Morgen finde ich dich! - Margit Rumpl - E-Book

Morgen finde ich dich! E-Book

Margit Rumpl

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Beschreibung

Morgen finde ich dich! Dies ist die abenteuerliche Geschichte der jungen Margit, die ihrer Sehnsucht nach Freiheit folgt und spontan mit ihrem pinkfarbenen VW-Käfer nach Andalusien aufbricht. Dort lernt sie Luis aus Südamerika kennen und glaubt, in ihm ihre große Liebe gefunden zu haben. Das gemeinsame Baby soll das Glück vollkommen machen. Doch auch als erste Schwierigkeiten und Probleme die Beziehung auf die Probe stellen, ahnt Margit noch nicht, welch abenteuerliche Reisen, schicksalhafte Wendungen und schmerzvolle Erfahrungen sie erwarten. Als die Situation eskaliert und Luis ihr das Liebste nimmt, wird die junge Frau zur leidenschaftlichen Kämpferin.

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Seitenzahl: 210

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Für meinen Sohn

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Pferdenärrinnenlehrzeit

Auszeit

Neues Leben

Es wird kälter

Eine andere Welt - Nicaragua

Ein paradies, beinahe

Wieder in der Heimat

Vertrauen und Enttäuschung

Entschlossenheit, stärker als Verzweiflung

Epilog

Prolog

„Sie haben schon wieder eine Naht vergessen!“ Die Vorarbeiterin sieht streng und vorwurfsvoll durch ihre dicken Brillengläser auf mich herab. „Entschuldigung“. Ich bin erschrocken. „Ich bringe das sofort in Ordnung.“

Seit zwei Jahren sitze ich hier an diesem Nähtisch und nähe im Akkord altmodische Damenkleider. Kleider, deren komisch gemusterte Stoffe sich unter meinen Fingern klebrig anfühlen und unangenehm riechen. Ich würde nicht einmal meiner Großmutter eines davon kaufen, wenn sie noch leben würde, denke ich wieder einmal angewidert.

Beim Nähen flüchte ich gerne wie gerade eben in Tagträume. In Fantasien, die mich weit weg führen, weg von dem immer gleichen Getöse der ratternden Nähmaschinen. Die Gedanken in meinem Kopf, die sich gar nicht auf die gegenwärtige Arbeit konzentrieren wollen, halten mich über Wasser in diesen langweiligen Tagesabläufen.

Ich träume von meiner Zukunft, die voll mit romantischen Abenteuern sein soll und gewiss ohne Nähmaschinen, kitschigen Stoffen oder einer strengen, knapp vor der Pension stehenden Vorarbeiterin, die mich leise ahnen lässt, wie sich Sklaven vor hunderten von Jahren gefühlt haben mussten.

In meinem Leben wird etwas Großartiges geschehen, ich kann es bereits beinahe spüren und kaum erwarten.

Was immer das auch sein wird - Hauptsache es holt mich hier raus. Im Leben muss es doch Besseres geben als das hier, grüble ich unzufrieden und beginne bereits wieder, alles um mich herum zu vergessen, während meine Hände automatisch die Nähmaschine bedienen.

In meiner Jugendzeit ist es noch nicht wichtig, Töchtern eine gute Ausbildung zukommen zu lassen.

Ich würde doch sowieso heiraten, meinen meine Eltern, vielleicht einen Landwirt mit einen gut gehenden Betrieb, ein paar Kinder bekommen und wozu da eine jahrelange Berufsausbildung?

Eine höhere Schule, die mein Lehrer vorgeschlagen hat oder gar eine Ausbildung zur Reitlehrerin, wovon ich träumte, wäre doch Unfug.

Als braves Mädchen bestand ich auch gar nicht sehr darauf, meine beruflichen Wünsche durchzusetzen, ich tat, wie Andere es mir vorlebten und nahm diese Arbeitsstelle in der Näherei an. Aber das hier kann doch nicht das aufregende Leben sein, das mir vorschwebt.

Ich sehe mich um und betrachte meine Arbeitskolleginnen.

Da ist Maria, die schon seit fünfzehn Jahren diese Arbeit verrichtet oder Ingrid, die vergnügt vor sich hin summt, obwohl sie seit sieben Jahren ständig die gleichen Handgriffe macht – Knöpfe annähen.

