Mein Leben mit Zeitungen - Dirk Ippen - E-Book

Mein Leben mit Zeitungen E-Book

Dirk Ippen

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Beschreibung

Bekenntnisse aus der Praxis eines Unternehmers. Eine Fundgrube für jeden, der in der Wirtschaft seine eigenen Wege gehen will. Dirk Ippen schildert, wie aus einem kleinen Standortbetrieb ein deutschlandweit agierendes Medienunternehmen werden konnte.

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Dirk Ippen

Mein Leben mit Zeitungen

Meinen Mitarbeitern und meiner

Frau Marlene gewidmet

Inhalt

Vorwort

1Meine unternehmerischen Handlungsmuster

2Kindertage

3Rolf Ippen

4Erinnerungen an Erich Brost

5Ein lehrreicher Nachmittag in Espelkamp

6Meine Zeiten als Praktikant

7Am Tisch mit den streitenden WAZ-Verlegern

8Im Anwaltsbüro Heinz Kümmerlein, Essen

9Meine erste eigene Firma – ein Großhandel mit Drogerieartikeln

10Als „Junior“ zum Westfälischen Anzeiger in Hamm

11Die Druckerei in Hamm wird neu ausgerichtet

12Ein junger Mann setzt sich durch im Westfälischen Heimatverlag

13Lernen in den USA

14Der Verleger als Chefredakteur

15Der Merkur Adressenverlag Einbeck – ein Zwischenspiel

16David schlägt Goliath im Zeitungswettbewerb

17Die Kreiszeitung in Syke – mein zweiter Zeitungsverlag

18Teilen und wachsen vor den Toren Bremens

19Das „Modell Kreiszeitung“ wird ausgerollt in die ganze Region

20Udo Bintz – beinahe der Axel Springer von Rhein-Main

21Wir sanieren die Offenbach-Post

22Noch keine Ehe mit den Offenbacher Nachbarverlegern

23Erinnerungen an Hans J. Reinowski, Darmstadt

24Acht Jahre Brautwerbung in der Lüneburger Heide

25Ein hoher Preis für ein exzellentes Unternehmen

26Verlag C. Beckers Uelzen unter unserer Führung

27Mord in Braunschweig

28In Gronau / Leine erscheint die kleinste Zeitung Niedersachsens

29Madsack und Springer wollen mich bremsen

30Ralph Ingersoll und meine Zeitung in Claremont N. H., USA

31Unser kleiner Anfang in Süd-Westfalen

32In München steht ein Zeitungshaus

33Verleger werden ist nicht schwer – Verleger sein dagegen sehr…

34Die Münchner Sanierungsmaßnahmen greifen

35Blind und Lahm ergänzen sich

36Beim Merkur geht es um die Heimatredaktionen

37Als erster Verlag in München kommen wir vom Blei weg

38Ich hole Werner Giers als Chefredakteur zum Merkur

39Ein Münchner Überholmanöver

40Begegnungen mit Franz Josef Strauß

41Leo Kirch – der dunkle Ehrenmann

42Und nun die Anzeigenzeitungen

43Von Hamm nach Soest und ins ganze Sauerland

44Unsere Boje an der Ostsee

45Die Mauer fällt

46Der Zusammenschluss mit der HNA, der Zeitung mit den meisten Abonnenten in Hessen

47Steuern zahlen zahlt sich aus

48Erinnerungen an Alfred Neven DuMont

49Michael Meisner – Lizenz-Verleger der Main-Post in Würzburg

50Betriebsräte und Gewerkschaften

51In der Gunst der Kartellbehörde

52Unser Einstieg in die digitalen Anzeigenmärkte

53Rückblick auf Axel Springer

54Vier Generationen Verleger – unsere Nachbarn in Dortmund

55Der digitale Wandel schreitet voran – was nun?

56Zur Lokalzeitung gehört die Immobilie

57Wie ich es sehe …

58The road not taken …

Vorwort

Diese Beschreibung meines beruflichen Werdeganges und meiner Wege als Unternehmer führt in die Welt der Zeitungen, wie ich sie in mehr als 60 Jahren erlebt habe. Im Zentrum stehen die sogenannten Kreisblätter und Lokalzeitungen. Das ist ein Bereich der Presse, über den sonst eigentlich nie geschrieben wird. Die überaus lebendige Geschichte dieser bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreichenden Lokalblätter und ihrer Verlegerfamilien sollte nicht ganz in Vergessenheit geraten.

Das größte Anliegen dieser Erinnerungen aber ist es, junge Menschen, die unternehmerisch tätig sein wollen, auf ihrem Weg zu ermuntern. Es ist ein großes Glück, erfolgreich etwas gestalten zu können. Diese Freiheit hat außer dem Unternehmer sonst nur der Künstler. Und wenn es beim ersten Mal nicht klappt, dann ist das kein Versagen oder gar eine Schande. Immer hat mich der Wettbewerb motiviert und zu neuen Ideen gebracht. Vor allem, wenn viel größere Wettbewerber, wie in meinen Anfangsjahren die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), Springer oder Madsack, versucht haben, den jungen Emporkömmling auszubremsen.

Nichts bringt so viel Erfolg wie der Erfolg selbst. Deswegen kann derjenige, der es versteht sich freizuarbeiten, in vielen kleinen Schritten auch ins Große wachsen.Wer sich zu einem solchen Weg entschlossen hat, der wird aus meiner Schilderung und in den von mir gelebten Handlungsmustern eine Anregung finden.

So ein Buch ist wie eine Flaschenpost. Niemand weiß, wen es erreichen wird.

Ich wäre glücklich, wenn auch nur ein einziger junger Unternehmer durch die Lektüre meiner Erinnerungen motiviert wird, ebenfalls seine Kräfte einzusetzen.

