Max Verstappen - André Hoogeboom - E-Book

Max Verstappen E-Book

André Hoogeboom

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Beschreibung

Max Verstappen ist der neue Superstar der Formel 1. In eine Motorsportfamilie geboren, beginnt er mit vier Jahren das Kartfahren und ist 2015, mit nur 17 Jahren, der jüngste Formel-1-Pilot, der jemals bei einem Grand Prix-Rennen antreten durfte. Nach seinem ersten Sieg 2016 war klar: Hier steht ein neuer Weltmeisterkandidat, und im Winter 2021 erreicht er sein Ziel nach einem nervenaufreibenden Duell mit Lewis Hamilton. Mit Ehrgeiz und Angriffslust steuert Max Verstappen von einem Rekord zum nächsten. Hoogebooms Biografie beobachtet seinen rasanten Aufstieg zu weltweitem Ruhm, beleuchtet jeden Karriereschritt und zeichnet eine faszinierende Charakterstudie dieses Ausnahmetalents.

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Inhalt
CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumZitatMax Emilian VerstappenProlog - In erster Linie ein SiegerTeil I - Wie alles kam1 Japan 2014: Die ersten Formel-1-Meter eines Teenagers2 Spanien, 15. Mai 20163 Anfänge4 Die Geschichte neu geschrieben5 Genk: Die Rennbahn der Champions6 Der Reifenprofessor7 Die Mickymaus-Strecke8 Reiseziel USA 20149 2014: Formel 310 Intermezzo 2016: Eine besondere Begegnung mit Johan CruijffTeil II - Die Formel 1Intro: Gemetzel in Copse Corner11 »Immer mit der Ruhe«12 Monaco13 Der Reifenflüsterer14 Helmut Marko15 Sir Jackie Stewart16 Die Geheimnisse der Lenkung17 Die britische Sichtweise18 Seine schönsten Rennen19 ZitateEpilog - Wenn es nicht anders geht, muss es eben so gehen
Über dieses Buch

Max Verstappen ist der neue Superstar der Formel 1. In eine Motorsportfamilie geboren, beginnt er mit vier Jahren das Kartfahren und ist 2015, mit nur 17 Jahren, der jüngste Formel-1-Pilot, der jemals bei einem Grand Prix-Rennen antreten durfte. Nach seinem ersten Sieg 2016 war klar: Hier steht ein neuer Weltmeisterkandidat, und im Winter 2021 erreicht er sein Ziel nach einem nervenaufreibenden Duell mit Lewis Hamilton. Mit Ehrgeiz und Angriffslust steuert Max Verstappen von einem Rekord zum nächsten. Hoogebooms Biografie beobachtet seinen rasanten Aufstieg zu weltweitem Ruhm, beleuchtet jeden Karriereschritt und zeichnet eine faszinierende Charakterstudie dieses Ausnahmetalents.

Über den Autor

André Hoogeboom ist niederländischer Journalist und Autor mit dem Schwerpunkt Formel 1. Seine Buch, für das er zahlreiche Menschen aus Verstappens Umfeld interviewte, wurde erstmals 2016 in den Niederlanden veröffentlicht und seitdem stetig aktualisiert. Es hat sich über 100.000 Mal verkauft. Hoogeboom veröffentlichte weitere Bücher über Motorsport sowie zwei Romane. Er lebt in Alkmaar.

LÜBBE

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der niederländischen Originalausgabe:

»MAX«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2021 André Hoogeboom

Published by arrangement with Xander Uitgevers bv, Haarlem

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Ulrike Strerath-Bolz, Friedberg

Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Billenach einem Originalentwurf von © Villa Grafica

Covermotiv: © picture alliance / dpa / Sander Koning

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-2930-7

luebbe.de

lesejury.de

Having fun is serious business –Spaß haben ist eine ernste Angelegenheit

Bruce Springsteen

Max Emilian Verstappen

Geboren am 30. September 1997

in Hasselt (Belgien)

Staatsangehörigkeit: Niederländisch

Sohn von Jos Verstappen (ehemaliger Formel-1-Fahrer)

und

Sophie Kumpen (ehemalige Kartfahrerin)

Prolog

In erster Linie ein Sieger

Seit dem Erscheinen dieses Buches im Jahr 2016 hat sich bei Max Verstappen eine ganze Menge getan. Der blasse, etwas schlaksige Siebzehnjährige mit Resten von Pubertätspickeln im Gesicht ist 2021 zu einem beeindruckenden Weltmeister herangewachsen und hat der Formel 1 damit ein Facelifting verpasst, für Änderungen in den Regeln gesorgt, den Sport aufregend gemacht und es geschafft, dass man die Niederlande im Motorsport wieder wahrnimmt. Das Ausmaß seines Einflusses lässt sich weder überschätzen noch relativieren. Die Formel 1 findet weltweit Beachtung, spricht alle Generationen an, ist modern, dynamisch und rücksichtslos ehrgeizig. Als siebzehnjähriger Junge fühlte sich Max Verstappen dort sofort wie zu Hause, als junger Erwachsener sicherte er sich eine Pole Position und einen Grand-Prix-Sieg nach dem anderen. Zuerst noch zögernd, später überzeugend.

Von den Vereinigten Staaten bis nach Brasilien, von Japan bis nach Großbritannien – überall ist sein Name ein Begriff. In seinem Heimatland hat er zwar noch keinen gottgleichen Status erlangt, macht jedoch jemand anderem mit den Initialen »JC« Konkurrenz: dem Fußballspieler Johan Cruijff. Mit seinem Weltmeistertitel hat Max Verstappen die Fußballlegende sogar überholt.

Max Verstappen war dann doch aus härterem Holz geschnitzt. Sein höchstes Ziel stellte immer der Weltmeistertitel dar, quasi von dem Augenblick an, als ihn sein Vater Jos zum ersten Mal für ein professionelles Kartrennen anmeldete. Während es dem Fußballer Cruijff darum gegangen war, den schönstmöglichen Fußball zu spielen, wollten die Verstappens – Vater Jos genauso sehr wie Max – sich den Weltmeistertitel holen. Einfach nur gewinnen war nie genug. Am Ende einer langen Saison zählt nur eines: der Titel. Und ein Titel reicht in den Augen eines Rennfahrers nicht. Die Gier nach Erfolg wird erst wirklich gestillt, wenn man mehrere Meisterschaften für sich entschieden hat. Mindestens drei. Und am besten mehr als sieben, damit ein Verstappen mit den größten Rennfahrern auf diesem Planeten gleichziehen kann: mit Michael Schumacher und Lewis Hamilton.

Max Verstappen hat dafür gesorgt, dass die Niederlande im internationalen Motorsport heute so präsent sind wie nie zuvor. Bis zu seinem ersten Sieg 2016 in Barcelona spielten niederländische Rennfahrer allenfalls Nebenrollen. Nur bei den 24 Stunden von Le Mans war es zu wirklich denkwürdigen Erfolgen gekommen, und zwar durch Jan Lammers und Gijs van Lennep, die beide das hoch angesehene Langstreckenrennen für sich entscheiden konnten. In der Formel 1 galten die Niederländer als Bruchpiloten und Backmarker; wider besseres Wissen dienten sie als Füllmaterial für das Fahrerfeld.

Max Verstappens Rolle im Motorsport ist so bedeutsam, dass die Niederlande sich sogar den Großen Preis zurückgeholt haben. Menno de Jong, einer der Eigentümer der Rennstrecke in Zandvoort, das 2021 nach sechsunddreißigjähriger Abwesenheit wieder in den Formel-1-Jahreskalender aufgenommen wurde, hat das ganz unumwunden zugegeben: »Ohne Max wäre von einem Großen Preis der Niederlande nie die Rede gewesen, und ohne Max hat es auch keinen Sinn, hier einen abzuhalten.«

Ein Großer Preis der Niederlande wäre kurzum unvorstellbar, hätte sich kein Verstappen einen Namen in der Formel 1 gemacht.

