Mit dem Mut einer Frau - Jane Pejsa - E-Book

Mit dem Mut einer Frau E-Book

Jane Pejsa

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Beschreibung

Geboren in gräflichem Hause in Schlesien folgt Ruth ihrer Jugendliebe Jürgen von Kleist-Retzow nach Pommern. Dort musste sie schon früh als junge Witwe die Verantwortung für den großen Gutsbetrieb und die fünf Kinder übernehmen. Ihre scharfe politische Beobachtungsgabe machte sie schon früh für die verheerenden Lehren Hitlers hellhörig. Ihr Gut wurde zu einem Zentrum des Widerstandes. Mit dem Theologen Dietrich Bonhoeffer verband sie nicht nur ihre Enkelin Maria von Wedemeyer, mit der Bonhoeffer später verlobt war. Ihre kritische Meinung und ihr aufrichtiger christlicher Glaube machten sie zur Beraterin und engen Vertrauten des 1945 in Flossenbürg ermordeten Widerstandskämpfers. Eine lebendig erzählte Biografie, die dem beispielhaften Leben von Ruth von Kleist-Retzow nachspürt – eine Persönlichkeit voller Mut und Gottvertrauen in einer von Menschenverachtung erfüllten Zeit.

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Jane Pejsa

Mit dem Mut einer Frau

Ruth von Kleist-Retzow Matriarchin im Widerstand

Aus dem Amerikanischen von Beate Springmann

Der Verlag dankt für die freundliche Unterstützung bei der Herausgabe der deutschen Ausgabe Ruth-Alice von Bismarck, Heinrich von Kleist-Retzow, Katrina Söderberg-Jahn, Ida Gräfin von Zedlitz und Trützschler und Peter Zimmerling.

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

1. Digitale Auflage 2012 Zeilenwert GmbH ISBN 9783865064493

© 1996 by Brendow Verlag, D-47443 Moers Original: Matriarch of Conspiracy. Copyright © 1991 by Jane Pejsa. All rights reserved. By arrangement Kenwood Publishing, Minneapolis, Minnesota, USA. Quellenhinweis: Texte und Briefe von Dietrich Bonhoeffer © Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh mit freundlicher Genehmigung des Verlages.www.brendow-verlag.de

Dieses Buch ist den Männern und Frauen gewidmet, die zu allen Zeiten und in allen Ländern dem Unrecht und der Unehrenhaftigkeit widerstanden, und vor allem denjenigen, die für diesen Einsatz ihr Leben ließen.

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort der Autorin

Dank

Prolog

I Die Gräfin von Großenborau, 1867–1886

»Konts Ruth«

»Ja, tausendmal ja«

»Wo du hingehst«

II Die Frau des Landrats, 1886–1897

Besuch in Kieckow

Der König ist tot

Die Taufschale

Ein Fest zur Erntezeit

»Treu bis zum Tode«

III Die Witwe von Kieckow, 1898–1911

Eine Besucherin aus Kniephof

Männliche Besucher in Kieckow

Zu Hause in Stettin

Die Antwort heißt Nein

Eine unerwartete Hochzeit

»Meine verlorenen Söhne«

IV Der gute Soldat, 1912–1930

Konstantin

»Mit Flügeln wie Adler«

Vom König verraten

Eine Hochzeit in Kieckow

Der Garten in Klein Krössin

Zwei neue Bücher

Familientreffen in Wartenberg

V Großmutter Ruth, 1931–1938

Eine böse Überraschung

Die Nation in der Krise

Das Bildnis des Kaisers

Finkenwalde

Ein doppelter Geburtstag

Karneval in Schmenzin

Die Silberhochzeit

VI Die Freundin des Pastors, 1939–1943

Gewissenskonflikte

Die Verschwörung

Gespaltene Loyalität

Unerfreuliche Nachrichten

Ein Treffen in Klein Krössin

Die Verlobung

Gescheiterte Pläne

Briefe und Geschenke

VII Die letzte Matriarchin, 1944–1945

Der Führer lebt!

Heldentod

Das Gefängnis an der Prinz-Albrecht-Straße

Feuersturm

Flucht nach Westen

Vom Teufel geritten

Ein Ruf aus der Ferne

Epilog

Stammtafeln

Übersichtskarte

Anmerkungen

Bibliografie

Lebensdaten

weitere Werke

Vorwort

Ruth von Kleist-Retzow wurde 1867 als Gräfin von Zedlitz und Trützschler geboren. Sie starb 1945, wenige Monate nachdem Deutschland besiegt und das Dritte Reich Adolf Hit­lers zerschlagen war. Ihr ganzes Leben verbrachte sie in Preußen östlich der Oder und Neiße, wo sich die feudale Gesellschaftsstruktur bis weit in das 20. Jahrhundert halten konnte.

