Nachtlichter - Amy Liptrot - E-Book

Nachtlichter E-Book

Amy Liptrot

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Beschreibung

Die ursprüngliche Kraft einer einzigartigen Landschaft lässt alte Wunden heilen: Mit Anfang dreißig spült das Leben Amy Liptrot zurück an den Ort ihrer Kindheit - die Orkney Islands, im dünn besiedelten Schottland wohl die abgelegenste Region. Hier schwimmt die britische Journalistin morgens im eiskalten Meer, verbringt ihre Tage als Vogelwärterin auf den Spuren von Orkneys Flora und Fauna und ihre Nächte auf der Suche nach den »Merry Dancers«, den Nordlichtern, die irgendwo im Dunkeln strahlen. Und hier beginnt sie nach zehn Jahren Alkoholsucht wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit erzählt Amy Liptrot von ihrer Kindheit, ihrem Aufbruch in die Stadt, nach Edinburgh, weiter nach London. Vom wilden Leben, dem Alkohol, dem Absturz. Vom Entzug und der Rückkehr zu ihren Wurzeln auf Orkney, wo sie der Natur und sich selbst mit neuen Augen begegnet.

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Seitenzahl: 363

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Zum Buch

Die ursprüngliche Kraft einer einzigartigen Landschaft lässt alte Wunden heilen. Mit Anfang dreißig spült das Leben Amy Liptrot zurück an den Ort ihrer Kindheit – die Orkneyinseln, im dünn besiedelten Schottland wohl die abgelegenste Region. Hier schwimmt die britische Journalistin morgens im eiskalten Meer, verbringt ihre Tage als Vogelwärterin auf den Spuren von Orkneys Flora und Fauna und ihre Nächte auf der Suche nach den »Merry Dancers«, den Nordlichtern, die irgendwo im Dunkeln strahlen. Und hier beginnt sie nach zehn Jahren Alkoholsucht wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit erzählt Amy Liptrot von ihrer Kindheit, ihrem Aufbruch in die Stadt, nach Edinburgh, weiter nach London. Vom wilden Leben, dem Alkohol, dem Absturz. Vom Entzug und der Rückkehr zu ihren Wurzeln auf Orkney, wo sie der Natur und sich selbst mit neuen Augen begegnet.

Zur Autorin

AMY LIPTROT ist auf den Orkneyinseln aufgewachsen. Als Journalistin schreibt sie für verschiedene britische Magazine. NACHTLICHTER, ihr erstes Buch, begeisterte Leser wie Presse gleichermaßen, stand wochenlang auf den britischen Bestsellerlisten und wurde u.a. mit dem Wainwright Prize for Best Nature and Travel Writing sowie dem PEN Ackerley Prize für autobiografisches Schreiben ausgezeichnet.

»Eine Sternstunde des New Nature Writing.« Observer

»Ein zukünftiger Klassiker.« New Statesman

»Brillant!« Scotsman

»Zutiefst menschlich und berührend.« Irish Times

»Außerordentlich!« Spectator

»Eine wunderbare Lektüre.« Daily Telegraph

»Einfach großartig!« Express

»Klarsichtig und mutig.« Psychologies

»Klar, genau und zutiefst beeindruckend. Ein sinnliches Buch gefüllt mit Sommernächten und Winterwassern.« Herald

»Eine funkelnde Mischung aus großartiger Naturschilderung und wilder Biographie: ungeschminkt, mutig und von schonungsloser Ehrlichkeit.« Big Issue

»Amy Liptrot hat immer am Abgrund gelebt, sowohl ganz wörtlich genommen in ihrer Heimat, den Orkneyinseln, wie auch um übertragenen Sinn. Ihr wunderbares Buch spiegelt diese Erfahrung auf eindrucksvolle Weise und mischt ungeschönte Erinnerungen mit großartigen Naturschilderungen.« Independent on Sunday

»Eines der schonungslosesten, funkelndsten und bewegendsten Bücher über Sucht und Rückkehr ins Leben.« Scotsman

»Mit der ungeheuren Sinnlichkeit ihres Schreibens und ihrer eisernen, glasklaren Entschlossenheit spielt Amy Liptrot in der Top-Liga neben Autoren wie Helen Macdonald ›H wie Habicht‹«. New Statesman

»Ein schonungslos ehrlicher Blick auf Sucht und Heilung vor dem Hintergrund der großartigen rauen Landschaft der Orkneyinseln.« Observer

»Wunderbar geschriebene Erinnerungen. Amy Liptrot Fähigkeit, ihre innere Erlebniswelt mit den sinnlichen Eindrücken der Natur zu vereinen, macht sie so herausragend.« Will Self, Guardian

»Unglaublich schön geschrieben. Gegen NACHTLICHTER verblassen die meisten Titel des New Nature Writings – ein strahlender, lebensbejahender Text.« Olivia Laing

Amy Liptrot

Nachtlichter

Aus dem Englischen von Bettina Münch

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »The Outrun« bei Canongate Books Ltd, Edinburgh. Die Übersetzung des Werkes wurde von der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen und dem Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen gefördert. Copyright © 2016 by Amy Liptrot Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Covergestaltung: semper smile, München Covermotiv: © Getty Images/Alan Majchrowicz; Autorenfoto/Lisa Swarna Khanna Satz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN 978-3-641-20326-9 V003 www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

INHALT

PROLOG

1 DAS AUSSENFELD

2 DAS ZITTERN

3 FLOTTA

4 LONDON FIELDS

5 NACHTFAHRTEN

6 DIE FLATTER MACHEN

7 GESTRANDET

8 THERAPIE

9 DRIFT

10 DYKES

11 AMBER

12 VERLASSENE INSELN

13 LAMMZEIT

14 DAS WACHTELKÖNIGWEIB

15 ROSE COTTAGE

16 PAPAY

17 MERRY DANCERS

18 NORTH HILL

19 ONLINE

20 SCHWIMMEN IM MEER

21 DER HOLM

22 PERSÖNLICHE GEOLOGIE

23 TRIDUANA

24 FAIR ISLE

25 FEUER

26 UNTER WASSER

27 STRANDUNGEN

28 ERNEUERBARES

DANKSAGUNG

GLOSSAR

PROLOG

Unter den wirbelnden Rotorblättern eines Helikopters hält eine junge Frau ihr Neugeborenes im Arm, als man sie im Rollstuhl über die Start- und Landebahn des Inselflughafens einem Mann in Zwangsjacke entgegenschiebt, der im Rollstuhl aus der entgegengesetzten Richtung auf sie zugeschoben wird.

Die beiden Achtundzwanzigjährigen waren an jenem Tag im nahe gelegenen kleinen Krankenhaus behandelt worden. Die junge Frau hatte man von ihrem ersten Kind entbunden. Den schreienden und völlig außer Kontrolle geratenen Mann hatte man eingesperrt und sediert.

