Madeleine Schickedanz - Anja Kummerow - E-Book

Madeleine Schickedanz E-Book

Anja Kummerow

4,5

Beschreibung

Madeleine Schickedanz ist die Frau hinter dem Quelle-Konzern. Sie lebt zurückgezogen, man weiß wenig über sie. Anja Kummerow hat sich an ihre Fersen geheftet, um herauszufinden: Wer ist diese Frau? Wie lebt sie? Warum ist sie so öffentlichkeitsscheu? Welchen Anteil hat sie an der Pleite des Quelle-Konzerns? Ein Blick in das geheime Leben einer der ehemals reichsten Frauen Deutschlands.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 329

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,5 (16 Bewertungen)
11
2
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anja Kummerow

Madeleine Schickedanz

Vom Untergang einer deutschen Familie und des Quelle-Imperiums

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2010

© 2010 by mvg Verlag, ein Imprint der FinanzBuch Verlag GmbH, München,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Mareike Fallwickl, Rif bei Hallein

Umschlaggestaltung: Moritz Röder, München

Satz: Wahl Media GmbH, München

Druck: GGP media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-86882-170-3

Weitere Infos zum Thema:

www.mvg-verlag.de

Gerne übersenden wir Ihnen unser aktuelles Verlagsprogramm.

Das Ende vom Anfang

Es ist 21.41 Uhr. Manfred Gawlas drückt auf Enter. Die Nachricht wird gesendet. In aller Eile hat der Pressesprecher der Firma Quelle die Mitteilung verfasst, die an diesem Abend unbedingt noch die Medien, vor allem die Fernseh- und Radiosender, erreichen soll.

»Guten Abend, meine Damen und Herren«, eröffnet Nachrichtensprecher Tom Buhrow um 22.15 Uhr die »Tagesthemen«. »In einer Woche beginnt die größte Massenimpfung in der Geschichte der Bundesrepublik, doch noch sind nicht alle Themen geklärt«, so hätte der erste Beitrag ursprünglich anmoderiert werden sollen. Der bessere Impfstoff gegen Schweinegrippe, der den Mitgliedern des Deutschen Bundestages vorbehalten ist, erhitzt in diesen Tagen die Gemüter.

Stattdessen heißt es: »Das Aus für Quelle ist besiegelt. Für das Traditionsunternehmen gibt es keine Rettung mehr.« In dem schnell zusammengestellten Beitrag und der anschließenden Liveschaltung nach Franken vernehmen viele Quelle-Mitarbeiter, dass es für »ihr« Unternehmen keine Alternative mehr zur Abwicklung gibt. Was das bedeutet, ist den meisten von ihnen sofort klar: Sie werden ihre Arbeit verlieren.

Wer es nicht schon am Abend über das Fernsehen erfahren hat, liest es am nächsten Morgen in den Zeitungen, die so spät noch darauf reagieren konnten: »Endgültiges Aus für Quelle« und »Der Schock: Quelle wird abgewickelt – 7000 Jobs gefährdet« ist auf vielen Titelblättern an Kiosken und in Zeitungsboxen unübersehbar zu lesen.

Dieser »nächste Morgen« schickt sich an, ein traumhaft schöner Herbsttag zu werden. Die Sonne strahlt vor einem blauen Himmel, den kein einziges Wölkchen trübt. Die Luft ist kühl, aber nicht kalt. Es ist Dienstag. Es ist der 20. Oktober 2009. Es ist der Geburtstag von Madeleine Schickedanz. An diesem Tag wird die Tochter von Gustav Schickedanz 66 Jahre alt – die Tochter des Mannes, der fast auf den Tag genau 82 Jahre zuvor ins Handelsregister eintragen ließ: »Versandhaus Quelle, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Sitz Fürth«.

Doch es ist nicht nur der Geburtstag der Quelle-Erbin. Auch ihre Mutter, Grete Schickedanz, die das Unternehmen entscheidend prägte, hätte an diesem Tag ihren Geburtstag gefeiert. Sie wäre 98 Jahre alt geworden. An jenem 20. Oktober erfährt ganz Deutschland, dass es das Unternehmen, das sie einst mitaufgebaut hat, nicht mehr gibt.

In den Tagen zuvor klammerten sich alle an die Hoffnung, dass die Quelle es schaffen, dass sie die Krise überleben würde. Ein Drama in mehreren Akten. Keiner wollte glauben, dass ein Traditionsunternehmen wie die Quelle einfach aufhören könnte zu existieren. Die meisten Menschen, vor allem jene, die bei der Quelle arbeiteten, hofften, dass sich ein rettender Investor für das Unternehmen finden würde. Alles vergebens: Für die Quelle gibt es keine Rettung mehr.

»Der Insolvenzverwalter der Unternehmen der Arcandor-Gruppe, Dr. Klaus Hubert Görg, hat den Gläubigerausschuss darüber informiert, dass die Verkaufsanstrengungen für Quelle Deutschland erfolglos waren«, wird am 19. Oktober 2009 in trockenen Worten mitgeteilt.

Von da an sind die Tage des einst bedeutendsten Versandhauses Europas gezählt. Keine zwei Wochen später, am 1. November, beginnt der größte Ausverkauf in der Geschichte Deutschlands. 18 Millionen Artikel aus Quelle-Lagern werden vor allem über das Internet, aber auch über die noch verbliebenen Quelle-Kaufhäuser mit Rabatten von bis zu 80 Prozent verramscht. Am Ende des gleichen Monats, am 30. November, wird Schlag Mitternacht der Ausverkauf beendet.

Viele Menschen äußern sich in diesen Tagen und Wochen zum Untergang der Quelle. Nur von einer Person ist nichts zu hören oder zu sehen: Madeleine Schickedanz.

Dabei hoffen viele, vor allem die Mitarbeiter der Quelle, auf ein persönliches Wort von ihr, auf einen Ausdruck des Bedauerns, auf eine Erklärung. »Warum«, fragen sich viele. »Warum konnte die Quelle nicht gerettet werden?« Sie wollen von Madeleine Schickedanz erfahren, wie es dazu kommen konnte. Sie warten bis heute.

»Ich bin niemand für die Öffentlichkeit«, hat Madeleine Schickedanz einmal über sich gesagt. Doch in den Monaten und Wochen vor dem endgültigen Aus der Quelle wurde so viel über sie geschrieben und geredet wie noch nie zuvor in ihrem ganzen Leben.

