Mein Weg aus der Ausweglosigkeit - Anton Weiß - E-Book

Mein Weg aus der Ausweglosigkeit E-Book

Anton Weiß

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Beschreibung

Als von Jugend auf religiös Suchender geriet ich mit 65 Jahren in eine psychische Katastrophe, deren Ergebnis die Erkenntnis dessen war, worum es im Leben geht. Was ich ursprünglich als Suche nach Gott verstand zeigte sich als die Aufgabe, das Ich zu transzendieren. Da die Befreiung aus der Ego-Verhaftetheit vom Ich her nicht bewerkstelligt werden kann, wurde ich bis an die Grenze des menschlich Erträglichen geführt, was man durchaus als Tod des Ichs bezeichnen kann..

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Anton Weiß

Mein Weg aus der Ausweglosigkeit

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorbemerkung

Autobiographische Einblicke

Teil I: Die Erlebnisse

Erlebnisse auf Runde und die Folgen

Der große Block des Zweifels

Teil II: Interpretation des Erlebten

Der Mensch im Ich

Der Halt als Illusion

Depression

Die Spaltung im Menschen

Das Unbewusste

Nicht Herr im eigenen Haus

Teil III: Der Weg

Der Sprung

Teil IV: Der Geist im Leben jedes Menschen

Am Beispiel „Tennis“:

Schlussgedanken

Literatur:

Impressum neobooks

Vorbemerkung

Über das zu schreiben, was ich erlebt habe, ist gar nicht so einfach, denn es sind – und dabei berufe ich mich auf C. G. Jung, was ich wiederholt tun werde – geheimnisvolle Vorgänge, so dass es überhaupt fraglich bleibt, ob menschlicher Verstand das geeignete Instrument ist, sie zu fassen und auszudrücken. Auch J. Jacobi ist überzeugt, dass sich diese Erfahrungen dem beschreibenden Worte entziehen.

Ich versuche es trotzdem, wobei ich immer wieder zu Bildern greifen werde.

Man möge es mir nicht übel nehmen, wenn es also nur ansatzweise gelingt, das Geschehen um die seelischen Vorgänge darzustellen. Letztlich wird es wohl nur der verstehen, der eigenes Erleben damit verbinden kann, und an solche Menschen wende ich mich ja in erster Linie. Das Problem ist, dass bei einem „normalen“ Menschen das, worüber ich schreibe, wohl nur Achselzucken hervorrufen wird und er nichts damit anfangen kann oder eben als Einzelfall abtun wird. Ist man aber dem Geschehen ausgeliefert, d. h. gerät man selber in die von mir geschilderte Situation, dann kommt meine Schrift fast zu spät und der Betroffene kann vielleicht gar nicht glauben, dass es einen Ausweg auch für ihn geben kann, wovon ich überzeugt bin. Vorher beschäftigt man sich nicht damit, weil es zu weit weg ist, weil man zu sehr von seinen geistigen Fähigkeiten – Denken und Wollen – überzeugt ist; ist man hineingeraten, dann befindet man sich in einer solchen Panik, dass man vernünftigen Überlegungen gar nicht mehr zugänglich ist.

Ich bin bestürzt, wenn Frau Jacobi solche Erlebnisse, wie ich sie durchgemacht habe, den Erschütterungen gleichstellt, wie sie den Mystikern und Eingeweihten aller Zeiten geschenkt wurden. Ich würde das nicht so hoch hängen; ich glaube, dass viel mehr Menschen davon betroffen sind, aber nicht um die Hintergründe wissen. Ich selbst fühle mich als kleiner Mensch, der darum ringt, nicht zu ertrinken und darum kämpft, sich über Wasser zu halten und festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und das zeichnet sich allmählich ab und darum schreibe ich darüber, um Menschen, denen es ähnlich geht – und das sind im Grunde alle, die depressive oder schizophrene Zustände kennen, aber auch in Abhängigkeiten irgendwelcher Art geraten sind und nicht wissen, wie sie da wieder herauskommen können, und sie werden immer mehr – Mut zu machen und einen Ausweg aufzuzeigen.