Außerdem hat Max Verstappen mit seinen Anfang zwanzig wahrscheinlich noch mehr als ein Jahrzehnt im Motorsport vor sich. Ob er jemals Hamilton oder Schumacher in Sachen Rekorde übertreffen wird, muss vorerst Spekulation bleiben. Er selbst wäre mit drei Weltmeistertiteln zufrieden. Dann könnte er sich schließlich bereits zwischen die Großen des Sports einreihen: Ayrton Senna, Alain Prost (der sich im Übrigen vier Weltmeistertitel sicherte) und nicht zu vergessen Sebastian Vettel. Ikonen der Formel 1, Rennfahrer mit glänzenden Auszeichnungen in einem grimmigen und extrem auf Rivalität ausgerichteten Sport. Darüber hinaus stehen diesem Ziel zu viele Variablen und Unwägbarkeiten entgegen: Regeländerungen, Stillstand in der Technik, dummes Pech oder … ein Corona-Virus.

Wenn es aber nur um reines, unumstrittenes Talent geht – ja, dann besteht diese Möglichkeit, da sind sich die Experten durchaus einig. In den Niederlanden war schon bald ein kleiner Kreis rund um den Rennfahrer von seinen Qualitäten überzeugt. Und im Ausland wurde David Coulthard rasch zu einem großen Fan des jungen Mannes. Zu Max Verstappens Fangemeinde gehörten auch Peter Windsor, der wohl erfahrenste Formel-1-Journalist Großbritanniens, und Will Buxton, der miterlebt hatte, wie Max als Sechzehnjähriger in einer US-Zwischenkategorie Außerordentliches leistete. Der dreifache Weltmeister Sir Jackie Stewart weiß, wie man mit dem Druck umgehen muss, wenn es gilt, auf dem höchsten Level Leistung zu bringen: »In diesem Sport ist es am allerwichtigsten, dass man seinen Kopf unter Kontrolle hat. Das kann Max Verstappen gut, auch wenn er in seinen Anfangsjahren ein bisschen wild war.« Inzwischen gehört Max Verstappen zu den ganz Großen – ob er nun drei, vier oder acht Weltmeistertitel holt, ist da unwesentlich.

In gewisser Hinsicht hat Max Verstappen den Sport von einer ziemlich langweiligen Vorhersagbarkeit befreit. Stattdessen hat er ihm – welche Ironie! – eine neue Vorhersagbarkeit verliehen. Das liegt daran, dass er trotz seiner ganzen erinnerungswürdigen Rennen und Überholmanöver am liebsten andere überholt und sich den Sieg sichert, ohne dass ihn jemand wirklich herausfordern kann, wie unter anderem 2021 in Österreich und Monaco, Mexiko und Zandvoort. Einer seiner Begleiter bestätigt das im vorliegenden Buch: »Wenn man Max einen guten Wagen gibt, fährt er direkt nach dem Start dem ganzen Feld davon. Die anderen sehen ihn gar nicht mehr, erst wieder nach dem Rennen.« Max Verstappen bekräftigt das: »So gewinne ich auch am liebsten.«

Bernie Ecclestone, der hochbetagte Zar der Formel 1, stellte Mitte des Jahres 2021 sichtlich erfreut fest, dass die Zeiten von Lewis Hamilton vorbei sind. Ecclestones Erinnerungen zufolge hat es der Formel 1 mehr geschadet als genutzt, dass Michael Schumacher sie lange Zeit dominierte. Ein Sport kann richtiggehend aufblühen, wenn seine Helden einander rasch ablösen. In Statistiken macht sich das Feiern von Superhelden immer gut; eine solche Phase sollte jedoch nicht zu lange andauern, sonst verwandelt sich das Ganze in eine Diktatur. Ein Held, der vom Sockel stürzt, bringt viel mehr Publicity und damit auch viel höheren finanziellen Gewinn. Schließlich geht es Ecclestone vor allem ums Geld. Mit dieser Einstellung ist er zu einem der reichsten Männer des Vereinigten Königreichs geworden.

Max Verstappens Fortschritte, seit er als ganz junger Mann mit Toro Rosso zur Formel 1 kam, sind phänomenal. Sein Aufstieg wurde 2020 brutal von der Corona-Pandemie unterbrochen, die die ganze Welt (und damit auch die Formel 1) stillstehen ließ. In seinem ersten Jahr, 2015, landete er mit Toro Rosso auf Platz zwölf in der Meisterschaftsrangliste. Danach wurde er 2016 (hauptsächlich im Team Red Bull) Fünfter, 2017 – nach sage und schreibe sieben Ausfällen anderer Fahrer – Sechster, 2018 Vierter und sowohl 2019 als auch 2020 Dritter, und zwar mit dem überaus zuverlässigen neuen Honda-Motor, der kein einziges Mal versagte.

Bis zum Ende dieses Jahres hatte Max Verstappen insgesamt zwanzig Formel-1-Rennen für sich entschieden. Damit hat er sich als phänomenaler Sportler erwiesen, der auf eine noch mindestens zehnjährige Karriere hoffen darf.

In der Formel 1 liebt man Rekorde und Listen heiß und innig. Für jeden einzelnen Bereich dieses Sports gibt es Listen mit Rekordhaltern. Max Verstappen hat sich bereits eine schwindelerregend hohe Anzahl dieser Positionen sichern können, nämlich als …

jüngster Fahrer, der bei einem Grand Prix antrat (2015 in Australien, im Alter von siebzehn Jahren und 166 Tagen)jüngster Fahrer, der in einem Grand Prix Punkte holte (2015 in Malaysia, im Alter von siebzehn Jahren und 180 Tagen)jüngster Fahrer, der in einem Grand Prix in Führung ging (2016 in Spanien, im Alter von achtzehn Jahren und 228 Tagen)jüngster Fahrer auf dem Grand-Prix-Podest (ebenda)jüngster Grand-Prix-Sieger (ebenda)jüngster Fahrer mit der schnellsten Rennrunde (2016 in Brasilien)jüngster Gewinner mit zwei aufeinanderfolgenden Siegen (2017 und 2018 in Mexiko, außerdem 2018 und 2019 in Österreich)jüngster Gewinner eines Grand Slam (2021 in Österreich mit der Pole Position, der schnellsten Runde, dem Sieg und der Führung in allen Runden)

Bei seinem Debüt als Siebzehnjähriger 2015 waren nur wenige Beobachter, Sportfans und Unterstützer von Max Verstappens Talent überzeugt. Voller Herablassung dachten sie an seinen Vater Jos zurück: Der war auch schnell gewesen, aber ungestüm und ziemlich impulsiv. Das da war doch ein Kind, der Sohn eines Fahrers, der sich zehn Jahre lang die Zähne an der harten Realität der Königsklasse ausgebissen hatte und dem dabei nur hin und wieder ein Erfolg gelungen war. Siebzehn Jahre alt? Mal halblang jetzt! Und wie weit fällt ein Apfel schon vom Stamm?

Aber sie hatten nicht mitbekommen, wie Verstappen junior und senior in relativer Anonymität ein enorm starkes Band geknüpft hatten. Der Vater war sich bald bewusst, welches Erbe da in seinem Sohn schlummerte, und was vielleicht genauso wichtig war: Er wusste aus eigener leidvoller Erfahrung ganz genau, wie man es auf dem Weg in die Formel 1 anstellen muss.

