollen. Selbst im Ghetto, im westlichen Teil der Stadt, weckten ihn an schönen Tagen Taubengurren und Waldvogelgezirp, das Krähen der Hähne und das asthmatische Iah der Esel auf den Feldern.

Im Ghetto von Ceneda wohnten etwa fünfzig Juden, die zu einem großen Teil von einem gewissen Israel da Conegliano abstammten, den der damalige Bischof Marcantonio Mocenigo eingeladen hatte, sich in der Stadt niederzulassen und ein Pfandleihgeschäft zu eröffnen (eine Tätigkeit, die als Wucher für Christen gesetzlich verboten war). Die Coneglianos, ursprünglich aschkenasische Juden, die sich in der gleichnamigen Stadt angesiedelt hatten, betätigten sich in der gesamten Region als Geldverleiher. Viele von ihnen waren reich, und im 17. Jahrhundert hatte die Familie der Stadt Venedig einige ihrer hervorragendsten Ärzte geschenkt, aber Emanueles Vater Geremia, der 1719 in Ceneda geboren war, entstammte einem verkümmerten Zweig des Clans. Er war ein Lederarbeiter von bescheidenem Einkommen, der Gürtel und Zaumzeug herstellte. Geremia heiratete Rachele Pincherle, eine Frau, die ebenfalls aus Ceneda stammte und, obwohl auch die Pincherles in dieser Gegend eine prominente Familie waren, anscheinend nur wenig Geld in die Ehe brachte. In Görz in der Nähe von Triest hatten die habsburgischen Herrscher der Familie den Titel Hofjuden verliehen und ihr besondere Privilegien eingeräumt.

Emanuele wurde am 10. März 1749 geboren. Ihm folgten zwei Brüder, 1752 Baruch und 1754 Anania. Rachele starb, als Emanuele fünf Jahre alt war, vermutlich bei der Geburt von Anania. »Ahi che la morte avea / tolta la madre a’ miei primi vagiti« (»Ach, der Tod hatte / die Mutter mir fortgenommen bei meinen ersten Schreien«), schrieb ihr Erstgeborener, als er sich Jahrzehnte später an den Trennungsschmerz, an das Gefühl der Verlassenheit erinnerte. Nach Racheles Tod schenkte Geremia seinen Söhnen wenig Beachtung, über ihre Schulbildung machte er sich sicher keine großen Gedanken. Bis zum Alter von zehn Jahren konnte Emanuele kaum lesen und schreiben. Er war jedoch ein lebhafter, aufgeweckter Junge von unersättlicher Neugier, der immer eine schlagfertige Antwort parat hatte und mit glänzenden Augen erfasste, was die Leute sagten, bevor sie noch ausgesprochen hatten. Schließlich kam sein Vater auf den Gedanken, ihm Unterricht – und das hieß zur damaligen Zeit Lateinstunden – geben zu lassen. Er traf eine Abmachung mit dem Sohn eines ortsansässigen Bauern, einem Autodidakten, der dem Zehnjährigen ein paar Grundbegriffe der Sprache einbläuen sollte. Diesen Auftrag nahm der Hauslehrer wörtlich und bearbeitete mit seinen schwieligen Knöcheln die Stirn des Jungen, »wie Steropes oder Brontes den Amboss« schlugen. Tag für Tag kämpfte der kleine Emanuele mit den Tränen und der Lernerfolg war gleich null. Geremia, der darüber beunruhigt war, dass seine Investition in den Unterricht nur so karge Früchte trug, stieg eines Tages die Treppe hinauf und stellte sich leise an die Tür, um die beiden zu beobachten. Was er zu sehen bekam, war einer von Steropes’ Wutausbrüchen. Es dauerte nicht lange, da hatte Geremia den Lehrer an den Haaren gepackt, ihn zur Tür gezerrt und die Treppe hinuntergeworfen; Tintenfass, Federn und das einzige Exemplar von Alvaros Grammatik flogen hinterher. Von Latein war nicht mehr die Rede.

Wieder war Emanuele sich selbst überlassen – gescheit, aber innerlich vor Scham darüber brennend, dass er so wenig wusste. Andere Jungen lachten und verspotteten ihn als lo spiritoso ignorante (»geistreichen Ignoranten«). Beim Herumstöbern in der Dachkammer, in der sein Vater Papiere aufbewahrte, die er nicht mehr brauchte, entdeckte Emanuele dann eines Tages die Überbleibsel der familieneigenen Bibliothek. Eines nach dem anderen nahm er die alten Bücher in die Hand und wischte den Staub von ihnen ab: Buovo d’Antona, ein französischer roman de geste; Geschichten von Tomaso Costo in einer Sammlung aus dem 16. Jahrhundert; Guerin Meschino, ein Ritterroman; Cassandra und Bertoldo, mittelalterliche Geschichten, außerdem Gedichtbände – eine ausreichende Beschäftigung auf Monate hinaus. Emanuele war hingerissen. Er verschlang die Bücher, las sie Tag für Tag alle der Reihe nach, aber diejenigen, zu denen er wieder zurückkehrte, die einzigen, die er zweimal las, waren die vereinzelten Bände des italienischen Dichters Metastasio, des Hofdichters des Kaisers von Österreich, dessen Dramen nach Stoffen der klassischen Mythologie als der absolute Höhepunkt italienischer Opernlibretti galten. Selbst der zeitgenössische englische Kritiker Thomas Wilkes, der im Allgemeinen nicht für dieses Genre schwärmte, pries Metastasio als Dichter, der Italien »ebenso viel Ehre mache wie Corneille Frankreich oder nahezu wie Shakespeare England«, da er sich in seinen anmutigen, frei dahinströmenden Versen »weder vom Reim noch vom gleichbleibenden Metrum versklaven« lasse. In der Seele des jungen Emanuele rief die Dichtung Metastasios »dieselbe Empfindung hervor, wie die Musik sie auslöst«.

Während sich Emanuele zurückzog und las, fasste Geremia Cone­gliano einen Entschluss, der dem Leben des Jungen eine andere Richtung geben sollte. Die Juden in Ceneda hatten ähnliche Einschränkungen zu erdulden wie diejenigen, die in anderen Teilen der venezianischen Republik lebten. In der Öffentlichkeit mussten sie eine rote Kopfbedeckung tragen: Hüte für Männer, Kopftücher für Frauen. Sie durften nicht für Christen arbeiten und ihnen standen nur gewisse Berufe offen. Einige religiöse Riten unterlagen Einschränkungen, und wenn sie sich auch am Tag überall in der Stadt aufhalten durften, wurden sie doch nachts in ein Ghetto eingeschlossen.

