Mächtig, mutig und genial - Eva Karnofsky - E-Book

Mächtig, mutig und genial E-Book

Eva Karnofsky

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Beschreibung

Lange galt Lateinamerika als Kontinent der Machos. Diese Zeiten sind vorbei, inzwischen sind es die Frauen, die den Ton angeben - egal ob in der Politk, Wirtschaft oder Kultur. Mächtig, mutig und genial stellt vierzig von ihnen vor. Frauen wie Eva Perón, Rigoberta Menchú oder Frida Kahlo, die für ihr Land und über die Grenzen hinaus von Bedeutung waren und durch ihr Wirken die Rolle der Frauen stärkten. Ein unverzichtbares Nachschlagewerk für alle, die sich für das Leben von Frauen in Südamerika interessieren.

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EVA KARNOFSKY / BARBARA POTTHAST

MÄCHTIG, MUTIG UND GENIAL

EVA KARNOFSKYBARBARA POTTHAST

MÄCHTIG, MUTIGUND GENIAL

VIERZIG AUSSERGEWÖHNLICHE FRAUENAUS LATEINAMERIKA

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung von BookaBook, der Literarischen Agentur Elmar Klupsch, Stuttgart.

eISBN 978-3-86789-579-8

Dieses Ebook basiert auf der 1. Auflage der Printausgabe,© 2012 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, BerlinUmschlaggestaltung: capaUmschlagabbildungen: ullstein bild – TopFoto (Eva Perón),Süddeutsche Zeitung Photo / Teutopress (Rigoberta Menchú),ullstein bild – Roger-Viollett / Leo Matiz (Frida Kahlo)

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:Rotbuch VerlagAlexanderstraße 110178 BerlinTel. 01805 /30 99 99(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)

www.rotbuch.de

INHALT

EINLEITUNG

I. MÄCHTIG

MALINCHE

MEXIKO, UM 1501–1529

INÉS YUPANQUI / QUISPE ÇIÇA

PERU, UM 1520–1575

POLICARPA SALAVARRIETA

KOLUMBIEN, 1795–1817

MANUELA SÁENZ

ECUADOR, 1797–1856

LEOPOLDINE VON HABSBURG

BRASILIEN, 1797–1826

ELISA ALICIA LYNCH

PARAGUAY, UM 1833–1886

EVA DUARTE DE PERÓN (EVITA)

ARGENTINIEN, 1919–1952

LYDIA GUEILER TEJADA

BOLIVIEN, 1921–2011

ERNESTINA HERRERA DE NOBLE

ARGENTINIEN, *1925

VIOLETA BARRIOS DE CHAMORRO

NICARAGUA, *1929

MARÍA ESTELA (ISABEL) MARTÍNEZ DE PERÓN

ARGENTINIEN, *1931

LUIZA ERUNDINA DE SOUSA

BRASILIEN, *1934

DILMA ROUSSEFF

BRASILIEN, *1947

MICHELLE BACHELET

CHILE, *1951

CRISTINA FERNÁNDEZ DE KIRCHNER

ARGENTINIEN, *1953

MARÍA EMMA MEJÍA

KOLUMBIEN, *1953

IRENE SÁEZ

VENEZUELA, *1961

II. MUTIG

INÉS SUÁREZ

SPANIEN/CHILE, 1507–1580

BERTHA LUTZ

BRASILIEN, 1894–1976

AZUCENA VILLAFLOR DE VICENTI

ARGENTINIEN, 1924–1977

»TANIA« HEIDE TAMARA BUNKE

ARGENTINIEN/DEUTSCHLAND, 1937–1967

DOMITILA BARRIOS DE CHÚNGARA

BOLIVIEN, 1937–2012

VERA GRABE

KOLUMBIEN, *1951

ANA GUADALUPE MARTÍNEZ

EL SALVADOR, *1952

MARINA SILVA

BRASILIEN, *1958

RIGOBERTA MENCHÚ

GUATEMALA, *1959

GLORIA CUARTAS

KOLUMBIEN, *1960

YOANI SÁNCHEZ

KUBA, *1975

III. GENIAL

SOR JUANA INÉS DE LA CRUZ

MEXIKO, 1651–1695

CLORINDA MATTO DE TURNER

PERU, 1854–1909

GABRIELA MISTRAL

CHILE, 1889–1957

FRIDA KAHLO

MEXIKO, 1907–1954

MERCEDES SOSA

ARGENTINIEN, 1935–2009

MARTHA ARGERICH

ARGENTINIEN, *1941

ISABEL ALLENDE

CHILE, *1942

GIOCONDA BELLI

NICARAGUA, *1948

BEATRIZ CANEDO PATIÑO

BOLIVIEN, *1950

MARTA LAGOS

CHILE, *1952

ANA FIDELIA QUIROT

KUBA, *1963

SHAKIRA

KOLUMBIEN, *1977

EINLEITUNG

Lateinamerika ist der Kontinent der Machos, so das gängige Klischee. Hierzulande wird gern daraus geschlossen, dass Frauen dort dazu verdammt sind, ein Dasein als Heimchen am Herd zu fristen, und dies auch klaglos hinnehmen. Dies war und ist jedoch keineswegs der Fall. Lateinamerika hatte noch vor Europa die erste Präsidentin, es gibt erfolgreiche und mächtige Unternehmerinnen und auch der erste Literaturnobelpreis für Lateinamerika ging an eine Frau. Frauen haben in Lateinamerika bereits seit der Landung der Spanier und Portugiesen politisch und gesellschaftlich eine Rolle gespielt – in einigen Kulturen auch davor. Allerdings war dies nicht die Regel, und die männlich dominierte, offizielle Geschichtsschreibung hat sich um die Frauen kaum gekümmert. Wir möchten daher in diesem Buch einige Lateinamerikanerinnen vorstellen, die für ihr Land und darüber hinaus von Bedeutung waren. Manche von ihnen, aber nicht alle, haben auch versucht, durch ihr Wirken die Rolle der Frauen zu stärken.