In seinen jüngeren Jahren war Max Verstappen ein ungeschliffener Diamant, doch Verstappen senior und sein unmittelbarer Kreis erkannten schon bald sein Potenzial. Paul Lemmens, der Eigentümer der berühmten Kartbahn in Genk, sah zu, wie Max dort (auf)wuchs, und er bekam mit, wie Vater und Sohn (auch den damals so begeisterten Jos hatte er schon als Jungen gekannt) sich verhielten. Er erkannte das Meisterschaftsmaterial. Als Siebzehnjähriger absolvierte Max Verstappen sein erstes Kartrennen und wurde sofort Champion der »Minis«. Außerdem fiel Lemmens auf, wie gut Vater und Sohn miteinander umgingen. Max wurde nie gepusht. Tatsächlich war er es oft, der kein Halten kannte. Er schrie dann seinem Vater zu: »Los, Pa, noch eine Runde.«

Geduldig – das allerdings nicht immer, dazu später mehr – wurde er von einem professionellen Team betreut, zu dem Huub Rothengatter gehörte, Jos Verstappens ehemaliger Manager. In allen Einzelheiten bereitete man Max Verstappen auf seine großen Zeiten vor. Er reiste in die Vereinigten Staaten, nach Florida, um dort Teil einer Klasse und eines Rennens zu werden, die nur Insider kennen – eine Idee vom Team Verstappen. Dieses Team bestand damals lediglich aus dem Vater Jos Verstappen, Huub Rothengatter und Raymond Vermeulen (den Managern) und aus Max selbst. Vier Personen und sehr geringe mediale Aufmerksamkeit. Einfach eine Rennserie in der Bruthitze von Florida. Im Februar, einem Monat, in dem man nur an den entlegenen Ecken der Welt Rennen fahren kann. Auf europäischen Rennstrecken tut sich dann in Sachen Einsitzerrennen gar nichts. Jos, der als Rennfahrer selbst sehr ehrgeizig gewesen war, hatte zu seiner Zeit die europäischen Winter gegen den neuseeländischen Sommer eingetauscht. Das hatte ihn viel gekostet und ihm lediglich Erfahrung eingebracht.

In Florida passte Max einen Moment lang nicht auf und fuhr in der Boxengasse auf einen dort stehenden Wagen auf. Das sorgte für finanzielles Kopfzerbrechen im Team Verstappen. Wer sollte für den beträchtlichen Schaden aufkommen? Über große Summen verfügte das Team nicht. Jahrelang hatte der Vater sich darauf konzentriert, seinen Sohn zu trainieren; Einnahmen aus Rennen gab es für ihn nicht mehr. Plötzlich herrschte relativ deutliche Ebbe in der Kasse, die aus den Siegesprämien des Vaters bestanden hatte.

Jos hatte in der Formel 1 viel Geld verdient. Er war für gute Teams gefahren und hatte einen gewitzten Manager gehabt, der den besten Weg durch das Labyrinth des Motorsports kannte. Doch während er sich um die Karriere seines Sohnes kümmerte, hatte Verstappen senior seine Reserven rasend schnell verbraucht. Max Verstappens Karriere auf der Kartbahn hatte ein Vermögen gekostet, und bezahlen musste das alles sein Vater. Einnahmen hatte es nur wenige gegeben, Ausgaben sehr viele. Alles übernahm Jos Verstappen selbst: die Fahrten zu den Rennen, die Benzinkosten, das Tuning des Karts, das Sicherstellen der Wettbewerbsfähigkeit – darin war Jos übrigens besonders gut, und auf diese Weise hätte er sich leicht seinen Lebensunterhalt verdienen können. Stattdessen entschied er sich dafür, in seinen Sohn zu investieren.

Aber irgendwann ist einfach kein Geld mehr übrig. Der Weg nach oben kostet in der Welt des Motorsports sehr viel – vielleicht sogar Millionen. Ayrton Senna stammte beispielsweise aus einer wirklich reichen brasilianischen Familie; er konnte auf Kosten seines Vaters durch die Welt reisen und an Meisterschaften teilnehmen, von denen ein großer Teil in Europa stattfand.

Doch in den Niederlanden gab es keine Geldkiste, die einem einzelnen verheißungsvollen jungen Fahrer zu einer Karriere verholfen hätte. Ein Nachteil, wenn man in der Stille und in relativer Anonymität arbeitet – da war nicht viel Publicity, über die sich Geld hätte einnehmen lassen. Als nun Max in der Boxengasse in Florida diesen stehenden Wagen rammte, weil er gerade die Daten auf seinem Lenkrad überprüfte, entstand ein Schaden von vielen Tausend Dollar. Hinter vorgehaltener Hand fluchte sein Team, hielt den Jungen aber heraus. In einer von der Gesellschaft Verstappen BV unterstützten Sendung sollte Verstappen senior später äußern: »Max darf sich nicht zurückhalten, um eventuelle Schäden zu vermeiden; mit dieser Einstellung kann man keine Rennen fahren.«

Das Abenteuer in Amerika lieferte einen riesigen Erfahrungswert. Außenstehende dürfen dieses Rennen für junge Ferrari-Talente eigentlich nicht gewinnen. »Wenn man weiß, wie der Hase läuft, kann man selbst bestimmen, wie es läuft«, lautete die gelernte Lektion. Im Übrigen hatte Jos auf die harte Tour gelernt, was es in der Königsklasse der Formel 1 auf politischem Gebiet zu lernen gab. Bei Benetton hatte sich Verstappen senior mit Flavio Briatore auseinandersetzen müssen, dem Paten der Formel 1 in den Achtzigern. Nicht unbedingt vertrauenerweckend. Der Journalist David Tremayne erinnert sich: »Es ist kein Geheimnis, dass es bei Benetton zwei verschiedene Wagentypen gab, nämlich einen für Jos und den schnelleren für Michael [Schumacher].«

Vor der Reise nach Florida hatte Max Verstappen bereits einen ziemlich eindrucksvollen Test in einem Formel Renault-Wagen hinter sich. Auch dieser Termin war in aller Heimlichkeit durchgeführt worden; die Gelegenheit dazu hatte ihm ein Kontakt in der Motorsportszene verschafft. Jos Verstappen konnte das Talent seines Sohnes überzeugend darstellen, und Sander Dorsman, der Eigentümer des Teams MP Motorsport, war demgegenüber damals durchaus offen.

Das Ganze hatte in Großbritannien stattgefunden, auf dem Pembrey Racetrack in Südwales, nicht weit von Cardiff. Pembrey ist eine typisch britische Rennstrecke, wo sich der Benzingeruch mit dem Asphalt vermischt hat und man in den Garagen noch die ölgetränkten Putzlappen früherer Nutzer vorfindet. Es könnte sich um einen Ort aus dem Zeitalter von Bernie Ecclestone und Brabham handeln. Herrlich romantisch, ein Zufluchtsort für Menschen mit Sinn für Nostalgie.

Dort absolvierte der junge Max seine ersten Kilometer in einem Einsitzer. Pembrey war ein Test für ihn und seine Leute. Er stellte sich so auffällig gut an, dass der Techniker Tony Shaw manchmal immer noch schweißgebadet aufwacht, weil ihm die Bilder so lebendig vor Augen stehen. Ein solches Talent habe er noch nie zuvor gesehen, berichtete er seinem Chef Dorsman.

Anderswo bekam man nichts davon mit. Nur die Messgeräte der Insider registrierten, was da vor sich ging.

