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Erst die Renaissance kreierte den schöpferischen Künstler, – Leonardo und Raffael dann gleich am liebsten als uomo universale, der mit den fürstlichen Auftraggebern auf Augenhöhe verkehrte. Aber erst mit dem Venezianer Tizian weitete sich das Persönlichkeitskonzept ins wahrhaft Europäische. Tizian verkehrte als gefragtester Porträtmaler seiner Zeit am Papsthof ebenso wie an den Fürsten- und Königshöfen Europas: Papst Paul III., König Franz I. von Frankreich, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen – ja, der Kaiser selbst war einer der häufigsten Auftraggeber Tizians. Mit diesem weitgespannten, europäischen Auftraggeberkreis wurde er automatisch auch zu einer politischen Figur, zu einem Diplomaten, der sich als erster Künstler in den Kreisen der Macht bewegte. Tizian zwischen Venedig und Rom, zwischen Republik und Kirchenstaat, zwischen Kaiser und Papst, in Italien und Europa – dies sind die Wirkungsstätten Tizians, das ist der Inhalt dieser ersten politischen Biographie des genialen Künstlers.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
„Selbstbildnis“, 1562.
Susanne Hohwieler
Maler der Macht
Tizian und die HochrenaissanceEine politische Biografie
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ISBN Print: 978-3-534-61023-5
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-534-61134-8
ISBN E-Book (PDF): 978-3-534-61135-5
I. Szenenbild Venedig
II. Kurze Biographie des Tiziano Vecellio
III. Die Magie der Farben
IV. Tizian und seine Auftraggeber
V. Der Venezianer als Hofmaler Kaiser Karls V.
VI. Das europäische Politgefüge Mitte des 16. Jahrhunderts – Ein Überblick
VII. Szenenbild Rom
VIII. Die Farnese
IX. Tizian in der Stadt des Papstes
X. Bildpropaganda am päpstlichen Hof – ein Exkurs
XI. Familienporträt – Tizian malt Papst Paul III. und seine Nepoten
XII. Tizians Rückkehr nach Venedig
XIII. Schöne Frauen – Tizians Kunst der Sinnlichkeit
XIV. Das Ende der Renaissance – 1545 – Epilog
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweis
Über die Autorin
Stadtplan Venedigs um 1500
Venedig zur Zeit Tizians: ein Szenenbild der Serenissima * Venedig in der Renaissance: eine Einführung in die Kultur- und Kunstszene und ihre Künstler, die Politik und Herrschaftsstruktur der Republik
Langsam lichten sich die Novembernebel und die Serenissima taucht in der Morgendämmerung auf: schön, stolz, selbstbewusst. Venedig, die Stadt des Mythos, die Königin des Wassers.
Man begegnet dieser Stadt am besten von der Wasserseite aus und begreift: Venedig ist eine Insel, eine ganz andere Welt, eine Welt für diejenigen, die noch Träume haben.
Das Boot fährt den Kanal entlang, und zu beiden Seiten erheben sich Häuser aus dem Wasser. Fast lautlos gleiten die Gondeln an uns vorbei, andere Boote liegen vertäut an bunten Pfählen vor herrschaftlichen Eingangstoren, die bis ins Wasser reichen; in manchem Boot döst ein müder Ruderer und wartet auf den Morgen. Brücken tauchen im Sichtfeld auf und entziehen sich sogleich wieder dem Blick. Überall Wasser, wo es sonst kein Wasser gibt! Ganze Häusergruppen, Kirchen und Paläste steigen aus der Flut empor, und überall die gleiche ungewohnte Stille, nur das dauernde Plätschern des Wassers ist allgegenwärtig. Es ist der kurze Moment des frühen Morgens, bevor die Stadt zum Leben erwacht, bevor die Gassen lebendig werden und die Menschen beginnen, ihrem Tagewerk nachzugehen.
Kommt man jemals an in Venedig? Glaubt man nicht, diese Stadt längst zu kennen, bevor man sie je besucht hat, oder ist man bereit und öffnet sich diesen vielfältigen Eindrücken und der die Sinne berauschenden Schönheit? Venedig das Phänomen, der Mythos, die berückende Unwirklichkeit, die Zauberei, das grandiose Geheimnis, das unerreichbar scheint.
Jeder liebt diese Stadt auf seine Art, findet an diesem Ort, was er will und was er hineininterpretiert: Lebensfreude, Hinfälligkeit, Tod und Verfall, maroden Charme, Kunst und Tand, karnevaleske Visionen, einen Ort des Aufatmens, eine Extravaganz, eine zeitlose Faszination. Ein aus der Geschichte gefallener Ort. Wer einen Sinn für Melancholie hat, ist in Venedig in seinem Element. Kaum ein anderer beschreibt diese zwiespältigen Gefühle von Anziehung und Abgestoßenheit besser als Thomas Mann in seinem Roman Tod in Venedig.
Eine zugleich wirkliche und unwirkliche Stadt, deren Urelement das Wasser ist, segensreich und zerstörerisch, göttlich und dämonisch. Venedig zwischen Wasser und Himmel. Himmelblau, wasserblau, das Grün der Kanäle, die bunten Farben der Häuser, Kirchen und Paläste. Alles spiegelt sich im Wasser der Kanäle und der Lagune und verdoppelt die Vision, und diese Visionen dringen ein in das geistige Empfinden der Besucher.
Die Lagune, die der Ursprung dieser Stadt ist, liefert eine einzigartige Farbenpalette, die sich wie ein roter Faden über die Jahrhunderte durch die venezianische Kunst zieht. Farben, die es so nur hier gibt und die in einem ganz besonderen Schauspiel der Natur ihren Ursprung haben. Es sind die irisierenden Wasserflächen, die je nach Tageslicht weiß, blau, rosa, grau, seltener violett, noch seltener grün erscheinen, grün wie die Kanäle der Stadt, und als grüne Flecken unterbrechen die Lagune dutzende verstreute Inseln mit Weideland und Bäumen. Die bunten Häuser auf den kleineren Inseln, Klöster mit Obst- und Gemüsegärten und Blumen. Auf dem Rialto, dem Großmarkt Venedigs, die strahlenden und farbenprächtigen Luxuswaren aus dem Orient. Der Dunst der Meeresluft macht all diese Farben weich und fließend.
In der Lagune liegen die Wurzeln von Venedig, sie ist gleichzeitig Schwemmgebiet und Sumpf, seichtes Gewässer, Strömungsfeld von Quellwasser und letztendlich das Meer.
Einst zogen die Menschen in die Lagune, um sich vor den Überfällen aus dem Norden zu schützen, und rangen dem Wasser und der Lagune das ab, was das heutige Venedig ist, hunderte von Inseln mit Pfählen vereint. Zwischen Fischern, Bauern, Sammlern und Salzverkäufern errichteten einige Großgrundbesitzer von der Terra ferma ihre Refugien.
