Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran - Eric-Emmanuel Schmitt - E-Book + Hörbuch
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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran E-Book

Eric-Emmanuel Schmitt

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Beschreibung

Die hinreißende Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Manchmal klaut Moses, der in Paris lebt, Konserven im Laden von Monsieur Ibrahim und glaubt, dass dieser nichts merkt. Doch der hat den jüdischen Jungen schon längst durchschaut. Denn Monsieur Ibrahim, der für alle nur »der Araber an der Ecke« ist, sieht mehr als andere. Er ist ein verschmitzter Weiser, der viele Geheimnisse kennt - auch die des Glücks und des Lächelns.

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Eric-Emmanuel Schmitt

Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Erzählung

Aus dem Französischen von Annette Bäcker und Paul Bäcker

Fischer e-books

Für Bruno Abraham-Kremer

Als ich elf war, habe ich mein Schwein geschlachtet und bin zu den Dirnen gegangen.

Mein Schwein war ein Sparschwein aus Porzellan, glasiert, bemalt mit Farben wie Kotze und mit einem Schlitz, in den ein Geldstück nur reinging, aber nicht wieder raus. Mein Vater hatte diese Einbahnsparbüchse ausgesucht, weil sie seiner Lebensanschauung entsprach: Geld ist zum Horten da, nicht zum Ausgeben.

Im Schweinebauch waren zweihundert Francs. Vier Monate Schufterei.

Eines morgens, bevor ich zur Schule ging, sagte mein Vater zu mir:

»Moses, das verstehe ich nicht … Es fehlt Geld …, ab jetzt wirst du alles, was du beim Einkaufen ausgibst, in das Haushaltsbuch eintragen.«

Also nicht genug damit, in der Schule wie auch zu Hause angeschnauzt zu werden, zu waschen, zu büffeln, zu kochen, die Einkäufe zu schleppen, nicht genug damit, allein in einer großen Wohnung zu leben, dunkel, leer und ohne Liebe, mehr der Sklave als der Sohn eines Rechtsanwalts ohne Fälle und ohne Frau, wurde ich zudem auch noch verdächtigt, ein Dieb zu sein! Wenn man mich schon des Klauens bezichtigt, warum es dann nicht auch tun.

Zweihundert Francs waren also im Schweinebauch. Zweihundert Francs, das war der Preis für ein Mädchen in der Rue de Paradis. Das mußte zahlen, wer ein Mann werden wollte.

Die ersten haben mich nach meinem Ausweis gefragt. Trotz meiner Stimme, trotz meines Gewichts – ich war dick wie ein Sack Zucker – zweifelten sie daran, daß ich sechzehn war, wie ich behauptet hatte, wahrscheinlich hatten sie mich in all den letzten Jahren mit meinem Einkaufsnetz vorbeigehen und heranwachsen sehen.

Am Ende der Straße, in dem Toreingang, stand eine Neue. Sie war mollig und schön wie ein Bild. Ich zeigte ihr mein Geld. Sie lächelte.

»Und du bist sechzehn?«

»Ja, seit heute morgen.«

Wir sind raufgegangen. Ich konnte es kaum glauben, sie war zweiundzwanzig, sie war alt, und sie war ganz für mich da. Sie hat mir erklärt, wie man sich wäscht, und dann, wie man Liebe macht …

Natürlich wußte ich das schon, aber ich hab sie reden lassen, damit sie sich besser fühlt, außerdem mochte ich ihre Stimme, sie klang ein bißchen trotzig, ein bißchen traurig. Die ganze Zeit über war ich halb ohnmächtig. Zum Schluß hat sie mir dann übers Haar gestreichelt und sanft gesagt:

»Du mußt wiederkommen und mir ein kleines Geschenk mitbringen.«

Das hätte mir meine Freude beinahe vermasselt: Ich hatte das kleine Geschenk vergessen. Da haben wir’s, ich war ein Mann, getauft zwischen den Schenkeln einer Frau, ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, so zitterten mir noch die Knie, und schon begann der Ärger: Ich hatte das berühmte kleine Geschenk vergessen.

Im Laufschritt bin ich in die Wohnung zurück, ich bin in mein Zimmer gestürzt, habe mich umgeschaut, was ich als Wertvollstes zu verschenken hätte, und bin schnurstracks wieder in die Rue de Paradis gerannt. Das Mädchen stand schon wieder im Toreingang. Ich hab ihr meinen Teddy gegeben.