Wenig ist in diesem Buch die Rede von meinen Beziehungen zu Politikern. Dabei war ich nie einer von den „nur“ Unternehmern, denen die Politik gleichgültig ist. Doch niemals ist es mir in den Sinn gekommen, unsere Zeitungen in den Dienst einer bestimmten politischen Richtung zu stellen. Die Zeitungen sollten – nach einem Wort des Leopold Ullstein – „Parteinehmer“ sein, aber niemals „Parteigänger“. Selbst zu einem so imposanten Vollblut-Politiker wie F. J. Strauß, den ich in meinen Anfangsjahren in München näher kennenlernte, habe ich immer Distanz gehalten.

Zur Lesernähe gehörte für mich auch, den eigenen Lebensstil im Rahmen des Normalen zu halten. Grandhotels und Luxusyachten wie andere teure Hobbys habe ich auch deswegen möglichst gemieden, weil unsere Leser dort kaum zu finden waren. Unsere Sommerferien verbringen wir bis heute auf dem Lande an der Nordseeküste, wo die Westfalen Ferien machen.

München, im Juli 2019Dirk Ippen

1Meine unternehmerischen Handlungsmuster

Ich gehöre nicht zu den charismatischen Führungspersönlichkeiten, die durch ihre Ausstrahlung und Überlegenheit an der Spitze stehen.

Was mein Berufsleben bestimmt hat, ist das Interesse an wirtschaftlichen Dingen und der Wunsch, etwas zu gestalten. Meine ausgesprochene Neigung zur Expansion ist auch eine Art Neugier. Es liegt mir, Probleme zu vereinfachen, Abläufe zu verbessern und Neues in Gang zu setzen. Natürlich folgte ich dabei auch bestimmten, für mich passenden unternehmerischen Grundsätzen. Sie beruhen auf meinen Erlebnissen als Heranwachsender und den Erfahrungen, die ich in 60 Jahren gesammelt habe. Ich war immer ein aufmerksamer Beobachter des Geschehens in Unternehmen. Dazu hatte ich das Glück, mich schon mit 27 Jahren als unabhängiger Lokalverleger frei entfalten zu können.

Immer wieder höre ich von Mitarbeitern, wenn ich sie in den Ruhestand verabschiede, sie hätten immer sehr gerne für mich gearbeitet. Und wenn ich das zurückgebe und hoffe, dass sie auch mit der Bezahlung zufrieden waren, heißt es: „Die Vergütung hat gestimmt, Sie waren immer sehr großzügig. Aber das Entscheidende war, ich konnte mich in meiner Arbeit frei entfalten, Dinge gestalten, wie ich es für richtig hielt. Ich habe mich immer so gefühlt, als wäre es mein und nicht Ihr Unternehmen.“

Diese Damen und Herren sind also echte Unternehmer gewesen, mit der gleichen Freude an der Gestaltung, wie ich sie selbst hatte. Solche unternehmerisch denkenden Mitarbeiter wünscht sich natürlich jeder Unternehmer. Aber es bekommt sie nur, wer bescheiden genug ist, sich selbst zurückzunehmen und anderen Erfolge zu überlassen. Das entsprach meinem Naturell, und so hatte ich eigentlich immer Mitarbeiter, die auf den ihnen übertragenen Gebieten und in den ihnen anvertrauten Unternehmen auch wirklich tüchtiger waren als ich. In einen Bereich, den ein anderer gut lenken und weiterentwickeln kann, soll man sich nicht einmischen.

In meinen Anfangsjahren und zu Beginn in jedem später von uns übernommenen Unternehmen habe ich mich um jedes Detail gekümmert. Wer aber wachsen will, muss sich frei arbeiten, so wie es mir schon in Hamm gelungen ist. Dadurch konnte ich mich der wichtigen Unternehmeraufgabe zuwenden, alles im Fluss zu halten, den ständigen Wandel im Unternehmen zu fördern.

Jedes Unternehmen muss sich weiterentwickeln. Arbeitsabläufe und Unternehmensziele, die heute richtig sind, können bereits morgen überholt und verfehlt sein. Dabei hat man viel weniger Zeit als gedacht. Wie oft heißt es beispielsweise, dieses Problem gehen wir im kommenden Jahr an oder das haben wir uns für den Herbst vorgenommen. Wer so handelt, vergisst, dass in einem Jahr oder auch schon in Monaten sich so viel im Leben eines Unternehmens verändert haben kann, dass dann ganz andere Probleme im Raum stehen. Nie habe ich Angst davor gehabt, durch zu rasches Handeln Fehlentscheidungen zu treffen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die meisten Fehler ohne allzu großen Schaden korrigiert werden können, wenn man rechtzeitig handelt.

Wenn sich Rahmenbedingungen verändern oder sich als anders erweisen als angenommen, sodass ein Ziel auf dem geplanten Weg nicht erreicht werden kann, dann muss man sich anpassen und damit auf diese Veränderung reagieren. Diese Erkenntnis liegt ja schon der im preußischen Generalstab entwickelten „Auftragstaktik“ zugrunde. Sie ist der in den angelsächsischen Armeen praktizierten „Befehlstaktik“ einfach überlegen.

Einer meiner Kernsätze lautete: „Bevor unsere Wettbewerber zu einem Entschluss kommen, haben wir eine Fehlentscheidung schon wieder korrigiert.“ Immer kam es mir darauf an, so schnell wie möglich zu handeln. In dem kapitalismuskritischen Buch Deleatur, das ein Korrektor der Offenbach-Post im Suhrkamp Verlag veröffentlicht hat, erscheine ich unter dem Namen „Dr. Schnelle“. Das ist nicht ganz unberechtigt.

Lange mit einem Missstand zu leben kommt der Pflege einer schwärenden Wunde gleich. Alles was man tut, bringt keine Befreiung, solange das Grundübel nicht beseitigt ist. Ich habe immer wieder erlebt, dass ein Motivationsschub das Unternehmen beflügelte, wenn Innovationen geschaffen wurden. Auf einmal meldeten sich dann Mitarbeiter, die schon innerlich gekündigt hatten, aber nun motiviert mitmachen wollten, weil sie sahen, es geht voran.