Damit die seichten Sandbänke Venedig zu tragen vermochten, bedurfte es eines neuen Fundaments: Dieses Fundament sind tausende und abertausende von Pfählen, senkrecht in den Grund gerammte Eichenstämme. Venedig erhebt sich auf einem versunkenen Wald. So wurde die Stadt auf etwa 150 nahe beieinanderliegenden flachen Inseln in der Lagune erbaut. Die Landzungen bei Chioggia und der Lido schützen die Lagune vor dem offenen Meer. Drei natürliche Durchgänge verbinden sie mit der Adria.
Das Hauptelement dieser Stadt war und ist das Wasser! Wasser, immer und überall, der natürliche Werkstoff dieser Stadt. Bereits Niccolò Machiavelli erkannte die Sonderlage Venedigs und die Kraft des Wassers.
Begünstigt durch diese unvergleichliche geographische Lage erhob sich Venedig zu der bedeutendsten Handels- und Seemacht des Mittelmeers. Das Meer verwehrte Angreifern den Zugang zur Lagune, und so konnte die Republik sich aus ganz kleinen Anfängen zu ihrer späteren Größe entwickeln. Die Serenissima (Serenissima Repubblica di San Marco) kontrollierte die wichtigsten Handelswege im Mittelmeerraum und fungierte als Brücke zwischen Orient und Okzident. Paläste und Kunstschätze der Stadt zeugen noch heute von ihrem einstigen Reichtum.
Ab dem 9. Jahrhundert entwickelte sich eine wachsende Autonomie der Gemeinde am Rivus Altus, dem Rialto, und die Oberhoheit der oströmischen Kaiser hatte nur noch einen formalen Charakter. So begann ab der 2. Hälfte des 10. Jh. Venedigs Aufstieg zu einer überregionalen Handels- und Seemacht. Handelsprivilegien im Tausch gegen militärische Hilfe durch die venezianische Kriegsflotte halfen Venedig beim Aufschwung zu eigener politischer Macht, dazu kamen das Knüpfen eines internationalen Netzwerkes, das auf Dauer die Handelswege für die venezianischen Flotten sicher machte, und ein Netz von Hafenstützpunkten unter der direkten Herrschaft der Serenissima. Die Machtverhältnisse zwischen der einstigen Provinzsiedlung in der Lagune und der Metropole am Bosporus verschoben sich zugunsten Venedigs, indem die Stadt im 12. Jahrhundert immer mehr Handelsfreiheiten bekam und letztendlich mit der Eroberung von Konstantinopel 1204 durch ein christliches Heer ganz die Freiheit gewann. Nicht nur zwischen Byzanz und Venedig hatte sich das Verhältnis geändert, auch auf der Apenninhalbinsel galt die Stadt in der Lagune inzwischen als politischer Machtfaktor ersten Ranges. Doch Venedig war an keiner territorialen Macht interessiert, sein Denken und Handeln wurde von wirtschaftlichen Handelsinteressen gelenkt: Der Blick der Venezianer war auf das Meer gerichtet.
Allerdings war der Republik nicht ganz gleichgültig, was auf dem Festland vor sich ging. Um seine eigenen Handelsinteressen zu wahren, verfolgte sie mit wachsender Sorge die Auseinandersetzungen zwischen Papst und Kaiser, den beiden obersten Autoritäten des christlichen Abendlandes. Der Papst fühlte sich und seine Vormachtstellung durch die wachsende Macht des Kaisers bedroht und verbündete sich zu seinem Schutz mit den norditalienischen Herzogtümern, was wiederum der Kaiser als Bedrohung verstand. Venedig kam in diesem Falle eine wichtige diplomatische Rolle zu, und so brachte Venedig die sich feindlich gesinnten Parteien mit viel Diplomatie und politischem Fingerspitzengefühl zu einem Friedensschluss: dem Frieden von Venedig 1177 zwischen Papst Alexander III. und Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Dieser Frieden war ein Meilenstein in der politischen Geschichte Venedigs und dem Verhältnis zwischen Papst und Kaiser in Europa. Mit diesem Frieden in Venedig wurde ein jahrhundertelang andauernder Streit zwischen Papst und Kaiser beigelegt, und als Dank dafür wurde die Serenissima mit Privilegien von beiden Seiten belohnt, die Venedigs politische Macht bestätigten.
Der Frieden von Venedig 1177: Kaiser Barbarossa unterwirdt sich Papst Alexander III. Gemälde von Francesco Salviati, 16. Jhr.
Diese Gunstbeweise wurden für die Venezianer die historische Begründung ihres wichtigsten Staatsfestes, der sensa, der rituellen Vermählung des Dogen mit dem Meer. Venedig sah sich nach diesem Friedensschluss als ausgleichende Macht zwischen den beiden Autoritäten und den Dogen als geradezu über Papst und Kaiser stehend. Eines stand fest, der Aufstieg der einstigen Siedlung im Sumpf zu einer europäischen Großmacht war damit besiegelt, Venedig befand sich im Zenit seiner Macht. Wenn auch diese Vormachtstellung nicht immer ganz unangefochten war. Genua und Venedig trugen immer wieder Konflikte um diese Handelsvormachtstellung im Orient aus, bis Venedig Genua letztendlich zurückdrängte und mit dem Friedensschluss von Turin 1381 den Rivalen faktisch ausgeschaltet hatte. Und mit dem Frieden zwischen Mailand und Venedig 1453 wurden auch die größten Konflikte auf dem oberitalienischen Festland beigelegt.
Venedig gehörte nun zu den Hauptakteuren auf dem europäischen Parkett und spielte über einen Zeitraum von fast 300 Jahren eine maßgebliche Rolle in der europäischen Politik.