Schuld und Schulden

Gut vier Monate vor diesem schwarzen Tag im Oktober, am 9. Juni 2009, wurde für den Arcandor-Konzern, unter dessen Dach vor allem die Kaufhauskette Karstadt, das Versandhaus Quelle und der Reisekonzern Thomas Cook vereint waren, ein Insolvenzantrag gestellt. »Heute ist Deutschlands größtes Insolvenzverfahren eingeleitet worden«, gab Arcandor-Vorstandschef Karl-Gerhard Eick an diesem Tag vor der Presse bekannt. »Das bedeutet für alle Beteiligten innerhalb und außerhalb des Unternehmens eine sehr hohe soziale Verantwortung.«

Was letztlich folgt, ist ein würdeloses Gerangel um Unternehmensteile des Konzerns, das sich bis zum Sommer 2010 hinzieht. Vor allem die Genehmigung eines sogenannten Massekredits über 50 Millionen Euro, der den Druck des Herbst/Winter-Katalogs 2009/2010 der Quelle sichern soll, wird zum Desaster. Auf Betreiben des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer gibt schließlich der Bund 25 Millionen Euro frei, die beiden Bundesländer Bayern und Sachsen 20,5 und 4,5 Millionen Euro. Nach zahlreichen Verhandlungen kann der Quelle-Katalog – einst das Symbol des Unternehmens – gedruckt werden. Es wird der letzte sein.

Eine nicht unerhebliche Mitschuld an der Misere des Handelskonzerns und damit der Quelle wird Madeleine Schickedanz zugeschrieben, die einmal die Mehrheit am Arcandor-Konzern hielt und zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags noch 26,7 Prozent besitzt. Ende Juli 2009 entschließt sie sich – nachdem sich zahlreiche namhafte Zeitungen und Zeitschriften vergeblich um ein Interview mit der Konzernerbin bemühten – zur Flucht nach vorn. Der »Bild am Sonntag« steht sie Rede und Antwort.

Auf die Frage: »Ist Ihr Heim durch den Arcandor-Crash in Gefahr?«, sagt sie: »Das kann man so sagen. Ich hafte mit meinem gesamten Vermögen und meinen Immobilien, mit allem, was auf meinen Namen eingetragen ist.« Weiter sagt sie: »In der Öffentlichkeit gelte ich leider als Milliardärin. Aber das ist falsch, ich bin eine Mittelständlerin, die wie viele Unternehmer privates Geld und Vermögen in die Firma investiert hat.«

Wie viel sie verloren habe, fragt die »Bild am Sonntag« noch: »Wahnsinnig viel!«, erklärt Madeleine Schickedanz. »Mein Karstadt/Quelle-Aktienpaket war in der Spitze drei Milliarden Euro wert. Heute sind es gerade noch 27 Millionen Euro. Auf dem Papier haben wir somit drei Milliarden verloren. Hinzu kommen 170 Millionen Euro Verlust aus meinem Privatvermögen für eine Kapitalerhöhung bei Arcandor im Jahr 2004 und noch zusätzlich ein dreistelliger Millionenbetrag, um das Unternehmen danach zu stabilisieren.«

Wahrscheinlich um den Aktienkurs des bereits 2008 in Schieflage geratenen Arcandor-Konzerns zu stützen, kaufte Madeleine Schickedanz weitere Aktienanteile des Unternehmens. Dafür nahm sie bei der Privatbank Sal. Oppenheim einen Kredit auf, den das Magazin »Stern« mit 215 Millionen Euro beziffert. Die Aktie mit ihrem stetig fallenden Kurs war keine adäquate Sicherheit mehr. Deshalb musste Madeleine Schickedanz zahlreiche Immobilien aus ihrem privaten Besitz verpfänden.

Damit folgte Madeleine dem Beispiel ihrer Mutter. Grete Schickedanz hat einmal erklärt: »Ich stehe als persönlich haftender Gesellschafter in der vollen Verantwortung und Haftung. Mit meinem Haus bei Tarragona oder dem Anwesen in Dambach: Ich hafte mit allem, was ich besitze. Ich kann Ihnen versichern, dass dies noch mehr Leistungsdruck auslöst als ein Börsenkurs.«

Was den Menschen in ganz Deutschland aus dem Gespräch mit »Bild am Sonntag« jedoch in Erinnerung bleibt, sind diese Antworten von Madeleine Schickedanz: »Wir leben von 500 bis 600 Euro im Monat. Wir kaufen auch beim Discounter. Gemüse, Obst und Kräuter haben wir im Garten.« Und: »Ich bekäme mit meinen 65 Jahren noch nicht einmal Rente.«

Ein Aufheulen geht durch die Bundesrepublik. Madeleine Schickedanz wird mit Spott und Häme überschüttet, Weinerlichkeit und Selbstmitleid werden ihr vorgeworfen. In ihrer Heimatstadt Fürth machen Witze die Runde: »Bei Lidl ist ein schwer bewachter Rolls-Royce gesichtet worden: Frau Schickedanz beim Einkaufen.« Nur drei Tage nach dem Interview hängen wütende Quelle-Mitarbeiter im Bürogebäude eine Spendenbox auf mit der Aufschrift: »Mitarbeiter sammeln für ihre Chefin.«

Daraufhin tritt Madeleine Schickedanz noch einmal die Flucht an: in die Unsichtbarkeit.

Das Leben der Madeleine S.

Eine Frau geht langsam über die Karlsbrücke in der Nürnberger Innenstadt, vorbei an den jungen Menschen, die an den Mauern der Brücke lehnen oder darauf sitzen und einen Latte Macchiato oder eine Orangina trinken. Für den obligatorischen Aperol-Spritz ist es an diesem Nachmittag noch zu früh. Die Frau passiert das Café di Simo, ein kleines Szenecafé, in dem auch hin und wieder Nürnberger TV-Prominenz gesichtet wird, der ehemalige Herzblatt-Moderator Pierre Geisensetter etwa oder Diana Herold. Deren stumme Auftritte in der Comedy-Sendung »Bully-Parade« haben ihr Gesicht bekannt gemacht, eine »Playboy«-Titelstory den Rest.

Auch das Café selbst trug kurzzeitig einen bekannten Namen: Im September 2008, in der heißen Phase des Wahlkampfes, hatte es die CSU angemietet, um von zentraler Position aus um Stimmen zu werben. Vier Wochen lang hieß das Café wie ein guter Bekannter der Frau auf der Brücke: Beckstein. Ohne Günter.

An der Ecke, bevor die Frau zum Trödelmarkt abbiegt, schaut sie sich an diesem Frühsommertag 2010 noch einmal vorsichtig um, so, als sei sie erstaunt darüber, von all den Menschen nicht bemerkt zu werden. Die Frau ist Madeleine Schickedanz.