Dass vom Westfälischen Anzeiger in Hamm ausgehend eine Zeitungskette quer durch Deutschland entstehen konnte, liegt auch an meiner Bereitschaft zu teilen, um wachsen zu können. Meine vielen Partner haben immer wieder wertvolle Betriebe eingebracht und so unsere Basis verbreitert. Zugleich bekam ich in ihnen Mitstreiter, die mit ihrem Verstand, ihren Ideen und ihren Kontakten wesentlich beigetragen haben zum ständigen Wachstum unserer Firmengruppe. Heute sehe ich mit Freude, dass mein Nachfolger in der Verantwortung für unsere Firmengruppe, Daniel Schöningh, gerade diesen meinen Weg erfolgreich weitergeht.

So wurde für unsere Zeitungen in Hessen die „Zeitungsholding Hessen“ gegründet. Daran haben sich die jungen Herren Jan Eric und Max Rempel aus Gießen maßgeblich beteiligt und ihre Zeitung in Gießen eingebracht. Wir haben nun Partner, die vom Alter her meine Enkel sein könnten. Deren Kenntnisse und deren Elan haben es möglich gemacht, dass wir es wagen konnten, die Frankfurter Societäts-Druckerei mit der Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Neuen Presse zu übernehmen. Das bleibt eine große Aufgabe. Aber nun kann der Verleger unserer Offenbach-Post, Thomas Kühnlein, endlich eine größere Perspektive für diesen Standort-Titel sehen und mitgestalten.

Der Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens hängt von den Menschen ab, die es betreiben und darin arbeiten. Die entscheidende Eigenschaft, die ein Unternehmer haben muss, ist deswegen seine Fähigkeit, Menschen zu erreichen. Nur wenn das gelingt, kann wie mit Transmission in einem Räderwerk vom kleinen Antriebsrad ausgehend immer Größeres in Bewegung gesetzt werden.

Sehr wichtig ist es, die Arbeit aller Beschäftigten im Betrieb wertzuschätzen, und zwar nicht nur in Lippenbekenntnissen auf Weihnachtsfeiern. Zuwendung und Anerkennung müssen immer präsent sein. Es ist notwendig, mit Mitarbeitern auf allen Ebenen ergebnisoffen zu diskutieren und von ihnen zu lernen. Kein Gedanke ist so gut, dass er nicht durch Diskussion und Infragestellen besser werden könnte. Gerade die fälschlich sogenannten „unteren“ Ebenen in einem Unternehmen wissen oft sehr gut, was erfolglos ist und was verbessert werden muss. Keines meiner Unternehmen habe ich jemals besucht, ohne mit möglichst vielen Mitarbeitern aus allen Ebenen ins Gespräch zu kommen.

Zu den Menschen, die ein Unternehmen erreichen muss, gehören in einem Zeitungsverlag naturgemäß vor allem die Leser. Sie sind die Kunden, von denen alles abhängt. Sie gilt es mit dem Inhalt der Zeitung, mit dem besten Service wie mit persönlicher Ansprache immer wieder zu umarmen. Gute Zeitungsartikel müssen so etwas wie „Liebesbriefe“ an die Leser sein.

Um mehr über unsere Leser zu erfahren, dazu war mir immer das Gespräch mit unseren Zeitungszustellern und unseren Abonnenten-Werbern sehr wichtig. Sie kennen die Wünsche und Vorlieben der Leser sehr genau und wissen, warum eine Zeitung abonniert oder nicht gelesen wird. Als ich jung war, ging ich samstags gelegentlich selbst mit zur Werbung von Abonnenten von Haustür zu Haustür. Sehr lehrreiche und oft auch menschlich anrührende Erlebnisse waren das für mich.

Der Liebe meiner Eltern zu mir verdanke ich mein Selbstvertrauen und meine positive Grundeinstellung zum Leben. Die Eltern waren ausgesprochene Bildungsbürger. Goethe, Schiller, Thomas Mann, überhaupt alle Großen der Weltgeschichte bestimmten die Gespräche. Dazu gehörten immer griffbereit die vielbändigen Lexika, statistische Jahrbücher, Wörterbücher und der „Plötz“ als geschichtliches Nachschlagewerk. Alles, was man gerade nicht wusste, oder was in der Unterhaltung jemand behauptete, musste sogleich nachgeschaut werden. Dazu hatten die Eltern, die beide auf dem Land aufgewachsen waren, eine vollkommen bodenständige und in keiner Weise abgehobene heitere Lebenseinstellung. Risikofreude und Offenheit für Neues waren für sie selbstverständlich. Wer, wie es hieß, den Marschallstab im Tornister hatte, der war moralisch verpflichtet, ihn auch herauszuholen. Keinesfalls durfte er sich auf die faule Haut legen. Das hat mich geprägt.

Sehr ist mir zugutegekommen, dass viele Menschen mich mochten. Was bei den Lehrern anfing, setzte sich fort bei wohlwollenden Prüfern in den großen Examen und dann bei den Vorgesetzten der Betriebe, in denen ich Praktika ableistete. Später waren es meine Geschäftspartner und vor allem die stetig wachsende Zahl meiner Mitarbeiter, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben.

Ich glaube, diese Sympathie, die mir sooft entgegengebracht wurde, hängt damit zusammen, dass ich kein Selbstdarsteller bin. Viele Jahre wurde ich unterschätzt, hatte den Spitznamen „Konfirmand“. Noch bei den Verhandlungen in München 1982 zum Erwerb von Merkur und tz hieß es, ich sei nur „Strohmann“ für irgendeinen Dritten.