Diese so konservative Umwelt formte eine Frau und eine Familie, die es nicht dabei bewenden ließen, den Nazis von Anfang an Widerstand zu leisten. Vielmehr beteiligten sich vier der engsten Familienmitglieder aktiv an Versuchen, Adolf Hitler zu töten und das Naziregime zu Fall zu bringen.

Das Leben Ruth von Kleist-Retzows sowie der Kreis derer, die sie inspirierte, erregte zunächst Aufsehen durch eini­ge, wie es schien, unzusammenhängende historische Anekdoten, unter anderem auch aus dem Leben Dietrich Bonhoeffers. Dieser deutsche Theologe war einer der Anführer der we­nigen, die dem Versuch der Nazis, die evangelische Kirche gleichzuschalten, energisch entgegentraten. Später gehörte er einer Verschwörung an, deren Ziel die Beseitigung Hitlers und der Nazis war. Sein Leben und sein Tod sowie seine umfangreichen Schriften stellen ein Vermächtnis dar, das noch heute in weiten Bereichen als Vorbild für gesellschaftliches und politisches Handeln Gültigkeit hat.

Ruth von Kleist-Retzow war es, die Bonhoeffer in seinen gegen die Nazis gerichteten religiösen Aktivitäten in den ers­ten Jahren der Naziherrschaft unterstützte. In diesen gefährlichen Zeiten entwickelte sich eine tiefe Freundschaft zwischen dem ledigen Theologen aus Berlin und der Matriarchin aus dem alten Preußen.

Im Laufe der Zeit führte Ruth ihn in ihrer Familie ein. Dadurch entstand die Verbindung zwischen der politischen Verschwörung in Berlin, zu der er gehörte, und der von ihrer Familie geprägten militärischen Verschwörung. Ruth stellte auch eine Verbindung privater Natur zwischen Bonhoeffer und ihrer Enkelin Maria von Wedemeyer her. Die später da­raus entstandene Liebe unterstützte sie. Als Bonhoeffer kurz vor dem Sieg über Deutschland im Mai 1945 von den Nazis hingerichtet wurde, waren die beiden verlobt und beabsichtigten zu heiraten.

Ein halbes Jahrhundert nach dem 2. Weltkrieg und Holocaust steht noch die Frage im Raum: Wie konnte aus diesem vermeintlich erzkonservativen, antidemokratischen und militaristischen, für die alten preußischen Gebiete typischen Milieu eine Familie hervorgehen, die sich in Deutschlands schwärzester Zeit so verhalten hat, wie es hier beschrieben wird – eine Familie, die nicht nur Hitlers und der Nazis wahre Natur sehr früh erkannt, sondern sie konsequent und oft sogar heroisch bis zum Ende bekämpft hat?

Wenn es auf diese Frage überhaupt eine eindeutige Antwort gibt, so liegt sie in der Lebensgeschichte von Ruth von Kleist-Retzow. Ihre Wurzeln reichen weit zurück, über ihr eigenes langes Leben hinaus. Die Anwesenheit Otto von Bismarcks, des Architekten des deutschen Nationalstaats, bei Ruths Taufe ist von symbolischer Bedeutung für ihren ge­samten Lebensweg. Ebenso zeugt die jahrhundertealte Verbindung zwischen ihrer Familie und der Familie ihres Mannes mit der preußischen und deutschen Monarchie von einer Loyalität, die die Monarchie selbst noch überdauerte.

Im 20. Jahrhundert, vor allem in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg, wurde die Geisteshaltung von Ruth und Gleichgesinnten zu einem Anachronismus. Diejenigen, die jahrhundertelang die deutsche Politik, die öffentliche Verwaltung und vor allem das Offizierskorps der Armee beherrscht hatten, verfielen während der kritischsten Jahre der um das Über­leben kämpfenden Weimarer Republik in Passivität. Einige weniger wohlwollende Betrachter der Geschichte würden sagen, sie hätten durch ihre Untätigkeit zum Fall der Republik und dadurch zum Erfolg Hitlers und den damit zusammenhängenden Gräueln beigetragen.

Dessen ungeachtet waren es genau die scheinbar altmodischen Tugenden zusammen mit ihrer tiefen Religiosität, die Ruth und andere Mitglieder ihrer Familie gegen Hitler und die Nazis fast von Anfang an opponieren ließen. Die Beteiligung von Ruths Familienangehörigen an der Verschwörung gegen Hitler und das Naziregime ist als eine logische Fortsetzung der Gedanken und Taten zu sehen, deren Wurzeln in der Chronik dieser Frau und ihrer Herkunft untersucht werden. Ihre Geschichte handelt von Konflikten, geteilten Lo­yalitäten, Tod und Zerstörung. Es ist jedoch auch eine Geschichte von Treue, Romantik und Liebe, in der Momente höchsten Glücks erfahren werden.

Diese Familiengeschichte zu schreiben, war für mich ein tiefes und bewegendes Erlebnis. Möge sie den Lesern ebenso viel bedeuten.

