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Manchmal muss man sich seiner Vergangenheit stellen, um die Gegenwart zu verändern.
Vincent Price ist der heißeste Junggeselle New Yorks und möchte am liebsten die ganze Welt retten. Doch er trägt eine schwere Last mit sich, die ihn daran hindert, das wahre Glück der Liebe zu finden.
Grace Middelton ist stark und selbstbewusst. Ihr Vater ist der einzige Mensch, der ihr das Gefühl vermittelt, schwach zu sein und ihre Ziele niemals zu erreichen. Durch ihn wird sie von Wut und Hass geleitet, was zur Folge hat, dass sie und Vincent ständig aneinandergeraten.
Ein Abend verändert zwischen den beiden alles. Und plötzlich werden aus Feinden Freunde. Vincent strahlt eine innere Ruhe aus, die auf Grace übergeht. Sie lernt durch ihn eine andere Seite des Lebens kennen.
Aber ist Vince mutig genug, sich seiner dunklen Vergangenheit zu stellen?
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Vorbemerkung für die Leser*innen
1. 1 Grace
2. 2 Vincent
3. 3 Grace
4. 4 Vincent
5. 5 Grace
6. 6 Vincent
7. 7 Grace
8. 8 Vincent
9. 9 Grace
10. 10 Vincent
11. 11 Grace
12. 12 Vincent
13. 13 Grace
14. 14 Vincent
15. 15 Grace
16. 16 Vincent
17. 17 Grace
18. 18 Vincent
19. 19 Grace
20. 20 Vincent
21. 21 Grace
22. 22 Grace
23. 23 Vincent
24. 24 Grace
25. 25 Grace
26. 26 Vincent
27. 27 Grace
Bücher von Eva Perkics
Über den Autor
Triggerwarnung
Liebe*r Leser*in,
da mir deine seelische Gesundheit wichtig ist, möchte ich dich darüber informieren, dass in diesem Roman potenziell triggernde Inhalte vorkommen. Da diese Spoiler enthalten, findest du die Themenübersicht am Romanende bzw. du erhältst sie von mir über das Kontaktformular auf meiner Homepage. Ich sende sie dir sehr gerne zu.
https://www.evaperkics.com/kontakt/
Entscheide bitte selbst, ob du diese Warnung liest. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt oder dich belasten, sprich mit deiner Familie, Freunden, Vertrauensperson darüber und/ oder suche dir professionelle Hilfe.
Ich wünsche dir von Herzen ein wunderschönes Leseerlebnis mit dieser Geschichte.
Ganz liebe Grüße
Eva Perkics
Manchmal will man aus seinem Leben ausbrechen. Vor dem ganzen Müll, der einem vor die Füße geknallt wird, abhauen. Sich in irgendeiner dunklen Ecke verkriechen und von all dem nichts hören. Womöglich habe ich viele solcher Tage und trotzdem gebe ich nicht auf. Jedes Mal hoffe ich auf ein Wunder.
Ich blicke in ein Augenpaar, welches ich seit meiner Geburt kenne. Ein warmes Braun leuchtet mir entgegen, doch sie sprühen mir gefährliche Funken zu.
»Was ist jetzt mit der Statistik des Vorjahrs?« Dads Blick ist versteinert. Das freundliche Lächeln, welches er meiner Mom jeden Morgen beim Frühstück schenkt, ist verschwunden und durch eine finstere Miene ersetzt worden.
Hastig wühle ich in meinen Unterlagen. Grundsätzlich bin ich für jedes Meeting mit meinem Dad ausgezeichnet vorbereitet. Studiere unzählige Statistiken und informiere mich akribisch über das Tagesgeschäft. Warum ich das tue? Weil mein Dad unwissende Mitarbeiter hasst.
Mittlerweile sinke ich gefühlt immer tiefer in meinen Ledersessel. Meine feuchten Handflächen wische ich abwechselnd an meiner Hose trocken, was leider nur bedingt Abhilfe verschafft.
»Diese Unordentlichkeit ist wieder typisch für dich«, knurrt er und schenkt mir im gleichen Atemzug diesen abwertenden Blick, den man als Tochter von seinem Dad auf keinen Fall sehen möchte.