Venedigs Geheimnis der Macht war ohne jeden Zweifel eine Verfassung, die eine enorme innere Stabilität garantierte; hinzu kamen der immense Reichtum, die diplomatische Überlegenheit und die Toleranz gegenüber religiösen und philosophischen Meinungen. Der Staatsmythos basierte auf einem einträchtigen Gemeinwesen, das über Jahrhunderte hinweg auf den gleichen Werten basierte und somit die Gesellschaft zusammenhielt. Das Fundament dieser Souveränität lag in einer ausgeklügelten Mischverfassung aus monarchischen und demokratischen Elementen, alles unter dem großen Namen der Republik, der Serenissima, benannt nach ihrem Herrscher, dem Dogen SerenissimusPrinceps – dem allerdurchlauchtigsten Fürsten, der an der Spitze der staatlichen Hierarchie stand. Der Doge, gewählt auf Lebenszeit, bildete das monarchische Element, der Senat das aristokratische und der große Rat das demokratische. Die Prinzipien der Republik waren für damalige Verhältnisse ungewohnte Freiheit und Gerechtigkeit. Die Stadt Venedig erwies sich als krisenfester als andere europäische Metropolen, und dies lag an der genauen hierarchischen Abstufung im venezianischen Gesellschaftssystem, in dem jeder das bekam, was ihm zustand. An der Spitze dieser Sozialpyramide stand ein Adel, der sich nach Alter, Erfahrung, Tradition und Vermögen gliederte. Diese Führungsschicht wurde von den wichtigsten Kernfamilien der dominanten Kaufmannsaristokratie, den nobili, gestellt. Der venezianische Adel begründete seinen Status über seine kaufmännische Tätigkeit und nicht durch Geburt und Grundbesitz wie anderswo in Italien oder Europa – eine venezianische Besonderheit. Die nobili der Häuser Contarini, Cornaro, Dandolo, Foscari, Mocenigo – um nur einige zu nennen – waren vollkommen zufrieden mit ihrer Rolle in Venedig und strebten nicht nach weiteren Titeln. Direkt unter den nobili standen die cittadini originarii, diese genossen, wie die Adligen, weitgehende Vorrechte und sie stellten das Personal der Dogenkanzlei. Sie waren auch diejenigen, die durch ihr langjähriges Insiderwissen in den verschiedenen Bereichen Einfluss nahmen und sich Vorteile und Gewinne hinter den Kulissen sicherten. Ebenso bekleideten sie die Führungspositionen der scuole grandi. Diese scuole waren karitative Organisationen, die eine gezielte Sozialpolitik garantierten und damit eine erfolgreiche Klientelbildung in die mittleren und unteren Schichten der Gesellschaft verfolgten. Weiterhin waren sie für die künstlerische Ausgestaltung von Kirchen und öffentlichen Palästen zuständig, waren also ein Ort, an dem finanzkräftige Auftraggeber Raum und Künstler suchten, um sich medienwirksam darzustellen. Die Auftragsvergabe verlief, wie fast alles in Venedig, über ein kompliziertes Auswahlsystem. Die Familien des gehobenen Mittelstandes bekamen politische Genugtuung, in dem sie in Nachbarschaftsverbänden und Kooperationen am aktiven Gesellschaftsleben sichtbar teilnehmen konnten und damit offizielle Anerkennung bekamen. Für die vom öffentlichen Leben ausgeschlossenen Teile der Gesellschaft gab es genug Arbeit im und am Dienst der Republik. Hinzu kam, dass es in Venedig ein Preisstabilitätssystem gab, was die Lebenshaltung und Grundversorgung mit Brot garantierte. In der Lagunenstadt hatte man also durch Rebellion mehr zu verlieren als zu gewinnen.
Dieses komplexe Gemeinschaftswesen stand ein für die Republik, und das Staatsoberhaupt der venezianischen Republik war der Doge. Ähnlich dem Papst in Rom wurde der Doge auf Lebenszeit gewählt. In das Amt des Dogen gewählt zu werden, war das ersehnte Ziel der Ämterlaufbahn aller nobili. Das venezianische Staatsoberhaupt konnte sich keiner absoluten Macht rühmen, denn obwohl der Doge Einblick in alle Führungsgremien hatte, Überblick über alle wichtigen Geschäfte, Reglementierungen und Prozesse bekam, war seine eigentliche Machtausübung beschränkt und auf Schritt und Tritt kontrolliert. So konnte der Doge für eine schlechte Regierung haftbar gemacht werden, und wenn nicht er selbst, so seine Familie nach seinem Tod. Hierfür gab es eine eigene Kommission zur Kontrolle der Amtsführung des Dogen. Ein Doge durfte weder die Post alleine öffnen, noch seinen Palast ohne Begleitung verlassen. Zeitgenössische Bilder zeigen den Dogen immer im Gefolge seiner Staatsmänner – und im Hintergrund den Markusplatz mit dem Dogenpalast und der Markuskirche: Das Dogenamt in seiner gottgewollten Legitimation. Einzelporträts der Dogen geben einen Einblick in die Gewandung und das Gehabe des Dogen, dargestellt werden sein prächtiges, golddurchwirktes Dogengewand aus Seidenbrokat, das Haupt bedeckt von dem Dogenhut, dem corno, ein Kronenreif, auf den eine steife Kappe gesetzt war, darunter eine weiße Mütze, der camauro. Seinen Ursprung hat diese Kopfbedeckung in einer Kombination aus Herzogshut und dem Hut der venezianischen Fischer, die Form der phrygischen Mütze hingegen ist auf den östlichen Einfluss zurückzuführen. Seit dem 14. Jahrhundert wird dieser Hut zum festen Bestandteil der Kopfbedeckung des Dogen, der in einem festlichen Ritual mit ihm gekrönt wurde.
Gewählt wurde der Doge in einem komplizierten Verfahren, das aus einer Verbindung zwischen Wahl und Los bestand: Der Maggior Consiglio, in dem sich die bernabotti drängten – die einfachen Bürger, die gleichwohl das Bürgerrecht genießen und also aktiv an der Stadtpolitik teilhaben –, war vor allem Wahlgremium zum Besetzen der vielfältigen Ämter. Im Maggior Consiglio gingen aus mehrfachen Wahl- und Losentscheidungen letztendlich 11 Männer hervor, die die 41 Patrizier bestimmten, die dann den Dogen wählen durften. Ein kompliziertes System, um Korruption und Klientelismus auszuschließen, was trotz allem nicht immer ganz gelang. Der Kontrollmechanismus der Serenissima zog sich durch sämtliche Ämter auf allen Ebenen und durch alle Gesellschaftsschichten. So gab es am Dogenpalast Löwenmäuler, in die man seine Anklagen anonym hinterlegen konnte.
Die Machtverteilung in Venedig war streng hierarchisch aufgebaut: Unmittelbar unter dem Dogen gab es zwei enge Gremien: der Collegio mit seinen 16 savii, den Weisen oder Wissenden, und die Signoria mit dem Dogen, seinen sechs Beratern und den drei Vorsitzenden des Gerichts. Collegio und Signoria bildeten die eigentliche Entscheidungsspitze der Republik. Darunter kam der Consiglio dei Dieci, der Rat der 10 (mit insgesamt 17 Sitzen), der für die Staatssicherheit zuständig war, und dann der Senat, der bis zu 300 Mitglieder haben konnte.
Zu den Zuständigkeiten der venezianischen Regierung gehörte es, die innere und äußere Sicherheit zu garantieren, die Handelswege sicher und frei zu halten und die Handelsgeschäfte im Inneren wie außerhalb von Venedig zu kontrollieren. Dazu entwickelte Venedig ein System von beispiellosem diplomatischen Austausch. Die Aufgabe der Botschafter war es, genaueste Erkundigungen über die Ressourcen des Gastlandes einzuholen. Es war für den Handel lebenswichtig zu wissen, wie es um die wirtschaftliche und politische Lage der einzelnen Handelspartner bestellt war. Marktforschung und Analysen von hoher psychologischer Eindringlichkeit zu Herrscherpersönlichkeiten, Angaben zu Machtverteilung und Finanzen waren die Ergebnisse dieser Missionen. In regelmäßigen Abständen trugen die Botschafter diese vor dem heimischen Senat vor; für Historiker sind diese Berichte bis heute wertvolle Zeitzeugnisse.