Sie wirkt wie eine der vielen wohlhabenden Frauen, die hier vorbeiflanieren – Unternehmergattinnen, Zahnarztfrauen, selbstständige Immobilienmaklerinnen. Dass sie auf den ersten Blick nicht auffällt, mag an der großen, dunklen Sonnenbrille liegen, die das schmale Gesicht großflächig bedeckt. Oder an ihrem überaus schlichten Kleidungsstil. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich ihre Eleganz, ihre Klasse. Alles an ihr ist edel und teuer, von Protz dabei keine Spur. Sie trägt eine schmale schwarze Hose, die ihre zierliche Figur gut zur Geltung bringt. Dazu schwarze Ballerinas, eine weiße Bluse und einen schwarzen Kurzmantel. Weder eine Knitterfalte noch der störende Hinweis auf die Marke eines ihrer Kleidungsstücke sind auszumachen.

Abgerundet wird das Gesamtbild durch die Tasche. Deren unverwechselbarer Stil verrät den Designer sofort: Über Madeleines Schulter hängt eine Bottega Veneta, »der Bentley unter den Taschen«, wie das Schmuckstück aus dem gleichnamigen Haus einmal genannt wurde. Sie trägt ein schlichtes Modell in Hellbraun.

Die Milliardenerbin hat eine Schwäche für edle und schöne Handtaschen. Auch die Marke Tod’s hat es ihr angetan. Wie Bottega Veneta hat die Firma Tod’s ihren Ursprung in Italien und ist neben ihren klassischen, handgefertigten Taschen vor allem bekannt für die Mokassins mit 133 Noppen auf der Sohle. Um eine Tod’s-Handtasche zu ergattern, müssen sich Kundinnen in Wartelisten eintragen. Bottega Veneta ist zu erkennen am »Intrecciato«-Muster, einem gewebten Flechtmuster, das in den vergangenen Jahren vor allem asiatische Raubkopierer zu deutlich preisgünstigeren Nachahmungen inspirierte. Bei dem in aufwendiger Handarbeit gefertigten Original kann schon eine schlichte Geldbörse um die 600 Euro kosten. Eine günstigere Bottega Veneta-Tasche ist für etwa 2000 Euro zu haben. Wer das Besondere des Besonderen sucht, kann auch für 15.000 Euro fündig werden. Die Marke passt perfekt zu Madeleine Schickedanz, steht sie doch für zurückhaltenden, zeitlosen Luxus.

Bottega Veneta wird Mitte der 60er-Jahre im italienischen Vicenza nahe der Lagunenstadt Venedig gegründet. Mit seinen Accessoires aus feinstem Leder wird das Unternehmen innerhalb kürzester Zeit zu einer der führenden Marken bei Schuhen, Gürteln und Taschen, es galt in den 70er-Jahren als exklusive Marke des Jetsets. Doch in den 90er-Jahren ließ die Nachfrage nach italienischer Designermode nach, was auch Bottega Veneta zu spüren bekam. Im Jahr 2001 schließlich kaufte der französische Milliardär François-Henri Pinault die Marke und reihte sie in seine bereits beachtliche Sammlung von Luxusgüterherstellern ein. Unter dem Dach seines Konzerns PPR – Pinault-Printemps-Redoute – sind heute viele bekannte und edle Modemarken zu finden: Gucci, Balenciaga, Yves Saint Laurent, Stella McCartney, Sergio Rossi und Bottega Veneta. Auch in Franken ging PPR auf Einkaufstour: 2007 erwarben die Franzosen mehrheitlich den Sportartikelkonzern mit dem Raubkatzenlogo – Puma. Dass der überaus charmante François-Henri Pinault das Schöne zu schätzen weiß, zeigt er auch privat. Nach einigem Hin und Her heiratete der PPR-Chef 2009 die Mutter seiner kleinen Tochter Valentina: die Hollywood-Schauspielerin Salma Hayek.

Dass Bottega Veneta in der Modewelt wieder für Furore sorgt, ist vor allem einem Deutschen zu verdanken: Tomas Maier, der auf dem Weg zu internationalem Erfolg das »h« in Thomas abgelegt hat, ist seit 2001 Chefdesigner des Labels. Mittlerweile gilt die Marke als eines der Aushängeschilder des Konzerns und als zweitstärkster Umsatzbringer. Einer Umfrage des New Yorker »Luxury Institutes« von 2008 zufolge ist Bottega Veneta in den USA die prestigeträchtigste Luxus-Modemarke – noch vor Armani, Chanel, Hermès, Fendi und Gucci.

Einige dieser Marken sind auch in der Kaiserstraße zu finden, aus der Madeleine Schickedanz an diesem Tag in die Straße einbiegt, die über die Karlsbrücke führt. Die Kaiserstraße gilt als Nürnbergs Nobeleinkaufsmeile – auch wenn sie die für eine Meile erforderlichen knapp 1,6 Kilometer kaum aufweisen kann.

Ihr Weg führt die einstige Milliardenerbin, bei der jedes Haar ihrer blonden, schulterlangen Frisur perfekt sitzt, direkt zu ihrem Friseur am Trödelmarkt. Früher war sie bis zu drei Mal in der Woche hier, will ein Insider wissen. Damals noch mit Fahrer und Bodyguard. Besitzer und Verkäufer der umliegenden Geschäfte erinnern sich an den großen stattlichen Mann im Anzug, der sich die Wartezeit mit einem Schaufensterbummel vertrieb und dabei selbst das ein oder andere Stück für seine Ehefrau erwarb.

Eine sehr gute Kundin

War sie ohne Personenschutz unterwegs, soll es häufig ihr Chauffeur gewesen sein, der diverse Aufgaben übernahm, wie sich einige Menschen erinnern. Oft wurde Madeleine Schickedanz in der Kosmetikabteilung des Karstadt-Kaufhauses an der Nürnberger Lorenzkirche gesichtet, die letzten Male jedoch »gehetzt, nervös, angespannt«. Auch hier sind ihre Besuche seltener geworden. Nach wie vor ist sie eine hoch angesehene Frau, über die zu reden sich sogar den Karstadt-Verkäuferinnen verbietet. »Ja, Frau Schickedanz ist eine sehr gute Kundin bei uns«, heißt es.

Zwischen den Verkaufsbereichen von Shiseido, Dior und Chanel flaniert Madeleine, schaut, probiert, wählt aus. Für Crèmes gegen Leuchtkraftmangel kann man in der Karstadt-Kosmetikabteilung schon einmal 70 Euro loswerden, Lippenstifte kosten selten unter 25 Euro. Madeleine Schickedanz soll es besonders zu den Ständen der amerikanischen Kosmetikfirmen Estée Lauder und Clinique ziehen. Auch die Feinschmeckerabteilung von Karstadt hat es ihr angetan. Das verriet sie der »Berliner Morgenpost« 2006, als sie mit ihrem Gatten extra aus Nürnberg in die Bundeshauptstadt gereist war, um dem großen Fest zum 125-jährigen Karstadt-Jubiläum im KaDeWe beizuwohnen. Sie selbst – in einem Hosenanzug von Armani gekleidet – habe sie »bescheiden Lebensmittelabteilung« genannt, schrieb das Blatt. Nach dem Kaufhaus des Westens verfügt das Nürnberger Haus über die zweitgrößte Karstadt-Feinschmeckerabteilung Deutschlands.