»Ich habe es gleich«, antworte ich mit zittriger Stimme. Hartnäckige Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn.
»Du vergeudest schon wieder meine Zeit«, feuert er mir entgegen und ich halte in der Bewegung inne. Er erhebt sich ruckartig, sodass sein Stuhl ins Wanken gerät.
»Ich kann sie schnell holen, wenn sie so wichtig für dich sind«, sage ich kleinlaut und folge Dad zur Tür.
Er dreht sich zu mir um und seine Mimik ist von Wut und Enttäuschung gezeichnet. »Vielleicht ist es besser, wenn du dir etwas anderes suchst.« Er verlässt mein Büro und knallt die Tür hinter sich zu. Die Wände vibrieren durch die Erschütterung.
Wie oft habe ich diesen Satz aus seinem Mund gehört? Zehnmal? Zwanzigmal? Keine Ahnung, trotzdem verfehlt er seine Wirkung nicht. Tränen drängen sich an die Oberfläche.
»Nicht weinen, Grace«, flüstere ich und blinzle die Tränen weg. Ein paar entgleiten mir dann doch, die ich mit den Fingerspitzen abfange.
Ich straffe meine Schultern, recke das Kinn, atme tief durch und puste die angestaute Luft hinaus. Im Verdrängen von Gefühlen war ich immer schon eine Meisterin und auch jetzt schiebe ich die aufwühlenden Emotionen von mir weg. Als wäre niemals etwas vorgefallen. Mein Terminkalender ist eng gestrickt, wie mir das Klingeln meines Telefons bestätigt. Ohne zu zögern, hebe ich mit meiner üblichen freundlichen Floskel ab.
»Grace, du musst sofort zu mir kommen«, flüstert meine Freundin und Assistentin Christine.
»Wieso?«, hake ich irritiert nach.
»Komm einfach.« Sie legt auf, ohne meine Antwort abzuwarten.
Weil ich Ablenkung im Moment gebrauchen kann, verlasse ich, ohne zu überlegen, mein Büro. Normalerweise sind um diese Uhrzeit im Flur kaum Mitarbeiter zu sehen. Doch heute herrscht Hochbetrieb vor der Kaffeeküche. Unzählige Mitarbeiterinnen scharren sich davor. Sie flüstern sich gegenseitig etwas ins Ohr und kichern. Es ist, als würde etwas Bedeutsames sie magisch anziehen. Ich runzle die Stirn, als ich auch meine Freundin Christine in der Traube von Frauen entdecke.
»Wo warst du so lange?«, säuselt sie, als ich mich neben sie geselle.
»Im Büro? Was gibt es so Wichtiges?«, gebe ich gelangweilt von mir.
»Siehst du diesen Gott von Mann da vorne nicht?« Christine reckt ihr Kinn und ich folge ihrem Blick. Da ich mit meinen einen Meter sechzig nicht gerade die Größte bin, erkenne ich nichts außer den unzähligen Frauenrücken. Da helfen auch meine hohen Schuhe nicht.
»Gleich kommt er«, sagt meine Freundin euphorisch.
»Wer?« Genervt verdrehe ich die Augen.
»Na der neue Kaffeelieferant für unsere Automaten!« Sie schüttelt entsetzt den Kopf, als hätte ich das wissen müssen.
»Dafür hast du mich hierhin zitiert?« Ich schnaube. »Ich habe wirklich Besseres zu tun«, murre ich und drehe mich weg.
Sie fasst nach meinem Handgelenk und hält mich zurück. »Warte, jetzt kommt er.« Sie ignoriert meinen Missmut.
Als würde ein Star aus unserer Kaffeeküche kommen, gehen die Damen zur Seite und weisen ihm den Weg geradewegs auf mich zu. Breite Schultern werden verdeckt von einem weißen, eng anliegenden T-Shirt. Die Unterarme sind mit unzähligen Tätowierungen versehen. Es sind so viele, dass ich nicht einmal erkenne, was für Bilder es sind. Ein paar dunkle Haarsträhnen fallen in seine Stirn. Er zieht einen silbernen Container hinter sich her, als wäre er auf einem Laufsteg. Die Kolleginnen lecken sich genüsslich über die Lippen, während er sie mit einem smarten Lächeln nacheinander begrüßt.
