Magisches Spiel - Christine Feehan - E-Book

Magisches Spiel E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Prickelnde Erotik und atemberaubende Spannung

Sie sind die Schattengänger, eine Gruppe herausragender Kämpfer, deren Fähigkeiten von dem Wissenschaftler Dr. Peter Whitney verstärkt wurden. Schattengänger Kaden Montague wird mit der heiklen Mission betraut, eine Reihe mysteriöser Morde aufzuklären, die angeblich von seinesgleichen begangen wurden. Um die Täter ausfindig zu machen, benötigt er die Hilfe der telepathisch begabten Tensy Meadow, deren erotischer Ausstrahlung Kaden sich jedoch nicht entziehen kann…

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Seitenzahl: 751

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DAS BUCH

Aus einem makabren Wettkampf wird blutiger Ernst: Für die konkurrierenden Teams zählt, wie viele Mitstreiter die andere Mannschaft verliert. Die Teilnehmer gehören zum Bund der Schattengänger, heißt es. Grund genug, Kaden Montague auf den Plan zu rufen – der ist alles andere als begeistert, dass er gegen seinesgleichen ermitteln muss.

Als ihm die übersinnlich begabte Tansy Meadows zur Seite gestellt wird, fangen seine Probleme allerdings erst so richtig an: Sie übt vom ersten Augenblick an eine Faszination auf ihn aus, der er sich nicht entziehen kann. Eine Faszination, die beiden gefährlich zu werden droht …

 

DER BUND DER SCHATTENGÄNGER

Erster Roman: Jägerin der Dunkelheit Zweiter Roman: Spiel der Dämmerung Dritter Roman: Tänzerin der Nacht Vierter Roman: Schattenschwestern Fünfter Roman: Düstere Sehnsucht Sechster Roman: Fesseln der Nacht Siebter Roman: Magisches Spiel Achter Roman: Schicksalsbund

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 zahlreiche Romane veröffentlicht, für die sie mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Mit über sieben Millionen verkaufter Bücher weltweit zählt sie zu den erfolgreichsten Autorinnen der USA.

 

Weitere Romane von Christine Feehan bei Heyne: Dämmerung des Herzens, Zauber der Wellen, Gezeiten der Sehnsucht, Magie des Windes, Gesang des Meeres und Sturm der Gefühle (Drake Sister-Serie) sowie Gebieterin des Wassers (Sea Haven-Serie)

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Titel der amerikanischen Originalausgabe MURDER GAME Aus dem Amerikanischen von Ursula Gnade

Deutsche Erstausgabe 04/2011

Redaktion: Uta Dahnke

Copyright © 2009 by Christine Feehan Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock Satz: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-08769-2V002

www.heyne.de

Für Cristina Emery, die mehr Mut hat als jeder andere Mensch, der mir je begegnet ist

DAS BEKENNTNIS DER SCHATTENGÄNGER

Wir sind die Schattengänger, wir leben in den Schatten.

Das Meer, die Erde und die Luft sind unsere Heimat.

Nie lassen wir einen gefallenen Kameraden zurück.

Wir sind einander in Ehre und Loyalität verbunden.

Für unsere Feinde sind wir unsichtbar, und wir vernichten sie, wo wir sie finden.

Wir glauben an Gerechtigkeit und beschützen unser Land und jene, die sich selbst nicht schützen können.

Ungesehen, ungehört und unbekannt bleiben wir Schattengänger.

Ehre liegt in den Schatten, und Schatten sind wir.

 

Wir bewegen uns absolut lautlos, im Dschungel ebenso wie in der Wüste.

Unhörbar und unsichtbar bewegen wir uns mitten unter unseren Feinden.

Wir kämpfen ohne den geringsten Laut, noch bevor sie unsere Existenz überhaupt erahnen.

Wir sammeln Informationen und warten mit unendlicher Geduld auf den passenden Augenblick, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Wir sind gnädig und gnadenlos zugleich.

Wir sind unnachgiebig und unerbittlich in unserem Tun.

Wir sind die Schattengänger, und die Nacht gehört uns.

DIE EINZELNEN BESTANDTEILE DES SCHATTENGÄNGERSYMBOLS

STEHT FÜR

Schatten

STEHT FÜR

Schutz vor den Mächten des Bösen

STEHT FÜR

Psi, den griechischen Buchstaben, der in der Parapsychologie für außersinnliche Wahrnehmungen oder andere übersinnliche Fähigkeiten benutzt wird

STEHT FÜR

Eigenschaften eines Ritters – Loyalität, Großzügigkeit, Mut und Ehre

STEHT FÜR

Ritter der Schatten schützen vor den Mächten des Bösen unter Einsatz von übersinnlichen Kräften, Mut und Ehre Nox noctis est nostri

1

DER PUMA WÜRDE sich umdrehen. Tansy Meadows biss sich auf die Unterlippe. Ihr Herz schlug heftig. Sie konnte die vertraute Trockenheit in ihrem Mund spüren und die Feuchtigkeit auf ihren Handflächen. Der Adrenalinstoß erschwerte es ihr, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken, und dabei musste sie jetzt unbedingt stillhalten.

Dreh dich um, meine Süße, flüsterte sie in Gedanken und setzte ihre Willenskraft ein, damit das Tier tat, was sie wollte. Wenn du dich umdrehst, mache ich dich sehr, sehr berühmt.

Die Großkatze streckte sich träge, und unter dem weichen gelbbraunen Fell bewegten sich die Muskeln ihres geschmeidigen Körpers. Die Spitze ihres langen Schwanzes zuckte.

Tansys Herzschlag setzte beinah aus, und dann schlug ihr Herz doppelt so schnell. Komm schon, kleine Mama, sagte sie einschmeichelnd, dreh dich für mich um.

Sie hatte längst kein Gefühl mehr in den Beinen; sie waren so taub von der Regungslosigkeit, dass Tansy nicht sicher war, ob sie überhaupt in der Lage sein würde, den kleinen Felsvorsprung zu verlassen, auf dem sie schon vor einigen Monaten ihren gut getarnten Unterstand errichtet hatte. Aber das spielte keine Rolle; das Einzige, was zählte, war, an dieses Foto zu kommen.

Die Berglöwin war groß, fast zweieinhalb Meter lang, und sie war hochschwanger; es konnte jetzt täglich so weit sein, dass sie ihre Jungen gebären würde. Die schiefergraue Schwanzspitze zuckte immer wieder, und Tansy hielt vollkommen still und wartete auf ihren großen Augenblick. Fünf lange Stunden schmerzhaft verkrampfter Muskeln, von den monatelangen Vorbereitungen ganz zu schweigen.

Mach schon, meine Süße, nur noch ein klein wenig mehr. Du schaffst das. Dreh dein wunderschönes Gesicht in diese Richtung.

Das Pumaweibchen machte gemächlich einen Buckel, und Tansys Anspannung wuchs. Dann drehte die Berglöwin ihren geschmeidigen Kopf, und ihre grünen Augen mit den goldenen Sprenkeln funkelten wie glitzernde Edelsteine. Tansy atmete langsam aus und begann, eine Aufnahme nach der anderen zu machen. Als wüsste sie, dass sie bewundernde Blicke auf sich zog, putzte sich die Berglöwin und leckte mit ihrer langen Zunge ihr gelbbraunes Fell. Sie verzog das Gesicht und zeigte ihre schimmernden gelben Lefzen, die blendend zur Geltung kamen. Sie brachte sogar etwas zustande, was in Tansys Augen einem Lächeln ähnelte, und gleich darauf stieß sie einen leisen, pfeifenden Ruf aus.

Berglöwen jagten vorwiegend bei Nacht. Tansy arbeitete sowohl digital als auch mit Film, wenn sie wild lebende Tiere in ihrer natürlichen Umgebung aufnahm. Genau diese Wildkatze hatte sie vor drei Wochen in einer wunderbaren Fotoserie dabei festgehalten, wie sie ein Elchkalb erlegte, aber das jetzt war seitdem ihr erster wirklicher Durchbruch. Pumas waren scheu und in ihrer natürlichen Umgebung schwer zu fotografieren. Wo es möglich war, bezogen sie mit Vorliebe hoch gelegene Aussichtspunkte, und ihr überlegenes Sehvermögen erlaubte es ihnen, Menschen auf große Entfernung zu entdecken  – lange, bevor sie von den Menschen entdeckt wurden. Tansy hatte sich eingehend mit Pumaweibchen befasst und die Großkatze, eines der am schwersten zu fassenden Tiere Nordamerikas, über einen langen Zeitraum beobachtet, da sie hoffte, eine Pumageburt auf Film einzufangen. Es war ihr Glück, dass sie eine solche Affinität zu Tieren hatte; selbst wilde Tiere schienen sich nicht allzu sehr an ihrer Gegenwart zu stören.

