Meine Süße liebt Gemüse - Fausto Brizzi - E-Book

Meine Süße liebt Gemüse E-Book

Fausto Brizzi

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Beschreibung

Die wahre Geschichte einer veganen Ehe - unterhaltsam, komisch und voller Ironie.

Als leidenschaftlicher Fleischesser eine Veganerin heiraten. Kann das gut gehen? Für Fausto Brizzi ist erst mal Schluss mit Schinken, Käse und ähnlichen Leckereien. Doch für seine große Liebe tut er ja alles. Also fügt er sich seinem Schicksal und befolgt die strengen Diätregeln seiner Freundin Claudia. Ärgerlicherweise hat er nach einem medizinischen Check-Up tatsächlich die besten Werte seines Lebens. Dann steht plötzlich Nachwuchs an. Wie um alles in der Welt soll das Kind nun erzogen werden? Vegan oder doch mit Fleisch?

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Seitenzahl: 176

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Buch

Als leidenschaftlicher Fleischesser eine Veganerin heiraten. Kann das gut gehen? Für Fausto Brizzi ist erst mal Schluss mit Schinken, Käse und ähnlichen Leckereien. Doch für seine große Liebe tut er ja alles. Also fügt er sich seinem Schicksal und befolgt die strengen Diätregeln seiner Freundin Claudia. Ärgerlicherweise hat er nach einem medizinischen Check-up tatsächlich die besten Werte seines Lebens. Dann steht plötzlich Nachwuchs an. Wie um alles in der Welt soll das Kind nun erzogen werden? Vegan oder doch mit Fleisch?

Autorin

Fausto Brizzi, geboren 1968 in Rom, ist Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent. Sein erster Roman Hundert Tage Glück begeisterte Leser weltweit und wurde in 23 Ländern veröffentlicht. Die Ehe mit Hardcore-Veganerin Claudia Zanella inspirierte den bekennenden Fleischliebhaber zu seinem lustigen Memoir Meine Süße liebt Gemüse. Hilfe, ich habe eine Veganerin geheiratet!

Von Fausto Brizzi bereits erschienen:Hundert Tage Glück

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FAUSTO BRIZZI

Meine Süße liebt Gemüse.

Hilfe, ich habe eine Veganerin geheiratet!

Deutsch von Christiane Winkler

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel Ho sposato una vegana bei Giulio Einaudi Editore s.p.a., TurinDie Verse stammen aus dem Lied »Pietre« von Gian Pieretti und Antoine (G. Pieretti/R. Gianco).Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Copyright der Originalausgabe © 2016 by Fausto Brizzi

License agreement made through Laura Ceccacci Agency S.R.L.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2017 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Angela Troni

Umschlaggestaltung: © semper smile, München

Umschlagmotiv: © Shutterstock/indra-east

JaB ∙ Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-20292-7V001www.blanvalet.de

Für meine Frau Claudia.Immer, außer wenn es Essen gibt

Inhaltsverzeichnis

Das erste Treffen

Vegas Kräfte

Das zweite Date

Letzter Ausweg

Vegan friendly

Das neue Leben

Der unerwünschte Dritte

Fausto darf nicht sterben

Notaufnahme

Zeit der Entsagung

Eine geniale Schummelei

Big Jim

Nackt und unverhüllt

Viel Glück!

Ökoferien

Lachen ist die beste Medizin

Die Krise

Vegane Hochzeit

Der biologische Gemüsegarten

Knalleffekt

Das kommende Jahr

»Der Mensch ist das einzige Tier, das errötet – und allen Grund dazu hat.«

Mark Twain

»Und sie lebten für immer glücklich und zufrieden.«

Im Märchen enden alle Liebesgeschichten mit den optimistischsten und angenehmsten Adjektiven, die es gibt. Doch dieser Satz trügt, denn er gaukelt uns vor, dass das Paar, nachdem es sämtliche Verwünschungen, Drachen, Stiefmütter und Hexen besiegt hat, bis in alle Ewigkeit unzertrennlich sein wird. Diese eklatante Lüge erzählt man schon Kindern, um ihnen vorzugaukeln, dass es so etwas wie die ewige Liebe tatsächlich gibt. Das glauben sie dann auch – bis zu dem Tag, an dem die kleine Zicke mit den Zöpfen aus der zweiten Reihe in der achten Klasse sie auf der Klassenfahrt nach Pompeji verlässt.