KOLONIALZEIT UND DEKOLONIALISIERUNG

Ohne die Aztekin Malintzin, gemeinhin als Malinche bekannt, wäre es dem Eroberer Hernán Cortés um vieles schwerer gefallen, die Völker Mexikos unter spanische Kontrolle zu bringen. Ob es Pedro de Valdivia gelungen wäre, ohne seine wagemutige Gefährtin Inés Suárez bis nach Chile zu gelangen, um dort die Hauptstadt Santiago zu gründen und gegen die indigenen Mapuche zu verteidigen, darf zumindest bezweifelt werden. Auch die Bedeutung der wagemutigen Frauen, die die spanischen Eroberer im La-Plata-Raum begleiteten und deren Überleben angesichts der Hungersnot sicherten, kann kaum überschätzt werden. Eine von ihnen, Isabel de Guevara, beschreibt dies in einem eindrucksvollen Brief an die Krone und beschwert sich dabei darüber, dass diese Verdienste in keiner Weise anerkannt wurden. Gleiches gilt für die vielen namenlosen indigenen Frauen, die den Konquistadoren durch ihre Arbeit auf dem Feld und im Haus das Überleben ermöglichten – und oft auch deren Konkubinen wurden. Ob dies freiwillig oder gezwungenermaßen geschah, steht auf einem anderen Blatt. Frauen aus den höchsten Schichten der indigenen Völker spielten allerdings zu Beginn des Kolonialreiches oft eine aktive Rolle in der Gesellschaft, wofür das Leben von Inés Yupanqui, deren Mutter im Übrigen eine ganze Region regierte, nur ein Beispiel ist. Ein anderes wäre das der inkaischen Ñusta (»Prinzessin«) Beatriz Clara Coya, deren Hochzeit mit Martín García de Loyola, einem Nachkommen des Gründers des Jesuitenordens Ignacio de Loyola, in einem prächtigen Gemälde mit spanischen und inkaischen Symbolen festgehalten wurde. Es stellt die Verbindung von indigenem und spanischem Hochadel und damit die – hier allerdings idealisierte – Mestizisierung Lateinamerikas dar. Diese zeichnet den Kontinent bis heute aus, und sie ist ohne die indigenen und afroamerikanischen Frauen nicht zu denken.

Allerdings entsprach die aktive gesellschaftliche und politische (und im Falle von Inés Suárez auch militärische) weibliche Teilhabe nicht den vom Katholizismus geprägten Moralvorstellungen und Geschlechterrollen, und letztendlich waren bis ins 19. Jahrhundert hinein auch die einflussreichen Frauen gezwungen, sich diesen zu unterwerfen. Kurz: Sie hatten freie Hand, solange ihre Taten den Männern, zu deren politischem Projekt sie gehörten und an dem sie aktiv mitwirkten, zupass kamen. Waren sie diesem nicht mehr zuträglich, wurden sie daraus verbannt, auch gegen ihren Willen. Man suchte einen Ehemann für sie und sorgte dann dafür, dass sich die Frauen wieder entsprechend der traditionellen Rollenbilder verhielten.

Wie so oft in Zeiten politischen und gesellschaftlichen Umbruchs, so haben auch in Lateinamerika die Wirren der Conquista und später der Unabhängigkeitskriege dazu beigetragen, dass Frauen wie Malinche und Inés Suárez zu Einfluss gelangen konnten; kaum etablierten sich die Kolonialherren bzw. die neuen kreolischen politischen Eliten, legten sie wieder mehr Wert auf Moral und Etikette. Die indigenen Frauen wurden dann entweder an den Rand der Gesellschaft gedrängt, oder sie integrierten sich völlig in die Welt der Eroberer und ihrer Werte, wie z. B. die obenerwähnte Beatriz de Loyola, deren Nachkommen in den spanischen Hochadel aufstiegen und ihre indigenen Wurzeln vergaßen.

Das Leben der Sor Juana Inés de la Cruz belegt, dass die etablierte Kolonialgesellschaft auch keinen Platz hatte für intelligente, gebildete und selbständig denkende Frauen, zumindest war es ihnen nicht erlaubt, sich öffentlich als solche zu profilieren. Sor Juana ist jedoch auch ein Beweis dafür, dass es in Lateinamerika schon früh Frauen gab, die versucht haben, sich nicht dem herrschenden Frauenbild zu unterwerfen.

Sie gab damit ein Vorbild ab für Frauen des 19. Jahrhunderts, die zunächst vorwiegend für das Recht auf Bildung eintraten, bevor sie politische Rechte forderten. Das schloss allerdings nicht aus, dass sie während der Unabhängigkeitskämpfe erneut wichtige politische und teilweise sogar militärische Aufgaben übernahmen und die politischen Projekte ihrer Männer unterstützten. Wie groß ihr politischer Einfluss dabei war, ist oft schwer einzuschätzen. So gilt vielen Historikern und Historikerinnen die Ehefrau des brasilianischen Kaisers Pedro I., Leopoldine von Habsburg, als die treibende Kraft hinter der Unabhängigkeitserklärung. Auch der wichtigste Anführer der Unabhängigkeitskämpfer, der Venezolaner Simón Bolívar, hatte eine Frau an seiner Seite, die seine politischen Ziele teilte und tatkräftig förderte. Manuela Sáenz kämpfte und organisierte an der Seite ihres Lebensgefährten das Heer, wie zuvor schon einige Frauen in der Conquista. Wie sie gab es viele, so zum Beispiel Rosa Campuzano oder Brígida Silva de Ochoa, die dem Helden der Unabhängigkeit im Süden des Kontinents, José de San Martín, wertvolle Dienste leisteten und dafür mit einem Orden ausgezeichnet wurden. Oder auch Juana Azurduy, die zusammen mit ihrem Mann in der Gegend des heutigen Bolivien die indigene Bevölkerung für die Unabhängigkeitsbewegung mobilisierte und militärisch trainierte.