Das ursprüngliche Ghetto war 1516 in Venedig eingerichtet worden. Es leitete seinen Namen von der alten öffentlichen Gießerei her (im venezianischen Dialekt geto), die früher auf der Insel gelegen hatte, auf der die Juden wohnen mussten. Während der darauffolgenden zwei Jahrhunderte zogen andere italienische Städte, durch antisemitische päpstliche Bullen ermutigt, nach und schlossen ihre jüdischen Bewohner ein. In früheren Jahren waren Erinnerungen an eine freiere Existenz immer noch deutlich gewesen, aber im Laufe der Zeit wurde das Leben in den Ghettos bedrängter, ärmlicher und trübseliger. In einem Bericht an die Zentralregierung von Venedig aus dem Jahre 1752 zeichnete der Bürgermeister von Rovigo (einer etwa 100 Kilometer südlich von Ceneda gelegenen Stadt) ein Bild der Zustände, wie sie auch für andere Ghettos in Italien charakteristisch waren:

Die Zahl der Ladeninhaber unter den Angehörigen dieses Volkes beläuft sich auf vierzehn. Es gibt nur zwei Gemischtwarenläden, beide schlecht ausgestattet. Alle anderen handeln nur noch mit elenden Lumpen, mit Ausnahme zweier, welche Lebensmittel verkaufen, die aber von geringer oder gar keiner Bedeutung sind. Die übrigen Angehörigen dieses Volkes müssen sich von den eingeschränktesten Beschäftigungen ernähren, die (wenngleich unzulänglich) nur einige wenige von ihnen unterhalten, so dass die anderen gezwungen sind, der Gemeinschaft zur Last zu fallen, die sie durch Almosen erhält.

Die neuen Denker der Aufklärung unternahmen zumindest zu Beginn dieser Epoche kaum etwas, um die Lage zu entspannen. Führende philosophes, darunter auch Voltaire, waren als Antisemiten bekannt, und wenngleich der habsburgische Kaiser Joseph II. dann im Jahre 1781 Reformen einführte, äußerte seine Mutter und Vorgängerin Kaiserin Maria Theresia, eine eifernde Katholikin, starke Antipathie gegenüber Juden. Nur fünf Jahre vor Emanueles Geburt hatte sie versucht, alle Juden aus Prag zu verbannen, und ihre Gefühle der Abneigung gingen gelegentlich so weit, dass sie physischen Widerwillen äußerte.

In Ceneda folgte man den Vorschriften, die der liberale Bischof Marcantonio Mocenigo erlassen hatte (er war derjenige, der Israel da Conegliano in die Stadt eingeladen hatte), und hier ging es weniger repressiv zu als an anderen Orten, aber die Aussichten für Geremia Conegliano und seine Familie waren zu Beginn der 1760er Jahre trostlos. Der wirtschaftliche Niedergang, der die venezianische Republik ins Wanken brachte, hatte zu einer Kreditkrise unter den jüdischen Geldverleihern geführt, die nun plötzlich hohe Forderungen in Händen hielten, die ihre Schuldner nicht bedienen konnten. Das führte zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen der jüdischen Gemeinde in Venedig und dem Staat sowie zu einem Wiederaufleben von Vorurteilen über jüdische Falschheit, dessen Auswirkungen in der gesamten Republik zu spüren waren. 1751 wurde Juden das Betreten des Markusplatzes verboten, und während der 1760er Jahre festigte Andrea Tron, im venezianischen Dialekt il paron, also »der Boss« genannt, seinen Einfluss auf eine Gruppe ultrakonservativer venezianischer Adliger, bis er mehr reale Macht ausübte als der Doge selbst. Tron hasste Juden, und im darauffolgenden Jahrzehnt setzte er eine brutale antisemitische Gesetzgebung durch, die eine ohnehin schon erschöpfte Gemeinschaft auf den Stand von wenig mehr als Lumpensammlern herabdrückte. Zwischen 1700 und 1766 verlor die Stadt Venedig durch Auswanderung oder Bekehrung zum Christentum mehr als die Hälfte ihrer jüdischen Bevölkerung.

Geremia Conegliano und seine Söhne waren nicht die ersten Juden aus dem Ghetto von Ceneda, die konvertierten. Sie waren noch nicht einmal die ersten Mitglieder der Familie Conegliano, die dies taten. Im Jahre 1690 war eine gewisse Dolceta Conegliano von Bischof Pietro Leoni getauft worden, und im Oktober 1724 lief Salvatore Coneglianos Tochter Sara (eine »Tante« Emanueles) fort, um sich im Mönchskloster der Stadt zu verbergen, und nahm dann im nahegelegenen Nonnenkloster San Pietro di Feltre als Schwester Francesca Maria den Schleier. In neuerer Zeit, am 5. Juni 1762, war ein Freund der Familie namens Baruch Scaramatta (oder Scaramella), ein Lehrer, der aller Wahrscheinlichkeit nach Emanuele und seinen Brüdern Elementarunterricht erteilt hatte, getauft worden.

Im Frühjahr oder Frühsommer 1763 zog Geremia mit seiner Familie den hinter dem Ghetto gelegenen Berghang hinauf in das alte steinerne Kastell San Martino, in dem der Bischof von Ceneda, Monsignor Lorenzo Da Ponte, residierte. Dort begann der Assistent des Bischofs, Kanonikus Girolamo Ziborghi, die Familie im christlichen Glauben zu unterweisen. Bischof Da Pontes Freude über die bevorstehende Konversion der Familie Conegliano war warmherzig und echt. Der Bericht, den er im darauffolgenden Jahr der Bischofsversammlung über den Zustand der Diözese erstattete, erweckt den Eindruck, dass ihn das Ereignis zutiefst bewegt hatte. Ob die Reinheit der Motive Geremias mit dieser Aufrichtigkeit Schritt halten konnte, weiß man nicht.