Seine tief sitzende Jeans, die mit unzähligen Löchern versehen ist, hat er an den Knöcheln etwas hoch gekrempelt. Sieht man an den Hüften seine Boxershorts hervorblitzen? Ich starre darauf und bemerke gar nicht, dass er nur noch wenige Schritte von mir entfernt ist.
»Darf ich vorbei?«, fragt er mit einer tiefen Stimme, die bei vielen Frauen sicher das Höschen feucht werden lässt. Auch in mir erzeugt sie ein seltsames Gefühl, doch als er in voller Größe vor mir steht, verdränge ich den Impuls, ihn genauso anzuschmachten wie meine Mitarbeiterinnen.
»Könnten Sie in Zukunft zu einer anderen Uhrzeit die Kaffeeautomaten betreuen?« Ich verschränke die Arme vor der Brust und funkle ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Wieso?«, fragt er nichts ahnend und ein verschmitztes Lächeln gleitet über seine Lippen, die gleichmäßig geformt sind. Eine kleine Narbe ziert seine linke Unterlippe, die man aber nur beim genauen Hinsehen entdeckt. Du meine Güte, starre ich ihn etwa schon wieder an? »Wollen Sie mit mir allein sein oder warum kann ich nicht zu den üblichen Geschäftszeiten meine Arbeit erledigen?«, fährt er fort, weil ich stumm vor ihm stehe, als hätte ich die erste Frage nicht gehört.
»Was denken Sie, mit wem Sie hier sprechen?«, kontere ich und meine Augen verengen sich. Dieser Möchtegern-Colamann! »Sie sollen meine Mitarbeiterinnen nicht von ihrer Arbeit ablenken.«
»Das ist wohl nicht mein Problem, wenn Sie Ihr Team nicht unter Kontrolle haben«, sagt er gelassen, schiebt sich an mir vorbei und schlendert zum Fahrstuhl.
Ich schnaube und folge ihm. »Wie ist Ihr Name? Ich werde eine Beschwerde an Ihren Boss senden«, zische ich und fixiere ihn.
Er grinst und fährt entspannt durch sein Haar. »Tun Sie, was Sie für nötig halten. Übrigens, wenn Sie nicht so wütend dreinschauen würden, könnte man Ihr hübsches Gesicht erkennen.« Die Fahrstuhltüren öffnen sich und er tritt ein. Während sich die Türen langsam schließen, halte ich seinem Blick stand.
»Ihr Name?«, rufe ich, als würde er mir noch eine Antwort geben können. Verdammt! Mich lässt niemand einfach so stehen. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfe ich den Flur entlang zu meinem Büro.
»Grace«, höre ich meine Assistentin rufen und drehe mich widerwillig um.
»Ja?«
»Du sollst zum Marketingleiter gehen. Eigentlich hattest du schon vor …« Sie blickt auf die Uhr. »Fünf Minuten einen Termin.« Sie zieht beide Brauen nach oben und lächelt schuldbewusst. Natürlich ist es ihre Aufgabe, mich rechtzeitig an meine Termine zu erinnern und auch wenn sie meine beste Freundin ist, muss sie ihren Job als Assistentin ordentlich erledigen.
Ich schnaube. »In Zukunft gibt es diese Versammlung hier im Flur nicht mehr. Sende an alle Mitarbeiterinnen eine Rundmail.«
»Grace, bitte entspann dich.«
»Meine Ansage steht.« Ich wende mich von ihr ab und mache mich auf den Weg zu Daniel. Ich hasse es, zu spät zu kommen, denn ich erwarte von meinen Mitarbeitern auch Pünktlichkeit. Daniels Assistentin begrüße ich mit einem Nicken. Nach nur einmal anklopfen betrete ich sein Büro.