Märchen sind dazu da, ebenjenen Irrtum zu schüren, dabei bricht die Handlung immer ab, kurz bevor die wahren Bösewichte die Bühne betreten, die so unglaublich niederträchtig sind, dass Captain Hook oder Cruella de Vil dagegen wie sympathische Schlingel wirken: die Scheidungsanwälte.

Sollte sich unter Ihnen, verehrte Leser, zufällig der zukünftige Scheidungsanwalt meiner Frau befinden, möchte ich an dieser Stelle schon einmal betonen, dass ich Sie in den folgenden Kapiteln lediglich wohlwollend auf den Arm nehme – natürlich nur mit Ihrer Zustimmung. Allerdings lege ich auch großen Wert darauf, Sie wissen zu lassen, dass sich jedes noch so dramatische Detail, das ich hier wiedergebe, auch tatsächlich ereignet hat und kein Hirngespinst ist. Ich habe unzählige Verwandte, Freunde und Bekannte, die das zu meinen Gunsten bezeugen und die Vorfälle unter eidesstattlicher Erklärung bestätigen können. Entweder weil sie dabei waren, teilgenommen und in manch unglücklichem Einzelfall das eine oder andere sogar selbst probiert haben. So werden Sie, verehrter Herr Anwalt, am Tag der Verhandlung vielleicht ein wenig Nachsicht mit mir haben. Oder mir ein vielsagendes Lächeln schenken à la »Ich weiß, was du durchmachst, ich bin auf deiner Seite, aber sorry, mein Freund, das hier ist nun mal mein Job«.

Wie bereits erwähnt: Liebesgeschichten haben ein Ende, sozusagen ein Verfallsdatum, doch meistens ist es vorhersehbar und nicht weiter erzählenswert. Untreue, Betrug, zertrümmertes Geschirr, Enthüllungs-SMS, echte Tränen, gespielte Tränen, überflüssige Überlegungspausen, Kinder, die wie Flipperkugeln hin und her geschoben werden, Bücherregale und Platten, die aufgeteilt werden müssen (nur falls Sie über vierzig sind, sonst ist es einfacher). Wir alle haben schon mal dem detaillierten, meist gähnend langweiligen Bericht eines verzweifelten Freundes über das Ende einer Verlobung oder einer Ehe gelauscht – Sie wissen, was ich meine. Manchmal sind natürlich auch wir dem Dienst habenden Pechvogel mit unseren tränenreichen Klagen und Anschuldigungen auf die Nerven gegangen. Dabei ist das alles bloß überflüssiges Geschwätz und Gejammer. Es sind die vielen Stunden, die wir in Tränen aufgelöst an eine beendete Beziehung vergeuden, denen wir in den folgenden Jahren nachtrauern. Könnte ich all die verschwendeten Stunden wiederbekommen, in denen ich mir Schnulzen von Claudio Baglioni angehört habe, weil ein Mädchen mich verlassen hat, wäre ich garantiert ein paar Jahre jünger.

Das Ende einer Liebe ist die eine Seite, die man bei der Nacherzählung eines Lebens herausreißen sollte. Eine überflüssige Zwischenbemerkung, die nichts als Bedauern und Narben hinterlässt. Der spannende und im Grunde immer gleiche Teil, der das Publikum rührt und bewegt, ist stets der Anfang. Das wissen die Drehbuchautoren in Hollywood am besten.

Übrigens: Alle Liebesgeschichten beginnen mit dem ersten Treffen.