Sie machte weiterhin so viele Aufnahmen wie möglich, denn sie wusste, dass sich jeder Blickwinkel und jede Einstellung teuer verkaufen lassen würden. Einen besseren Hintergrund hätte sie sich gar nicht wünschen können. Der Nachthimmel, der Mond und die Sterne, die leichte Brise, die das Laub ein klein wenig in Bewegung versetzte und über das Fell mit den silbernen Spitzen strich. Ihr Motiv erwies sich als äußerst kooperativ – die Berglöwin streckte sich, sie putzte sich und zeigte ihren langen, geschmeidigen Körper aus jedem Blickwinkel.

Tansy hatte es insbesondere auf eine Fotoserie abgesehen, die das Fell in Nahaufnahmen in unterschiedlichem Licht zeigte. Die Farbe ließ sich schwer bestimmen, vor allem, da jede einzelne Haarspitze dieses Silbergrau aufwies, das es der Großkatze ermöglichte, im Halbdunkel zu verschwinden, sich nahtlos in ihre natürliche Umgebung einzufügen und sich dort während der Nachtstunden fast überall unentdeckt zu bewegen. Sie wollte eine Ahnung von dieser Tarnung, der Verstohlenheit und der Kraft der Jägerin auf den Bildern festhalten, im Gegensatz zu der verspielten und mütterlichen Persönlichkeit.

In der Ferne durchbrach das dumpfe Knattern eines Hubschraubers die Stille der Nacht; die Rotorblätter drehten sich schnell, als er im ersten Morgengrauen am Himmel näher kam. Die Berglöwin erstarrte und duckte sich, so dass die wenigen Sträucher und Grashalme, die auf dem Felsen wuchsen, sie verbargen. Sie entblößte die Zähne zu einem leisen Fauchen, als sie den Blick nach oben richtete. Tansy ließ langsam ihre Kamera sinken und verhielt sich genauso still wie die Katze. Das unerklärliche Gefühl, gejagt zu werden, sandte ihr einen Schauer über den Rücken. Ihr stockte der Atem, und im ersten Moment war sie irritiert, ein verängstigtes Wesen auf diesem schmalen Felsvorsprung mit einem wilden Puma dicht vor sich, nur wenige Schritte entfernt.

Sie wandte ihr Gesicht zum Himmel, als der Hubschrauber direkt über sie flog. Allein schon der Anblick und der Klang beunruhigten sie, und sie biss sich fest auf die volle Unterlippe, als sie aufblickte, um den Hubschrauber zu identifizieren. Sie machte sich Sorgen, ihre Eltern hätten jemanden hinter ihr hergeschickt, obwohl sie darauf beharrt hatte, dass sie genau da war, wo sie sein wollte. Sie hatte diese Wildnis gewählt, um vollständig von jedem Kontakt mit Menschen abgeschnitten zu sein, und der Hubschrauber über ihr gehörte eindeutig dem Militär und nicht dem Forstamt – und einer der Hubschrauber ihres Vaters war es erst recht nicht.

Am Rumpf des Hubschraubers schimmerten grüne Lichter, als er sich schnell über ihr bewegte, ein großer Raubvogel, der auf die hohen Bäume herabstieß und dann plötzlich außer Sicht sank, wobei die Geräusche rasch verklangen. Sie lag ganz still auf dem schmalen Vorsprung und hörte ihren Herzschlag laut in ihren Ohren. Sie zwang sich, zu atmen, als die Lichter verschwanden. Ihre Fantasie war nicht zu bremsen – vielleicht war sie doch zu lange allein gewesen.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, und ihre Aufmerksamkeit richtete sich sofort wieder auf die Katze, die mit der Zunge ein letztes Mal nahezu verächtlich das Fell an ihrem muskulösen gelbbraunen Bein leckte und dann mit einem einzigen Satz auf den Felsen über ihrem Ruhebereich sprang. Tansy wusste, dass dort ihr Bau war. Die Berglöwin hatte sich eine kleine Höhle ausgesucht, um dort ihre Jungen zu gebären.

Tansy war es gelungen, sich in zwei Höhlen einzuschleichen, die der Großkatze schon früher als Bau gedient hatten, und dort in der Hoffnung, das Ereignis auf irgendeine Weise filmen zu können, ihre Ausrüstung aufzustellen. Zu ihrer Enttäuschung war die Höhle, die die Berglöwin gewählt hatte, vollkommen unzugänglich, und das bedeutete, Tansy würde ein oder zwei weitere Jahre damit verbringen müssen, die Gattung zu beobachten und den nächsten Wurf abzuwarten, wenn diese Jungen aufgezogen waren. Bis dahin waren die Bilder der heutigen Nacht ein Vermögen wert und würden ihr das notwendige Geld einbringen, um ihre Arbeit fortzusetzen.

Tansy hatte sich ein ausgedehntes Bad in dem von der Natur geschaffenen Becken und ein noch längeres Nickerchen in der Nachmittagssonne verdient. Mit großer Behutsamkeit streckte sie ihre müden, schmerzenden Muskeln. Wo vorher nur Taubheit geherrscht hatte, setzte jetzt ein heftiges Kribbeln ein. Demnächst würden die Krämpfe folgen und ihre Waden und Oberschenkel befallen, ein Aufbegehren gegen die langen Stunden der Bewegungslosigkeit. Da der Felsvorsprung so schmal war, konnte sie sich dort kaum rühren. Sie setzte dem Kribbeln und den Krämpfen tiefe, gleichmäßige Atemzüge entgegen und machte sorgfältige Dehn- und Streckübungen, bis sie sicher war, dass sie die steile Felswand bewältigen konnte, wie sie es an den meisten Tagen tat.

Es gab winzige Felsspalten, in die sie ihre Finger und Zehen zwängen konnte. Schon vor langer Zeit hatte sie eine Sicherheitsleine gespannt. Oft kostete es sie Mühe, an den Gebrauch des Seils zu denken, denn sie hatte sich längst an die Klettertour gewöhnt. Heute dagegen war sie dankbar für das Vorhandensein der Leine. Sie war viel müder als sonst. Sie freute sich enorm auf das Schwimmen in dem natürlichen Becken, und nichts würde sie von ihrem mühsam verdienten Nickerchen abhalten.

Tansy verstaute ihre kostbare Kamera und die Speichermedien in der robustesten Metallkiste in ihrem Lager, gemeinsam mit dem Tagebuch, in dem sie den Tagesablauf der Katze festhielt. Sie verschloss sie mit nicht nur einem, sondern gleich zwei schweren Schlössern und bewahrte sie in einiger Entfernung von ihren Lebensmittelvorräten auf, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein umherstreunender Bär neugierig wurde.

Sie war tatsächlich glücklich. Tansy streckte sich wieder. Sie konnte es kaum erwarten, ihrer Mutter und ihrem Vater zu sagen, wie gut es ihr ging. Nach ihrem Zusammenbruch hatten sich die beiden solche Sorgen um sie gemacht, und sie hatten sich furchtbar geängstigt, als sie begonnen hatte, für Monate an die abgelegensten Orte zu verschwinden, die sie finden konnte. Sie war mit ihrer Ausrüstung von einem Hubschrauber abgesetzt worden und nahm täglich einmal Funkverbindung auf, um ihren Eltern zu beteuern, dass sie am Leben war und es ihr gutging. Sie war durch die Hölle gegangen und am anderen Ende wieder herausgekommen. Das Glück war wie ein helles Licht, das sich in ihr ausbreitete. Und das, obwohl sie sich ehrlich nicht daran erinnern konnte, jemals zuvor Glück empfunden zu haben.

Sie gähnte, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und wartete auf den vereinbarten Zeitpunkt für den Funkruf. Ihre Mutter hatte offensichtlich am anderen Ende genau dasselbe getan, denn als sie ihr Rufzeichen nannte, antwortete ihre Mutter sofort. Sharon Meadows Stimme war wie ein Sonnenstrahl, und Tansy lächelte, sowie sie diese Stimme hörte.

»Du solltest die Aufnahmen sehen, die ich gemacht habe«, sagte Tansy zur Begrüßung. »Ich glaube nicht, dass es einem anderen Menschen jemals gelungen ist, in der Wildnis so nah an einen Puma heranzukommen.«

»Du hattest schon immer eine Affinität zu Tieren. Es scheint sie nicht zu stören, wenn du in ihrer Nähe bist«, stimmte Sharon ihr zu. »Selbst der gemeinste Hund wurde gleich richtig goldig, wenn du mit ihm geredet hast. Aber geh bloß nicht zu nah ran, Tansy. Du trägst doch eine Waffe mit dir herum, nicht wahr?«

»Selbstverständlich, Mom. Wie geht es Dad?«

»Ich höre mit, Tansy, Liebling. Ich wollte deine Stimme hören. Hast du nun alles unter Dach und Fach?«, fragte Don Meadows.

»Es kann jetzt jeden Tag so weit sein, dass sie ihre Jungen bekommt. Ich dachte, vielleicht würde es mir gelingen, die Geburt zu filmen, aber sie hat mich ausgetrickst und sich ausgerechnet den Ort ausgesucht, an dem ich keine Kamera aufstellen konnte. Aber ich sollte es schaffen, die Pumakätzchen innerhalb von wenigen Stunden nach ihrer Geburt zu fotografieren.«

»Das heißt also, du kommst nicht nach Hause«, stellte ihr Vater fest.