Doch nach der Unabhängigkeit versuchten die Staaten wieder so schnell wie möglich, zur tradierten Ordnung der Geschlechter zurückzukehren. Die »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« der neuen Republiken galt eben nicht für die »Schwestern«. Doch dies war ja in Europa nicht anders, und die wenigen Frauen, die in der Französischen Revolution volle Staatsbürgerrechte für den weiblichen Teil der Bevölkerung forderten, wurden auch dort marginalisiert oder landeten gar, wie Olympe de Gouges, unter der Guillotine. In Lateinamerika forderte zunächst keine einzige Frau eine offizielle Beteiligung an der Macht oder die Gewährung politischer Rechte. Dies hieß aber nicht, dass sie sich als Lehrerinnen, Dichterinnen oder Ehefrauen nicht politisch äußerten. Manche von ihnen wurden zu wahren Statthalterinnen ihrer Männer, wie z. B. Encarnación Ezcurra, die Frau des argentinischen Diktators Juan Manuel de Rosas. Bis zu ihrem Tod 1838 hielt Encarnación in Buenos Aires die Stellung, wenn er auf einem Feldzug oder seinen Landgütern weilte. Sie mobilisierte seine Anhänger, pflegte das Klientelnetz und profilierte sich als unnachgiebige Verteidigerin der Interessen ihres Mannes. Fast glaubt man, Evita Perón habe sich Encarnación Ezcurra zum Vorbild genommen.

DIE ERLANGUNG POLITISCHER RECHTE UND ÄMTER

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts veränderten sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den meisten lateinamerikanischen Staaten. Wirtschaftliche Modernisierung und die massive Einwanderung von Europäern führten vor allem in den Staaten des Cono Sur, aber auch in Mexiko zu gesellschaftlichen Veränderungen. Viele Frauen der unteren Schichten waren nun gezwungen, durch Arbeit in Fabriken zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, diejenigen der Mittelschicht hingegen zog es vor allem in neue »weibliche« Berufe wie Lehrerin, Telefonistin oder Stenotypistin. Auch ließen viele Universitäten in Lateinamerika Frauen bereits um 1900 zum Studium zu, in Deutschland erfolgte dies erst nach dem Ersten Weltkrieg. So veränderten sich allmählich der Lebensraum und die Lebensweise der Frauen, und es dauerte nicht lange, bis in Mexiko, Argentinien, Chile oder Brasilien erste Stimmen laut wurden, die volle politische Rechte forderten. In vielen lateinamerikanischen Staaten entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine aktive Frauenbewegung. Ärztinnen wie Cecilia Grierson, Alicia Moreau und Julieta Lanteri in Argentinien, Paulina Luisi in Uruguay, Lehrerinnen wie Amanda Labarca und Gabriela Mistral in Chile oder die Biologin Bertha Lutz in Brasilien engagierten sich für eine Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch in der Politik. In manchen Ländern war der Kampf erfolgreich, so dass die Frauen ab 1929 in Ecuador und ab 1932 in Uruguay und Brasilien das aktive und passive Wahlrecht erhielten, früher als manche europäische Frau. Doch selbst wenn dies, wie in Mexiko, erst 1953 bzw. 1958 (passives Wahlrecht) gewährt wurde, so konnte doch bereits 1925 Elvia Carrillo in einem der fortschrittlicheren mexikanischen Bundesstaaten für einen Sitz im nationalen Parlament kandidieren und wurde sogar gewählt, dann allerdings im Kongress nicht zugelassen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfügten schließlich alle Lateinamerikanerinnen über volle politische Rechte, und einzelne Frauen stiegen rasch in die Zentren der Macht auf. Bevor mit Margaret Thatcher 1979 erstmals eine Europäerin in das höchste politische Amt, in diesem Fall dasjenige der Premierministerin von Großbritannien, gewählt wurde, war Argentinien bereits zwei Jahre lang von einer Frau regiert worden, von María Estela (Isabel) Martínez de Perón. Allerdings war Isabel Perón nur zu diesem Amt gekommen, weil der Präsident, ihr Mann Juan Domingo Perón, verstorben war und sie laut Verfassung als Vizepräsidentin seine Amtsperiode zu Ende zu führen hatte. Dennoch: Die Argentinier hatten sie zur Vizepräsidentin gewählt, wenn auch nur im Gefolge ihres Mannes und weil sie hofften, in ihr eine zweite Evita zu finden. Evita Perón, 1952 verstorben, hatte nie ein offizielles Amt innegehabt, aber sie war trotzdem eine mächtige Frau – allerdings nur, weil sie, wie einst Malinche oder Inés Suárez, am Projekt ihres Mannes teilhatte. Nicht sie selbst entschied darüber, ob sie für das Vizepräsidentenamt kandidieren sollte oder nicht, sondern ihr Mann. Sowohl Evita als auch Isabel Perón haben nie ihre Rolle als Ehefrau, die dem Mann folgt, in Frage gestellt.