Ich blicke weiter in die Runde der über fünfzig Frauen, die fleißig und konzentriert ihrer Arbeit nachgehen. Nein, ich bin nicht wie sie und will es auch nicht werden.

In diesem Moment beschließe ich endgültig, so schnell wie möglich hier weg zu gehen.

Ich will auf keinen Fall wie die anderen Arbeiterinnen mein Leben hier vergeuden, ich muss dringend raus aus diesem „Gefängnis“, wo die Vorarbeiterin mit Argusaugen darauf achtet, dass alle möglichst ohne zu reden oder zu oft zur Toilette zu gehen ihre monotone Beschäftigung verrichten.

Wie bin ich nur hier gelandet? Habe ich die letzten zwei Jahre geschlafen? Es reicht.

Nicht mit mir - nicht länger! Ich kündige.

Mein Leben hat sich schon nach einem Monat grundlegend geändert. Zwei Jahre habe ich gehorsam funktioniert, nun nehme ich mein Leben selbst in die Hand. Ich will etwas machen, das mich mit Freude erfüllt, meine Zeit draußen in der Natur verbringen und endlich mit Pferden arbeiten.

Eine Ausbildung zur Bereiterin stellt allerdings ein schwieriges Unterfangen dar. In Österreich ist das zu dieser Zeit ein beinahe unbekannter Beruf, Ausbildungsplätze sind rar.

Also begnüge ich mich mit einer Stelle als Pferdepflegerin.

Pferdenärrinnenlehrzeit

Ich atme tief ein, frische laue Luft und strecke mich glücklich. Mein erster Arbeitstag!

Es ist noch früh, als ich durch das große schmiedeeiserne Tor trete und mich meine Schritte über den Kiesweg zwischen alten Kastanien und hoch in den Himmel ragenden Tannen führen.

Vor mir liegt das Anwesen meiner neuen Arbeitgeber.

Die gelb gestrichene prunkvolle Villa am Ende des Weges liegt inmitten eines kleinen gepflegten Parks, rechts davon befindet sich das Wirtschaftsgebäude. Dort sind die Ställe der Pferde, die Kutschenremise und eine kleine Wohnung, die ich ab nun beziehen werde.

Im Stall wiehern bereits die Pferde in Erwartung ihres Futters und zwei Wachhunde, riesige gutmütige Leonberger trotten näher, um sogleich freudig an mir hochzuspringen.

Mein Arbeitgeber verdient sein Geld in der Entwicklung für Auto- und Flugzeugindustrie. Seine Frau nimmt mit den Pferden an internationalen Fahrturnieren im Viererzug teil und ist in Europa in diesem männerdominierendem Sport noch eine Ausnahme, noch dazu eine Erfolgreiche.

Ich habe eine nette Arbeitskollegin, mit der ich mich auf Anhieb gut verstehe. Heidi ist siebzehn, ein dünnes, aber kräftiges Mädel mit dunklem Lockenkopf, einem fröhlichen Lächeln im Gesicht und großen strahlenden Augen, als sie mir die siebzehn Pferde einzeln vorstellt.

Die Arbeit besteht aus Füttern, Misten, Putzen, Reiten und Anspannen der Pferde. Eine oft harte und schweißtreibende Arbeit, die uns dennoch Freude macht.

Endlich draußen arbeiten an der frischen Luft! Die Arbeit mit den Tieren ist viel erfüllender und sinnvoller für mich als tagtäglich an einer Nähmaschine zu sitzen und Kleider zu nähen.

Auch wenn die Woche nun sechs Arbeitstage hat und eine Vierzig-Stunden Woche unmöglich ist, ich abends erschöpft in mein Bett falle, mache ich meinen Job mit Hingabe.

Arbeit und Freizeit vermischen sich.

Ich teile mir mit Heidi die kleine Wohnung auf dem Hof.

Wir haben viel Spaß zusammen. Jede von uns reitet drei bis vier Pferde täglich. Wir trainieren abwechselnd Dressur, Springen und Kondition bei Ausritten durch bergige Wälder oder lange ebene Flussauen.

Bis in den Spätherbst wird auch mehrmals die Woche angespannt.