Sie lachte. »Ihr beide wollt mich doch gar nicht zu Hause haben. Ihr seid wie zwei Flitterwöchner, und ich enge euch in eurer Lebensführung ein.«

»Wir wollen dich bei uns haben, Tansy«, sagte Sharon. Jetzt hatte sich Sorge in ihre Stimme eingeschlichen.

»Ich liebe es, hier oben in den Bergen zu sein«, erklärte Tansy. »Ich weiß, dass du das nicht verstehst, Mom …«

Don lachte, und Tansy wusste, dass er versuchte, die Sorge ihrer Mutter zu überspielen. »Sie würde noch nicht einmal in einem Wohnmobil campen wollen, Tansy. Sie kann beim besten Willen nicht verstehen, wieso du ohne all die Annehmlichkeiten eines Fünfsternehotels in der Wildnis leben willst.«

Ihr Vater hatte sie im Lauf der Jahre oft zum Zelten mitgenommen, aber ihre Mutter hatte eine Ausrede nach der anderen gefunden, um nicht mitzukommen. Tansy war etwa zehn Jahre alt gewesen, als sie begriffen hatte, dass ihre Mutter nie hatte mitkommen wollen und dass ihre Vorwände an den Haaren herbeigezogen waren. Wie ihr Vater liebte auch Tansy das Campen, und diese Sommer hatten sie auf ihre derzeitige Arbeit vorbereitet.

»Mir gefällt nur nicht, dass du so lange ganz allein bist«, sagte Sharon und zwang sich, wieder mehr Fröhlichkeit in ihre Stimme zu legen.

»Mom«, beteuerte sie ihr, »mir tut das gut. Hier draußen bin ich verschont von diesem ganzen Wahnsinn. Ich kann nicht unter Menschen sein, das weißt du doch – es ist gefährlich für mich.«

Einen Moment lang herrschte Stille. Sie hörte einen erstickten Laut und wusste, dass ihre Mutter die Tränen zurückhielt. Tansy war nicht normal. Sie würde nie normal sein, und ihre Mutter liebte sie und wünschte sich verzweifelt, sie wäre in der Lage, so zu sein wie andere Frauen. Zu heiraten und eine Familie zu haben. Das war alles, was sich ihre Mutter je für sie gewünscht hatte. Sharon war nie fähig gewesen, eigene Kinder zu gebären. Sie hatte Tansy adoptiert und wünschte sich für sie all die Dinge, die sie selbst nicht hatte haben können.

»Bist du sicher, Tansy?«, fragte Sharon. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du so weit weg bist. Ich weiß nicht, ob du gesund und glücklich bist. Bist du es? Bist du es wirklich, Tansy?«

Diesmal war nicht zu überhören, dass ihre Stimme brach, und Tansy zerriss es das Herz. »Es ist alles in Ordnung, Mom. Mir fehlt nichts«, sagte sie leise. »Ich bin glücklich hier. Ich bin produktiv. Ich kann von meinen Fotografien gut leben, und ich liebe meine Arbeit wirklich. Hier draußen fühle ich mich innerlich frisch und rein.«

»Ich möchte nur nicht, dass du dein Leben lang allein bist«, sagte Sharon. »Ich wünsche mir, dass du jemanden findest und von ihm so geliebt wirst, wie dein Vater mich liebt.«

Tansy presste sich die Finger auf die Augen. Sie war erschöpft und konnte das Leid und die Enttäuschung in der Stimme ihrer Mutter hören – sie war nicht enttäuscht von ihr, das wusste sie, sondern um ihretwillen.

»Ich liebe euch beide«, sagte Don mit fester Stimme. »Und das ist für den Moment mehr als genug, nicht wahr, Tansy, Liebling?«

Selbstverständlich wünschte sie sich einen Mann und Kinder, aber sie wusste, dass es ausgeschlossen war. Diese Tatsache hatte sie akzeptiert und ihr Vater ebenfalls. Sie liebte ihn nicht zuletzt deshalb, weil er die Fähigkeit besaß, zu verstehen, wie riesig ihre Unzulänglichkeiten waren, und sie trotzdem zu lieben. Sie fühlte sich in seine Liebe eingehüllt.

»Und wie, Dad«, stimmte sie ihm zu und meinte es ernst. »Ich bin wirklich glücklich, Mom. Und ich bin nicht krank. Sogar die Kopfschmerzen sind verschwunden.«

»Vollständig?«, fragte Don. Seine Stimme klang erschüttert und voller Hoffnung.

Tansy lächelte und war froh darüber, dass sie die Wahrheit sagen konnte. »Ganz und gar, Dad.« Und danke für all die Nächte, in denen du an meinem Bett gesessen hast, wenn ich nicht schlafen konnte, fügte sie stumm hinzu.

»Das ist ja wunderbar, mein Liebes.« Aus Sharons Stimme war gewaltige Erleichterung herauszuhören.

»Brauchst du etwas? Sollen wir dir mehr Vorräte schicken? Ich werde sie von einem unserer Piloten abwerfen lassen.«

»Ich schreibe eine Liste und gebe sie euch morgen durch. Jetzt brauche ich Schlaf. Ich war die ganze Nacht auf.«

»Pass auf dich auf, Tansy«, sagte ihre Mutter, deren Stimme jetzt wieder normal klang, optimistisch und beschwingt, als könnte sie Tansy mit ihrem überschwänglichsten Tonfall den Rücken stärken. »Wenn du nicht bald zurückkommst, werden dein Vater und ich bei dir vor der Tür stehen.«

Don schnaubte, und Tansy brach in schallendes Gelächter aus. »Okay, Mom. Nur noch wenige Wochen, und ich werde wieder zu Hause sein.« Sie machte zum Abschied Kussgeräusche und beendete das Gespräch mit dem Gefühl, Glück gehabt zu haben und dankbar dafür zu sein, dass Don und Sharon ihre Eltern waren.

Sie hatte sich stets von ihnen geliebt gefühlt, obwohl sie so anders war. Sie war schon immer anders gewesen. Als sie klein war, war es ihr ein Gräuel gewesen, Gegenstände zu berühren. Sogar Geschirr und Besteck hatten genügt, um sie aus der Fassung zu bringen. Dann hatte sie geweint und sich gewiegt und war derart außer sich geraten, dass ihre Eltern sie abwechselnd getröstet hatten, mit ihr auf und ab gelaufen waren und ihr vorgesungen hatten. Die Schule war für sie ein Alptraum, und am Ende hatten sie Privatlehrer für sie engagiert – und ihrer Mutter hatte es das Herz gebrochen.

Tansy seufzte. Sie hatte sich so sehr gewünscht, dieses Mädchen zu sein, an dessen Leben ihre Mutter teilhaben konnte. Die College-Bälle, das intime spätnächtliche Getuschel, die wundervolle märchenhafte Hochzeit – all das würde ihre Mutter nie haben, und Tansy wünschte es ihr ebenso sehr, wie ihre Mutter Tansy dieses Leben wünschte.

Endlich war ihr, nach Monaten im Krankenhaus, klargeworden, dass sie dieses Mädchen nicht sein konnte. Und dass sie dieses Mädchen niemals sein würde. Sie hatte sich selbst als das akzeptiert, was sie wirklich war, mit all ihren Macken und Unzulänglichkeiten, und es war ihr gelungen, sich ein neues Leben aufzubauen. Hier in der Wildnis war sie zufrieden und sogar glücklich.

Tansy schaltete das Funkgerät aus und lief den Pfad hinunter, der zu dem natürlichen Felsbassin führte. Der Weg dorthin war lang und gewunden, aber sie war bestens mit ihm vertraut und kam trotz des zerklüfteten Geländes ziemlich rasch voran. Die Felsformation war einer der Gründe, weshalb sie diese Gegend für ihr Basislager gewählt hatte. Die Wasserfälle, die an einer Reihe glatter Felsen in ein natürliches Becken mündeten, waren wunderschön. Das Wasser war sauber, und umgeben war das Bassin von flachem Granit. Somit hatte sie viel Platz, um sich zu sonnen. Es war der ideale Ort, um einen trägen Tag dort zu verbringen, nachdem sie die ganze Nacht aufgeblieben war und gearbeitet hatte.

Tansy schlief gern am Morgen, nahm am Nachmittag ein Bad in dem Felsbecken und sonnte sich dann zwei Stunden, bevor sie zu ihrem Lager zurückkehrte und Vorbereitungen für die Aufnahmen am Abend traf. In der Regel hatten Berglöwen ein großes Territorium, die Weibchen oft fünfzig Quadratmeilen, doch dieses Weibchen blieb in der Nähe seiner kleinen Höhle, und daher war Tansy vollkommen sicher, dass es jetzt jeden Tag so weit sein konnte. Sie wollte ihre Gelegenheit nicht verpassen und das Weibchen auch nicht entkommen lassen. Sie hatte davon gehört, dass Pumas im letzten Moment vor der Geburt den Bau wechselten, und sie musste die trächtige Großkatze gut im Auge behalten.