Was ich schreibe, ist erlebt und erlitten. Wenn es manchmal dürre Worte zu sein scheinen, dann liegt das an der Unmöglichkeit der Sprache, die tiefgreifenden Aspekte solchen Erlebens mit Worten sichtbar zu machen. Jeder, der schon versucht hat, einem anderen die emotionale Bedeutungstiefe eines Albtraumes sprachlich zu vermitteln, stößt auf die gleiche Schwierigkeit. Es sind immer nur dürre Worte, die kaum einmal fähig sind, den gesamten emotional aufgeladenen Hintergrund dem anderen zu vermitteln. Nur wer aus eigenem Erleben einen Bezug dazu findet, kann die Worte eines anderen mit seinem selbsterlebten Inhalt füllen.

Ich möchte einfach beschreiben, was ich erlebt habe. Weil ich aber auch versucht habe, das Erlebte zu verstehen, fügte es sich zwangsläufig, dass ich Begriffe benützen musste, die oft theoretisch anmuten. Ich möchte betonen, dass alles, was ich darlege, eigene Erfahrung ist und die theoretische Interpretation nur ein Versuch, das Erlebte einzuordnen und verstehbar zu machen. Wenn ich dabei Gott und Glauben ins Spiel bringe, dann spiegelt das meine ureigensten Überzeugungen wieder. Mir ist klar, dass heute viele Menschen mit dem Begriff „Gott“ nichts mehr anzufangen wissen. Ich betrachte mich als religiösen Menschen und war immer überzeugt, dass das Leben einen Sinn hat, der über dieses Leben hinaus reicht. Ich sehe das heute nicht als Leistung oder Verdienst an, ich habe mich einfach so vorgefunden, aber ohne meinen Glauben an Gott hätte das Ende sehr wahrscheinlich anders ausgesehen.

Ich weiß nicht, wie jemand, der nicht an einen Gott glaubt, mit dem umgehen wird, wie ich meine Erfahrungen interpretiere; vielleicht gibt es auch andere Möglichkeiten der Interpretation. Die Erfahrung aber ist unbestreitbar und unabhängig von einem Glauben. Sie ist ein Faktum, über das nicht zu diskutieren ist, nur Erfahrungsaustausch ist die angemessene Weise des Umgangs damit.

Ich werde in einem ersten Teil die Erlebnisse darstellen, noch möglichst ohne Interpretation - was aber nicht ganz gelingen wird -, und in einem zweiten Teil die Interpretation dieser Erlebnisse, die hauptsächlich aus den durch das Studium der Schriften von C. G. Jung gewonnenen Einsichten erfolgt. Mir ist dabei bewusst, dass es zu Wiederholungen kommen wird, aber das nehme ich in Kauf – und hoffentlich auch der Leser -, da so klarer das Erleben auf der einen Seite und die Interpretation auf der anderen Seite in Erscheinung treten. Teil III und Teil IV sind weitergehende Ausführungen.

Ich hätte das, was ich erlebt habe, vielleicht nicht überstanden – d. h. ich wäre wohl in der Psychiatrie oder im Gefängnis gelandet – wenn ich nicht Halt gefunden hätte an meinem Glauben an Gott und an den Schriften von C. G. Jung, der für mich in frappierender Weise über all das schreibt und ein theoretisches Fundament zum Verständnis dessen legt, was ich erfahren habe.

Es wäre mir so wichtig, dass diese Darlegung veröffentlicht wird, weil ich überzeugt bin, dass damit vielen Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, eine Sicht aufgezeigt würde, wie man die psychischen Vorgänge verstehen könnte, die in der wissenschaftlichen Literatur über Schizophrenie und Depression so nicht zu finden ist.