Daneben gibt es noch einige Jungpferde, die langsam an Reiter und Kutsche gewöhnt werden sollen. Der Winter ist hart und anstrengend. Die Pferde müssen versorgt werden, egal, ob es schneit, stürmt oder in Strömen regnet.

Samstagabend geh‘ ich gerne aus, um den Pferden etwas zu entfliehen. Sonntag bleibt meist der einzige Tag der Woche, an dem ich frei habe und richtig ausschlafen kann. Den verbringe ich im Elternhaus.

Und ich lerne einen netten Jungen kennen.

Thomas lebt im Nachbarort und ist zwei Jahre jünger als ich.

Anfangs verbindet uns nur unser gemeinsames Interesse an den Pferden. Er und seine Familie beginnen eben einen Reiterhof aufzubauen und bieten Ausritte an.

Dazu lädt er mich ein und bald besucht er mich an meinem Arbeitsplatz, um die edlen Turnierpferde kennen zu lernen.

Und er beginnt mir immer besser zu gefallen, dieser blonde Junge mit dem herausfordernden spitzbübischen Lächeln und seinen frechen Sprüchen.

Unbeschwert lassen wir uns aufeinander ein und eine schöne Zeit voller Verliebtheit folgt.

Aber schon nach ein paar Monaten wird unsere Beziehung unterbrochen. Denn im Frühjahr meines zweiten Beschäftigungsjahres darf ich endlich mit auf die großen Turniere. Meine Kollegin Heidi bleibt bei den restlichen Pferden daheim.

***

Im März verladen wir fünf Pferde, zwei Kutschen und jede Menge Equipment wie Fahrgeschirre, Sättel und hundert Dinge mehr in den großen Transporter mit Hänger - eine fünf Monate lange Reise beginnt.

Erstes Ziel ist Holland, ein siebenwöchiges Training beim amtierenden Weltmeister im Viererzugfahren steht auf dem Programm, das wir, wie mir scheint, in einem einzigen riesigen Wolkenbruch absolvieren. Es regnet fast ununterbrochen.

Danach geht es weiter nach England, wo ich einen kleinen Einblick in das Leben der Reichen und Adeligen bekomme.

Unter anderem besuchen wir ein Fahrturnier in Windsor.

Prinz Philipp selber betreibt diesen elitären Sport. Die ausländischen Teams sind für eine Woche davor und für die Dauer der Veranstaltung ins Schloss Windsor eingeladen.

Auch wenn ich nur wie die übrigen Grooms in einem Angestelltenhaus untergebracht werde, ist es für mich etwas Besonderes.

Ich beobachte täglich eine große wartende Menschenmenge vor dem Tor, welche die berühmte Wachablöse der „Bobbys“ in traditioneller Zeremonie miterleben will. Ich aber darf mir dieses Spektakel innerhalb der Schlossmauer ansehen, dabei übermütig die Wachen necken und sie zur Aufgabe ihrer starren Mimik herausfordern, was aber unmöglich gelingt.

Eine völlig neue Welt erschließt sich für mich. Durch meine Arbeitgeber habe ich schon viele wohlhabende Menschen kennen gelernt, aber das hier ist doch speziell.

Mit Prinz Philipp zu sprechen, Prinz Charles beim Polo spielen zuzuschauen oder sogar der Königin von England auf derem Wohnsitz zu begegnen, sind für mich jungem Mädchen großartige Erlebnisse. Die Queen fährt sogar ihr Auto an den Straßenrand, um uns beim Kutschen fahren nicht zu behindern. Wir begegnen ihr täglich in Begleitung einer Schar Corgis, ihren geliebten kurzbeinigen Hunden.

Ich nutze die Gelegenheit und erkunde zu Pferd die riesigen Parkanlagen von Schloss Windsor, galoppiere durch Herden von Damwild bis zum rosa Schloss der Königinmutter. Wobei ich auch mal von einem strengen Parkwächter gestoppt werde. „Don´t ride here!“

Das anschließende internationale Fahrturnier lockt Massen von Zuschauern an, in drei Teilbewerben wird um die Platzierungen gekämpft.

Am ersten Turniertag findet die Dressurprüfung statt, davor wird das Gespann in einer Präsentation vom Richterkollegium bewertet.