Tansy streckte sich aus und versuchte es sich auf dem glatten Granit gemütlich zu machen. Normalerweise schlief sie nach einer langen Nacht ohne Schlaf in der Sonne ziemlich schnell ein. Sie versuchte sich einzureden, sie sei aufgeregt wegen der Fotos, die sie gemacht hatte, denn die Arbeit von Monaten zahlte sich endlich aus. In Wahrheit sah es aber so aus, dass sie seit dem Moment, als der Hubschrauber über sie geflogen war, ein vages Unbehagen verspürte, als braute sich in der Ferne ein Unwetter zusammen, das in ihre Richtung trieb. Die böse Vorahnung ließ sich nicht abschütteln und war so stark, dass sie sogar den Kopf hob, um den Himmel nach einem Anzeichen für unheilverkündende dunkle Wolken abzusuchen.

Ein träger Habicht schwebte am wolkenlosen Himmel und ließ sich zum reinen Vergnügen von einem thermischen Aufwind mittragen. Tansy legte den Kopf auf ihren Arm und rieb, um sich zu beruhigen, ihre Wange an ihm. Es war verrückt, aber sie hatte das Gefühl, gejagt zu werden. Die Gegend war abgeschieden, ein Naturschutzgebiet, dessen Betreten ohne Sondergenehmigung strikt untersagt war, gut als solches ausgeschildert und unpassierbar, es sei denn, man war zu Fuß oder im Winter mit Schneeschuhen unterwegs. Der Hubschrauber hatte sie tiefer erschüttert, als sie sich eingestehen wollte.

»Denk nicht mehr daran«, flüsterte sie laut vor sich hin.

Sie schloss müde die Augen und suchte nach der inneren Zufriedenheit, die sie nach einer grandiosen Fotosession immer tief in sich gefunden hatte. Niemand außer ihr hätte diese Aufnahmen machen können. Nun ja, nur die wenigsten Menschen. Sie hatte einen guten Draht zu Tieren, wie ihre Mutter gesagt hatte. Wenn sie in ihrer Vorstellung große Willenskraft einsetzte, konnte sie Tiere oftmals dazu bringen, dass sie taten, was sie wollte. Sogar das wildeste Raubtier ließ sich von ihr zur Mitarbeit bewegen. Sie hatte alles, was sie sich nur wünschen konnte: den idealen Job, urwüchsige Natur um sich herum und den Frieden, den ihr das Gebirge immer gab. Das war das Leben, das sie sich ausgesucht hatte und liebte. Noch dazu war es das Leben, das sie brauchte. Kein wie auch immer gearteter Kontakt zu anderen Menschen. Endlich hatte sie einen Ort gefunden, an dem sie glücklich sein konnte.

Tansy lächelte zufrieden. Sie war sehr müde und brauchte Schlaf. Nächte oben auf dem Berg waren immer eine riskante Angelegenheit. Am besten vergaß sie das alles und schlief einfach. Wenn sie wach wurde, konnte sie in dem Becken schwimmen, sich dann ausstrecken und in der warmen Nachmittagssonne trocknen, bevor sie sich auf den Rückweg zum Lager machte, um sich auf die Aufnahmen der kommenden Nacht vorzubereiten.

 

»Gehen Sie jagen, Sir?«

Kaden Montague blickte zu dem Chef der Hubschrauberbesatzung auf, während er seine 45er in das Halfter an seiner Hüfte schob und es schloss. »Etwas in der Art.« Er setzte seinen Rucksack auf und steckte sein Messer in die Scheide, bevor er einen Blick auf seine Koordinaten warf. »Wir sind da.«

Der Chef der Besatzung begriff, dass sein VIP nicht reden wollte; er überprüfte die Sicherheit des Seils und trat zur Seite, damit sein Passagier die offene Tür erreichen konnte. Kaden packte das Seil mit beiden Händen, die in Handschuhen steckten, und wartete auf das Okay des Piloten. Der Hubschrauber schwebte auf der Stelle, und er rutschte rasch an dem Seil hinunter, traf mit einer gewissen Wucht auf und trat zurück, um das Signal zum Weiterfliegen zu geben. Er hatte nur Sekunden gebraucht, um an dem Seil hinabzugleiten, und jetzt drehte der Hubschrauber ab, wandte sich nach Süden und flog schnell zum Posten zurück. Er würde auf dem Gelände der Parkaufsicht landen und dort auf ein Funksignal warten, ganz gleich, wie lange, um ihn auf der unteren Wiese abzuholen, sowie die Fracht transportbereit war.

Kaden atmete die Bergluft tief ein, sah sich langsam um und fühlte sich zu Hause. Die Morgendämmerung brach über dem Berg an, goss Licht über die Felsgrate und verwandelte Sträucher, Laub und Granit in Gold. Kiefern, Fichten und Hartriegel erstreckten sich, so weit das Auge blicken konnte, und riesige Klippen aus Granit ragten steil in den Himmel auf. Zum ersten Mal seit langer Zeit entspannte er sich. Niemand versuchte ihn zu töten. Es mochte zwar sein, dass er einen langen Fußmarsch vor sich hatte, aber er konnte wenigstens seine Umgebung genießen.

Er bewegte sich mit großer Zuversicht und dem stetigen Gang eines Mannes, der es gewohnt war, in der Wildnis zu sein und große Strecken rasch zurückzulegen. Er fühlte sich in jeder Umgebung sicher, da er nicht nur bei den Sondereinheiten des Militärs ausgebildet worden war, sondern auch mit den Schattengängerteams trainiert hatte. Übungseinsätze in der Arktis, in der Wüste, im Hochgebirge und im Wasser hatten seinen Körper für einen Marsch durch dieses raue Terrain in Form gebracht. Er genoss jede körperliche Betätigung, und obwohl er müde war, weil er etliche Zeitzonen durchquert und seit Tagen nicht mehr geschlafen hatte, galt seine gesamte Konzentration seinem Auftrag.

Er schlug die Richtung ein, in der Tansy Meadows’ Lager nach seinen Schätzungen am ehesten zu vermuten war. Die Gegend bot etliche Möglichkeiten, doch für einen längeren Aufenthalt mussten ganz bestimmte Grundvoraussetzungen gegeben sein, und das engte ihre Wahlmöglichkeiten beträchtlich ein. Wenn sie sich irgendwo in der Zone aufhielt, die er anpeilte, würde er auf ihre Spuren stoßen. Nach einer Stunde Fußmarsch fand er etliche Pfade, die in den höher gelegenen, weniger dichten Wald hinaufführten und sich dem zerklüfteten Granit näherten, einem guten Ort für Berglöwen. Er arbeitete sich stetig zu dem Granit vor, wo es mehr Gestrüpp und weniger Bäume gab.

Kaden blieb lange genug auf dem schmalen, nur schwach erkennbaren Wildpfad stehen, um langsam einen großen Schluck von seinem Wasser zu trinken. Er hatte die Koordinaten der Bergkette, die Meadows bereiste, um dort erstaunliche Aufnahmen für den National Geographic zu machen, und er war sicher, dass seine Information akkurat war. Tansy Meadows, Fährtenleserin der Spitzenklasse, mit ganz außerordentlichen übersinnlichen Begabungen. Die junge Frau, die die Fährte von Serienmördern allein durch ihre paranormalen Kräfte aufnehmen konnte. Manche behaupteten, es sei schwierig, mit ihr zu arbeiten, andere bezeichneten sie als ausgeflippt, sagten jedoch, sie erledigte jeden Auftrag, und jeder einzelne Bericht, den er über sie gelesen hatte, sagte ihm, dass sie ein Naturtalent war. Natürlich behaupteten die Strafverfolgungsbehörden jetzt, sie hätte ihre Gabe bei einem Kletterunfall eingebüßt, als sie gestürzt war und sich den Kopf angeschlagen hatte. Er glaubte das keinen Moment lang, doch wenn er sich irrte, vergeudete er Zeit, die er unter ungünstigen Voraussetzungen nicht hatte.

Was ihre Person anging, rätselte er an manchem herum. Es existierten keine Fotografien von ihr, nicht eine einzige, und sie arbeitete für zahlreiche Exekutivorgane. Er hatte es beim National Geographic versucht, aber auch dort hatte man kein Bild von ihr. Wer besaß diese Form von Macht? Keinem Zivilisten wäre es jemals gelungen, Unterlagen der Ermittlungsbehörden zu löschen – es sei denn, es hätte überhaupt nie eine Fotografie gegeben. Es gab sehr viele Zeitungsartikel, und ihr Name tauchte in zahlreichen Berichten des FBI und der Polizei im ganzen Land auf, und außerdem gab es auch noch ihre Krankenhausunterlagen. Auch dort existierte nirgendwo ein Foto, was hieß, dass die kleine Miss Tansy Meadows einen Sonderstatus hatte. Kadens Unbedenklichkeitsbescheinigung gewährte ihm Zugang zu geheim gehaltenen Akten, und der General kam an noch besser gehütete Geheimnisse heran, doch so weit sie das sagen konnten, gab es schlichtweg kein Foto von ihr.