Nur das Papsttum mit seinem universellen Geltungsanspruch als Hüter des Christentums war in ähnlicher Weise an Informationen aus aller Welt interessiert und hatte seine Nuntiaturen an den wichtigsten Schaltstellen. So geben diese Nuntiaturberichte ebenfalls wertvolle Einblicke und Auskunft über die politische Lage und gesellschaftliche Situationen der einzelnen Länder. Somit wird deutlich, warum gerade Venedig und Rom als die diplomatischen Austauschzentren Europas galten. Venedig spielte neben dem Papsttum die führende Rolle bei der Entwicklung der modernen Diplomatie.
Zu weiteren Zuständigkeiten, die sich die Serenissima zuschrieb, gehörte auch die kirchliche Organisation in Venedig. So war der Klerus hier zahlreichen Gesetzen unterworfen, von denen er in den meisten anderen Ländern verschont blieb. Auch in Fragen der Inquisition maßte sich die Republik ein Mitspracherecht an. Dies alles zum Ärger Roms und der römischen Kurie, was zu einem ständigen Tauziehen mit dem Papsttum um Machtbefugnisse führte.
Das politische System in Venedig beruhte auf der Erziehung zu republikanischen Werten und zum Dienst an der Serenissima. Dies stand für die Venezianer nie im Gegensatz zu ihrer Frömmigkeit und ihrem Bekenntnis zum Christentum; für sie vereinbarten sich diese beiden Loyalitäten ohne Probleme. Für Rom roch dies jedoch oft ketzerisch.
Dieser Souveränitätsanspruch der Republik in der Lagune resultierte aus dem immensen Reichtum, den Venedig sich durch den Handel erarbeitet hatte. Durch seine geographische Lage begünstigt, entwickelte sich Venedig zu einer Handelsmetropole und einer Brücke im Mittelmeerraum zwischen Ost und West, Venedig wurde zur Drehscheibe zwischen Abendland und Levante.
Handelsreisen waren zu Beginn eine Organisation im Familienverband, der fraterna. Für diese risikoreichen Unternehmungen bedurfte es blinden Vertrauens und Erfahrung. Eine der bekanntesten dieser Familien waren die Polo. Marco Polo war bereits zu seiner Zeit eine Legende, und er galt und gilt als einer der größten Reisenden der Geschichte, dokumentiert in seinem wunderbaren Reisebericht Il Millione, einem der wertvollsten kulturgeschichtlichen Dokumente aus dem Mittelalter.
Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts schlossen sich dann zwei oder mehr Familien zu einer societas oder colleganza zusammen, man teilte sich Risiko und Gewinn, dies war der Beginn der Handelsgesellschaften.
Die Venezianer nutzten ihren geographischen Vorteil, indem sie Luxusgüter wie Seide, Brokat, Pelze, wertvolle Stoffe, Gewürze – vor allem Pfeffer –, Pigmente, Heilpflanzen und Edelsteine aus dem Orient importierten und in den Norden Europas mit immens großer Gewinnspanne weiterverkauften. Auch der Handel mit Sklaven war bis in das 15. Jahrhundert eine der Haupteinnahmequellen. Mit der Entdeckung der „Neuen Welt“ durch Christoph Columbus und der damit verbundenen Entwicklung neuer Handelswege schien das mächtige Handelsimperium Venedigs ins Wanken zu geraten. Aber schon bald entstanden in der Lagune neue Produktionszweige. Neben den importierten Luxusgütern exportierten die Venezianer nun auch selbst produzierte Produkte wie Öl, Salz, Holz, wertvolle Woll- und Leinenstoffe und Edelmetalle. Dazu kam der Aufstieg des Druckgewerbes und der Papierproduktion. In der damals neuen Buchdruckerkunst nahm Venedig eine überragende Stellung ein. Es gab zahlreiche Schiffsbauer, große Färbereien, Zuckerraffinerien, Kerzenfabriken. Auch in der Seifenproduktion entwickelte sich Venedig zu einem bedeutenden Standort, ganz zu schweigen von der herausragenden Bedeutung der Glasbläserei auf der Insel Murano. Venedig blieb zentraler Umschlagplatz und behauptete weiterhin seinen Rang als Wirtschaftszentrum, indem die Güterproduktion mehr und mehr an die Stelle des Fernhandels trat.
Sämtliche Handelsgeschäfte wurden in Venedig von der Obrigkeit genauestens kontrolliert, um den Profit für die Stadt zu erhöhen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Handelshäuser für fremde Kaufleute in der Stadt: fondaco dei tedeschi, vornehmlich von den nordeuropäischen Händlern genutzt, fondaco dei turchi, der Ort, an dem die Händler aus der Levante und dem Balkan abstiegen. Es war eine ausgeklügelte Form der Kontrolle über die ausländischen Kaufleute: Man stellte Kost, Logis und Dolmetscherservice und bekam so den Einblick in die laufenden Geschäfte. So war es ein leichtes, Steuern zu erheben und diese auch gleich einzukassieren. Ein geschicktes Zusammenspiel zwischen politischem Handeln, Rechtsprechung und wirtschaftlichem Profit.
Die Lebensatmosphäre in der Lagunenstadt war bei dieser Vielschichtigkeit von Toleranz und Liberalität geprägt. Durch ihre weitreichenden Handelsbeziehungen waren die Venezianer an den Umgang mit fremden Kulturen und fremden Glaubensvorstellungen gewöhnt, sie akzeptierten das Anderssein. Im Gegenzug stellten sich die Angehörigen anderer Nationen bei ihrem Besuch am Rialto unter das rigide Regelsystem der venezianischen Regierung. Wer sich an die Regeln hielt, konnte privat ohne Probleme seinen Sitten, Gebräuchen und Glaubensvorstellungen nachgehen, solange diese nicht die öffentliche Ordnung störten.
Alles, was die Besucher heute in Venedig sehen und bestaunen, hat in seinem tiefsten Sinn mit der venezianischen Identität zu tun. Ein kleiner Rundgang lädt zum Kennenlernen dieser Identität ein. Wer das erste Mal in diese Stadt reist, sollte zu allererst den Markusplatz aufsuchen, und wenn man die Stadt verstehen will, sollte man Venedig so erleben, wie es sich Ankömmlingen früherer Zeiten präsentierte, von der Seeseite her. Es öffnet sich dem Besucher die gleiche prächtige Stadtfassade, mit der die Serenissima seit jeher ihren Gästen einen festlichen Empfang bereitete. Am Dogenpalast vorbei gelangt man über die Piazzetta zum Markusplatz, der einzigen Piazza der Stadt, alle anderen Plätze nennt man hier Campo.
Der Markusplatz mit der Basilika und den angrenzenden Gebäuden war das politische und repräsentative Herzstück der Republik. Dieses Meisterwerk der städtebaulichen Konzeption ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses. Venedig und seine Republik demonstrierten hier die Legitimation ihrer Existenz.
