Navy SEAL im Einsatz - Marcus Luttrell - E-Book

Navy SEAL im Einsatz E-Book

Marcus Luttrell

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Beschreibung

Ramadi, die Hauptstadt der vom Krieg zerrütteten al-Anbar- Provinz. Eine der am stärksten umkämpften Städte des Iraks. Dort wird Marcus Luttrell als Mitglied des SEAL Team 5 in einem sechs Monate währenden, erbitterten Häuserkampf Teil des Militäreinsatzes, der später als der größte Sieg in der Geschichte der US Special Operations bezeichnet werden wird. Mitreißend und ergreifend beschreibt er, was es wirklich bedeutet, sich mitten im Kriegseinsatz zu befinden und dabei zuzusehen, wie vertraute Kameraden ihr Leben lassen. Dieses Buch ist eine packende Kriegsgeschichte und gleichzeitig eine zutiefst bewegende Hommage an den Zusammenhalt unter Soldaten und den Kodex, dass niemand allein zurückgelassen wird.

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Seitenzahl: 516

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
 
1. Auflage 2017
 
© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
 
© der Originalausgabe 2012 by ST5 LLC
 
Die englische Originalausgabe erschien 2012 bei Little, Brown and Company unter dem ­Titel Service: A Navy SEAL at War.
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Übersetzung: Stephan Gebauer
Redaktion: Dr. Carina Heer
Umschlaggestaltung: Laura Osswald
Umschlagabbildung: Shutterstock/Urheberrecht: Getmilitaryphotos
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-86883-914-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-243-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi)
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
 
 
 
 
 

Ich widme dieses Buch meinem Bruder, der mit mir durch die Hölle ging, und meiner Frau, die mich aus dem Schatten hervorzerrte.

FTWTTT.

 
 
 
 
 

Der wahre Soldat kämpft nicht, weil er das hasst, was ihm gegenübersteht, sondern weil er das liebt, das hinter ihm steht.

G.K. Chesterton

Inhalt

Vorwort
Einleitung: Brüderlichkeit
Teil I: Wie wir kämpfen
1 Noch eine Runde
2 SEAL-Team 5, Alfa Platoon
3 Gib niemals auf
4 Geradewegs ins Hornissennest
5 Die Übernahmepatrouille
6 Ein Böller unter dem Sitzkissen der Aufständischen
7 Die alten Männer von al-Anbar
8 Unter Feuer und in die Hölle
9 Kampfschwimmer getroffen
10 »Hier kommen wir nicht lebend raus«
11 Mein Feind, mein Freund
12 Südwärts und abwärts
13 »Hier ist Sniper 1«
14 Flug nach al-Asad
15 Blut und Sieg
Teil II: Wie wir leben
16 Gegen die Wand
17 Der Engel auf meiner Schulter
18 »Vielleicht solltet ihr jetzt beten«
19 Damit andere weiterleben
20 Lagerkoller
21 Familienbande
Teil III: Wie wir sterben
22 Die Helden des Tages
23 Die Kriegerköniginnen
24 Die Glieder der Kette
Nachwort: Das leuchtende Riesenrad dreht sich weiter
Im Einsatz getötete Mitglieder der Naval Special Operations von 1943 bis heute
Danksagungen
Bibliografie
Die Autoren

Einige häufig vorkommende Begriffe

COIN: Counter Insurgency, Aufstandsbekämpfung.

COP: Combat Outpost, vorgelagerter Außenposten.

CSAR: Combat Search and Rescue, Such- und Rettungseinsätze.

Currahees: Fallschirmjäger vom 1. Bataillon des 506. Infanterieregiments, 101. Luft­­landedivision.

Dschundis: Bezeichnung für die irakischen Soldaten (»Dschund« ist das arabische Wort für Soldat).

EODler: Kampfmittelräumer (abgeleitet von Explosive Ordinance Disposal, EOD).

IED: Improvised Explosive Device: Sprengfalle (technische Bezeichnung: Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung [USBV]).

LPO: Leading Petty Officer, Offizier, der die Anweisungen des Zugführers (Platoon Chief) umsetzt, entspricht etwa einem Hauptbootsmann.

Master Chief: Oberstabsbootsmann. Unteroffiziersrang in der Navy.

»Neunzeiler«: Für die Freigabe eines Luftangriffs erforderliche Beschreibung des Ziels und Begründung der Notwendigkeit eines Luftschlags.

OIC: Officer in Charge, verantwortlicher Offizier.

Overwatch-Missionen: Missionen, die dazu dienen, anderen Einheiten (z. B. Pionier­einheiten) im Rahmen der »Force Protection« Schutz gegen Angriffe zu gewähren.

Point Man: der SEAL, der im Einsatz an der Spitze der Kolonne geht und sozusagen »die Vorhut« bildet.

Sandy: Bezeichnung für auf Such- und Rettungseinsätze spezialisierte Piloten.

SDVT: SEAL Delivery Vehicle Team. Die Delivery Vehicles sind Kleinst-U-Boote, mit denen die Kampfschwimmer zum Einsatzort gebracht werden.

Senior Chief: Abkürzung für Senior Chief Petty Officer. Stabsbootsmann. Unteroffiziersrang in der Navy.

TOC: Tactical Operations Center, Gefechtsstand.

Triggerman: Aufständischer, der »den Finger am Abzug hat« und eine Sprengfalle auslöst.

Ein Hinweis für den Leser

Die Namen von noch aktiven Mitgliedern der Spezialeinheiten wurden durch Pseudonyme ersetzt. Bei Elitesoldaten außer Dienst werden die richtigen Namen genannt, sofern diese Personen ihre Einwilligung gegeben haben.

Vorwort

Ich habe dieses Buch geschrieben, um das Können, den Mut und die Opferbereitschaft der außergewöhnlichen Menschen zu würdigen, die ich nicht nur in den SEAL-Teams, sondern in sämtlichen Einheiten im Laufe meines Diensts kennengelernt habe. Dies ist ein Buch für alle Soldaten. Es ist all denen gewidmet, die die Uniform tragen, all denen, die sich, wenn die ersten Schüsse krachen, auf das feindliche Feuer zubewegen anstatt davon weg. Es ist einem tapferen Menschenschlag gewidmet, den Kriegern, die alles riskieren, weil es von ihnen erwartet wird, weil sie für die Vereinigten Staaten einstehen und manchmal für sie sterben.

Im Leben gibt es vieles, das wichtig ist. Aber nichts ist so wichtig wie die Frage, wem oder welcher Sache man dienen will.

Die Menschen, über die ich in diesem Buch schreibe, haben ihr Leben einem Zweck gewidmet, der größer ist als sie. Getrieben von der Leidenschaft, ihre Brüder, ihre Schwestern, ihre Nachbarn und ihr Land zu verteidigen, erklärten sie sich aus freien Stücken bereit, ihr Leben an den gefährlichsten Orten der Welt in die Waagschale zu werfen.

In den Jahren, die ich die Uniform getragen habe, war ich einer der Glücklichen. Als stolzes Mitglied der SEALs kann ich nach allem, was geschehen ist, jeden Morgen in den Spiegel schauen.

Ich entschloss mich, dieses Buch zu schreiben, als ich über all die selbstlosen, tapferen Seelen nachdachte, die im Einsatzgebiet meinen Weg gekreuzt hatten. Auf den folgenden Seiten können Sie Einblicke ins Leben unserer Elitesoldaten gewinnen, die hin und wieder in den Schlagzeilen auftauchen, aber am liebsten anonyme, schweigsame Profis bleiben. Und Sie werden von Kriegern aus anderen Teilen des Militärs hören, deren Einsatz mir etwas bedeutet. Am Ende des Buchs werden Sie feststellen, dass wir alle mindestens eine Sache gemein haben: die Fähigkeit, wieder aufzustehen und uns durchzukämpfen, durch den Krieg, durch den Schmerz und zurück ins zivile Leben, wo unser Dienst an unseren Familien und Gemeinden genauso wichtig ist wie alles, was wir in der Uniform geleistet haben.

Ich war einer dieser schweigsamen Profis. Es war mein Schicksal, aus dem Schatten vorzutreten. Ich schrieb Lone Survivor, um das Andenken von drei Brüdern zu würdigen, die an einem Nachmittag in der afghanischen Provinz Kunar mit mir in den Kampf zogen und nicht zurückkehrten. Und ich schrieb es im Gedenken an sechzehn von Amerikas besten Söhnen, die in die Hölle flogen, um uns zu retten, und in einem Hubschrauber starben. Leider kann diese Mission mittlerweile nicht mehr als dunkelster Tag in der Geschichte der amerikanischen Spezialkräfte bezeichnet werden. Es folgten noch größere Rückschläge. Am 6. August 2011 verloren wir 30 unserer besten Männer. Keiner von uns wird diese Verluste je vergessen.

