Mit Blaulicht und Büchse - Hermann Carl - E-Book

Mit Blaulicht und Büchse E-Book

Hermann Carl

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Beschreibung

Hermann Carl ist passionierter Jäger, pensionierter Polizist und als großer Naturfreund Initiator der städteregionsweit bekannten Rollenden Waldschule und des Erlebnismuseums Lernort Natur in Monschau. In den hier gesammelten, meist kuriosen, manchmal traurigen, oft lustigen und immer spannenden Geschichten berichtet Carl aus seinem bewegten Leben im Jagd- und Polizeirevier. Hier erfahren wir, wie man einen Geisterbock zur Strecke bringt, wie man einen Wolf einfängt, wie man sich als junger Streifenpolizist vom Lande im trunkenen Kölner Karneval orientiert, wozu das Blaulicht wirklich gebraucht wird, warum man Gewehre nicht hinter Schränke fallen lassen sollte und warum es gut ist, immer auf seinen Schutzengel zu hören.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Hermann Carl

Mit Blaulicht

und Büchse

Geschichten und Anekdoten

aus dem Revier

Impressum

1. Auflage 2023

© Eifeler Literaturverlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Eifeler Literaturverlag

Verlagsgruppe Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.eifeler-literaturverlag.de

Gestaltung, Druck und Vertrieb:

Druck & Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Lektorat:

Christoph Swiontek, Dr. Anne Syndram

Umschlaggestaltung:Dietrich Betcher

Abbildungsnachweis:

Illustrationen S. 11, 26, 40, 46, 65, 81, 125 Zoë Hennemuth, Simmerath, Fotos Umschlag sowie S. 18, 54, 67, 67, 79, 99 Hermann Carl, Autorenfoto © Bernd Stuhlmann, Crossmedia Design Aachen

Druckbuch:

ISBN-10: 3-96123-070-6

ISBN-13: 978-3-96123-070-9

E-Book:

ISBN-10: 3-96123-109-5

ISBN-13: 978-3-96123-109-6

Polizeiausbildung

»Is’ tot. Nix mehr zu machen. Was tun wir jetzt damit?«

»Wir lassen das liegen und fahren weiter.«

Die junge Frau stand am Straßenrand und blickte angewidert auf den toten Körper im Graben.

»Von wegen! Komm, halt mal die Taschenlampe. Ich zeig’ dir jetzt, was wir tun.«

Und damit begann für die angehende Polizistin eine ganz besondere Lektion ihrer Ausbildung. Aber schön der Reihe nach.

Ich war zum Nachtdienst gekommen und erfuhr, dass mein Kollege krank geworden war. Da es nicht möglich ist, nachts einen Streifenwagen mit nur einem Beamten zu besetzen, fragte ich bei der vorgesetzten Dienststelle an, ob ich eine Vertretung für ihn bekommen könnte.

»Eigentlich nicht«, hieß es. Und nach kurzem Zögern:

»Naja, doch. Ich hab da noch jemanden, was ganz Besonderes für dich.«

Nach einer knappen Stunde kam das Besondere dann an: eine junge Kollegin noch in Ausbildung sollte aushilfsweise den Streifendienst erleben. Sie grüßte nicht und stellte sich nicht vor. Kaum war sie durch die Tür der Wache, schon ging das Gemaule los:

»Ej, was ist das für ein Provinzladen! Was soll ich denn hier? In dem Kaff passiert doch nie was Richtiges. Ich mach’ meine Ausbildung nicht für nix in der Stadt, da bist du jeden Tag echt gefordert und kannst dich bewähren! Was soll ich denn hier lernen? Hühnerdiebe fangen? Brennende Misthaufen löschen? Besoffene Bauern trösten? Ich fass’ es nicht!«

Na, da hatte ich ja was Feines geerbt. Mit der zusammen im Nachtdienst Streife fahren – Mahlzeit!

Im Streifenwagen gab ich mich freundlich:

»Sie glauben gar nicht, was wir hier in der Eifel alles zu bieten haben. Hier können Sie wirklich Aufregendes erleben. Die Nordeifeler Landstraßen sind reinste Unfallmagneten. Hier wird gerast, was das Zeug hält. Verkehrsunfälle mit Schwerverletzten und Toten sind unser täglich Brot!«

Weiter kam ich nicht.

»Tote!? So etwas brauchen wir als Auszubildende nicht zu machen.