Im Alter von fünf Jahren war sie von Don und Sharon Meadows adoptiert worden, einem wohlhabenden Paar, das sich in der Entwicklung, der Konstruktion und der Montage von Hubschraubern und Flugzeugen einen Namen gemacht hatte, insbesondere auf dem Gebiet der Kampfhubschrauber. Don und Sharon Meadows waren nicht zu unterschätzen und erhielten häufig Regierungsaufträge für militärische Forschung, Entwicklung und Konstruktion. Das Paar hatte gute politische Verbindungen, aber bedeutete das, der Einfluss der beiden genügte, um zu verhindern, dass Fotos von ihrer Tochter in den Nachrichten erschienen? Möglich war es, aber es stand zu bezweifeln. Dazu wären weitaus mehr Macht und Einfluss notwendig, und welchen denkbaren Vorteil könnte es ihnen verschaffen?

Zum ersten Mal hatte Kaden während seiner Ausbildung in Quantico Gerüchte über einen Teenager gehört, ein junges Mädchen, das die Fährte von Serienmördern aufnehmen konnte. Es waren Kontroversen darüber entflammt, ob es so etwas wie übersinnliche Fähigkeiten gab und ob sie sich, falls jemand sie tatsächlich besaß, wirklich gezielt dafür einsetzen ließen, einen Mörder aufzuspüren. Er hatte sich nie an den Diskussionen beteiligt, da er mit absoluter Sicherheit wusste, dass übersinnliche Fähigkeiten existierten, doch es war schwierig, ihren Einsatz zu erlernen und sie nutzbringend anzuwenden. Die Polizisten, mit denen Tansy zusammengearbeitet hatte, schworen auf sie, doch niemand erwähnte ihre Ausbildung, und das war ihm äußerst seltsam vorgekommen.

Er lief weiterhin bergauf, denn sein Gefühl sagte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war. Noch waren keine Spuren zu sehen, nichts, was auf die Gegenwart eines anderen menschlichen Wesens hinwies, aber er war sicher, dass er die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Er war auf der Suche nach einer Nadel in einem Heuhaufen und wusste doch, dass er sie finden würde. Seine Instinkte sagten ihm, dass sie in der Nähe war. Und er wäre jede Wette eingegangen, dass sie das Blaue vom Himmel herunterlog, wenn sie behauptete, sie hätte ihre übersinnlichen Gaben verloren. Nachdem sie immer wieder mit der Polizei zusammengearbeitet und erfolgreich Serienmörder aufgespürt hatte, bezweifelte er, dass ein Kletterunfall ihre Begabung plötzlich restlos zerstört hatte. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus hatte sie das behauptet und sich geweigert, jemals wieder mit der Polizei oder FBI-Agenten zu reden.

Sein Blick suchte den Boden ab, während er sich mit gleichmäßigen Schritten auf dem schmalen Pfad voranbewegte. Es war nicht mehr als ein ausgetretener Wildpfad, der im Zickzack an dem Hang auf und ab führte, doch er entdeckte zwei Stellen, wo das Gras plattgedrückt war und etliche Blätter beschädigt wirkten. Etwas hatte sich kürzlich durch das Unterholz bewegt. Er blieb stehen, um den Boden genauer zu untersuchen, und sah eine schwache Spur. Sie war fast zehn Zentimeter breit, und die beiden vorderen Zehen waren nicht gleich lang, sondern einer ragte weiter vor, und insgesamt waren es vier Zehen. Es waren keine Abdrücke von Krallen zu sehen, und es war der charakteristische Fußabdruck eines Pumas. Für Kaden stand außer Frage, dass es sich um einen Berglöwen handelte. Er hatte die Raubkatze gefunden; jetzt brauchte er nur noch die Frau zu finden.

Die Aufseher des Parks hatten ihm beteuert, die Berglöwen seien irgendwo hier oben, und das bedeutete, dass auch Tansy Meadows hier sein würde. Seine Mission bestand darin, sie zu finden und sie zurückzuholen, damit sie ihm half, den Namen der Schattengänger reinzuwaschen. Sie stand beim FBI in dem Ruf, ein Naturtalent zu sein, und der General brauchte Kaden zur schnellstmöglichen Schadenskontrolle, und um das zu erreichen, brauchte Kaden Tansy Meadows. Er war noch nie daran gescheitert, einen Auftrag auszuführen, und dieser hier war so wichtig, dass er es sich nicht leisten konnte, ausgerechnet jetzt zu versagen.

Er marschierte auf dem gewundenen Pfad weiter. Gelegentlich konnte er in dem feuchten Erdreich unvollständige Spuren sehen, und einmal fand er ein paar Haarbüschel in einem Strauch, an dem sich die Großkatze gerieben hatte. Er beschloss, sie müsse weiblich sein; ihre Abdrücke waren nicht tief genug, um auf ein großes Gewicht schließen zu lassen, und er war auf keines der Anzeichen gestoßen, mit denen ein männliches Tier sein Territorium markierte. Er war bisher nur selten ins Gebirge gegangen, ohne jemanden auf den Fersen zu haben, der ihn umbringen wollte, und er stellte fest, dass er trotz der Dringlichkeit seines Auftrags die friedliche Abgeschiedenheit genoss.

Er machte noch ein paar Schritte, und dann sah er es. Trotz seiner gründlichen Ausbildung schlug ihm das Herz bis zum Hals. Der Abdruck eines kleinen Wanderstiefels zeichnete sich im Staub des Pfades ab, und direkt darüber befand sich der Abdruck einer Tatze der Berglöwin. Die ganze Zeit hatte sich die Raubkatze an die Frau herangepirscht – und er war sicher, dass es sich um eine Frau handelte, nach der Größe des Schuhs zu urteilen. Wahrscheinlich war sie ein gutes Stück weit parallel zu ihrem Pfad gelaufen, bevor sie die Verfolgung der Frau auf dem Pfad aufgenommen hatte.

Er fluchte tonlos, während er sich hektisch nach weiteren Abdrücken umsah. Es gab ältere Spuren, die darauf hinwiesen, dass die Frau diesen Pfad oft benutzte und dass die Berglöwin ihr oft folgte. Er holte Atem, stieß ihn wieder aus und unterdrückte mühsam ein Gefühl von Dringlichkeit. Wenn der Puma ihr häufig folgte, dann hieß das nicht, dass er sie ausgerechnet heute angreifen würde. Kaden legte wieder Tempo zu und folgte dem ungleichen Paar den Granithang zu den Klippen hinauf.

Die Berglöwin setzte ihren Weg mit gleichmäßigen Schritten fort und blieb auf der Fährte der Frau, bewegte sich jedoch nicht schneller, um sie zu überholen. Falls sie auf der Jagd war, hatte sie es nicht eilig, ihre Beute zu fangen. Während die Sonne heißer vom Himmel schien, setzte er seinen Aufstieg fort und trank wieder langsam einen großen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Er ließ das kühle Wasser in winzigen Mengen durch seine Kehle rinnen, damit er es genüsslich auskosten konnte, obwohl er sich, ungeschützt auf dem Granit und von gigantisch aufragenden Felszacken umgeben, etwas exponiert fühlte.

Nachts war es beißend kalt. Am Tage konnte es unerwartet heiß werden, oder ein Unwetter konnte mit erschreckender Wucht und ohne jede Vorwarnung aufziehen. Er verspürte nicht den Wunsch, ohne jede Deckung in ein Gewitter zu geraten und überall um sich herum Blitze einschlagen zu sehen.

Kaden erreichte den Gipfel der Anhöhe und blickte auf das spektakuläre Panorama. Selbst in dieser Höhe bereitete ihm das Atmen keine Probleme, sein Training kam ihm gut zustatten. Er blieb einen Moment stehen, um eine Bestandsaufnahme seiner Umgebung zu machen. Die dichten Bäume waren hohen Kämmen aus Granit und Felsformationen gewichen, die wie Kastelle wirkten. Es war atemberaubend schön. Das musste sogar er zugeben, wenn er es auch noch so sehr verabscheute, Zeit auf solche Dinge zu vergeuden.

Über ihm ergoss sich ein langer, schäumender Wasserfall in ein Bassin in der Tiefe, in dem das Wasser ein tiefes Smaragdgrün aufwies. Das natürliche Becken bestand aus Granit, großen Blöcken, die der stetige Andrang des Wassers glattgeschliffen hatte. Etwas bewegte sich am tiefsten Ende des Beckens. Er richtete seinen Blick fest auf die Wasseroberfläche und sah wieder das faszinierende Kräuseln. Ohne seinen Blick von den Kreisen zu lösen, die sich immer weiter ausbreiteten, zog Kaden seinen starken Feldstecher aus dem Etui an seinem Gürtel und stellte schnell die Entfernung ein. Augenblicklich schimmerte das Smaragdgrün des Wassers, als sei es in Reichweite. Er stellte fest, dass er angespannt wartete.

Näher am Wasserrand, zu seiner Linken und dicht an der niedrigsten Granitwand, bildeten sich jetzt Ringe, und etwas silbrig Goldenes schien für einen Moment die Wasseroberfläche zu durchbrechen. Kaden hielt unbewusst den Atem an. Ein Otter? Gab es hier oben überhaupt Otter? Schimmerten Otter silbern und golden?