Jane Pejsa

Dank

Auf das Leben Ruth von Kleist-Retzows (im Folgenden Ruth von Kleist genannt) wurde ich durch zwei schicksalhafte Begegnungen aufmerksam: die erste ein Zusammentreffen mit Bain Boehlke, einem Filmemacher aus Minneapolis, die zweite mit Mary Glazener, einer Schriftstellerin aus South Carolina. Ich möchte meinen Dank zunächst an diese beiden Personen richten, die mir, einer Fremden, genug Vertrauen schenkten, um mir das von ihnen gesammelte Quellenmaterial zu Ruth von Kleist, Maria von Wedemeyer und Dietrich Bonhoeffer zur Verfügung zu stellen.

Ich stehe tief in der Schuld der Bush Foundation von St. Paul und der Direktorin der Bush Artists’ Fellowships, Sally Dixon, die es mir durch ein großzügiges Stipendium ermöglichten, Ruth von Kleists Lebensgeschichte zu erforschen. Ebenso freue ich mich über das bereits zu einem frühen Zeitpunkt gezeigte Vertrauen meiner Schriftstellerkollegen Margot Siegel aus Minneapolis und Phebe Hanson aus St. Paul, deren gute Bewertung meiner Arbeit dazu beitrug, die Bush Foundation davon zu überzeugen, mich als Stipendiatin in die engere Wahl zu ziehen.

Der Bericht über Ruth von Kleists Leben und Familie beruht hauptsächlich auf Anekdoten, die mir die Überleben­den in Interviews erzählt haben oder die ich den weitverstreuten Papieren der mittlerweile Verstorbenen entnommen habe. Für dieses Material habe ich neun von Ruths Enkelkindern zu danken: vor allem Konstantin von Kleist-Retzow aus Rinteln, Gräfin Ruth de Pourtales (geborene Kleist-Retzow) aus Tannay in der Schweiz und Heinrich von Kleist-Retzow aus Bergisch Gladbach. Sie alle überließen mir Familienbilder, erzählten, wie sie ihre Großmutter und ihre Kindheit in Kieckow in Erinnerung hatten. Ruth Roberta Heckscher (geborene Stahlberg), die sogar aus Israel, wo sie damals lebte, nach Deutschland kam und mir von einigen der dramatischs­ten Begebenheiten aus Ruth von Kleists Leben berichtete, und Alexander Stahlberg aus Berlin, der mir ein breiteres und tieferes Wissen über diese Familie vermittelte, Luitgarde von Schlabrendorff (geborene Bismarck) aus Wiesbaden, von der ich Informationen und Bilder von unschätzbarem Wert nicht nur aus dem Familienarchiv der Bismarcks, sondern auch aus dem Archiv ihres verstorbenen Mannes Fabian von Schlabrendorff erhielt, und Spes Pompe (geborene Bismarck) aus Bonn, die mir in lebhaften Worten die Stettiner Jahre ihrer Großmutter beschreiben konnte, Ruth-Alice von Bismarck (geborene Wedemeyer) aus München und ihr Ehemann Klaus, die mir nicht nur Erinne­rungen und einmalige Familiendokumente überbrachten, sondern mir auch Zugang zu anderen Familienmitgliedern verschafften, und Hans Werner von Wedemeyer aus BadenBaden, der mir einen Nachmittag widmete und mir kostbares Quellenmaterial übergab.

Es waren lediglich Zeitgründe und zu große Entfernungen, die mich davon abhielten, die anderen Enkelkinder von Ruth von Kleist aufzusuchen. Mit Sicherheit wären sie eben­so hilfsbereit gewesen.

Tiefe Dankbarkeit empfinde ich für Friedrich Carl Graf von Zedlitz und Trützschler, Patensohn und einziger noch lebender Neffe Ruth von Kleists. Graf Zedlitz wohnt derzeit in Argentinien und verbringt den Sommer in der Schweiz. Auf dem Weg dorthin macht er gewöhnlich Station in den Vereinigten Staaten. In Briefen, Telefongesprächen und vor allem während eines denkwürdigen Mittagessens in Rochester/Minnesota stellte er mir Familieninformationen, Bilder und Erinnerungen seiner Kindheit in Großenborau/Schlesien zur Verfügung, jenem Ort, an dem seine Tante Ruth ihre Kindheit verbracht hatte.