Wenn man die Konzernerbin in früheren Jahren bei Karstadt antraf, dann so gut wie nie mit Einkaufstüten in der zierlichen Hand, deren Druck beim Händeschütteln kaum spürbar ist. Eine zarte, vorsichtige Geste, die beim Gegenüber Beschützerinstinkte weckt.

Nachdem Madeleine ihre Auswahl getroffen hatte, pflegte ihr Fahrer die Einkäufe regelmäßig abzuholen. Im alten Hersbrucker Quelle-Kaufhaus soll der Fahrer die Einkäufe sogar zur Gänze erledigt haben, während Madeleine Schickedanz draußen im Fond des Wagens wartete. In München, wo Tochter Daniela mit ihrer Familie lebt, soll Madeleine Schickedanz bis 2008 – bis bei der KarstadtQuelle-Mutter Arcandor die Probleme offenkundig wurden – des Öfteren Ausflüge in die Maximilianstraße unternommen haben. In den Nobelboutiquen der Münchner Edelmeile war man begeistert von der prominenten Kundin – und von dem sie umgebenden Service. »Einmal in der Woche war sie hier, mit Fahrer und Personenschutz. Sogar die Sicherheitsleute der Geschäfte haben geschwärmt, wie das Kommando die Sache im Griff hatte«, weiß der Insider zu berichten. Heute tauche sie nur noch gelegentlich auf – und wenn, dann allein. Zu Mod’s Hair am Trödelmarkt schlendert sie, ohne dass in ihrer Nähe ein Personenschützer auszumachen ist. Beim Nürnberger »Promi«-Friseur wird die gute Kundin bereits erwartet – die Tür wird aufgerissen, sie von Weitem begrüßt.

Die sonst sehr pressefreundliche Inhaberin des Geschäftes wird ebenfalls schweigsam, wenn es um ihre inzwischen allseits bekannte Kundschaft geht. »Frau Schickedanz ist eine ganz liebe Person, eine sehr nette Frau«, sagt die Chefin. Angenehm sei sie, sehr ruhig und zurückhaltend. »Aber ich rede nicht über meine Klienten«, bescheidet sie. Anders als sonst beim Friseur üblich, erzähle Frau Schickedanz nichts. Aber man frage auch nicht.

»Liebenswürdig« ist eine jener Eigenschaften, die Madeleine Schickedanz viele der Menschen zuschreiben, die mit ihr zu tun haben oder hatten. »Launenhaft« ist eine weitere.

Entspannt, befreit, gelöst

Als Madeleine Schickedanz an diesem lauen Frühsommertag durch die Innenstadt bummelt, fast ein Dreivierteljahr nach dem Zusammenbruch der Quelle, wirkt sie entspannt und befreit. Mit den Bildern, die in der Presse nach dem 9. Juni 2009 kursierten – dem Tag, an dem der Dachkonzern Arcandor Insolvenz anmelden musste –, hat diese Frau nicht mehr viel gemein. Sie sieht nicht verhärmt aus oder gar krank. Ganz im Gegenteil. Erholt, gelöst und keineswegs ihrem Alter entsprechend wirkt die 66-Jährige.

Freunde und Familie hatten sich in den Wochen nach der Misere große Sorgen um sie gemacht. Erst ihr Zusammenbruch, der sie noch in der Schweiz ereilte, mit anschließendem Krankenhausaufenthalt. Als bekannt geworden sei, dass eine Insolvenz nicht mehr zu vermeiden gewesen sei, habe sie Herzrhythmusstörungen bekommen, erzählt sie der »Bild am Sonntag«. »Ich bin zusammengebrochen, bekam keine Luft mehr und konnte nur noch auf allen vieren über den Boden krabbeln. In diesem Moment dachte ich: Ich muss sterben.«

Dem Interview folgte die große Häme. Dabei hatte sie schon in diesem Gespräch gesagt: »Ich traue mich nicht mehr unter Menschen. Ich habe den Eindruck, dass alle auf mich starren und hinter meinem Rücken tuscheln und sagen: ›Guck mal, da ist die Schickedanz. Die hat alles verloren.‹ Das kann ich nur schwer ertragen.« Bei einem Besuch der Salzburger Festspiele, als die Arcandor-Krise gerade begann, sei sie in der »Zauberflöte« gesessen. »Ich habe die Blicke der anderen Besucher wie ein Messer im Rücken empfunden.«

Eine, die dieses Gefühl kennt, ist Susanne Klatten, geborene Quandt. Das Leben der Erbin von großen Aktienpaketen an BMW und dem Chemiekonzern Altana, die jahrelang auf größtmögliche Diskretion bedacht war, wurde über Nacht öffentlich. Aus einer Affäre war ein schmutziges Geschäft geworden, Klatten wurde von ihrem Liebhaber erpresst. Sie tat etwas, womit der professionelle Gigolo Helg Scarbi nicht gerechnet hatte: Sie wehrte sich und zeigte ihn an. Zwischen Scarbis Verhaftung und dem Bekanntwerden der Erpressung lagen ein paar Wochen. Klatten hatte geglaubt, sich auf das mediale Ereignis vorbereiten zu können, wie sie später der FTD – der »Financial Times Deutschland« – erzählt. »Eine Illusion«, musste sie feststellen. Auch Madeleine Schickedanz dürfte mit derartigen Reaktionen auf ihre Worte kaum gerechnet haben. Was Susanne Klatten über sich sagte, gilt auch für Madeleine Schickedanz: Die Leute sehen in ihr nicht den Menschen. Sie sehen zuerst einmal die Milliardärin. Das Geld. »Es verletzt mich«, sagte Klatten der FTD, »wenn ich immer nur im Maß des Geldes gemessen werde. Geld bewertet nicht, was oder wer ich bin.«

In der Zeit nach dem »Bild am Sonntag«-Interview wurde Madeleine kaum noch gesichtet. Nach dem Aus für die Quelle schien sie wie vom Erdboden verschluckt, unerreichbar für die meisten. In Deutschland wurde sie in einer ihren Villen in St. Moritz vermutet oder in ihrem spanischen Anwesen in Tarragona. Andere dachten, sie sei im französischen Schloss der Familie in der Nähe von Orleans. Oder vielleicht doch in ihrem Feriendomizil am Tegernsee? Nur wenige Freunde und Vertraute wussten, dass sie sich für einen längeren Zeitraum nach Chile abgesetzt hatte.