Das erste Treffen

Shakespeare wollte es uns nicht verraten, doch auch Julia und Romeo haben sich heimlich in einem kleinen Lokal in der Nähe der Arena in Verona getroffen, lange bevor sie sich mit dem Gift völlig verzettelten. Bestimmt sind auch Mickey und Minnie in ein Autokino gefahren und haben sich einen Krimi angeschaut – weil er total darauf steht –, bevor sie sich zu Tode langweilten (also mal ehrlich, die beiden langweilen sich, das sieht doch jeder). Sogar Roger und Jesscia Rabbit haben sich an einem Kiosk in Toonstadt getroffen und an einem Hot Dog mit reichlich Senf geknabbert, bevor Roger, der Trottel, in den Schlamassel mit der Suppe geraten ist. Das ist unumgänglich. Alle Paare dieser Welt sind mit einem ersten Treffen vor ihrer Liebesreise in See gestochen. Egal ob geplant, zufällig, arrangiert oder heimlich – es ist der aufregendste Moment, ein Schauspiel ohne Textbuch und Zuschauer, mit nur zwei Figuren, die damit beschäftigt sind, voreinander ihre wenigen Vorzüge hervorzukehren und ihre zahlreichen Fehler zu verbergen. Manchmal gelingt ihnen das außerordentlich gut, dann schießt Amor seinen leuchtenden Pfeil ab, manchmal aber auch nicht.

Amor hat bei dem ersten, heiß ersehnten Abendessen mit meiner späteren Ehefrau Claudia ganz sicher über das Ziel hinausgeschossen. Der Abend war so katastrophal, dass ich mich noch an jede Einzelheit und jeden Satz erinnere, als wäre es gestern gewesen. Nachdem wir uns flüchtig auf einer Feier bei gemeinsamen Freunden kennengelernt hatten, war es mir gelungen, sie zu einem Abendessen zu überreden. Sie nahm die Einladung vermutlich mehr aus Höflichkeit als aus echtem Interesse an meiner Person an. Ich hingegen war sehr an ihr interessiert, weshalb ich auch die Bühne sorgfältig wählte: ein kleines, romantisches Lokal mitten in der Altstadt, das auf gegrilltes Fleisch, Wurstwaren vom Cinta-Senese-Schwein und Büffelmozzarella spezialisiert ist – ein Beweis dafür, dass Gott tatsächlich existiert und in Caserta wohnt. Ich wollte auf keinen Fall einen schlechten Eindruck hinterlassen. Also holte ich Claudia pünktlich bei ihr zu Hause ab. Ich hatte sogar meinen Toyota Corolla waschen lassen, was für mein treues, heruntergekommenes Auto ein epochales und zugleich traumatisches Ereignis war. Während der gesamten Fahrt vermied ich es tunlichst, meiner Begleiterin etwas über das gastronomische Paradies zu verraten, in das ich sie bringen wollte. Es sollte eine Überraschung sein. Nun ja, die Überraschung ist mir gelungen.

Sobald sie einen Blick auf die Karte geworfen hatte, erblasste sie unter ihrem Rouge, doch als geübte Schauspielerin tat sie so, als könnte sie sich nicht entscheiden, welche der Leckereien sie nehmen sollte. Als schließlich der Kellner kam, verstieß ich gegen jede Benimmregel und bestellte als Erster. Ich hatte Appetit und orderte eine Vorspeise mit Pata-Negra-Schinken und gemischtem Käse, danach Eierfettuccine mit Wildschweinragout und als Hauptgang einen herrlichen Braten mit Ofenkartoffeln. Um nicht unhöflich zu sein.

Claudia zuckte nicht mit der Wimper, sie beschränkte ihre Bestellung auf eine Portion Wilden Lattich mit Rosinen und Pinienkernen, gefolgt von einem grünen Salat ohne Dressing. Wie nervig, dachte ich nur, schon wieder eine Schauspielerin, die auf ihre Figur achtet und ständig auf Diät ist. Erst nach ein paar Minuten und nachdem ich mir den Squacquerone-Käse einverleibt hatte, eröffnete sie mir die schreckliche Wahrheit.

»Ach, übrigens, ich bin Veganerin.«

Sie sagte das so, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Fast als würde das auch noch beinhalten: Wie, das wusstest du nicht?