»Guten Morgen, Daniel, bitte entschuldige die Verspätung, aber ich hatte noch ein wichtiges Meeting.«
Daniel erhebt sich von seinem Stuhl und kommt auf mich zu. »Guten Morgen, schöne Frau, wir haben doch alle Zeit der Welt.« Er begrüßt mich mit einem Küsschen auf beide Wangen und zwinkert. »Übrigens, der neue Getränkelieferant ist wirklich eine Augenweide, nicht wahr?« Er zupft sein rosarotes Sakko zurecht und fährt sich durch sein schwarzes Haar.
»Du warst auch im Flur?« Ich setze mich auf sein Sofa und nehme ein Glas Wasser, denn mein Mund ist staubtrocken.
»Natürlich, was denkst du? Aber du hättest ihn nicht gleich blöd von der Seite anmachen müssen, er ist doch ein richtiges Schnuckelchen.«
»Wie man sieht, hält er aber meine Mitarbeiter von der Arbeit ab.«
Daniel setzt sich neben mich hin. »Es waren fünf Minuten, Grace, kein ganzer Tag. Lass den Frauen die Freude. Vielleicht solltest du auch einmal darüber nachdenken, etwas entspannter zu werden. Wann hattest du das letzte Mal Sex?«
»Daniel, ich bin nicht gekommen, um über mein Liebesleben zu diskutieren.« Daniel ist in den letzten Jahren, seit ich nach meinem BWL-Studium hier angefangen habe, zu einem sehr guten Freund geworden. Er ist Mitte dreißig und zu hundert Prozent auf Männer fixiert.
»Du meine Güte, schon so lange nicht mehr?«
Nun spüre ich, wie Hitze in meinen Wangen hochfährt, denn es ist bestimmt ein ganzes Jahr vergangen. Der Sex war zwar nicht befriedigend, aber zumindest vorhanden.
Ich schüttle den Kopf. »Daniel, können wir jetzt endlich über das neue Marketingkonzept für unsere Shops reden?«
»Gut, aber eines möchte ich noch anmerken, bevor wir zum Geschäftlichen wechseln. Hol dir einen Callboy oder geh auf eine der Datingplattformen, denn du bekommst schon Falten, so grimmig wie du schaust. Sex entspannt den ganzen Körper.«
Ich fasse mir an die Stirn. »Ich habe keine Falten.« Ich erhebe mich und gehe zu seinem Spiegel, der an der Wand hängt. Akribisch mustere ich mein Gesicht.
»Wenn du weiterhin so angespannt bist, wirst du bald welche haben«, sagt er und steht plötzlich neben mir.
»Du sagst das so leicht. Das Arbeitspensum steigt von Tag zu Tag.« Ich reibe meine Stirn.
»Mehr delegieren, ist das Zauberwort.« Er streichelt meinen Oberarm.
Ich nicke, weil es sowieso nichts nützt, ihm zu erklären, welche Aufgaben ich einfach keinem abgeben kann.
»Hey, schon zurück von deiner Tour?« Callum klopft auf meine Schulter.
»Ja und ich muss sagen, wir haben einiges zu tun, um den Zeitplan besser zu koordinieren.«
»Das kann ich mir vorstellen, wenn du zwei Stunden später zurück bist als die anderen Fahrer. Möglicherweise bist du einfach aus der Übung?« Er schließt das Tor der Warenausgabe und der Motor erzeugt ein quietschendes Geräusch.
»Vielleicht.« Ich fahre durch mein Haar und visiere den Getränkekühlschrank an. »Auch ein Bier?« Die kalte Luft aus dem Kühlschrank weht mir entgegen und kühlt meine erhitzte Haut. New York ist im Sommer manchmal kaum auszuhalten.
»Gerne.« Mein Kumpel nimmt mir die zweite Flasche aus der Hand.
Ich setze die Bierflasche an und nehme einen kräftigen Schluck. »Und, gab es heute besondere Vorkommnisse, die für mich wichtig sind?«
»Die Marketingabteilung will tatsächlich ein großes Event in zwei bis drei Monaten starten, bei der sämtliche Kunden eingeladen werden sollen.«
Ich ziehe eine Braue nach oben. »Und wofür soll das gut sein?«
»Kundenbindung.«
»Klar, kostet ja nur ein paar Tausender, wie soll das wieder reinkommen?«
Callum ist der Finanzberater in diesem Unternehmen und hat natürlich den genauen Überblick. Ich vertraue ihm. Wenn er sein Go gibt, ist es drin.