Flucht nach Chile

Vor mehr als fünf Jahrzehnten erworben Gustav und Grete Schickedanz dort ein riesiges Anwesen: das Gut »La Poza«. In der Boomzeit des Wirtschaftswunders galt es unter den Großindustriellen als schick, sich der Landwirtschaft zu widmen. Konkurrent Neckermann etwa besaß auf der spanischen Insel Mallorca ein Landgut von rund 180 Hektar Größe.

Hans Dedi ist der Ehemann von Louise, Gustav Schickedanz‘ Tochter aus erster Ehe. Im Auftrag seiner Schwiegereltern kaufte er 1962 den etwa 850 Hektar großen landwirtschaftlichen Betrieb, rund 30 Kilometer entfernt von der Stadt Osorno im Süden Chiles. »Es ist alles so schön dort, die Natur und auch die Menschen sind so ganz anders. Auch ein schönes Häuschen wurde für uns gebaut. Falls Deutschland einmal unter kommunistische Vorherrschaft fallen sollte, möchten wir in Chile wohnen«, hatte Grete Schickedanz gesagt, wie der ehemalige Verwalter des Landgutes in seinem Tagebuch festhielt. Der Schwiegersohn war schon einige Male zur Jagd nach Chile eingeladen worden und hatte die Region dabei schätzen gelernt. Dedi sei es schließlich auch gewesen, der der Familie Schickedanz Land und Leute auf einer Geschäftsreise nach Lateinamerika näherbrachte. Die Versandhausinhaber hätten sich sofort in Chile verliebt, heißt es. So kauften sie das Gut bei Osorno. Eigens dafür gründete die Familie zuvor eine Gesellschaft, die auch als Eigentümer im Grundbuchamt auftauchte: »La Poza S. A.« Fünf Jahre später wurde das Gut auf die beiden Schwestern überschrieben, Madeleine Mangold und Louise Dedi, beide geborene Schickedanz. Nur das Vorwerk blieb im Besitz von Grete Schickedanz.

So ganz fremd musste sich die Familie Schickedanz in Chile nicht fühlen. Das Klima ist europäisch gemäßigt, vor allem aber spricht man Deutsch: Um 1845 begannen Deutsche, Öster-reicher und Deutsch-Schweizer, sich auf dem Indio-Land niederzulassen. Allein nach Osorno übersiedelten 6000 deutsche Familien.

Das südamerikanische Land blieb von der deutschen Geschichte nicht verschont. 1931 wurde in Chile die NSDAP/AO gegründet, der sich im Laufe des Jahrzehnts mehr als 1000 Deutschstämmige anschlossen. Gleichzeitig fanden viele politische Flüchtlinge und deutsche Juden, die ihre Heimat wegen des NS-Regimes verlassen mussten, in Chile eine neue Heimat. In der Zeit von 1933 und 1941 emigrierten rund 15.000 Juden aus Deutschland nach Chile.

Als aus den Häschern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Verfolgte wurden, waren sie es, die nach Südamerika flüchteten. Aber auch viele Heimatvertriebene aus den Ostgebieten verließen Deutschland in den 1940er- und 50er-Jahren gen Chile. Bis heute existiert in Osorno die einzige in sich geschlossene Sprachsiedlung Chiles. Deutsch ist für 20.000 bis 35.000 Menschen des Landes nach wie vor die Muttersprache.

In den mehr als 160 Jahren hinterließen die Deutschen, zu denen hier auch die einst ausgewanderten Deutsch-Schweizer und Österreicher zählen, deutliche Spuren in Chile. Beispielsweise in der Architektur oder in der Küche. Es gibt das Wort »Strudelhaus«, und auch ein typisch deutscher Begriff hat sich einen festen Platz im Wortschatz der Chilenen erobert. Wer nach einer kulinarischen Begleitung zum Nachmittagskaffee sucht, muss nur nach einem Schild Ausschau halten, auf dem – das »J« gesprochen wie ein »CH« – »Kujen« zu lesen ist. Oder im Plural »Los Kujenes«.

Seit 1938 wird die deutsche Wochenzeitung »Cóndor« gedruckt, und es gibt die deutsche Schule »Instituto Alemán de Osorno« mit über 150-jähriger Geschichte. Insgesamt existieren in Chile rund 20 deutsche Schulen. Es gibt Gartenzwerge, die in Chile mitunter eher den Namen Gartenriesen verdient hätten.

Bis mit dem Landgut in Chile Geld zu verdienen war, zogen allerdings noch einige Jahre ins Land. Gustav und Grete Schickedanz scheuten weder Aufwand noch Mühe, um seinerzeit den Chile-Kenner Rainer Schirmer als Verwalter für das Anwesen zu gewinnen. Wie er in seinen Tagebucherinnerungen schreibt, gelang es ihm Anfang der 70er-Jahre, den bis dahin defizitären Betrieb auf Vordermann zu bringen. Mehr als 120 Milchkühe und etwa 500 Mastbullen gab es zu dieser Zeit auf »La Poza«.

Das Ehepaar Schickedanz überzeugte sich auch persönlich von den Fortschritten. Im Februar 1969 reisten sie – in Begleitung von Hans Dedi – für zwei Wochen nach Chile. Für Komfort wussten sie schon damals auch auf ihrem weit entfernten Landgut zu sorgen. Es gab ein stattliches Herrenhaus mit schönen Zimmern, alle mit dazugehörigem Bad ausgestattet, Zentralheizung und für lauschige Abende einen offenen Kamin im Wohnraum. Haushälterin, Hausgehilfin und Hausbursche sorgten für das leibliche Wohl. »Die Haushälterin, Frau Herta H., kochte, als wären wir in einem Fünf-Sterne-Hotel. Das Hausmädchen musste uns servieren«, notierte Schirmer.

Madeleine ging in dieser Zeit in ihrer Rolle als junge Ehefrau auf. Im gleichen Jahr wurde sie mit Sohn Matthias schwanger. Die werdende Großmutter genoss unterdessen die Freiheit, die das weite Land Chiles ihr bot. »Nachmittags wurden die Pferde gesattelt und ich erkannte die energische Dame und Versandhausbesitzerin kaum wieder. Wie glücklich war sie auf dem Rücken eines Pferdes. Frau Schickedanz konnte hier mal ›sie selber sein‹.«