Vor allem habe ich immer wieder viel Glück gehabt. Das hat meine Schwächen überdeckt. So gut ich nämlich in meinen Betrieben und mit den Mitarbeitern wie mit Lesern Gemeinschaften bilden konnte, so schwer fiel es mir, das auch nach außen zu tun. Als gelerntes Einzelkind stand ich den verschiedensten Gruppen, die mich eigentlich einbinden wollten, oft zu distanziert gegenüber. Mir liegt der Konformismus nicht, der doch zu jeder Gemeinschaft gehört. „Erinnerungen von einem, der nie ganz dazu gehört hat“, das hätte daher auch über dieser Schilderung meines beruflichen Werdeganges stehen können.

Ich bin mein ganzes Leben mehr Einzelkämpfer als Netzwerker gewesen. Dass ich trotzdem erfolgreich war, mag an dem liegen, was Johann Heinrich Voß, der klassische Homer-Übersetzer, so ausgedrückt hat: „Nicht aus Gunst erhob das Schicksal Dich, sondern um zu zeigen, dass es sogar aus Dir etwas zu machen verstand.“ Aber meine engste Mitarbeiterin über viele Jahre, Angela Hermeling, der ich unendlich viel verdanke, pflegte doch zu sagen: „Alles können Sie nicht falsch gemacht haben, sonst wären Sie nicht so weit gekommen.“ Es ist vielleicht wirklich so, dass mir viel geglückt ist durch eine Mischung von Festigkeit und Anpassungsfähigkeit, von Großzügigkeit und Geschäftssinn.

2Kindertage

Meinen ersten Besuch in einem Büro habe ich noch in Erinnerung. Am 13. Oktober 1944 nahm der Vater mich mit an seinen Arbeitsplatz in der Verwaltung der Rüdersdorfer Kalkbergwerke. Hier war er untergekommen nach seiner fristlosen Entlassung als Geschäftsführer der Rheinisch-Westfälischen-Zeitung in Essen. In einer Redaktionskonferenz hatte er geäußert: „Der Rassismus ist Wahnsinn.“ Das wurde der örtlichen NSDAP gemeldet. So musste er gehen.

An diesem Oktobertag lag auf jedem der etwa zehn Schreibtische für mich ein kleines Geschenk zum Geburtstag. Es waren gebrauchte Spielsachen aus den Beständen der Damen, die dort tätig waren. Ihre Männer und Söhne standen an der Front. Alle strahlten mich an, wie ein Hoffnungszeichen in dieser düsteren Zeit.

Meine kindlichen eigenen Schritte als „Kaufmann“, wenn man es so nennen wollte, liegen noch vor der Währungsreform 1948. In der Zeit, in der man nichts kaufen konnte, bekam ich ein winziges Stück Gartenland zugeteilt durch die Freundlichkeit unseres Vermieters. Darauf durfte ich anpflanzen, was ich wollte. Ich entschied mich für Tabak, der in Nordwestdeutschland natürlich kaum gedieh. Die Blätter musste ich grün ernten. Zum Trocknen hängte ich sie auf dem Dachboden an Drähten auf. Klein gerieben und in Tütchen aus Zeitungspapier verpackt, verkaufte ich sie in unserer Nachbarschaft. Da lebten Flüchtlinge, Familien mit Männern, die zur Untätigkeit verdammt waren. „Was Du da hast, Junge, ist doch kein Tabak“, meinten sie, aber da es sonst nichts gab, nahmen sie meine Tütchen doch und gaben mir Groschen der wertlosen Reichsmark-Währung dafür.

Bei diesem Handel habe ich die Not kennengelernt. Einer meiner „Kunden“ zeigte mir einen Laib Brot, in den waren fünf Kerben mit dem Messer eingeritzt. „Jeden Tag dürfen wir nur eine Kerbe weiter essen. Das Brot muss für unsere Familie die ganze Woche reichen“, sagte mir der besorgte Hausvater aus Schlesien. „Und bei Euch“, meinte er weiter, „hängen die Würste von der Decke“. Das stimmte zwar nicht, denn wir waren auch Flüchtlinge, aber es war mir trotzdem peinlich. Denn die Großeltern waren einheimische Bauern. In deren Küche hingen tatsächlich Mettwürste an der Decke, um an der Luft getrocknet zu werden.

In gleicher Weise hatte ich auch einen kleinen Handel mit Klopapier, das es ja ebenfalls nirgendwo zu kaufen gab. Dazu sammelte ich Zeitungen, schnitt sie in kleine Blätter, durch die ein Draht gezogen wurde. So ließ sich am stillen Örtchen ein kleines Päckchen an den Nagel hängen.

Nach der Währungsreform, vor allem in der Korea-Krise 1950, war Zeitungspapier knapp und sehr begehrt. Ich sammelte, wo ich konnte, in der ganzen Nachbarschaft alte Zeitungen, machte sie glatt und verkaufte sie zu Kilopaketen gebündelt an einen Fischhändler in der Stadt. Von dem Geld, das ich bekam, ist mir nichts mehr in Erinnerung. Wohl aber weiß ich noch, wie gut es mir tat, wenn der Händler mich vor allen Kunden lobte als fleißigen Jungen, der sich nützlich zu machen weiß.

Ich war Einzelkind, fühlte mich manchmal auch einsam und hatte recht alte Eltern. Meine „Geschäfte“ waren in Wahrheit Anläufe, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, von ihnen anerkannt zu werden. Ähnlich ist es dann oft in meinem späteren Berufsleben gewesen.

Dass Geld nur Bedeutung hat, wenn man damit umzugehen weiß, habe ich bei meinen jugendlichen Geschäften kennengelernt. Ich hatte nämlich mit Erreichen der sogenannten „beschränkten Geschäftsfähigkeit“ von der Stadtsparkasse Bochum ein Sparbuch geschenkt bekommen. Auf dem waren als Sparanreiz bereits 5 DM gutgeschrieben. Nun nahm ich mir vor, dort jede Woche den gleichen Betrag aus eigener Kraft einzuzahlen. Da mein Handel sich später auch auf Briefmarken ausdehnte, die ich auf dem Schulhof verkaufte, und weil ich auch ein kleines Taschengeld von zu Hause bekam, schaffte ich das auch eine Zeit lang. Als aber dann auf dem Sparbuch mehr als 100 DM lagen, damals viel Geld für einen Zwölfjährigen, wusste ich nichts damit anzufangen. Ich wurde ja von daheim mit allem Notwendigen versorgt. Ich erinnere mich noch an meine Enttäuschung. Sie führte dazu, dass ich dann diesen ganzen Sparplan aufgab.