Der junge Emanuele Conegliano, den man von seinen Büchern auf dem Dachboden fortgeholt hatte, war plötzlich auch von seinen Freunden abgeschnitten. Soziale Kontakte zwischen Juden und Christen waren streng verboten, und die Beschränkungen galten besonders für Neukonvertierte. Auf einer steinernen Tafel, die im Ghetto von Venedig noch heute zu sehen ist, wird untersagt, dass »irgendein jüdischer Mann oder eine jüdische Frau, die man zu Christen gemacht hat, unter welchem Vorwand auch immer in die Ghettos dieser Stadt zu Besuch kommt oder dort arbeitet«. Zuwiderhandelnde bedrohte man mit »Strick, Kerker, Galeere, Peitsche, Pranger«. Nachdem Emanuele schon seine Mutter verloren hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als seinem Vater den Berg hinauf zu folgen, wodurch er auch sein Heim und seine Spielgefährten verlor. Er hatte aber noch seine Brüder zur Gesellschaft, und er konnte die demütigende rote Kappe fortwerfen, die man ihn zu tragen gezwungen hatte, seit er dreizehn Jahre alt geworden war. Im Laufe der Wochen stellte sich noch ein weiterer überwältigender Vorteil seiner neuen Lage heraus. Ihm kam der Gedanke, dass er jetzt eine richtige Schulbildung bekommen könnte. Und wenn man, nachdem man in einem heruntergekommenen Haus im Ghetto gewohnt hatte, nun im Schloss hoch oben auf einem Felsvorsprung des Monte Altare residierte, dann waren das ziemlich rosige Aussichten.

DieserberauschendeLuxuskonntejedochnursolangedauernwiediereligiöseUnterweisung.NachderTaufebrauchtedieFamilieeineneueBehausungundGeremiaeinenneuenStandortfürseinGeschäft,dasienichtmehrinsGhettozurückkehrenkonnten.EineLösungfürihrProblembotsichinGestaltvonOrsolaPasquaPaiettaan.

Orsola Pasqua war eine Tochter von Andrea Paietta, einem der ärmsten Männer der Stadt. Ihren Schwestern Maddalena und Giovanna waren in den Jahren 1754, 1756 und 1760 bereits Almosen gewährt worden. Andrea war schwer krank (er starb einige Monate später, am 19. September 1763) und wollte für die Zukunft seiner Töchter Vorsorge treffen. Giovanna hatte 1761 geheiratet, und Maddalena war anscheinend verlobt (sie heiratete zwei Monate nach dem Tod ihres Vaters), aber für die achtzehnjährige Orsola Pasqua war kein Ehemann in Sicht. Ihre Heirat mit Geremia Conegliano würde, sobald er getauft wäre, eine Reihe der pastoralen Sorgen des guten Bischofs mit einem Schlag lösen. Damit würde Andrea Paietta in dem Wissen sterben können, dass alle seine Töchter versorgt waren, die Neukonvertierten könnten aus dem bischöflichen Kastell ausziehen und Geremia hätte sowohl ein Haus als auch einen Fuß in der Tür zur christlichen Gemeinde. Als sich ihm eine achtzehnjährige Braut bot, griff er sofort zu. Der junge Emanuele war von der Aussicht auf eine Stiefmutter, die nur vier Jahre älter war als er, überhaupt nicht erbaut. Er konnte damit rechnen, dass für ihn dieser matrimonio sì disuguale (diese »so ungleiche Verbindung«) zu weiterer Vernachlässigung durch den Vater führen würde. So entschloss er sich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und suchte »von fremder Wohltat zu erlangen, was [er] von der väterlichen Fürsorge nicht mehr zu erhoffen wagte«. Wenn sein Vater nichts für seine Ausbildung tun wollte, dann würde er sich eben selbst darum kümmern müssen.

Bischof Da Ponte hatte an dem gescheiten, hellwachen jungen Emanuele durchaus Gefallen gefunden. Tapfer und mit einiger Dreistigkeit bat der Junge um eine Audienz und bettelte, der Bischof möge ihm und seinem Bruder Baruch einen Platz im Priesterseminar des Ortes verschaffen. Monsignor Da Ponte war »ein Mann von außerordentlicher Frömmigkeit, von wohltätiger Religiosität«, ein venezianischer Patrizier, der den größten Teil seines Geldes darauf verwendete, die Kathedrale von Ceneda wieder aufzubauen, den Kranken und Armen Unterstützung zukommen zu lassen und sein Seminar zu einem der gelehrtesten der Region zu machen. Wenn er über die Unverschämtheit des jungen Burschen verblüfft war, dann zeigte er das nicht. Er verschaffte den beiden Jungen nicht nur Plätze im Seminar, sondern war auch bereit, für ihre Ausbildung aufzukommen.

Als Geremia seine Familie zum Christentum bekehrte, folgte er vielleicht ebenso wie seine Verwandte Sara einer echten religiösen Überzeugung; es kann aber auch sein, dass er einfach den verzweifelten Versuch machte, sich ein besseres Leben zu sichern. Mochte sein ältester Sohn verärgert über den Umbruch sein, den sein Vater in seinem Leben hervorgerufen hatte, so konnte Emanuele, wie immer er sich zu seinen verlorenen Freunden und seinem alten Glauben stellen mochte, doch ebenso wenig die Vorteile übersehen, die für ihn bereitstanden. Am 14. Juli schrieb er, noch immer mit seiner mangelhaften italienischen Grammatik kämpfend, einen Brief an Don Pietro Bortoluzzi, den Sekretär der Diözese, der Girolamo Ziborghi bei der religiösen Unterweisung der Familie unterstützte. Dies ist der einzige erhaltene Brief, den er mit seinem alten Namen unterzeichnet hat. In einer unordentlichen, verkrampften Handschrift geschrieben und hier und da mit Spuren tintiger Fingerabdrücke geschmückt, trieft er von einschmeichelnder Frömmigkeit:

Je mehr ich Tag für Tag von der christlichen Religion entdecke, desto mehr beklage ich mit bitterem Gram die Blindheit der armen Juden, und mir fehlen die Worte, um Gott zu danken, dass er mich den Klauen des Pharaos entrissen hat. Welch große Gnade hat mir der Herr erwiesen! Nie würde ich aufhören, davon zu sprechen.

Das mögen die aufrichtigen Begeisterungsäußerungen eines inbrünstigen Neukonvertierten sein, aber sie klingen eher nach der naiven Gerissenheit eines Vierzehnjährigen, der erkannt hat, auf welcher Seite sein Brot so großzügig geschmiert wird.