Orkney – eine vom Meer umtoste, windgepeitschte Inselgruppe im Norden von Schottland zwischen Nordsee und Atlantik – verfügt über gute Versorgungseinrichtungen: ein Krankenhaus, einen Flughafen, ein Kino, zwei weiterführende Schulen, einen Supermarkt. Was es jedoch nicht gibt, ist eine geschlossene Abteilung für psychisch kranke Menschen, die eine Gefahr für sich und andere darstellen. Wer in die Psychiatrie zwangseingewiesen wird, muss in den Süden nach Aberdeen gebracht werden.

Von oben betrachtet, aus einem Hubschrauber, der Ölarbeiter zu einer Plattform transportiert, oder einem Flugzeug mit Postsäcken vom schottischen Festland, wirkt die Start- und Landebahn wie ein Schnitt in die offene, baumlose Landschaft. Wegen heftiger Winde oder Seenebels regelmäßig tagelang geschlossen, vollzieht sich hier, zwischen den tief liegenden Inseln und dem weiten Himmel, unter den Augen der Flugsicherung das tägliche Drama von Kommen und Gehen.

An diesem Maiabend, als die Gänseblümchen ihre Blüten schließen, Lummen und Dreizehenmöwen mit Sandaalen zu ihrer Brut in den Klippen zurückkehren und Schafe an den Trockenmauern, die hier Dykes genannt werden, Schutz suchen, nimmt meine Geschichte ihren Lauf. An dem Tag, an dem ich in dieser Inselwelt ankomme, holt man meinen Vater aus ihr heraus. Meine Geburt, drei Wochen zu früh, hat eine manische Phase ausgelöst.

Meine Mutter stellt dem Mann – meinem Vater – seine kleine Tochter vor und legt mich für einen kurzen Moment in seinen Schoß, ehe er zum Flugzeug gebracht und ausgeflogen wird. Was sie ihm sagt, wird vom Rotorengeräusch überdeckt oder vom Wind davongetragen.

1 DAS AUSSENFELD

Am ersten Tag nach meiner Rückkehr suche ich unten bei den Brennnesseln neben einer ausgedienten Kühltruhe Schutz und schaue zu, wie die Wetterfront über das Meer heraufzieht. Das Tosen der Wellen klingt nicht viel anders als der Verkehrslärm in London.

Der Hof liegt am westlichen Rand der größten und zugleich Hauptinsel von Orkney, auf demselben Breitengrad wie Oslo und Sankt Petersburg, mit nichts als Klippen und Ozean zwischen hier und Kanada. Mit den Veränderungen der landwirtschaftlichen Methoden wurde der Hof um neue Gebäude und Maschinen erweitert, doch die alten Schuppen und Geräte sind geblieben und rosten in der salzigen Luft vor sich hin. Der kaputte Frontlader eines Traktors dient als Tränke für die Schafe. Boxen, in denen früher Vieh angebunden war, sind nun vollgestopft mit veralteten Maschinen und Möbeln, die früher einmal in unserem Haus gestanden haben. In der Scheune, der Byre, wie es hier heißt, hatte ich eine Schaukel an die Balken gebunden und mich an den Knien rückwärts von einem Tor hängen lassen, das jetzt von Rost zerfressen wird.

Im Süden erstreckt sich das Anwesen entlang der Küste bis in sandigeres Gebiet, das zur Bay of Skaill wird, einem anderthalb Kilometer langen Sandstrand in der Nähe des Steinzeitdorfes Skara Brae. Im Norden folgt es dem Verlauf der Klippen bis hinauf auf höheres Gelände, wo Heidekraut wächst. Die Felder haben prosaische Namen: das »Vorderfeld«, direkt am Weg zum Haus, oder die »Ablammweide«, die ringsum von schützenden Trockenmauern umgeben ist. Das größte Feld, das »Außenfeld«, ist ein hoch gelegener Küstenstreifen am äußersten Rand unseres Gehöfts, auf dem das tagein, tagaus von Wind und Gischt gepeitschte Gras immer kurz steht. Dort grasen im Sommer die Mutterschafe und ihre Lämmer, nachdem sie von den Lämmerweiden hinaufgebracht wurden. Und dort überwintern die roten, breitgehörnten Hochlandrinder und streifen unter dem weiten Himmel umher.

Einige historische landwirtschaftliche Aufzeichnungen unterteilen das Land in zwei Bereiche: das urbare nah gelegene »Binnenfeld« in der Nähe eines Gehöfts und das entfernter gelegene »Außenfeld«, unkultiviertes, raues Weideland, das häufig an Hügeln liegt. Früher wurde ein Außenfeld mitunter von mehreren Höfen als gemeinsames Weideland genutzt. Es ist das entlegenste Terrain eines Bauernhofes, noch zur Hälfte Wildnis, in der Haustiere und wilde Tiere koexistieren und Menschen nur selten auftauchen, sodass die Geister frei umherstreifen können. Den Sagen von Orkney zufolge hausen Trowies genannte Trolle in Gemeinschaften in den Anhöhen und Höhlen der Hügel, und es gibt Geschichten über Hillyans, ein kleines Volk, das im Sommer von den rauen Weiden herunterkommt, um Schabernack zu treiben.

Auf einem Foto des Außenfelds aus den frühen Achtzigerjahren sitze ich auf Dads Schultern, während er und Mum einigen englischen Freunden das trostlos wirkende Land zeigen, das sie gekauft haben. Meine Eltern waren auf der Suche nach einem Bauernhof immer weiter nach Norden gereist, bis sie einen fanden, den sie sich leisten konnten. Ihre Verwandten und Freunde waren überrascht und skeptisch gewesen, ob sie der Sache gewachsen sein würden, genau wie die Einheimischen. Die Orkadier hatten schon oft mitangesehen, wie Idealisten aus dem Süden auf die Inseln zogen, nur um sie nach zwei Wintern wieder zu verlassen.

Ich bin hier aufgewachsen, neben diesen Klippen. Höhe hat mir noch nie etwas ausgemacht. Als wir Kinder waren, unternahm Dad mit uns häufig Spaziergänge auf den Klippen. Dort riss ich mich von Mums Hand los und schaute über den Rand in das schäumende Meer unter mir. Senkrechte Abbrüche und gewaltige Felstafeln aus grauem Sandstein säumten unseren Hof; das monumentale Gestein und die erbarmungslosen Elemente bildeten die Grenzen der Insel und meiner Welt.

Einmal hatten wir einen Hund, der hinunterstürzte. Der junge Collie jagte bei Sturm einem Hasen nach, bemerkte die Felskante nicht und wurde nie mehr gesehen.

Es ist ein windiger Tag. Ich verlasse den Schutz der Kühltruhe und wandere zum ersten Mal seit Jahren schwer atmend zum Außenfeld hinauf. Auf dem Hof stehen keine Bäume, in dieser weiten Landschaft gibt es Raum im Überfluss.

Sämtliche Felsen fallen zum Meer hin ab. Um nicht auszurutschen, laufe ich in meinen Gummistiefeln an den Spalten der Sandsteinplatten entlang. Ein paar Haarsträhnen, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst haben, wehen mir in Augen und Mund und bleiben in meinem gischtfeuchten Gesicht kleben, genau wie früher, wenn ich als Kind unter Toren hindurch und über Trockenmauern hinweg den Hütehunden nachlief.