In den Niederlanden blieb man ahnungslos. Wie hätte es auch anders sein können? Seit es in Zandvoort keine entsprechenden Events mehr gab und sich Jos Verstappen aus der Formel 1 verabschiedet hatte, befassten sich die niederländischen Medien quasi gar nicht mehr mit der Formel 1. Für Max Verstappen brachte das den Vorteil, dass kein Hype um ihn entstand. Während die Leute gern den erstbesten jungen Fußballer mit auch nur einem winzigen bisschen Talent als »den nächsten Johan Cruijff« bezeichnen, jedem halbwegs begabten Sänger eine Weltkarriere und jedem leistungsfähigen Radrennfahrer Tour-de-France-Siege voraussagen, sodass sich die Betreffenden vor der Aufmerksamkeit der Medien kaum retten können, merkte beinahe niemand, dass da in Limburg ein Himmelsstürmer herangezogen wurde, einer, der wirklich etwas zu bieten hatte.

Der nächste Schritt würde ein sehr wichtiger sein. Was nun? Max Verstappen war Kart-Weltmeister mit Potenzial für die großen Motorsportrennen, aber gleichzeitig auch noch sehr jung. Manager und Clubs reißen sich um talentierte junge Fußballer, und deren Agenten versprechen ihnen große Reichtümer. Natürlich sah die Zukunft des jungen Max ähnlich rosig aus, doch anstatt dem Team Verstappen Geld einzubringen, hatte dieser Umstand bis dato lediglich Kosten verursacht.

Max’ nächster Schritt würde schnell zum Erfolg führen müssen, sonst wäre alles bisher Erreichte vergebens gewesen. Das Team Verstappen verfügte allerdings über ein starkes Netzwerk. Jeder kannte Jos, und Jos kannte jeden. Auch im Motorsport geht es eher darum, wen man kennt, als darum, wer man ist. Die Formel Renault bot sich an, aber davon war das Team Verstappen nicht übermäßig begeistert.

Die Formel 3 versprach einiges, kostete jedoch sehr viel Geld. Der Zugang zu dem angesehenen Rennstall von Frits van Amersfoort, bei dem große Namen wie Charles Leclerc, Mick Schumacher, Jos Verstappen und zahlreiche niederländische Spitzenfahrer ihre Lehrjahre absolviert hatten, war extrem kostspielig. Ganz kurz hing die Zukunft des Jungen am seidenen Faden. Doch dann zückte Huub Rothengatter persönlich das Portemonnaie.

Noch immer bekam man in den Niederlanden nichts mit. Das Phänomen Max Verstappen, das zehn Jahre später ein ganzes Land in helle Aufregung versetzen sollte, absolvierte eindrucksvolle Rennleistungen in einer unsichtbaren Klasse, in einem Wettbewerb, den er nicht einmal gewann.

Nur Lokalzeitungen in der niederländischen Provinz Limburg, die Max Verstappen schon seit seinen frühen Jahren folgten, erkannten: Hier ging etwas ganz Besonderes vor sich.

Aber man muss sich auch vor Augen führen, wie wenige talentierte Kart-, Formel-Renault- und Formel-3-Fahrer es überhaupt schaffen, dass das Ziel in Sicht kommt – nur um dann doch noch zu scheitern.

Die Quellen, die ich im vorliegenden Buch zitiere, Experten und Spezialisten, haben mir so viele entscheidende Argumente im Hinblick auf Max Verstappens Talent geliefert, dass sich meine eigene professionelle Skepsis als Journalist – »Das will ich erst selbst sehen!« – bald in Luft auflöste. Ja, Max Verstappen war ein ganz besonderer Junge. In allen Klassen auf seinem Weg in die Formel 1 de facto unbesiegbar.

Aus den Worten der Experten, mit denen ich gesprochen habe, um meine Bücher über die Formel 1 im Allgemeinen und den ehemaligen Teenager aus Limburg im Besonderen schreiben zu können, klang nichts als Bewunderung und Respekt. Und zwar für den Vater Jos mit seinem Durchhaltevermögen, aber besonders für das damals noch ungeschliffene Talent des noch so jungen Max, ein unbeschriebenes Blatt im Rennsport, dem Vorurteile nichts anhaben konnten, weil die Fakten für sich sprachen. Max Verstappen entwickelte sich zu einem waschechten Sportlersohn, dessen Blick durch keine der anderen Versuchungen des modernen Lebens getrübt wurde. Seit er im Alter von vier Jahren zum ersten Mal in einen Kart stieg, gab es für ihn nur eine Richtung: vorwärts, ohne irgendwelche Umwege. Er führte ein von einem einzigen Zweck bestimmtes Leben der Rennen und der Reisen, und etwas anderes hätte er auch gar nicht gewollt.

Immer wieder hatte Jos erklärt, für ihn wäre es auch in Ordnung gewesen, wenn die Wahl seines Sohnes auf den Fußball gefallen wäre, doch Max entschied sich für den Kartsport. Die einzige Bedingung seines Vaters bestand darin, dass er sich dem Ganzen mit Leib und Seele widmete. Völlig unnötigerweise, wie sich herausstellen sollte. Der junge Max wollte nicht einmal Fußball spielen, weil er dabei nicht gewinnen konnte. Und die Gier nach dem Sieg war es, die ihn antrieb. Die Verstappens verlieren nicht gern.

Max Verstappen wurde hin und wieder von seinem erfahrenen Vater gelenkt, der bei ihm nicht viel Überzeugungsarbeit leisten musste. Anders als sein Landsmann, der Wimbledon-Sieger Richard Krajicek, der nach dem Ende seiner aktiven Karriere berichtete, wie unbarmherzig ihn sein Vater Petr angetrieben hatte, erschien Verstappen junior nie widerwillig »zur Arbeit«.

Möglicherweise entsteht so der Eindruck, alles hätte sich wie von allein ergeben, aber das stimmt nicht ganz. Es gilt nur für die Faktoren, die die Verstappens selbst in der Hand hatten: das Fahren, das Herumbasteln am Wagen, die Strategien für die Rennen. Finanziell sah es ganz anders aus.

Vater Verstappen wusste nicht nur gut über die Formel 1 und deren finanzielle Aspekte Bescheid, sondern hatte sich auch von dem klugen Motorsportunternehmer Huub Rothengatter beraten lassen. Auf Jos Verstappens eigenem Weg durch die Formel 1 waren einige Fallstricke gespannt gewesen, weil es immer vor allem um das Geld ging – nicht aber zum Beispiel darum, wie schnell er war oder besser gesagt, wie schnell er mit dem richtigen Equipment hätte sein können.

Als sich der junge Max hocharbeitete, war die finanzielle Unabhängigkeit ein entscheidender Erfolgsfaktor. Der Vater ebnete dem Sohn nicht nur den Weg für seine Karriere, er verband auch seine eigene materielle Zukunft damit. Allerdings ging der Vater damit kein übermäßig hohes Risiko ein, weil er nicht den geringsten Zweifel hegte, was Max’ strahlendes Potenzial betraf. In vielen anderen Vater-Sohn-Beziehungen gibt es einen blinden Fleck, was das betrifft.

Das weiß niemand besser als Frits van Amersfoort, der Eigentümer von Van Amersfoort Racing (VAR), dem wichtigsten niederländischen Formel-3-Rennstall. Er hat viele Väter erlebt, die bereit waren, hohe Schulden auf sich zu nehmen, um ihren viel weniger talentierten Sprösslingen zu einer Karriere im Motorsport zu verhelfen. Sie alle waren von der Begabung ihres Kindes fest überzeugt, doch in vielen Fällen stellte sich das als Fehleinschätzung heraus.

Bei Max Verstappen allerdings nicht.