Tote – ohne mich!«

Warum wollte diese junge Frau bloß Polizistin werden? Ich zeigte auf das Funkgerät und gab ihr zu verstehen, dass wir alle Einsätze zu übernehmen hätten, die uns daraus übermittelt werden. Egal worum es geht! Während der ersten Stunde Streifenfahrt blieb es ruhig. Dann ertönte der Funkspruch: »Verkehrsunfall mit Wild.«

Unser Einsatzort lag in einem großen, ausgedehnten Waldgebiet, in dem ich seit Jahren zur Jagd ging. Gottseidank war niemand verletzt, nur Blechschaden. Ich zeigte ihr, wie der Unfallfahrer die entsprechenden Papiere auszufüllen hatte, weil er die dringend für die Versicherung brauchte. Nachdem der Unglücksrabe davongefahren war, standen wir zwei mit dem überfahrenen Reh auf der verlassenen Straße.

»Is’ tot. Nix mehr zu machen. Was tun wir jetzt damit?«, fragte ich sie.

»Wir lassen das liegen und fahren weiter.«, war ihre knappe Antwort.

»Von wegen! Komm, halt mal die Taschenlampe. Ich zeig’ dir jetzt, was wir tun. Wir werden das Tier, was übrigens ein wertvolles Lebensmittel sein kann, nicht einfach da im Graben liegen lassen.«

Mit meinem Jagdmesser, das ich immer bei mir trage, brach ich das Reh nach den Regeln der Waidmannskunst auf – in Uniform mit hochgekrempelten Ärmeln. Der Kollegin erklärte ich jeden Handschlag. Der Jäger nennt das die ›Rote Arbeit‹ und ich machte es ihr zuliebe besonders ›rot‹. Immer wieder drehte sie sich um und schaute weg.

»Du musst mir mit der Taschenlampe leuchten, sonst sehe ich nicht, wo ich schneide. Außerdem musst du genau hinsehen, weil du ja was lernen sollst. Beim nächsten Wildunfall bist du dran.«

Als ich ihr dann zeigte, dass die Leber leichten Befall von Leberegeln hatte und erklärte, dass man die jetzt nicht mehr essen könne, war sie dem Nervenzusammenbruch nahe.

Nun mussten wir das Reh noch zum Forsthaus in die Kühlkammer bringen. Ich legte das Tier im Fußraum des Beifahrersitzes auf die Gummimatte. Die Azubine war völlig entsetzt, klemmte sich aber schließlich auf ihren Sitz und zog die Knie bis zum Kinn hoch, um nur ja nicht mit dem Reh in Berührung zu kommen.

Über einen Forstweg fuhren wir kilometerweit mitten in den Wald. Meine Begleitung war auffällig still. Ob sie sich vorstellte, beim nächsten Wildunfall tatsächlich selbst Hand anlegen zu müssen? Wahrscheinlich konnte sie sich auch keinen Reim darauf machen, dass wir – anstatt zurück zur Wache – immer weiter durch den Wald fuhren. Mit großen Augen starrte sie durch ihre hochgehaltenen Beine nach vorn.

Beim Forsthaus angekommen, parkte ich vor der Wildkammer.

»So, bitte mal aussteigen. Ich muss da ran.«

Ich packte das Reh an den Läufen und verfrachtete es per Seilwinde ins Kühlhaus. Bei allem war ich stets darauf bedacht, den Anschein zu erwecken, als gehörte das ganz selbstverständlich zur tagtäglichen Polizeiarbeit.

»Ich fülle noch die Papiere für den Forst aus. Du kannst schon mal die Fußmatte abwaschen. Wasser und Lappen sind dahinten.«

Ich deutete auf ein Außenspülbecken an der Wand des Kühlhauses.

Keine Antwort, keine Reaktion. Wie versteinert blieb sie neben dem Auto stehen. Machte ich eben selbst alles sauber – kein Problem.

Und was soll ich sagen? Wir bekamen den Rest der Nacht noch gut um. Ohne auch noch ein einziges Wort zu verlieren, fuhr sie nach Ende unserer Schicht zurück zu ihrer eigentlichen Dienststelle in der Stadt.

Ich stelle mir vor, welche Augen die Mitschüler oder auch die Ausbilder gemacht haben, als sie später diese Story von ihr hörten. Ob man ihr diese Geschichte geglaubt hat?

Dass sie sich später für eine Dienststelle auf dem Land beworben hat, wage ich zu bezweifeln.