Ich komme zu meinem Lieblingsplatz: einer Felsplatte, die in gefährlicher Schräglage oben auf einer Klippe balanciert. Als Teenager bin ich oft hierhergekommen; mit Kopfhörern auf den Ohren, herausgeputzt und frustriert, starrte ich zum Horizont und wünschte mich von hier fort. Von meinem Felsenplatz sah ich zu, wie die Wellen gegen die Klippen brandeten und die Möwen und Düsenjets übers Meer sausten.

An klaren Tagen kann ich von hier aus im Süden, jenseits des Pentland Firth, die Spitzen der Berge auf dem schottischen Festland erkennen: Ben Hope, Ben Loyal, Cape Wrath. Schaut man vom Außenfeld aus nach Westen, liegt etwa auf Höhe des Horizonts die Sule-Schäre mit dem Sule Skerry, der früher einmal der am weitesten vom Festland entfernte bemannte Leuchtturm Großbritanniens war. Draußen auf dem Meer kann ich Wellenenergie-Anlagen auf den Wellen dümpeln sehen, die von Ingenieuren getestet werden. Es ist Ebbe, und unter mir, am Fuß der Klippen, liegen die Felsen frei, auf denen ein Fischerboot strandete, als ich elf war.

Von meinem Platz auf der Felsplatte schaue ich nach Norden zur Landspitze von Marwick und dem zu Ehren von Lord Kitchener errichteten Gedenkturm. Kitchener kam 1916 zusammen mit 634 Seeleuten seiner 655 Mann starken Besatzung ums Leben, als der Panzerkreuzer HMS Hampshire zwei Meilen nordwestlich von hier auf die Mine eines deutschen U-Boots lief. Von den zwölf Überlebenden fanden einige Unterschlupf in dem Bauernhaus, das später uns gehören sollte.

Einer der Überlebenden, der Seemann W. C. Phillips liefert in seinem Bericht über den Verlust der Hampshire eine lebhafte Beschreibung der Nacht der Tragödie: »Ich sprang, ohne Stiefel, aber ansonsten vollständig bekleidet, und tauchte mit einem letzten Gruß in das tosende Wasser.« Er schaffte es, auf ein großes, aber überladenes Floß zu klettern, und schildert, man habe diejenigen, die Rettungsgürtel trugen, »gebeten, es wieder zu verlassen«: »Mit einigen flapsigen Bemerkungen wie ›Wir kommen als Erste an‹ folgten achtzehn Mann dem Aufruf und sprangen in die Wogen. Sie opferten sich, um ihren Schiffskameraden die einzige Überlebenschance zu geben, die sie hatten.«

Nach vielen Stunden, als die Seeleute schon fürchteten, an den Felsen erschlagen zu werden, landete das Floß im Nebbi Geo, einem schroffen Küsteneinschnitt unterhalb des Außenfelds. Während ich an diesem Küstenabschnitt entlanggehe, stelle ich mir das Floß vor, wie Phillips es beschrieben hat: »eingeklemmt zwischen den Klippen, als wäre es von Menschenhand dort hingesetzt worden.« Ich stelle mir die damaligen Bauern vor, die im Dunkeln am Ufer nach Überlebenden suchten und nach den Leichen der auf den Felsen verstreuten Seeleute.

In Orkney ist es praktisch niemals windstill. Auf dem Hof sind die Westwinde am schlimmsten, weil sie das Meer mitbringen und über Nacht Tonnen von Gestein bewegen können, sodass die Landkarte am Morgen nicht mehr die gleiche ist. Am schönsten sind die Ostwinde – wenn der Wind gegen die Strömung anbläst und von den Wellen ein feiner Sprühnebel aufsteigt, der im Sonnenlicht glitzert. Die alten Bauernhäuser sind gedrungen und stabil gebaut, genau wie viele Orkadier, um den stärksten Winden zu widerstehen. Diese Standfestigkeit ist mir nicht gegeben: Ich bin groß und schlaksig.

Während ich der vertrauten Küste folge, versuche ich, keine Unsicherheit aufkommen zu lassen. Es ist mehr als zehn Jahre her, seit ich zuletzt hier gelebt habe, und die Erinnerungen aus meiner Kindheit vermischen sich mit jüngeren Ereignissen, jenen Dingen, die mich nach Orkney zurückgebracht haben. Während ich Mühe habe, ein Drahtgatter zu öffnen, denke ich an das, was ich zu meinem Angreifer gesagt habe: »Ich bin stärker als du.«

Am Ende des Winters ist das Land braun und ausgelaugt, und das Außenfeld wirkt wie eine Ödnis, doch ich kenne seine Geheimnisse. Eine eingestürzte und überwucherte Grenzmauer datiert bis ins Neolithikum zurück, und einige der Steine im sechs Meilen entfernten Steinkreis von Brodgar stammen aus einem nahe gelegenen Steinbruch nördlich von hier. Ein ähnlicher Stein liegt zerbrochen am Hang – vielleicht hat man ihn vor viertausend Jahren auf dem Weg zum Steinkreis fallen lassen. Ich erinnere mich noch an eine Kolonie von Küstenseeschwalben, die hier gebrütet hat. Während der Brutzeit stürzten die Vögel auf uns herab und fegten so dicht an unseren Köpfen vorbei, dass wir ihre Flügel spüren konnten. Im Sommer findet man hier die bedrohte Deichhummel, die den roten Klee bestäubt; im Herbst wachsen Zauberpilze und eine seltene Seetangart, Fucus distichus, die nur an rauen, felsigen Ufern im Norden gedeiht, ist hier das ganze Jahr über zu finden.

Am äußersten Punkt des Außenfelds befindet sich ein »The Spord« oder »The Stack o’ Roo« genannter einzelner Felsblock. Der turmhohe Felsen war früher ein Teil der Klippen, steht nun aber allein. Im Sommer brüten dort Papageientaucher zusammen mit Sturmvögeln, Kormoranen, Mantelmöwen und Raben. Früher bin ich oft einen Grashang hinuntergestiegen bis zu einem Felsplateau, wobei ich sorgsam darauf achtete, nicht in Kaninchenlöcher zu treten. Dort war der beste Platz, um warm eingepackt zu dem Felsen hinüberzuschauen und die umtriebigen Seevögel zu beobachten – Sturmvögel, die lautstark ihre Nester verteidigten, und Papageientaucher, die von weit draußen zurückkehrten.

Das Außenfeld hat keine Zäune, um die Schafe von den Felsen und Klippen fernzuhalten. In den Anfangsjahren musste Dad hinunterklettern und Schafe retten, die auf Felsvorsprüngen festsaßen, doch mit dem Anwachsen der Herde wurden die Tiere von einer Generation zur nächsten immer ortskundiger und trittsicherer.