Am Nachmittag des 28. Juni 2005 wachte ich in Afghanistan unter einem Felsvorsprung unterhalb des Gipfels eines Bergs namens Sawtalo Sar auf, nachdem meine drei Kameraden im Kampf gefallen waren und der Hubschrauber, der das Rettungsteam gebracht hatte, von mir unbemerkt abgeschossen worden war. Ich verlor dort draußen ein Stück von mir. Wenn wir an einer Aufgabe scheitern, einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen und in einer Mission oder in unserer Laufbahn eine Niederlage erleiden, verändern wir uns. Tun wir es nicht, so haben wir erneut versagt. Aber lange vor diesem unglückseligen Einsatz hatte ich gelernt, dass meine Stärke zum Teil darauf beruhte, dass ich nie zuließ, dass mich eine einzelne Erfahrung völlig bestimmte. Ich glaube, dass alles einen Grund hat. Die Situationen, in denen ich mich wiederfand, waren die Pflastersteine auf einem Weg zum einem höheren, unergründlichen Bestimmungsort. Ich habe jetzt eine Frau und einen Sohn, ich bin mit so vielen wunderbaren Dingen gesegnet. Aber eines bleibt unverändert: Nach jedem Schritt, auch nach einem Fehltritt, werde ich meinen Rucksack schultern, meine Kräfte sammeln und weitermarschieren. Ich kann nur hoffen, dass es mir auch weiterhin gelingen wird, denn ich habe eine Familie, die mich liebt. Ein Teil davon sind Blutsverwandte. Andere sind Blutsbrüder, Männer, die sich die Ehre verdient haben, den Trident zu tragen, und als Teamkameraden gelernt haben, wie wahr das Motto der SEALs ist: »Der einzige leichte Tag war gestern.« Viele Mitglieder meiner Familie leben, atmen und arbeiten an gefährlichen Orten der Welt, ohne dass die Öffentlichkeit davon weiß. Einige von ihnen sind nicht mehr bei uns. Sie haben den höchsten Preis bezahlt, als sie ihre Pflicht erfüllten, und wachen als Tote über uns. Sie versprachen, ihren Dienst zu leisten, und gaben alles, was sie hatten, um dieses Versprechen einzulösen. Unsere Familie wird nicht durch die Ausbildung, den Mut oder das Können zusammengehalten, sondern durch Liebe, Ehre, Pflicht und Loyalität.

Dieses Buch ist ein Salut an alle, die das Sternenbanner auf der Schulter getragen haben, für dieses Land zur Waffe gegriffen und die Front bewacht oder hinter den feindlichen Linien im Einsatz gewesen sind – sei es in den heutigen oder in früheren Kriegen. Zu viele Helden bekommen nie die öffentliche Anerkennung, die sie verdient hätten. Ich bin stolz darauf, einige ihrer Geschichten aus meiner persönlichen Perspektive schildern zu können. Seit der Veröffentlichung von Lone Survivor ist meine persönliche Geschichte in der Öffentlichkeit. Ich habe das Gefühl, dass es dort draußen viele andere gibt, die öffentliche Anerkennung für ihre Dienste verdienen. Im Kriegsdienst gingen sie an ihre Grenzen. Sie gaben alles – und bekamen dafür etwas, was außer den Kämpfern niemand für sich in Anspruch nehmen kann: Gemeinsam bilden sie einen Faden, der in das Gewebe der Geschichte Amerikas eingeflochten ist. Sie sind Teil von etwas, das größer als sie ist. Es gibt im Leben noch andere Dinge, die zählen. Aber in meinen Augen zählt nichts so viel.

Februar 2012

EinleitungBrüderlichkeit

Oktober 2009Pensacola, Florida

Es war gegen vier Uhr morgens, als mein Handy zu summen begann. Ich setzte mich auf, nahm es vom Nachttisch und starrte auf das Display. Der Anrufer war JT, einer meiner engsten Teamkameraden.

Es war klar, was ein Anruf um diese Uhrzeit bedeutete. Ich wischte mit dem Finger über das Display und fragte: »Was ist mit meinem Bruder?«

Es musste um Morgan gehen, und ich hatte recht.

»Sein Zustand ist stabil, Bro, aber es hat ihn übel erwischt.«

Ich fühlte, wie mich Schwäche überfiel. »Ich bin auf dem Weg.« Als ich auflegte, wurde mir übel. Ich lief ins Bad und übergab mich.

JT hatte aus dem Naval Medical Center in Portsmouth angerufen. Mein Bruder und sein Platoon hatten in der Nacht knapp 40 Kilometer vor der Küste von Virginia an einer Übung teilgenommen. Es war eine wolkenlose Nacht, und es herrschte nur geringer Wellengang, als sich der Black Hawk einem Kriegsschiff näherte. Der Hubschrauber ging auf der ­Backbordseite in den Sinkflug und blieb in geringer Höhe über dem Deck der USNS ­Arctic in der Luft stehen. Die Besatzung ließ die Seile herab, die wie schlaffe Feuer­wehrrutschstangen vom Vogel zum Deck hingen. Morgan und seine Kameraden saßen mit baumelnden Beinen in der offenen rechten Tür bereit.

Die amerikanische Marine beteiligte sich am Kampf gegen die internationale Piraterie, weshalb Übungen wie diese ein fester Bestandteil der Ausbildung waren. Die SEALs mussten lernen, Piraten aufzuspüren und ihre Schiffe zu entern. Es war sechs Monate her, dass somalische Piraten das Containerschiff Maersk Alabama gekapert und den amerikanischen Kapitän als Geisel genommen hatten. Eines unserer Scharfschützenteams hatte auf dem überhängenden Teil des Hecks eines amerikanischen Kriegsschiffs Position bezogen und die drei Geiselnehmer erschossen.

Als nun mein Bruder und seine Kameraden gerade mit dem Abseilen beginnen wollten, durchtrennte der Hauptrotor des Hubschraubers ein schweres Spannkabel, das einen der riesigen Schornsteine des Schiffs stabilisierte. Die Rotorblätter verfingen sich in dem dicken Kabel, und der Black Hawk geriet außer Kontrolle. Die in der Tür sitzenden SEALs wurden in den linken Teil des Laderaums geschleudert. Der Hubschrauber krachte auf das Deck, Stahl auf noch dickeren Stahl, und kippte auf die Seite. Von dem Aufprall benommen, sah Morgan Feuer, das, wie aus einem riesigen Flammenwerfer geschossen, auf ihn zuraste. Er konnte nicht aufstehen und versuchte, dem Inferno kriechend zu entfliehen. Es gelang ihm, aus dem Wrack zu entkommen, aber dann fiel er über eine Kante fünf Meter hinab auf das nächste Deck des Schiffs. Bei dem Aufprall verlor er das Bewusstsein.

Während die Schiffsfeuerwehr das Feuer löschte, barg ein Team in Schutzausrüstung die Verletzten. Bei einer schnellen Sichtung der Lage stellte sich heraus, dass der Kommandant der Hubschrauberbesatzung tot war. Acht weitere Männer, darunter Morgan, waren schwer verletzt. Innerhalb kürzester Zeit flog ein Hubschrauber die Verwundeten nach Portsmouth aus. Vom Krankenhaus aus verbreitete sich die Nachricht von dem Unglück wie ein Lauffeuer.

Als JT anrief, war ich in Florida, wo ich mich nach einer Rückenoperation einer Reha unterzog. Nach den letzten beiden Kampfeinsätzen war meine Wirbelsäule eine Großbaustelle für die Ärzte, aber nichts konnte mich davon abhalten, nach Portsmouth zu fliegen, um meinen Bruder zu besuchen. Morgan und ich lassen immer alles stehen und liegen, um einander zur Seite zu stehen – und zwar wirklich immer. Ich rief einen großherzigen Freund an, der ein Privatflugzeug besaß, und zwang ihn, mir zu helfen. Während er nach Pensacola flog, um mich abzuholen, packte ich eine Tasche, sprang in meinen Mietwagen und raste zum Flughafen. Wenige Stunden später verschwand der Golf von Mexiko hinter uns.

Der Flug in den Norden schien ewig zu dauern, und je näher wir dem Flughafen Norfolk in der Nähe von Portsmouth kamen, desto langsamer schien die Zeit zu vergehen. Als ich im Krankenhaus eintraf, wartete Morgan gerade auf ein MRT. Als ich das MRT-Labor betrat, hob er den Kopf und zwinkerte in meine Richtung. Ich lief zu ihm hinüber. Sie hatten ihn auf einer Trage festgeschnallt, da er unter heftigem Schluckauf litt. Jeder der kleinen Zwerchfellkrämpfe schüttelte seinen zerschlagenen Oberkörper unter furchtbaren Schmerzen durch. Unsere Blicke trafen sich, und mein Hals schnürte sich zusammen, als ich ihn so daliegen sah. Mein Magen hob sich erneut, aber er enthielt nichts mehr, was ich hätte erbrechen können.