Verfolgungsjagd

Zu meiner Zeit als junger Polizist in Köln gab es ganz andere technische Hilfsmittel als heute. Damals standen Schreibmaschinen auf den Wachen. Von allen Schriftstücken waren Kopien mit blauem Durchschlagpapier anzufertigen. Und wie oft musste man alles neu schreiben, weil sich Fehler eingeschlichen hatten! Die Arbeit mit dem Computer ist demgegenüber schon eine gewaltige Erleichterung. Allerdings hat man heute auch manchmal das Gefühl, man sei als Mensch für den PC da und nicht umgekehrt. Die Flut der Formulare wächst, immer mehr Berichte und Statistiken sind zu schreiben – schließlich hat man hat ja mehr Zeit, weil es einen PC gibt …

Das heißt nicht, dass früher alles besser war. Jede Zeit hat ihre guten und ihre schlechten Seiten. Wenn man den technischen Stand der Fahrzeuge und die Möglichkeiten des Digitalfunks betrachtet, liegen Welten zwischen damals und jetzt.

Nachtdienst. Streife in Köln.

Stolz saßen mein Kollege Wolfgang und ich in unserem neuen Dienstfahrzeug – naja, neu war der VW-Variant nicht gerade, eher schon etwas klapprig. Aber da wir den guten alten Käfer gewöhnt waren, bedeutete der Variant schon einen Fortschritt. Dass man uns blutjungen Polizisten das edle Fahrzeug anvertraute, hob die Laune mächtig.

Gegen drei Uhr früh kam uns an der Auffahrt zur Rheinbrücke ein Mercedes entgegen, proppenvoll mit lauter jungen Leuten. Mit heulendem Motor schrammte der Wagen in die Kurve. Unüberhörbar jazzte der Fahrer im ersten Gang die Kiste mit etwa fünfzig Kilometern pro Stunde durch die Gegend.

»Da ist was oberfaul!«

»Los, wenden und hinterher!«

Dem Mercedesfahrer war nicht entgangen, dass er jetzt die Polizei auf den Hacken hatte. Er gab noch mehr Gas, knallte irgendwie auch andere Gänge rein, kam aber nicht richtig voran. Wir konnten das Kennzeichen ablesen und über Funk zur Leitstelle durchgeben. Zufällig waren gerade Kollegen beim Straßenverkehrsamt und wühlten die Karteikarten auf der Suche nach dem Halter durch. Heute geht so etwas in Sekundenschnelle über den PC, damals war das noch reine Hand- und Kopfarbeit!

Nach relativ kurzer Zeit bekamen wir die Meldung:

»Kennzeichen und Fahrzeug passen nicht zusammen. Das Nummernschild ist kürzlich als gestohlen gemeldet worden.«

Folglich war der Mercedes wahrscheinlich auch gestohlen.

Ein dicker Fisch also, die Bande vor uns! Und nur darum machte die Leitstelle eine Ausnahme: wir Jungspunde mit neuer Dienstkarosse durften die Verfolgung aufnehmen.

»Fahren Sie vorsichtig hinterher, geben Sie ständig Standort durch und überholen Sie auf gar keinen Fall!«

Und das waren dann auch die letzten Worte der Leitstelle aus dem großen schwarzen Telefonhörer. Seinerzeit gab es nur analoge Telefone mit sogenanntem Handapparat zum Hören und Hineinsprechen. In unserem Streifenwagen hing auch so ein Monsterteil. Als Beifahrer war es meine Aufgabe, das Gerät zu bedienen. Ausgerechnet mitten in einem spannenden Einsatz hatte jetzt wohl die Hörmuschel den Geist aufgegeben und ich musste meinen Kopf mit dem Ohr auf die Konsole vor der Windschutzscheibe legen, damit ich noch mit der Leitstelle oder den anderen Kollegen kommunizieren konnte. Auf der Konsole befand sich nämlich auch ein Lautsprecher, aus dem aber meist nur krächzende Geräusche kamen. Wenigstes funktionierte der in diesem Fall aber einigermaßen. Man stelle sich diese Verfolgungsfahrt mal vor: ich lag weit vorgebeugt mit dem Kopf auf der Konsole und kam dauernd dem Kollegen beim Schalten, Lenken und bei der Sicht auf die Fahrbahn ins Gehege. Bei der Hektik und Anspannung flogen zwischen uns die schrägen Sprüche nur so hin und her.

Der Mercedesfahrer gab so viel Gas wie er konnte und fuhr riesige Schlangenlinien. Wie sich später herausstellte, hatte er gar keinen Führerschein und dies war wohl überhaupt seine erste Autofahrt am Steuer. Wir blieben dran und nach kurzer Zeit bog er auf den Autobahnzubringer ab. Dreispurige Fahrbahn! Wenn er jetzt mit diesem PS-starken Wagen Gas gab, wäre unsere Verfolgung schnell zu Ende.