Verdammt noch mal, natürlich wusste ich das nicht, sonst hätte ich dich ja wohl kaum in ein Wurstwarenparadies geschleppt, um dich zu verführen, oder?

Ich blieb ein paar Sekunden lang regungslos sitzen mit meinem Käseschnurrbart. In dem Moment wurde mir klar, dass ein menschliches Wesen durchaus die Zukunft vorhersagen kann. Ich, frisch gebackener Nostradamus, wusste nämlich plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass Claudia und ich an dem Abend nicht miteinander schlafen würden. Dass es nicht einmal zu einer zarten Annäherung zwischen ihrer makellos veganen Mundhöhle und meinen Fleisch fressenden, gefräßigen Lippen kommen würde. Das erotische Ziel zu erreichen, nach dem ich schmachtete, erschien mir auf einmal ähnlich schwer wie die Besteigung des Mount Everest für einen hinkenden Bergsteiger, der keine Sauerstoffflasche dabeihat.

Ich legte die Gabel auf den Teller und fragte Claudia mit dünner Stimme: »So richtig vegan vegan?«

Die Frage war wirklich nicht sehr scharfsinnig. Vegan zu sein ist ein Status, kein Adjektiv. Genau wie schlank, klein, kahlköpfig oder tot. Niemand würde jemals fragen: »Ist dein Schwager so richtig kahl kahl?« Oder: »Ist deine Schwiegermutter wirklich mausetot tot?«

Kahlköpfig ist kahlköpfig. Tot ist tot. Vegan ist vegan. Punkt.

Claudia antwortete zu Recht: »Nein, ich gehe einmal in der Woche im Wald auf die Jagd, fang mir ein Reh, stranguliere es und grille es am Spieß.«

Ich hatte diese ironische Ohrfeige verdient.

Sie war also Veganerin. Eine wesentliche Information, die ich nicht rechtzeitig erhalten hatte, um mir eine wirksame Verteidigungsstrategie zu überlegen. Ich schaute mich unbehaglich um. Im Restaurant hingen überall Haken mit Schinken, Mortadella und Caciocavallo-Käse. Sie hatte sicher gedacht, dass ich sie veräppeln oder provozieren wollte, als sie das Lokal betrat. Ich musste unbedingt etwas zu meiner Entlastung tun.

»Das wusste ich nicht, ehrlich.«

»Kann ich mir vorstellen. Mach dir um mich keine Gedanken. Iss du ruhig weiter Kadaver, wenn du magst. Ich bin tolerant, was das angeht.«

Kleine Zwischenbemerkung: Ihr letzter Satz war eine infame Lüge, eine von der Sorte, die man bei einem ersten Treffen so sagt. Sie ist ganz und gar nicht tolerant, wenn es um Ernährung geht. Alle Nichtveganer gehören für meine Frau einer minderwertigeren Rasse an, sind eine weltweit agierende Sekte blutrünstiger Mörder, die den Rest ihres Lebens in Trauer und Armut oder für immer in Alcatraz verbringen sollten, das man allein für diesen Zweck wiedereröffnen sollte. Doch das wurde mir leider erst viel später klar.

Um wenigstens ein Fünkchen Würde zu bewahren, starrte ich erst prüfend und dann angewidert die restlichen Scheiben Pata-Negra-Schinken auf meinem Teller an und gab dem Kellner ein Zeichen, alles abzuräumen. Ich musste die Lage retten, wusste allerdings, dass ich mich auf einem Terrain bewegte, das verminter war als die irakische Wüste.

»Ihr Veganer esst kein Fleisch, genau wie Vegetarier, oder?«

Ich gebe ja zu, dass ich zu der Zeit nicht sonderlich viel von der Sache verstand.

»Ja«, antwortete sie. »Aber auch keine anderen Produkte, die einem Tier Leid verursacht haben könnten, wie Milch und Honig.«

»Ach, auch keinen Honig?«

»Natürlich nicht, die armen Bienen!«

Arme Bienen. Ein verräterischer Satz. Ich hätte mit der Reaktionsschnelligkeit eines Usain Bolt von meinem Stuhl aufspringen und, ohne die Rechnung zu bezahlen, mit langen Sätzen in die römische Nacht verschwinden sollen. Doch ich tat es nicht und frage mich noch heute, warum.

