Madame Blavatsky - Ursula Keller - E-Book

Madame Blavatsky E-Book

Ursula Keller

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Beschreibung

Bereits zu Lebzeiten war Helena Petrowna Blavatsky (1831–1891) weltweit berühmt. Sie bereiste die entlegensten Winkel des Globus, gründete eine spirituelle Bewegung, inszenierte sich als Trägerin okkulten Urwissens und galt als »Sphinx des 19. Jahrhunderts«. Nichts weniger als den Schlüssel zur Erklärung aller Welträtsel beanspruchte sie mit ihrer Lehre gefunden zu haben, die sie in ihren Hauptwerken »Isis entschleiert« (1877) und »Die Geheimlehre« (1888) darlegte. Ihre Philosophie bildete die Grundlage für Rudolf Steiners anthroposophische Lehre. Auch auf bedeutende Künstler hatten Blavatskys Ideen großen Einfluss, u. a. auf Hermann Hesse, James Joyce, T. S. Eliot, William Butler Yeats, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Paul Gauguin, Gustav Mahler und Jean Sibelius. Das Leben der „Madame Blavatsky“ ist von zahlreichen Legenden umrankt. Bis heute wird die Begründerin der Theosophie von ihren Verehrern gefeiert, von den Gegnern indes als Betrügerin und Scharlatanin verteufelt. Die erfolgreichen Autorinnen Ursula Keller und Natalja Sharandak haben in Archiven die Briefe, Erinnerungen und Schriften Blavatskys gesichtet und zeichnen das Porträt der Frau, die bisher hinter dem Mythos um ihre Person verborgen blieb.

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Bereits zu Lebzeiten war Helena Petrowna Blavatsky (1831-1891) weltweit berühmt. Sie bereiste die entlegensten Winkel des Globus, gründete eine spirituelle Bewegung, inszenierte sich als Trägerin okkulten Urwissens und galt als »Sphinx des 19. Jahrhunderts«. Nichts weniger als den Schlüssel zur Erklärung aller Welträtsel beanspruchte sie mit ihrer Lehre gefunden zu haben, die sie in ihren Hauptwerken Isis entschleiert (1877) und Die Geheimlehre (1888) darlegte. Ihre Philosophie bildete die Grundlage für Rudolf Steiners anthroposophische Lehre. Auch auf bedeutende Künstler hatten Blavatskys Ideen großen Einfluss, u. a. auf Hermann Hesse, James Joyce, T. S. Eliot, William Butler Yeats, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Paul Gauguin, Gustav Mahler und Jean Sibelius.

 Das Leben der »Madame Blavatsky« ist von zahlreichen Legenden umrankt. Bis heute wird die Begründerin der Theosophie von ihren Verehrern gefeiert, von den Gegnern indes als Betrügerin und Scharlatanin verteufelt.

 Ursula Keller und Natalja Sharandak haben in Archiven die Briefe, Erinnerungen und Schriften Blavatskys gesichtet und zeichnen das Porträt der Frau, die bisher hinter dem Mythos verborgen blieb.

Ursula Keller hat Slawistik und Germanistik studiert; zahlreiche Forschungsaufenthalte in Russland. Sie lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin.

 Natalja Sharandak wurde in Kiew geboren. Studium der Kunstgeschichte an der Akademie der Künste in Leningrad. Sie lebt als freie Autorin seit 1982 in Berlin.

Im Insel Verlag sind außerdem erschienen: Sofia Tolstaja. Ein Leben an der Seite Tolstojs (2009);

Ursula KellerNatalja Sharandak

Madame Blavatsky

Slavic and Baltic Division, The New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations: Abbildung 8

Alle weiteren Abbildungen stammen aus den Archiven der Herausgeberinnen oder des Insel Verlags

Zur Gewährleistung der Zitierbarkeit zeigen die grau hinterlegten Ziffern die jeweiligen Seitenanfänge der Printausgabe an.

eBook Insel Verlag Berlin 2013

© Insel Verlag Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendungelektronischer Systeme verarbeitet,vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: glanegger.com, München