Jeder Insider, der den jungen Max in Aktion erlebte, verfolgte gebannt, welch wunderbare Begabung er besaß. Aber von einer Begabung allein lassen sich keine Rechnungen bezahlen. Deshalb musste auch Verstappen junior bei VAR die Geldkarte aus der Tasche holen. Mit ein wenig Unterstützung hatte man gerade genug, um ihn in der Formel 3 anfangen lassen zu können. Das war ein großer, entscheidender Schritt, der für Fahrer mit geringerem Talent nicht zu schaffen gewesen wäre. Vielversprechende junge Fahrer fangen durchweg in einer niedrigeren Klasse an, zum Beispiel in der Formel Ford oder in der Formel Renault. Ayrton Senna ist diesen Weg gegangen.

Im Jahr 2015 stellte Verstappen junior unter Beweis, was er draufhatte. Mit dem Formel-3-Rennen für das VAR-Team auf dem Norisring war seine Zukunft besiegelt: Er fiel dem bekannten Red-Bull-Talentscout Helmut Marko auf. Markos Gefühl sagte ihm, dass dieser Sechzehnjährige auch einen Formel-1-Wagen im Griff haben könnte. Der junge Verstappen war immer noch ein bisschen ungelenk, wie das bei Jungen in seinem Alter manchmal vorkommt; seine Schultern erschienen nicht breit genug, um schon 700 Pferdestärken zu kontrollieren. Er hatte Pickel im schmalen Gesicht und noch nicht genug Bartwuchs für eine Rasur. Doch innerhalb von fünf Jahren entwickelte sich dieser junge Erwachsene zu einem Weltstar, der alle Aspekte des Lebens einer Berühmtheit meisterhaft beherrscht.

Er hat sich von dem ganzen Hype um seine Person nicht blenden lassen. Max Verstappen ist authentisch geblieben. Er ist politisch gesehen gereift, sucht sich aus, wann er vors Mikrofon tritt, und ist sich der Wirkung seiner Worte bewusst. Manchmal erkennen Eingeweihte, dass da ein wenig von seinem Vater durchschimmert, wenn er hin und wieder mit sportlichem Frust zu kämpfen hat. Bei Max Verstappens Medienauftritten blickt man in seine Seele.

Manchmal ist das schiefgegangen, zum Beispiel beim Grand Prix 2017 in den Vereinigten Staaten. Damals bezeichnete er einen Steward als »Mongo«, weil ihm ein Platz auf dem Podest entgangen war. Er musste sogar als Ersatzstrafe gemeinnützige Arbeit (Assistenz bei einem Formel-E-Rennen in Marrakesch) leisten, nachdem er 2018 im brasilianischen Park Fermé seinen langjährigen Rivalen Esteban Ocon geschubst hatte, und zwar vor laufender Kamera.

Vorfälle wie dieser werden sich nicht so leicht wiederholen, weil Max Verstappen älter, klüger und durchaus auch diplomatischer geworden ist. Der Diamant ist fertig zurechtgeschliffen, und er hat eine hohe Karatzahl.

Der Punkt am Horizont – sein ultimatives Ziel, die Formel 1 – wurde allmählich zu einem Ausrufzeichen, kam endlich in Reichweite. Die ersten Experten, die ihn aus der Nähe erlebten, waren rasch davon überzeugt, dass es sich bei Max Verstappen um einen ganz besonderen Jungen handelte. Die allgemeine Öffentlichkeit folgte ihm seit dem historischen Sieg in Barcelona am 15. Mai 2016.

Seitdem ist Max Verstappen in den Sportmedien seines Heimatlandes allgegenwärtig und wird auf der Welt immer prominenter. In den Niederlanden wird niemand in Zeitungen und Zeitschriften ausführlicher behandelt als er, weder im Fernsehen noch in den sozialen Medien oder auf unzähligen Websites.

Der niederländische Sportkanal NPO besitzt keine Formel-1-Rechte. Um etwas von dem Hype um Max Verstappen abzubekommen, musste man sich daher clevere Tricks einfallen lassen: Man zeigte Fotos statt bewegter Bilder, heuerte den Analytiker und ehemaligen Formel-1-Fahrer Jan Lammers an. Schließlich durfte sich der öffentliche Sender dieses nationale Sportfest nicht entgehen lassen. Der Motorsport fasziniert nun einmal viele Menschen.

Max Verstappens Fangemeinde ist enorm gewachsen. Seine Unterstützer – die Orange Army – tauchen überall auf der Welt auf. Sie haben Siege in Österreich miterlebt, wo der Red Bull Ring jedes Jahr orangefarben leuchtet, und sie sind in die Wüstengebiete des Nahen und Mittleren Ostens gereist. Orange hat das Ferrari-Rot als dominante Farbe auf vielen Zuschauerrängen hinter sich gelassen. »Die niederländischen Fans bringen eine ganz großartige Leidenschaft mit«, hat Sir Jackie Stewart festgestellt. »Dadurch hat die Farbe wieder Einzug in die Formel 1 gehalten.« Die niederländischen Fans sind denen anderer Formel-1-Fahrer zahlenmäßig überlegen. Die Tatsache, dass Max Verstappen regelmäßig zum Fahrer des Tages gewählt wird, ist nicht nur seinen Leistungen auf der Rennstrecke zu verdanken, sondern auch seiner riesigen Beliebtheit unter den niederländischen Zuschauern, die online zu seinen Gunsten abstimmen.

In den Niederlanden liebt man Max Verstappen, wie man früher einmal Johan Cruijff geliebt hat. Die glorreichen Tage des niederländischen Fußballs, mit Cruijff als seiner Ikone, hatte man in den siebziger Jahren mehr oder weniger als selbstverständlich wahrgenommen, was aus heutiger Sicht ziemlich seltsam erscheint. Damals schenkte man nur dem Fußball besondere Beachtung; niederländische Teams gewannen viermal hintereinander die Europameisterschaften (einmal Feyenoord Rotterdam 1970, dann dreimal Ajax Amsterdam), und man nahm zweimal hintereinander an der Weltmeisterschaft teil, nämlich 1974 und 1978.

Über den niederländischen Motorsport ließ sich das nicht sagen, als Max Verstappen 2015 dort debütierte. Die Formel 1 war in den Gedanken der niederländischen Sportfans nur sehr bedingt präsent. Die nationale Rennstrecke in Zandvoort siechte in den Dünen dahin. Der verkümmerte Motorsport in den Niederlanden spielte in der großen Welt der Formel 1 nur eine ganz untergeordnete Rolle, als Subkultur aus einigen Leuten, denen das Benzin zu Kopf gestiegen war und die einfach nicht aufgeben wollten: Fanatiker, die sich selbst in den langweiligen Phasen, in denen Michael Schumacher alles dominierte, an prächtigen Sommertagen die Rennen im Fernsehen ansahen. Wozu denn überhaupt die Formel 1 verfolgen, wenn es dort keinen Favoriten aus dem eigenen Land gab? Quasi zwei Jahrzehnte lang schauten Sportpatrioten die langweiligen Paraden, an denen üblicherweise ein Sieger mit deutscher Herkunft beteiligt war (Schumacher, Vettel oder Mercedes).

Mit Max Verstappen hat sich alles geändert. Er verpflichtete sich für das Jahr Null des niederländischen Motorsports. Nicht nur, weil er so gut war und ihm ein Sieg auf dem unbekannten Gelände eines unbeliebten Sports gelang oder weil er die bestehende Ordnung durcheinanderbrachte, sondern auch, weil er aus einem Holz geschnitzt ist, mit dem seine Landsleute etwas anfangen können. Er ist ein gnadenloser Angreifer. Das liebt man in den Niederlanden.

Man will als kleines Land in einer Liga mitspielen, die eigentlich zu hoch ist. Die Niederlande sind ein Underdog, der stolz die Brust rausstreckt. Das spricht die Leute an.