Ursprünglich stand Venedig unter dem Patronat des Heiligen Theodor, und erst die Ernennung zum Bischofssitz im 9. Jahrhundert gab den Anlass, sich nach einem neuen Heiligen umzusehen. Man fand ihn sehr bald, in Alexandrien in Ägypten. Ein spektakulärer Reliquienraub, der in der Stadtgeschichte mit verklärendem Mythos zum stolzen Bericht der Errettung der Gebeine des Heiligen Markus propagandawirksam umfunktioniert wurde.
In Venedig wurde die Legende des Transfers dieser Reliquien im Wort – in der venezianischen Stadtgeschichte unter dem Dogen Andrea Dandolo 1343–1354 – und im Bild – mit den phantastischen Mosaikbildzyklen in der Markusbasilika – eindrücklich dargestellt: Durch die Eroberung Alexandriens durch die Muslime im 7. Jahrhundert war für Christen ein Zugang zu den christlichen Orten nicht mehr möglich, und der Wallfahrtsort, der die Gebeine des Heiligen beherbergte, war durch den geplanten Neubau des Palastes des Kalifen in Gefahr geraten. So überzeugten zwei venezianische Kaufleute, Bonus aus Malamocco und Rusticus aus Torcello, den griechischen Priester, bis dahin Hüter des heiligen Ortes, die Gebeine des heiligen Markus durch den Transfer nach Venedig in Sicherheit zu bringen. So gelangten die Gebeine des Heiligen (oder das, was man dafür hielt) im 9. Jahrhundert nach Venedig. Legende und Verehrung des Heiligen Markus sind ein fester Bestandteil der venezianischen Identität. Die Venezianer glauben unerschütterlich an die Authentizität der Gebeine.
Um dem neuen Schutzpatron einen angemessenen Ruheort zu garantieren, begann man mit dem Bau einer Kirche zur Verehrung des Heiligen. Auf die ursprünglich erste, fast gänzlich aus Holz errichtete Grabeskirche folgte der mit unerhörter Pracht errichtete Neubau im 11. Jahrhundert, an dem noch einmal einschneidende Veränderungen im 13. und 14. Jahrhundert vorgenommen wurden. San Marco ist das bedeutendste und am reichsten ausgestattete mittelalterliche Bauwerk Venedigs. Es ist einer der erstaunlichsten europäischen Sakralbauten, dessen für den Westen ungewöhnliche Architektur mit den überragenden Kuppeln eindeutig den Einfluss des Ostens in sich trägt. Im Inneren fasziniert die Fülle des Dekors mit dem umfangreichsten Mosaikzyklus des Abendlandes. Neben der biblischen Geschichte des Alten und Neuen Testaments wurde in diesem wunderschönen byzantinischen Mosaikzyklus auch der Transfer der Gebeine des Heiligen Markus genau beschrieben.
Venedig und sein wichtigster Heiliger verschmolzen zu einer Einheit, die alle Lebensbereiche umfasste. Die Bürger von Venedig identifizierten sich vollkommen mit ihren Symbolen; der Dienst an der Republik war zugleich auch der Dienst am Heiligen Markus. In seinem Namen wurden Verträge geschlossen, besiegte Städte ihm unterworfen und selbst der Doge unterstellte sein hohes Amt dem Stadtheiligen Markus. Dies wurde ganz deutlich für alle an der Porta della Carta symbolisiert, dem gotischen Hauptportal des Dogenpalastes, geschaffen von Giovanni und Bartolomeo Bon. Man sieht den vor dem Markuslöwen knienden Dogen Francesco Foscari, der sich und sein Amt unter den Schutz des Heiligen stellt. Damit wurde kein Zweifel an einer gottgewollten, fürstlich-aristokratischen Weltordnung gelassen. So war die Markuskirche mitnichten nur der Bischofssitz von Venedig, sondern die Hauskapelle des Dogen, ein weiterer Sonderstatus.
Der Heilige Markus war und ist das Sinnbild Venedigs. Sein Symboltier ist der geflügelte Löwe mit dem aufgeschlagenen Buch und den Worten „pax tibi Marce, evangelista meus“ (Friede sei mit Dir, Markus mein Evangelist) in einem nicht ganz einwandfreien Latein. Dieses Bild zirkulierte als Motiv auf venezianischen Münzen im gesamten Mittelmeerraum, ein typisches Beispiel dafür, dass die Venezianer ohne Probleme Politik, Kommerz und Frömmigkeit miteinander vereinen konnten.
Die Markuskirche und der danebengelegene Dogensitz entwickelten sich so zum religiösen und politischen Zentrum der Stadt. Die Markuskirche wurde zur Basis der religiösen Legitimierung des Dogenamtes und mittelbar des venezianischen Gemeinschaftsbewusstseins.
Der Dogenpalast als das Symbol der ausübenden Macht Venedigs bediente sich nicht einer wehrhaften Architektur, viel eher reflektierte er den offenen Blick der Serenissima in die Welt. Die Architektur des venezianischen Palastes nahm, wie überhaupt das gesamte Bild der Stadt, in Europa eine Sonderstellung ein, er war offen und zugänglich und spiegelte damit die weltoffene Grundhaltung der Venezianer wieder. So auch der Dogenpalast, der in seiner Gesamtheit das Ergebnis einer Jahrhunderte andauernden Baugeschichte darstellte. Dieser Palast war zu gleicher Zeit Residenz des Dogen und politischer Amtspalast, und die gesamte Anlage führte jedem sinnbildhaft die Sonderfunktion der Serenissima und ihren Machtanspruch vor Augen.
Vom Markusplatz aus ist es ein Leichtes für den Besucher, sich im Gassengewirr dieser faszinierenden Stadt zu verlieren, die seit dem 16. Jahrhundert wenig an ihrer Struktur verändert hat. Wenn man den Torbogen des Uhrenturms aus dem 15. Jahrhundert durchquert, auf dessen Plattform in Bronze gegossene, damals so genannte „Mohren“ noch heute mit schweren Hämmern die Stunde schlagen, taucht man ein in die Mercerie, Venedigs betriebsames Handelsgeschäftsviertel. Schlendernd gelangt man von hier zur Rialtobrücke, die erst Ende des 16. Jahrhunderts entstand, und zum Canale Grande. Der Canale Grande war und ist Venedigs wichtigste Verkehrsader, und längs dieses Hauptkanals reihen sich die schönsten Paläste, die, wie es scheint, direkt aus dem Wasser emporragen. Gassen und Gässchen, Campietti, Kanäle und rund 400 Brücken bilden bis heute das faszinierende Stadtbild Venedigs. Es fällt einem nicht schwer, sich mithilfe venezianischer Veduten in die historischen Zeitepochen Venedigs zurückzuversetzen.