»Hey, mijo« sagte er. Der spanische Spitzname, den er mir gegeben hatte, bedeutet so viel wie »Kleiner«. Der Klang seiner Stimme holte mich in die Wirklichkeit zurück. Ich nahm seine Hand, umarmte ihn behutsam und sagte: »Ich bin hier, Brüderchen. Wir schaffen das.«

Der Techniker starrte konzentriert auf seinen Computerbildschirm und schien mich nicht bemerkt zu haben. Anscheinend konnten sie das MRT nicht machen, solange der Patient unter Schluckauf litt, aber sie taten nichts, um die Krämpfe zu stoppen. Ich machte dem Techniker klar, dass er seine Arbeit machen solle: »Heben Sie Ihren faulen Arsch und helfen Sie meinem Bruder, bevor ich Ihnen die Arme abreiße und Sie damit durchprügle!« Im Handumdrehen bekam Morgan ein Medikament, und als der Schluckauf nachließ, schoben die Techniker ihn in die Röhre.

Meinen Bruder dort liegen zu sehen und ihm nicht helfen zu können zerriss mich innerlich. Er ist einer der härtesten Männer, die ich kenne. Er kann nicht einfach nur Schmerzen ertragen, sondern er bietet dem Schmerz die Stirn.

Als er sich im College das Sprunggelenk anknackste und kein Geld für den Arzt hatte, humpelte er mehrere Wochen mit dem verletzten Fuß he­rum, weil er zu den Vorlesungen gehen und arbeiten musste. Im Lauf seines Dienstes hatte er sich zahlreiche Knochen gebrochen und eine Vielzahl blutender Wunden zugezogen, aber verglichen mit dem hier, waren das alles Lappalien: Das MRT zeigte, dass seine Wirbelsäule an sechs Stellen gebrochen war. Außerdem hatte er einen Beckenbruch erlitten.

Im Warteraum rief ich JT und einen weiteren Kameraden an, der den Spitznamen »Boss« trug. In den fünf Tagen, die Morgan im Krankenhaus verbrachte, stellten wir in seinem Zimmer ein Feldbett auf und ließen ihn nicht eine Minute lang allein. Wir hielten abwechselnd rund um die Uhr Wache. Morgan nimmt keine Schmerzmittel, es sei denn, die Schmerzen lassen ihn nicht schlafen oder stören auf andere Art den Heilungsprozess. Also taten wir unser Bestes, um ihn abzulenken. Wir sorgten dafür, dass er Besuch bekam, wenn er Gesellschaft wollte. Wir beschafften ihm einen DVD-Player und etwas zu lesen und bemühten uns um eine heitere Atmosphäre. Doch vor allem gaben wir ihm Raum, sich auszuruhen.

Wenn er sich erleichtern musste, schickten wir die Schwestern hinaus und machten die Arbeit selbst. Einer von uns packte ihn an den Schultern, der Zweite an den Füßen und der Dritte an der Hüfte, um ihn behutsam zur Seite zu rollen, damit er sein Geschäft verrichten konnte. Da ihm all diese Medikamente und Flüssigkeiten in die Adern gepumpt wurden, war das normalerweise eine Sauerei. (Es war wie in dieser Szene in Der Exorzist, nur dass es am anderen Ende herauskam.) Es war immer klar, wer im Raum den niedrigsten Rang hatte, denn dieser Mann war für das Putzen zuständig. Was immer Morgan brauchte, wir taten unser Bestes. Denn das tun Brüder füreinander.

Aber es ist unmöglich, Morgan lange Zeit stillzuhalten. Als sein Appetit zurückkehrte, war uns klar, dass er auf dem Weg der Besserung war. Und als JT anfing, mit den Schwestern zu flirten, wusste ich, dass wir ein weiteres Stück des Weges geschafft hatten: Wenn wir anfangen konnten, uns wieder ein bisschen um uns selbst zu kümmern, war klar, dass Morgans Lage sich verbessert hatte. An diesem Punkt begannen wir, ihn mit liebevoller Härte anzufassen.

»Dein Rücken ist gebrochen – willkommen in meiner Welt, Bruder. Hat ganz schön gedauert, bist du das geschafft hast!«

»Du tust dir hoffentlich nicht leid, nicht wahr?«

»Wenn du dich ein bisschen zusammenreißt, wird das hier schnell vorbei sein.«

»Wenn du es nicht schaffst, wird dein Team ohne dich zum Einsatz aufbrechen.«

Diese Aussicht machte ihm am meisten zu schaffen.

Wenn die Ärzte vorbeischauten, fragten wir sie, ob sie die große Narbe von seiner Stirn auf die Wange verlegen könnten, da die meisten Mädchen Narben an der Stelle lieber mögen.

Hin und wieder gewährten wir ihm eine Atempause, aber die meiste Zeit sorgten wir dafür, dass ihm klar war, dass sein Team mit seiner Rückkehr rechnete, sobald er die Operationen und die Reha hinter sich hatte. Wir hielten sein Elend auf einigen urkomischen Fotos für die Nachwelt fest, denn es würde der Tag kommen, an dem wir diese Fotos hervorkramen müssten, damit er demütig blieb.

Als er die chirurgischen Eingriffe hinter sich und eine Weile das Kranken­hausleben genossen hatte, sagte Morgan schließlich: »Bro, ich muss unbedingt hier raus.« Nicht, dass er unser inoffizielles Trainingsprogramm sattgehabt hätte – er war einfach an dem Punkt angelangt, an dem er die Gefangenschaft nicht länger ertragen konnte. Also entwarfen wir einen Evakuierungsplan.

Es würde ein schneller und schmutziger Einsatz werden, und da wir auf einen Mann wie JT zählen konnten, waren wir überzeugt, dass es tatsächlich klappen würde. Als die Nacht einbrach, ging JT hinaus auf den Gang und begann, eine der Schwestern anzumachen. Als wir Gelächter hörten, schlüpfte Boss in einen geborgten Laborkittel, hievte Morgan in seinen Rollstuhl und schob ihn hinaus. Einfach so. Gegen den ärztlichen Rat rollten wir ihn zur Tür hinaus. Er war frei. Wir hatten die »Operation Heimkehr« erfolgreich abgeschlossen.

Ich nahm Morgan mit nach Pensacola, wo ich selbst zur Reha gewesen war, als JT mir die Nachricht überbracht hatte. Gemeinsam begannen wir mit einem speziellen Rehaprogramm in einer ausgezeichneten Einrichtung namens Athletes’ Performance, die sich darauf spezialisiert hat, Leute wie uns wieder in Form zu bringen. Da ich selbst schon einige Zeit dort verbracht hatte, wusste ich, wie schwer es sein würde, Morgan vollkommen wiederherzustellen. Aber ich wusste auch, dass er alles tun würde, was nötig war, um es zu schaffen. Aufzugeben ist unmöglich, wenn eine Bruderschaft wie unsere dich in die Mitte nimmt und entschlossen ist, dich wieder auf die Beine zu bringen. Meine Brüder hatten es für mich getan, nachdem ich im Juli 2005 von der »Operation Redwing« zurückgekehrt war. Jetzt würden wir dasselbe für Morgan tun.

Im Kriegseinsatz festigen sich die Beziehungen zu den Brüdern unter dem Druck ständiger Gefahr. Die Bindungen werden dauerhaft und sind nicht mit irgendwelchen anderen Beziehungen zu vergleichen, die man im Lauf seines Lebens knüpft. Die Beziehungen zu den Menschen außerhalb der inneren Bruderschaft wirken dagegen flüchtig, vorübergehend und austauschbar. Wir aber sind Brüder. Das wird mir jedes Mal bewusst, wenn ich im zivilen Leben einem Kriegsveteranen über den Weg laufe.

Es gibt nicht vieles, was die 2,4 Millionen Männer und Frauen, die im Irak und in Afghanistan gedient haben, voneinander trennt. Wir haben die staubige Luft im Irak geschmeckt und im Hindukusch unter diesem Brennen in den Lungen gelitten. Wir haben uns in Humvees und Black Hawks gezwängt und wurden beschossen. Wir haben in langsam dahinkriechenden Konvois gesteckt und uns gefragt, was das nächste Schlagloch wohl für uns bereithält. Ich denke an die Soldaten und US-Marines, die Seite an Seite mit uns gekämpft haben, an die Spähtrupps und Sprengmeister, die Bombentechniker, die Fliegerleittrupps, die Leute von der Aufklärung, die Piloten und das Unterstützungspersonal, die Ärzte und Sanitäter, die Versorgungszüge und all die anderen. Und selbstverständlich denke ich vor allem an meine Teamkameraden. Viele von ihnen stehen immer noch im Dienst, schreiben weiterhin ihre Geschichten und machen den Feinden Amerikas die Hölle heiß. Die Gedanken an sie tragen mich zurück in die gute alte Zeit. Ich weiß, dass ich ohne sie nicht hier wäre.