Wer mit meinen Darlegungen nichts anfangen kann, dem möchte ich Goethes Satz in Erinnerung rufen: „Du bist dir nur des einen Triebs bewusst, oh lerne nie den anderen kennen.“ Er hat offensichtlich den anderen noch nicht kennen gelernt. Ich wünsche es keinem, aber man wird nicht gefragt. Es ist ein Naturereignis. Wer sein Leben gestalten kann, ohne damit in Berührung zu kommen, den möchte ich nur beglückwünschen. Was ich schreibe ist in erster Linie für den gedacht, dem das nicht mehr gelingt, der sich dieser unausweichlichen Bedrängnis gegenübergestellt sieht.

Ich möchte kurz für das Verständnis wichtige biographische und psychologische Hintergründe darlegen und meine Entwicklung beschreiben.

Autobiographische Einblicke

Wenn ich meine Lebensintention auf eine Kurzformel bringen wollte, würde ich mich im Kern als religiösen Sucher bezeichnen. Die zentrale Devise meines Lebens ist in dem Satz Jesu enthalten: „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch dazugegeben werden.“ Da ich im katholischen Oberbayern aufgewachsen bin, war ich als Kind überzeugt, dass es eigentlich den meisten Menschen darum ging, denn das war ja die Botschaft Jesu. Die vielen Menschen, die in die Kirche gingen, würden wohl seiner Botschaft zu folgen versuchen, so dachte ich. Erst allmählich begriff ich, dass es den meisten recht ferne lag, die Botschaft Jesu so ernst zu nehmen und sie in ihrem Leben umzusetzen. Für mich stellte sich als junger Mensch konsequenterweise die Frage, ob ich diesen Weg nur in einem Kloster oder auch in einem normalen Leben verwirklichen kann und mir ahnte, dass man dem konkreten Leben nicht ausweichen dürfe, dass man seinen Glauben in diesem konkreten Lebensalltag unter Beweis stellen müsse.

Ich war, wie ich annehme, dass es eigentlich jeder Mensch ist, auf der Suche nach Erfüllung. Ein erstes Schlüsselerlebnis in diesem Verlangen nach Glück lag schon in meiner Kindheit, etwa in meinem 7. Lebensjahr. Als ich mir zu Weihnachten eine Mundharmonika wünschte und kaum zu hoffen wagte, sie auch zu bekommen – es war die Nachkriegszeit - und ich meinen Augen nicht traute, als sie unter dem Weihnachtsbaum lag, empfand ich mich als den glücklichsten Menschen der Welt. Ich konnte es nicht begreifen, als wenige Wochen später die Mundharmonika achtlos in der Ecke lag. Wie konnte es sein, dass etwas, was man sich so sehnlichst wünscht, auf das man sich hinstreckt und das für einen den Inbegriff an Glückseligkeit darstellte, nach so kurzer Zeit so bedeutungslos geworden war? Was war da schief gelaufen? Diese Frage wurde für mich zu einem großen Rätsel des Lebens. Später las ich bei Sigmund Freud, dass das Glücksverlangen illusorisch sei; er lieferte auch gleich Verhaltensweisen dazu, wie man damit umgehen sollte: Man sollte die Glückserwartung nicht zu hoch hängen, sollte nicht nur von einem Gebiet das Glück erwarten, sondern klug verteilen, so wie man seine Aktien streuen soll, damit beim Zusammenbruch eines Unternehmens nicht gleich alles verloren wäre, und man soll sich klar machen, dass die Glückserwartung sowieso eine Illusion sei und überhaupt nicht erfüllbar wäre. Das habe ich nie glauben können. Gäbe es Durst, wenn es kein Wasser gäbe oder Hunger, wenn es nichts gäbe, was ihn stillen könnte? Ich kann es mir nicht vorstellen; mir liegt es viel näher zu glauben, dass wir einfach an der falschen Stelle suchen. Mich hat immer schon nachdenklich gemacht, dass die Selbstmordzahl nicht in den armen Ländern am höchsten ist, sondern in den reichen. Wir glauben doch alle, dass wenn wir all die schönen Dinge haben, die das Leben angenehm, bequem und leicht machen, wir dann umso glücklicher seien. Warum erstrebten wir sie denn? Es wäre nicht verwunderlich, dass Menschen verzweifeln, die nicht wissen, wovon sie am nächsten Tag leben und wovon sie ihre Kinder satt bekommen sollen – aber gerade hier zeigt sich ein Überlebenswille, der denen scheinbar fehlt, die im Überfluss leben. Ist das nicht eine verkehrte Welt?