Inhalt

Vorwort

I. In Obhut der Familie (Russland 1831-1850)

1. Ein eigensinniges junges Ding

2. Nomadenkindheit

3. Phantasien, Wunder, Visionen

4. Eine aufsehenerregende junge Dame. Tiflis

II. Jahre der Suche (1850-1873)

1. Verklärte Reisen

2. Begegnung mit dem Meister

3. Auf unbekannten Wegen

4. Rückkehr nach Russland

5. Jurij

6. Russland ade

III. In der neuen Welt (Amerika 1873-1878)

1. Eine russische Aristokratin in New York

2. Vertrauter, Schüler, Manager: Henry Steel Olcott

3. »Ich ward von den Meistern gesandt« Die Geburt der Theosophischen Gesellschaft

4. »Ein höheres und erleuchtetes Ich«. Isis entschleiert

IV. Im Land der Meister (Indien 1879-1885)

1. Ankunft in Indien

2. Begegnungen und Wunder

3. Briefe aus dem Astral

4. Der Schrein der Meister

5. Theosophische Begehrlichkeiten

6. Unter Verdacht

7. Abschied

V. Hohepriesterin der Theosophie (Europa 1885-1891)

1. Exil in Würzburg

2. Erst Freund, dann Feind: Wsewolod Solowjow

3. Von den Meistern unentdeckt. Fehler in Die Geheimlehre

4. London, Lansdowne Road 17

5. Annie

6. Die letzte Station. London, Avenue Road 19

Anhang: Dokumente

1. Blavatskys Brief an den Kommandanten der Gendarmerie von Odessa (1872)

2. Meine Beichte: Blavatskys Brief an Wsewolod Solowjow (1886)

Anmerkungen

Bibliographie

Personenregister

Vorwort

»Die ganze unverhüllte Wahrheit über mein Leben jemals zu offenbaren, ist unmöglich.«

Am 7. September 1875 versammelten sich in New York, in der Wohnung der russischen Weltreisenden Helena Petrowna Blavatsky, Irving Place 46, 17 Personen und beschlossen die Gründung der Theosophischen Gesellschaft. »Die Theosophische Gesellschaft, das bin ich«, sagte H. P. B., wie Blavatsky von ihren Anhängern monogrammatisch kurz genannt wurde, später von sich selbst. Sie war Kopf, Seele und ideologische Kraftquelle dieser »neuen universalen Religionsphilosophie«.

Die Theosophische Gesellschaft wollte als Nucleus einer »Universalen Bruderschaft« den Grundstein legen zu einer Zukunft der Menschheit ohne Unterschied von Herkunft, Glaube, Geschlecht oder Hautfarbe. »Gäbe es keine Dogmen«, schrieb Blavatsky im Juli 1878, »dann gäbe es auch keine Protestanten, Katholiken, Buddhisten usw. usf. Alle glaubten an denselben Gott …, alle fühlten sich als Brüder, als Kinder eines Vaters. Den Menschen wäre es zuwider, einander in Kriegen zu vernichten, einander wie die Raubtiere zu peinigen und zu martern.«1 Deshalb sei es notwendig, »alle Religionen, Sekten und Völker durch eine allgemeine Ethik, welche auf ewigen Wahrheiten gründet, miteinander zu versöhnen«.2

Als Reaktion auf den Positivismus und Materialismus der exakten Wissenschaften war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem besonderen Interesse für religiöse Ideen und esoterische Phänomene geprägt. In der von zahlreichen Zeitgenossen empfundenen geistigen und moralischen Krise jener Jahre sahen viele den Schlüssel zur Errettung aus einer ausweglos scheinenden Situation in der Erleuchtung der Menschheit, man strebte nach geistiger Vervollkommnung und Überwindung des Irdischen. Beim Christentum fanden viele der Suchenden keine befriedigenden Antworten auf ihre Fragen, und so wandten sie sich neuen spirituellen Persönlichkeiten zu, die durch die Einbeziehung mystischer Einsichten aller Weltreligionen mit ihrer Lehre jenes Interesse an okkulten und mystischen Themen befriedigten, welches die Epoche prägte.

Die Theosophie sah sich zum einen in der Nachfolge der historischen Schulen des Neoplatonismus, Gnostizismus und der Mystik und versuchte darüber hinaus, westliche und besonders auch nichtwestliche religiöse Traditionen mit dem in jenen Jahren populären Okkultismus sowie mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer neuen Lehre zu verbinden.