Ganz anders Lydia Gueiler Tejada. Kaum war in Europa Margaret Thatcher im Amt, übernahm sie in Bolivien die Staatsgeschäfte. Sie war seit Beginn der 1940er Jahre politisch aktiv und Parlamentspräsidentin, sprich: eine vom Volk gewählte Abgeordnete, als der Kongress sie zur Interimspräsidentin wählte. Lydia Gueiler war damit die erste Frau des Kontinents, die nicht im Schatten oder in Begleitung eines Mannes politische Bedeutung erlangte, sondern kraft eigener Anstrengung Parlamentsabgeordnete und schließlich Präsidentin wurde.

Die Nicaraguanerin Violeta Barrios de Chamorro hingegen war noch politische Erbin ihres Mannes, auch wenn sie Lateinamerikas erste direkt gewählte Präsidentin war. Zu Lebzeiten von Pedro Joaquín Chamorro wäre sie nie auf die Idee gekommen, sich politisch einzumischen, hatte sie sich doch immer als Hausfrau und Frau an seiner Seite verstanden. Doch nach seiner Ermordung beschloss sie, sein politisches Lebenswerk fortzusetzen. Niemand hatte ihr zugetraut, dass sie es schaffen würde, ein von Jahren des Bürgerkrieges zerrüttetes Land zu regieren, doch am Ende ihrer Amtszeit hinterließ sie geordnete Verhältnisse. Wie Violeta Chamorro trat auch Mireya Moscoso das Erbe ihres Mannes Arnulfo Arias an, der dreimal Präsident von Panama war. Nach dessen Tod kandidierte die einstige Dekorateurin zweimal für dessen Arnulfistische Partei (Partido Arnulfista) für das höchste Staatsamt, 1994 noch vergeblich, doch 1999 schaffte sie den Sprung in den Präsidentenpalast. Ihre Regierung galt als besonders korrupt, und wenige Tage vor Ende ihrer Amtszeit beschwor sie zudem noch einen internationalen Skandal herauf, als sie auf US-amerikanischen Druck vier Exilkubaner amnestierte, die versucht hatten, Fidel Castro zu ermorden, während dieser sich zu einem Gipfeltreffen in Venezuela aufhielt.

DIE POLITIKERINNEN DES 21. JAHRHUNDERTS

Die Frauen, denen nach Mireya Moscoso in Lateinamerika die Präsidentenschärpe umgelegt wurde, vertreten ihr eigenes politisches Projekt. Zwar folgte die Argentinierin Cristina Fernández de Kirchner ihrem Mann Néstor Kirchner im Amt, und er war bis zu seinem Tod ihr engster Berater, doch Cristina Fernández war bereits als Studentin in der peronistischen Bewegung aktiv gewesen und konnte auf mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung als Abgeordnete und Senatorin zurückblicken, als sie zum ersten Mal für das Präsidentenamt kandidierte. Auch wenn die Kirchners sich für Werbezwecke gern mit Perón und Evita verglichen sahen, so repräsentierten sie doch ein gewandeltes Verständnis von der Ehe: Sie waren privat und politisch gleichberechtigte Partner mit einem gemeinsamen Projekt.

Die Kinderärztin Michelle Bachelet, von 2006 bis 2010 Chiles Präsidentin, verkörpert wie Fernández de Kirchner und ihre Kolleginnen Dilma Rousseff aus Brasilien und Laura Chinchilla aus Costa Rica einen modernen Typ Frau: bereits in jungen Jahren politisch engagiert, akademisch gebildet, ehrgeizig und durchsetzungsfähig. Politikerinnen wie sie gibt es inzwischen viele in Lateinamerika, und nicht nur im linken Lager. In Ecuador hatte die Juristin, Schriftstellerin und Exministerin Rosalía Arteaga als Vizepräsidentin nach dem Sturz des Präsidenten Abdalá Bucaram 1997 für fünf Tage die Präsidentschaft übernommen. In Mexiko streckte die konservative Unternehmerin, ehemalige Abgeordnete und Ministerin Josefina Vázquez Mota 2012 (vergeblich) die Hand nach der Präsidentschaft aus, in Peru hat sich die Juristin und christdemokratische Parlamentsabgeordnete Lourdes Flores bereits zweimal um das Präsidentenamt beworben, in Venezuela kandidierte die Politologin und ehemalige Bürgermeisterin Irene Sáez gegen Hugo Chávez für das höchste Staatsamt. Lediglich Keiko Fujimori, die sich 2011 in Peru nicht hatte durchsetzen können, passt nicht ganz in dieses Schema. Zwar ist sie seit mehreren Jahren politisch aktiv, aber ihr politisches Engagement und ihre Präsidentschaftskandidatur hatten vor allem das Ziel, ihren wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte und Korruption zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilten Vater, den ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori, per Amnestie aus dem Gefängnis zu befreien.

Mit der Brasilianerin Dilma Rousseff hat in den 19 spanischbzw. portugiesischsprachigen Ländern des Subkontinents (Puerto Rico wird nicht mitgezählt) bereits die neunte Frau als Präsidentin ihren Amtseid abgelegt und bestimmt damit die Richtlinien der Politik. Lateinamerikas Präsidentinnen nehmen aber gleichzeitig, wie in sämtlichen Verfassungen verankert, die repräsentative Funktion des Staatsoberhauptes wahr. In den 27 Staaten der Europäischen Union schafften es bislang nur fünf Frauen bis ans Schaltpult der Macht, sprich: ins Amt der Premierministerin beziehungsweise Kanzlerin. Fünf europäische Länder wurden bereits einmal oder werden derzeit von einer Staatspräsidentin repräsentiert, Staatsoberhaupt dreier EU-Länder ist eine Königin.