Nach dem jüngsten Regen ist Wasser im Burn, einem kleinen Bach, der zum Meer hinunterfließt; dort haben mein Bruder Tom und ich früher gespielt und uns samt Hund unter einer kleinen Steinbrücke hindurchgezwängt. Austernfischer und Brachvögel bauten ihre Nester in den Spurrillen des Traktors, und wir jagten und fingen die Küken, hielten ihre weichen, wild pulsierenden Körper in den Händen, ehe wir sie wieder freiließen.

Ich bleibe an der Stelle stehen, wo ein Nachbar, als ich noch ein Kind war, bei laufendem Motor von seinem Traktor gesprungen war, um ein Gatter zu öffnen, dabei aber vergessen hatte, die Handbremse anzuziehen. Er sah gerade nicht hin, als sich das fahrerlose Gefährt in Bewegung setzte und das abschüssige Feld hinunterrollte. Der Nachbar schaffte es nicht, den immer schneller werdenden Traktor aufzuhalten; mit unaufhaltsamem Schwung kippte die teure Maschine über den Klippenrand und stürzte in den Atlantik.

Am Nachmittag komme ich noch einmal zum Außenfeld herauf, um die Hochlandrinder zu füttern. Wie damals als Kind zwänge ich mich neben Dad in die Traktorkabine. Ich kenne die Buckel und Löcher im Boden immer noch, deshalb kann ich mich festhalten, wann immer es nötig ist. Dad senkt den Frontlader mit dem Silage-Ballen in die Rundraufe, um die sich die Kye jetzt sammeln. Es ist schon dunkel, ich bleibe in der Kabine und sehe zu, wie er im Licht der Traktorscheinwerfer die dünne Plastikfolie vom Ballen schneidet und sie wegzieht, damit die Rinder fressen können. Sein Haar ist jetzt fast völlig weiß. Er trägt fast das ganze Jahr über einen gefütterten Overall, braucht aber keine Handschuhe mehr.

Das Außenfeld liegt versteckt hinter einem flachen Hügel an die Küste geschmiegt. Von der richtigen Stelle aus kann man weder Häuser sehen, noch von der Straße gesehen werden. Dad hat mir erzählt, dass er im Rausch einer manischen Phase hier draußen geschlafen hat. Am Ende des Tages, als ich mich zum Schutz vor dem Wind wieder neben die Kühltruhe verkrieche, mir eine Zigarette drehe und den Tieren zuschaue, bin ich zu meinem Vater geworden.

2 DAS ZITTERN

Als ich von meinem Spaziergang zurückkehre, gehe ich nicht ins Haus, sondern zum Maschinenpark und öffne die Tür des Wohnwagens, in dem Dad jetzt lebt. Draußen wartet der Hütehund auf ihn, und die Pferde strecken auf der Suche nach Heu die Köpfe über das Gatter. Der alte Wohnwagen ist zum Schutz gegen den Wind mit Betonklötzen beschwert. Eines der Fenster ist im letzten Winter bei Sturm zu Bruch gegangen und wurde mit einer Holzplatte zugenagelt.

Dad trägt seinen wetterfesten Arbeitsoverall, in dem immer Kordeln und ein Taschenmesser stecken, und darunter einen Pullover, den Mum für ihn gestrickt hat und den er immer noch anzieht, auch wenn er jetzt an den Ellbogen geflickt ist. Er sitzt auf dem gepolsterten Eckplatz vor der großen Plexiglasscheibe mit dem besten Blick über den Garten, die Felder und die Bucht, bis zu einer Landzunge. Die Farben des Himmels und das Licht auf dem Meer verändern sich ständig, mit jeder flüchtigen atlantischen Wetterfront, die über uns hinwegzieht. Wenn die Wolken aufreißen, funkelt das Sonnenlicht auf dem Wasser, wo bei Ebbe ein Felssporn zum Vorschein kommt. Mitunter lässt das Licht sämtliche Einzelheiten der Hügel von Hoy hervortreten, einer weiteren Insel im Süden der Landspitze, die an anderen Tagen komplett im Seenebel, der hier auf den Inseln Haar genannt wird, verschwinden.

In einem Strahl der Wintersonne wirbeln hereingetragener Staub und der Rauch von Dads Selbstgedrehten durch die Luft. Bei der Tür liegen Regenkleidung und Gummistiefel, auf dem niedrigen Tisch verteilen sich landwirtschaftliche Unterlagen und der Schein eines Gasfeuers. Am anderen Ende des Wohnwagens befindet sich ein Schlafzimmer, der Hund schläft draußen unter dem Wagen, direkt unter Dad, wie ein Wolf in seiner Höhle.

»Hast du irgendwas gespürt dort oben?«, fragt Dad, bevor er anfängt, mir von dem Zittern zu erzählen, obwohl ich das alles schon gehört habe. Dieser Abschnitt aus Klippen und Stränden, von dem es heißt, der sagenumwobene Mester Muckle Stoorworm sei dort das erste Mal in Erscheinung getreten, wo die Menschen von Skara Brae ihr Dasein fristeten und die HMSHampshire sank, hat seine ganz eigenen Geheimnisse.

Manche Bewohner der Westküste von Orkney, darunter auch mein Dad, berichten von gelegentlichen Vibrationen oder Donnerschlägen, einem tiefen Hallen, das stark genug zu sein scheint, um die ganze Insel zu erschüttern, und doch so leise, dass die Menschen sich fragen, ob es nicht nur Einbildung war. »Du kannst es kaum hören, eher spüren«, sagt Dad. »Es ist ein leiser Schlag wie weit entfernter Donner. Die Erde zittert so sehr, dass die Fenster und Regale wackeln. Es dauert nur einen Moment, wiederholt sich aber oft mehrere Male innerhalb weniger Stunden.« Die Einheimischen sagen, die Donnerschläge seien schon seit Jahren zu spüren, es lasse sich aber kein Muster erkennen. Sie fragen sich, ob es geografische, menschliche oder sogar übernatürliche Gründe dafür gibt – oder ob sie gar nicht wirklich stattfinden.

Um das Zittern zu verstehen, muss ich tief in die Topografie von Orkney eindringen. Ein erster Ansatzpunkt sind die geologischen Verhältnisse an der Westküste von Mainland, mit den hohen Klippen bei Marwick, Yesnaby und Hoy, unzähligen Felsnadeln, steil abfallenden Felsen und gefährlichen Strömungen, die für viele Schiffsunglücke verantwortlich sind. Möglicherweise werden das Zittern und die Donnerschläge von Wellenbewegungen im Innern von Höhlen verursacht, die tief unter den Feldern liegen. Wenn eine große Welle in eine geschlossene Höhle eindringt, schiebt sie die Luft mit hohem Druck vor sich her und presst sie zusammen. Beim Zurückweichen der Welle explodiert die Luftblase und verursacht einen Donnerschlag.