Den Handel mit Briefmarken aber betrieb ich weiter. Zusammen mit einem Schulkameraden, von dem ich eigentlich dachte, er sei mein Freund, gingen wir gemeinsam auf Briefmarkenjagd. Dabei lernte ich dann auch, wie schmal, aber doch immer klar erkennbar, der Grat zwischen Ehrlichkeit und Betrug ist.

Wir Jungen kamen ja natürlich nur an Marken, die ziemlich wertlos waren. Landeten wir aber beim Durchwühlen alter Briefe im Elternhaus mal einen Treffer, dann kaufte uns der Briefmarkenhändler solche Marken ab. Oder er tauschte sie ein gegen andere Marken, die uns gefielen, die aber natürlich weniger wert waren. Überhaupt habe ich damals schon diesen Briefmarkenhändler als sehr unseriös empfunden, weil er uns unerfahrene Kinder übervorteilte. Einmal sah ich nämlich in seinem Schaufenster, an dem wir uns die Nasen plattdrückten, eine teure Marke, die er uns sehr billig abgekauft hatte. Auch gab er uns „Aufträge“ und nannte Marken, die er uns abkaufen würde, wenn wir sie „besorgen“.

Eines Tages lud ein Klassenkamerad mich und meinen Briefmarkenfreund zu sich, als seine Eltern nicht zu Hause waren. Er bot uns wunderbare Marken aus der Sammlung seines Vaters an. Ich erklärte sofort, diese Marken zu übernehmen wäre Diebstahl. Wir verließen deswegen gemeinsam die Wohnung. Ich ging nach Hause. Keine zwei Stunden später erschien bei mir der Freund und präsentierte stolz die begehrten Marken als seinen Besitz. Er war in die Wohnung zurückgegangen und hatte die dem Vater gehörenden Marken erworben - für sich, versteht sich. Ich wäre ja so dumm gewesen, in das Geschäft nicht einzuwilligen. Jetzt wollte er sie dem Briefmarkenhändler anbieten.

Das war für mich das Ende dieser Freundschaft und ich verlor auch bald das Interesse am Handel mit Briefmarken. Wenn lohnende Stücke nur aus den Sammlungen der Väter zu bekommen waren, machte mir das Ganze keine Freude mehr. Ein echter Sammler war ich ja ohnehin nie gewesen.

3Rolf Ippen

Mein Vater stand mir sehr nahe. Seine geistige Überlegenheit war allenthalben zu spüren. Mit seiner charismatischen Ausstrahlung und vernünftigen Argumenten hatte er die Gabe, Menschen zu

Rolf Ippen (1899-1968) – Bauernsohn aus Ostfriesland, 1922 Geschäftsführer des Verlegerverbandes Westfalen, Verlagsleiter in Essen bis 1938, Verlagschef der WAZ 1949-1963.

überzeugen. Ich verdanke ihm an allgemeiner Bildung und auch für mein späteres Berufsleben alles. In seiner Liebe zu mir und als Pädagoge hat er mich geformt und auf den Weg gebracht, den er für richtig hielt. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals etwas verboten hätte. Aber er belehrte gerne über die möglichen Folgen von diesem oder jenem Schritt und stellte mir dann die Entscheidung frei. „Es ist ja Dein Leben“, meinte er. „Du musst aber auch die Konsequenzen Deines Tuns oder Nicht-Tuns aushalten.“ Eine seiner pädagogischen Lieblingsgeschichten war eine Novelle von Gottfried Keller, Frau Regel Amrain und ihr Jüngster. Die allein gelassene Frau Amrain liebt ihren jüngsten Sohn über

Käthe Ippen (1899-1993), meine Mutter, deren heitere Lebenskunst bis ins hohe Alter ich erst jetzt richtig verstehe, da ich selbst älter werde.

alles und führt ihn sanft pädagogisch so, dass aus ihm ein respektabler Mann wird. Sicher zog mein Vater Parallelen zu uns beiden bei dieser Geschichte, die ich noch heute, in Erinnerung an ihn, nur mit Rührung lesen kann.

Als Vater starb, war ich erst 27 Jahre alt. Durch die vielen Jahre, die seitdem vergangen sind, ist sein Bild in meinem täglichen Leben etwas verblasst. Anders als bei meiner Mutter, die mich bis in mein sechstes Lebensjahrzehnt begleitet hat und deren fröhliche Lebensklugheit ich von Jahr zu Jahr, da ich selbst älter werde, mehr bewundere. Ohne den Vater aber hätte ich niemals ein erfolgreicher Unternehmer werden können. Intellektuell und in seiner ganzen Persönlichkeit wäre er mir sicher auch heute noch überlegen. Aber was den Umgang mit Menschen angeht, der ja für den Erfolg als Unternehmer sehr wichtig ist, glaube ich doch, glücklicher veranlagt zu sein. Mir fiel es einfach leichter, auf Augenhöhe Herzen und Sympathien für mich zu gewinnen. Seine Persönlichkeit war dagegen so überlegen, dass manche sich bedrängt fühlten und sich dann nicht so entwickeln konnten, wie es für die Unternehmen und für ihn gut gewesen wäre.

Von 1949 bis 1963 war er die treibende Kraft, die den WAZ-Zeitungsverlag zu einer auch wirtschaftlich überaus erfolgreichen Unternehmensgruppe entwickelt hat. Ich konnte das aus nächster Nähe verfolgen. Gerne bezog er mich in seine Überlegungen ein, auf langen Spaziergängen oder wenn ich ihn nach der Schule im Büro besuchte. Dort lernte ich dann auch den WAZ-Gründer Erich Brost sowie seine engste Mitarbeiterin und spätere Ehefrau Anneliese Brinkmann kennen.