Es gibt nur einen Weg aus der Hölle: geradewegs hindurch. Wenn man diesen Weg beschreitet, ist es immer gut, wenn man seine Brüder zur Seite hat.

Teil I Wie wir kämpfen

1Noch eine Runde

In jedem Team und insbesondere in einer Gruppe von sehr engagierten Personen, die sich einer schwierigen Mission verschrieben haben, findet man wiederum kleinere Gruppen, die eine untrennbare Einheit bilden und sich aufeinander verlassen können, wenn es hart auf hart kommt. So ist es immer gewesen bei den Männern, die den Mittelpunkt meiner Welt bilden. Die Naval Amphibious Base Coronado, der Heimatstützpunkt der SEAL-Teams, liegt direkt am Strand, nur wenige Schritte von den Weiten des Pazifik entfernt. In Coronado, wo die SEALs geboren werden, wurden wir durch eine Kraft zusammengeschweißt, die teils Persönlichkeit und teils Sensibilität war. Wir zogen einander an wie Magneten.

JT ist einer von ihnen. Er ist ein Junge aus Iowa, hart wie ein Maiskolben, 1,90 Meter groß, so fit und stark, wie Gott einen Mann nur schaffen kann. Er ist ein Triathlon-Champion und natürlich einer der besten Kämpfer in der SEAL-Gemeinschaft. Mit seinem schonungslosen Scharfsinn und seiner schockierenden Durchschlagskraft in jedem Kampf ist er die Art von Mann, die man gerne an seiner Seite hat, sei es im Kampfgebiet oder in einer Kleinstadtbar, in der sich ohne jeden Grund eine Schlägerei anbahnt. Mit seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit ist er in den meisten Situationen unser Point Man. Extrovertiert und heiter, ist er jederzeit bereit, uns mit seinem impulsiven Übermut zu überraschen. Er ist immer so gewesen.

Ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil unseres Kreises ist Boss. Er stammt aus Arizona und gehörte im BUD/S-Kurs, dem Ausbildungskurs, aus dem die Kampfschwimmer hervorgehen, meiner Bootscrew an. Er ist ein echter Freund und Teamkollege. Boss teilte sich mit JT eine Wohnung, bis er sich schließlich entschloss, seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen. Ihre Beziehung war so eng, dass JT der Verlobten seines Freundes in ernstem Ton eröffnete, sie könne Boss erst heiraten, wenn die Scheidung der beiden SEALs amtlich sei. Boss ist der personifizierte Kampfgeist. Er ist so kämpferisch, dass ich mir vorstellen kann, wie er den ganzen Weg ins alte Griechenland fliegt, um in den Körper eines schwer bewaffneten Spartaners zu fahren, der mit seiner Einheit bei den Thermopylen eingekesselt ist. Manchmal habe ich den Eindruck, dass dieser außergewöhnliche Fallschirmspringer, der in jedem Feuergefecht Angst und Schrecken verbreitet, im falschen Jahrhundert geboren wurde.

Zu unserer Gruppe gehört auch Josh, ein 1,95 Meter großes Energiebündel mit einem brillanten Kopf. Nach dem Abschluss an der Marineakademie entschied sich dieser Hinterwäldler aus Louisiana, sich am BUD/S-Kurs zu versuchen. Er machte seinen Abschluss in der Klasse 232, genau zwischen Morgan und mir, und gehörte unterschiedlichen Platoons an, bevor er eine Pause einlegte, um einen Abschluss an der Columbia University zu machen. Anschließend kehrte er zurück und wurde einer der besten SEALs. Zwischen uns besteht eine ganz besondere Energie, und abgesehen von meinem Zwillingsbruder Morgan gibt es niemandem, dem ich bereitwilliger die Aufgabe übertragen würde, mir Deckung zugeben.

JJ, einer von relativ wenigen Schwarzen in den SEAL-Teams, stammt aus Oklahoma, bezeichnet mittlerweile jedoch Texas als seine Heimat. Er begann seine Laufbahn in meiner ursprünglichen Einheit, dem SEAL Delivery Vehicle Team 1 (SDTV-1), in dem die Hochseekampfschwimmer schlechthin zu Hause sind. Sein Funkrufzeichen war Underwater Brother. JJ ist ein wilder Kämpfer. Dieser zuverlässige Kamerad, der sich in Feuergefechten in einen Furcht einflößenden Krieger verwandelt, ist fast während meiner gesamten Laufbahn an meiner Seite gewesen. Ich war mehr als einmal nahe dran, mein Leben zu verlieren. Dass ich noch in dieser Welt bin, verdanke ich JJ.

Und dann ist da mein Zwillingsbruder Morgan, der sieben Minuten älter ist als ich. Wir sind unzertrennlich. Als ich verwundet auf jenem Berg in Afghanistan lag und die Medien über meinen Tod berichteten, fühlte Morgan, dass ich am Leben war. Er versicherte den Freunden und Fremden, die sich außerhalb von Huntsville in Texas auf der Ranch unserer Familie versammelt hatten, dass ich nicht tot sei. Er sagte immer wieder: »Wenn sie seine Leiche noch nicht gefunden haben, ist er nicht tot.« Er schien es zu wissen. Es war die Verbindung zwischen Zwillingen. Wir sagen oft, dass wir »from the womb to the tomb« (vom Mutterleib bis ins Grab) zusammen sein werden: FTWTTT.

Die SEALs sind ein großer Kreis, aber diese Männer bilden den Kern meiner Welt. Als ich von der »Operation Redwing« zurückkehrte, brauchte ich im Grunde nur ihre Gegenwart, um wieder auf die Beine zu kommen. Wir haben zusammen geblutet, geschwitzt und Tränen vergossen. Wir haben die Unterkünfte geteilt und dieselben Ausbildungs- und Einsatzzyklen durchlaufen. In welche Richtung ich auch immer schaute, ich wusste, dass einer dieser Jungs hinter mir stand. Je länger wir einander kannten, desto deutlicher wurde uns eine Wahrheit bewusst, die schwer in der Luft hing, wann immer wir zusammen waren: Dies konnte unser letzter gemeinsamer Tag sein. Also genossen wir jeden Tag, als wäre es unser letzter.

Es hört sich hart an, wenn man es ausspricht, aber Morgan und ich sind uns immer ziemlich sicher gewesen, dass wir unseren vierzigsten Geburtstag nicht erleben würden. Irgendwo würde irgendetwas geschehen. Wir würden in einer Flamme des Ruhms verglühen, und feiern würde uns nur unsere Bruderschaft.

In Afghanistan wäre es für mich fast so weit gewesen. Ich habe viel Glück gehabt, lebend nach Hause zurückzukehren. Aber ich hätte meine Heimkehr, ohne zu zögern, für die Chance geopfert, einen der Kameraden, die wir an jenem Tag verloren hatten, zu seiner Familie zurückzubringen.

Am 27. Juni 2005 hatte unser vierköpfiges Aufklärungsteam in fast 3 000 Meter Höhe unterhalb eines Berggipfels im Hindukusch gesessen. Unsere Mission: Wir sollten einen hochrangigen Taliban gefangen nehmen oder töten. Am nächsten Tag wurden wir von mehreren Ziegenhirten entdeckt, die ihre Herde auf den Berg geführt hatten. Wir nahmen sie gefangen und besprachen, was mit ihnen zu tun sei. Sollten wir sie töten, damit sie uns nicht verraten konnten, oder sollten wir sie gehen lassen? Wir entschlossen uns, das menschlich Richtige zu tun, und ließen sie frei. Kurze Zeit später waren wir von einer Gruppe schwer bewaffneter Taliban umringt, die sehr wütend über unsere Anwesenheit auf ihrem Berg waren. Angesichts der feindlichen Übermacht taten wir, wozu wir ausgebildet worden waren: Wir bewegten uns gemeinsam, kämpften diszipliniert und zogen uns über einen felsigen Steilhang zurück – das heißt, wir plumpsten die meiste Zeit von Fels zu Fels. Wir gaben dosierte Feuerstöße ab und töteten mehrere Feinde, aber wir konnten dem Kugelhagel nicht standhalten.

Danny Dietz, unser Funker und ein sagenhafter SEAL, wurde von zahlreichen Kugeln getroffen und starb in meinen Armen. Der Kommandant unserer Einheit, Lieutenant Michael Murphy, verließ die Deckung, um über Funk Hilfe anzufordern, obwohl er wusste, dass er dabei sein Leben verlieren würde. Matt Axelson, unser Scharfschütze, kämpfte trotz eines Kopfschusses wie ein Löwe weiter. Wir wurden getrennt, als eine aus einer Panzerbüchse abgefeuerte Granate in der Nähe einschlug und uns in verschiedene Richtungen wegschleuderte. Ich versuchte, Axe zu finden, denn ich wollte nicht alleine sterben, aber er war für immer fort.