Andere machen das Militär und die von Düsenjets ausgelösten Überschallexplosionen für das Zittern verantwortlich. Etwa sechzig Meilen von Orkney entfernt, auf dem schottischen Festland, führt das Militär auf dem Übungsgelände des britischen Verteidigungsministeriums bei Cape Wrath Manöver zu Wasser und zu Lande durch. Diese spärlich besiedelte Region ist eine der wenigen Gegenden Großbritanniens, in denen man auch die »richtig dicken Dinger« zünden kann. Nur schwere Raketenwaffen sind in der Lage, eine Schallwelle bis nach Orkney zu schicken, aber dafür bedarf es perfekter Windverhältnisse. Auch Hochgeschwindigkeitsflugzeuge können einen Überschallknall verursachen, wenn sie bei Sturzflügen in dichtere Luft abtauchen. Doch obwohl Dad die Flugzeuge manchmal hört oder sieht, trete das Zittern nicht zeitgleich auf, sagt er. Ich frage mich, ob nicht andere, weniger greifbare, womöglich sogar magische Inselkräfte am Werk sein könnten. Die Legende von Assipattle und dem Mester Muckle Stoorworm handelt von einem riesengroßen Meeresungeheuer, das seinen Leib um die Erde winden und mit seiner vorschnellenden Zunge ganze Städte zerstören konnte. Ein Tunichtgut namens Assipattle träumte davon, die Welt zu retten, und er bekam seine Chance, als er dem Stoorworm eine glimmende Torfsode in die Leber stopfte, sodass dieser langsam von innen gebraten wurde. In seiner Qual schwang der Stoorworm den Kopf hin und her und verlor dabei Hunderte Zähne, aus denen die Inseln von Orkney, Shetland und die Faröer entstanden. Dann schleppte sich der Wurm an den Rand der Welt, rollte sich zusammen und starb. Aus seinem glimmenden Leib wurde Island – eine Insel voller heißer Quellen, Geysire und Vulkane. Seine Leber schwelt noch immer, also ist der Stoorworm vielleicht gar nicht tot. Womöglich zuckt eine seiner Tentakel noch an diesen Ufern, und das Zittern ist der Nachhall seines Todeskampfes.

Es macht mich ein wenig nervös, mit Dad über das Zittern zu sprechen. Unsere Gespräche beschränken sich normalerweise auf den Hof – welche Arbeit getan werden muss oder wie es um das Land und die Schafe steht. Ihn über unheimliche Empfindungen und seltsame geologische Verhältnisse sprechen zu hören, weckt in mir die Sorge, dass er vielleicht im Begriff ist, »high« zu werden. Mum hatte mir beigebracht, nach den Warnzeichen Ausschau zu halten. Am Anfang kann es aufregend sein, Dad spricht viel, ist voller Optimismus und Energie, aber irgendwann kippt es, und er fängt an, willkürlich Dinge zu kaufen, teure Schafböcke oder Maschinen; er ist die ganze Nacht wach, treibt um vier Uhr früh Tiere um, dann folgen Allmachtsfantasien, in denen er glaubt, die Zeit verändern oder das Wetter kontrollieren zu können.

Im Wohnwagen steht ein Hocker, den ich noch aus dem Wohnhaus kenne. Dad hat ihn als Teenager im Krankenhaus angefertigt. Er war fünfzehn, als man bei ihm eine manisch-depressive Erkrankung feststellte, die heute als bipolare Störung mit schizophrenen Tendenzen bezeichnet wird. Seit damals durchlebt er in regelmäßigen Abständen Hochs und Tiefs in unterschiedlichster Ausprägung. Unser Familienleben wurde von diesen Wellen, den Zyklen der manischen Depression, auf das Heftigste durchgerüttelt. Neben den Episoden, die mit Einweisungen und Zwangsjacken einhergingen, gefolgt von Aufenthalten in einer psychiatrischen Klinik, gab es Monate, in denen er einfach im Bett blieb, ohne ein Wort zu sagen. Heute ist Dad in Hochstimmung, aber wenn er bei anderen Gelegenheiten bedrückt wirkt, mache ich mir Sorgen, dass es das Signal für eine beginnende Depression und einen seiner langen, in völliger Passivität verbrachten Winter sein könnte.

Als ich ungefähr elf war, wurde Dad so krank, dass er um das Haus herumging und nacheinander alle Fenster einschlug. Der Wind fegte durch die Räume und blies meine Schularbeiten vom Tisch. Als der Arzt mit einem Beruhigungsmittel kam, gefolgt von der Polizei und einem Krankenwagen, schrie ich sie an zu verschwinden. In Dad war etwas hineingefahren, das er nicht kontrollieren konnte. Als das Beruhigungsmittel Wirkung zeigte, kauerte ich mich mit ihm in eine Ecke meines Zimmers, wo wir uns eine Banane teilten. »Du bist mein Mädchen«, sagte er.

Das Rütteln an den Grundfesten meines Lebens durch die psychische Erkrankung meines Vaters, wurde verstärkt durch die extreme Religiosität meiner Mutter und durch die Landschaft, in die ich hineingeboren worden war, das unaufhörliche, spürbare Anbranden des Meeres an seine Ränder. Ich habe vom Shoaling-Effekt gelesen, bei dem die Wellen sich immer höher aufbauen und schließlich brechen, wenn sie das flache Wasser in der Nähe des Ufers erreichen. Energie geht niemals verloren. Die über das Meer transportierte Energie der Wellen verwandelt sich in Lärm, Hitze und Erschütterungen, die vom Land aufgenommen und über Generationen weitergegeben werden.

Dad hat sich seit seiner Pubertät sechsundfünfzig Elektroschocktherapien unterzogen. In besonders schweren Fällen psychischer Erkrankungen wird das Gehirn dabei einem Stromimpuls ausgesetzt, der einen epileptischen Anfall auslösen soll. Niemand weiß genau, wie und warum es funktioniert, aber viele Patienten berichten, dass sie sich anschließend besser zu fühlen. Zumindest vorübergehend.

Am Tag meiner Geburt geriet etwas in Bewegung, und obwohl ich weit wegzog, fühlten sich die Anfälle, die ich erlitt, als mein Trinken eskalierte, so an, als hätte das Zittern auch mich schließlich eingeholt. In einsamen Londoner Schlafzimmern oder Toiletten von Nachtclubs wurden meine Handgelenke und mein Kiefer steif, meine Glieder reagierten nicht mehr wie sonst. Der Alkohol, den ich jahrelang in mich hineingeschüttet hatte, war wie das beständige Einwirken der Wellen auf die Klippen, und er begann, körperlichen Schaden anzurichten. Tief in meinem Nervensystem löste sich etwas auf und sorgte dafür, dass mein Körper von Zuckungen geschüttelt wurde, die so gewaltig waren, dass ich wie gelähmt vor mich hin sabberte, bis sie so weit nachließen, dass ich mir das nächste Glas eingießen oder auf die Party zurückkehren konnte.

3 FLOTTA

Selbst an den schönsten Tagen weht in Orkney immer eine frische Brise über das Meer. Sie erinnert uns daran, dass wir auf einer Insel sind, auch wenn wir Mainland, die größte Insel des Archipels, »Festland« nennen, während alles andere für uns einfach nur »Süden« ist. Mit den Landwirtschaftsschauen Anfang August endet auch der Sommer, und in den restlichen Monaten des Jahres stürmt es regelmäßig. Der Herbst ist kurz, es gibt nur wenige Bäume, und der Winter kommt schnell.