»Also längerfristig wird es bestimmt lukrativ sein, denn der Verkaufsleiter möchte auch neue Firmen dazugewinnen und mit auf die Gästeliste setzen. Sozusagen bestehende Kunden, die von unserer Arbeit begeistert sind, werben aus dem Gespräch neue Kunden bei einem Glas Champagner an.«
»Siehst du es als Chance?«
»Ehrlich gesagt, ja. Derzeit stagniert unsere Expansion und wir hätten weit mehr Möglichkeiten, sie auszuschöpfen.«
»Meinst du? Immerhin bin ich in den nächsten Wochen als Lieferant tätig und weiß nicht, wie ich die andere Arbeit, die oben auf meinem Schreibtisch wartet, schaffen soll.«
»Es hat keiner gesagt, dass du laut ›Hier‹ schreien sollst, als Bob ausgefallen ist.«
»Der Typ hat momentan ganz andere Probleme, seine Frau ist schwer krank und braucht ihn jetzt an seiner Seite.«
»Ja, aber bezahlter Urlaub auf unbestimmte Zeit? Du bist einfach zu gut für diese Welt.« Callum prostet mir zu und nimmt einen kräftigen Schluck.
»Seine Arbeit wird ja erledigt.«
»Ja, durch dich. Und deinen Job machst du dann in einer Nachtschicht?«
»Du hast mir zugesagt, mich dabei zu unterstützen.« Ich reibe meine Stirn und sinke auf den rostigen Klappstuhl.
»Ja und das tue ich auch, aber gewisse Entscheidungen brauchen deine Freigabe.«
»Steht heute noch etwas Wichtiges an?«
Callum lächelt. »Nein, für heute hast du Feierabend. Aber ich weiß nicht, wie lange ich dir den Rücken freihalten kann.«
»Wir kriegen das hin. Für Bob. Er braucht unsere Rückendeckung. Bob ist ein Mann, der nie auf die Uhr geschaut hat, wenn er seine Arbeit erledigte. Er war oft länger hier und hat nie Überstunden aufgeschrieben. Er ist die gute Seele in diesem Unternehmen und hat früh morgens vor seinem offiziellen Dienstbeginn die Autos beladen, obwohl er das eigentlich gar nicht müsste.«
»Ich weiß, Vince, mir brauchst du das nicht zu erklären, deshalb haben sich auch schon einige Kollegen gemeldet, die ein paar seiner Kunden übernehmen könnten.«
»Aber wir können keine Überstunden ausbezahlen, das ist bei dieser Budgetplanung nicht drin.« Ich wippe mit dem Fuß auf und nieder.
»Ja, das wissen sie und haben sich angeboten, die Stunden gratis abzuarbeiten. Sozusagen als Geschenk für Bob.«
Augenblicklich werden meine Augen glasig, denn mich berührt es so sehr, wie alle hier zusammenhalten. Bob arbeitet in diesem Unternehmen bereits mehr als zwanzig Jahre und gehört fast zum Inventar. Er war bei der Firmengründung dabei und hatte dennoch nie Absichten, in der Hierarchie nach oben zu steigen. Seine Aussage war immer: Ich brauche den direkten Kundenkontakt und nicht ein gestriegeltes Büro.
Er fehlt und das bekomme ich in den letzten Tagen ziemlich zu spüren. Mitarbeiter, die sich so aufopfern, findet man nicht einfach auf der Straße.
»Hey, Vince, deine erste Tour gut über die Bühne gebracht?« Blake schnappt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setzt sich zu uns.
»Mehr oder weniger. Ich hatte ständig Frauen um mich, die mir auf die Finger schauten, ob ich meine Arbeit wohl richtig erledige.«
Blake lacht laut auf. »Die wollten dir bestimmt nur auf den Arsch schauen.«
»Tja, du bist eben jetzt unser Womanizer unter den Getränkelieferanten.« Callum lacht ebenfalls laut auf.
»Ich bin alles, nur nicht das«, kontere ich.