Mit Dankbarkeit möchte ich auch die Beiträge zahlreicher anderer erwähnen, deren Lebensweg den Ruth von Kleists kreuzte: Eberhard Bethge und Renate Bethge (geborene Schleicher) aus Wachtberg, die mit Ruth von Kleist während ihres letzten Lebensjahrzehnts in enger Verbindung standen und die mir außer ihren Erinnerungen an Tante Ruth auch Kopien ihrer persönlichen Korrespondenz überließen, Reinhild Hausherr (geborene Kleist-Schmenzin) aus Bern, Tochter des zum Märtyrer gewordenen Neffen Ruths namens Ewald, die einen Nachmittag lang für mich Kindheitserin­nerungen wachrief – aus einer Zeit, als die Kleist-Retzows aus Kieckow sich mit den Kleists aus Schmenzin in der Verschwörung gegen die Naziherrschaft verbanden –, Werner und Dita Koch aus Emlichheim, deren Freundschaft mit Ruth von Kleist infolge von Werners Verhaftung vertieft wurde, die mir Kopien Ruths reichhaltiger, fast ein Jahrzehnt umfassender Korrespondenz mit beiden von ihnen übergaben, Wolf Dieter Zimmermann aus Berlin, den ich in Minnesota traf und dessen jugendlich-frische Erinnerungen die Schmenziner Kleists, die Kieckower Kleists, das Finkenwalder Seminar und Großmutter Ruth in Stettin umfassten.

Als persönliches Privileg empfinde ich, zwei erstklassige, auf deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts spezialisierte Historiker zu kennen, die mir beide freundlicherweise ihre Zeit widmeten. Professor Emeritus Harold C. Deutsch von der Universität Minnesota, eine führende Kapazität auf dem Gebiet der Verschwörung gegen Hitler, stellte einige historische Details klar. Der amerikanische Bismarck-Experte der Universität von Indiana Professor Otto Pflanze beriet mich bei meinen Nachforschungen über diese frühe Periode im Leben Ruth von Kleists. Dabei möchte ich jedoch betonen, dass keiner dieser beiden prominenten Professoren in irgendeiner Weise für die in diesem Buch beschriebenen historischen Details oder Interpretationen verantwortlich ist.

Meine geografischen Kenntnisse stammen von persönlichen Besuchen der Orte, die Ruth von Kleist einst ihre Heimat nannte – Klein Krössin, Kieckow und Großenborau, die allesamt im heutigen Polen liegen. Tiefen Dank schulde ich unserem Freund und Verwandten Franciszek Polcyn aus Oborniki/Polen, der meinen Mann und mich an der deutschpolnischen Grenze nahe Szczecin abholte und als unser Führer in diesen schönen Landstrichen fungierte.

In diesem Buch werden eine Reihe von Briefen erwähnt oder zitiert, von denen viele aus dem Bundesarchiv stammen. Mit besonderer Dankbarkeit erwähne ich den wichtigen Beitrag Edith Müllers aus Minneapolis, die diese und andere Briefe von der deutschen in die lateinische Schrift übertrug, was mich in die Lage versetzte, dieses Quellenmaterial in der Originalsprache zu lesen.

Der Hauptteil der in meinen Nachforschungen verwendeten und in der Bibliografie angegebenen Quellen stammt aus der umfangreichen Sammlung der Wilson Bibliothek der Universität Minnesota. Dazu kam seltenes und nützliches Material von der Stadtbibliothek Minneapolis und der Bib­liothek des Lutherseminars St. Paul. Mein Dank gebührt auch Barbara Field aus Minneapolis, die mit ihrem ausgezeichneten Können das gesamte Manuskript Absatz für Absatz überarbeitet hat.

Schließlich ist es mir eine Freude, darauf hinzuweisen, dass ich diese ungeheure Aufgabe nie ohne die ständige Unterstützung meines Mannes Arthur Pejsa zu Ende gebracht hätte. Ihm oblag es auch, jedes der sieben Kapitel über die Geschichte der preußischen Matriarchin als Erster zu kritisieren und zu redigieren.

Mein Dank gilt allen bereits erwähnten sowie denjenigen, die zu erwähnen ich unabsichtlich vergessen haben könnte.

Prolog

Im Jahr 1152 wurde der Staufer Friedrich Barbarossa in ­Aachen zum deutschen König gewählt. Drei Jahre später in Rom erfolgte seine Krönung zum Kaiser – zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Es erstreckte sich in früheren Jahrhunderten über fast ganz Europa, zu Barbarossas Zeit aber war dieser ehrenvolle Titel von geringem Wert. Er wur­de lediglich von der Handvoll Prinzen und Herzögen des Stauferreiches anerkannt.

Barbarossas Weitblick und seine unerschöpfliche physische Energie vermochten jedoch das deutsche Bewusstsein so zu beleben, dass sein Name zur Legende wurde. Er stärkte die Bindungen zwischen den zerstrittenen deutschen Fürs­tentümern. Er unternahm Feldzüge auf polnisches und böhmisches Territorium bis hin zu weit entfernten Gebieten in Kleinasien. Selbst die Stadtstaaten Italiens wurden von ihm nach seinen Vorstellungen neu geordnet. Er schloss Frieden und führte Krieg mit zwei aufeinanderfolgenden Päpsten in Rom, wobei er nicht nur einmal, sondern gleich zweimal exkommuniziert wurde.

Wenige dieser kriegerischen Unternehmungen führten zu dauerhaften Eroberungen, manche davon endeten gar in Katastrophen. Auf einem Feldzug in Italien zum Beispiel starben alle seine Soldaten an der Pest, dennoch blieben allein seine Siege in Erinnerung.