Erinnerungen

Auch die Gespräche mit Grete Schickedanz blieben dem Verwalter unvergessen: »Die Ausritte wiederholten sich täglich und in den Ruhepausen erzählte sie mir Ausschnitte ihres Lebens: ›Mein Vater war Fabrikarbeiter und Kleinbesitzer von zwei Kühen. Meine Mutter arbeitete öfter als Tagelöhnerin, um die Familieneinnahmen zu verbessern. Ich musste daher oft per Hand die zwei Kühe melken, von deren Milch Käse zum Eigenverbrauch und Verkauf produziert wurde.‹« Mit Tränen in den Augen habe Grete Schickedanz gesagt: »Sehen’S, Herr Schirmer, jetzt können Sie mich vielleicht besser verstehen, warum ich so an dem landwirtschaftlichen Besitz hier in Chile hänge, den einfachen Menschen hier in diesem Lande, den Tieren, den gewaltigen Kordilleren mit den Vulkanen im Hintergrund und der lieblichen Natur, gepaart mit der Einsamkeit. Dies war immer mein Wunschtraum, als junges Mädchen genauso wie heute als wohlhabende Frau.«

Schon im Jahr darauf änderte sich alles in Chile: Im September 1970 wurde das linke Wahlbündnis Unidad Popular die stärkste Kraft und Salvador Allende im vierten Anlauf Präsident. Eine Situation, die viele der in Chile lebenden Deutschen seit Langem fürchteten: das Gespenst des Sozialismus. Der Regierungswechsel stieß in den USA auf starke Ablehnung, und Allende hatte bei seinem Amtsantritt mit Sanktionen und Gegenmaßnahmen der USA zu rechnen. Schon als der Sieg der Linken absehbar war, soll der aus Fürth stammende US-Außenminister Henry Kissinger geäußert haben: »Ich sehe nicht ein, weshalb wir zulassen sollen, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist.«

Der anschließende Boykott der USA und auch einiger Länder Westeuropas destabilisierte die Regierung schließlich. Drei Jahre später, im September 1973, gelang ein Militärputsch, der General Augusto Pinochet an die Macht brachte. Bereits am Tag des Putsches kamen Hunderte von Anhängern Allendes ums Leben, Tausende wurden inhaftiert.

Das Jahr 1989 wurde nicht nur für Deutschland zum Wendejahr, sondern auch für Chile. Nach 15 Jahren Militärdiktatur fanden die ersten freien Wahlen statt, die der Christdemokrat Patricio Aylwin für sich entschied. Trotz zweimaliger Anklage starb Pinochet im Dezember 2006 in Santiago de Chile, ohne sich jemals für seine Verbrechen verantworten zu müssen. Unter seiner Diktatur wurden in Chile Zehntausende von Menschen inhaftiert und gefoltert, geschätzte 3100 Menschen ermordet. Etwa 2500 seiner Opfer blieben verschwunden. Es dauert lange, bis das Land dieses Trauma überwinden kann.

Heute gehört Chile zu den führenden Wirtschaftsnationen Lateinamerikas. Das Land ist dank seiner Rohstoffvorkommen reich. So verfügt Chile allein über 40 Prozent der weltweit bekannten Kupfervorkommen, die den wichtigsten Exportartikel des Landes hervorbringen. Das Metall wird für die Herstellung von Stromkabeln und Rohrleitungen benötigt, für Schmuck und Besteck ebenso wie für Kunstgegenstände oder Musikinstrumente. Vor allem aber für Münzen: Das europäische 50-Cent-Stück besteht zu 89 Prozent aus Kupfer.

Noch immer gibt es zahlreiche Deutsche, die Euro und Cent nur allzu gerne gegen den chilenischen Peso eintauschen und in Chile eine neue Heimat suchen. »Man wird als Deutscher nicht geliebt, aber man genießt hohes Ansehen. Es wird einem großer Respekt entgegengebracht. Als Deutscher erfährt man immer eine Art Vorzugsbehandlung«, beschreibt ein Auswanderer die Situation.

Das Land lockt mit einer atemberaubenden Landschaft. Allein die Gegend um die Stadt Osorno, die zur Region X der insgesamt 15 Regionen des Landes gehört, lockt mit Natur pur: Der gleichnamige Vulkan Osorno mit seinem schneebedeckten Gipfel dominiert die Szenerie. Unweit vom Gut »La Poza« befindet sich der Nationalpark Puyehue mit seinem riesigen Gletschersee Lago Puyehue. Nicht umsonst wird die Region X auch »Región de los Lagos« – Seenregion – genannt.

Auch ihren Lieblingsbeschäftigungen kann Madeleine Schickedanz hier nachgehen: Keine Autostunde von Osorno entfernt sind Skigebiete mit Höhenunterschieden von 1000 Metern zu finden, und es dauert eine knappe halbe Stunde bis zu den Stränden des Pazifischen Ozeans. Um Osorno herum gibt es ausreichend Gelegenheit, Golf zu spielen. Die an der Panamericana gelegene 150.000-Einwohner-Stadt verfügt über eine weitere Besonderheit: Der deutsche Armin Schmidt braut hier nicht nur Bier wie in deutschen Landen, sondern bietet dazu auch deutsche Speisen an, unter anderem Nürnberger Rostbratwürstchen mit Sauerkraut.

Weit weg von allen Problemen

Für Madeleine Schickedanz bedeutet Chile, weit weg zu sein von allen Problemen. Vor allem aber, aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verschwinden zu können – ohne ganz auf gesellschaftliches Leben verzichten zu müssen. Einige Reiche Deutschlands und der Schweiz haben hier – ähnlich wie sie – alte Besitztümer, manche haben ihre Häuser auch neu erworben. Das Landgut der Familie Schickedanz soll die wechselhaften Zeiten gut überstanden haben. Inzwischen sei der landwirtschaftliche Betrieb, wie es heißt, in den Händen von Pächtern.

Als das Magazin »Stern« im Januar 2010 die Immobilien auflistete, die Madeleine Schickedanz an Sal. Oppenheim verpfändete und zu verlieren drohte, war »La Poza« nicht dabei. Die Übersicht umfasste nicht weniger als 14 Immobilien – darunter einige an den schönsten Orten dieser Welt. Um weitere Anteile des damals schon dem Untergang geweihten Arcandor-Konzerns erwerben zu können, hatte die Quelle-Erbin bei der Privatbank Sal. Oppenheim 2008 einen Kredit über 215 Millionen Euro aufgenommen. Sal. Oppenheim ließ sich diese Summe als Grundschulden in die Grundbücher der Schickedanz-Anwesen eintragen. Das berechtigte die Privatbank dazu, die verpfändeten Immobilien und Grundstücke per Zwangsvollstreckung einzuziehen und zu verkaufen, sollte Schickedanz die Kredite nicht zurückzahlen können. Nach der Quelle-Pleite wollte das Geldhaus – selbst in den Abwärtssog der Finanzkrise geraten – seine Millionen zurück. Schnell.