Um zwei Uhr am Nachmittag des 29. August 1763, nachdem alle Kirchenglocken von Ceneda geläutet und Kanonen in regelmäßigen Abständen vier Tage lang Salven über die Stadt abgeschossen hatten, begann ein Trupp Hellebardiere die Trommeln zu rühren, und aus dem Kastell San Martino trat Seine Exzellenz der Bischof in vollem Ornat heraus, ihm voran sein Haushalt und eine große Schar von Geistlichen, begleitet von allen, die in der Stadt Rang und Namen hatten, sowie von einer Schar von Aristokraten aus der Umgebung. Seidenstoffe schimmerten, Schnallen und Knöpfe glänzten im Sonnenlicht, die Brise strich sanft über frisch gepuderte Perücken. Von nah und fern strömten Menschen, denen man Festlichkeiten und ein spektakuläres Feuerwerk auf der Piazza versprochen hatte, in die Stadt, und die Kathedrale war mit Wimpeln und Blumen geschmückt. Mitten in dem ganzen Aufzug schritt die Familie Conegliano zur Taufe und zu ihrer ersten Kommunion. Der junge Emanuele Conegliano, der Verfemte, lo spiritoso ignorante, stand einen Augenblick lang im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aus der Kathedrale tauchte er an diesem Nachmittag als Lorenzo Da Ponte wieder auf, und vor ihm lag ein völlig anderes Leben. Kenntnis von diesen Feierlichkeiten haben wir aus einem Dokument, das sich im Seminararchiv von Ceneda befindet. In seinen Memoiren erwähnt Lorenzo Da Ponte seine jüdische Herkunft nicht ein einziges Mal.

Gaspare Da Ponte heiratete Orsola Pasqua Paietta am 10. September, zwölf Tage nach der Taufzeremonie, in der Pfarrkirche San Martino di Colle am Rand von Ceneda. Seine Frau sollte ihm zehn Kinder gebären. Lorenzo Da Ponte entwickelte eine tiefe Zuneigung zu seinen neuen Brüdern und Schwestern und er zeichnete ein idyllisches Bild von ihrer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, aber seine neuerworbene Stiefmutter betrachtete er mit Bitterkeit. In seinem ganzen künftigen Leben schrieb er nicht ein einziges freundliches Wort über das arme Mädchen, das die Stelle seiner Mutter eingenommen hatte. Nicht einmal ihren Tod im Jahr 1790 erwähnt er in irgendeiner Weise.

TaufeundEhebehobendiefinanziellenSchwierigkeitenGaspareDaPontesnichtsofort.DieFamiliezogineinkleinesHausmitBlickaufdenzentralenPlatzderStadt,woersicheinenLadeneinrichtete.ImJahre1770,zugegebenermaßeneinschlechtesJahr,erklärteereinEinkommenvonnichtmehrals30Dukaten,waskaumhinreichte,umseinewachsendeNachkommenschaftzuunterhalten.FürLorenzoverblichendieEntbehrungenzuHauseunddieAntipathiegegenOrsolaPasquawieDamastinderSonneangesichtsseinesEintrittsindasSeminar.ErundGirolamo(Baruch)wurden1764alsInternatsschüleraufgenommenundsogleichineinefremdeWeltgestürzt.NichtnurwardieSprachedesSeminarsLatein,einerderführendenLateingelehrtenderdamaligenZeit,EgidioForcelloni,der»FürstderLexikographen«,wardortvon1724bis1731Rektorgewesen,undseinleidenschaftlicherJüngerGiambattistaModoliniwarderanspruchsvolleTutorderBrüderDaPonte.StrengmagModolinigewesensein,aberseineMethodenhattendortErfolg,wodieschwieligenKnöcheldesbäurischenSteropesineinzigartigerWeiseversagthatten.InwenigeralszweiJahrenkonnteLorenzo»aneinemhalbenTageinelangelateinischePredigtundfünfzignichtunelegantelateinischeVerseverfassen«.SeineitalienischeMuttersprachehingegenwarineinemStadiumsteckengeblieben,indemernichteinmaleinenBriefvonwenigenZeilenschreibenkonnte,ohnezehnFehlerzumachen.AlldasändertesichmitderAnkunftdesrevolutionärenjungenGelehrtenGianandreaCagliari,derfrischvonderberühmtenUniversitätPaduakamund»vollerFeuerundpoetischerGröße«war.AbbéCagliaribrachtedenerstaunlichenGedankenmit,dassesDanteundPetrarcaebenso sehrverdienthattenstudiertzuwerdenwieVergilundHoraz.ErdurchbrachdieUmklammerungdurchdasLateinischeundmachteseineSchützlingemitdersanfterenUmarmungdesToskanischenbekannt.ErvermittelteihnengutenGeschmack,weckteinihneneinBewusstseinfürdieSchönheititalienischerPoesieundProsaundentfachteinLorenzovonneuemdasVergnügen,daserbeiderLektürederBücherempfundenhatte,dieerJahrezuvoraufdemDachbodenseinesVatersgefundenhatte.

Die beiden Stars der innovativen Klassen Cagliaris waren Girolamo Perucchini und Michele Colombo, beides einnehmende, geistreiche junge Männer. Mit neunzehn Jahren war Michele Colombo nur zwei Jahre älter als Lorenzo, aber er erregte die uneingeschränkte Bewunderung des Jüngeren. Colombo las Lorenzo seine Gedichte vor und ermutigte seinen Bewunderer, sich auch einmal in dieser Kunst zu versuchen. Lorenzos erster Versuch war ein Sonett, in dem er seinen Vater um etwas Geld anbettelte. Kaum hatte er es abgeschlossen, schreckte ihn schallendes Gelächter auf, das hinter seinem Rücken ertönte. Über seine Schulter hatte Colombo die ziemlich holprigen Verse gelesen und fing an, sie in dem Singsang zu rezitieren, den blinde Bettler auf der Straße verwendeten, wenn sie so taten, als klimperten sie auf der Laute. Wieder brannte lo spiritoso ignorante vor Scham. Drei Tage lang sah er Colombo nicht und sprach mit ihm kein Wort, aber seine Jahre im Ghetto hatten ihn Hartnäckigkeit gelehrt. Lorenzo ging mit solcher Heftigkeit daran, die italienische Dichtung zu studieren, dass er kaum Pausen zum Essen einlegte. Innerhalb von sechs Monaten konnte er Dantes Inferno auswendig, ebenso die meisten Sonette Petrarcas sowie die erlesensten Passagen von Tasso und Ariost. Dann verfasste er heimlich über 2000 Verse, die er wieder verbrannte. Darin imitierte er Stile, übte sich in Metren, wiederholte Wendungen, die er schön fand, bis er sich gewappnet fühlte, anlässlich der Abschiedsfeierlichkeiten für den Rektor öffentlich ein Sonett vorzutragen. Niemand glaubte, dass er es geschrieben hatte. Entweder durch seine Energie oder mit seinem Gedicht (eine unendlich elegantere Leistung als sein erster Versuch) hatte er sich jedoch die Zuneigung Perucchinis wie Colombos erworben, und zwischen den dreien entwickelte sich eine leidenschaftliche Freundschaft.