Was läuft eigentlich schief in dem Unternehmen „Mensch sein“, dass wir nicht fähig sind, in Frieden miteinander zu leben, dass langjährige Partnerschaften kaum noch möglich, von vielen überhaupt nicht mehr gewünscht sind, dass wir unfähig sind, glücklich zu werden?

Später suchte ich diese Erfüllung – ich glaube, auch darin keine Ausnahme zu sein -, in der Sexualität. Aber auch da merkte ich, dass die Erwartung – die absolute Erfüllung -, ausblieb, und mir wurde klar, dass sich die Erwartung nicht auf die konkrete Frau richtet, sondern auf ein Bild der Frau, auf etwas, wofür die Frau nur Symbol ist. Die Frau repräsentiert das Weibliche als solches, und davon ist der Mann fasziniert. Das Weibliche fasziniert und wird in einer Frau erlebt. Es ist das, was Jung mit Anima bezeichnet. Als ich darüber bei Jung gelesen habe, war es mir völlig klar. Die Anima lockt, verführt und lässt einen enttäuscht zurück. Dieses Spiel wiederholt sich tausendfach, bis man begreift, dass das, wovon der Mann fasziniert ist, in der eigenen Seele liegt, und deshalb kann die Erfüllung von keiner konkreten Frau kommen. Dass mir das schon früh klar wurde, hat mich sicher davor bewahrt, eine ähnliche Dummheit zu begehen, wie sie vielen Männern passiert, die in einer festen Partnerschaft leben. Ich bin sicher, dass mir dieses Wissen geholfen hat, nicht diesen Fehler zu begehen; dennoch war es ein harter Kampf, sich das Verlangen nach anderen Frauen aus dem Herzen zu reißen. Aber mir war absolut klar, dass, wenn ich Erfüllung erlangen wollte, das nur dadurch zu erreichen war. Bei Jung kann man nachlesen, welch ungeheure moralische Kraftanstrengung es bedeutet, sich mit der Anima auseinander zu setzen und sie als das zu erkennen, was sie ist: nämlich ein Urbild in der eigenen Seele. Damit muss sich das Verlangen nicht mehr auf eine Frau richten, sondern auf das Einswerden mit der eigenen Seele. Aber wie ist das zu bewerkstelligen?

Es wird nicht verwundern, dass ich als Beruf Religionslehrer wählte, eine Möglichkeit, die sich in den 60er Jahren erst allmählich für Laientheologen eröffnete. So konnte ich das, wovon ich überzeugt war, an junge Menschen herantragen in einer Zeit, in der die Religion zunehmend aus dem öffentlichen Leben und Bewusstsein entschwand.

Ich war wohl kein sehr guter katholischer Religionslehrer, jedenfalls nicht in den Augen der kirchlichen Obrigkeit. Schon früh (mit etwa 17 Jahren) beschäftigte ich mich mit Zen-Buddhismus, fühlte mich von Meister Eckehart – der von der Kirche exkommuniziert wurde - angesprochen und später vom Taoismus. Mein Horizont war damit echt katholisch, das heißt allumfassend. Es ging mir ganz zentral um die unmittelbare Beziehung zu Gott, und Anleitungen dazu fand ich im Zen-Buddhismus mehr als im traditionellen Christentum. Sehr wohl aber fand ich im Neuen Testament gleiche Elemente, wie sie auch in anderen Religionen, gerade in den mystischen Richtungen, zu finden waren. Das „Es schießt“ von Eugen Herrigel in der „Kunst des Bogenschießens“ war für mich gleichbedeutend mit „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ eines Paulus. Diesen Zustand zu erreichen, war mir Lebensziel.