Helena Petrowna Blavatsky war eine der ersten Frauen, die als Begründerin einer neuen spirituellen Bewegung die Bühne der Öffentlichkeit betrat. Als schillernde Persönlichkeit gilt Madame Blavatsky, von Rätseln und Gerüchten umgeben, bis heute als »Sphinx des 19. Jahrhunderts«. Ungeachtet der Skandalgeschichten, mit denen die Biographie der Hohepriesterin der Theosophie umgeben ist, überzeugten ihre Antworten auf die Fragen der Zeit nicht nur ihre zahlreichen Anhänger, sondern beeinflussten auch maßgeblich die künstlerische Avantgarde des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Als »Stammmutter der Esoterik« hat sie die in jener Zeit von den Sprach- und Religionswissenschaften eingeleitete Renaissance der östlichen Religionen popularisiert und dazu beigetragen, dass Begriffe wie »Karma«, »Reinkarnation« und »Nirwana« heute zum Allgemeinwissen gehören.

Helena Petrowna Blavatsky wurde am 31. Juli 1831 in der im Süden des Russischen Reiches gelegenen Stadt Jekaterinoslaw als erstes Kind des Obersten der Armee des Zaren, Peter von Hahn, und seiner aus einer Familie des russischen Hochadels stammenden Frau Helena geboren. Die Großmutter mütterlicherseits, Helena Pawlowna Fadejewa, eine gebürtige Fürstin Dolgorukowa, war eine anerkannte Naturforscherin, die mit den bedeutenden Wissenschaftlern ihrer Zeit korrespondierte; die frühverstorbene Mutter Blavatskys, Helena Andrejewna von Hahn, ging als eine der ersten professionellen Schriftstellerinnen Russlands in die Literaturgeschichte ein und wurde von der zeitgenössischen Kritik mit George Sand verglichen. Weibliches Selbstbewusstsein und weibliche Autonomie prägten die Persönlichkeit Helena Blavatskys also von frühester Kindheit an.

Mit gerade einmal achtzehn Jahren heiratete Helena den mehr als doppelt so alten Nikifor Blavatsky, den sie bald darauf für immer verließ. Ihr unabhängiger Charakter und ihre Verachtung der öffentlichen Meinung fanden ihren Ausdruck nicht zuletzt in ihren Beziehungen zum »starken Geschlecht«, welche für ihre späteren Widersacher häufig Anlass zu übler Nachrede boten. »Die Frau findet ihr Glück darin, übernatürliche Kräfte zu erlangen«, konstatierte die von den wenigen Objekten ihrer Liebe enttäuschte Blavatsky. »Die Liebe ist lediglich ein böser Traum, eine Fieberphantasie.«3

Nachdem sie sich von ihrem Ehemann getrennt hatte, verließ Blavatsky auch Russland. Die folgenden fast zwei Jahrzehnte ihres Lebenswegs stellte Blavatsky im Nachhinein als ihre esoterischen Lehr- und Wanderjahre dar, die sie durch Europa, Amerika und Asien bis ins Zentrum des okkulten Weltwissens, nach Tibet, geführt hätten, wo sie insgesamt sieben Jahre gelebt habe und als Schülerin geheimnisvoller Meister der Weisheit in einer okkulten absoluten Geheimlehre initiiert worden sei. Tatsächlich jedoch sind diese Jahre der Biographie Blavatskys fast vollständig hinter einem Schleier von Halbwahrheiten und Verklärungen verschwunden, der vermutlich niemals zur Gänze gelüftet werden kann. Blavatskys eigene Angaben über jene Zeit sind widersprüchlich und zugleich voll überzeugender Details, sodass es unmöglich ist, Dichtung und Wahrheit voneinander zu unterscheiden.

Einige Male hielt Helena Blavatsky sich in jenen Jahren für längere Zeit in Russland auf, wo sie als Medium bei spiritistischen Sitzungen Aufsehen erregte und als Unternehmerin zu 10reüssieren suchte. Im Januar 1873 reiste sie von Odessa nach Paris und kehrte nie wieder in ihre Heimat zurück.