Diese Männer gaben alles und noch ein wenig mehr. Sie gaben nicht auf, bis ihr Herz zu schlagen aufhörte. Wir werden sie nie vergessen.

Am frühen Nachmittag kam ich in einer Felsspalte zu Bewusstsein, in der ich Schutz gesucht hatte. Ich war von steilen Felswänden umgeben. Während ich meine Wunden versorgte und mich vor den feindlichen Kämpfern verborgen zu halten versuchte, die die Umgebung nach uns absuchten, näherte sich ohne mein Wissen ein Chinook-Hubschrauber, der ein sechzehnköpfiges Rettungsteam an Bord hatte. Als der Vogel die SEALs gerade absetzen wollte, schoss ein junger Taliban mit einer Panzerbüchse eine Granate in die offene Ladeluke. Der Hubschrauber ging in Flammen auf, und die gesamte Besatzung verlor das Leben.

Als ich schwer verwundet in der Wildnis lag und einem langsamen Tod durch Blutverlust, Unterkühlung und Dehydrierung entgegensah, betete ich zu Gott. Und dann kam eine unerwartete Rettung: Ich stieß auf eine Gruppe von Paschtunen, die keine Anhänger der Taliban waren. Sie brachten mich in ihr Dorf und schützten mich wie einen der ihren vor meinen Verfolgern.

Wie sich herausstellte, hatte Gott jedes meiner Worte gehört. Er legte mein Leben in die Hände eines Arztes namens Sarawa und eines Mannes namens Gulab, der der Sohn des Dorfältesten war. Gulab pflegte mich in seinem Haus und beschützte mich, bis nach vier Tagen meine Waffenbrüder kamen, um mich abzuholen, wie sie es immer für einen der Ihren tun.

Nach all den Schlagzeilen über unsere Verluste an jenem Tag – es waren die bis dahin schlimmsten in der Geschichte der SEALs – sorgte meine Rettung für erneuten Medienrummel. Unmittelbar vor meiner Ankunft in San Antonio erhielt JJ einen Anrief von einer Reporterin eines nationalen Fernsehsenders. Sie wollte unbedingt als Erste mit mir sprechen und verlangte ein Exklusivinterview. »Das Volk will das hören«, sagte sie. JJ antwortete in seiner lockeren, aber bestimmten Art: »Sagen Sie dem Volk einfach, es soll sich bedanken. Das ist so ziemlich alles, was das Volk hören muss.« Sie bot ihm Geld an, aber er legte auf. Sie brachte trotzdem ihren »Exklusivbericht«. Die Details, die ihr fehlten, dachte sie sich einfach aus.

Etwa eine halbe Stunde nach JJs Telefonat mit der Reporterin stieg ich aus dem Flugzeug und humpelte die Treppe hinunter, um meine Brüder in die Arme zu schließen. In ihrer Gesellschaft begann ich mein zweites Leben. Aber auf der vierstündigen Fahrt vom Flughafen nach Hause konnte ich nicht viel sprechen, denn die Emotionen waren noch zu frisch. Mir genügte die reine Anwesenheit meiner Brüder; ihr Anblick rief mir in Erinnerung, wie ich eigentlich sein sollte. Ich spürte den überwältigenden Drang, wieder in Ordnung zu kommen und wie sie zu werden. Sobald mein Körper es mir erlaubte, würde ich mich von den Ärzten verabschieden, wieder in den Sattel steigen, in mein SEAL-Team zurückkehren, mit meinen Brüdern lachen und tun, wofür jedes Mitglied dieser Teams gemacht ist: mich auf den Weg in den nächsten Krieg machen.

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Ich war kaum drei Wochen in der Heimat, als Morgan den Marschbefehl erhielt. Er würde sich wieder dem SDVT-1 in Hawaii anschließen. So lief es immer: Jedes Mal, wenn wir uns trafen, war er auf dem Sprung zu einem neuen Einsatz und umgekehrt. Es war immer so, in Afghanistan und Texas, im Irak und auf Hawaii und an all den anderen Orten dazwischen.

Ich folgte ihm wenige Wochen später und schloss mich im August unserem Team in Pearl Harbor an. Ich liebte die SDV-Teams. Sie sind die fleißigsten Schwimmer in der Navy. Aber jedes Mal, wenn ich bei ihnen war, klaffte dort ein riesiges Loch: Die Jungs von der »Operation Redwing« waren fort. SDVT-11 hatte am 28. Juni 2005 einen furchtbaren Schlag hinnehmen müssen. Und dennoch: Die verlorenen Teamkameraden sind immer noch ein Teil von mir. Sie leben in meiner Seele weiter. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an sie denke und sie vermisse. Aber ich musste mich auf meinen Dienst konzentrieren, was nicht immer einfach war.

Mein Zwillingsbruder ist ein wunderbarer Mensch und zweifellos ein doppelt so guter SEAL wie ich. Aber wir sind beide stärker, wenn wir zusammen sind. Nur dann sind wir ein Ganzes. Wir haben unser ganzes Leben zusammen gekämpft – und wir sind kämpfend aufgewachsen, von der Grundschule bis zum College. Wir mussten Kneipenschlägereien überstehen. Kampfsportturniere. Straßenkämpfe. Wir waren immer ein tolles Team. Wenn wir Seite an Seite kämpfen, sind wir eine Person. Wenn ich zu einem Tiefschlag ansetze, holt er zu einem Kopftreffer aus.

FTWTTT.

Wir haben in guten und schlechten Zeiten Seite an Seite gestanden. Unser Vater sorgte dafür. Wenn wir nach einer langen Nacht heimkehrten und einer von uns ein blaues Auge abbekommen hatte, während der andere unversehrt war, gab es Ärger, weil Dad wusste, dass der Unversehrte nicht für seinen Bruder eingetreten war. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen Morgan und ich uns untereinander prügelten, sah sich unser Vater das Ergebnis an und verabreichte dem Sieger eine Abreibung dafür, dass er seinen Bruder geschlagen hatte – um dann den anderen für seine Niederlage zu bestrafen. Nachdem wir so aufgewachsen waren, lag es nahe, dass wir die Uniform anzogen und gemeinsam in den Krieg zogen. Als ich heimkehrte, wünschte ich mir nun mehr als je zuvor, dass es wieder so würde wie damals in Osttexas: Ich wollte wieder Rücken an Rücken mit meinem Bruder stehen und es mit der Welt aufnehmen.

Also fasste ich einen Entschluss: Ich würde von nun an keinen Tag mehr meinen Dienst verrichten, ohne Morgan an meiner Seite zu haben. Das Kommando war einverstanden, und wir erhielten beide den Befehl, uns dem Team 5 anzuschließen, das als Nächstes mit einem Auslandseinsatz an der Reihe war. Da ich wegen meiner Verletzungen noch zur Physiotherapie musste, stieg ich mit Verspätung in das Training ein, aber ich wurde rechtzeitig fertig, um mich zu Morgan und meinen neuen Teamkollegen im Team 5 zu gesellen.

An einem schönen Strand in Coronado, der als »Silver Strand« bezeichnet wird, hörte ich die Schreie der BUD/S-Teilnehmer, die um ihre Tridents kämpften, und das Gebrüll der Ausbilder, die den Soldaten die Hölle heiß machten. Ich erinnerte mich daran, wie schwer es gewesen war, ein SEAL zu werden. Der Geruch des mächtigen Pazifik, dessen Wasser im Dezember eisig und das restliche Jahr einfach nur kalt ist, weckte meine Lebensgeister und spornte mich an, mir zurückzuholen, was ich verloren hatte.

Aber es würde schwer werden, wieder aufs Pferd zu steigen.

Einige meiner Bandscheiben waren gebrochen und zermalmt worden wie die Nüsse in einem Nussknacker. Meine Schusshand war derart in Mitleidenschaft gezogen, dass sie trotz der Handwerkskunst der Chirurgen im Marinekrankenhaus, die sie mit Metallstangen und transplantierten Bändern zusammengeflickt hatten, nicht mehr vollkommen beweglich war (die Beweglichkeit ist bis heute nicht wiederhergestellt). Und ein eigenartiger Parasit trieb immer noch sein Unwesen in meinen Eingeweiden und ließ sich nicht vertreiben.

Trotzdem tat ich mein Bestes, um mit den Jungs in Team 5 mitzuhalten.

Mein Lieblingsbuch, Der Graf von Monte Christo, handelt von der Rache. Dasselbe gilt für einen meiner Lieblingsfilme, Der blutige Pfad Gottes, der die Geschichte von zwei irischen Brüdern erzählt, die in Boston den Kampf mit der Russenmafia aufnehmen. (Der Film hat bei den SEALs Kultstatus.) In unserer Bruderschaft gilt ein ehernes Gesetz: Wenn du niedergeschlagen wirst, stehst du auf und schlägst zurück. SEALs geben nie auf. Wir vergeben nicht und vergessen nicht. Nie.