Sie erhob sich aus dem Wasser, und ihr langes, nasses Haar glänzte und schillerte wie Stränge feuchter Seide. Die Wassertröpfchen rannen von den Rundungen ihrer Brüste über ihren schmalen Brustkorb und ihre Wespentaille, um von dort aus über ihren flachen Bauch zu dem Dreieck aus blonden Löckchen zwischen ihren Beinen zu strömen. Sie war nackt, ihre Haut schimmerte im Sonnenschein, und ihre Bräune war so tief, dass sie das Platinblond ihrer Haare hervorhob. Sie neigte den Kopf zur Seite und ließ ihr langes Haar in einer unbewusst provozierenden Geste über ihre Schulter fallen.

Der Wind drehte sich und trug ihren Duft zu ihm. Kadens bestes Teil bäumte sich sofort heftig auf. Sein Körper erkannte sie augenblicklich. Sie sah aus wie eine unbändige heidnische Opfergabe, ungezähmt und verführerisch. Und er war es, dem sie dargebracht wurde. Er erstarrte vollkommen. Das Wissen, das schlagartig über ihn hereinbrach, erschütterte ihn. Er hatte weiß Gott genug Frauen gehabt, aber so hatte er bisher auf keine reagiert – sowohl in seinem Körper als auch in seinem Geist rief sie eine wilde, unerbittliche Reaktion hervor, und er strebte ihr mit jeder Faser entgegen.

»Whitney, du Schurke«, flüsterte er vor sich hin. Er war im Traum nicht bereit zu glauben, seine Reaktion sei natürlich. Dazu war sie zu heftig, zu zwanghaft. Zu untypisch für ihn.

Einen Moment lang kauerte er sich hin, weil er das Gefühl hatte, einen fiesen Tiefschlag eingesteckt zu haben. Er war zum Militär gegangen, hatte die Ausbildung der Sondereinheiten durchlaufen, sich anschließend dem Training im Wasser, in der Arktis, in der Wüste und sogar in der Stadt unterzogen, und dann hatte er den Aufruf zu der Testreihe zur Feststellung von übersinnlichen Anlagen gelesen, hatte sich augenblicklich angemeldet und – wie von ihm nicht anders erwartet – gut abgeschnitten und war in das militärische Schattengängerprogramm aufgenommen worden. Er hatte eingewilligt, seine übersinnlichen Anlagen verstärken zu lassen. In genetische Veränderungen hatte er allerdings nicht eingewilligt, und man hatte ihm auch nie gesagt, dass man durch Manipulation ihrer beider Körperchemie eine Partnerin für ihn bestimmen würde.

Als das Ausmaß dessen, was man mit den Freiwilligen angestellt hatte, deutlich wurde, hatte Kaden gehofft, er sei einer derer, denen diese ganz spezielle Form von Hölle erspart worden war. Aber jetzt wusste er es besser. Sein Körper wusste es besser. Er versuchte mit Entspannungstechniken gegen die monströse Erektion anzugehen, die aus heiterem Himmel gekommen war. Er unterdrückte die Aggression, als das Testosteron glühende Lust und barbarisches Besitzstreben durch seine Adern strömen ließ. Er war nie auf den Gedanken gekommen, einen der anderen zu fragen, wie es war, oder auch nur, ob sämtliche Symptome bei allen gleich waren, aber er fühlte sich aggressiv, gefährlich und fast schon brutal. Es war eine primitive Reaktion, die in ihm vorprogrammiert worden war.

Er packte eine Handvoll Erde und schloss seine Finger so fest darum, als drücke er jemandem die Kehle zu. Und wo war die Berglöwin? Er musste sich vergewissern, dass der Puma nicht gerade zum Sprung auf die Frau ansetzte.

Wieder hob er das Fernglas, und es verschlug ihm den Atem, als er sie vor sich sah. Sogar die Art, wie sie das Wasser aus ihrem Haar wrang, war sinnlich – sie neigte den Kopf zur Seite, und die langen goldenen Strähnen kräuselten sich wie Seide, als ihre Hände den dicken Strang ausdrückten. Wassertropfen perlten von den vollen Brüsten auf den Bauch und zu dem V hinunter, wo sich ihre Beine trafen. Ihre Beine waren schlank, ihr Po straff, als sie an den Rand des Beckens watete und das Wasser an ihre Schenkel schwappte. Seine Lippen waren plötzlich trocken, und er feuchtete sie mit seiner Zunge an. Er hätte alles dafür gegeben, die Wassertropfen von ihrer Haut zu lecken.

Widerstrebend bewegte er das Fernglas fort von diesem traumhaften Anblick, um den Wald und die Berge in der näheren Umgebung abzusuchen. Nichts. Er änderte die Richtung, suchte die Gegend systematisch ab und blickte hoch oben von Ästen zu Gesteinsbrocken. Die Berglöwin musste irgendwo dort sein, unsichtbar für seine Augen und doch deutlich wahrnehmbar für sein Gespür.

In der Nähe gab es kein Lager, das er sehen konnte, aber es musste da sein. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu. Das musste Tansy Meadows sein. Sie erweckte den Eindruck, als gehörte das Schwimmen in dem Bassin zu ihrem Tagesablauf, und wenn das der Fall war, konnte der Weg zu ihrem Lager nicht allzu weit sein.

Für ihn bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass sein Körper ihr gehörte, und das hieß, dass sie eines der verschollenen Mädchen sein musste, an denen Whitney experimentiert hatte. Der wahnsinnige Arzt hatte Kleinkinder aus Waisenhäusern auf aller Welt geholt und Experimente an ihnen durchgeführt. Einige wenige hatten das Glück gehabt, zur Adoption freigegeben zu werden. Kaden hatte sich die Hintergrundinformationen über sie gründlich eingeprägt. Ihre Eltern hatten sie adoptiert, als sie fünf Jahre alt gewesen war. Im Umfeld der Schule und in anderen sozialen Umgebungen hatte sie schwerwiegende Probleme gehabt. Seit sie dreizehn Jahre alt war, hatte sie mit der Polizei zusammengearbeitet und mit erstaunlicher Präzision Mörder und Entführungsopfer aufgespürt. Jetzt war ihm klar, dass ihre übersinnlichen Gaben gesteigert worden waren.

Kaden suchte die gesamte Umgebung noch einmal nach der Berglöwin ab. Falls sie da war, hatte sich das Tier gut getarnt. Jede Stelle, die ihm ideal für einen Hinterhalt erschien, erweckte einen friedlichen Eindruck. Er richtete das Fernglas wieder auf das Wasserbecken.

Die junge Frau kam gerade aus dem schimmernden smaragdgrünen Wasser und bewegte sich mit einer solchen Anmut, so verführerisch und so unschuldig zugleich, dass sein Schwanz sich fordernd aufbäumte. Ihm blieb die Luft weg, als sie ihre schlanken Arme zur Sonne hob, denn dabei reckten sich ihre Brüste nach oben, und die dunkleren Brustwarzen waren durch die Kälte straff. Kaden konnte den Geschmack dieser Frau in seinem Mund wahrnehmen. Er atmete tief durch, um seine Aufregung und seinen Jubel zu dämpfen. Sein Körper, sein Geist und seine Seele sagten ihm, dass sie die Richtige für ihn war. Er sah die Frau vor sich, die ihm als Partnerin fürs Leben bestimmt war.

Das waren weiß Gott nicht die Gedanken, die er jetzt gebrauchen konnte, inmitten einer gewaltigen Krise. Er musste bei klarem Verstand sein und seinen Körper und seinen Geist unter Kontrolle haben. Und er musste diese Frau für seine Zwecke nutzen und skrupellos sein, falls es sich als notwendig erweisen sollte. Er fluchte leise vor sich hin und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, während er das Fernglas weiterhin auf sie gerichtet hielt. Sie rieb ihren Körper mit einer Lotion ein, und jede der kreisenden Bewegungen ihrer Hand ließen ihn vor Verlangen pochen und zucken, und dann streckte sie sich bäuchlings auf dem flachen Gestein aus, ihr Körper wie hingegossen in der Nachmittagssonne. Ihr Hintern war knackig, muskulöse Rundungen über den langen, wohlgeformten Beinen. Sogar mit dem Feldstecher war es unmöglich, ihre Gesichtszüge zu sehen; sie hatte ihm den Hinterkopf zugewandt, und ihr Gesicht war im Schatten. Es überschritt sein Vorstellungsvermögen, sich ein Gesicht auszumalen, das zu ihrem sinnlichen Körper oder zu ihren erotischen Bewegungen gepasst hätte. Er beobachtete sie lange Zeit, bis ihr Atem langsam und gleichmäßig ging und er wusste, dass sie eingeschlafen war.