Nach ihrer Ankunft in New York im Juli desselben Jahres begann Blavatskys Aufstieg in die Sphären internationaler Berühmtheit. In der »Welthauptstadt des Spiritismus«, dem kleinen Ort Chittenden im Bundesstaat Vermont, begegnete sie dem Colonel a. D. Henry Steel Olcott, den sie sogleich in ihren Bann zog. Sie sei von ihren Meistern nach Amerika gesandt, »um die Falschheit der spiritistischen Theorie hinsichtlich der Geister aufzudecken«4, erklärte sie ihm. Während der folgenden Jahre waren die »theosophischen Zwillinge« unzertrennlich auf ihrer gemeinsamen Suche nach einer dem herrschenden Materialismus entgegengesetzten Lösung des »Welträtsels«.

Im Jahr der Gründung der Theosophischen Gesellschaft begann Blavatsky mit der Niederschrift des ersten ihrer beiden Hauptwerke. In ihrem Buch Isis entschleiert, das 1877 erschien und, wie auch ihre elf Jahre später veröffentlichte Geheimlehre, nach Angaben der »Schreiberin« dank der Anweisung und Inspiration ihrer geheimnisvollen Meister aus dem Jenseits entstanden sei, unterzog die Blavatsky die materialistisch-positivistische Naturwissenschaft und den religiösen Dogmatismus ihrer Zeit einer fundamentalen Kritik und wurde zur internationalen Bestsellerautorin.

Mit Beginn des Jahres 1879 wurde Indien, das seit der Romantik als »Wiege der Menschheit« galt, die neue Wahlheimat der Theosophen. Im Traumland Indien, dem positiven Gegenbild zum zunehmend säkularisierten Westeuropa, wandten sich Blavatsky und Olcott auf der Suche nach Erleuchtung dem Buddhismus und dem Hinduismus sowie dem Raja-Yoga zu.

Von Indien aus trat die Theosophie ihren Triumphzug durch die Welt an. Die britische Kolonialmacht sah in der Russin und ihrer spirituellen Lehre indes eine Gefahr für die Herrschaft über die »Eingeborenen«. Nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung durch die Theosophische Gesellschaft besann die indische Bevölkerung sich zunehmend auf die Werte ihrer 11eigenen Religionen und Kultur, was in der Gründung des Indischen Nationalkongresses 1885 seinen Niederschlag fand.

In Indien intensivierte sich auch die Verbindung mit den geheimnisvollen Meistern, den »Mahatmas«, deren Bevollmächtigte Madame Blavatsky zu sein behauptete. Die Meister hätten ihren Lebensweg geleitet und ihr den Auftrag zur Gründung der Theosophischen Gesellschaft erteilt, deren Mission es sei, die Entwicklung der Menschheit positiv zu beeinflussen. Die Mahatmas traten auch mit auserwählten theosophischen Weggefährten in Kontakt, ein reger Briefwechsel begann, bisweilen erschienen sie ihnen gar. Diese Entwicklung rief nicht nur in der Theosophischen Gesellschaft, sondern mehr noch in der ihr ohnehin in großen Teilen skeptisch gegenüberstehenden Öffentlichkeit Misstrauen hervor. Als russische Spionin, Betrügerin und Hochstaplerin gebrandmarkt, die sich habe bereichern wollen, unter »religiöser Manie« und Geltungssucht leide, musste Blavatsky Indien 1885 verlassen und irrte zwei Jahre durch Europa, bis sie sich schließlich in London niederließ, wo sie sich phönixgleich zu neuen Höhen erhob. Mit der Veröffentlichung ihres Opus magnum Die Geheimlehre wurde die aus dem ihr heiligen Land rechtlos Verbannte zur allseits verehrten Hohepriesterin der Theosophie und starb am 8. Mai 1891 auf dem Höhepunkt ihres Ruhms.

Die Theosophische Gesellschaft aber lebte weiter. Annie Besant trat Blavatskys Vermächtnis an und verstärkte die Ausrichtung der Theosophie auf Indien, insbesondere zum Hinduismus. Die Neuorientierung der Theosophie unter Blavatskys Nachfolgerin gefiel nicht allen, und es kam zu verschiedenen Abspaltungen, deren bekannteste die 1912 gegründete Anthroposophische Gesellschaft Rudolf Steiners ist. Steiner war seit 1902 Generalsekretär der neugegründeten deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. Auf dem Fundament der Theosophie, von der als einer »weiblichen Philosophie« er sich zunehmend distanzierte, entwickelte Steiner seine anthroposophische Lehre. Den »östlichen Weisheitslehren«, 12an denen sich die Theosophie Blavatskys und Besants orientierte, stellte er die christliche Mystik als Richtschnur gegenüber. 1912 kam es zum endgültigen Bruch Rudolf Steiners mit Annie Besant. Die Mitglieder der deutschen theosophischen Sektion folgten Steiner in die neue Anthroposophische Gesellschaft, sodass die Theosophische Gesellschaft in Deutschland fortan kaum noch in Erscheinung trat.