Die poetische Inbrunst hatte einer anderen Leidenschaft zusätzliche Nahrung gegeben: der Liebe Lorenzos zu Büchern. Ihren Anfang hatte sie mit den staubigen Bänden im Ghetto-Dachboden genommen, inzwischen hatte er sich bereits eine kleine lateinische Bibliothek aufgebaut. Aber seine Wünsche richteten sich auf italienische Werke, und Bücher waren teuer. Er hatte bereits einen Blick für ein gutes Geschäft. Es gab »in Ceneda einen Buchhändler, der aus bloßer Laune, obwohl er unwissend und ein Idiot war, einen Laden mit ausgezeichneten Büchern hatte«, und Lorenzo hatte ein Auge auf einige schöne Elzevir-Ausgaben geworfen, die selbst zu den Preisen des unwissenden Buchhändlers weit über seine Verhältnisse gingen. Der Sohn des Buchhändlers war ein Schuhmacher, der gutes Leder für elegante Schuhe brauchte, was ein wenig zu kostspielig für seine Verhältnisse war. Der alte Mann schlug einen Tausch vor: Bücher gegen gefärbtes Leder und Kalbsleder aus dem Laden von Lorenzos Vater. Lorenzo schlich sich in den Lagerraum, suchte sich drei schöne Häute aus und stopfte sie sich unter seine Jacke. Kaum hatte er das Gebäude verlassen, da sah er Orsola Pasqua, die sich auf der Straße mit jemandem unterhielt. Als er die Straße überquerte, um ihr nicht zu begegnen, hörte er, wie eine ihrer Freundinnen die Bemerkung machte: »Wie schade, dass der junge Mensch einen solchen Höcker hat!«, und genau in dem Moment rutschte das Bündel Kalbshäute aus seinem Versteck auf das Kopfsteinpflaster. Mit einem Sturm von weiblichem Gelächter im Rücken erfuhr Lorenzo schon sehr bald die Konsequenzen. Orsola Pasqua hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Vorfall ihrem Gatten zu berichten. Wutentbrannt begab sich Lorenzos Vater ins Seminar und machte eine öffentliche Szene. Der Bischof erfuhr davon und Lorenzo wurde ins Kastell befohlen, aber der Prälat konnte nicht umhin, über die Version der Geschichte, die ihm der junge Mann erzählte, zu lachen. Er gab ihm das Geld zum Kauf der Bücher. Lorenzo Da Ponte hatte den Grundstock einer italienischen Bibliothek, und er lernte den Wert von Charme kennen.

Unterdessen gedieh die Freundschaft Lorenzos mit Girolamo Perucchini und Michele Colombo. Letzterer wurde der Seelenverwandte, den Lorenzo im Ghetto so sehr vermisst hatte, er durchstieß den Panzer des spiritoso ignorante und brach aller Leidenschaft Bahn, die der mutterlose Knabe seit Jahren aufgestaut hatte. Die beiden stürmten durch das Seminar, talentiert, unwiderstehlich und herrlich aufsässig. »Nie hatte ich einen Freund, der mir lieber gewesen wäre«, schrieb Colombo Jahre später in einem Brief an den Bibliothekar der Universität Padua. »Er war ich, und ich war er: zwei Verrückte ersten Ranges. Die Tollheiten, die wir dort begingen, sind unglaublich.« Sie improvisierten Sonette, verliebten sich beide unsterblich in dasselbe Mädchen, schoben sich heimlich während des Unterrichts Zettel zu und verfassten zeilenweise im Wechsel Gedichte, bei denen Außenstehende nicht feststellen konnten, dass sie das Werk zweier verschiedener Hände waren. Sie sorgten für so viel Aufruhr, dass man sie irgendwann hinauswarf – nur um sie dann wieder aufzunehmen. Denn, wie Colombo schreibt, »so verrückt wir waren, wir waren besser als jene anderen, die weiser waren als wir«. Ihr Verhalten ging schließlich so weit, dass die Leitung entschied, man werde sie trennen müssen. Die katastrophalen Ereignisse des Jahres 1768 machten das unvermeidlich.

In diesem Jahr wurde Lorenzo von einer »schweren Krankheit« niedergeworfen, die ihn an den Rand des Todes brachte, ihn sechs Monate lang von seinen Studien abhielt und dazu zwang, eine Klasse zu wiederholen. Erschwerend kam hinzu, dass sein Vater, der selbst in den besten Zeiten in finanziell ungesicherten Verhältnissen lebte und der noch vier weitere Münder zu ernähren hatte, von »verschiedenen häuslichen Schicksalsschlägen« betroffen wurde, die ihn in Armut stürzten. Am beunruhigendsten war, dass im Juli Bischof Da Ponte starb. Er war nicht nur der Schirmherr aller drei Da-Ponte-Jungen im Seminar gewesen (Luigi war dort 1767 zu seinen beiden Brüdern gestoßen), er hatte auch Gaspare finanziell geholfen. Die Zukunft der Brüder als Internatsschüler war gefährdet, und ihr Vater konnte es sich nicht leisten, sie wieder aufzunehmen. Einen nach dem anderen verkaufte Lorenzo die kostbaren Bände, die er von dem Buchhändler in Ceneda erstanden hatte, um Geld für die Unterstützung der Familie aufzubringen. Seine Hoffnungen auf Bildung waren wieder einmal ausgebremst worden.