»Deine Selbstreflexion ist wirklich der Hammer.« Blake grinst.
Ja, ich habe kein Problem, eine Frau kennenzulernen, und ja, ich weiß auch, dass ich gut aussehe. Dennoch brauche ich diesen Zuspruch nicht. »Für mich zählen andere Werte als das Aussehen, das sind alles Oberflächlichkeiten.«
»Also das Äußere steht wohl an erster Stelle, ehe du eine Frau anmachst, oder?«, wirft Blake ein und kratzt sich an seinem rothaarigen Bart.
Ich kippe mein Bier auf ex runter. »Mit euch nützt es nichts, darüber zu diskutieren, außerdem wartet noch ein Stapel Arbeit im Büro auf mich.« Ich stelle die leere Flasche auf dem Tisch ab und gehe davon.
»Im Flüchten bist du wirklich ein ausgezeichnetes Vorbild«, ruft mir Callum hinterher, bevor die Tür zum Treppenhaus hinter mir ins Schloss fällt.
Mein Kumpel redet nur Schwachsinn. Ich bin der Letzte, der auf der Flucht ist, dennoch frage ich mich im selben Augenblick, wieso mich das gerade nervt.
Ich nehme zwei Stufen auf einmal, ehe ich die Büroräume erreiche. Mittlerweile sind alle Räume dunkel, denn es ist bereits nach neun Uhr abends. Erneut huschen meine Gedanken zu Bob. Sofort erinnere ich mich an unser letztes Gespräch.
»Bob, wir kennen uns jetzt schon viele Jahre und ich merke doch, dass irgendetwas im Argen bei dir ist. Du vergisst nie, einen Kunden zu beliefern. Also, was ist los?« Ich spreche mit ruhiger Stimme und es liegt kein Vorwurf darin.
Augenblicklich werden Bobs Augen wässrig und ich ahne Böses. Er zwirbelt an seinem Hemd herum, als müsste er sich vor mir fürchten.
Ich erhebe mich von meinem Schreibtisch und stelle mich vor ihn. Er sinkt immer tiefer in den Stuhl, dabei muss er doch wissen, dass er wegen eines Fehlers nicht sofort aus dem Unternehmen geworfen wird.
»Bob, du kannst mit mir über alles sprechen.«
»Ach, Vincent, du bist so ein guter Junge, aber meine Probleme sollen nicht deine sein«, sagt er kaum hörbar und fährt durch sein kurz geschorenes graues Haar.
»Vielleicht kann ich dir helfen?«
Nun entweicht ihm ein kehliger Lacher, der nicht nur gekünstelt klingt, sondern seine Augen nicht erreicht. Bob ist ein Mann, der immer mit den Augen lacht. Er war der Inbegriff von Fröhlichkeit und nun ist diese Traurigkeit in seinen Augen, dass man das Gefühl hat, ihn sofort in die Arme schließen zu müssen. Ihn zu trösten und wieder auf andere Gedanken bringen, aber dafür muss er sich mir öffnen.
»Bob, hast du Geldsorgen? Wenn du möchtest, kann ich dir etwas leihen?«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, ich habe keine Geldsorgen«, krächzt er und weicht meinem Blick aus. Er erhebt sich von seinem Stuhl.
»Bob, wie soll ich dir helfen, wenn du nicht mit mir sprichst? Du weißt, du kannst mir vertrauen, oder?«
Er reibt seine Stirn und wägt eindeutig ab, ob er seine Sorgen einfach so ausplaudern oder weiterschweigen soll. Bei unserem Unternehmen halten wir zusammen, jeder kennt den anderen durch unsere gemeinsamen Meetings und Firmenausflüge. Jeder Mitarbeiter bei uns hat eine wichtige Rolle. Keiner ist besser gestellt als der andere. Sogar die Putzfrau ist bei unseren wöchentlichen Onlinemeetings dabei. Denn egal welche Arbeit jemand erledigt, jeder ist ein wichtiger Teil. Es ist wie bei einem Puzzlespiel: Fehlt ein Stück, kann man das Kunstwerk nicht vollenden.