Obwohl – oder gerade weil – eine »genaue und völlig faktengetreue Biographie dieser außergewöhnlichen Frau nie geschrieben werden kann«5, ist Blavatsky eine der bemerkenswertesten Frauenpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. In Zeiten der »Entzauberung der Welt« und der Relativierung aller kulturellen Grundlagen, in der die Gewissheiten der Dogmen der Kirche erschüttert und durch einen kritiklosen Glauben an die Naturwissenschaften und deren Wahrheiten ersetzt wurden, schien die Theosophie Blavatskys Therapeutikum gegen all die Ängste und Unsicherheiten, in die die Epoche des Szientismus jene gestürzt hatte, die an mehr glauben wollten als an die schiere Materie. »Keine Religion ist höher als die Wahrheit«, so der theosophische Leitspruch. Dass die Theosophie im Besitz dieser Wahrheit war, dessen war man sich sicher und glaubte, sie gebe den Schlüssel in die Hand, um zur wirklichen Welterkenntnis zu gelangen.

Blavatskys Geheimlehre, die 1888 erschien und bis heute als »Bibel« der Theosophie gilt, ist in ihrer Bedeutung für die westliche Kulturgeschichte nicht zu unterschätzen. Das eindrucksvolle Mythopoem legte Evolution von Kosmos und Menschheit aus Sicht der Theosophie dar und war zugleich praktische moralische Lehre. Zentrales Thema war die spirituelle Evolution der Menschheit, die Darwin in seiner Theorie über die Entstehung der Arten nicht berücksichtige. Ausgehend von den Konzepten von Karma und Reinkarnation ein und derselben geistigen Individualität sei, so Blavatsky, eine Selbstvervollkommnung möglich – wenn nicht in diesem Leben, so doch im nächsten.13

Das Versprechen, durch die Arbeit am eigenen Ich zur Erreichung einer neuen Stufe der Spiritualität der Menschheit beitragen zu können, und die Hoffnung, die Seele könne zu Erleuchtung und Erlösung kommen, verbreitete sich schnell unter den von den christlichen Kirchen Enttäuschten. In den Kreisen der Reichen und Mächtigen wurde die Theosophie zur neuen Heilslehre.

Mit dem Anspruch, die gesamte kosmische und menschliche Evolution zu erklären und so ein universales und immer gültiges Welterklärungssystem zu schaffen, zog die Theosophie auch Naturwissenschaftler an. Der Erfinder Thomas Alva Edison war ebenso Mitglied der Theosophischen Gesellschaft wie der von Charles Darwin bewunderte führende Evolutionsbiologe seiner Zeit, Alfred Russel Wallace, und der Chemiker Sir William Crookes, Entdecker der Lumineszenz und der Isotope. Auch der berühmte Albert Einstein, der mit seiner Relativitätstheorie die Physik revolutionierte, soll ein in seiner Handbibliothek befindliches Exemplar der Geheimlehre Blavatskys häufig konsultiert und seinem Kollegen Werner Heisenberg geraten haben, sich bei Problemen in dieses »sehr interessante Buch« zu vertiefen.6