Kanonikus Girolamo Ziborghi, der Mann, der als Erster der Familie religiöse Unterweisung erteilt hatte, wartete mit einer Lösung auf. Er und Gaspare Da Ponte beschlossen, dass die Jungen Priester werden sollten. Das bedeutete ihre Übersiedlung in ein Seminar in Portogruaro, wo La Pia Casa dei Catecumeni, eine venezianische mildtätige Stiftung, die auf die Umerziehung von Konvertiten spezialisiert war, für ihren Unterhalt aufkommen würde. Für Lorenzo bedeutete es die Trennung von Michele Colombo und das Einschlagen eines Weges, vor dem er zurückschreckte. 1765 hatte er schon die niederen Weihen genommen. Die Tonsur und das schwarze Gewand waren ihm nur zu fremd, aber der Akt hatte dem Bischof gefallen, und diesmal hatte es Lorenzo seinen Seminargenossen nachgetan. Dass junge Männer, die in einem Seminar erzogen wurden, die niederen Weihen empfingen, war nicht ungewöhnlich, es bedeutete wenig mehr als das Mönchsgewand und ein Versprechen, sich nicht zu duellieren und nicht zu tanzen. Man betrachtete sie als nicht sehr verschieden von Laien. Von den höheren Weihen hingegen schrieb Lorenzo, sie entsprächen »so wenig meinem Temperament und Charakter, meinen Grundsätzen und Lieblingsbeschäftigungen«. Er musste auch »auf die Hand eines edlen und anmutigen Mädchens verzichten, das [er] zärtlich liebte«. Falls es sich hierbei um Pierina Raccanelli handelte, um die Aphrodite von Ceneda, die er und Michele Colombo mit Salven anbetungsvoller Sonette bedacht hatten, dann wäre ihr die Hand des Rivalen um ihre Zuneigung ebenfalls versagt geblieben, da auch Colombo schließlich Priester wurde. Auf jeden Fall bleibt das »edle und anmutige Mädchen« fast unbemerkt im Vergleich zu der Leidenschaft der Gefühle, die Lorenzo für seinen Freund hegte.

Der Eintritt in den Priesterstand war eine Absage an alles, was der frischgebackene Lorenzo Da Ponte als sein Wesen auffasste und was er sich als seine Bestimmung vorstellte. Ein Kompromiss kam jedoch nicht in Frage. Für einen armen Jungen, der verzweifelt nach Bildung strebte, gab es einfach keinen anderen Weg. Ende Oktober 1769 machte sich ein liebeskranker Lorenzo zusammen mit seinen Brüdern Girolamo und Luigi, dick verpackt zum Schutz vor den eisigen Winden, die vom Gebirge herabwehten, auf den beschwerlichen Weg über die venezianische Ebene nach Portogruaro, der über unwegsame Straßen und durch tiefe Sümpfe führte.

Auf halbem Wege zwischen Venedig und Triest, an den Ufern des Lemene in der Nähe der Stelle gelegen, an der dieser Fluss in die Lagune von Càorle mündete, war Portogruaro ein geschäftiges Städtchen und ein reiches dazu. Jahrhundertelang hatte sich der Flusshafen mit den Erträgen des Handels zwischen der Republik und den umliegenden österreichischen Territorien die Kassen gefüllt, und er hatte das Geld großzügig wieder ausgegeben. Durchbrochene gotische Fassaden standen neben wuchtigen mittelalterlichen Steinmetzarbeiten, schöne Renaissancefresken schmückten die Außenwände seiner palazzi, lange Bogengänge überschatteten die Eingänge zu wohlsortierten Läden. Mitten durch die Stadt floss der Lemene, rasch, kalt und ebenso bravourös über Wasserräder dahinbrausend wie der Meschio in Ceneda. Das waren die einzig vertrauten optischen und akustischen Eindrücke für die Brüder Da Ponte, während ihr Wagen über das Kopfsteinpflaster zum Seminar rollte.

Das Seminar von Portogruaro war vergleichsweise neu, es war erst zu Beginn des Jahrhunderts gegründet worden. Gruppen junger Männer schritten dort in den nüchternen Säulengängen rings um den grasbewachsenen Hof auf und ab und beteten ihre Rosenkränze. Ein oder zwei trugen eiserne Kragen, als Strafe dafür, dass sie aus dem Lateinischen ins Italienische verfallen waren. Strenge Regeln und ein rigoroses Programm beherrschten ihren Tagesablauf, fromme Übungen bereiteten sie darauf vor, gute Diener der Kirche zu ­werden. An drei Abenden in der Woche trafen sie sich, um klassische Dichter zu erörtern. Nach drei Jahren wurde den besten Studenten gestattet, Griechisch und Hebräisch zu lernen (bei Letzterem war Lorenzo im Vorteil), aber anders als in Ceneda gab es hier keinen revolutionären Abbé Cagliari. Wenn jemand italienische Schriftsteller studieren wollte, dann tat er das heimlich. Naturwissenschaften und Mathematik waren im Lehrplan sehr stark vertreten, aber andere Lehrveranstaltungen schützten die angehenden Kleriker vor philosophischen Angriffen. Von der Encyclopédie, dem umfangreichen Wörterbuch des Wissens und Denkens, das seit den 1750er Jahren von dem Philosophen Denis Diderot herausgegeben wurde, waren nur vier Jahre zuvor weitere zehn Bände erschienen. Die in diesem Werk enthaltenen Artikel attackierten Aberglauben und christliche Leichtgläubigkeit und fanden zahlreiche Leser, was dazu beitrug, die Ideen der französischen Aufklärung in ganz Europa zu verbreiten (die ursprünglichen Geldgeber der Encyclopédie machten mit ihrer Investition einen Profit von 300 Prozent). Dass derartige Ideen im Seminar Fuß fassten, konnte nicht angehen.