Am zweiten Tag steht aktionsreiche Spannung im Vordergrund, der Marathon. Über zwanzig Kilometer führt die Prüfung. Auf den letzten Kilometern wird in der Querfeldeinstrecke alles abverlangt von Pferden, Fahrern und Beifahrern. Enge verwinkelte Hindernisse, Wasser, Brücken fordern Geschicklichkeit, Schnelligkeit und Mut.

Am letzten Veranstaltungstag werden die Pferde vom Tierarzt gecheckt und wenn auch diese Hürde geschafft ist, sie die Strapazen des Vortages gut überstanden haben, wird im anschließenden Kegelparcour der Gesamtsieger ermittelt. Die Gespanne müssen in der schnellstmöglichen Zeit einen Parcour durch Kegeln absolvieren, auf denen jeweils ein Tennisball liegt. Eine leichte Berührung eines Pferdebeines oder eines Kutschenrades reicht aus, um die Bälle herunterfallen zu lassen, was Fehlerpunkte einbringt. Diese Prüfung ähnelt einer Springprüfung beim Reiten.

Unser Team schneidet hervorragend ab, wir sind gut platziert.

Wir verlassen England und übersiedeln mit den Pferden nach Deutschland. In der Nähe von Celle, mitten in der schönen Lüneburger Heide beziehen wir unser Quartier auf einem alten Gutshof.

Das Hamburger Derby und das große Turnier in Aachen stehen noch auf unserem Programm. Die Arbeit ist anstrengend und der Stress auf den Turnieren zehrt auch an meinen Nerven. Freie Tage sind kaum möglich, die Pferde verlangen nach täglicher Betreuung.

Wird nicht angespannt, wollen sie geritten oder longiert werden.

Ich bin total überfordert und denke erstmals wieder an eine berufliche Veränderung. Dieses Leben habe ich kennen gelernt, hat mich anfangs fasziniert, aber für mich ist nun wieder Zeit für einen Ausstieg.

Ich liebe die Pferde. Aber wozu ist es notwendig, sich ständig mit solch enormem Aufwand mit anderen zu messen?

Wer ist der Erfolgreichste? Wer hat die besten Pferde? Die Schönsten? Die Teuersten? Wer das meiste Geld? Den größten Einfluss? Ich fühle mich immer fremder in dieser für mich eindeutigen „Scheinwelt“. Es muss doch wichtigere Dinge und ein sinn-volleres Leben geben.

Schon seit meiner Kindheit bin ich ein nachdenklicher, oft melancholischer Mensch.

Ich verliere mich in Träumereien, zerlege Gedanken in Einzelteile und baue daraus neue Geschichten, die nun immer negativer werden.

Vor dem letzten Turnier bekomme ich Panikattacken, schon bei kleinen Aufgaben beginne ich zu zittern und fühle mich meinen Aufgaben nicht mehr gewachsen.

Burn-out würde ein Arzt heute diagnostizieren, aber das ist mir damals noch nicht klar.

Ich schäme mich, fühle mich als Versager und werde immer stiller und ernster.

Das fällt aber niemandem auf.

Eines Abends, nachdem ich die Pferde versorgt habe, kann ich meine Tränen nicht mehr zurück halten ohne richtig zu verstehen, warum. Ich bin so müde von der Arbeit und von den Menschen um mich herum.

Mir fehlen Freunde. Ich vermisse Heidi, mit der ich reden könnte und natürlich Thomas.

Damit mich niemand in meinem Kummer sieht, setze ich mich in den Pferdetransporter zwischen die Fahrgeschirre, Decken und Transportkisten und heule da weiter, zerknülle ein Taschentuch nach dem anderen. In einer dieser Kisten befinden sich Medikamente für die Pferde. Ich öffne sie ohne bestimmte Absicht. Oder doch?

Halte plötzlich eine Dose in der Hand. Ein Pulver zur Beruhigung der Pferde, zur Bekämpfung von Nervosität bei Bewerben. Dopingkontrollen sind noch selten, viele Mittel bei Wettkämpfen erlaubt.

Ich sehe mir die Dose aus geschwollenen, verweinten Augen genauer an. Und bin jetzt ganz ruhig. Ob das Pulver auch bei mir wirkt? Mich von meiner seelischen Verzweiflung befreien kann?