Eine Berglöwin war ihr von dem Pfad bis zu dem Becken gefolgt, doch sie lag da und schlief sanft und süß. Das Tier hielt sich irgendwo über ihr verborgen und beobachtete sie vielleicht sogar. Wieder suchte er die Umgebung ab, denn ihn entsetzte der Gedanke, dass sie nackt und ausgeliefert dalag, wo jeder Jäger und jedes wilde Tier auf sie stoßen könnte. Wut loderte in seinen Eingeweiden auf, und einen Moment lang bebte der Boden um ihn herum. Er kämpfte gegen seinen Zorn an und zwang sich, tief durchzuatmen, während er der Reihe nach alle denkbaren Orte durchging, an denen sich der Puma verstecken könnte. Er hatte einen Kurs für Scharfschützen absolviert, zu dem nur die Besten zugelassen wurden. Eine der Prüfungsaufgaben hatte darin bestanden, fünfzig verborgene Gegenstände in unterschiedlichen Entfernungen aufzuspüren, und er hatte jeden einzelnen entdeckt, doch die Großkatze blieb weiterhin vor ihm verborgen.

Er ließ das Fernglas sinken. Sein Schlafmangel machte sich bemerkbar. Innerhalb der letzten zwei Wochen hatte er zehn Länder bereist und daran gearbeitet, für eine multinationale Elitetruppe, ein Killerteam der Spitzenklasse, Informationen zur Terrorabwehr zusammenzutragen. Das Team würde im Verborgenen leben, ins Auftragsgebiet reisen und sich unauffällig wieder von dort zurückziehen, bevor jemand wusste, dass sie überhaupt in der Gegend waren. Jedes der Mitglieder würde vollkommen anonym sein, damit Vergeltungsmaßnahmen gegen Familien ausgeschlossen werden konnten. Sämtliche Mitglieder würden Schattengänger sein, die dazu fähig waren, sich wie Schatten in ein Zielgebiet einzuschleichen und wieder von dort zu verschwinden.

Kaden hatte diese Aufgabe zugeteilt bekommen und war dabei gewesen, sein Team zusammenzustellen, als man ihn abrupt nach Hause beordert und ihm einen anderen Auftrag erteilt hatte – und dieser Auftrag war so wichtig, dass unter gar keinen Umständen etwas schiefgehen durfte. Er war bekannt dafür, unter Beschuss und in jeder Krise die Ruhe zu bewahren, aber auch für seine Fähigkeit, sein Team anzuführen und jeden Auftrag zu erledigen. Er fand immer eine Möglichkeit, den jeweiligen Auftrag auszuführen und sein Team wieder nach Hause zu bringen, ganz gleich, wie schlecht die Chancen standen. Er seufzte. Jetzt fühlte er sich weder ruhig noch gelassen, sondern reizbar und aggressiv. Er war froh, dass keine anderen Schattengänger in der Nähe waren und Zeugen seines Ringens wurden.

Er atmete bewusst langsamer und trank wieder einen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Er würde zu dem tieferen Felsen hinunterklettern und eine Möglichkeit finden müssen, sie zu überreden, dass sie mit ihm kam, denn letzten Endes hatte sie ebenso wenig wie er eine andere Wahl. Er hatte das Gefühl, es würde weder einfach noch erfreulich werden, aber es war notwendig, dass er seinen Auftrag ausführte. Und ihm kam der Verdacht, wenn Whitney diese Frau schon vor vielen Jahren zur Adoption freigegeben hatte, sei ihre Chemie möglicherweise doch nicht auf seine abgestimmt worden, und das würde, offen gesagt, zu teuflischen Schwierigkeiten führen. Whitney hatte wahrscheinlich ihre DNA aufbewahrt und ihn auf sie programmiert, aber nicht sie auf ihn.

Er hatte es bereits für eine herzzerreißende und schwierige Aufgabe gehalten, Tansy zu überzeugen und sie notfalls zu zwingen, ihm bei seiner Ermittlung als Partnerin zur Seite zu stehen, aber da jetzt auch noch die Bedrohung der körperlichen Anziehungskraft zwischen ihnen hinzukam, empfand er den Auftrag als geradezu beängstigend. Sie hatte einen Zusammenbruch erlitten, der nach allem, was man so hörte, echt gewesen war. Er hatte die Berichte sorgfältig gelesen und auch ihre gesamten medizinischen Unterlagen eingehend studiert. Sie war wochenlang im Krankenhaus gewesen und hatte anschließend Monate in vollkommener Abgeschiedenheit bei ihren Eltern verbracht. Sie war angeschlagen, gebrochen und innerlich fertig von ihrem letzten Fall; ihr Geist hatte sich geweigert, die teuflischen Stimmen der Mörder, die sie aufgespürt hatte, und die Schreie ihrer Opfer wieder zu verdrängen. Er würde sie bitten müssen, andere, noch mächtigere und tückischere Stimmen einzulassen. Obendrein würde er ihr auch noch auf irgendeine Weise erklären müssen, dass er und sie als ein Paar vorgesehen waren.

Kaden stellte fest, dass es ihm unmöglich war, seinen Blick von ihr loszureißen. Je länger er sie betrachtete, desto krasser und drängender wurden die Forderungen, die sein Körper stellte. Nie hatte er eine derartige sexuelle Gier verspürt. Sie schien jede Zelle seines Körpers auszufüllen, sein Gehirn zu vereinnahmen und ihn in einen Schraubstock zu zwängen, bis Presslufthämmer in ihm wüteten und jeden zivilisierten Gedanken vertrieben. Er musste die Verbindung zwischen ihnen irgendwie in den Griff kriegen, denn sonst würde er seine Chancen bei ihr von vornherein zerstören.

Er nahm im Schneidersitz Platz, schloss die Augen und suchte nach seiner Mitte. Er musste sein inneres Gleichgewicht finden. Das Unbehagen, das ihm das Sitzen auf dem harten Stein, seine Stiefel und sein Körper verursachten, drang in sein Gehirn vor, und er ließ zu, dass es über ihn hinwegspülte und die Oberfläche des Teichs, auf den er sich konzentrierte, kräuselte, immer weitere Kreise bildete und in den Bewegungen des Wassers verschwand. Er atmete in tiefen Zügen und suchte in seinem Innern nach seinen wahren starken Empfindungen.

Furcht um ihre Sicherheit, sowohl vor Raubtieren als auch vor menschlichen Räubern. Diese Gegend war so abgeschieden, dass ihn die Vorstellung erschreckte, was passieren könnte, wenn sie von einem betrunkenen Jäger oder einem Mann ohne Skrupel oder Prinzipien gefunden wurde. Jedes Tier konnte sich an sie heranpirschen, während sie wehrlos in der Sonne lag; die Raubkatze hatte es bereits getan. Wut. Er untersuchte dieses ungestüme Gefühl unter jedem Blickwinkel. Es zählte zu den Gefühlen, mit denen er weniger vertraut war. Die meiste Zeit seines Lebens war er im Umgang mit Menschen kalt und leidenschaftslos gewesen. Gerade deshalb war er so gut in seinem Job. Er hatte jedes seiner Gefühle gebändigt. Wut. Sie zerriss ihn. Siedend heiß. Wogend und wallend. Und beharrte darauf, wie ein glühender Vulkan auszubrechen. Total übertrieben, und er weigerte sich, sie an die Oberfläche kommen zu lassen. Er hatte einen Auftrag auszuführen, und nichts und niemand stellte sich einem Auftrag in den Weg.

2

KADEN ACHTETE SORGSAM darauf, dass sein Schatten nicht auf Tansy Meadows’ Körper fiel. Der Granit unter seinen Stiefeln war glatt und erzeugte keine Geräusche, die ihn verraten hätten. Er blieb gegen den Wind stehen, nur für den Fall, dass ihr Geruchssinn gesteigert worden war, und sorgte dafür, dass er den Luftstrom, der sich um ihren Körper herum bewegte, nicht einmal für einen Moment unterbrach. Sämtliche Schattengänger hatten ein feines Gespür für die Energien um sie herum und reagierten empfindlich auf die kleinste Veränderung. Es mochte zwar sein, dass Tansy Meadows das Training der Schattengänger nicht durchlaufen hatte, aber wenn ihre Anlagen gesteigert waren, und den Verdacht hatte er, dann würde sie eine Größe sein, die man nicht unterschätzen sollte.