»Wenn die Religion, Wissenschaft und Moral … gerüttelt werden, und wenn die äußeren Stützen zu fallen drohen, wendet der Mensch seinen Blick von der Äußerlichkeit ab und sich selbst zu«, heißt es in Wassily Kandinskys 1912 veröffentlichter Schrift Über das Geistige in der Kunst. Kandinsky sah in der Theosophie »eine der größten geistigen Bewegungen«, deren von Blavatsky aufgestellte Theorien dem »Schüler präzise Antworten auf seine Fragen« böten, welche »zu manchem verzweifelten in Finsternis und Nacht gehüllten Herzen gelangen« und ihm Hilfe sein können. Zum Zeitpunkt der Niederschrift der theoretischen Grundlagen seiner abstrakten Kunst schuf Kandinsky sein erstes nichtgegenständliches Werk, das am Beginn der Epoche der Abstraktion in der bildenden Kunst steht. Auch das Werk Piet Mondrians ist von der Theosophie beeinflusst. Mondrian glaubte, in der Lehre Blavatskys 14neue Dimensionen der Erkenntnis zu finden. »Alles habe ich der Geheimlehre zu verdanken«, sagte er 1918.7 In seinem Atelier blickte H. P. B. von einem Porträt an der Wand auf die Arbeit ihres geistigen Schülers, dessen künstlerisches Ziel die ideale Darstellung der Einheit von Geist und Materie war.

Wie Kandinsky strebte der Komponist Alexander Skrjabin in seinem Schaffen nach einer synästhetischen Vereinigung von Klang und Farbe. Sein Konzept der Synästhesie leitete er ab von Blavatskys Ausführungen, die in dieser Ausdruck des grundlegenden Prinzips der Analogie sah, da alles in der Welt einer Einheit entspringe und denselben Entwicklungsgesetzen unterliege. »Blavatsky war für ihn«, erinnerte sich ein Zeitgenosse, »eine höhere geistige Autorität als das Evangelium«.8

In der Literatur ist vor allem die Renaissance der irischen Nationalliteratur mit der Theosophie verbunden. Der Dichter und spätere Nobelpreisträger William Butler Yeats lernte Blavatsky 1887 in London kennen und wurde ihr Schüler in der Esoterischen Sektion. Seine Arbeiten sind voll von esoterischen Anklängen, die auch in den Werken Ulysses und Finnegans Wake zu finden sind, mit denen James Joyce die moderne Prosaliteratur nachhaltig beeinflusste, wobei die Beschäftigung mit der Theosophie bei Joyce als eine schrullige Absonderlichkeit, der eine mondäne Elite anhängt, abgetan wird.9

Auch in der Populärliteratur sind theosophische Niederschläge zu finden, so im Zauberer von Oz, dessen Autor Lyman Frank Baum Mitglied der Theosophischen Gesellschaft war, und nicht zuletzt in Joanne K. Rowlings Bestseller Harry Potter, in dem mit der Figur der Seherin Cassandra Vablatsky, deren Name ein Anagramm des Namens der Theosophin ist, auf Blavatsky Bezug genommen wird. Vablatsky war eine Prophetin aus Troja, deren Wahrheiten niemand Glauben schenkte, ihr Buch Die Entnebelung der Zukunft wird in Hogwarts als Lehrbuch der Wahrsagerei verwendet.

Der Einfluss der Theosophie in der östlichen Hemisphäre ist mindestens ebenso bedeutend. Die Rückbesinnung der ein15heimischen Bevölkerung Indiens und Ceylons auf die eigene Kultur und Religion wurde maßgeblich von der Theosophie beeinflusst.

Der indische Student der Rechtswissenschaften Mohandas Karamchand Gandhi wurde in London durch den intensiven Kontakt mit Theosophen zur tieferen Reflexion über seine eigene Religion angeregt. Bekannt unter dem Namen Mahatma Gandhi führte der charismatische Begründer des gewaltlosen Widerstands die indische Befreiungsbewegung erfolgreich im Kampf für die Unabhängigkeit gegen die britische Kolonialmacht.

Henry Steel Olcott wurde für seine bildungspolitischen Verdienste im buddhistischen Ceylon zu seinem 60. Todestag im Jahr 1967 in der ehemaligen Hauptstadt Colombo mit einem Denkmal geehrt, Annie Besant wurde siebzigjährig 1917 zur Präsidentin des Indischen Nationalkongresses gewählt.

Seit ihren Lebzeiten sind die Meinungen über Helena Petrowna Blavatsky, Mme. Blavatsky oder H. P. B. geteilt. »Ich bin Enigma, Rebus, psychologisches Rätsel für die späteren Generationen«, schrieb sie über sich selbst. Fleißig arbeitete sie in ihrem letzten Lebensjahrzehnt am eigenen Mythos und verwob Fakten und Phantasie derart, dass es kaum möglich ist, den Kranz von Legenden um die Biographie dieser außergewöhnlichen Frau zu entwirren.