Vorsichtig lecke ich an meinem Finger und stecke ihn in das grüne Pulver. Schmeckt bitter, wird zum ekelhaften Brei in meinem Mund.

Kann es unmöglich schlucken, spucke es aus.

Aber wenn ich genug davon hinunterbringe, kann ich meine Sorgen bestimmt vergessen, denke ich.

Und wenn ich die ganze Dose hinunterwürge ...?

Dieser Gedanke gefällt mir. Ich bräuchte nie mehr diesen Ort verlassen, keinem Menschen mehr gegenüber treten, mich keinen Aufgaben mehr stellen. Keiner würde meine roten, verschwollenen Augen sehen. Stattdessen würde ich einschlafen, immer weiter schlafen und vielleicht irgendwo weit außerhalb meines Universums aufwachen. Selbstmitleid kann man fast genießen.

Nur wie soll ich das scheußliche Pulver hinunter bekommen?

Trotz einsetzender Dunkelheit entdecke ich in einer Ecke eine halbvolle Flasche Cola. Und ich beginne abwechselnd ein Löffelchen Pulver und einen Schluck Cola zu nehmen.

Will ich wirklich sterben?

Ich fühle mich so herrlich benommen, richtig high, alles verschwimmt vor meinen Augen.

„Margit! Hörst Du mich? Was ist denn los mit dir?“

Ich habe so schön geträumt. Wer stört mich da?

Undeutlich sehe ich meine Chefin, Angst im Gesicht.

Eigentlich habe ich das nicht wirklich vorgehabt, oder doch?

Ein Arzt injiziert mir trotz meines heftigen Widerstands ein weiteres Mittel zur Beruhigung!

In meiner Verzweiflung oder wegen der vielen Arzneien muss ich krampfhaft lachen. Ich hätte doch nur dringend Zeit für mich gebraucht und jemanden, der mir zugehört hätte. Und vor allem bin ich urlaubsreif. Ich muss mich von all dem hier erholen.

Ich bin selber schuld an meiner dummen Lage, denke ich kurz, bevor mich die Müdigkeit in den Schlaf zwingt.

Warum glaube ich nur, es ständig allen recht machen zu müssen, immer leistungsbereit zu sein, ständig hundert Prozent geben zu müssen? Ich brauche zu sehr die Bestätigung anderer, dass ich gute Arbeit leiste, will unersetzlich sein, bewundert werden und so weiter. Wie idiotisch bin ich eigentlich?

„Warum hast du nie gesagt, dass es dir zu viel wird? Ich hatte doch keine Ahnung! Du hast immer alles erledigt, ich dachte, du hast alles gut im Griff.“ Meine Chefin sieht mich vorwurfsvoll an. „In drei Wochen sind wir daheim, du hältst doch solange durch?“

„Natürlich tu ich das. Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los war gestern. Ich wollte doch bestimmt nicht ...“

„Wir reden nicht mehr drüber, in Ordnung? Und, es muss nicht unbedingt jeder davon erfahren. Haben wir uns verstanden?“

„Nein, braucht keiner wissen.“

Ich fühl mich traurig und unverstanden. Aber wenn ich es genau betrachte, verstehe ich mich selber nicht. Der Vorfall wird verdrängt, wir tun, als wäre nichts vorgefallen.

Es gilt, den Schein zu wahren, eine möglichst perfekte Rolle zu spielen, um akzeptiert zu werden, denke ich enttäuscht.

Auf keinen Fall Aufsehen erregen oder aus der Rolle fallen. Keinen Gesprächsstoff abgeben.

„Wozu?“ frage ich mich, „Ich will, dass mich die Leute so nehmen, wie ich bin!“ Aber ich erwarte auch nicht wirklich Verständnis von meinen Vorgesetzten, versuchen diese nicht auch wie die meisten, ihre eigenen Probleme unter allen Umständen vor den anderen zu verbergen?