Ich bewunderte Zen-Schüler, die ihr Leben damit verbrachten, tagaus tagein vor einer Wand zu sitzen und sich dem Lösen von Koans zu widmen. Ich war überzeugt, dass es dabei um die Überwindung unseres normalen Denkens ging, dass ein Durchbruch zum wahren Sein nur erfolgen könnte, wenn das normale Bewusstsein überstiegen würde.

Mit Koans aber konnte ich mich nicht anfreunden, ich versuchte es mit Meditations- und Konzentrationsübungen und merkte, wie unfähig ich war, auch nur eine Sekunde „gedankenlos“ zu sein. Immer stand ich im Mittelpunkt des Handelns, ich war es, der die Absicht hatte, absichtslos zu werden und damit war immer ein Teil meines Geistes außerhalb. Es war immer ein Beobachter vorhanden, der mich anhielt, antrieb und mahnte, wohl das, was S. Freud als Über-Ich bezeichnen würde. Und der Beobachter stand immer außerhalb des Vorgangs und mir war klar, dass volle Konzentration nur zu erreichen war, wenn es keinen Beobachter mehr gäbe. Aber wie war das zu erreichen?

Ich bin sicher ein introvertierter Typ (nach C. G. Jung), d. h. mich interessierte das Innenleben viel mehr als das Außen, die Welt. Der Introvertierte ist sehr mit sich beschäftigt, die Welt und der andere Mensch interessieren ihn nicht wirklich. Ich kenne keine Untersuchung, die den Anteil der Introvertierten an der Schizophrenie aufzeigt; ich würde meinen, dass er sehr hoch ist. Der Introvertierte kennt und erlebt die Tiefe; Oberflächlichkeit ist ihm verhasst. Die Welt und ihr Getriebe ängstigen ihn und bleiben ihm fremd. Genau das sind wichtige Kennzeichen in der Schizophrenie: Es sind in der Regel Menschen, die Probleme in der Sozialisation haben, die als Kind lieber allein spielen, sich zurückziehen und Einzelgänger sind. Sie fühlen sich fremd in dieser Welt.

Als Introvertierter läuft man Gefahr, von der eigenen Tiefe verschlungen zu werden. Seine Aufgabe ist es, in die Welt hinauszutreten, und das erfordert ein ungeheures Kämpfen.

Als ich mit 40 Jahren eine Depression hatte, wo ich noch überhaupt nichts begriff und mir auch vom Hausarzt Psychopharmaka verschreiben ließ, nahm mich bei der ersten Attacke meine Frau mit auf den Balkon – es war Nacht – und sagte zu mir: „Schau den Sternenhimmel an.“ Intuitiv hat sie genau das Richtige gewusst: Der Introvertierte muss sich hinausbegeben in die Welt, muss offen sein für den anderen Menschen. Es muss die Einheit zwischen Innen und Außen hergestellt werden, nur dann ist der Mensch ganz.

Beim Extravertierten ist genau der umgekehrte Weg richtig. Der Extravertierte lebt in der Welt und fühlt sich in ihr heimisch, aber ihm fehlt die Tiefe, das Leben bleibt oberflächlich. Er muss die Tiefe, das Innen hinzugewinnen.

Dass aus der Introversion Schizophrenie entsteht, scheint mir fast unausweichlich, da mit ihr eine starke Selbstbespiegelung Hand in Hand geht, eine nahezu ausschließliche Beschäftigung mit sich selbst. Ob auch der Extravertierte davon betroffen wird, würde mich interessieren.