4Erinnerungen an Erich Brost

Neben meinem Vater hat Erich Brost auf mich den größten geistigen Einfluss gehabt. Sein Foto hängt heute noch in meinem Büro. Er war ein durch und durch politisch interessierter Mensch und kannte die meisten der damaligen Politiker aus seiner langen Zugehörigkeit zur SPD auch privat sehr gut. Mit Erich Ollenhauer zusammen hatte er als Emigrant in London sehr bescheidene Jahre erlebt. Als wichtiger Zeitungsherausgeber wurde er auch vom damaligen Bundeskanzler Adenauer wiederholt in sein Haus nach Röhndorf zum Tee eingeladen. Das waren Begegnungen, von denen er amüsant zu berichten wusste. Etwa wenn der Bundeskanzler nach dem Tee seine beiden erwachsenen Töchter aus dem Zimmer schickte mit der Bemerkung: „Ihr habt doch sicher noch Handarbeiten zu erledigen. Ich muss jetzt mit unserem Gast unter vier Augen reden ...“

Erich Brost (1903-1995) – von den Engländern bekam er die Lizenz für die Westdeutsche Allgemeine als parteiübergreifende Zeitung. Unter ihm als Chefredakteur wurde sie schnell die meistgelesene deutsche Regionalzeitung.

Ich verdanke Erich Brost, angefangen von Gesprächen als Schüler und Student bis hin in meine Berufsjahre, geistige Anregungen. Während mein Vater, Bauernsohn aus Ostfriesland, studierter Volkswirt, mich eher im liberalen, bürgerlichen Sinne prägte, lernte ich hier die Welt der gebildeten Sozialdemokratie kennen, in der Brost, Sohn eines Werkmeisters aus Elbing / Westpreußen, zu Hause war.

Er war sehr zurückhaltend und zeigte kaum Gefühle. Das entsprach seinem Temperament. Dabei hatte er viel Sinn für Humor, der auch von der zurückhaltenden angelsächsischen Art war. Später stellten wir fest, dass wir dieselben Dichter kannten und liebten, wie Heinrich Mann, Theodor Fontane und Goethe natürlich. Worin ich ihm nicht so folgen konnte, das war seine Liebe zu Günter Grass. Das hatte bei ihm aber auch mit den gemeinsamen Wurzeln in Danzig zu tun, wo Brost Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung Danziger Volksblatt gewesen war. 1936 musste er von dort vor den Nazis nach Schweden und England fliehen. Dass er mich wirklich mochte und meinen späteren Berufsweg mit großer Sympathie verfolgt hat, habe ich eigentlich erst nach seinem Tod von seiner Witwe Anneliese so richtig erfahren dürfen.

Der gelernte Buchhändler Brost war durch und durch Journalist und dabei sehr vom englischen Journalismus geprägt. Den hatte er als Emigrant in London kennengelernt. Ebenso angelsächsisch war sein erster Redaktionsleiter Otto Bezold, ein auf den Philippinen geborener und in den USA ausgebildeter Weltbürger. So entstand eine Zeitung, ohne die damals üblichen langen und oft langweiligen Abhandlungen. Geschichten über Menschen waren wichtig.

Die erste Ausgabe schon der später so überaus erfolgreichen Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 3. April 1948 wandte sich an zwei Stellen direkt an die Leser in einer Weise, die heute, im Zeitalter der Internet-Plattformen, geradezu zukunftsweisend klingt. Auf Seite 1 heißt es da „Zum Neubeginn“ unter anderem: „Die WAZ will nicht zuletzt auch eine Plattform für den freien Austausch verantwortungsbewusster Meinungen zu wichtigen Streitfragen bieten. Sie erwartet deshalb die Mitarbeit auch ihrer Leser.“

Und in einer Anweisung vom 8. April 1948 hieß es: „Immer interessant und spritzig und immer leicht lesbar. Die menschliche Seite, der ‚human touch‘, ist wesentlich. Wo die Bedeutung des Gegenstandes auch die Verarbeitung trockenen Stoffes notwendig macht, muss er durch menschliche Streiflichter und lockere Verarbeitung ,verdaulich‘ gemacht werden.“

So etwas war sensationell damals, und besser könnte man es auch heute nicht ausdrücken, dass Zeitungen vor allem eines sein müssen: Solidarsysteme, in denen die Leser sich wiederfinden. Mit dieser damals ungewöhnlichen Lesernähe und mit Journalisten, die für ihre Zeitung buchstäblich „durch dick und dünn“ gingen, erreichte die WAZ schon im Dezember 1948 eine Auflage von 312 000 und im vierten Quartal 1957 war eine Auflage von 405 000 Exemplaren erreicht. Das war mehr als irgendeine andere Regionalzeitung in Deutschland aufzuweisen hatte.

Außerhalb des Ruhrgebietes schaute man auf dieses äußerst lebhaft aufgemachte Blatt mit so vielen Reportagen über Menschen nach dem Vorbild der angelsächsischen „Feature stories“ gerne herab. Dabei war die Zeitung vorbildlich in ihrem Bestreben nach Sachlichkeit und Objektivität wie in ihrer betont demokratischen und sozialen Einstellung. Mit ihrer unbedingten Loyalität zum Westen und zur deutsch-französischen Aussöhnung unterstützte dieses von einem SPD-Mann herausgegebene Blatt Adenauers Außenpolitik.