Wer ahnt schon, dass meine Chefin Beruhigungstabletten schluckt, um ihre Anspannung auf den Turnieren zu überstehen oder manchmal auch nur ein Wochenende mit dem nie zufriedenen Gatten, der doch alles zu haben scheint, Geld, Macht, ein tolles luxuriöses Heim mit allem Materiellen, das er sich wünscht. Warum verbringt er so viel Zeit an den wenigen Wochenenden, die er daheim ist, in Gesellschaft von Alkohol vor dem Fernseher oder nörgelt wegen unwichtiger Kleinigkeiten stundenlang an seiner Familie herum?

Auszeit

Es wird September und wir kehren heim. Ich nehme mir den schon dringend nötigen Urlaub.

Und ich freue mich, Thomas wieder zu sehen. Er hat mir gefehlt, das merke ich jetzt erst richtig und umgekehrt ging es ihm genauso. Um genauer zu sein, wir sind regelrecht verrückt aufeinander, können kaum voneinander lassen und aus der eher lockeren Beziehung von vor einem halben Jahr wird etwas, das sich nach Liebe anfühlt, denke ich zumindest. So muss es sein, so schön.

Obwohl ich mit Thomas eine wunderschöne Zeit verbringe, tickt in meinem Kopf unaufhörlich der unbändige Wunsch, nach Spanien zu gehen. Nicht, um Urlaub zu machen, nein, ich möchte dort leben.

Ich träume schon so lange von diesem Land. Und Träume sind doch dazu da, um verwirklicht zu werden! Aber wie soll ich dorthin kommen? Wohin genau und um was zu machen? Ich habe auch ein wenig das Bedürfnis zu flüchten, denn im Nachhinein ist mir die Sache mit dem grünen Pulver ziemlich unangenehm.

Eigentlich will ich doch gar nicht sterben, möchte lieber noch viel mehr vom Leben erfahren. Es hungert mich regelrecht danach.

Im Stall meiner Arbeitgeber steht ein wunderschöner Andalusierhengst. Er ist für mich etwas Besonderes unter den Pferden. Schneeweiß, mit langer wallender Mähne tänzelt Gayo, wie er genannt wird trotz seiner vierundzwanzig Jahre selbstbewusst und stolz über die Koppel, galoppiert auf einen Zuruf laut wiehernd auf mich zu, um im letzten Augenblick abrupt zu bremsen und seinen Kopf vorsichtig an mir zu reiben. Und er sieht mich dabei mit seinen großen, schwarzen Augen an, Weisheit und Sanftmut liegen darin.

Eigentlich darf er nicht mehr geritten werden, wegen seines Alters und Probleme mit der Lunge. Aber er bettelt fast darum und so schwinge ich mich manchmal auf seinen Rücken. Gayo freut sich sichtlich und bietet mir sein ganzes Repertoire an angelernten Lektionen an. Er war in Spanien bis zur hohen Schule ausgebildet worden und will mir alles zeigen.

Dieses Pferd hat Freude daran, dem Menschen zu gefallen, Lob und Leckerlis bestätigen es.

Dieser temperamentvolle Schimmelhengst ist es, der in mir eine Sehnsucht weckt. Ich will nach Spanien, nach Andalusien, in die Heimat dieses prachtvollen Pferdes!

Wochenlang beschäftigt mich dieser Gedanke. Ich bekomme ihn nicht aus meinem Kopf.

An einem meiner Urlaubstage unternehme ich mit Heidi einen Einkaufsbummel in die nächste Stadt. Mit einundzwanzig genieße ich es, einen Tag lang durch Läden zu ziehen, unmöglich zu tragende Klamotten zu probieren und Unnötiges einzukaufen.

Bücher ziehen mich magisch an, also finden wir uns auch diesmal wie so oft in einer Buchhandlung wieder.

Was sticht mir sofort in die Augen?

Ein kleiner Band, gedacht für Urlaubsreisen: „Spanisch in 30 Tagen“ Ich blättere darin, um das Büchlein dann doch frustriert wieder zurück zu legen.

„Da komm ich ja doch nie hin.“

Aber zu diesem Zeitpunkt ist das Universum wohl schon dabei, mir bei der Erfüllung meiner Wünsche behilflich zu sein.

Nur, ich habe keine Ahnung. Sonst hätte ich das Büchlein sofort gekauft!

Als ich abends in mein Elternhaus zurückkehre, empfängt mich meine Mutter aufgeregt.