Im 16. Jahrhundert war Venedig die Medienstadt schlechthin. Prozessionen, Staatsschauspiele, religiöse Feierlichkeiten und prunkvolle Feste waren an der Tagesordnung. Viele dieser Traditionen überlebten in Ansätzen bis heute und behielten ihren ursprünglichen Charakter bei.
Die künstlerische Schönheit der Serenissima bot den idealen Rahmen dieser bezaubernden Feste: ideale Schaubühne tief frömmiger Prozessionen, selbstverherrlichender Schauspiele und farbenfroher Inszenierungen aller Art. Die Vielzahl der Feste, die in Venedig gefeiert wurde, und der Aufwand, der damit einherging, muss unvorstellbar gewesen sein. Zahlreiche literarische Texte und Gemälde zeugen davon.
An der Lust am Feiern konnten auch die Luxusgesetze, die zum ersten Mal 1299 zur Regelung der privaten Lebenshaltung formuliert worden waren, wenig ändern. Diese Gesetze hatten das Ziel, die sozialen Unterschiede und die Diskrepanz zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft nicht zu deutlich hervortreten zu lassen. In der Praxis aber ist dies im venezianischen Alltag wenig beachtet worden. Immer wieder wurden diese Gesetze neu erlassen und der Zeit angepasst. Allerdings wurden sie wenig bis gar nicht von den wohlhabenden Venezianern beachtet, die Proteste, Ausflüchte oder Arten und Weisen fanden, diese Gesetze zu umgehen. Kaum eine Frau verzichtete darauf Schmuck zu tragen oder sich in wertvolle Stoffe zu hüllen; Ähnliches galt für die höhergestellten Herren der Gesellschaft. Man handelte europaweit mit Luxus und so trug man ihn durchaus und gerne auch zur Schau.
Die Luxusgesetze sollten nicht nur den Habitus des einzelnen Bürgers reglementieren, sondern durchaus auch den Pomp an Schiffen und Bauten reduzieren. So wird Mitte des 16. Jahrhunderts ein Verbot erlassen, die Gondeln bunt zu bemalen und mit Pelzen und wertvollen Stoffen auszukleiden. Die heutigen schwarzen Gondeln haben ihren Ursprung in dieser staatlichen Verordnung. Nur staatlich genutzte Gondeln oder Prachtgaleeren durften prunkvoll ausgestattet werden.
Bei Staatsbesuchen und traditionellen Festen waren die Luxusgesetze außer Kraft gesetzt, und ganz Venedig wohnte diesen Schauspielen mit Inbrunst und persönlicher Anteilnahme bei. So wird berichtet, dass beim Aufenthalt König Heinrichs III. von Frankreich (1574) an nichts gespart wurde. Der König wurde mit einer Prachtgaleere vom Meer aus zum Markusplatz geführt; hier inszenierte sich Venedig mit seinem unvergleichlichen Schauspiel zwischen Markusbasilika und Dogenpalast. Um den französischen König noch weiter zu beeindrucken, hatte der Architekt Palladio einen Triumphbogen aus Holz errichtet, und in einem drachenförmigen Ofen wurde dem König die Glasbläserkunst vorgeführt. An dem sich anschließenden Bankett sollen 3000 Gäste teilgenommen haben, die mit 1200 verschiedenen erlesenen Speisen verwöhnt worden seien.
Eines der ältesten, schönsten und wichtigsten Staatsfeste, an dem die gesamte Stadt mit inbrünstiger Hingabe teilnahm, war die sensa, die Vermählung des Dogen mit dem Meer. Dieses Fest hat seinen Ursprung im Frieden von Venedig 1177 und vermischt sich mit Christi Himmelfahrt. Die sensa demonstriert eindrücklich Venedigs Macht über das Meer. Nachdem der Doge an der morgendlichen Messe in der Markusbasilika teilgenommen hatte, betrat er den Markusplatz, wo sich die signoria versammelt hatte. Begleitet vom päpstlichen Nuntius und dem französischen Botschafter schritt der amtierende Doge über eine eigens dafür errichtete Brücke in den Bucintoro, eine prachtvolle Repräsentationsgaleere, die eigens für festliche Anlässe gestaltet worden war, geschmückt mit der Flagge der Republik und im Inneren prunkvoll mit wertvollen Stoffen ausgekleidet. Das Äußere blendete mit Rot- und Goldtönen die Zuschauer und kontrastierte die blaugrüne Farbe der Kanäle und des Meeres. Ein Zug von hunderten von Booten, von Musik begleitet, eskortierte die Staatsgaleere sodann an den Lido. Hier kam dem Dogen auf einer Peotta der Patriarch von Venedig mit einigen Geistlichen entgegen, um die Vermählung zu segnen. Nun wurde der Doge auf das offene Meer hinaus gerudert, wo er einen goldenen Ring als Symbol der Vermählung in die Fluten des Meeres warf. Das historische Ereignis des Friedenschlusses legitimierte dieses Fest und bestätigte die diplomatische Führungsrolle, die Venedig von nun an in Europa beanspruchte.
Eine weitere Feierlichkeit ist die seit dem Mittelalter im September abgehaltene historische Regata storica, festgehalten in einem Gemälde von Jacopo de Barbarì aus dem 16. Jahrhundert, womit auch dieses Fest sich in die Bildmemoria einprägte; eine Art Wettkampf entlang des Canale Grande zwischen den unterschiedlichen Wassergefährten – den barcaioli, gondolieri, regate – der Lagunenstadt.
Ebenfalls auf mittelalterliche Traditionen zurückzuführen ist der Karneval in Venedig. Seinen Ursprung begründete er in den römischen Saturnalien. Die Dogen erlaubten dem einfachen Volk Vergnügungen und rauschende Feste, ein Stück Freiheit für alle, in der sonst so politisch und moralisch reglementierten Republik. Während des Karnevals durfte jeder hemmungslos den Feierlichkeiten frönen, unerkannt hinter den Masken versteckt. Die venezianische Maske bestand aus einem Mantel von schwarzer Seide und als Kopfbedeckung eine bauta, eine Kappe, welche den Kopf bis ans Kinn bedeckte und bis über die Schultern hinabreichte. Das Gesicht war mit einer weißen Wachsmaske bedeckt, die bis auf den Mund reichte. Dies war die Tracht für beiderlei Geschlecht. Mehr und mehr entwickelten sich im Laufe der Zeit verschiedene Maskierungen. Rauschende Feste, phantasievolle Masken, Musik und Gesang belebten die Gassen in Venedig zu den Zeiten des Karnevals. Im 18. Jahrhundert wurde der Karneval auch in Europa immer mehr zur Institution. In Venedig aber hatte er seine erste Hochzeit, in engem Austausch mit dem Theater und der „comedia dell‘arte“ von Carlo Goldoni. Beides, Karneval und Theater, wurden somit hoffähig.
„Die Rückkehr des Bucintoro an der Mole vor dem Dogenpalast“. Gemälde von Canaletto, um 1727/29.