Stattdessen fragte ich mit gespielter Neugier: »Und … was esst ihr dann so?«

»Alles andere. Kerne, Getreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse. Wusstest du, dass die menschliche Verdauung auf Pflanzenverzehr, nicht auf Fleischverzehr ausgerichtet ist?«

Plötzlich fühlte ich mich wieder in die Zeit am naturwissenschaftlichen Gymnasium Nomentano zurückversetzt, wenn ich vor der Klasse stand und mich die grausame Adelaide Cotti Borroni ausfragt, die mich nicht ausstehen konnte. Wie damals stand ich auch jetzt kurz davor, das übliche »Ungenügend« zu kassieren. Und einen Eintrag ins Klassenbuch. Ich versuchte zurückzuschießen.

»Soll das heißen, dass wir keine Allesfresser sind?«

»Nein. Jedenfalls nicht ursprünglich. Unser Darm ist ungefähr acht Meter lang, der eines Löwen zum Beispiel nur drei. Es ist ganz typisch für Pflanzenfresser, dass sie einen langen Darm haben.«

»Ach, echt? Das wusste ich nicht …«

»Wir können Fleisch nicht so gut verdauen«, erläuterte Claudia. »Es verwest bloß auf seiner langen Reise durch unseren Organismus.« Synchron mit dem Wort »verwest« stellt der Kellner triumphierend die Fettuccine mit dem Wildschweinragout vor mir auf den Tisch. Ich sah sie angewidert an.

»Kuhmilch ist für uns auch schwer verdaulich«, fuhr Claudia fort. »Sobald wir erwachsen sind, verfügt unser Körper nicht mehr über die Enzyme, die zur Spaltung von Laktose nötig sind. Das kann ganz unterschiedliche Symptome hervorrufen, zum Beispiel einen Blähbauch oder Kopfschmerzen. Ganz zu schweigen vom Kasein, das Entzündungen im Organismus hervorruft.«

Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass der Abend in diese Richtung lief und wir uns tatsächlich über Kasein unterhielten.

Worüber hast du dich denn gestern Abend mit Claudia unterhalten? Vorwiegend über die schädliche Wirkung von Kasein!

Schnell ließ ich mir etwas einfallen, um nicht genauso schweigend dazustehen wie vor Signora Cotti Borroni.

»Ich habe fast jeden Morgen Kopfschmerzen, aber dann nehme ich eine Ibuprofen und sie gehen sofort weg.«

»Was isst du denn zum Frühstück?«, fragte sie mich, und man sah ihrer Miene deutlich an, dass sie die Antwort bereits kannte.

»Meistens eine Tasse warme Milch mit ein paar Keksen, dazu Toastbrot mit Butter und Marmelade und ab und zu eine Banane, aber nicht immer.«

Auf ihrem Gesicht spiegelten sich Ekel und Ungläubigkeit, als sie mich ansah.

»Das soll wohl ein Witz sein, oder?«

»Nein. Manchmal, wenn ich nicht genügend Zeit habe, gehe ich auch in eine Bar und bestelle mir einen Latte macchiato mit einem Maritozzo.«

»Was ist denn ein Maritozzo?«

»Eine römische Spezialität, ein süßes Brötchen mit einem Spalt in der Mitte und süßer Sahne drin.«

Schweigen.

Der grausame Zufall wollte, dass in dem Moment niemand im ganzen Lokal etwas sagte. Ich hörte nur das ohrenbetäubende Hämmern meines Herzens, während das Adrenalin durch meinen Körper jagte.

Ich musste aufholen. Nach der ersten Hürde wollte ich mich nicht gleich geschlagen geben.