Am Beispiel Blavatskys wird deutlich, wie schwierig die Gratwanderung des Biographen zwischen Realität und Fiktion ist. Es existiert keine »objektive« Wirklichkeit, denn die Wahrnehmung der Ereignisse ist immer subjektiv. Es gebe keine Tatsachen, sondern nur Interpretationen, hat Friedrich Nietzsche einmal konstatiert. Der Mensch erzeugt also lediglich eine – seine – Beschreibung der Wirklichkeit.

»Madame Blavatsky ist von einem romantischen Nimbus umgeben«, erklärte die Theosophin, als ihr Weggefährte Alfred Percy Sinnett an ihrer ersten Biographie arbeitete, »und präsentierte man ihr Leben dem Publikum nur in trockenen 16Fakten, wäre die ideale Madame B. auf immer verloren. … Wenn Sie aber bei den Lesern Begeisterung für sie und das Ideensystem, für das die Theosophie steht, wecken wollen, sollte die Lebensbeschreibung in einem Stil verfasst sein, der nicht nur den Intellekt, sondern auch das Herz erreicht, indem sie zugleich der Phantasie Nahrung gibt.«10

Sinnetts Blavatsky-Biographie erschien 1886, als die Begründerin der Theosophie schwerwiegenden öffentlichen Anschuldigungen ausgesetzt war. Die Person seines Interesses gab Sinnett zwar dem Anschein nach freie Hand, tatsächlich aber war Madame Blavatsky höchstselbst Co-Autorin dieser Lebensbeschreibung. Kategorisch verweigerte sie die Thematisierung bestimmter Gegenstände, fügte manches ein und arbeitete tatkräftig an der Neuerschaffung der »idealen Madame Blavatsky«. Diesem Bild widersprachen andere Autoren, zuerst der Schriftsteller Wsewolod Solowjow, der die »Isis-Hohepriesterin« als Seelenfängerin darstellte, die nicht davor zurückschrecke, zu Mitteln des Betrugs zu greifen, um Macht über andere zu erlangen.

Die Deutungen des Lebens der Begründerin der Theosophie sind also in zwei Kategorien zu unterteilen: auf der einen Seite jene Biographen, die der Theosophie nahestehen und das Idealbild ihrer Begründerin zeichnen, ihnen gegenüber die Autoren, die Blavatsky feindselig gesinnt sind und sie als Blenderin zu entlarven suchen. In diese Kategorien lassen sich mehr oder minder auch die in den letzten Jahrzehnten erschienen Blavatsky-Biographien einordnen.

Die 1980 erschienene Biographie von Marion Meade steht Blavatsky recht skeptisch gegenüber. Die Autorin übernimmt zahlreiche Behauptungen aus teilweise sehr einseitigen Quellen relativ bedenkenlos und versäumt es, diese einer notwendigen kritischen Prüfung zu unterziehen. Auf dieser Grundlage entwickelt sie bisweilen sehr eindeutige Standpunkte, die nicht immer auf unsere ungeteilte Zustimmung treffen. Fast anderthalb Jahrzehnte später erschien die umfangreiche Biographie von Sylvia Cranston, die als Gegenentwurf zur Le17bensbeschreibung Marion Meades gelesen werden kann und eher der hagiographischen Literatur zuzurechnen ist. Hier werden verschiedene Themen kurzerhand ausgespart.

Die vorliegende Biographie erhebt nicht den Anspruch, die letztendlich gültige Wahrheit über Madame Blavatsky zu enthüllen und zu berichten, was tatsächlich gewesen ist, wohl aber haben wir versucht, ein wenig genauer hinzusehen, als es die Biographen vor uns getan haben. Aus den schillernden Mosaiksteinen der Berichte und Briefe Blavatskys, ihrer Weggefährten und Feinde haben wir versucht, ein Porträt zusammenzusetzen, das die Begründerin der Theosophie weder überhöht noch herabsetzt.