Im 16. und 17. Jahrhundert kamen die religiösen Feste des Redentore auf, gefeiert am 3. Sonntag im Juli, um an die Errettung von der Pest 1576 zu erinnern, sowie der Santa Maria della Salute am 21. November, zum Dank für die Errettung von der Pest von 1630.
Im Laufe des 16. Jahrhundert hatte Venedig den Zenit als Handelsmacht bereits überschritten. Abgelöst wurde diese Vorrangstellung von der Hochblüte der Künste und der Entwicklung der venezianischen Botschafter zu den akkuratesten Beobachtern des internationalen Mächteringens in Europa. Sie bewegten sich auf dem schwierigen Parkett der europäischen Königshöfe und Adelshäuser mit Geschick und Gewandtheit und lieferten detailgetreue, minutiöse Beschreibungen von Personalien und politischen Zusammenhängen. Die Kunst hingegen demonstrierte, was Venedig in Europa war: Bewundert, begehrt, reich, schön und oft das Zünglein an der Waage in schwierigen Entscheidungen zwischen Papst und Kaiser. Eine Vermittlerrolle, die Venedig sich immer wieder teuer bezahlen ließ.
So wird die Kunst zum Instrument der Legitimation von Status und Selbstdarstellung, und die Künstler waren mehr als nur Maler, sie waren Darsteller – oft auch Hauptdarsteller – ihrer selbst, der Stadt und der weltgewandten Liberalität, die für Venedig so charakteristisch war.
So beruhte Venedigs zauberhafte Schönheit nicht nur auf seinem Reichtum und der damit verbundenen großzügigen Kunstpatronage seiner Kaufleute. Venedigs Schönheit erwuchs aus einer Verschmelzung verschiedener Elemente, die sich über Jahrhunderte hinweg in einem stetigen Prozess zu einem Ganzen vereinten. Der griechisch-byzantinische Einfluss in Verbindung mit den lateinischen Traditionen des Westens bilden die Hauptelemente der venezianischen Besonderheit. Hinzu kam Venedigs einzigartige geographische Lage: Diese Stadt liegt im Wasser, das einen natürlichen Schutzwall bot; es war die Lagune selbst, die Venedig zu einer sicheren Stadt machte.
Venedig entwickelte durch diese einzigartige Lage einen ganz eigenen Stil, der sich vom Festland grundlegend unterschied. Man findet in Venedig keine festungsartigen Bauten und Mauern, sondern eine Architektur mit geradezu offenem, zugänglichem Charakter, eine demonstrative Leichtigkeit, sei es bei den öffentlichen Gebäuden oder auch bei den privaten Palästen. Gleichzeitig gehörte zu der Architektur in Venedig das Element der Selbstzelebration, die heute noch die Besucher fasziniert. Aus den ursprünglich einfachen, aus Holz gebauten Häusern entstanden mit dem wachsenden Reichtum prächtige Paläste mit marmorner Fassade. Der Venezianer selbst bezeichnete seinen Palast allerdings weiterhin als casa. Der einzige Palast, der in Venedig als solcher bezeichnet wurde, war der Dogenpalst, und es entsprach wiederum dem politischen Selbstverständnis der Venezianer, sich in ihrer Gesamtheit dem Dogen als gewähltem Oberhaupt unterzuordnen.
Die venezianische Architektur ging schon immer einen Sonderweg in Europa, ob nun Haus, Palast oder Kirche, sie blieb dem Einfluss Konstantinopels untergeordnet.
Am deutlichsten wird dies bei der Markuskirche: Die weithin sichtbaren Kuppeln, die den Markusplatz überragen, erinnern eher an eine orientalische Stadt als an eine zu Italien gehörige Republik.
Bis weit ins 14. Jahrhundert blieb die bildende Kunst in Venedig den östlichen Traditionen verhaftet. Der Wandel und eine langsame Orientierung gen Westen vollzog sich erst im Laufe des 15. Jahrhunderts, parallel zur politischen Entwicklung der Stadt, als die Venezianer anfingen, ihren Blick auf die terra ferma zu richten.
Beispielgebend für diese Entwicklung war die Werkstatt von Giovanni und Gentile Bellini. Mit den Arbeiten der Bellini-Brüder setzte sich in Venedig endgültig die Ölmalerei auf Tafel und später Leinwand durch und löste die bis dahin vorherrschende Kunst der Ikonen und Mosaike ab.
Die Kunstproduktion war in Venedig weitgehend reglementiert. Es gab zwar einzelne sich selbstverwaltende Werkstätten, die die Kunstproduktion in der Stadt mitbestimmten – wie die der Bellini –, aber der Großteil wurde von den in Venedig existierenden scuole bestimmt. Diese scuole waren karitative kirchliche Vereinigungen, deren Existenzberechtigung an die Verknüpfung von religiösen und sozialen Aufgaben gebunden war. Gleichzeitig investierten diese scuole in die Entwicklung der Künste und trugen so zur Ausgestaltung in Kirchen und Palästen bei. Betuchte nobili und finanzkräftige Handelsfamilien fanden hier Raum und Künstler, die dank großzügiger Zahlungen für soziale Zwecke bereit waren, dem spendenden Kunstpatron mit glorreichen Festtagsbildern in seiner Selbstdarstellung behilflich zu sein.
In Venedig gab es vier scuole grandi. Die Mitgliedschaft erhielt man entweder durch Auswahlverfahren oder man kaufte sich ein, wie Jacopo Tintoretto, dessen grandiose Innenausgestaltung der Scuola di San Rocco noch heute zu bewundern ist.
Zu den frühen Künstlernamen in Venedig, die diesen Wandel begleiteten, gehörten Giovanni und Gentile Bellini und Vittore Carpaccio. Der junge Giorgione faszinierte durch seine vollkommen neue Art der Bildgestaltung und die Nuancierung der Farben. Er hinterließ durch seinen frühem Tod ein unvollendetes Erbe.
Jacopo Tintoretto gehörte zu jener kleinen Gruppe von Malern, deren Namen mit der Blütezeit der Serenissima im 16. Jahrhundert unauflöslich verbunden war. Geneinsam oder eher in ausgeprägter Konkurrenz zu Tizian und Paolo Veronese prägte er das Bild, das man sich in Europa von Venedig machte.
In der Architektur machten sich Jacopo Sansovino und Andrea Palladio einen großen Namen. Und eine Führungsrolle weit über das 16. Jahrhundert hinaus behielt Venedig auch in der Musik und der Theaterkunst.
Venedig zeigte sich Mitte des 16. Jh. von seiner schönsten Seite. Die Stadt war eine der größten europäischen Städte, eines der wichtigsten und größten Handelszentren und verband den Okzident mit dem Orient. Der überwiegende Teil des Handels zwischen Westeuropa und dem östlichen Mittelmeer wurde über die Republik abgewickelt. Die Republik unterhielt die meisten Handels- und Kriegsschiffe, und ihr Adel profitierte gründlich vom Handel mit importierten Luxuswaren. Dank dieses florierenden Handels entwickelte sich Venedig auch zu einem der größten Finanzzentren in Europa.