»Aber das Maritozzo höchstens einmal in der Woche. Meistens esse ich einen Donut.«

»Frittiert und mit Zuckerguss?«

»Wie denn sonst?«

»Entschuldige, aber ich esse morgens nie in der Bar, das ist eine kapitalistische Unsitte, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Warum sollte ich im Stehen und an verschwitzte fremde Leute gedrängt frühstücken und dabei fettige, Krebs erregende Lebensmittel von zweifelhafter Herkunft zu mir nehmen? Absolut unverständlich.«

Na toll! Sie hatte soeben eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen zerstört. Opa und ich alleine beim Frühstück in der Bar um die Ecke. »Erwachsenenfrühstück«, wie ich es nannte. In Wirklichkeit hatte mein Lieblingsopa also nur versucht, mich ohne mein Wissen umzubringen. Ich erging mich in einer Pflichtverteidigung aller existierenden italienischen Bars und Großväter.

»Aber du musst doch zugeben, dass viele Snacks in der Bar total lecker schmecken, selbst wenn sie ungesund sind, und man sich diese Sachen zu Hause so gut wie nie macht. Wer belegt sich zu Hause schon Sandwichs oder backt Croissants?«

»Lecker, sagst du? Warum sollte ich Sachen lecker finden, die unglaublich viel Gift für unseren Organismus enthalten?«

Jetzt stand ich nicht mehr vor meiner Lehrerin, sondern wurde in Ketten direkt vor das Inquisitionsgericht gezerrt, das mich zum Tod durch Enthauptung wegen wiederholten Verstoßes gegen eine korrekte Ernährungsweise verurteilte.

»Jedenfalls frühstücke ich gewöhnlich lieber zu Hause.«

»Mit warmer Milch und Keksen?«

»Ja …«

»Kein Wunder, dass du Kopfweh hast! Du vergiftest deinen Organismus, und die Schmerzen sind die Alarmglocke. Du verseuchst ihn jeden Tag mit Kuhmilch und Zucker. Ich weiß nämlich genau, dass du Zucker und Industriekakao reintust, und die Kekse sind bestimmt aus Weißmehl, ungesättigten Fettsäuren, Palmöl und wer weiß was noch alles. Vermutlich toppst du das Ganze mit weiteren Kohlenhydratbomben wie Butter und Marmelade.«

»Meine Mutter macht sie selbst …«

»Mit weißem Zucker?«

»Bis heute schon, aber ab morgen ganz bestimmt nicht mehr. Ich schwöre, ich werde es verhindern.«

Seit ich im Kindergarten einer Nonne unter den Rock geschaut hatte, um zu sehen, was sich darunter verbarg, und sie mich bei meinem Vater verpfiff, war ich nicht mehr so in Verlegenheit gewesen. Ich hatte nicht ausreichend rhetorische Waffen zur Hand, um auf den veganen Angriff zu reagieren. Alles, was ich sagte, wurde gegen mich verwendet. Vermutlich war es besser zu schweigen, so wie es Anwälte ihren Klienten bei der ersten Vernehmung empfehlen. Oder von meinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.

»Die Banane ist das einzig Richtige, was du zum Frühstück isst«, fuhr Claudia unerschütterlich fort. »Aber du solltest sie mit nichts anderem kombinieren. Sonst fermentiert sie im Magen und behindert die Verdauung. Obst sollte man mindestens eine halbe Stunde vor den Mahlzeiten verzehren. Niemals danach, wie wir Italiener das machen, und auch nicht zwischendrin.«

Damit hatte sie in drei Zügen das klassische kontinentale Frühstück auseinandergenommen, ein Aushängeschild fast aller Hotels auf der ganzen Welt.

»Mit der Banane könntest du aber eine herrliche Creme Kousmine herstellen: ein Löffel kalt gepresstes Leinöl, dazu geröstete Sesamkerne … Aber das erkläre ich dir vielleicht ein andermal.«

»Ja, vielleicht, danke. Ein Cappuccino mit Sojamilch und ein, sagen wir, einfaches kleines Croissant wären also besser?«, fragte ich und mühte mich mit den spärlichen Kenntnissen ab, die ich hatte.