»Meine Frau hat Leukämie«, sagt er mit brüchiger Stimme und Tränen rinnen über seine Wange. Wie automatisch fasse ich nach seiner Hand und drücke sie.
»Ist das sicher?«
Bob nickt und zieht ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. Er trocknet sich das Gesicht ab, doch die Tränen rinnen unaufhörlich weiter. Ich schließe ihn in meine Arme, denn ich fühle einen tiefen Stich in meiner Brust.
Seine Frau ist erst fünfundvierzig, das weiß ich, weil er mir vor ein paar Monaten von der ausschweifenden Geburtstagsparty erzählt hat.
»Wie können wir dir helfen?«
»Gar nicht? Sie braucht dringend einen Stammzellenspender, sonst wird sie das wohl nicht schaffen.« Ein leises Schluchzen dringt aus seiner Kehle und mein Hals wird kontinuierlich enger.
»Du nimmst dir für den Anfang einmal frei und wir finden eine Lösung.«
Bob blickt zu mir auf. »Vince, das ist lieb, aber ich brauche das Geld, die Behandlungen sind teuer.« Seine Stimme klingt flehend und sie zittert.
»Auch dafür finden wir eine Lösung.«
Meine Hände sind feucht, als ich das Büro meines Vaters betrete. »Guten Morgen, Dad«, sage ich und schließe hinter mir die Tür.
»Morgen«, brummt er und sieht nicht einmal zu mir auf. Ich sollte es gewohnt sein, denn er nimmt mich kaum noch wahr. Nichts ist mehr wie vor ein paar Jahren, bevor ich in unserem Familienunternehmen begonnen habe. Damals war ich sein Mädchen, das er wie eine Trophäe herumgezeigt hat. Ich war das hübsche kleine Kind mit dem zauberhaften Lächeln auf den Lippen. Mittlerweile ist meine Miene genauso hart geworden wie die meines Vaters, als er schließlich zu mir aufblickt.
»Was ist in der Produktion schon wieder schiefgelaufen? Sie hängen mindestens eine Woche hinterher«, knurrt er und ich spüre ein Zittern in meinen Händen.
»Das Förderband war defekt und das Ersatzteil war nicht so leicht zu bekommen.« Meine Worte sind leise und ich sinke auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Seine Augen sprühen Funken. »Weißt du, was es kostet, wenn die Mitarbeiter nur herumstehen? Dabei verdienen wir nichts!« Seine Stimme wird immer lauter und wenn ich noch ein kleines Kind wäre, würde ich mir wahrscheinlich die Ohren zuhalten. Aber ich bin erwachsen und werde es wie gewohnt aushalten.
»Ja«, sage ich knapp. Ich habe mein Bestes gegeben und trotzdem sieht er das nicht.
»Hast du dir die neuen Designs unserer Handtaschen angesehen?« Dad atmet tief durch. Er wechselt das Thema und ich bin mir in diesem Moment nicht sicher, ob er die neue Kollektion super findet, denn seine Miene erhellt sich nur ein Stück weit.
»Sie wird definitiv unseren Marktwert erhöhen. Sie ist frisch, neu und wird bestimmt eine breite Masse anziehen.« Ich strecke meinen Rücken durch und ein leichtes Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab.
Dad lehnt sich zurück und kaut auf seinem Kugelschreiber, dabei lässt er mich nicht aus den Augen. Es ist eine neue Variante seines Verhaltens, die ich noch nicht einordnen kann.
»Findest du?«
Ist das eine Fangfrage? Ich suche jeden Zentimeter seines Gesichts und seiner Körperhaltung ab, um zu erkennen, was gerade in ihm vorgeht. Ja, ich habe vor langer Zeit meine eigene Meinung und mein Selbstbewusstsein ihm gegenüber verloren. Ich kann mich schon gar nicht mehr an die alte Grace erinnern, die ich noch auf dem College war. Ich war witzig, lebensfroh und hatte viele Freunde. Heute besteht mein Alltag aus aufstehen, arbeiten und schlafen. Zwischen den Terminen esse ich ein paar schnelle Happen. Mehr passiert in meinem Leben nicht.
»Grace, schläfst du?« Er verengt die Augen, sodass seine grauen Augenbrauen sich in der Mitte treffen.