Über die Jahrhunderte wurde Barbarossa in Deutschland zur Legende, insbesondere in schlechten Zeiten. Es hieß, er lebe in einer Höhle unter dem Kyffhäuser, um eines Tages zurückzukehren und dem deutschen Volk zu neuer Größe zu verhelfen.

Während seines ganzen Lebens hatte Barbarossa zahlreiche treue Anhänger – Untertanen, Ritter und gemeine Soldaten, die für ihn Kriege führten und unter seinem Banner ihr Leben ließen. Der treuste unter ihnen soll sein Untertan Zedlitz gewesen sein, der seine Loyalität zu Barbarossa auf dessen Polenfeldzug unter Beweis stellte. Auf der Höhe des Gefechts, als Barbarossas königlicher Umhang von einem feindlichen Speer durchbohrt wurde, eilte Zedlitz seinem König zur Seite und hieb den Umhang entzwei, wodurch Barbarossas Leben gerettet wurde. Jahrhunderte später wurde diese große Tat in einem epischen Gedicht festgehalten, das mit folgenden Zeilen endet:

Und wo man von Treue und Tapferkeit spricht, da fehlt auch der Name der Zedlitze nicht. Ihr Haus kommt nimmer zu Falle.

Der treue Untertan Zedlitz wurde für seine Loyalität und seinen Mut reich belohnt. Er hatte nicht nur Barbarossas Gunst gewonnen, sondern erhielt auch ein beträchtliches Stück Land an der östlichen Grenze Thüringens, ein deutscher Vorposten zum Königreich Böhmen. An dieser Stelle sollte er eine mächtige, seinen Namen Zedelic tragende Festung errichten, die lange nach dem Tod sowohl Barbarossas als auch seines treuen Untertanen Zedlitz für die Vertei­digung deutschen Gebiets von großer Wichtigkeit werden sollte.

Fünfzig Jahre nach Barbarossas Tod, im Frühjahr 1241, richtete der damals regierende polnische Monarch Heinrich der Fromme einen dringenden, alle Stammes-, Kultur- und Fürsteninteressen übergreifenden Appell an die Christenheit, zu den Waffen zu greifen: Die Ungläubigen waren in Schlesien eingedrungen!

Während der Herrschaft der Staufer und Piasten stand der Begriff Ungläubige für die Tataren, eine Gruppe verschie­dener nomadischer Völker, die jahrhundertelang den ganzen eurasischen Kontinent von der Mongolei im Osten bis zur Ukraine im Westen durchzogen. Ihre Sprache war dem Türkischen verwandt und noch im 13. Jahrhundert waren sie weder mit dem Christentum noch mit dem Islam in Berührung gekommen.

Schlesien war ein entlegenes fürstliches Besitztum an der Grenze des polnischen Königreiches, das im Süden von der Hohen Tatra und im Westen von der Neiße begrenzt wurde. Die Oder durchquerte dieses Gebiet in nördlicher und westlicher Richtung auf ihrem Weg von der Quelle zur Ostsee. Das Land war reich an Wäldern und fruchtbaren Feldern und es wurde behauptet, es lägen dort riesige Schätze an Mineralien unter der Erde. Wen wundert es daher, dass sowohl die Tataren als auch die europäischen Herrscher gleichermaßen an Schlesien – Slansk – interessiert waren.

Aus dem Süden und vom Westen kamen deutsche Ritter nach Osten an die Oder geritten, um die Invasion der Mongolen zu stoppen. Mit ihrer schweren Rüstung überquerten sie die Neiße und kämpften sich durch heimtückische Sümpfe und endlose Wälder, um den Soldaten Heinrichs zur Seite zu stehen. Die polnischen Ritter, in ebenso schweren Rüstungen, zogen in südlicher Richtung durch ihnen vertraute Sümpfe und Wälder. Sie überquerten die Oder von Osten kommend.

Am ersten klaren Morgen im April stießen die vereinten Armeen auf die eingedrungenen Tataren in den feuchten Nie­derungen Schlesiens. Unter kampferprobter Führung preschten die Ritter in ihren Rüstungen, wie sie es häufig geübt hatten, in enger Formation mit gezückten Schwertern vorwärts. Dahinter folgte das Fußvolk mit langen, unhandlichen Speeren, halb im Schlamm versinkend. Die gegnerischen Linien wurden immer wieder durchbrochen, jedoch unter hohen Verlusten. Pferde und Männer stürzten und versanken im Morast. Bald überstieg die Zahl der Verwundeten und Sterbenden die der noch Kämpfenden. Wieder und wieder formierten sich die Armeen unter ihren Bannern, schlossen die Lücken der gefallenen Pferde und Männer und griffen erneut an. Am Ende siegten die christlichen Armeen.