In Max Verstappen findet man all das wieder. Er ist die Verkörperung der niederländischen Seele: angriffslustig, aggressiv, tatkräftig, ehrgeizig – und in erster Linie ein Sieger.

Und so ist alles gekommen.

Teil IWie alles kam

1Japan 2014: Die ersten Formel-1-Meter eines Teenagers

Am 3. Oktober 2014 geht ein selbstbewusster junger Mann durch das Fahrerlager der Rennstrecke von Suzuka, in der Hand den riesigen Helm. Wie ein Ritter auf dem Weg zum Turnierplatz.

Er trägt ein dünnes dunkelgraues Hoodie mit dem Emblem von Toro Rosso/Red Bull und darunter ein weißes T-Shirt. Im Stadtzentrum von Roermond würde er so nicht auffallen. Seine Baseballcap ziert das Logo »Red Bull 2014«, aber die kann er auch einfach in irgendeinem Merchandise-Laden gekauft haben. Er ist siebzehn Jahre alt, die Pickel seiner Jugend sieht man noch. Bartwuchs hat er noch keinen, aber dafür die Ausstrahlung eines Erwachsenen, eines echten Typen.

Dort, in diesem kalten und feuchten Suzuka, an dieser schwierigen und historisch bedeutsamen Rennstrecke in Japan, könnte man ihn ohne Weiteres für einen Neunzehnjährigen halten. Allerdings auch für keinen Tag älter. Er geht an den Garagen vorbei, an den Boxen, die noch alle geschlossen sind. Sein Blick scheint auf einen Punkt am Horizont gerichtet zu sein, auf einen Punkt, den er und sein Vater dort bereits stillschweigend markiert haben. Und zwar schon Jahre zuvor.

Als er im Cockpit des Toro Rosso Platz nimmt, gleitet ein Lächeln über sein Gesicht. Es ist ein bisschen schief. Er tut gerade etwas, wovon Millionen Siebzehnjährige weltweit träumen. Er steigt in einen echten Formel-1-Wagen. Hinter dem angedeuteten Lachen verbirgt sich sein innerlicher Jubel. Der Traum ist Wirklichkeit geworden.

Langsam lässt er sich in den speziell für ihn gefertigten Schalensitz sinken und die Beine im engen Fußraum verschwinden. Dort befinden sich die Pedale. Dort befindet sich die Power. Wenn er auch nur ein wenig auf das Gaspedal drückt, wirken etwa 700 Pferdestärken auf einen Wagen mit einem Gewicht von rund 700 Kilogramm ein. Das Leistungsgewicht beträgt 1. Der junge Mann weiß, was passieren kann, wenn man so viel geballte Power auf den Asphalt loslässt. »Roter Stier«, das ist nicht einfach nur ein Name. Es ist ein Name, der Kraft und Aggression ausstrahlt, der Furcht einflößt.

Man muss ein ganzer Kerl sein, wenn man diese Power beherrschen und bezwingen will. Ein Torero. Er ist noch kein ganzer Kerl. Er ist erst siebzehn. Aber er ist ein Verstappen, und das macht einen Unterschied. Ein Verstappen aus Limburg, der Sohn von Jos, der 107 Grand-Prix-Rennen absolviert hat. Ein Sohn, dem man die Liebe zum Motorsport von Kindesbeinen an vermittelt hat. Rennen zu fahren, das ist die Konstante in der Familie Verstappen. Beim Karting konnte Mutter Sophie mit den Besten mithalten. Max’ Schwester Victoria lässt sich auch nicht abhängen. Von Victoria heißt es, sie könne es genau wie ihre Mutter auch mit Männern aufnehmen. Wie auch immer, bei der Familie Verstappen geht es einzig und allein darum, Rennen zu fahren.

Max ist an diesem Donnerstag in Japan eine Sehenswürdigkeit, auch wenn das Ganze verglichen mit dem, was knapp zwei Jahre später, nach seinem Wechsel ins Spitzenteam von Red Bull, in Spanien vor sich gehen wird, noch ein Kinderspiel ist.

Während im Hintergrund das typische Riesenrad des Vergnügungsparks auf die nächste Runde wartet, wird Max Verstappen von Medienvertretern umzingelt. Fast könnte man Mitleid mit ihm bekommen. So jung und noch unerfahren im Umgang mit den Medien, soll er zuerst 700 Pferdestärken bezwingen und wird danach von einem Heer von Journalisten belagert, das mit Kameras, Aufnahmegeräten und – in einigen Fällen – Notizblöcken bewaffnet ist. Von seinem Vater hat er das Training für die Rennen in verschiedenen Klassen bekommen, aber Medientraining stand bisher nur selten auf dem Programm. Wie kann man sich also gegen eine solche Übermacht wappnen? Eigentlich müsste er noch die Schule besuchen, einem Lehrer zuhören, mühsam auf einen Abschluss hinarbeiten, der ihm im Leben weiterhilft. Jetzt steht er hier in Japan Dutzenden von Reportern Rede und Antwort, die jede einzelne Silbe gierig aufsaugen.

An den Niederlanden geht dieser historische Augenblick größtenteils vorbei. Die großen Medien schenken dem Ereignis nur eingeschränkte Aufmerksamkeit. Der letzte niederländische Rennfahrer von einiger Bedeutung und Berühmtheit in der Formel 1 war Max Verstappens Vater Jos. Nach Jos Verstappen stand es um die Formel 1 in den Niederlanden nicht besonders gut, und so lässt sich das geringe Interesse in diesem Land erklären.

International betrachtet ist dieser junge Mann eine Sehenswürdigkeit. Nur weiß niemand so genau, wie man das Ganze deuten soll. Was macht so ein Junge, was kann so ein Junge? Ja, er ist der Sohn von Jos, und das will schon etwas heißen. Journalisten, die ihre Hausaufgaben gemacht haben, wissen, woher er kommt. Dass er ein Kart-Talent war und jedes von ihm absolvierte Rennen dominierte. Und sein Vater Jos war eine regelrechte Sensation: angriffslustig, draufgängerisch. Sein erstes Formel-1-Rennen in Brasilien, samt dem Megacrash mit Eddie Irvine, wird bis heute häufig auf YouTube abgerufen. Er fuhr damals für Benetton, an der Seite von Michael Schumacher. Es war nicht seine Schuld, verkünden bis heute die Berichterstatter, die über ein gewisses Gespür für Geschichte verfügen. Und außerdem gibt es da immer noch Google. Mit anderen Worten: Die Journalisten wissen, dass Max gute Gene mitbringt.

Von solchen Söhnen mit guten Genen gibt es unter den Formel-1-Piloten noch weitere. Von Jacques Villeneuve bis Nico Rosberg, von Damon Hill bis Nelson Piquet junior, Jan Magnussen und Kevin Magnussen. Vierzehn Väter sahen ebenso viele Söhne in einen Formel-1-Wagen steigen. Aber die waren doch nicht so jung, oder?

Max Verstappens frische Art bezaubert die Gesellschaft. Es fällt auf: Max scheint das Ganze überhaupt nichts auszumachen. Als wäre es die normalste Sache von der Welt, bewegt er sich auf einem Podium, das für einen Siebzehnjährigen eigentlich viel zu groß ist.

Im Jahr 2014 in Japan erlebt der junge Mann aus Limburg zum ersten Mal das Phänomen, dass die Anzahl der Medienvertreter die der Rennfahrer um ein Vielfaches übersteigt. Er gibt spontane Antworten auf die forschenden Fragen der ausländischen Journalisten. Er war vier, als er seinen Vater um einen echten Kart anbettelte. Er wollte auch Rennen fahren. Das durfte er nicht, er war zu jung. Mit sechs anzufangen, genau wie Jos seinerzeit, wäre noch früh genug. Aber ein junger Verstappen lässt sich nicht so einfach mit Versprechungen abspeisen. Er drängte immer weiter. Ein halbes Jahr später bekam er dann doch einen Kart. Heimlich war sein Vater wahrscheinlich stolz. So ein kleiner Junge, und schon so gierig aufs Rennenfahren. Gab es schon damals einen Punkt am Horizont? Oder war das Ganze noch eine Angelegenheit zwischen Vater und Sohn?