Sie werden für Mikeys Tod bezahlen.

Und für Dannys Tod.

Und für Axes Tod.

Und für den Tod der sechzehn Krieger, die uns an jenem Tag zu Hilfe eilten. Sie standen alle in der Blüte ihres Lebens. Sie waren zwischen einundzwanzig und vierzig Jahren alt. Da waren die SEALs: Lieutenant Commander Erik S. Kristensen, Jacques J. Fontan, Daniel R. Healy, Jeffrey A. Lucas, Michael M. McGreevy jr., Shane E. Patton, James E. Suh und Jeffrey S. Taylor. Außerdem die Hubschraubercrew aus dem 160th Special Operations Aviation Regiment, die »Night Stalkers«: Shamus O. Goare, Corey J. Goodnature, Kip A. Jacoby, Marcus V. Muralles, James W. Ponder III., Stephen C. Reich, Michael L. Russell und Chris J. Scherkenbach.

Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht vergeben.

Das Team 5 hatte die Hände voll zu tun, um sich in der spartanischen Umgebung der NSW-Anlage (Naval Special Warfare, Spezialeinheiten der Navy) in Coronado auf seinen Einsatz vorzubereiten. Wenn das Training abgeschlossen wäre, würden wir in den Irak aufbrechen. Der Müllplatz des Nahen Ostens stand nicht nur am Rand des Bürgerkriegs, sondern war komplett vom Zusammenbruch bedroht. Es war uns klar, dass unsere dortige Mission sehr viel mehr umfassen würde als die Vergeltung, nach der ich mich sehnte. Aber ich hoffte, dass ich mir zumindest in meinen Augen wieder das Privileg verdienen konnte, den Trident an der Brust zu tragen, indem ich in den Krieg zurückkehrte. Bei den Teams haben wir eine Redewendung: »Verdiene dir deinen Trident jeden Tag.« Ein SEAL zu bleiben ist schwerer, als ein SEAL zu werden.

Morgan rückte mir immer den Kopf gerade, wenn ich Zweifel hatte. Er kannte mein Herz und meine Seele und fragte mich: »Steigt ein Feuerwehrmann aus, nachdem er in einem brennenden Haus gewesen ist? Gibt ein Cowboy das Reiten auf, wenn er von einem Pferd abgeworfen wird? Nein, das tut er nicht. Und du wirst wieder auf das Pferd steigen und ins Feuer zurückreiten.« Vermutlich wusste er, dass das genau die Worte waren, die ich hören musste.

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Jedes Team hat seinen eigenen Ruf. Das Team 1, das an der Westküste stationiert ist, wird als »Stalag 1« bezeichnet, weil es hier traditionell sehr streng zugeht. Das Team 2, das seinen Heimatstützpunkt an der Ostküste hat, wird »BUD/S Team 2« genannt, weil seine Kommandeure auf einem harten körperlichen Training beharren. Diese beiden Teams blicken auf eine lange Geschichte glorreicher Kampfeinsätze zurück, die mehr als fünfzig Jahre bis in die Gründungszeit der Einheit im Vietnamkrieg zurückreicht. Die SEALs von der Ostküste spotten gerne über das angeblich leichte Leben der Westküstenteams in Südkalifornien: Ausflüge zum Strand mit Volleyballnetzen und so. Ich habe festgestellt, dass jedes Team seine eigene, unverwechselbare Arbeitsweise entwickelt, die vom Charakter der Verantwortlichen abhängt. Im Team 5 nahm Commander Leonard, der neu zu der Einheit gestoßen war, die Aufgaben mit einer mitreißend positiven Einstellung in Angriff.

Morgan und ich waren beeindruckt von ihm. Dieser Veteran war seit 1979 bei den SEALs und in der Hierarchie immer weiter aufgestiegen. In der Navy wird ein Offizier, der diesen Weg geht, als »Mustang« bezeichnet. Er war zugänglich und pflegte einen kameradschaftlichen Führungsstil. Gleichzeitig verstand er, dass ein Offizier eine gewisse Distanz zum Alltagsleben der Truppe wahren muss. Er war ein Offizier, der sich ansah, was zu tun war, und klare Befehle erteilte, an denen niemand herumnörgeln konnte, weil er unseren Respekt hatte. »Der Skipper«, wie wir ihn nannten, hatte schon weltweit SEAL-Teams in den Kampf geführt, als viele von uns noch in der Grundschule waren.

Commander Leonard schien nichts dagegen zu haben, dass Morgan und ich gemeinsam in seiner Einheit dienten, obwohl das in der risikoscheuen Navy seit der Rettung des Soldaten Ryan eigentlich nicht infrage kam. Ich glaube, er begriff, dass wir gemeinsam wertvolle Beiträge leisten konnten und dass wir getrennt sehr viel eher Gefahr liefen, Schaden zu nehmen.

Die rechte Hand des Skippers war nicht weniger wichtig und einflussreich als Commander Leonard. Der Master Chief war ein hagerer, kantiger, durchtrainierter, gelassener und kluger Mann. Als erster Berater des Skippers hatte er einen wichtigen Job. Er war seit neunzehn Jahren bei den Teams und so kompetent, wie ein SEAL nur sein kann. Seine Intelligenz, sein klares Denken und seine angenehme, aber direkte Art im Umgang mit Vorgesetzten und Untergebenen machten ihn zumindest in meinen Augen zu einer Klasse für sich. Seine Gegenwart erinnerte uns ständig daran, dass Muskeln ohne Hirn nutzlos sind.

Auf Grundlage der jüngsten Erfahrungen, die er mit einem anderen Team gesammelt hatte, fasste der Master Chief für den Skipper kurz die Situation an den Brennpunkten der aufständischen Aktivitäten im Westirak zusammen. In Städten wie Ramadi und Habbanija herrschte eine ernste Krise. Der Master Chief erklärte, was sich im Kampf gegen die Mörderbanden von al-Qaida als wirkungsvoll erwiesen hatte und was nicht. Gemeinsam richteten die beiden Kommandeure unser Training an dem aus, was der Master Chief drüben in der »Sandkiste« (im Irak) gesehen hatte.

Ich war froh, wieder Teil eines Haufens rennender und schießender Kampfschwimmer zu sein. Männer wie der Skipper und der Master Chief taten mir den größten möglichen Gefallen: Sie setzten mich als normalen Frontsoldaten in eine Einheit und verlangten, dass ich wie jeder andere behandelt wurde. Das war nicht immer der Fall – und ich hasste das. Würdenträger, die den Stützpunkt besuchten, wollten oft den »einzigen Überlebenden« der »Operation Redwing« treffen und die Geschichte aus meinem Mund hören. Ich erhielt derart viele Anrufe auf dem Handy, dass der Skipper und der Master Chief schließlich einschritten und vorschrieben, dass Anfragen nur noch an sie gerichtet werden durften. Sie hörten sich die Anfragen (die normalerweise von einer Hilfskraft von irgendwem kamen) stets höflich und respektvoll an, um dann die freundliche Antwort zu geben: »Sir, wenn Ihr Chef mich persönlich anruft, um mir zu sagen, dass Marcus aus dem Training für den Kampfeinsatz im Irak geholt werden muss, dass es in Ordnung ist, die Vorbereitung zu unterbrechen, die ihm dabei helfen wird, Menschenleben zu retten, und dass es in Ordnung ist, die Kampftauglichkeit seines Zuges zu beeinträchtigen – wenn Ihr Vorgesetzter mich anruft und mir sagt, dass dieser Termin wichtiger ist als das Leben unserer Leute, dann werde ich ihm Marcus sofort hinüberschicken. Aber er muss mich persönlich anrufen, um mir das zu sagen.« Dieser Anruf kam nie.

Meine Kameraden verloren nie ein Wort darüber, aber ich bin sicher, dass all das Interesse von außerhalb Auswirkungen auf die Einheit insgesamt hatte. Aber als das Kommando die Notbremse gezogen hatte, normalisierten sich die Dinge wieder. Erst das Team, dann die persönlichen Angelegenheiten. Genau das tun gute Führungskräfte für ihre Mannschaft: Sie halten Ablenkungen fern und sorgen dafür, dass der Blick auf das Wichtige gerichtet bleibt.