Unter den deutschen Bannern in dieser Schlacht waren auch diejenigen der Ritter von Burg Zedelic. Sie wurden geführt von einem Nachfahren des treuen Untertans Barbarossas, Zedlitz, und die Soldaten stammten aus dem Dorf Zedelic an der Ostgrenze Thüringens. Nachdem die erschöpften Ritter und Soldaten aus Zedlitz ihre Toten begraben hatten, überquerten sie die Neiße in westlicher Richtung, um in die Heimat zu ihrer Burg und ihrem Dorf zurückzukehren.

In den Jahrhunderten nach dem historischen Sieg über die Tataren ging die Herrschaft über Schlesien an den König von Böhmen, danach durch sorgfältig arrangierte Heiraten an die österreichische Dynastie der Habsburger.

Im 18. Jahrhundert war die Stauferdynastie Barbarossas und seiner Nachfahren längst verschwunden. An ihre Stelle trat als treibende Kraft unter den Fürsten und Prinzen des Nordens das Haus Hohenzollern, das das Fürstentum Brandenburg regierte und später die Könige Preußens stellen sollte. Zentrum seiner Macht war die Stadt Berlin.

Im April 1741, genau 500 Jahre nach dem Sieg über die Tataren, eroberten die Armeen des Preußenkönigs Friedrich des Großen das gesamte, zum Habsburger Reich der Kai­serin Maria Theresia gehörende Land zwischen Oder und Neiße. Sieben Jahre später, nach zahlreichen Gefechten, unterzeichneten Österreich und Preußen einen unsicheren Friedensvertrag. Maria Theresia behielt zwar ihren Thron, Friedrich jedoch behielt Schlesien. Die Kaiserin soll sich beklagt haben: »Er hat mir meinen herrlichen Garten weggenommen.«

Der Friede dauerte nicht einmal zehn Jahre, und als der Krieg erneut ausbrach, erreichte er bald die Dimension eines Weltkonflikts, in den sowohl alle Großmächte Europas als auch weit entfernt liegende Länder wie Nordamerika und Indien verwickelt wurden. Da dieser dritte schlesische Krieg sieben Jahre dauerte, wurde er als der Siebenjährige Krieg bekannt. Nach seinem Ende war Schlesien fest im Besitz des preußischen Königs.

Das Land war nun von Nachfahren der Familie Zedlitz aus Zedelic bewohnt, die, genau wie ihre Vorfahren vor vielen Jahrhunderten, ihrem König dienten. Unter diesen Nachkommen befanden sich auch Ernestine und Gottlieb von Trützschler, miteinander verheiratete, weitläufig verwandte Vetter und Cousine. Im Jahr 1800 brachte Ernestine auf dem Familienschloss der Trützschlers in Thüringen ihr erstes Kind, Karl Eduard, zur Welt.

Es war die Zeit nach der Französischen Revolution mit all ihren Grausamkeiten und nicht eingehaltenen Versprechen. Napoleon Bonaparte hatte in Frankreich die Macht übernommen und sich sofort in militärische Konflikte mit den Nachbarländern Preußen, Österreich und Russland gestürzt. Als Karl Eduard fünf Jahre alt war, hatte Napoleon bereits den Höhepunkt seiner militärischen Stärke erreicht und die verbündeten Armeen Österreichs und Russlands in der Schlacht von Austerlitz besiegt. Von seinen Erfolgen beflügelt, nahm er sich als Nächstes Preußen vor. Das Trützschlersche Schloss wurde belagert, weshalb Karl Eduard und seine Mutter beim Großonkel, Baron von Zedlitz, auf Schloss Schwentnig in Schlesien in Sicherheit gebracht wurden.

Wenige Jahre später starb der alte Baron und Schwentnig ging in den Besitz von Gottlieb von Trützschler, Karl Eduards Vater, über. Gottlieb stellte beim preußischen König den Antrag, künftig beide Namen Zedlitz und Trützschler führen zu dürfen. Der König genehmigte nicht nur diesen Antrag, sondern erhob ihn auch in den erblichen Grafenstand. Im Register der preußischen Aristokratie wurde ein neuer Eintrag vorgenommen: Gottlieb Graf von Zedlitz und Trützschler. Seit dieser Zeit besteht das Familienwappen aus der rot-silbernen Schwertgurtschnalle der Familie Zedlitz und dem schwarz-gelb uniformierten Soldaten der Trützschlers.

Karl Eduard, der zweite Graf von Zedlitz und Trützschler, war der Erste seiner Familie, der die Universität besuchte – die Friedrich-Wilhelm-Universität (seit 1945 Humboldt-Universität) in Berlin. Dort lernte er die Baronin Ulrike von Vernezobre de Laurieux, eine außergewöhnliche Schönheit französisch-hugenottischer Abstammung, kennen, die er später heiratete. Aus dieser Ehe gingen sechs Kinder hervor, das letztgeborene, Sohn Robert, kam im Jahr 1837 auf Schloss Schwentnig zur Welt. Kurz nach seiner Geburt erkrankte Ulrike an Tuberkulose und starb.