MINISTERINNEN, PARLAMENTSABGEORDNETE UND BÜRGERMEISTERINNEN

Die Zahl der Ministerinnen hat sich in den meisten Ländern enorm erhöht, im Schnitt waren 2011 ein Viertel der lateinamerikanischen Minister weiblich; in Chile war unter Michelle Bachelet zeitweilig die Hälfte der Ministerposten mit Frauen besetzt. Lateinamerikas Frauen drängen dabei auch in typische Männerdomänen vor: Am 25. April 1990 übernahm die nicaraguanische Präsidentin Violeta Chamorro neben dem höchsten Staatsamt auch gleich das Verteidigungsressort, als erste Frau in den Amerikas und knapp zwei Monate, bevor in Europa mit der Finnin Elisabeth Rehn erstmals einer Frau dieses Amt übertragen wurde. 1996 wurde dann Costa Ricas heutige Präsidentin Laura Chinchilla erste Ministerin für öffentliche Sicherheit und war damit Chefin von Polizei und Grenzschutz. Mit Michelle Bachelet übernahm im Januar 2002 auch in Südamerika erstmals eine Frau das Verteidigungsministerium, ausgerechnet in einem Land, in dem die Streitkräfte lange Jahre an der Macht waren und immer noch eine gewichtige Rolle spielen. Inzwischen unterstanden oder unterstehen auch in weiteren Ländern des Subkontinents die Streitkräfte Frauen. Es scheint also, als seien hier die traditionellen Rollenbilder stärker ins Wanken gekommen als in Deutschland, wo eine Frau als Verteidigungsministerin noch immer schwer denkbar ist.

Ähnliches gilt für andere, traditionell als wichtig geltende und damit männlich dominierte Ressorts. Bevor Madeleine Albright 1997 ins US-Außenamt einzog, hatten in Kolumbien bereits zwei Frauen die Funktion der Außenministerin innegehabt, Noemí Sanín (1991) und María Emma Mejía (1996).

In einigen lateinamerikanischen Parlamenten sitzen mehr Frauen als im Deutschen Bundestag. Seit den 1990er Jahren machen es in vielen Ländern Lateinamerikas Quotenregelungen den Frauen leichter, in die Parlamente gewählt zu werden. Am höchsten ist die Quote in Costa Rica: Dort sollen 40 Prozent der Abgeordneten weiblich sein, und bei den Wahlen 2010 wurden 38,5 Prozent erreicht. Zum Vergleich: Dem Deutschen Bundestag gehören 2012 32,8 Prozent Frauen an. In Argentinien liegt die Quote bei 30 Prozent, und sie wird mit 37,4 Prozent bei den Abgeordneten und 38,9 Prozent bei den Senatoren sogar übertroffen. In Nicaragua existiert zwar keine Quote, doch 37 der 92 Abgeordneten der Nationalversammlung sind Frauen, das sind 40,2 Prozent. Rosario Murillo, die umtriebige Frau von Präsident Daniel Ortega, hat dafür gesorgt, dass dessen Partei, die Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN, dt.: Sandinistische Front der Nationalen Befreiung), bei den letzten Wahlen besonders viele Frauen aufstellte. So sind 34 der 62 sandinistischen Abgeordneten weiblich. Von Isabel Perón hieß es, ihr Innenminister José López Rega sei der starke Mann im Hintergrund, von Daniel Ortega sagt man, Rosario Murillo sei die starke Frau hinter ihm, die politisch die Fäden ziehe. In Ländern, die keine Quote vorschreiben, ist die Zahl der weiblichen Abgeordneten ansonsten besonders niedrig, so in Paraguay, wo nur 14 Prozent der Parlamentarier Frauen sind. Doch auch in Irland sind es nicht mehr. Der lateinamerikanische Durchschnitt lag Ende 2011 bei 22 Prozent. In der Europäischen Union lag er Ende 2009 bei 24 Prozent.

Die deutschen Millionenstädte Berlin und Hamburg warten noch auf eine Regierende Bürgermeisterin; die Geschicke der brasilianischen 20-Millionen-Metropole São Paulo lagen bereits von 1989 bis 1993 in den Händen von Luiza Erundina, der Stadtrat des bolivianischen Regierungssitzes La Paz wählte 1993 Mónica Medina de Palenque zur Bürgermeisterin, seit 2010 wird Perus Hauptstadt Lima mit ihren knapp acht Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen von der Journalistin und Menschenrechtlerin Susana Villarán regiert. Und als man für eine der gewalttätigsten Städte des Kontinents, das kolumbianische Apartadó, einen Bürgermeister suchte, der diese Gewalt würde eindämmen können, fand man Gloria Cuartas.

BEWAFFNETER UND FRIEDLICHER PROTEST UND WIDERSTAND

Lateinamerikanische Frauen gründeten machtvolle Menschenrechtsbewegungen wie die Argentinierin Azucena Villaflor, die dafür mit ihrem Leben bezahlte, und sie kämpfen als Gewerkschafterinnen für bessere Lebensverhältnisse wie die Bolivianerin Domitila Barrios de Chúngara. Andere wiederum setzen sich an vorderster Front für die Rechte der Indigenen ein, so z. B. die Guatemaltekin Rigoberta Menchú. Letztere wurde dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Oder sie kämpfen für den Erhalt der Umwelt und eine nachhaltige Entwicklung wie die ehemalige brasilianische Umweltministerin und grüne Präsidentschaftskandidatin Marina Silva, die zudem eine der wenigen schwarzen Frauen auf dem Kontinent ist, die in der Politik an vorderster Front mitmischt.