5Ein lehrreicher Nachmittag in Espelkamp

Angesichts derart großer Auflagensteigerungen konnte es nicht ausbleiben, dass die Zeitung schon in den 50er Jahren über eine sehr große Ertragskraft verfügte. Mein Vater, als Kaufmann in diesem Unternehmen, neben den beiden Journalisten Brost und Funke, nutzte das zunächst, um andere Verlagsunternehmen zu erwerben. Das gelang in Kassel mit Übernahme der Hessischen Nachrichten und in Düsseldorf mit dem Zeitschriften-Verlag Welt am Sonnabend. Dazu trieb er den Konzernaufbau für die WAZ aber auch in pressefremde Bereiche. Vom Kupfer- und Messing-Werk im rheinischen Langenberg, über die Röntgengeräte-Firma Koch & Sterzel bis zum Erwerb einer Beteiligung am Otto Versand. Er glaubte an Mischkonzerne und meinte, mit der richtigen Oberleitung passe alles unter ein Dach. Ein wirklicher Unternehmer könne überall Erfolg haben.

Im Falle der Otto-Beteiligung ging alles gut. Man hatte eine Minderheit von 25 Prozent erworben. Die unternehmerische Leitung blieb bei der Familie Otto, beziehungsweise bei ihren im Handel erfahrenen Mitarbeitern, die Werner Otto herangezogen hatte, wie später seinen Sohn Michael.

Das Röntgengeräte-Unternehmen aber war zu 100 Prozent übernommen worden. Es erwies sich schon bald als ein schlechter Kauf. Gegen Siemens und andere hatte das ursprünglich in Dresden ansässige Unternehmen einen schweren Stand. Einer der Wettbewerber war ein amerikanisches Großunternehmen mit einer deutschen Tochter in dem kleinen Ort Espelkamp, einer ehemaligen Flüchtlingssiedlung. Mein Vater hoffte, sein schlecht gehendes Unternehmen an die Amerikaner verkaufen zu können oder wenigstens mit ihnen zu kooperieren. Da er zu der Generation gehörte, die Latein und Altgriechisch besser konnte als Englisch, nahm er mich, obwohl ich noch zur Schule ging, als Dolmetscher mit nach Espelkamp zur Verhandlung mit dem aus den USA angereisten „Big Boss“ der Firma.

Dieser Besuch ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Ich lernte bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal einen weitblickenden, amerikanischen Konzernchef und Gentleman kennen. Er beeindruckte mich sehr. Zu mir jungen Burschen war er ausgesprochen nett und machte mir Komplimente zu meinem doch sehr unvollkommenen Englisch.

Dem Vater jedoch machte er keine Hoffnungen: „Why, as a newspaper publisher, did you have to buy Koch & Sterzel?“ – war seine wiederholt gestellte Frage. Vater suchte seine Mischkonzern-Theorie zu verteidigen, aber es war deutlich zu spüren, dass dieser weltgewandte Geschäftsmann davon gar nichts hielt.

Mir ist das bis heute eine Lehre geblieben. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber grundsätzlich soll man als Unternehmer nichts machen, was andere besser können, wo einem das notwendige Know-how fehlt. Eine wichtige Erfahrung war es für mich auch, den von mir so bewunderten Vater in einer unterlegenen Rolle zu erleben. Wenn ich später selbst aus einer schwachen Position heraus zu verhandeln hatte, musste ich manchmal an den für den Vater, aber keineswegs für mich verlorenen Tag in Espelkamp denken.

6Meine Zeiten als Praktikant

Gleich nach dem schriftlichen Abitur, noch vor der mündlichen Prüfung, die wir nicht ernst nahmen, fand ich mich in der Wechselabteilung der Deutschen Bank in Essen als Volontär wieder. Ich hatte nichts dagegen, die Wochen bis zum Beginn meines Jura-Studiums in Freiburg so zu überbrücken. Das Abrechnen der Wechsel mit den Diskontzinsen und Spesen, an denen die Bank natürlich verdiente, mit Hilfe von elektrischen Rechenmaschinen lag mir eigentlich nicht besonders. Immerhin kann ich heute noch die sieben Bestandteile eines Wechsels auswendig aufsagen, weil es dafür einen kleinen Merkvers gibt. Der längst verschwundene Wechsel war damals noch weitverbreitet zur kurzfristigen Warenfinanzierung. Die Bundesbank bestimmte über die Höhe des Diskontsatzes und konnte damit die in jener Zeit oft übersprudelnde Konjunktur dämpfen. Ich erinnere mich noch gut, dass beispielsweise sogar ein so großer Einzelhändler wie der in Essen ansässige Karstadt-Konzern stapelweise Handelswechsel bei uns zum Diskont einreichte.

Als Volontär hatte ich auch am Lehrlingsunterricht der Bank teilzunehmen. Der wurde von einem älteren Prokuristen geleitet, dem es sichtlich Spaß machte, dem Abiturienten des altsprachlichen Gymnasiums zu beweisen, dass die ordentlichen Lehrlinge mit ihrer Volks- oder Realschulbildung mir im kaufmännischen Rechnen weit überlegen waren.

In der Abteilung musste ich immer wieder staunen, mit welch unglaublicher Geschwindigkeit die Damen dort auf unendlich langen Rechenstreifen Zahlen aufaddieren konnten. Abends war immer die bange Frage: „Stimmen wir mit Düsseldorf?“ Dort war die uns übergeordnete Hauptstelle der Bank, mit der alle Konten im System der doppelten Buchführung abgestimmt sein mussten. Wie habe ich bei der Suche nach Fehlern den erfahrenen Abteilungsleiter Ludwig bewundert. In Windeseile durchsuchte der die endlos langen Tippstreifen nach Zahlen, die ihm „komisch“ vorkamen. „Das hier könnte ein Zahlendreher sein, da müsst ihr mal nachschauen!“ Und wie ein Schlafwandler fand er den Fehler, nach dem wir noch stundenlang hätten suchen müssen. Hinter kleinen Abweichungen können sich große verbergen. Das war auch eine seiner Lehren, wenn wir endlich nach Hause gehen wollten und fälschlich meinten, pfennigkleine Unstimmigkeiten könne man doch getrost auf sich beruhen lassen.