Karl Eduard wurde einige Zeit später in die schlesische Hauptstadt Breslau versetzt, wo er einen Posten in der Verwaltung übernahm. Im Alter von 13 Jahren trat Robert in das Gymnasium zu Breslau ein. Schloss Schwentnig wurde zu einem Landsitz, auf den sich der Graf mit seiner Familie nur an Festtagen und während des Urlaubs zurückzog. Für Robert begann eine Zeit der Unruhe und Zerstreuung; für ihn waren weder der akademische Unterricht am Gymnasium noch die Gemeinschaft mit den anderen Schülern von Interesse.

Es war das Jahr 1853 und in ganz Preußen – von den anderen deutschen Staaten ganz zu schweigen – begannen die Ideale des Nationalismus und modernen Liberalismus Fuß zu fassen. Tatsächlich bedrohten sie die bestehenden Institutionen von allen Seiten. In den Städten organisierten sich die Arbeiter zum Kampf gegen die mit der industriellen Revolution einhergehende Ausbeutung. Zum ersten Mal gesellten sich zu den Arbeitern auch Intellektuelle und Kaufleute im Kampf für das allgemeine Wahlrecht. Die alten preußischen Institutionen, die sich jahrhundertelang auf drei unterschiedliche, jedoch miteinander verflochtene Klassen stützten, wurden langsam, aber sicher untergraben.

Die Französische Revolution und die Dekade der Triumphe Napoleons hatten eine zweifache Wirkung auf diese Entwicklungen. Seine Reformen bei der Ausübung der Regierungsgewalt und dem Militär beeindruckten diejenigen, die Reformen in Preußen für nötig erachteten. Die Ernied­rigung Preußens jedoch bewegte Deutsche aller politischen Richtungen und sozialen Klassen. Es entwickelte sich neues Gedankengut: die Idee des befreienden Nationalismus, der in einer Föderation deutscher Staaten zum Ausdruck kommen sollte.

Diese Idee fand Robert im Alter von 16 Jahren äußerst attraktiv. Ohne seine akademische Bildung abzuschließen, verließ er daher das Gymnasium und wurde Offiziersanwärter im 6. Preußischen Kürassier Regiment. Mit 19 Jahren ­erhielt er sein Leutnantspatent im preußischen Offizierskorps und wurde zu dem begehrtesten aller preußischen Regimenter versetzt – der Garde du Corps.

Später schickte ihn der König nach Frankreich, wo er den Aufbau und die Ausbildungsmethoden studieren sollte, mit denen die Franzosen die stärkste militärische Macht in Euro­pa aufgebaut hatten. In Paris lernte er Otto von Bismarck, den preußischen Botschafter in Frankreich, kennen, der später die deutsche Politik und eigentlich fast ganz Europa beeinflussen sollte. Durch seine Freundschaft mit Bismarck wurde Robert in die französische Gesellschaft eingeführt. So begann, im Bewusstsein seiner französischen Herkunft mütterlicherseits, seine große Vorliebe für die französische Kultur. Robert war von der Lebensqualität des Landadels fasziniert und begann davon zu träumen, in Schlesien Land zu kaufen, um dort die kultivierte Lebensweise der Heimat seiner Mutter einzuführen und seinen Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft zu verdienen.

In seinen Träumen beschäftigte sich Robert auch mit der Aussicht auf Heirat, da er sich in Agnes von Rohr aus Dannenwalde verliebt hatte. Die Rohrs, eine alte, aristokratische Familie aus Brandenburg, standen dem König weit näher, als es die Zedlitz jemals taten. Nach Roberts Vorstellung war Agnes die geborene Herrin eines großen Landsitzes. Eine Karriere in der preußischen Armee verlor für ihn daher schnell ihren Reiz.

Als zweiter Sohn Karl Eduards würde Robert ohnehin nie Erbe von Schwentnig werden, wenngleich es das einzige wirkliche Zuhause war, das er je gekannt hatte. Trotzdem schrieb er seinem Vater von seinen Hoffnungen und Träumen und Karl Eduard stellte vertraulich und diskret einige Nachforschungen an.

Sofort nach Beendigung seines Aufenthalts als Offizier in Frankreich machte sich Robert mit dem Zug auf nach Schwentnig, durch Franken und Thüringen, durch Landstriche, die seine kriegerischen Vorfahren zu Fuß oder auf Pferden durchquert hatten, bis nach Schlesien zum Schloss Schwentnig. Karl Eduard hieß seinen Sohn willkommen und machte ihm folgenden Vorschlag: Er hatte soeben einen der schönsten Landsitze in ganz Schlesien erworben, das 1 700 Morgen große Gut Niedergroßenborau (im Folgenden Gro­ßenborau genannt). Dies sollte sein Hochzeitsgeschenk für Robert sein, der es verwalten und später erben sollte unter der Bedingung, das Gut niemals zu verkaufen, zu teilen oder Hypotheken auf das Land aufzunehmen. Der Vorschlag wur­de ohne Einschränkung angenommen.