Girolamo kam mit dem Reglement ohne Mühe zurecht (er wurde später ein engagierter Priester). Lorenzo las heimlich italienische Schäferdramen, während der Proktor Euklid, Galileo und Newton erklärte. Hinter vorgehaltener Hand verwickelte er sich in wütende Diskussionen mit den »wilden Anhängern« Aristarchs, des umstrittenen Intellektuellen, der eine neue italienische Literatur propagierte. Ungeachtet ihrer divergierenden Wege hielten die Brüder zusammen – als enge Freunde ebenso wie als Geschwister –, und bei jeder sich bietenden Gelegenheit schrieb Lorenzo an Michele Colombo: Er sandte ihm Gedichte, erkundigte sich nach Mitschülern, beklagte sich über Zahnschmerzen, schmiedete fruchtlose Pläne für ein Zusammentref­fen, schlichtete Streitigkeiten, stritt sich über literarische Fragen und überschüttete seinen Freund mit Küssen. Unterbrechungen in der Korrespondenz bereiteten ihm Qualen und führten zu anbetungsvol­len Ergüssen:

Mehr als drei Monate habe ich verbracht, ohne Euch zu schreiben und ohne Eure Briefe zu empfangen, und in einer so langen Zeit habe ich nicht eine einzige Nachricht von Euch erhalten. Darum habe ich Euch aber nicht weniger lieben können, als ich Euch geliebt hatte, oder auch nur einen Tag vergehen lassen, ohne mich an Euch zu erinnern; und diese meine Beständigkeit liegt mir so am Herzen, dass ich es, wenn es anders wäre, bei Gott bereuen würde, da ich weiß, dass ich Euch in diesem Falle erheblich weniger liebte, als ich schulde. Denn auch jetzt, wenn ich Euch auch liebe, so sehr ich es verstehe und vermag, liebe ich Euch doch weniger, als Ihr verdient, sowohl wegen der Liebe, die Ihr mir entgegenbringt, als auch wegen der einzigartigen Vorzüge, die Euch in höchstem Maße liebenswert machen.

Einen gewissen Trost fand Lorenzo auf einem Ausflug in das nahe­gelegene Venedig. Auf dem Höhepunkt des Karnevals im Januar und Februar 1771 wurden alle drei Brüder Da Ponte dorthin geschickt, um sich von einem »schrecklichen Fieber« und »äußerst heftigen Krämpfen« zu erholen. Brav erklärt Lorenzo in einem Brief an Michele Colombo, da der Karneval eine Zeit sei, in der Geistliche besser im Hause blieben, anstatt auszugehen, bleibe er daheim, um mit seinen Musen Zwiesprache zu halten. (Hätte der fromme Dichter zu dieser Zeit eine Neigung zur Musik gezeigt, dann hätte er durchaus ein Konzert besuchen können, das ein brillanter junger Besucher des Karnevals 1771 gab, ein Fünfzehnjähriger, der ebenfalls eine etwas komplizierte Beziehung zu seinem Vater hatte: Wolfgang Amadeus Mozart.) Der Brief dürfte sicherlich den streng zensierenden Blicken der vorgesetzten Priester im Seminar von Ceneda ausgesetzt gewesen sein. Im wirklichen Leben genoss Lorenzo aber allem Anschein nach Trubel und wilden Krawall – und er verliebte sich in Angela Tiepolo.

Diese verarmte Angehörige einer der führenden Familien von Venedig, die nur ein Jahr jünger war als Lorenzo, »war klein und zierlich, hatte schneeweiße Haut, schmachtende Augen und zwei rei­zende Grübchen in den Wangen, die frischen Rosen glichen«. Winzig und zart mag die kleine Angela erschienen sein, aber sie besaß ein stürmisches Temperament, das rasch in eine unkontrollierbare Wut ausbrach. Außerdem war sie verheiratet.

Als sich die Brüder von ihrem Fieber erholt hatten, kehrten sie nach Portogruaro zurück und nahmen ihre Studien wieder auf. Lorenzo hielt seine neue Liebe geheim. In seinen Briefen an Colombo beklagt er, dass ihm die erzwungene Konzentration auf die Philosophie keine Zeit lasse, Gedichte zu schreiben, und er befürchtet, dass sich seine Musen aus Ärger über die Vernachlässigung von ihm abgewandt hätten. Vielleicht könne sein Freund eine Versöhnung herbeiführen. Gelegentlich kann er einer kleinen Prahlerei nicht widerstehen. Denn es ist klar, dass der junge Da Ponte unter seinen Mitstudenten hell erstrahlte und dass er sowohl den Rektor als auch den örtlichen Bischof verblüfft hatte. Im September 1771, nur ein Jahr nach der Ankunft der Brüder im Seminar, ernannte der Rektor Lorenzo zum Ausbilder. Ein Jahr später erntete der junge Mann mit dem Vortrag eines Gedichts, das er– auf Italienisch – zum Lob des heiligen Ludwig geschrieben hatte, ein »Bravo!« von einem Aristokraten des Ortes, und der Bischof bot ihm sogleich den Lehrstuhl für Rhetorik an. Im Frühjahr 1772 wurde er, wiederum auf besondere Intervention seiner Fürsprecher, zum Vizerektor mit einem Jahresgehalt von 40 Dukaten ernannt. Einen Augenblick zögerte er: Wenn seine Musen zuvor ärgerlich gewesen waren, dann würden sie über das Arbeitspensum, das er jetzt zu bewältigen hatte, wütend sein. Für Dichtung bliebe kaum noch Zeit, aber mit 23 Jahren wusste Lorenzo, dass seine Tage als subventionierter Student gezählt waren. Er griff nach der Unab­hängigkeit, nahm die Stelle an und begann sofort, Geld nach Hause zu überweisen, um seine neuen Geschwister (mittlerweile sechs an der Zahl) zu unterstützen.

Die Pflichten von Vizerektor Da Ponte bestanden darin, 52 der besten Studenten in Italienisch zu unterrichten, auf Disziplin zu achten sowie die Eröffnungsrede zum Beginn des akademischen Jahres zu schreiben und ebenso auch Gedichte für die abschließende accademia, die prestigeträchtige öffentliche Zeremonie im Beisein aller städtischen Honoratioren, mit der die Studien zu Ende gingen. »Was hältst du davon?«, schrieb er begeistert an Michele Colombo. »Die anderen Vizerektoren hatten nicht so viele Verpflichtungen, aber die Großzügigkeit dieses Monsignore und des Rektors sowie die gute Meinung, die sie von mir haben, haben dazu geführt, dass man sie mir gab. Der Vizerektor hier ist also dasselbe wie der Rektor im Seminar von Ceneda.« Er hatte alles Recht, mit sich zufrieden zu sein, aber der Sohn eines armen Lederarbeiters wurde jetzt ein wenig eingebildet, und das in einer Epoche, in der die alte Ordnung zwar ins Wanken geriet, aber keineswegs überwunden war. Ehrerbietung und Beachtung der Schicklichkeit waren immer noch wichtig, und mit gefährlichen Gedanken über die Rangordnung musste man zurückhaltend sein. Wenn der junge Vizerektor das nicht beherzigte, konnte er in Schwierigkeiten geraten.