„Gut, dass du zuhause bist! Eine Frau aus Spanien hat schon zweimal angerufen. Sie hat nach dir gefragt. Sie sucht jemanden, der ihre Pferde betreut. Wie kommt die bloß auf dich?“

Mutter ist verblüfft, sie weiß wenig von den Träumen ihrer Tochter.

Ich kann es kaum glauben. Wie ist das nur möglich? Kann das Zufall sein?

Klar, es fällt mir zu. Weil ich es unbedingt möchte. Meine Ungeduld wird nur kurz auf die Probe gestellt, bereits nach einer halben Stunde schrillt das Telefon. Ich stürze zum Hörer.

„Ja?“ Mehr bringe ich gar nicht heraus. „Guten Tag, hier spricht Hanna Graham, ich war heute nachmittags auf dem Gestüt, auf dem Sie arbeiten. Eigentlich fuhr ich mit meinem Mann nur zufällig durch den Ort, als mir die Pferde auf der Weide auffielen.“

Daraufhin betraten sie kurzerhand die Anlage und kamen mit der anwesenden Haushälterin ins Gespräch, erzählten ihr, dass sie selber drei Pferde in Spanien hätten und erwähnten nebenbei, sie suchten ein Mädchen als Au Pair zur Betreuung derselben. Und die Haushälterin, die von meinen Sehnsüchten wusste, gab ihnen ohne lang zu überlegen meine Telefonnummer.

Ich telefoniere mit meiner zukünftigen Arbeitgeberin, gewissermaßen meinem Sprungbrett in den Süden, da bin ich mir sofort sicher. Mein Herz klopft so laut, dass ich befürchte, Hanna könnte es am anderen Ende der Leitung hören. Ich kann kaum glauben, was sie mir am Telefon erzählt, klingt einfach nur perfekt. Wie bestellt, so geliefert.

Wir verabreden uns für den nächsten Tag.

Hannas Ehemann Paul ist Engländer und sie gebürtige Österreicherin. Seit zwanzig Jahren leben sie in Andalusien, wo sie an der Costa del Sol am Aufbau einer Ferienanlage beteiligt sind.

Ich verabschiede mich von meiner Familie und breche gemeinsam mit meiner Freundin Heidi und meinem pinkfarbenen VW Käfer endlich Richtung Süden auf!

Voll bepackt bis unters Dach hört man das Auto unter seiner Last förmlich stöhnen.

Es sind erst zwei Wochen seit der Begegnung mit den Grahams vergangen. Ich habe kurzerhand meinen Job gekündigt und ohne länger darüber nachzudenken, meine Abreise vorbereitet.

Diese Chance muss ich ergreifen.

Lange habe ich davon geträumt, nach Spanien zu gehen und nun fällt es mir förmlich in den Schoß. Habe ich nicht schon immer geahnt: Man braucht sich nur aus Überzeugung etwas zu wünschen und seine ganze Energie darauf richten, dann passiert es auch unter Garantie. Der Wunsch muss sich einfach materialisieren. Der hat gar keine Alternative.

Thomas ist sehr traurig und enttäuscht. „Du bist doch erst monatelang weg gewesen. Was wird mit uns?“

Er hat zu Recht Angst um unsere Beziehung. Aber ich kann nicht anders, habe Fernweh und will was erleben. Was? Das weiß ich nicht genau, aber daheim in meinem ländlichen Umfeld ist es mir zu eintönig. Alles ist so klar vorgegeben, vorhersehbar, überschaubar.

Mir fehlen Überraschungen, Geheimnisse, Nervenkitzel.

Ich bin mit meinen Gedanken längst im sonnigen Andalusien und schiebe Thomas‘s Einwände beiseite. „Es wird doch nur für ein halbes Jahr sein – sechs Monate – das wird unsere Liebe doch überstehen, meinst du nicht?“

Ich ahne aber bereits, dass ich damit nicht nur Thomas, sondern auch mich selber belüge. Ich bin jung und freue mich auf Abenteuer, auf Neues, Unbekanntes.

Soll ich mich denn jetzt schon fest an einen Mann binden? Thomas will mir gerne einen Ring an den Finger stecken, aber ich lehne das ab, ich bin doch eben einundzwanzig, er erst neunzehn. Für mich ist das viel zu jung, um sich fest zu binden. Ganz leicht fällt es mir aber nicht, ihn zurück zu lassen.