Vor zehn Jahren kam ich während eines Sturms am Tag der Tagundnachtgleiche für einige Monate nach Hause – als Hochschulabsolventin, die es nicht geschafft hatte, in der Stadt einen Job zu finden. Es war das Jahr, in dem sich meine Eltern trennten, wie es viele Leute tun. Und wie die meisten Kinder hatte auch ich nicht geglaubt, dass es meinen Eltern passieren würde, obwohl es eigentlich eher verwunderlich ist, dass ein manisch-depressiver Mann und eine wiedergeborene Christin so lange zusammengeblieben waren.

Ich arbeitete als Putzkraft auf dem Erdölterminal von Flotta und fuhr jeden Morgen bei Sonnenaufgang mit der Arbeiterfähre vom Pier in Houton zur Insel hinüber. Seit den frühen Siebzigern wird mithilfe von Pipelines und Tankern Rohöl von den Ölfeldern der Nordsee zum Terminal transportiert, dunkle Energie aus den Tiefen des Meeresbodens. Die Ölindustrie bescherte Orkney einen Aufschwung und einige der einträglichsten Jobs vor Ort, aber die Putzkräfte standen ganz unten auf der Leiter.

Das Beste an meinem Job war der Weg zur Arbeit. Jeden Morgen fuhr ich bei Sonnenaufgang über die Insel und kehrte bei Sonnenuntergang zurück. Während ich mit dem Fuß auf dem Gas dem Horizont entgegenraste und dabei Radio Orkney oder Drum-and-Bass hörte, legten sich verschwommene Pastelltöne um Mainland und färbten das Wasser von Scapa Flow. Abends flammten Rot- und Orangetöne auf, die ebenso grell waren wie die Flamme, mit der am Terminal das überschüssige Gas verbrannte, und die Lichter der Öltanker draußen auf See.

Nach der Arbeit, wenn ich meinen Kittel auszog, ohne den Geruch des Bleichmittels jemals ganz loszuwerden, verbrachte ich den Abend allein. Mum war vor Kurzem ausgezogen, und Dad war irgendwo anders. Ich saß allein in einem Haus am Klippenrand, rauchte und trank an dem Küchentisch, an dem wir früher als Familie gegessen hatten; ich hatte einen Job, den ich nicht mochte, und telefonierte um Mitternacht mit meinen weit entfernten Freunden, während ich Dads selbst gebrautes Bier trank und meine Familie um mich herum in die Brüche ging. Manchmal leerte ich eine Flasche Wein und fuhr dann fünf Meilen zum nächsten offenen Laden, um Nachschub zu holen. Am nächsten Morgen bestieg ich völlig verkatert die Fähre, die Kopfhörer auf, wütend und verletzt.

Auf dem Ölterminal musste ich die Schlafzimmer der Arbeiter putzen, Badezimmer wischen, Korridore fegen und Betten machen. Ich lernte verschiedene Arten von Schmutz kennen: vom Schweiß auf Bettlaken, den man nicht sah, aber roch, bis zum getrockneten Schlamm der Fußabdrücke, der sich wunderbar wegsaugen ließ. Zahnpastaspritzer auf dem Spiegel zeugten von einem begeisterten Putzer, und Asche verriet, wer in einem Nichtraucher-Bereich aus dem Fenster geraucht hatte. Trockene und feuchte Kacke, die meine Vorgesetzte fachkundig zu unterscheiden wusste, verlangten jeweils unterschiedliche Reinigungsmethoden, Schamhaare lagen zusammengerollt auf der Klobrille. In den meisten Räumen, die ich reinigte, fanden sich angefangene Flaschen Irn-Bru und in einigen auch tief im Teppich vergrabene Finger- oder Zehennagelschnipsel.

Ich kam mir vor wie ein Geist, der mit einem Wischmopp unter summenden Lichtern durch namenlose Korridore streifte. Die Welt draußen, unten im Süden, hatte mich vergessen. Ich saß mit den Müllsäcken auf der Insel fest und plagte mich damit ab, einen Wäschewagen allein durch die Schwingtüren zu bugsieren. Ich war die Wand mit Augen, ich wusste, ob die Arbeiter nachts in ihrem Bett geschlafen hatten. Ich war die schemenhafte Gestalt, die davonhuschte, wenn sich Schritte näherten. Wieder in Orkney zu sein war ein Fehlschlag, der Job war für mich lediglich ein Mittel, das Geld zu verdienen, um wieder fort zu können.

Mit achtzehn hatte ich es nicht erwarten können fortzugehen. Ich fand das Leben auf dem Bauernhof schmutzig, hart und schlecht bezahlt. Ich wollte Komfort, Glamour und dort sein, wo etwas los war. Ich verstand Leute nicht, die sagten, sie wollten auf dem Land leben, wo sie Tiere in der freien Natur sehen konnten. Menschen waren viel interessanter als Tiere. Im Winter, wenn ich in meinen hässlichen Allwetterklamotten beim Stallausmisten half, träumte ich vom pulsierenden Stadtleben.

In meiner Studentenbude dagegen übertrug ich im Geiste unsere sechzig Hektar Land auf die Innenstadt. Abertausende Menschen auf einer Fläche, auf der es nur meine Familie und die Tiere gab. Es machte mich wahnsinnig, dass ich in einem Wohnblock nur wenige Meter von anderen entfernt lebte und dennoch nicht wusste, wer sie waren. Über und unter, links und rechts von mir schliefen andere Menschen, nichts als dünne Wände zwischen uns. Ich sprach mit meinen neuen Freunden nicht viel über Orkney, aber wenn ich in windigen Nächten im Bett lag, gab mir das Geräusch das Gefühl, wieder in unserem steinernen Bauernhaus zu sein, und ich dachte an die Tiere draußen in der Kälte.

Im Süden war es für mich am einfachsten zu sagen, dass ich »Schottin« sei oder »von den Orkneys« käme, doch zu einem echten Orkadier würde ich das nicht sagen. Auch wenn ich in Orkney geboren bin und dort gelebt habe, bis ich achtzehn war, spreche ich nicht mit orkadischem Akzent, und meine Familie stammt aus England. Meine Eltern begegneten sich mit achtzehn in Manchester auf dem College, wo Dad das Abitur nachholte, das er wegen der ersten Attacken der Krankheit verpasst hatte, während Mum Betriebswirtschaft studierte. Mum war auf einem Bauernhof in Somerset aufgewachsen und Dad der Sohn eines Lehrerehepaars aus Lancashire, jedoch in einer Vorstadt von Manchester groß geworden. Die Besuche auf Mums Bauernhof waren es, die ihn bewogen, Landwirtschaft zu studieren. Meine Eltern leben seit über dreißig Jahren auf den Inseln, mehr als die Hälfte ihres Lebens, trotzdem werden sie immer noch als Engländer aus dem »Süden« angesehen.