Ein Mann, der zum Master Chief befördert wird, ist an Orten jenseits des Endes der Welt gewesen und hat aus erster Hand geheimes Wissen gesammelt, mit dem er ganze Bücher füllen könnte. Ein Beispiel: Nachdem wir in den SDV-Teams gedient hatten, wo ein Kampfschwimmer mehr als die Hälfte seiner wachen Stunden unter Wasser verbringt, waren Morgan und ich überzeugt, dass sich der finsterste Ort der Welt im nächtlichen Gewässer unter einem Flugzeugträger befindet. Aber das war, bevor wir unserem Master Chief begegneten. Er erzählte uns eine Geschichte über einen Tauchgang in den trüben Gewässern des Persischen Golfs. Die Kompasse der Teammitglieder waren durchgedreht, weil sie etwa zwanzig Meter in ein großes Abwasserrohr geschwommen waren. Das zeigte uns, dass man in den SEAL-Teams immer jemandem begegnen wird, der noch durch viel üblere Scheiße geschwommen ist als man selbst.

In den Teams ist man mit fünfunddreißig Jahren ein alter Mann. Ich war dreißig, aber ich fürchtete, aufgrund meiner zahlreichen Verletzungen nicht mehr mit den Jüngeren mithalten zu können. Ich erinnere mich noch, wie der Master Chief mich mit einem wissenden Blick musterte und mir eröffnete, dass er für den Fall, dass einer von uns beiden im Lauf des Trainings den Eindruck gewinnen würde, der Einsatz könnte mich überfordern, in aller Stille meine Versetzung in ein anderes Team arrangieren würde. Er versprach mir, diese Entscheidung rechtzeitig zu fällen.

Wir verbrachten mehrere Wochen auf einer Schießanlage, auf der Militärangehörige und Polizisten ausgebildet wurden. Es gab dort von Experten gestaltete Gefechtsparcours und mehr als dreißig Schießstände. Unsere Ausbilder jagten uns durch fast alle vorstellbaren Gefechtsszenarien. Wir machten Schießübungen unter verschiedensten Bedingungen, trainierten Hausdurchsuchungen, Sturmangriffe und die Säuberung kleiner Gebäude. Wieder und wieder übten wir das richtige Verhalten im städtischen Gelände. Dank des intensiven Trainings waren wir schließlich in der Lage, die schwierigsten Aufgaben zu bewältigen.

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Die Vorbereitung dauert oft länger als der eigentliche Einsatz. Die Einheiten brauchen diese Zeit, um ihre Fähigkeiten zu vervollkommnen und der unverzichtbaren Chemie genügend Raum zu geben, sich zu entwickeln. Geleitet wird das Training von einer Gruppe von Ausbildern, die als »Training Detachment« oder einfach »TraDet« bezeichnet wird. Diese Männer sind bestens auf dem Laufenden, was andere Spezialeinheiten im Einsatzgebiet erleben, und bauen die Lehren, die aus diesen Erfahrungen gezogen werden, in unser Training ein. Dazu kommen zahlreiche Übungen in freier Natur und intensive Unterrichtseinheiten, darunter Fächer, die man nicht in vielen Universitäten findet: Dinge in die Luft jagen, nächtliches Ausspähen von Zielen, Gebäude stürmen, gefangene Feinde im Dunkeln wegschleppen. Und wir reisen für das Spezialtraining kreuz und quer durch das Land. Diese Trainingseinheiten beruhen auf den jüngsten Erfahrungen kampferprobter SEALs.

In der ersten Phase des Aufbautrainings geht es um die individuellen Fähigkeiten der Teammitglieder. Ich traf rechtzeitig für einen meiner Lieblingstrainingsblocks ein: Zwei Wochen lang absolvierten wir auf einer Autorennstrecke im Südwesten der Vereinigten Staaten taktische Fahrübungen. Es gibt kaum etwas, das mir in den Teams mehr Spaß machte. Aber im Ausbildungsplan war Spaß nicht vorgesehen: Unsere Fähigkeiten in der Verfolgung von Fahrzeugen und in Ausweichmanövern bei hoher Geschwindigkeit mussten getestet und verbessert werden. Im städischen Gelände sind diese Fähigkeiten unverzichtbar. Die Ausbilder setzten uns in zerbeulte Pontiac Grand Ams und ein paar SUV und setzten uns Situationen aus, in denen wir großes Geschick am Steuer beweisen mussten. Wir trugen Helme, Gesichtsmasken und Schutzausrüstung für empfindliche Körperteile, aber die Airbags wurden deaktiviert, weil sie bei den Kollisionen nur störten.

In den Übungen schulten wir die Reflexe, die wir beim Fahren unter feindlichem Beschuss brauchen würden. Wir fuhren diese alten Klapperkästen, als wären wir Alkoholschmuggler auf der Flucht. Einmal raste ich mit etwa 130 Sachen um den Kurs, als mir der Ausbilder auf dem Beifahrersitz plötzlich ein Stück Karton vors Gesicht hielt. Meine Kameraden auf der Rückbank belästigten mich ein wenig und schlugen mich auf den Kopf, während ich im Blindflug dahinraste. Ein Stück weiter standen ein paar orangefarbene Leitkegel im Weg. Als der Ausbilder den Karton wegzog und ich die Leitkegel sah, blieben mir nur noch ein paar Sekundenbruchteile, um die Entfernung einzuschätzen und auszuweichen. Hier wurden Zielerfassung, Nervenstärke und Reflexe getestet. Wenn der Wagen mehr als drei Meter von den Kegeln entfernt zum Stillstand kam, war ich durchgefallen. Wenn ich sie traf, war ich ebenfalls durchgefallen.

Wenn wir im Lauf des Tages einen Test bestanden hatten, legten die Ausbilder die Latte höher und schickten uns in der Nacht ohne Scheinwerfer auf die unbeleuchtete Strecke. Wir mussten uns mit Nachtsichtgeräten zurechtfinden. Diese Geräte verstärken das Licht der Sterne oder des Monds und tauchen die Nacht in ein leuchtendes Grün. Sie sind zweifellos ein großartiges Hilfsmittel. Ihr einziger Nachteil ist, dass man fast keine räumliche Wahrnehmung hat. Die Objekte, die man durch die Windschutzscheibe sieht, sind sehr viel näher, als sie scheinen. Ich vermisste die Airbags ein wenig. Als die Ausbilder merkten, dass wir uns an das Fahren mit Nachtsichtgeräten gewöhnt hatten, holten sie die Gewehre, und wir begannen, aus den fahrenden Autos aufeinander zu schießen. Wir ersetzten den Lauf eines M4-Karabiners durch einen, der für Simunition geeignet war – das sind Patronen, die eine Farbladung enthalten, um die Treffer zu markieren. Das war kein Paintball – die Polizei verwendet solche Waffen zur Niederschlagung von Unruhen. Aber so verrückt all das war, so lustig war es auch. Es war aufregend, wieder im Rennen zu sein.

Die taktischen Fähigkeiten unserer Ausbilder waren Weltklasse. Es war kein Spaß, in ihr Visier zu geraten und von Farbkugeln getroffen zu werden, während man um den Kurs raste. Trotz der dicken Kleidung verursachten die Patronen Prellungen, und es konnte Schlimmeres passieren, wenn man Pech hatte oder unvorsichtig war. Es war ein Vollkontaktsport, so nahe an einem realen Kampf auf Leben und Tod, wie es möglich war, ohne einander wirklich zu töten.

Nachdem das Training mit den Limousinen abgeschlossen war, gingen wir zu gepanzerten SUVs über. Die schwereren SUVs waren in den Eskort- und Fluchtübungen bei hoher Geschwindigkeit sehr viel schwerer zu wenden, aber die Übung bereitete uns auf eine Arbeit vor, die den SEALs oft in Kampfgebieten übertragen wird: Wir müssen Würdenträger zu extrem gefährlichen Orten bringen und taktische Konvois begleiten. Unsere Ausbilder jagten uns, beschossen und rammten unsere Fahrzeuge und versuchten, unsere SUVs von der Fahrbahn zu drängen oder umzukippen. Ohne Vorwarnung kreuzten sie in ihren Klapperkisten unseren Weg und zwangen uns zu abrupten Ausweichmanövern. Unsere Aufgabe war es, unsere wertvolle Fracht vor Schaden zu bewahren. Man musste schnell abschätzen: Hatte man genug Platz, um dieses Hindernis zu umfahren? Oder sollte man es besser aus dem Weg räumen? Manchmal keilten sie uns so ein, dass uns nichts anderes übrig blieb, als das Fahrzeug zu verlassen und uns unter heftigem Beschuss der Ausbilder den Weg freizuschießen. Da wurde nicht hirnlos herumgeballert. Man musste mit klarem Kopf handeln. Sie testeten, ob wir in der Lage waren, unseren Schützling ungeachtet der Gefahren für unser eigenes Leben in Sicherheit zu bringen. In diesen Übungen lernten wir, was funktionierte und was nicht.