Obwohl ich – wie gesagt – mit den ganzen Zahlen mehr schlecht als recht umgehen konnte, lobte mich der Abteilungschef bei meiner Verabschiedung ins Studium. Man habe ja, meinte er, immer wieder Söhne von wichtigen Kunden als Volontäre annehmen müssen. Ich hätte mich aber so betragen, dass ich jederzeit wieder kommen könne und willkommen sei.

Eine ganz andere Lehre erteilte mir dagegen der damalige Ruhrgas-Vorstand Fritz Gummert, ein Freund meines Vaters. Der damalige Chef vom jungen Alfred Herrhausen war zu Gast bei uns zu Hause. Stolz berichtete ich ihm von meinen Erfahrungen aus der Wechselabteilung der Deutschen Bank. „Na“, meinte er, „Du willst doch Kaufmann werden – oder? Wenn Du Dich darauf vorbereiten willst, dann musst Du einen Stand auf dem Wochenmarkt aufmachen. Bei der Deutschen Bank kannst Du das nicht lernen!“

In meinen Semesterferien ging ich gleichwohl wieder zur Bank, diesmal in die Auslandsabteilung, gerade zu der Zeit, als die erste Aufwertung der D-Mark gegenüber dem Dollar im Festkurssystem von Bretton Woods erfolgte. Ludwig Erhard hatte diese richtige Maßnahme mühsam durchgesetzt gegen die Industrie und gegen den ihr gefälligen Adenauer. In unserer Abteilung wurde das Für und Wider heftigst diskutiert.

Ein paar Ferienwochen verbrachte ich auch bei einer Bank in Nantes in Frankreich, zusammen mit meinem Freund Rolshoven, dessen Vater mit seinen guten Verbindungen nach Frankreich uns diesen Ferienjob besorgt hatte. Wir interessierten uns natürlich vor allem für die in der Bank arbeitenden Mademoiselles, ohne bei ihnen richtig landen zu können. Insgesamt war das Geschehen in dieser großen französischen Regionalbank doch recht altmodisch, verglichen mit meinen Erlebnissen bei der Deutschen Bank. Ich hatte Kreditanträge zu bearbeiten von ländlichen Kunden, Gärtnern und Landwirten, deren Bilanzen anzuschauen und mit einem Vorschlag an den Vorgesetzten weiterzureichen. Dieser sagte mir am Ende bei der Verabschiedung, vieles sei doch ganz vernünftig gewesen, was ich in meinem holprigen Französisch geschrieben hatte.

Ich erlebte dann auch den Einzug der elektronischen Datenverarbeitung in die Betriebe, mit den Lochkarten und Tabelliermaschinen. Ein Praktikum bei der IBM führte mich zu einem mehrtägigen Lehrgang nach Sindelfingen. Dort konnte ich nur staunen über die Kenntnisse meiner „Mitschüler“ aus den Verwaltungsabteilungen von Banken oder Stadtsparkassen. Ich war vollkommen überfordert, fand die Tage recht mühsam, die Abende mit den so viel älteren Fachleuten recht langweilig. Ich erinnere mich noch, dass Eisenbahn-Interessierte darunter waren. Die pilgerten abends tatsächlich zum Sindelfinger Bahngelände und kannten jedes Zugmodell, das dort zu sehen war. Interessanter war es dann später im Essener IBM-Büro. Dabei spielte eine Rolle, dass der für die WAZ zuständige Kundenbetreuer mich aus naheliegenden Gründen verwöhnen wollte und mich zu langen Gesprächen mittags zum Lunch mitnahm. Dabei lernte ich die Gedankenwelt eines Topverkäufers ganz gut kennen.

Regelmäßig wurde ich in den Semesterferien an geeignete Stellen der damaligen Wirtschaft herumgereicht. Ein richtiges Protektionskind natürlich, das vorbereitet werden sollte auf eine schnelle Karriere nach Abschluss eines kurzen Studiums. Mir hat das nicht geschadet, aber ich bin doch froh, dass ich dann doch kein Protektionskind geblieben bin. Das hätte leicht geschehen können, wenn es zu dem gekommen wäre, was mein Vater und Brost vereinbart hatten. Danach sollte ich WAZ-Geschäftsführer werden, dort wollte Brost dann später seinen Sohn Martin als seinen Nachfolger für die journalistische Seite installieren.

7Am Tisch mit den streitenden WAZ-Verlegern

Zwischen den so erfolgreichen WAZ-Verlegern gab es von Anfang an immer wieder Streit. Erich Brost bereute zutiefst, dass er 1948 Jakob Funke, wegen dessen guten Verbindungen in dem ihm fremden Essen, gleichberechtigt als Partner in die neue Zeitungsfirma aufgenommen hatte. Lediglich in allen Fragen der Redaktion und des Zeitungsinhalts hatte er sich Alleinentscheidungsrechte vorbehalten. Dass der frühere Lokalredakteur Funke trotzdem immer wieder versuchte, in die Redaktion einzugreifen, ärgerte Brost.

Im Herbst 1949 durften die angestammten Zeitungen der Altverleger im Ruhrgebiet wieder erscheinen. Mein Vater hatte in den Monaten davor ein gemeinsames Vorgehen der Verleger Dierichs aus Bochum und Girardet in Essen als Gründungsbeauftragter vorbereitet. Die Lizenzzeitung WAZ wollte man vereint mit den traditionsreichen Titeln Essener Allgemeine und Bochumer Anzeiger schlagen. Die WAZ-Herausgeber Brost und Funke hatten Respekt vor dieser drohenden Konkurrenz erfahrener Verleger. Deswegen boten sie den Altverlegern eine 50 Prozent-Beteiligung an ihrem Verlag an. Mein Vater riet, dieses Angebot anzunehmen, um einen Konkurrenzkampf mit ungewissem Ausgang zu vermeiden. Girardet in Essen entschied sich aber im letzten Augenblick, sein Essener Tageblatt lieber alleine wieder aufleben zu lassen. Ein schwerer Fehler, wie sich bald herausstellen sollte.

So kam es zur Teilung der großen WAZ