Normalerweise halten mich die Engländer aufgrund meines Akzents für eine Schottin, und die Schotten halten mich für eine Engländerin. Die alte orkadische Art, jemanden zu fragen, woher er kommt, lautet: »Wo gehörst du hin?« Das bekamen meine Eltern anfangs oft zu hören. Ich mag von Orkney stammen, aber ich hatte oft das Gefühl, nicht dorthin zu gehören. In der Grundschule war »Engländerin« ein Schimpfwort.

Als ich klein war, verschwand eines Tages das einzige farbige Kind, das die weiterführende Schule besuchte. Es lebte in der Nähe der Klippen von Yesnaby. Sein jüngerer Bruder fuhr in unserem Grundschulbus mit, und an den Bushaltestellen führten die Erwachsenen ernste Gespräche. Ungefähr eine Woche später fand man seine angespülte Leiche am Strand. Aufgrund meiner eigenen Spielplatzerfahrungen nahm ich an, dass ihn der Rassismus zu den Klippen getrieben hatte.

Als Heranwachsende wollte ich mich nicht vereinnahmen lassen von dem, was ich als raffinierte Verschwörung ansah, Orkney als idyllisches Inselparadies zu präsentieren. Das Fremdenverkehrsbüro pries die Schönheit und die Geschichte und zeigte die immer gleichen Bilder der Steinkreise oder der hübschen gewundenen Gasse von Stromness, während ich nichts als langweilige Gebäude und grauen Himmel sah. Doch obwohl ich mich regelmäßig über Orkney beklagte, war ich die Erste, die es verteidigte, wenn sich jemand anderes skeptisch äußerte.

Diese Mischung aus Zuneigung und Ablehnung kennen viele junge Leute von den Inseln. Wir landeten immer wieder hier, wurden ebenso unvermeidlich wieder angespült wie die Flut. Ich wuchs inmitten des Himmels auf, mit einem gewaltigen Raumgefühl und doch eingeengt von den Grenzen der Insel und des Bauernhofs. An einem Tag, an dem ich nicht putzen musste, fuhr mir unten im Hafen von Kirkwall der Wind durch die Haare, der nach Fisch und Diesel roch; draußen auf dem Meer funkelten Lichter auf den flachen Hügeln der nördlichen Inseln Shapinsay und Sanday und dahinter, jenseits des Horizonts, Papa Westray. Nachdem ich anderswo gelebt hatte, war ich in dieser Stadt unzufrieden und stach hervor.

Als Teenager machten wir uns über die Touristen lustig. Diese Weltkulturerbe-Stätte war unsere Heimat und nicht nur ein Ort, an dem man sich eine Eintrittskarte kaufte, um ihn sich anzusehen. Nach Geschäftsschluss, wenn die Busse wieder fort waren, stiegen mein Bruder und ich mit Freunden in die steinzeitlichen Häuser und Grabstätten ein, fingerlose Handschuhe und Wegwerfkameras im Gepäck. Am Morgen fanden die Aufseher dann abgebrannte Teelichter und leere Weinflaschen.

Ich war ein wagemutiges, draufgängerisches Kind. Ich kletterte auf Trockenmauern und Schuppendächer. Ließ mich von hohen Balken ins Heu fallen oder auf Säcke mit Schafswolle. Später stürzte ich mich ins pralle Leben – Alkohol, Drogen, Beziehungen, Sex –, ich wollte die Extreme auskosten, machte mir keine Gedanken über die Konsequenzen, war ständig auf der Suche nach einem Hochgefühl und wehrte mich gegen die Warnungen all jener, die mich vom Rand wegholen wollten. Mein Leben war rau, stürmisch und verworren.

Wer im Wind aufwächst, wird stark, windschlüpfrig und gewieft darin, Schutz zu suchen. Ich war weit weg, als das Wohnhaus verkauft und der Wert von Haus und Hof zwischen meinen Eltern geteilt wurde. Dad behielt den Hof und stellte sich für die Nächte, in denen er nicht bei seiner Freundin schlief, einen Wohnwagen hin. Mom hingegen kaufte sich ein Haus in der Stadt und kam nur noch selten auf den Hof.

Mum war die Frau eines Bauern und die Tochter eines Bauern, aber sie war auch selbst eine Bäuerin. Sie erledigte nicht nur das Kochen und die gesamte Hausarbeit der Familie, sondern fuhr auch Traktor, mistete Ställe aus, errichtete Zäune und Trockenmauern und füllte wieder und wieder die Schlaglöcher in den Feldwegen auf. Sie und Dad entwurmten zusammen die Schafe, schnitten ihnen die Klauen, wenn sie Fußfäule hatten, lasen nach dem Pflügen die Steine von den Äckern, die sich jedes Jahr an die Oberfläche schoben, um dann die Gerste zu säen. Dad schor die Schafe, und Mum rollte die Wollvliese zu festen Bündeln zusammen. Sie vermisste den Bauernhof schrecklich nach der Scheidung, aber hinzufahren fiel ihr einfach zu schwer.

Alle Reinigungskräfte waren Frauen, und alle Räume, die wir putzten, wurden von Männern bewohnt. Die Frauen putzten, schrubbten und wuschen den ganzen Tag, fuhren nach Hause und taten das Gleiche für ihren Ehemann und die Kinder, und das seit Jahren. Sie waren Expertinnen. Während ich zusah, mit welcher Kunstfertigkeit meine Vorgesetzte den Wischmopp handhabte, wenn sie ihn so eintauchte und auswrang, dass er das Optimum an Wasser und Schaum aufnahm, wusste ich, dass ich eine solche Geschicklichkeit niemals erlangen würde. Ich fand, die Feuerwehrmänner auf der Insel hätten ihre Wäsche auch selbst waschen und ihre Bettwäsche selbst wechseln können.

Während ich vergilbte Socken zusammenrollte, alte Pornohefte wegwarf und Toiletten reinigte, fragte ich mich, ob ich mich glücklicher fühlen würde, wenn ich niemals weggegangen wäre. Ob es leichter wäre, wenn ich einen Schulkameraden geheiratet hätte und ich mich vom Internet fernhalten würde, ob die Kluft zwischen meinen Ambitionen und der Wirklichkeit dann kleiner wäre? Ich dachte an meine Mutter. Vielleicht hatte auch sie sich mehr erhofft. Sie war nicht viel älter als ich gewesen, als sie mit zwei Kindern dastand, allein gelassen am Tag ihrer Niederkunft und viele Male danach. Sie war eine kompetente und fürsorgliche Frau, die mitten auf einer fremden Insel, auf einem Hof an den Klippen, an ihre Grenzen gegebracht worden war.