Keine zweite Stadt in Europa nutzte ihr ständisches Ordnungssystem so entschieden zur effizienten Arbeitsaufteilung. An der Spitze der Republik stand der Doge, der Adel bestimmte die Politik und übernahm die Verwaltung ebenso wie die Kriegs- und Flottenführung, während die bürgerlichen Kaufleute für die Beschaffung von Geldmitteln und die Wertschöpfung durch Handel und die Produktion von Luxusgütern verantwortlich waren. Der Rest der Bevölkerung stellte Soldaten und Matrosen und sorgte für das Handwerk – ein System der Gemeinschaft im Dienste der Republik, des Dogen und des Heiligen Markus. Alle Bewohner waren ein aktiver Teil dieses Systems und somit gemeinsam verantwortlich für den Erfolg der venezianischen Republik. Das Prinzip des gewählten Herrschers und der Gewaltenteilung sorgte in Venedig für eine zu dieser Zeit außergewöhnlich stabile politische Lage. Aus ideologischen und religiösen Streitigkeiten hielt man sich weitgehend heraus. Ärger gab es allenfalls mit dem Papst, der nicht immer mit der Liberalität Venedigs einverstanden war – Venedig versus Rom, ein nicht immer ganz einfaches Verhältnis.
Die Republik war, auch wenn sie den Zenit als Handelsmetropole bereits überschritten hatte, die unangefochtene Mittelmeermetropole im Europa des 16. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer kulturellen Hochblüte. Und deren unbestrittener Hauptdarsteller war Tiziano Vecellio. Tizian wurde zum Exportschlager von Venedig, da er es schaffte, Verbindungen zwischen der Republik und den politischen Akteuren in Italien und Europa herzustellen. Künstlerverleih und Auftragsvergabe wurden als politisches Instrument genutzt, um die Mächtigen wohlwollend an die Republik zu binden. So war Tizian Künstler und Diplomat zugleich und fungierte als Werbeagent und Imagepfleger. Er war als Beauftragter ein unschätzbares Instrument der Serenissima und wurde ausgesandt zum Knüpfen weitreichender Verbindungen.
1531 bezog Tizian ein Haus in Biri Grande und mietete zunächst nur die obere Etage, um 1537/39 übernahm er dann auch die restlichen Wohnungen. 1549 erweiterte er sein Areal nochmals, als er ein angrenzendes, freies Grundstück pachtete. So wurde Tizians Haus durch seinen Garten und seine Größe prächtiger als alle andern Künstlerwohnungen in Venedig. Es war zwar kein Palast, aber wegen seiner Größe trug es den Namen Ca’ Grande.
Tizians Haus in Biri Grande in der Gemeinde von San Canciano (im heutigen Cannaregio) lag damals am nordöstlichen Stadtrand inmitten von Gärten und mit freiem Blick über die Lagune nach Murano und auf das Festland, an besonders klaren Tagen konnte man sogar die Alpen sehen.
Vasari wusste zu berichten, dass Tizians Wohnhaus und Werkstatt zu einer Sehenswürdigkeit in Venedig geworden sei. Hier empfing Tizian viele fremde Prinzen, Gelehrte, Edelmänner, Agenten und Diplomaten.
Tizian war nicht nur Meister seiner Kunst, sondern auch überaus gastfreundlich, von feiner Bildung, edlen Sitten und Benehmen (so ein zeitgenössischer Biograph). Immer wieder wurde berichtet, dass er ein großzügiger Gastgeber gewesen sei, der mit gutem Essen eine besonders anregende Atmosphäre für künstlerischen und geistigen Austausch zu schaffen wusste. Elegant gekleidete Damen, wohlriechende Düfte aus dem Orient (die sich mit dem Geruch von Öl und Farbe mischten), erlesene Speisen, anregende Konversation, begleitet von Musik und dem leisen, allgegenwärtigen Plätschern des Wassers in den Kanälen, so darf man sich wohl diese Zusammenkünfte vorstellen.
Wieder zu Hause, konnte man sich dann dieser Begegnungen rühmen. Gleichzeitig verbreitete sich somit der ohnehin schon große Ruhm des Künstlers. Da Tizian in diesem Haus Werkstatt und Wohnung vereinte, gab es auch immer eine Art Führung durch die neuen, im Entstehen begriffenen Werke.
Tizians Wohnhaus am heutigen Campo del Tiziano in Cannaregio.
So gingen die Agenten, Abgesandten und Botschafter seiner hohen Auftraggeber bei ihm ein und aus, und in ihren Briefen berichteten sie von den Gemälden, an denen Tizian gerade arbeitete, von den Gästen und den geführten Konversationen. Gerade dies wusste Tizian immer wieder zu seinen Gunsten zu nutzen, um an neue, prestigeträchtige Aufträge zu gelangen.
Gleichzeitig war Tizians Haus aber auch Treffpunkt für einen Freundeskreis venezianischer Künstler und Gelehrter. Die wichtigsten Mitglieder dieses Zirkels waren Pietro Aretino, der seit 1526 in Venedig weilte und dessen kritische Kommentare in Sachen Kunst, Politik und Gesellschaft weithin gefürchtet waren, und Jacopo Sansovino, der in Florenz geborene Architekt, der vor allem in Rom gearbeitete hatte und dann 1527 vor dem Sacco di Roma nach Venedig geflohen war. Hier avancierte er zu einem der führenden Renaissance-Baumeister der Republik.
Die drei Freunde bildeten ein Triumvirat, deren Gespräche und Lustbarkeiten in Tizians gastfreundlichem Haus Aretino in zahlreichen seiner Briefe beschrieb. Um die Freunde gruppierten sich weitere venezianische und ausländische Gelehrte und Künstler. Dazu gehörte auch Lodovico Dolce, der erste Tizian-Biograph.
Es gibt eindrucksvolle zeitgenössische Schilderungen dieser Abende, und mit Sicherheit haben dieser internationale Austausch und die Mitteilungen aus aller Welt, die auf diese Weise zu Tizian drangen, seinen Wissenshorizont und seinen Blick auf die Welt erweitert und ihn entscheidend bereichert.
Die Grundmauern des Hauses stehen noch, eine marmorne Tafel erinnert an seinen illustren Bewohner. Die innere Aufteilung ist längst verändert, der Garten verschwunden. Von der Lagune ist das Haus heute durch die „Fondamenta Nuova“ getrennt, eine Landaufschüttung aus dem Jahr 1595. So ist der freie Blick, den man vom Garten auf die Lagune hatte, nur noch eine vage Vorstellung.
Die Ca’ Grande, einst Tizians Haus, bleibt Ort der Geschichte und der Kunst. Heute logiert hier ein Geschäft für Gold, welches mit Glanz und Verblendung versucht, neugierige Touristen anzuziehen, und dennoch möchte ich mir einbilden, es rieche noch immer nach Farbe, stehendem Wasser und Salz.