Zunehmend merkte ich, wie sehr ich in allem um mich selbst kreiste und mir war von der Religion her klar, dass es genau darum ging, dieses Um-sich-selbst-Kreisen, diese Egozentriertheit, zu überwinden. Es dauerte lange, bis ich mir eingestand, dass ich in meinem Bemühen, den religiösen Weg zur Ichlosigkeit zu gehen und zu lehren, sehr ichhaft war, dass dies meine Weise war, das Ich zu leben und ins Spiel zu bringen. Ich wollte andere bekehren, war überzeugt davon, dass nur religiöses Leben richtiges Leben ist, und entdeckte, dass genau dies die Weise war, in der mein Ich zur Geltung kam. Ich wirkte auf andere missionarisch, beinahe fanatisch. Ich habe es der Liebe zu meiner Frau zu verdanken, dass ich von dieser dem Fanatismus nahen Einstellung befreit wurde, was nur dadurch gelang, dass ich sie in ihrem ganz andersartigen Denken ernst nahm und dadurch gezwungen war, meine starre, fanatische Haltung zu hinterfragen. Ich halte es für äußerst schwierig, einen fanatischen Menschen aus seinem Fanatismus zu befreien. Er ist dermaßen eingeengt in seiner Sicht der Dinge und von deren Richtigkeit so sehr überzeugt, dass wohl nur eine außerordentliche innere oder äußere Erschütterung ihn davon befreien kann.

Ich fühlte mich eigentlich nie wohl in dieser Welt. Wenn ich für mich allein in meinem Zimmer saß und mir über Gott und die Welt und die Menschen und über mich selbst Gedanken machte, war meine Welt in Ordnung, sobald ich aber sozusagen hinaus in die Welt, unter Menschen ging, merkte ich meine Unfähigkeit, mit anderen zu plaudern. Ich konnte tiefsinnige Gespräche führen, wenn sich die Gelegenheit bot, aber wo Menschen locker plauderten und lachten, fühlte ich mich fehl am Platz. Ich beneidete die, die so leichtfüßig durchs Leben gingen, für mich war immer alles ernst und tiefsinnig. Vielleicht lag es daran, dass ich mit 10 Jahren eine Augenkrankheit hatte, die mich vier Monate im Krankenhaus festhielt und durch die ich damit rechnen musste, blind zu werden. Damit musste ich mich auseinandersetzen. Ich glaube aber eher, dass es mein introvertiertes Naturell ist, das es mir so schwer macht, Kontakt zum Außen aufzunehmen. Durch ein Kaufhaus zu gehen war mir lange Zeit eine Qual. Durch die Vielzahl der Eindrücke verlor ich mich selbst, ich wurde richtig aus mir herausgezogen, ich erlebte eine regelrechte psychische Desorientiertheit.

Ich hatte auch immer das Gefühl, dass ich keinen unmittelbaren Kontakt zu den Menschen und Dingen hatte. Früh erlebte ich, dass mir alles durchs Denken vermittelt ist. Ich sah nicht einen Ball, sondern ich dachte, dass ich einen Ball sehe. Mir wurde früh klar, dass ich dadurch auch nicht erlebte. Ich war in meinem Denken eingeschlossen.

Das ist jetzt keine nachträgliche Interpretation aus der Rückschau auf meine Jugendzeit und meinem jetzigen Wissen, sondern ich habe das damals so empfunden und auch geäußert, wobei ich merkte, dass ich eigentlich kaum verstanden wurde.

Ich fühlte mich abgeschnitten vom konkreten Leben, mir fehlte die Unmittelbarkeit zu Mensch und Welt. Wenn eine Schizophrene über ihr Leben berichtet und ihr Buch „Die Glasglocke“ betitelt, dann gibt das treffend meinen früheren Zustand wieder.

Ich kam mir unter den Menschen immer als Fremder vor und fragte mich, ob es den anderen auch so ginge und sie es sich nur nicht anmerken ließen.

Ich studierte Theologie und wurde Lehrer für Religion und Deutsch am Gymnasium. Im Außen verlief mein Leben sehr geordnet, die Unordnung im Inneren war umso größer.