In diesem Buch werden verschiedene Interviewpartner berichten, man habe vom ersten Tag an vom »Projekt Verstappen« gesprochen. Der Vater habe Max bereits in einem Formel-1-Wagen sitzen sehen, als der noch in der Wiege lag. Skeptiker werden behaupten, dass Max eine Ambition erfüllen musste, der sein Vater nie hat gerecht werden können. Sollte es so sein, dann gibt es jedenfalls keine Beweise dafür. Der Überlieferung zufolge ignorierte Jos Verstappen seinen Sohn einmal tagelang zur Strafe, weil der durch eine leichtsinnige und unbeherrschte Aktion die Chancen in einem Rennen ruiniert hatte. Ansonsten, so berichten diejenigen, die die Beziehung kennen, gab es nie irgendwelchen Zwang. Max tat nichts lieber, als in den Kart zu steigen und so schnell wie möglich zu fahren.

Der finnische Ajax-Fußballer und international bekannte Spieler Jari Litmanen schlief mit einem Ball im Kinderbett. Mit einem Kart gestaltet sich das schon schwieriger, aber vielleicht war ja Max Verstappens Kinderbett ein Kart. Mit einem Rennlenker als Beißring. Das wäre ohne Weiteres denkbar. Im professionellen Kart-Milieu träumen Hunderte von Vätern von einer Formel-1-Karriere für ihre Söhne, weil es in den Niederlanden keine internationalen Kartbahnen gibt und das Karting darum eine Subkultur darstellt. Die heißen aber nicht Verstappen, haben keine Rennfahrergene und verfügen einfach nicht über diese ganz besondere DNA.

In den folgenden Geschichten machen wir uns auf die Suche nach den Wurzeln von Max Verstappen, die in Limburg und Belgien zu finden sind. Wir lernen Paul Lemmens kennen, den Besitzer der Kartbahn in Genk, der nicht nur Max Verstappens Entwicklung von Anfang an miterlebte, sondern auch die von Jos Verstappen und die des englischen Weltmeisters Jenson Button, des finnischen Weltmeisters Kimi Raikkönen und des deutschen Weltmeisters Michael Schumacher. Einen Mann, der das Kartfahren in den Beneluxländern mit einer Kartbahn, die den internationalen Standards entspricht, auf ein höheres Niveau gehoben hat. Genk ist das Geburtszimmer der Champions, Paul Lemmens der Gründervater.

Dann geht es weiter mit einem persönlichen Freund von Jos Verstappen, Kees van de Grint aus Deil in der Provinz Gelderland. Er war der Vertraute und später Freund des siebenfachen Weltmeisters Michael Schumacher und spielte am Beginn von Jos Verstappens Karriere eine bescheidene Rolle. Im Fahrerlager flüsterte er Jos Verstappen manchmal heimlich Ratschläge zu, obwohl er damals noch für Michael Schumacher, Bridgestone und Ferrari arbeitete.

Sander Dorsman, der Manager von Manor MP Motorsport, wurde wichtig, als Max Verstappen für die Formel 1 Anlauf nahm. Genau wie Frits van Amersfoort von VAR (Van Amersfoort Racing) aus Zeewolde ist Manor MPI ein Sprungbrett für junge Talente, vielleicht zur Formel 1 und ansonsten zu einer gut bezahlten Karriere im Motorsport. In Wales legte Max Verstappen die ersten Meter in einem Renault 2.0 von Manor MP Motorsport zurück. Unter größtmöglicher Geheimhaltung fuhr er im strömenden Regen mit einem Einsitzer auf der Rennstrecke von Pembrey.

Das Rennsporttalent Dennis van de Laar trainierte in der Winterserie der Ferrari Driver Academy 2014 mit Max in Florida. Dieses Abenteuer im Sunshine State erwies sich nicht nur als lehrreich, sondern auch als vergnüglich. Dort durfte auch der Reporter Will Buxton gegen Max Verstappen antreten, der ihn als einer der ersten Mainstream-Journalisten einem größeren Publikum vorstellen konnte. Dennis van de Laar ist außerdem die Ausnahme, die die Regel bestätigt. In seiner Ausbildung zum Rennfahrer spielte das Karting nicht die geringste Rolle. Ihm verdanken wir eine nette Geschichte über einen jungen Mann, der zum ersten Mal in einem Einsitzer mit Max Verstappen um die Wette fuhr und ihn schlug. Dennis van de Laar investierte das Äußerste in den Rennsport und glaubte lange Zeit daran, die Formel 1 erreichen zu können. Rennen gegen Max und andere Spitzentalente waren allerdings eine so ernüchternde Erfahrung, dass er seine Motorsportkarriere aufgab. Danach trat er in die Fußstapfen seines Vaters und ist inzwischen ein erfolgreicher Unternehmer.

Dann gibt es da Frits van Amersfoort, den alten Weisen der niederländischen Rennfahrerszene mit seinem Formel-3-Rennstall, der sich heute in Zeewolde befindet, auf dem ehemaligen Gelände von Spyker Cars. Van Amersfoort ließ nicht nur Max zum ersten Mal an einem Rennen teilnehmen, sondern hat auch schon mit Jos Erfolge gefeiert, zum Beispiel den Formel-3-Sieg von 1993 in Zandvoort. Wenn man bei Frits van Amersfoort Rennen gefahren ist, ist man einer möglichen glanzvollen Karriere im Rennsport ein Stück nähergekommen.

Außerdem wäre da noch Giedo van der Garde, der 2015 in Melbourne beinahe zusammen mit Max in dessen erstem Formel-1-Rennen angetreten wäre. Giedo van der Garde wurde in einem von Jos Verstappen vorbereiteten Kart Weltmeister. Später landete er als Rennfahrer bei der Formel 1, unter anderem im Team von Caterham, das oft die Grand-Prix-Nachhut bildete. In dem Augenblick, als er seinen langen Weg in die Königsklasse mit einem Platz bei einem besseren Team gekrönt sah, fiel er der grausamen Formel-1-Realität zum Opfer: Man ersetzte ihn durch einen brasilianischen Rennfahrer mit mehr Geld.

Bei den englischen Journalisten verlief das Kennenlernen zögerlicher. Will Buxton hatte als Einziger gegen Max Verstappen antreten dürfen, in Florida. Andere, wie David Tremayne und Peter Windsor, erfuhren über Mundpropaganda, dass da ein neuer Stern aufgegangen war: Jos Verstappens Sohn. Und auch sie, die schon zahlreiche Spitzentalente auf dem Weg ganz nach oben hatten scheitern sehen, erkannten mit dem Kennerblick der jahrelangen Erfahrung, »dass dieser junge Mann etwas ganz Besonderes an sich hatte«. Wenn der dreifache Weltmeister Sir Jackie Stewart erklärt, die Formel 1 habe einen Fahrer wie Max Verstappen nach der langen Vorherrschaft von Lewis Hamilton und Mercedes gut gebrauchen können, klingt Überzeugung aus seiner Stimme.