Mum wandte sich der Kirche zu, als mein Bruder und ich noch klein waren und sie sich um einen Bauernhof und zwei Kleinkinder kümmern musste, während ihr Mann auf der anderen Seite des Meeres, dreihundert Kilometer entfernt, in einer psychiatrischen Anstalt saß. Einmal musste sie die gesamte Schafherde verkaufen, weil sie allein nicht damit fertigwurde und nicht wusste, wann Dad zurückkommen würde. Sie hatten befürchtet, es könnte für den Hof das Ende bedeuten, aber sie schafften es, ihn wieder in Gang zu bringen. In vielerlei Hinsicht war es der Glaube meiner Mutter, der die Familie lange Zeit zusammenhielt, später jedoch war er ein Teil dessen, was sie zerstörte.

Dad würde behaupten, die evangelikalen Christen hätten Mum gefunden, sich an sie herangemacht und sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Mum würde sagen, dass sie gerettet wurde. Wem ich beipflichte, hängt davon ab, mit wem ich rede. Ich erinnere mich, dass uns Leute von der Kirche aushalfen und unser Wohnzimmer dekorierten, während Dad im Krankenhaus war. Er erinnert sich daran, dass er nach Hause kam und überall neue Bibeln und religiöse Bücher fand, selbst in ihrem Schlafzimmer.

Als die Tage kürzer wurden, war es morgens dunkel, wenn ich das Haus verließ, um nach Flotta zu fahren, und wenn ich abends zurückkehrte, ebenfalls. Am Ende des langen, trostlosen Orkney-Winters war ich dabei, im Schatten zu verwelken. Eines Nachmittags trug ich meinen Staubsauger eine Glastreppe hinauf und lief direkt in einen Sonnenstrahl. Ich vergewisserte mich, dass mir niemand zusah, und legte mich dann auf den Teppich, wo mir das Licht die Haare wärmte.

An einem anderen Tag gab mir meine Vorgesetzte, nachdem sie mich nicht zum ersten Mal weinend in der Toilette gefunden hatte, mit aller Freundlichkeit zu verstehen, dass ich gehen müsse: Dies war offensichtlich nicht der Ort, an dem ich sein wollte. Mit meinem nächsten Lohnzettel schickten sie mich zum letzten Mal mit der Arbeiterfähre nach Hause. Wenige Tage später ging ich im Haus von einem Zimmer zum nächsten, um Abschied zu nehmen, dann machte ich mich mit einem Rucksack und einer einfachen Fahrkarte auf den Weg nach London.

4 LONDON FIELDS

Mai ist mein starker Monat, voller Veränderungen und Möglichkeiten: Er ist mein Geburtsmonat und mein zweiter Vorname. Eine wilde Frische liegt in der Luft: Ich schneide mir die Haare, nehme um sechs Uhr morgens ein Bad, male Bilder, trage merkwürdige Kleider, bewerbe mich um Jobs und nehme Drogen. Es gibt neue Leute, in die ich mich verlieben kann, und ich habe etwas an mir, das anziehend wirkt, ich brauche weniger Schlaf und Essen. Dafür trinke ich mehr. Mein Körper fühlt sich gut an, ich laufe aufrecht und energiegeladen durch die Stadt. An diesen Tagen, an denen es mich nach Erfahrungen dürstet, sage ich zu allem Ja und ziehe mir erregt und unruhig die Stiefel wieder an.

Wir nannten es ein Picknick, obwohl niemand wegen des Essens kam, von dem es nur wenig gab – ein paar Schälchen mit Dips vom Laden an der Ecke, die in der Sonne austrockneten, und ein Körbchen Cherry-Tomaten. Unsere Gruppe saß um eine gestreifte Decke in Regenbogenfarben. Es war einer der ersten richtig heißen Tage im Jahr, und die Sonne auf meinen nackten Füßen war eine Wohltat. Immer wieder fuhr ich mir unter dem langen Rock mit den Händen über die Beine.

In London lebten wir mit unseren Netzkarten, Pendlerstrecken und hohen Mieten mitunter sehr isoliert und mussten neue Wege finden, eine Gemeinschaft zu bilden. Daher gingen wir, wenn die Sonne schien, an jedem Wochenende zu den London Fields. Ein ungeschriebenes Gesetz besagte, dass alle, die sich für cool hielten, zu diesem Flecken aus schmutzigem Gras kamen, wo es Pubs, Schnapsläden und Geldautomaten gab, während die Familien und Spaziergänger mit Hunden sich bei den Spielplätzen tummelten.

Das hier war der Ort, an dem die Fantasien der Modezeitschriften aus den Vorstadtschlafzimmern wahr werden konnten. Während ich mit Electro-Pop in den Kopfhörern nach meinen Freunden Ausschau hielt, spazierte ich an Grüppchen von Gothic-Ballerinas und Jungs in Segelklamotten vorbei, die sich auf dem Rasen räkelten. Jedes einzelne Mädchen im Park hatte sein Outfit gründlich durchdacht: Es gab Fünfzigerjahre-Hausfrauen mit Gingham-Kleidern und Kopftuch, Aerobiclehrerinnen aus den Achtzigern in Bodys und Leggins, aristokratische Hippies. Die Jungs sahen aus wie Mods, Skateboarder oder untergewichtige Holzfäller. Es war so heiß, wie es auf Orkney noch nie gewesen war. Ich befand mich in einem fremden Land.

Als ich nach London zog, warf ich mich mitten ins Getümmel. Ich war hochgradig nervös, als ich ankam, hatte keinerlei Gewissheiten außer einem gewissen Glauben an mich selbst. Mehrmals in der Woche stieg ich abends in den Bus, der mich zu den Nachtclubs in Soho und Shoreditch brachte, von denen ich in Zeitschriften gelesen hatte. Ich färbte meine hellen Augenbrauen mit rotem Eyeliner oder schlitzte mit der Schere die Rückseite eines Kleides auf und ging mit einer Flasche in der Hand zur Bushaltestelle. Ich lernte viele Leute kennen in diesem ersten Jahr, Typen, die ich von Online-Message-Boards wiedererkannte und ansprach, während wir darauf warteten, dass die Band auf die Bühne kam. »Ich bin neu hier und abgebrannt, kann ich für deinen Blog schreiben?«, »Ich habe dich auf Friendster gesehen«, »Ich habe deine Online-Kolumne gelesen.«

Es war eine Erlösung, wenn der Erste aus unserer Picknickgruppe vorschlug, Alkohol zu besorgen. Geldscheine wurden herausgekramt und Cider und Wein bestellt. Der Rest von uns wartete; die Mädchen machten Ketten aus Gänseblümchen und flochten sich gegenseitig die Haare, die Jungs drehten abwechselnd eine Runde mit irgendeinem Fahrrad. Wir waren keine Männer und Frauen, sondern übergroße Kinder, die sich kopfüber ins Vergnügen stürzten. Per SMS wurden weitere Leute eingeladen, sich zu uns zu gesellen, die nächste Party versprach Besseres und mehr. Ein Wochenende war chaotischer als das nächste. Wir rasten durch die Gegend, nahmen Taxis und kauften Getränke, die wir uns nicht leisten konnten.

Neben uns lagerte eine Runde hohläugiger Clubbesucher, darunter einer mit Löwenperücke; sie hatten die ganze Nacht nicht geschlafen, fotografierten sich gegenseitig und lachten.