»Ja, ich finde sie grandios, du doch auch, oder?« Ich blicke direkt in seine Augen, denn mein Dad hasst es, wenn man nicht selbstbewusst auf seine Fragen reagiert.
Er erhebt sich von seinem Schreibtisch und geht zu der Glasfront. Unzählige Hochhäuser umranden uns, sodass uns der Blick über die berühmte Skyline von Manhattan verwehrt bleibt. Er steckt seine Hände in die Hosentaschen und sieht hinaus. Auch dieses Verhalten kann ich nicht einordnen, da es so untypisch für ihn ist. Er wendet sich langsam zu mir um. Dann sieht er mich einen langen Moment an, als es an der Tür klopft und seine Assistentin eintritt.
»Sir, Mr. Lake ist hier.«
»Danke, schicken Sie ihn rein und bringen Sie mir einen Kaffee, schwarz und ohne Zucker«, befiehlt er.
»Soll ich gehen?« Ich erhebe mich vom Stuhl.
»Nein«, sagt er knapp und geht auf die Tür zu. Ich drehe mich um und ein groß gewachsener Mann tritt ins Büro. Breite Schultern, aufrechter Gang und Maßanzug. Alles Attribute, die einen erfolgreichen Geschäftsmann ausmachen.
»Hallo, Robert«, begrüßt mein Vater den Typen, der selbstbewusst meinem Dad die Hand schüttelt und ein Gewinnerlächeln auf seinen Lippen trägt.
»Hallo, Brendon.« Er redet meinen Vater mit Vornamen an? Er muss ihn sehr gut kennen.
»Grace, darf ich vorstellen, Robert Lake.«
»Das ist also deine bezaubernde Tochter Grace.« Er macht einen Schritt auf mich zu und grinst mich breit an. Da ich ihn nicht namentlich einordnen kann, gebe ich ihm einen festen Händedruck. »Schön, dich endlich persönlich kennenzulernen.«
»Guten Morgen, leider hat mir mein Vater nicht wirklich etwas über Sie erzählt.« Ich blicke abwechselnd von Dad zu ihm.
»Ach, lassen wir die Förmlichkeiten. Nenn mich Robert.« Er zwinkert und ich frage mich im selben Atemzug, was das alles gerade hier soll.
»Was darf ich dir zu trinken anbieten?« Dad ist mir eindeutig zu freundlich. Ich spüre förmlich die Sonderbarkeit. Irgendetwas heckt er aus, davon bin ich überzeugt.
»Kaffee, schwarz und ohne Zucker, bitte«, sagt Robert und rückt sein Sakko zurecht. Er trinkt sogar den Kaffee wie mein Dad.
Die Assistentin schließt hinter sich die Tür, während mein Vater diesen geleckten Typen zu seiner Sitzlounge bittet.
»Hattest du einen guten Flug?« Dad platziert sich an der Stirnseite. Robert gegenüber, sodass ich mich in die goldene Mitte setze. Am liebsten würde ich jetzt in die Runde werfen, was das alles hier soll. Ich habe keine Zeit für Small Talk. In meinem Büro wartet ein Berg Arbeit auf mich.
Robert räuspert sich. »Er war ganz angenehm. Wie geht es deiner Frau Michelle?« Er kennt sogar meine Mom? Nun wird mir echt mulmig, denn ich bin mir definitiv sicher, dass ich diesen Typen noch nie gesehen habe.
»Du kennst sie doch, sie ist immer damit beschäftigt, neue Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren. Das ist eben eine Arbeit, in der Frauen richtig gut sind, abgesehen von den Shoppingtouren.« In Dads Stimme schwingt ein seltsamer Unterton mit und augenblicklich beginnen meine Hände zu zittern.
Robert grinst und nickt zustimmend. »Ja, meine Mutter und Schwester sind da nicht anders. Sie blühen regelrecht auf, wenn sie in einen Luxusstore kommen.«
Mein Magen zieht sich zusammen. Die beiden reden, als wäre ich überhaupt nicht anwesend. Diese abschätzigen Aussagen gegenüber uns Frauen will ich mir nicht länger anhören.