Zu den Immobilien auf der Liste gehörten zahlreiche Geschäftshäuser – in Hamburg, in Frankfurt und in Bonn. Aber auch einige private Immobilien, darunter eine Eigentumswohnung und ein herrschaftlicher Luxusaltbau in München, ein Wohnhaus in Zirndorf bei Fürth – wohl das, in dem sie in mit ihrem zweiten Ehemann Wolfgang Bühler und den beiden Kindern Matthias und Caroline lange Jahre lebte. Auch das schöne Haus am Tegernsee, ein Anwesen im oberbayrisch-folkloristischen Stil, das über einen eigenen Bootsanleger verfügt. Früher war es ein Pferdestall.

Nicht aufgelistet war die Villa im spanischen Tarragona, nicht weit von Barcelona entfernt. Die Familie hatte das Anwesen – wie einige ihrer Ferienhäuser – in den 60er-Jahren erworben. Doch auch hier gab es nicht nur Erholung pur. Eine professionelle Kakteenzucht mit 80 Mitarbeitern wollte betreut sein. »Wenn ich mir hier schon ein Haus leiste, müsste ich sehen, wie ich die Kosten irgendwo anders wieder hineinspiele«, hatte Quelle-Gründer Gustav Schickedanz gesagt. Es war dann vor allem Grete Schickedanz, die sich bei den Besuchen in Spanien um die Gärtnerei kümmerte.

Bekannt wurde der idyllische Ort aber vor allem durch einen furchtbaren Unfall, der sich Ende der 70er-Jahre hier ereignete. Der Tank eines mit 23 Tonnen Propen überladenen Lastzuges – 19 Tonnen waren nur erlaubt – explodierte in Höhe des Campingplatzes »Los Alfaques«. Das austretende Gas entzündete sich an den Gaskochern auf dem Zeltplatz. In dem Inferno wurden mehr als 300 Menschen verletzt, 217 starben – darunter viele Deutsche. Unter dem Titel »Tarragona – ein Paradies in Flammen« verfilmte der Privatsender RTL 2007 die Tragödie.

Noch mehr Fluchtorte

Auch die Erinnerungen der Familie Schickedanz an ihr Feriendomizil sind nicht ausnahmslos schön: 1991 überfielen vier maskierte und schwer bewaffnete Einbrecher das Anwesen, brachen die Tür zu Grete Schickedanz’ Schlafzimmer auf und zerrten die damals 80-Jährige aus dem Bett. Im Nachbarzimmer fand sie ihre Begleitung auf dem Boden liegend vor, einer der Einbrecher hielt ihrem Mitarbeiter ein Gewehr an den Kopf. Die Haushälterin gab schließlich den Schlüssel zum Safe heraus, in dem die Gangster Bargeld und wertvollen Schmuck fanden. Das stellte sie zufrieden und sie verschwanden.

Zu den Immobilien, die der Familie Schickedanz sicher sind, gehört die riesige Villa in Fürth, die auf dem 70.000 Quadratmeter großen Grund steht. Diese überschrieb Madeleine laut Medienberichten bereits 2005 ihrem Sohn Matthias Bühler und sicherte sich selbst ein lebenslanges Wohnrecht.

Platz ist auf dem Anwesen mehr als genug. Selbst im Gästehaus gibt es mehrere Wohnungen mit Bad und Küche. Doch auch das Haupthaus – wie alle Gebäude auf dem Grundstück gelb – sollte genug Platz bieten. Eine rote, steinerne Treppe führt von zwei Seiten zum Haupteingang des Gebäudes. Schon von der Garderobe könne man sich »in den angrenzenden Toiletten oder Bädern verlaufen« erklärte einmal ein Gast. Doch mit ein wenig Hilfe findet man durch einige Salons mit Chippendale-Interieur auf die Ballustraden-Terrasse.

Vieles in dem Haus wurde so belassen, wie es war, als Grete Schickedanz 1994 in den Armen ihrer Tochter starb. Knapp zehn Jahre danach ließ Madeleine auch die beiden Büros ihrer Eltern räumen und das Mobiliar in die Fürther Villa bringen. Korrespondenz zwischen Gustav und Grete war hier archiviert ebenso wie Dokumente des Unternehmens.

Die Villa wurde nicht nur privat genutzt. Es war durchaus üblich, dass Gustav und Grete Schickedanz Mitarbeiter zu sich nach Hause einluden. Natürlich nicht jeden und natürlich nicht einfach so. Geladen wurden Mitarbeiter in gehobener Position. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit stand die Familie in Reih und Glied, um ihnen, die jeweils in kleinen Grüppchen vorgelassen wurden, nach einem festen Händedruck persönlich das Kuvert mit der Weihnachtsgratifikation zu überreichen.

Nach dem Tod von Gustav Schickedanz setzte seine Frau diese Tradition fort – gemeinsam mit den Schwiegersöhnen Hans Dedi und Wolfgang Bühler. »Übergeben wurde uns die Gratifikation in Zimmer Nummer fünf, in dessen Mitte ein großer Verhandlungstisch stand«, erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter. »Alles in der Villa war sehr gediegen, die Wände größtenteils holzvertäfelt. Überall gab es viele Bücher, vor allem alte Bücher mit Ledereinbänden.«

Wenn Madeleine Schickedanz zu Gesellschaften einlud, dann wählte sie in der Regel nicht ihr Hersbrucker Heim dafür. Gäste empfängt sie stets in den unteren Räumen der repräsentativen Villa in Fürth. Wie ihre Eltern war es ihr ein Anliegen, eine gute Gastgeberin zu sein: So wurde bislang eigens zu solchen Anlässen ein Sternekoch engagiert, um die Gäste kulinarisch zu verwöhnen, unterstützt von einer »Super-Haushälterin«, wie einer sagt. Geschultes Personal sorgte für den perfekten Service.

In einem Flügel der Villa ist heute ein Teil der Madeleine Schickedanz Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG untergebracht, der andere Teil wie auch die Madeleine Schickedanz KinderKrebs-Stiftung residieren in einem Neubau, der sich gegenüber dem Haupteingang der Villa befindet. Schlicht ist dieser, mit einem gläsernen Treppenaufgang. Schickedanz Vermögensverwaltung GmbH steht an zwei Briefkästen. In einem von ihnen steckt ein Bündel mit Anzeigenblättern, die von den Sonderangeboten bei Aldi, Lidl und Rewe künden. Auch dieser Neubau gehört zu den an die Bank verpfändeten Anwesen.

Der Haupteingang der Villa, der geschützt und dezent in einer Kurve liegt, gibt nur einen Einblick auf die Toreinfahrt frei: ein gelbes Gebäude mit einem Türmchen in der Mitte, das für die Durchfahrt den angemessenen herrschaftlichen Rahmen liefert und gleichzeitig vor Blicken der ohnehin wenigen Nachbarn und einzelner Spaziergänger schützt. Eine Rüschengardine, die – exakt ausgerichtet – von einem ausgeprägten Ordnungssinn der Bewohner zeugt, ziert das Fenster des Türmchens. Links und rechts des Gebäudes befinden sich jeweils drei Garagen, die fest verschlossen sind, so verschlossen, wie das ganze Anwesen wirkt. Das Tor selbst, schwarz und schmiedeeisern, ist an einigen Stellen mit Moos bewachsen, an anderen hat sich der Rost seinen Platz erobert.