Wie schon Manuela Sáenz, schreckte auch später so manche Lateinamerikanerin nicht vor Gewalt zurück. Die Deutsch-Argentinierin Tamara Bunke und die Deutsche Monika Ertl beteiligten sich am revolutionären Kampf in Bolivien und die Kubanerin Haydée Santamaría nahm als Chefin einer Frauenkampfgruppe an der kubanischen Revolution teil. In den kolumbianischen Guerillabewegungen sind bis heute rund ein Drittel der Kämpfer Frauen. Der deutschstämmigen Kolumbianerin Vera Grabe gelang, was nur wenige schafften: Sie stieg zur Kommandantin auf. Später war die Ethnologin Parlamentsabgeordnete und Senatorin und schließlich Kandidatin für die Vizepräsidentschaft. Die Medizinerin Ana Guadalupe Martínez kämpfte in El Salvador ebenfalls in der Guerilla, stieg in deren Führung auf und ist heute stellvertretende Parteivorsitzende der Christdemokraten. Ihre Mitkämpferin und -kommandantin Nidia Díaz ist heute stellvertretende Vorsitzende des PARLACEN, des Zentralamerikanischen Parlaments. Die mutige Yoani Sánchez schließlich hat sich eine neue »Waffe« gesucht: Sie ist durch ihren regimekritischen Internet-Blog zur international bekanntesten Dissidentin Kubas geworden. Auch die chilenische Studentin Camila Vallejo setzt wie Sánchez auf friedlichen Protest: Die junge Kommunistin war die Anführerin der landesweiten Studentendemonstrationen für ein gerechteres Bildungssystem.

WIRTSCHAFT, KULTUR UND SPORT

Aus dem Wirtschaftsleben sind Frauen ebenfalls nicht mehr wegzudenken. Sie erben ein Unternehmen und machen einen Konzern daraus, wie die argentinische Verlegerin Ernestina Herrera de Noble oder ihre »Landsfrau«, die kürzlich verstorbene Zementwerksbesitzerin und Kunstsammlerin Amalia Lacroze de Fortabat. Beide zählen bzw. zählten zu den reichsten Frauen Lateinamerikas. Graça Foster dagegen, die neue Chefin von Petrobras, einem der größten Ölkonzerne der Welt, wuchs mit ihrer alleinerziehenden Mutter in Armut auf. Als Jugendliche unterstützte sie ihre Mutter durch das Sammeln von Altpapier und Müll. Die Chemieingenieurin hat sich durch ihren Ruf als zuverlässige, fleißige und effiziente Managerin an die Spitze dieses »Juwels« der brasilianischen Wirtschaft emporgearbeitet. Und sie hat, ungewöhnlich für eine Top-Managerin der Ersten Welt, zwei Kinder und inzwischen einen Enkel.

Während sich die Frauen in der Politik und der Wirtschaft durch Effizienz und Zuverlässigkeit, oft auch durch Unbestechlichkeit und Mut, hervortun, so setzen sie in anderen Bereichen ihre Kreativität ein, um die Produkte ihres Landes erfolgreich zu vermarkten, wie die bolivianische Modeschöpferin Beatriz Canedo Patiño. Und die Chilenin Marta Lagos hat es verstanden, einer Idee zu Weltgeltung zu verhelfen: Mit ihren Umfragen erforscht sie die Einstellungen der Menschen zur Demokratie auf drei Kontinenten.

Der Ruhm der mexikanischen Malerin Frida Kahlo überstrahlt längst den ihrer männlichen Zeitgenossen. Der erste Literaturnobelpreis für Lateinamerika ging 1945 an eine Frau, an die chilenische Lyrikerin Gabriela Mistral. Sie war mit den bedeutendsten weiblichen Intellektuellen jener Zeit befreundet, so mit der Argentiniern Victoria Ocampo, die 1931 die Literaturzeitung Sur ins Leben rief. Die Schriftstellerinnen Isabel Allende aus Chile und Gioconda Belli aus Nicaragua wurden weltweit zu Aushängeschildern lateinamerikanischer Literatur – neben vielen anderen Schriftstellerinnen und Dichterinnen, die über ihre Länder hinaus Erfolg haben. Die argentinische Pianistin Martha Argerich ist in den Konzertsälen der Welt zu Hause, wie es auch ihre 2009 verstorbene »Landsfrau« Mercedes Sosa war, die neben der Chilenin Violeta Parra wohl bekannteste Vertreterin des politischen und sozialkritischen Liedes. Und Shakira, die ebenfalls so manchen kritischen Text singt und sich sozial engagiert, sorgt seit 1995 dafür, dass Kolumbien nicht mehr nur mit Kokain und Gewalt, sondern auch mit Musik identifiziert wird.