Kollege Wolfgang holte aus dem Variant das Letzte heraus und erreichte tatsächlich immerhin 120 Kilometer pro Stunde. Das Fahrzeug vor uns schleuderte von einer Fahrspur zur anderen. Der Fahrer wollte es uns vielleicht unmöglich machen, zu überholen. Ich glaube aber eher, dass er dieses Fahrzeug überhaupt nicht beherrschte. So kam auch er über 120 nicht hinaus und konnte uns im Variant nicht abschütteln. Der Spruch der Leitstelle »überholen Sie nicht« war komplett überflüssig.

Aber wo blieben die Kollegen, die zur Verstärkung ausrücken sollten?

Nach einigen Kilometern bog der Mercedesfahrer von der Autobahn ab in Richtung Troisdorf. Vielleicht kam uns ja von dort Unterstützung entgegen? Zunächst führte die Fahrt über weite ländliche Gebiete. Das Fluchtfahrzeug hielt die Geschwindigkeit hoch, schleuderte quer über alle Fahrspuren, schoss ungebremst über jede Kreuzung und jede Ampel. Jung und leichtsinnig wie wir waren, fuhren wir in gleicher Geschwindigkeit hinterher. Wir hatten zwar Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet, doch das war auch mitten in der Nacht keine Garantie, rechtzeitig gesehen zu werden. Erfahrene Polizisten hätten nie auf diese Weise verfolgt.

Das Glück war gottseidank mit uns und wir erreichten Troisdorf. Mitten im Ort stand ein Streifenwagen auf der Fahrbahn. Der flüchtenden Wagen kurvte in vollem Tempo drum herum und setzte seine halsbrecherische Fahrt unbeirrt fort. Weil Wolfgang sehr mit Schalten und Lenken beschäftigt war und sich im Straßengewirr sehr konzentrieren musste, konnte ich meinen Kopf nicht mehr direkt an den Lautsprecher in der Konsole halten. Funkkontakt hatten wir damit keinen mehr.

Dann kam die Aggerbrücke.

Die Fahrbahn verengte sich und vor der Brücke stand wieder ein Streifenwagen mit Blaulicht. Zwei Kollegen standen draußen und einer schwenkte die Anhaltekelle. Der Mercedes hielt in voller Fahrt auf die beiden Polzisten zu, die sich gerade noch durch einen Hechtsprung in Sicherheit bringen konnten, schleuderte um den Streifenwagen herum, schaffte es wieder auf die Fahrbahn und raste weiter. Ich sah nur, wie die Kelle durch die Luft flog. Plötzlich ging alles sehr schnell: Der Mercedesfahrer lenkte scharf nach links und fuhr in vollem Tempo frontal auf einen abgeschrägten Brückenpfeiler. Durch die hohe Geschwindigkeit raste der Wagen den Pfeiler auf der Unterseite hoch und stieß auf Höhe einer Straßenlaterne gegen einen Absatz. Das Fahrzeug überschlug sich hoch in der Luft.

Vollbremsung!

Kollege Wolfgang brachte den Variant gerade noch rechtzeitig zum Stehen, da donnerte der Mercedes direkt vor uns auf die Fahrbahn. Viel hätte nicht gefehlt und die dicke Kiste nebst Insassen wäre uns aufs Dach gekracht!

Keine Zeit zum Durchatmen! Schnell raus!

Die Leute aus dem Fluchtfahrzeug waren glimpflich davongekommen, es kletterten sieben Jugendliche aus den Fenstern und wollten Fersengeld geben. Die alle einzusammeln und festzunehmen machte uns und den Troisdorfer Kollegen noch richtig Arbeit. Das einzige Mädchen in der Clique war aus einem Heim abgehauen und musste jetzt zurückgeführt werden. Nur einer von der schnellen Truppe hatte sich verletzt und wurde mit dem Krankenwagen zum Krankenhaus gebracht. Der Kollege, der die Anhaltekelle geschwungen hatte, blieb unverletzt.

Unser Anfangsverdacht bestätigte sich: der Mercedes war natürlich gestohlen und im Kofferraum lagen noch etwa zwanzig weitere entwendete Kennzeichen.

Noch lange saß ich später mit Wolfgang auf unserer Wache vor einem Fernschreiber, auf dem wir unseren Einsatzbericht in Form langer Lochstreifen produzierten. Wehe man leistete sich einen Fehler, dann musste alles wieder neu geschrieben werden. Gut, dass es diese elenden Höllenmaschinen nicht mehr gibt. Gelobt seien der PC und die Mails.