Max Verstappens Fundament liegt in den Niederlanden. In einem Land, das zwar viele Rennfahrer hervorgebracht, im Motorsport jedoch nur selten ganz große Erfolge gefeiert hat, wenn man von den beiden Le-Mans-Siegen (Gijs van Lennep und Jan Lammers) absieht. Jos Verstappen schaffte es in der Formel 1 zweimal aufs Siegerpodest, und zwar jeweils mit einer Drittplatzierung in Belgien und in Ungarn. Das berüchtigte Zandvoort, wo 1985 der letzte Große Preis der Niederlande abgehalten wurde und wo Huub Rothengatter damals auf derselben Strecke fuhr wie Ayrton Senna, hat sich von internationalen Events verabschieden müssen, was das Organisieren von Grand-Prix-Rennen angeht. Die Rennstrecke in den Dünen gehört zurzeit Prinz Bernhard junior und profitiert in höchstem Maße von der Max Mania, die die Niederlande im Griff hat. Das Demo-Event des Achtzehnjährigen im Juni 2016 wurde von 100 000 Rennsportfans besucht. Nur die niederländische Fußballmannschaft lockte nach dem Titel in der Europameisterschaft von 1988 mehr Menschen an. Die Straßen rund um den Badeort waren stundenlang verstopft; es reisten mehr Besucher an als während der Grand-Prix-Rennen in den siebziger und achtziger Jahren.

Max Verstappen ist seitdem allgegenwärtig, von der Supermarktkette Jumbo bis hin zum Kabelgiganten Ziggo. Durch seinen Sieg im Großen Preis von Spanien wurde er zu einem Nationalhelden. Unter anderem daran lässt sich auch erkennen, wie beliebt der Motorsport eigentlich ist. Das Bild der Formel 1 als Geld verschlingendes Hobby für die Superreichen, eine Sache für Millionäre, die von Milliardären gesponsert werden, mag der Wahrheit entsprechen, aber es fällt auf, dass die Leute in den Hauptrollen aus einfachen Verhältnissen stammen und man die Fans in allen Schichten der Bevölkerung findet.

Im Gegensatz zu Hockey und Tennis ist der Rennsport ein echter Volkssport. Kartfahrer, häufig die künftigen Piloten der Königsklasse, kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten, berichtet Paul Lemmens aus Genk. Er hatte Jenson Button einige Zeit unter seiner Obhut und entwickelte eine enorme Bewunderung für dessen Arbeitsethos. »Selbst den leckersten Nachtisch hat er stehen lassen.«

Autorennsport ist ein Spitzensport, will er damit sagen. Die Fahrer sind Athleten, die über riesige Kräfte verfügen müssen und eine gute Kondition brauchen, um Überraschungen ausschließen zu können. Dennis van de Laar gesteht: »Meine Nackenmuskeln waren irgendwann so sehr am Ende, dass ich den Kopf nicht mehr bewegen konnte. Ich konnte mich nur noch im Cockpit anlehnen.«

Auch das gehört zu den Elementen dieser Verstappen-Saga: Max Verstappens körperliche Form. Als gerade Siebzehnjähriger war er noch nicht ausgewachsen. Um zu begreifen, welchen Kräften der Körper in einem Rennwagen ausgesetzt ist, lässt sich Singapur sehr gut als Gradmesser heranziehen. Der Weltmeister Lewis Hamilton beschrieb das Fahren auf der Straßenrennstrecke des Stadtstaates wie folgt: »Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einer Sauna, und zwar in einem feuerabweisenden Overall und mit einem Helm auf dem Kopf, und dann rennen Sie mehrere Runden und machen zwischendurch Push-ups.«

Max Verstappens ehemaliger Red-Bull-Teamgenosse Daniel Ricciardo formulierte es so: »Im Wagen herrscht eine derartige Hitze, dass das Sportgetränk schon beim Start so heiß ist wie Tee. Im Cockpit haben wir eine Temperatur um die sechzig Grad.« Die Rennstrecke in Singapur verfügte über die meisten Kurven von allen weltweit, nämlich 23. Die Rennfahrer wurden stark gefordert, weil es keinen einzigen Augenblick der Ruhe gab. Bremsen, Beschleunigen, Bremsen, Beschleunigen, während sie auf der holprigen Strecke durchgeschüttelt wurden, als säßen sie in einer Waschmaschine. Der Lärm hallte von den Mauern wider, von den Zäunen und Gebäuden, sodass man ganz wirr und tödlich müde wurde. Die Rennfahrer verloren viele Liter Flüssigkeit; man kam kaum mit dem Trinken nach. Dem Bremsfabrikanten Brembo zufolge betrug der totale Pedaldruck bei diesem Grand Prix 81,435 Kilogramm. Zum Vergleich: Während des Grand Prix von Shanghai, der als leichtes Rennen für die Bremsen bekannt ist, übten die Fahrer einen totalen Pedaldruck von 50,353 Kilo aus. Singapur war für die Formel-1-Piloten die Hölle.

Kann ein Siebzehnjähriger das aushalten? Wie sich 2015 herausstellte, war diese Frage der Kritiker berechtigt. Während dieses Grand Prix wurde Max Verstappen erwachsen. Es war der Große Preis des so berühmten »Nein«. Das Rennen, in dem ihm Toro Rosso befahl, seinem Teamgenossen Carlos Sainz junior Platz zu machen, in dem er jedoch knallhart die Anweisung des Teams missachtete und dafür hinterher gelobt wurde. Sein Vater strahlte nur so vor Stolz. Das war der Augenblick, in dem sein Sohn deutlich machte, dass die Lehrstunden nicht umsonst gewesen waren. »Wenn er damals gehorcht hätte, dann hätte er ein Problem mit mir bekommen.«

Inzwischen ist der Fitnessfaktor etwas weniger von Bedeutung als früher, meint der ehemalige dreifache Weltmeister Jackie Stewart. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich ein Siebzehnjähriger noch im Wachstum befindet. Nicht einmal Max Verstappen kann sich den Naturgesetzen entziehen. Eigentlich ist er einfach noch ein Junge, mit allen dazugehörigen körperlichen Einschränkungen. Die Muskeln sind noch nicht ausgewachsen, das Gehirn befindet sich in einer intensiven Entwicklungsphase. Der Max Verstappen aus dem Jahr 2015 ist eigentlich noch nicht bereit für die wirklich großen Aufgaben, lautet das weit verbreitete Urteil derjenigen, die das Sagen haben. Aber da gibt es einen großen Unterschied zwischen ihm und seinen pubertierenden Altersgenossen, und diesen Unterschied berücksichtigen in ihrem frühen Urteil nur wenige:

Er ist ein Verstappen.

2Spanien, 15. Mai 2016

Das Zeug zum Champion

Am 15. Mai 2016 schreibt ein Teenager aus der Provinz Limburg die Geschichte des Rennsports neu. Auf dem Circuit de Barcelona Catalunya ist er der erste Achtzehnjährige, der jemals ein Formel-1-Rennen gewinnt, und zugleich der letzte Achtzehnjährige, der jemals ein Formel-1-Rennen gewinnen wird, der erste Niederländer, der ein Formel-1-Rennen angeführt hat, der erste Niederländer, der zum zweiten Mal bei einem Formel-1-Rennen an der Spitze gefahren ist, der erste Niederländer, der … Der erste Teenager, der …

Barcelona 2016 bedeutet gleichzeitig einen Anfang und ein Ende. Der Sieg wird ein Verstappen-Zeitalter einläuten, wie man es in der Geschichte noch nie zuvor gesehen hat. Bis in alle Ewigkeit wird die Königsklasse es mit dem im belgischen Hasselt geborenen und im limburgischen Montfort aufgewachsenen Wunderkind zu tun bekommen. Max Verstappen kann nach der Krone des Deutschen Michael Schumacher greifen, der siebenmal Weltmeister wurde, er kann die meisten Pole Positions erlangen, die meisten schnellsten Runden, die meisten Plätze auf dem Podium, die meisten …