Im Bereich Sport verbindet man Lateinamerika, mit Ausnahme Kubas, vor allem mit Fußball und im karibischen Raum mit Baseball – der Männer. Und doch hat der Kontinent einige Ausnahmeathletinnen hervorgebracht. Argentinien entsandte zu den Olympischen Sommerspielen in Berlin 1936 zum ersten Mal eine Frau, die Schwimmerin Jeanette Campbell. Sie gewann eine Silbermedaille über 100-Meter-Brustschwimmen. Die argentinische Tennisspielerin Gabriela Sabatini ist ein weiteres Beispiel für weibliche Erfolge im Sport, ebenso die kolumbianische Gewichtheberin María Isabel Urrutia Ocoró, die 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney eine Goldmedaille gewann. Die Mittelstreckenläuferin Ana Fidelia Quirot ist nur eine von vielen Kubanerinnen, die im internationalen Sport brillierten. Quirot musste um ihre Erfolge ab 1993 noch mehr kämpfen als andere, hatte sie doch, wahrscheinlich durch einen Unfall, schwere Verbrennungen an Kopf, Oberkörper und Armen erlitten. Ana Fidelia ist zudem ein Aushängeschild der kubanischen Revolution, wie auch die Primaballerina Alicia Alonso, die ihr im Übrigen an Zähigkeit und eisernem Willen in nichts nachsteht, trat sie doch noch auf, als sie bereits erblindet war. Über Alonsos Leben ist allerdings über ihre Choreographien und ihre Leistung als Gründerin und Leiterin des kubanischen Nationalballetts hinaus nicht sehr viel bekannt.

MÜTTER, MISSES UND PATRONAS –

oder die Vereinbarkeit von traditionellerWeiblichkeit und öffentlicher Präsenz

Es fällt auf, dass nur wenige der in diesem Buch porträtierten Frauen um der Karriere willen bewusst auf Ehe und Mutterschaft verzichten. Viele von ihnen haben mehrere Kinder. Mütter, Schwiegermütter, Schwestern oder Schwägerinnen halten ihnen in einigen Fällen den Rücken für ihre Arbeit frei. Doch es existiert in Lateinamerika eine »Institution«, die in Europa fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden ist: das Hausmädchen. Das starke Lohngefälle zwischen den gutausgebildeten Frauen der Mittel- und Oberschicht und ihren Geschlechtsgenossinnen mit geringer oder gar keiner Schulbildung aus der Unterschicht ermöglicht ersteren, für vergleichsweise wenig Geld, Haushaltsführung und Kindererziehung zu delegieren und sich dem Beruf oder der Politik zu widmen.

Die meisten der Frauen, die es in Politik, Wirtschaft und Kultur bis ganz nach oben schaffen, entstammen der Mittelund Oberschicht. Die beiden Brasilianerinnen Luiza Erundina und Marina Silva sowie die Kolumbianerin Gloria Cuartas repräsentieren eine Minderheit. Alle drei haben im Übrigen ihren Weg als Sozialarbeiterinnen begonnen, während bei den Frauen der Mittel- und Oberschicht oft ein Jurastudium am Anfang der politischen Karriere stand.

Weitaus öfter als europäische Politikerinnen fallen deren lateinamerikanische Kolleginnen durch teure Eleganz, perfektes Make-up und eine ebensolche Figur auf. Schon Eva Perón wurde trotz – oder wegen? – ihrer Juwelen und ihrer aufwendigen Kleidung von den Armen geliebt. Selbst Dilma Rousseff, in ihrer Jugend den Fotos zufolge eher uneitel, ließ sich liften, bevor sie sich in den Präsidentschaftswahlkampf stürzte, und María Emma Mejía etwa macht kein Hehl daraus, dass sie früher als Model gearbeitet hat und jeden Morgen den Fitnessraum aufsucht. Für die Venezolanerin Irene Sáez war die Tatsache, dass sie Miss Venezuela und Miss Universum war, mindestens ebenso karrierefördernd wie ihr Politologiestudium. Auch eine der berühmtesten lateinamerikanischen Politikjournalistinnen, die Kolumbianerin Patricia Janiot, hatte man in ihrer Jugend zur Miss Colombia gekürt. Niemand käme auf die Idee, einer »Miss« intellektuelle Fähigkeiten abzusprechen, im Gegenteil. In vielen Ländern, vor allem im Karibikraum, gelten Misswahlen als kulturelle Ereignisse, bei denen die Nation vor dem Fernseher mit der eigenen Kandidatin mitfiebert. Folglich hat eine Politikerin, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht, verminderte Chancen, gewählt zu werden.

Auffällig ist ferner, dass viele Frauen, die es bis ganz nach oben geschafft haben, irgendwann in ihrem Leben entweder für die Vereinten Nationen oder eine ihrer Unterorganisationen gearbeitet haben wie Michelle Bachelet oder Marta Lagos, durch deren Preise gefördert wurden wie Gloria Cuartas, oder deren Kampagnen als Botschafterinnen des guten Willens unterstütz(t)en wie Rigoberta Menchú oder Shakira. Und Modeschöpferin Beatriz Canedo Patiño konnte ihre Modelle in Genf auf den Catwalk bringen, weil die UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development, dt.: Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) aus Anlass des Jahres der Biodiversität eine Modenschau organisiert hatte, auf der lediglich Mode aus Naturfasern ohne chemische Färbung gezeigt wurde. Die UNO und ihre Organisationen tragen ihren Teil dazu bei, aktive Frauen in Lateinamerika zu unterstützen.

AUSWAHLKRITERIEN UND LITERATURGRUNDLAGE

Anhand der Porträts einer Auswahl von Frauen will dieser Band darstellen, dass diese seit je am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben Lateinamerikas teilnehmen und Herausragendes leisteten und leisten – wobei Herausragendes nicht notwendigerweise auch von großem politischen oder gesellschaftlichen Nutzen oder von hohem moralischen Wert sein muss.

Es soll in den einzelnen Porträts aufgezeigt werden, mit welchen Schwierigkeiten die Frauen zu kämpfen hatten und haben, um sich in bis heute männlich dominierten Gesellschaften in ihrem jeweiligen Bereich durchzusetzen. Die Porträts wollen den Werdegang der Frauen und ihr persönliches Umfeld schildern und ihre jeweilige politische und/oder gesellschaftliche Rolle beschreiben.