So waren Roberts Tage als Junggeselle und Soldat fast zu Ende. Vor ihm lag die vorhersehbare Zukunft eines Familienvaters und preußischen Landbesitzers. Im Europa des 19. Jahrhunderts jedoch war die Zukunft alles andere als vorhersehbar geworden.

I

Die Gräfin von Grossenborau1867 –1886

»Konts Ruth«

Früh an einem kalten Februarmorgen werden die Bauern in Großenborau vom Läuten der Kirchenglocken geweckt. Die meisten von ihnen eilen zum Hoftor des Gutshauses, wo die Hausdame, ein breites Lächeln auf dem Gesicht, bereits wartet. Seit Robert und Agnes, Graf und Gräfin von Zedlitz und Trützschler, als frisch getrautes Ehepaar in Großenborau einzogen, ist es das dritte Mal. Damals betrachteten die stolzen Dorfbewohner die neuen Herrschaften mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst – Hoffnung, der neue Besitzer des alten Guts würde Reformen einführen, um so die kränkelnde Landwirtschaft zu retten, und Angst, er könnte dieser streng katholischen Gemeinde den evangelisch-lutherischen Glauben aufzwingen. Ihre Hoffnungen wurden bald erfüllt, ihre Ängste aber zerstreut. Großenborau hat noch immer ­sei­nen katho­lischen Priester. Unter der Aufsicht von Graf Robert wurde sogar die alte Fachwerkkirche renoviert und neu ausgestaltet.

Die Kirche, nur durch einen bescheidenen Friedhof vom Gutshaus getrennt, ist so nah, dass die Hausdame es nicht vermag, sich bei dem Glockengeläut Gehör zu verschaffen. Die Dorfbewohner jedoch sind geduldig – ein Charakterzug, der sich im Laufe der Jahrhunderte des Feudalismus in diesem alten Land entwickelt hat. Sie wissen, der Priester wird die Glocken erst verstummen lassen, wenn seiner Meinung nach eine hinreichend große Menschenmenge zusammengekommen ist.

Als die Glocken endlich schweigen, erhebt die Hausdame die Stimme. Mit der ihrer herausgehobenen Position in der Dienstbotenhierarchie des Hauses angemessenen Selbstsicherheit verkündet sie, es sei ihr eine Ehre, die Geburt eines kräftigen und gesunden Mädchens mitzuteilen. Ihr Name werde Ruth sein. Ein überraschtes Murmeln geht durch die Menge – Ruth, ein biblischer Name; wie ungewöhnlich, dass die schlesische Aristokratie einen Namen aus dem Alten Testament wählt! Dennoch, einige Jubelrufe ertönen aus der Menge, dann gehen die Männer an ihre Arbeit und die Frauen eilen nach Hause. An diesem Tag wird wenig gearbeitet werden, denn jeder im Dorf wird die Geburt auf die eine oder andere Weise feiern.

Einen Monat nach ihrer Geburt wird die kleine Komtess Ruth von Zedlitz und Trützschler von einem Kindermädchen auf die Taufe in der Familienkapelle vorbereitet. Für die Familien von Robert und Agnes sind Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse mehr als nur religiöse Ereignisse, sie dienen auch dazu, die Bindungen zu festigen, die nicht nur Familien, sondern ihre ganze soziale Schicht zusammenhalten. Aus Schwentnig und aus Dannenwalde, aus Frankenstein, ­Altenburg und Frauenhain – von den großen Gütern Schlesiens, Thüringens und Brandenburgs – kommen die Tanten und Onkel, Vettern, Cousinen und Pateneltern am nahe gelegenen Bahnhof Freystadt an, wo sie vom Kutscher im Lan­dauer des Gutes abgeholt werden. Robert fährt persönlich zweimal die Strecke, zuerst, um die Gäste aus Dannenwalde, Agnes’ Eltern, abzuholen und ihnen zu versichern, dass ihre Tochter bei guter Gesundheit sei, und dann, um seinen Vater Karl Eduard aus Schwentnig willkommen zu heißen. Kaum sitzt der alte Graf im Wagen, erkundigt er sich schon nach dem Namen des Kindes. »Ruth«, antwortet sein Sohn. Karl Eduard ist verblüfft. Diesen Namen gab es noch nie in der Familie – warum also gerade jetzt? Bestimmt, jedoch freundlich erklärt Robert seinem Vater: »Du solltest noch einmal das Alte Testament und die Geschichte der Moabiterin Ruth lesen. Dies ist auch die Geschichte unseres Volkes – ›Treue bis zum Tode‹.« Der Vater verstummt, vielleicht weil er mit ihm übereinstimmt, vielleicht aber auch, weil er weiß, dass er kein Recht hat, sich hier einzumischen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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