Noch nie habe ich so zärtliche Gefühle für jemanden gehabt wie zu diesem großen Jungen. Er ist lustig, immer gut gelaunt und schafft es, in mir Empfindungen auszulösen, die mein Innerstes aufwühlen. Es ist schön, berauschend, ich stehe unter Drogen, unter der Liebesdroge.

Ich bin verliebt, sehr sogar, aber nicht genug, um meine Träume deswegen aufzugeben. Obwohl ich ihn sicher sehr vermissen werde.

Doch ich fürchte, Wichtiges zu versäumen, wenn ich nicht die weite Welt kennen lerne. Ich will nicht wie die meisten Menschen in meiner Umgebung leben, die sich durch Traditionen bestimmen lassen und tun, was alle tun, weil „es“ sich so gehört.

Ich habe schon immer Fesseln durchbrechen wollen, die mir andere auferlegen wollten, weil ich diese für mich einfach nicht richtig empfinde. Ich will mein eigenes Leben erfahren mit all den Möglichkeiten, die sich mir bieten. Will keine Zeit mehr mit Grübeln, Denken, Zweifeln vergeuden, sondern meine Träume erleben.

Heidi hat sich kurz entschlossen zwei Wochen Urlaub genommen, um mich zu begleiten. Ich freue mich, denn zu zweit ist die Autofahrt an die 3000 km entfernte Costa del Sol natürlich einfacher zu bewältigen.

Nie zuvor habe ich eine so weite Autoreise unternommen. Doch die spöttischen oder negativen Voraussagen von Bekannten und Familienmitgliedern prallen an mir ab. „Mit diesem Schrottauto kommt ihr doch nicht mal über die österreichische Grenze!“ Oder „Ihr Mädels landet womöglich in Griechenland, weil ihr keine Karten lesen könnt ...“

Ich lasse mich nicht beeinflussen. „Auch gut, dort ist es bestimmt genauso schön!“

***

Unser Weg führt uns über Südtirol nach Genua, wo wir unsere erste Nacht im Auto direkt vor einer Polizeistation verbringen, nachdem wir eine Stunde lang von jungen Italienern in einem weitaus schnellerem Auto verfolgt, belästigt und am Schluss schon richtig in Panik versetzt worden waren.

Es begann mit einem albernen Flirt auf der Autobahn zwischen uns und den jungen Männern in ihrem Fahrzeug. Vor dem Gebäude der Carabinieri geben die Typen endlich auf und verschwinden wütend gestikulierend. Nach diesem Schreck fahren wir im Morgengrauen der Küste entlang über Monte Carlo, Nizza nach Barcelona, Alicante und Almeria und beschließen, nie wieder die Blicke von männlichen Autofahrern zu erwidern. Wir meiden mit Absicht die Autobahnen, um Mautgebühren zu sparen. Und auf diese Weise werden wir durch die vorüberziehende Landschaft verzaubert. Wir passieren kurvenreiche enge Straßen, das Meer immer zur Linken.

„Einfach romantisch!“ Ich bin glücklich.

Wir haben es nicht eilig. Erst nach fünf Tagen kommen wir im Oktober 1987 in Nerja an.

Ich habe Bauchweh. Was wird mich hier erwarten? Ich verstehe kein Spanisch! Allmählich verspür ich leise Angst.

Auf der Autofahrt habe ich brav gelernt, Heidi mich unermüdlich Vokabeln geprüft. Aber diese kurze Zeit reichte nur für einige wenige Wörter. Zum Glück sprechen Hanna deutsch und Paul englisch, das hilft mir am Anfang.

Die erste Woche erlebe ich mit Heidi als Urlaub. Strand, Disco und Ausflüge mit den Grahams, dazwischen gewöhne ich mich an meine neuen Aufgaben auf der kleinen Finca.

Die sind schnell erledigt: Vormittags füttern, ausmisten und die Pferde longieren oder reiten. Je nach Pferd oder Wunsch der Chefin. Neben den Pferden betreue ich noch zwei Hunde und einige Katzen. Sie gehören mit zur Familie der Grahams.