IIn Obhut der Familie(Russland 1831-1850)

1 Ein eigensinniges junges Ding

An einem Morgen im Oktober 1849 entzog sich Helena Blavatsky der Kontrolle durch die Bediensteten, die von ihrem Ehemann mit ihrer Beaufsichtigung beauftragt worden waren. Nur drei Monate nach der Hochzeit brach die Achtzehnjährige aus der Ehe mit dem ungeliebten Gatten aus, sattelte ihr Pferd und ritt ihrem ungewissen Schicksal entgegen. Ihr Weg führte sie gut dreihundert Kilometer von Eriwan, der Hauptstadt der damals noch jungen russischen Provinz Armenien, wo ihr um mehr als zwanzig Jahre älterer Ehemann als Staatsbeamter die zaristische Ordnung in dem einst zum persischen Reich gehörenden Fürstentum durchzusetzen hatte, nach Tiflis – Mitte des 19. Jahrhunderts ein gefahrvolles Unterfangen. Erst zwei Jahrzehnte zuvor war Eriwan durch den Frieden von Turkmantschai, mit dem der letzte russisch-persische Krieg 1828 beendet worden war, dem russischen Imperium zugefallen. Kaum jemand wagte, diese von rebellischen Völkerschaften bewohnte und nur mit Mühe dem Russischen Kaiserreich unterworfene Region ohne bewaffnete Eskorte zu bereisen.

In Tiflis bei den Großeltern angekommen, bei denen sie und ihre Geschwister nach dem Tod der Mutter gelebt hatten, schwor Helena, sie brächte sich ums Leben, sollte man die Rückkehr zu ihrem angetrauten Ehemann erzwingen.1 Also wurde ein Familienrat einberufen, der beschloss, die widerspenstige und flüchtige Ehehälfte wieder in Obhut ihres Vaters, des Obersten der Armee des Zaren, Peter Alexejewitsch von Hahn, zu geben. In Odessa sollte die »Übergabe« vollzogen werden.

Die Wegstrecke von Tiflis nach Poti, einer am Schwarzen 19Meer gelegenen Hafenstadt, deren Geschichte bis in byzantinische Zeiten zurückreicht, von wo aus die junge Dame per Schiff nach Odessa reisen sollte, wurde in einem komfortablen zweispännigen Fourgon zurückgelegt. Zu ihrem Schutz und nicht zuletzt, damit sie nicht ein zweites Mal das Weite suchen konnte, wurden Helena vier Bedienstete – der Majordomus, zwei Dienstmägde und ein kräftiger, junger Bursche – als Geleit zur Seite gestellt.

Über drei Jahrzehnte später berichtete Blavatsky ihrem theosophischen Weggefährten und ersten Biographen Alfred Percy Sinnett, es sei ihr gleichwohl gelungen, ihrer Eskorte zu entkommen, indem sie nämlich die Reise verzögerte und so nicht rechtzeitig zum Ablegen des Dampfschiffes, welches sie in des Vaters Arme bringen sollte, in Poti eintraf. Dortselbst lag die unter englischer Flagge segelnde Commodore vor Anker, deren Kapitän die junge Dame und ihre Dienerschaft gegen großzügige Entlohnung an Bord nahm. Ziel der Reise der Commodore war allerdings nicht Odessa. Ihre Route führte über Kertsch auf der Halbinsel Krim und das am Asowschen Meer gelegene Taganrog nach Konstantinopel.

Nach der Ankunft in Kertsch gab Blavatsky ihren Bediensteten den Auftrag, eine Unterkunft zu finden und für einen Aufenthalt vorzubereiten. Von dort wollte man eine Passage nach Odessa nehmen. Die Dienerschaft tat, wie ihr geheißen. Die junge Dame aber, welche sie zu beaufsichtigen hatte, hatte endgültig beschlossen, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen, und stach in derselben Nacht ohne ihre Gefolgschaft mit der Commodore in See.

Die Fahrt über die Meere war nicht ohne Gefahren. Als in Taganrog die Hafenpolizei an Bord kam, musste Helena, die nicht im Besitz eines Passes war, der ihr den Grenzübertritt gestattet hätte, sich auf Anweisung des Kapitäns in einen Schiffsjungen verwandeln. Der Maat, dessen Kleider sie anlegte, wurde im Kohlekasten versteckt. Man legte Helena in seine Koje und gab an, der »Junge« sei krank. Nach der Ankunft in Konstantinopel verließ Helena eiligst das Schiff, um den Nachstel20lungen des Kapitäns zu entgehen, und wurde in einem türkischen Kajik, einem wendigen Ruderboot, ans rettende Ufer gebracht.2

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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