Da läuft ein Wolf

durchs Dorf

Zum Wolf bin ich über den Luchs gekommen.

Der hiesige Forstdirektor hatte mich seinerzeit gefragt, ob ich bereit wäre, als Luchsberater zu arbeiten. Was war jetzt das? Wie sollte ich Luchse beraten? Doch es war einfach nur eine etwas unglückliche Bezeichnung für eine spannende Aufgabe. Das Landesamt für Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz (LANUV) führte ein Monitoring durch, um das seltene Vorkommen von Luchsen zu erforschen. Dazu brauchte man Leute, die bereit waren, entsprechende Spuren zu sammeln und Fundorte zu dokumentieren: Abstriche nehmen an Bisswunden, Haaren oder Kotproben von gerissenen Wild- oder Haustieren, Bestimmen von Pfotenabdrücken und Kratzbäumen. So lässt sich her­ausfinden, ob tatsächlich ein Luchs der Verursacher war. Es lässt sich sogar feststellen, aus welcher Population er stammt und wie eventuell seine Wanderungen verlaufen. Eine wirklich interessante Arbeit, bei der Erforschung eines so seltenen Tieres zu helfen.

Einige Jahre später erfuhr ich aus der Presse, dass ich zwischenzeitlich auch zum sogenannten Wolfsberater befördert worden war. Eine Nachfrage beim LANUV ergab, dass man alle Luchsberater der Einfachheit halber auch für die Erforschung der Wölfe berufen hatte. Die Sicherung der Spuren erfolgt schließlich mit den gleichen Methoden. Die Bezeichnung ›Berater‹ erhielt allerdings im Zusammenhang mit dem Wolf eine besondere Bedeutung. Nun sollten Landwirte und andere Tierbesitzer informiert werden, wie die Schutzzäune beschaffen sein mussten und wo sie Entschädigungen beantragen konnten, wenn ihre Nutztiere nachweislich von Wölfen gerissen worden waren. Das ist keine einfache Aufgabe, weil die Geschädigten verständlicherweise überhaupt nicht gut auf Wölfe zu sprechen sind, wenn sie ihre oft fürchterlich zugerichteten Tiere auf der Wiese finden. Da braucht es einiges an diplomatischem Geschick und Nervenstärke, immer sachlich die Sache anzugehen und nur die Spuren aufzunehmen. Sich bloß nicht über das Für und Wider der Zuwanderung von Wölfen auf Diskussionen einlassen.

Über das Vorkommen der Wölfe in Osteuropa und ihre Einwanderung aus Richtung der polnischen Grenze war schon viel zu lesen gewesen. Dass die Wölfe aber so schnell, innerhalb von einigen wenigen Jahren im Hohen Venn und in der Eifel auftauchen würden, hatte ich nicht erwartet. Der Rüde Gw926R war der erste, mit dem ich es zu tun bekam. Er riss über einige Zeit mehrere Schafe und bescherte mir so manchen Einsatz. An den grausamen Anblick der getöteten und angefressenen Weidetiere kann ich mich bis heute nicht gewöhnen und verstehe nur zu gut die Verzweiflung der Tierhalter.

Um Gw926R war es schon länger ruhig geworden, das Wolfsvorkommen im Monschauer Land fast vergessen, da erhielt ich einen Anruf: im Nachbardorf sei ein Wolf aufgetaucht, laufe am helllichten Tag dort herum und zeige keine Scheu vor Menschen, ja nähere sich ihnen sogar! Leider war ich in den nächsten zwei Stunden unabkömmlich. Dann erhielt ich einen weiteren Anruf von einem anderen Wolfsberater aus dem Nachbarbezirk. Er schilderte mir, was sich bisher ereignet hatte:

Eine Tierschützerin aus dem Ort war dem Wolf auf eine Wiese gefolgt. Sie hatte ihn mit Futter angelockt und ihm eine Leine umgelegt. Dann war sie mit dem Tier mitgelaufen, hatte aber die Richtung nicht bestimmen können, weil es sofort aggressiv reagierte. Völlig ratlos telefonierte sie um Hilfe. Das konnte ja nun kein wilder Wolf sein. Es musste sich wohl um einen Hund handeln oder um einen Wolf, der aus einem Gehege entkommen war. Vielleicht war es auch ein Hybrid oder ein Wolfshund aus einer Züchtung. Jedenfalls schien das Tier einen gewissen menschlichen Kontakt gewöhnt zu sein.