Er ließ seinen Blick systematisch über ihre nähere Umgebung gleiten, denn er suchte nach einer Waffe, nach irgendeinem Gegenstand, den sie zu ihrer Verteidigung verwenden könnte. Er runzelte die Stirn, als er sah, dass ihre Kleidungsstücke ordentlich zusammengefaltet aufeinanderlagen, ein gutes Stück von der Stelle entfernt, an der sie ausgestreckt dalag und schlief. Neben ihrer Kleidung lehnte ein kleines Betäubungsgewehr an einem Felsen. Kaden trat bei jedem Schritt behutsam auf, um keine losen Steinchen zu verschieben, und bewegte seinen Körper so langsam, dass die Luft stillhielt, als er hinüberschlich und nach dem Betäubungsgewehr griff. Um ihrer beider Sicherheit willen ließ er die Waffe in seinen Gürtel gleiten. Das Gewehr hätte unter ihrer Handfläche liegen sollen, damit sie sich leicht gegen ein wildes Tier oder einen Jäger verteidigen konnte. Wenn sie ein Schattengänger war, war ihr Selbsterhaltungstrieb nicht so gut entwickelt, wie er es hätte sein sollen.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es nichts gab, wonach sie greifen konnte, um einem von ihnen beiden zu schaden, ging er neben ihr in die Hocke. Mehr als alles andere wollte er ihr Gesicht sehen. Aus der Nähe war sie atemberaubend. Ihre Haut sah so zart und so warm aus, dass er seine gesamte Selbstbeherrschung aufbieten musste, um sie nicht zu berühren. Ihr Haar war platinblond mit goldenen Strähnen und fiel ihr über den Rücken und auf den Felsen. Ihre langen Wimpern lagen wie Halbmonde da, fiedrig und dicht. Ihr Gesicht war ein kleines Oval, ihr Mund üppig und einladend. Er unterdrückte den Drang, sich hinunterzubeugen und sie wachzuküssen. Sie war viel kleiner, als er erwartet hatte, aber ihre Beine waren lang, ihr Hintern war rund, und sein Körper sagte ihm, dass sie ihm wie ein Handschuh passen würde.

Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, als sie die Lider öffnete und ihm direkt in die Augen sah. Jähe Furcht überkam sie, und das Dunkelblau ihrer Iris wurde vor Schreck schon fast violett. Eine Art spiegelnder Glanz ließ ihre Augen glitzern; dann kniff sie sie zusammen, als täte das Licht ihr weh. Sie blinzelte, und ihr Blick wurde klar, kühl und taxierend. Sie griff nach ihrer Sonnenbrille und ließ sie auf ihren Nasenrücken gleiten – und das mit einer lässigen Arroganz, die ihm sagte, dass sie eine Prinzessin und er nichts weiter als ein Bauerntölpel war.

 

Tansy erwachte aus einem friedvollen Traum und stellte fest, dass sie in die reinsten Katzenaugen starrte. Kalt, ungerührt und so dunkelblau, dass sie fast schwarz waren. Scharf und konzentriert. Sie sah in die Augen eines Mannes, der schon oft getötet hatte. Dunkle Zotteln hingen ihm in die Stirn und trafen auf eine schmale weiße Narbe, die sich von oben nach unten über ein schroffes, scharfkantiges Gesicht zog. Er wirkte wettergegerbt und ungemein gefährlich. Die Bartstoppeln erweckten den Eindruck, ihm läge nicht genug an Umgangsformen, um sich zu rasieren. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, sein Blick starr und so kühl wie der einer Katze.

Sie hob ihr Kinn ein paar Zentimeter und senkte die Wimpern, um ihren Ausdruck zu verbergen, bevor sie ihre dunkle Brille aufsetzte. Sie unternahm keinen Versuch, ihre Nacktheit zu bedecken, weil sie ohnehin nichts daran ändern konnte und ihm nicht einen noch größeren Vorteil einräumen wollte, indem sie ihn sehen ließ, dass sie sich angreifbar fühlte.

Tansy erhob sich mit aller Anmut und Würde, die sie aufbieten konnte, und ging auf ihre ordentlich zusammengefalteten Kleidungsstücke zu. Dabei musste sie an ihm vorbei, doch er rührte sich nicht vom Fleck, und als ihre Haut seine Haut streifte, rief die Berührung einen kurzen Schauer hervor. Ihre Nervenenden standen unter Strom, und in ihrem Bauch flatterten winzige Flügel. Sie konnte fühlen, dass ihr diese blauschwarzen Augen auf jedem Schritt des Weges folgten. Tansy war unendlich froh, dass sie sich nie die Haare geschnitten hatte. Ihr Haar war so lang, dass es ihren nackten Hintern bedeckte und sie in einem trügerischen Gefühl von Sicherheit wiegte. Sie ahnte nicht, dass sich die seidige Mähne aus Platin und Gold auf ihrer dunklen Haut provozierend ausnahm und nur dazu beitrug, sie erotisch und verführerisch wirken zu lassen und ihre Kurven zu betonen. Sie hielt ihm weiterhin den Rücken zugewandt, als sie ihr Hemd anzog, in ihre Jeans stieg und mehrfach tief Atem holte, um sich zu beruhigen. Aus Gewohnheit schlang Tansy ihr langes Haar mehrfach um ihre Hand und steckte es mit einer großen Haarspange an ihrem Hinterkopf fest. Unauffällig sah sie sich nach ihrem Betäubungsgewehr um. Es stand nicht an seinem gewohnten Platz neben dem vorspringenden Felsen, was bedeutete, dass er es wahrscheinlich an sich genommen hatte. Sie drückte ihre Schultern durch und drehte sich zu dem Fremden um.

Der Mann war groß und breit gebaut und sehr muskulös. Allein schon die rohe Kraft, die er ausstrahlte, verursachte ihr Herzklopfen. Wenn sie nackt und allein am Ende der Welt von jemandem ertappt werden musste, warum konnte dieser Jemand dann nicht ein mickriger Schwächling sein? Sie fürchtete mehr als nur seine tatsächliche Größe. Er verströmte aus jeder Pore Macht. Er wirkte gefährlich auf eine Art und Weise, die sie nicht definieren konnte. Den Eindruck von Macht hätte sie als bedeutungslos abtun können, indem sie behauptete, es läge nur an seinem imposanten Äußeren, doch sie wusste es besser. Seine Züge hätten aus Stein gemeißelt sein können und waren ebenso scharfkantig wie der Granit, der sie umgab. Er war kein gut aussehender Mann – dazu waren seine Züge viel zu schroff. Aber er war auf eine beängstigende Weise eine umwerfende Erscheinung.

»Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe.«

Seine Stimme war wie schwarzer Samt, das Werkzeug des Teufels, und sie triefte vor Sarkasmus. Gewaltige Wut siedete unter diesem glatten Auftreten. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, ihr einziges Zugeständnis an ihre Nervosität.

»Es war ohnehin Zeit, dass ich aufwache.« Sie rang sich zu einem Achselzucken durch. »Das hier ist ein privates Wildreservat, und Sie haben hier keinen Zutritt.« Er war beim Militär, kein Jäger. Seine Augen waren hart und wachsam – zu wachsam, als rechnete er damit, dass sie versuchen würde, auszubrechen und zu fliehen. Sie verlagerte ihr Gewicht auf ihre Fußballen und drehte sich leicht zur Seite, um einen Winkel zu ihm einzunehmen, in dem sie ihm weniger Angriffsziele bot.

»Ich war auf der Suche nach Ihnen.«

Da es ihr einen solchen Schrecken eingejagt hatte, ihn beim Aufwachen über sich zu sehen, war ihr bis jetzt noch gar nicht aufgegangen, dass seine Nähe nicht die Kopfschmerzen hervorrief, unter denen sie sonst immer in Gegenwart anderer Menschen – einschließlich ihrer Eltern – litt. Die gewaltige psychische Energie, die sie normalerweise umgab, wenn Menschen in ihre Nähe kamen, war nicht da. Sie fühlte die leichte Brise und hörte die unablässigen Vogelrufe und das Summen von Bienen, aber kein Raunen in ihrem Kopf.

»Sie haben mich gesucht?«, wiederholte sie und fühlte sich ein wenig hilflos. Ihr Blick glitt kurz über ihn und nahm alles so wahr, wie sie es sonst auch tat – ihr Verstand katalogisierte das Bild und nahm eine Bestandsaufnahme seiner Narben und seiner Ausrüstung vor, wobei der Schwerpunkt auf dem Messerseitlich an seinem Gürtel lag.

Er lächelte, als wollte er ihr die Furcht nehmen. Er sah aus wie ein Berglöwe kurz vor der Essenszeit. »Fangen wir nochmal von vorn an. Ich bin Kaden Montague.« Sein Lächeln war fast wölfisch, als er ihr die Hand hinhielt.

Ihre automatische Reaktion wurde ihr fast zum Verhängnis. Im letzten Moment, bevor seine Hand ihre umfassen konnte, trat Tansy einen Schritt zurück und nahm beide Hände hinter ihren Rücken. Sie wagte es nicht, Körperkontakt mit ihm zu riskieren. Und sie wollte ihm auch nicht zu nahe kommen, für den Fall, dass er die Absicht hatte, sie anzugreifen.

Als er ihre Reaktion sah, wurde sein Lächeln breiter, und die eigenartigen schwarzen Augen wurden wärmer, bis sie leuchteten wie Katzenaugen bei Nacht. »Sie fürchten sich doch nicht vor mir?«

Jeder, der auch nur einen Funken Verstand besaß, hätte sich vor ihm gefürchtet, zumal als Frau. Der Mann war ein echter Kerl. Dieses kantige Gesicht hatte nichts knabenhaft Hübsches an sich und die funkelnden Augen nichts Weiches und Zartes, sondern etwas anderes. Was war es, was sie gleichzeitig faszinierte und abstieß?

»Sie haben mich in einer kompromittierenden Lage erwischt. Sie müssen zugeben, dass keine Frau sich in dieser Situation sonderlich sicher fühlen würde.«