 

Ungefähr um diese Zeit lernte ich Monsieur Ibrahim kennen.

Monsieur Ibrahim war schon immer alt. Alle in der Rue Bleue und in der Rue du Faubourg-Poissonnière meinten, sich erinnern zu können, daß Monsieur Ibrahim schon immer diesen Kolonialwarenladen hatte, von acht Uhr früh bis tief in die Nacht hockte er fest verankert zwischen seiner Kasse und den Putzmitteln, ein Bein im Gang, das andere unter einem Stapel von Streichholzschachteln, einen grauen Kittel über einem weißen Hemd, Zähne aus Elfenbein unter einem dürren Schnurrbart und Augen wie Pistazien, grün und braun, heller als seine bräunliche Haut voller Weisheitsflecken.

Denn allgemein galt Monsieur Ibrahim als weiser Mann. Wahrscheinlich, weil er seit mindestens vierzig Jahren der Araber in einer jüdischen Straße war. Wahrscheinlich, weil er viel lächelte und wenig sprach. Wahrscheinlich, weil er sich der normalen Hektik der Menschen scheinbar entzog, besonders der Hektik der Pariser, er rührte sich nie, saß auf seinem Hocker wie ein aufgepfropfter Ast, füllte niemals, vor wem auch immer, seine Regale auf, und verschwand zwischen Mitternacht und acht Uhr früh, keiner wußte wohin.

Jeden Tag machte ich also den Einkauf und das Essen. Ich kaufte nur Konservenbüchsen. Wenn ich die nun jeden Tag kaufte, dann nicht, weil sie etwa frisch waren, nein, sondern weil mir mein Vater nur das Geld für einen Tag hinlegte, und außerdem war das Kochen mit ihnen auch einfacher!

Als ich anfing, meinen Vater zu beklauen, um ihn dafür zu bestrafen, daß er mich verdächtigte, begann ich auch, Monsieur Ibrahim zu beklauen. Ich schämte mich zwar ein wenig, aber um meine Scham zu bekämpfen, dachte ich beim Bezahlen ganz stark:

Was soll’s, er ist ja nur ein Araber!

Jeden Tag schaute ich Monsieur Ibrahim in die Augen, das machte mir Mut.

Was soll’s, er ist ja nur ein Araber!

»Ich bin kein Araber, Momo, ich komme vom Goldenen Halbmond.«

Ich habe meine Einkäufe zusammengerafft und bin, fix und fertig, raus auf die Straße. Monsieur Ibrahim kann mich denken hören! Also, wenn er mich denken hören kann, dann weiß er vielleicht auch, daß ich ihn beklaue?

Am nächsten Tag stiebitzte ich ihm keine Büchse, fragte ihn aber:

»Was ist das, der Goldene Halbmond?«

Ich muß zugeben, daß ich mir die ganze Nacht lang vorgestellt hatte, wie Monsieur Ibrahim auf der Spitze eines goldenen Halbmonds sitzt und durch einen Himmel voller Sterne fliegt.

»So heißt eine Region, die von Anatolien bis Persien reicht, Momo.«

Am nächsten Tag, sagte ich, als ich mein Portemonnaie zückte, wie nebenbei:

»Ich heiße nicht Momo, sondern Moses.«

Am nächsten Tag war er es, der daraufhin erwiderte:

»Ich weiß, daß du Moses heißt, eben deswegen nenne ich dich Momo, das klingt nicht so bedeutend.«

Am nächsten Tag, als ich meine Centimes zählte, fragte ich:

»Was haben Sie dagegen? Moses ist jüdisch, nicht arabisch.«

»Ich bin kein Araber, Momo, ich bin Moslem.«

»Warum sagt man dann, daß Sie der Araber in der Straße sind, wenn Sie gar kein Araber sind?«

»Araber, Momo, das bedeutet in unserer Branche: Von acht bis vierundzwanzig Uhr geöffnet, auch am Sonntag.«

So verliefen unsere Gespräche. Ein Satz pro Tag. Wir hatten Zeit. Er, weil er alt, ich, weil ich jung war. Und jeden zweiten Tag klaute ich ihm eine Büchse.

Ich glaube, wir hätten etwa ein bis zwei Jahre gebraucht, um ein einstündiges Gespräch zu führen, wären wir nicht Brigitte Bardot begegnet.

Jede Menge Betrieb in der Rue Bleue. Der Verkehr wird gestoppt. Die Straße gesperrt. Man dreht einen Film.