Bei seinen älteren Kollegen weckte Lorenzo Da Ponte jetzt allmählich abgrundtiefen Neid. Was man auf den Gängen des Seminars von Portogruaro murmelte, waren nun nicht mehr nur Rosenkränze. Als Kritiker seinen wunden Punkt anzugreifen versuchten und den arrivista verspotteten, weil er keine Physik studiert hatte, als sie behaupteten, er sei »ein Schwätzer und ein ungebildeter Versemacher«, reagierte Lorenzo, indem er als Thema der accademia von 1772 la fisica particolare, die spezielle Physik, wählte und einen Dithyrambus über Gerüche vortrug, der dazu führte, dass er »von den Literaten dieser Stadt, von der Schülerschaft und vom Bischof gelobt und gehätschelt« wurde. Das trübte sein Verhältnis zu seinen Kollegen natürlich noch mehr. Ein weiteres Jahr erduldete er die bitteren höhnischen Bemerkungen, ignorierte die Sticheleien und geflüsterten Bemerkungen. Während der ganzen Zeit peinigte ihn die »allerheftigste Leidenschaft« für Angela, und er begann, sich aus dem Seminar fortzustehlen, um sie zu sehen. Am 27. März 1773 wurde er zum Priester geweiht, ein Ereignis, das er in einem Brief an Michele Colombo lakonisch mit einem einzigen Satz abtut, wobei er seiner Hoffnung, den Freund wiederzusehen, ebenso großes Gewicht gibt: »So Gott will, werde ich am Samstag vor der Karwoche in der Messe geweiht werden, und vielleicht werde ich das Vergnügen haben, dorthin zu kommen, um Euch zu umarmen.« Technisch gesehen, machte das Priestergelübde Angela für ihn unerreichbar, aber Lorenzo Da Ponte, der so oft in seinem Leben nach Zärtlichkeit hungerte, war ungestüm und waghalsig in seiner Hingabe, wenn ihn die Liebe überkam. »Grüß mir Baliana«, schreibt er in einem Nachsatz zu einem Brief, den er im Juli an Colombo richtet, mit Blick auf einen liebeskranken Freund im Seminar von Ceneda, »und sag ihm, dass ich über sein Weh betrübt bin. Denn die Liebe ist wirklich eine traurige Angelegenheit.« Im November 1773 gebar Angela ihr zweites Kind, einen Knaben namens Niccolò Maria. Ihr Gatte Giulio Maria Soderini, der erheblich älter war als sie, weigerte sich, das Kind anzuerkennen, und verließ sie, um Priester zu werden.

Im Herbst 1773, bevor das Kind geboren war, steckte Da Ponte ein, was von den 40 Dukaten seines Gehalts noch übrig war, quittierte abrupt seinen Dienst im Seminar und begab sich nach Venedig.

Kapitel 2

In Klatschgeschichten, die man sich am Canal Grande erzählte, war davon die Rede, wie auf einem Ball, den die berühmte Familie Foscarini gab, Caterina Querini mit dem König von Dänemark tanzte. Da riss ihr ein Faden, so dass die Perlen, mit denen ihr Kleid bestickt war, zur Erde rollten. Unbekümmert lächelnd tanzte sie weiter, bis die Musik aufhörte, während ihre Juwelen davonrollten. Die anmutige contessa kann als passende Metapher für ihre Heimatstadt Venedig im 18.Jahrhundert stehen, die, zwar wohlhabend, aber nicht mehr mächtig, in einem prachtvollen letzten Fest ihren Reichtum verschleuderte. Hundert Jahre später schrieb dann der Dichter Robert Browning:

Venedig und seine Menschen, nur zum Blühen und Welken gebor’n,

Frucht trugen sie hier auf Erden, Frohsinn und Torheit waren ihr Teil:

Was von Seele blieb, möcht’ ich wissen, als das Küssen zu Ende ging.

Brownings Zeitgenosse, der französische Historiker Philippe Monnier, beschwor mit dunkleren Worten den »auf Blumen gebetteten Sarg«. Als sich aber die Allerdurchlauchtigste Republik, die über tausend Jahre bestanden hatte, dem Untergang näherte, setzten ihre Bürger demonstrativ den Tanz fort. Die Party ging weiter, bis schließlich Napoleon der Musik ein Ende bereitete.

In den 1770er Jahren konnte die Stadt, einst die unumschränkte Herrin des Mittelmeers, die sich ein kleines Imperium geschaffen und heftige Kämpfe mit den Türken ausgefochten hatte, kaum noch die Zufahrtswege zu ihrer eigenen Lagune kontrollieren. An die Stelle der exotischen Güter, die ehemals ihre Speicher gefüllt hatten, waren Olivenöl, Salz und Rosinen getreten, aber Bares strömte immer noch herein. Ausländer mit dicken Geldbeuteln kamen scharenweise in die europäische Hauptstadt des Vergnügens. Nach mehr als einem halben Jahrhundert des Friedens gab Venedig, das durch lebhaften Handel auf lokaler Ebene zusätzlichen Auftrieb erhielt, seine Einkünfte für Musik und Lustbarkeiten aus. Der Karneval der Stadt war der längste und ausgelassenste, den es gab, er dauerte fast das halbe Jahr. Masken die , die nur die Augen bedeckte, oder die mit einer Kapuze versehene waren vom Oktober bis zur Fastenzeit Pflicht. Hinter ihnen verschwanden die Rangunterschiede, Regeln konnten gebrochen werden, Klatsch, Verwegenheit und Intrigen gediehen. Jeder, der eine Maske trug, konnte das Ridotto, das berühmte Spielhaus in San Moisè, betreten oder beim Beginn des Banketts, das der Doge am Himmelfahrtstag gab, zugegen sein. Freunde versammelten sich in privaten Vergnügungssalons, den , wo sie reichhaltige Mahlzeiten einnahmen oder einzeln zu einem skandalösen Stelldichein hineinschlüpften. Hester Lynch Piozzi (früher Thrale, geborene Salusbury), die einstige Vertraute Dr. Johnsons, die ihre Freunde dadurch geschockt hatte, dass sie einen italienischen Musiker heiratete und sich auf eine Bildungsreise durch den Kontinent begab, rief über Venedig aus:

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