»Viel zu wenig Leute«, heißt es unter den Angestellten. »Früher waren viel mehr hier, um den Laden in Ordnung zu halten«, sagt ein Insider. »Heute verkommt alles.« Das Personal werde immer weniger: »Die schaffen das gar nicht mehr.«

Eine andere Welt

Trotzdem wirkt das Anwesen sauber, fast antiseptisch. Eine andere Welt, die nur wirklich wird durch ein paar welke Blätter. Laub im Frühjahr. Laub, das die zwei schmalen Birken bereits im Herbst abgeschüttelt haben – in jenem Herbst, in dem Quelle aufhörte zu existieren. Es liegt unmittelbar vor den Garagen, die mit ihren grauen Türen und den weißen diagonalen Streifen ein wenig den Charme einer alten Garnisionskaserne verbreiten.

Sonst gibt das Grundstück nichts frei, kein Leben, kein Lachen – nichts dringt heraus. Hinter der Toreinfahrt schlängelt sich rechts ein Weg aus roten Steinplatten über das Anwesen, wächst sich zu einem Platz vor dem Haus aus, das im gleichen Baustil und im gleichen Gelbton gehalten ist wie das Gebäude am Haupteingang. Weiße Jalousien vor einigen der Fenster zeigen, dass das Haus derzeit nicht bewohnt ist. Wie eigentlich die meiste Zeit in den vergangenen Monaten. Vor den anderen Fenstern im Erdgeschoss ranken sich weiße Gitter wie Efeu an der Außenmauer. Sie sollen wohl Schutz bieten vor Eindringlingen, die es doch schaffen, an den Kameras und der Alarmanlage vorbei in das Haus zu gelangen.

Der eine oder andere Nachbar mag – durch die Bäume hindurch – von einem oberen Stockwerk aus Einblick in das Grundstück nehmen können, ein wenig zumindest. Direkte Nachbarn gibt es nicht. An das Grundstück grenzt ein Wasserschutzgebiet.

Eine rote, mit Efeu bewachsene Mauer, gerade hoch genug, um Neugierigen den Blick zu versperren, aber ohne trutzig zu wirken, rahmt das Grundstück, in dem Madeleine Schickedanz den zweiten Teil ihrer Kindheit verbrachte. Die Außenmauer schützt, gibt dem Areal einen würdigen Rahmen, macht aber auch deutlich, wie groß 70.000 Quadratmeter tatsächlich sein können. Sehr groß. Riesig. Ein Park für eine einzige Familie, mit Hasen und Rehen. Hier spielte Madeleine. Hier hakte Grete Schickedanz Geschäftspartner unter, um sie so lange spazieren zu führen, bis sie sie von ihrem Anliegen überzeugen konnte.

»Die Quelle-Erbin und ehemalige Milliardärin Madeleine Schickedanz muss um ihren umfangreichen Immobilienbesitz bangen«, schrieb der »Stern« im Januar 2010. »Pleite-Milliardärin verkauft Luxus-Villen!«, zogen die Boulevard-Blätter nach.

Den Anfang machten ihre Schweizer Besitztümer am noblen Suvretta-Hügel. Lange Zeit galt: Wer etwas auf sich hält, lässt sich hier nieder. Kein anderer Flecken Erde im Alpental wird so konsequent von der Sonne bestrahlt. 322 Tage im Jahr sollen es sein. Und was hätte für jene, die auch sonst auf der Sonnenseite des Lebens stehen, mehr Symbolcharakter?

»Ich sehe 100 Milliarden Dollar, wenn ich diesen Berg hier hochschaue«, wurde Ex-Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl zitiert, nachdem er seinen Blick über den Suvretta-Hügel schweifen ließ. »100?«, soll daraufhin Roland Berger, Unternehmer und Besitzer eines Grundstücks am St. Moritzer See erwidert haben. »Da ist der Topf ja schon voll, wenn Bill Gates landet.« Natürlich gibt es auch einen kleinen, aber feinen Flughafen, auf dem die Privatjets und Hubschrauber landen. Allein um die Weihnachtszeit sollen alljährlich 30 Milliardäre ihren Fuß auf den Boden des Flughafens Samedan setzen.

Der Kurort St. Moritz mit seinen heilenden Quellen lockte bereits im 19. Jahrhundert vor allem englische Gäste. Hier wurde 1889 das erste Golfturnier in den Alpen ausgetragen. In den 30er-Jahren entdeckte Hollywood das kleine Bergdorf. Charlie Chaplin, Alfred Hitchcock, Greta Garbo wussten das Klima hier ebenso zu schätzen wie Industrielle, Henry Ford etwa, oder Intellektuelle. Auch Thomas Mann reiste mit seiner Familie zum Skifahren hierher.

In den 60er-Jahren kamen die Schönen und Reichen nicht mehr nur für ein paar Tage und Wochen – sie wollten bleiben, angelockt von günstigen Quadratmeterpreisen. Für fünf Schweizer Franken gab es 1955 einen Quadratmeter Grund und Boden. Heute dürften 5000 Franken kaum reichen. Über St. Moritz schrieb der »Spiegel«-Autor Peter Brügge in den 60er-Jahren: »Ein Ort, so hässlich, dass man ihn für Prospekte mit Vorliebe nachts fotografiert.«

Dem Jetset war dies herzlich egal. Schließlich wurde es in der Saison, die sich auf die Wintermonate konzentrierte, früh dunkel, und gefeiert wurde nun einmal vorwiegend nächtens. »Von Silvester bis Januarmitte und in der zweiten Februarhälfte kulminiert die Saison so sehr, dass nur starke Naturen noch zusätzlich Wintersport ertragen«, fasste Brügge die Problematik zusammen.

Wie man feierte, wussten sie alle: der Erbe der Sachs-Werke Gunter Sachs mit seiner schönen Ehefrau Brigitte Bardot, der Schah von Persien und seine Frau Soraya wie auch der italienische Fiat-Clan Agnelli oder die griechischen Reeder Aristoteles Onassis und Stavros Niarchos. »Während Geldmänner wie der griechische Reeder Niarchos oder der amerikanische Versicherungskrösus Cornelius Starr in St. Moritz und St. Anton Bergbahnen finanzierten, um dann über diese hinweg doch mit dem Hubschrauber aufzufahren, sind die Kapitalisten aus Deutschland schon glücklich, wenn einer ihrer Angestellten oder Kunden sie am Skilift erkennt und vortreten lässt«, schrieb Brügge.