»Kein Kaffee, kein Croissant. Der Kaffee geht zu sehr aufs Herz, das Croissant steckt voller Gluten und ist mit Hefe gemacht. Vermutlich nimmst du dir auch noch eines mit Vanillecreme.«

»Nein, eins aus Vollkornmehl mit Honig!«, antwortete ich voller Überzeugung und wie aus der Pistole geschossen.

»Umso schlimmer! Honig ist nicht Teil der veganen Ernährung!«

Mensch, Fausto, konzentrier dich! Das hat sie doch gerade erst gesagt.

»Außerdem ist das handelsübliche Vollkornmehl gar kein richtiges Vollkornmehl. Wenn es nicht aus biologischem Anbau stammt, wird dem normalen Weißmehl nur Kleie hinzugefügt, damit man denkt, dass es sich um ein unverfälschtes Produkt handelt.«

Fertig, aus, sie hatte gewonnen. Ich war ein grenzenloser Idiot und hatte die Niederlage verdient. Jetzt blieb mir nur noch, die Sache herunterzuspielen.

»Es wäre bestimmt besser gewesen, wenn ich dich heute Abend auf ein Eis eingeladen hätte.«

»Eis enthält Milch.«

»Fruchteis nicht.«

»Das enthält Zucker.«

»Eis ist also auch verboten?«

»Nein, nicht wenn du es zu Hause aus Bioobst selbst zubereitest und mit etwas Stevia süßt.«

Ich hatte natürlich keine Ahnung, was zum Henker Stevia sein sollte, nickte aber voller Überzeugung.

»Klar, ein Teelöffel Stevia geht immer.«

»Stevia ist eine Pflanze. Man verwendet ihre Blätter.«

»Ah, die Blätter, genau! Sorry, ich war verwirrt.«

Sie musterte mich verächtlich und voller Mitleid. Es war klar, dass sie mich für den Vertreter einer unterentwickelten Rasse hielt, einen kleinen römischen Neandertaler, der noch nicht einmal einer Unterrichtsstunde in gesunder Ernährung würdig war. Den Rest des Abendessens verbrachten wir mit Smalltalk über den verspäteten Sommeranfang, die Filme, die wir gesehen hatten, und den letzten Urlaub. Auf das Thema »Essen und Gesundheit« kamen wir nicht mehr zu sprechen.

Jedenfalls aß ich nichts mehr, was tierischer Herkunft war, und als Dessert wählte ich ein harmloses, fettfreies Zitronensorbet.

In frommem Schweigen brachte ich sie nach Hause, nur unterbrochen von meinen falschen Versprechungen, mir demnächst ein Hybridfahrzeug anzuschaffen, um die Umwelt nicht so sehr zu verpesten. Bevor sie aus meinem Schadstoffklasse-2-Toyota stieg, verpasste Claudia mir noch eine verbale Ohrfeige, die ich nie vergessen werde:

»Du gefällst mir wirklich sehr … schade, dass du bald sterben wirst.«

Dann verschwand sie in die Nacht.

Ich blieb regungslos und bei laufendem Motor sitzen. In ihrem letzten Satz steckte ganz schön viel drin. Irgendwie war es ihr gelungen, eine Liebeserklärung, eine Verabschiedung und eine Grabinschrift auf einmal hineinzupacken. Ich beschloss, das Glas als halb voll zu betrachten. Ich gefiel ihr. Unter den gegebenen Umständen konnte ich das durchaus als Teilerfolg verbuchen. Oder zumindest als unverdienten Ausgleich in der neunzigsten Minute.

Vegas Kräfte

Kleine, aber notwendige Erläuterung am Rande: Warum habe ich nach dem tragischen und peinlichen Abendessen Claudias Nummer nicht sofort gelöscht? Legen Sie das Buch kurz beiseite, nehmen Sie Ihr Handy und googeln Sie den Namen Claudia Zanella. Fertig? Dann verstehen Sie sicher, dass mein Anliegen ein ganz urtümliches, völlig banales war: Es hatte rein ästhetische Gründe.