Der Band kann naturgemäß nicht alle Frauen vorstellen, die in Lateinamerika von öffentlicher Bedeutung waren und sind, so dass eine Auswahl getroffen werden musste. Oft entschied die Wichtigkeit der Person, oft aber auch die Materiallage. So liegen etwa über Encarnación Ezcurra, Ehefrau des argentinischen Diktators Juan Manuel de Rosas, sehr wenige Quellen vor, obwohl sie zu ihrer Zeit die gleiche Funktion und eine ähnliche politische Bedeutung für Rosas gehabt haben soll wie später Evita für Juan Domingo Perón. Ähnliches gilt für Juana Azurduy, die bolivianische Unabhängigkeitskämpferin mit ländlich-indigenen Wurzeln. Manuela Sáenz und Leopoldine von Habsburg dagegen haben umfangreiche Korrespondenz geführt, aufgrund derer wir mehr über ihr Leben und Denken wissen. Doch auch viele Aktivistinnen des 20. Jahrhunderts haben ihr Leben und ihre persönlichen Erlebnisse nicht so preisgegeben oder in den Vordergrund gestellt wie Domitila Barrios oder Rigoberta Menchú, deren ausführliche Lebensberichte, zumeist nach Überarbeitung durch eine Journalistin oder Ethnologin, veröffentlicht wurden. Diese Zeugnisse von Leiden und Unterdrückung, aber auch von Widerstand und Solidarität innerhalb der Gruppe, fanden vor allem in den 1970er und 1980er Jahren in Europa und den USA großes Interesse. Sie halfen, die Probleme von Frauen in der sogenannten Dritten Welt verständlich zu machen und Unterstützung zu mobilisieren. Allerdings sind diese sogenannten testimonios auch tückisch, denn sie halten einer genauen Überprüfung einzelner Fakten oft nicht stand und führten im Fall von Rigoberta Menchú zu einer heftigen Polemik mit politischem Hintergrund. Doch gerade das hat ihre öffentliche Wirkung erhöht, und die Berichte helfen uns, das Leben und Denken von Frauen aus der Unterschicht oder der indigenen Bevölkerung besser zu verstehen. Dass wir nicht das bereits in den 1960er Jahren unter dem Titel Quarto de despejo (dt.: Tagebuch der Armut) veröffentlichte Tagebuch von Carolina María de Jesus aus den favelas von Rio de Janeiro oder die Aufzeichnungen einer ausgebeuteten Hausangestellten ausgewählt haben, liegt daran, dass es uns in diesem Buch darum ging, Frauen zu porträtieren, die eine große gesellschaftliche, künstlerische oder politische Wirkung gehabt haben. Doch auch die Informationslage über das Leben von Präsidentinnen oder Unternehmerinnen ist unterschiedlich und hat unsere Auswahl beeinflusst. So ist Panamas Ex-Präsidentin Mireya Moscoso ebenso politische Erbin ihres Mannes wie die Nicaraguanerin Violeta Barrios de Chamorro. Aber letztere war nicht nur ihrer panamaischen Kollegen als Präsidentin um einige Jahre zuvor gekommen, sie hat zudem ihre Memoiren geschrieben, und die Verfasserin hatte die Gelegenheit, sie persönlich zu befragen. Auf ein Porträt der Präsidentin Costa Ricas, Laura Chinchilla, wird ebenfalls verzichtet, weil vergleichsweise weniger Material über sie vorliegt als über ihre brasilianische Kollegin Dilma Rousseff – die obendrein eine aufstrebende globale Macht regiert.

Zwar war die Kolumbianerin Noemí Sanín die erste Außenministerin Lateinamerikas, dennoch wird hier stellvertretend für sie und andere Außenministerinnen (wie die Mexikanerin Rosario Green) die ehemalige kolumbianische Außenministerin María Emma Mejía porträtiert – weil sie zudem in den – gescheiterten – Friedensprozess mit der Guerilla involviert war und später Generalsekretärin der Union Südamerikanischer Staaten wurde.

Zum Material sei erwähnt, dass jedem Porträt immer nur eine Auswahl der verwendeten Quellen zum Weiterlesen angefügt wird, wobei auf Deutsch vorliegendem sowie über Internet verfügbarem Material der Vorzug gegeben wird. In die Porträts vor allem der noch lebenden Frauen fließen Details aus Presseartikeln ein, die nicht alle erwähnt werden, aber auch unveröffentlichtes Interviewmaterial der Verfasserinnen.

I.

MÄCHTIG

MALINCHE

MEXIKO, UM 1501–1529

Malintzin, Malinche, Doña Marina – die unterschiedlichen Namen, unter denen diese indigene Frau, die Hernán Cortés auf seinen Eroberungszügen unterstützte, bekannt wurde, zeigen schon ihren »multikulturellen« Lebenslauf. Gerade ihre Verankerung in mehreren Kulturen führte aber auch dazu, dass sie aus unterschiedlichen Perspektiven in verschiedenen Epochen sehr unterschiedlich beurteilt wurde. So avancierte die noch Mitte des 20. Jahrhunderts als Inbegriff des weiblichen Verrats stilisierte Malinche am Ende des Jahrhunderts zu einer Identifikationsfigur für junge Mexikanerinnen in den USA. Deshalb ist sie auch bis heute die vermutlich bekannteste, aber auch noch immer umstrittenste Frau in Mexiko.

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