Bei diesen Trainings testeten wir alles aus, was an militärischer Aggression möglich war. Wir ließen uns keine Gelegenheit entgehen, einem anderen Fahrer in die Kühlerhaube zu krachen oder die Sonnenblenden herauszureißen, um sie einander an den Kopf zu werfen. Am Ende des Tages waren die Reifen platt, die Kotflügel verbeult und die SEALs von Kopf bis Fuß mit Farbe verschmiert. Wenn uns die funktionstüchtigen Autos ausgingen, stand am nächsten Morgen eine neue Flotte bereit. Unsere eigenen Beulen blieben uns eine Weile erhalten. Aber wir zogen auch die entsprechenden Lehren daraus.

Eines Nachmittags erwischte es Morgan auf der Rennstrecke schwer. Ich war bei einer Schießübung, als es passierte. Ich hörte ihn, bevor ich ihn sah: die quietschenden Reifen, das Geräusch des über den Sand schleifenden Metalls, dann eine Reihe schwerer, knirschender Schläge. Der nagelneue Chevrolet Tahoe überschlug sich dreimal, bevor er endlich zum Stillstand kam. Zum Glück waren Morgan und seine Kameraden im Fahrzeug festgegurtet und trugen wie Rennfahrer Sturzhelme. Er stieß die Tür auf, rollte sich aus dem Wagen und ging unter Gelächter und Applaus weg. In der Fernsehwerbung wird ja immer die Zeile »Professioneller Rennfahrer auf geschlossener Rennstrecke« eingeblendet. Ich weiß nicht, wen Mercedes engagiert, um seine Autos für die Werbespots zu fahren, aber ich würde diesen Job sofort annehmen.

Am Ende dieses Trainingsblocks flogen wir um den Kurs und bedienten Gas und Bremse, ohne eine überflüssige Bewegung zu machen. Die meisten Leute müssen nie bewaffnete Verfolger abschütteln, das Fahrzeug eines Angreifers in den Straßengraben befördern, in voller Fahrt wenden oder eine Barrikade durchbrechen. Aber die SEALs leben in einer anderen Welt. Das, was wir in diesem Kurs lernten, konnten wir überall anwenden, egal, ob in einer umkämpften Stadt oder im Zentrum von Houston. Fahrerisches Können ist unverzichtbar für einen SEAL, sei es, dass er in Konvois fährt, in einem Humvee zu einer Razzia aufbricht oder im Anzug am Steuer eines 7er BMW sitzt, um einen Würdenträger zu einem Termin zu bringen. Wenn man einen Trainingsblock wie diesen erfolgreich abgeschlossen hat, hat man wertvolles Wissen erworben und gleichzeitig den Traum eines in die Jahre gekommenen Halbwüchsigen gelebt. Manchmal war es dann schwer, aus dem Trainingsmodus in den Alltagsmodus zu wechseln. Wenn wir die Rennstrecke hinter uns ließen, mussten wir uns beherrschen und der Versuchung widerstehen, in unseren stinknormalen Minivans nach Hause zu rasen. Die Cops wussten, wie es uns ging, und lauerten normalerweise an der Autobahn auf uns. Aber manchmal muss man eben Opfer bringen, wenn man seinen Spaß haben will.

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Hollywood sorgt dafür, dass unsere Arbeit sexy wirkt. Tatsächlich macht es Spaß, aus Flugzeugen zu springen und sich die Welt unter Wasser durch das Fenster eines U-Boots anzusehen, aber eines muss ich Ihnen sagen: Die meiste Zeit tun wir nichts anderes, als von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu schuften und uns in Trainingsstunde um Trainingsstunde den Arsch aufzureißen. So ist es nun einmal: Je mehr du im Frieden schwitzt, desto weniger blutest du im Krieg. Aber nur wenige Bestandteile der Ausbildung waren so vergnüglich wie das Fahrtraining. Es war das beste Autoscooter-Rennen der Welt (ohne dass Rechtsanwälte oder Versicherungsfachleute darüber wachen, dass die Fahrzeuge maximal Schritttempo fahren können).

Ein SEAL-Team besteht aus drei Einsatzgruppen oder Task Units, die jeweils zwei Platoons umfassen. Ich hatte das Glück, dass ich der Task Unit 1 zugeteilt wurde, dessen zwei Platoons Alfa und Bravo von Lieutenant Commander Ryan Thomas kommandiert wurden. Er war ein vorzüglicher, kampferprobter Offizier, und sein Truppleiter, Senior Chief Petty Officer Warren Steffen, war in meinen Augen einer der härtesten, erfahrensten und fähigsten SEALs überhaupt. Er strahlte eine unerschütterliche Ruhe aus. Mit seinem schlanken, athletischen Körperbau – er war knapp 1,90 Meter groß und wog etwa hundert Kilo – und den grau melierten Schläfen erinnerte er mich an die Comicfigur Mr Fantastic aus dem Superheldenteam der Fantastischen Vier. Steffen hatte zwei Jahre in der Kriegsmarine gedient, bevor er sich im Jahr 1993 für den BUD/S-Kurs eingeschrieben hatte. Er hatte in den besten Spezialeinheiten gedient, aber wie alle guten Elitesoldaten sprach er nie darüber. SEALs sind schwer zu beeindrucken, aber er genoss unseren uneingeschränkten Respekt. Trotz seines zurückhaltenden Auftretens hatte er eine enorme Präsenz. Er passte immer auf die Mitglieder seines Teams auf. Je leiser er sprach, desto aufmerksamer hörten wir zu.

Als Steffen mir gegenüber erwähnte, dass Lieutenant Commander Thomas einer der taktisch versiertesten Offiziere sei, mit denen er je zusammengearbeitet habe, wusste ich, dass wir perfekt auf unsere Aufgabe vorbereitet wurden. Ich wurde dem Alfa Platoon zugeteilt. Morgan kam in das Bravo Platoon, das von Lieutenant Clint geführt wurde. Wir waren beide begeistert darüber, dass man uns in eine Einheit gesteckt hatte, die auf allen Ebenen aus vorzüglichen Soldaten bestand. Es war eine tolle Mischung aus jungen Männern, die neue Ideen mitbrachten, und erfahrenen Soldaten mit wertvollem Praxiswissen. Während wir in der Vorbereitung auf den Einsatz unseren Rhythmus als Team fanden, entstanden eine entspannte Atmosphäre und eine gute Chemie zwischen den Mitgliedern. Das machte den natürlichen Wettkampf zwischen uns sehr produktiv.

Boss war einer unserer Ausbilder. Aber unsere Freundschaft verleitete ihn nicht dazu, die Zügel bei uns schleifen zu lassen. Wer ein paar Monate von einem Burschen mit seinen Fähigkeiten gepiesackt wird, kommt mit geschärften Sinnen aus dem Training heraus.

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In der zweiten Phase der Ausbildung lernten wir, unsere individuellen Fähigkeiten in den Dienst des Teams zu stellen. In dieser Phase geht es um die taktischen Grundlagen. Es geht darum, aus fähigen Soldaten ein herausragendes Kampfteam zu schmieden, alle Mitglieder auf dasselbe Niveau zu heben und ihnen klarzumachen, welche Pflichten jeder einzelne Mann hat und wie diese gebraucht werden, um zu kämpfen, zu überleben und zu siegen. Mitten in einer Mobilitätsübung teilte mir Senior Chief Steffen mit, dass ich zum LPO befördert worden war, zum Leading Petty Officer des Alfa Platoons.

Dieser Offizier untersteht direkt dem Platoon Chief und hat im Wesentlichen dafür zu sorgen, dass die Anweisungen des Chief befolgt werden. Ich spürte, dass dies ein Signal war: Meine Vorgesetzten wollten, dass ich mich als Führungskraft einbrachte und mich im Team engagierte. Ich hatte schon in einem kleinen Trupp die Funktion eines Petty Officer erster Klasse erfüllt. Jetzt war ich der LPO eines ganzen Platoons. Es wurde ernst.

Die SEALs, die ein Platoon führen – der verantwortliche Offizier (OIC, Officer in Charge), sein Assistent (der AOIC), der Platoon Chief und der LPO –, werden laufend bewertet. Wenn einer dieser Offiziere Arroganz an den Tag legt oder wenn sich herausstellt, dass er sich mehr um sich selbst als um seine Männer kümmert, ist nicht nur sein Ansehen weg, er wird auch rasch ersetzt. Der Führer einer Einheit muss sich seinen Platz verdienen und dafür sorgen, dass die Männer den Zusammenhang zwischen seinen Fähigkeiten und seinen Privilegien sehen. Gelingt ihm das nicht, so werden ihm die Dinge entgleiten, und schließlich wird er sich in einer bedauerlichen Lage wiederfinden, weil er seine Männer nicht führen und ihnen nicht vertrauen kann. Ich fragte mich manchmal, ob ich der Herausforderung gewachsen war. Freunde sind Freunde, aber Geschäft ist Geschäft. Gute Soldaten wissen beides voneinander zu trennen und lassen nicht zu, dass sich Freundschaften auf den Dienst auswirken.

Als LPO wurde ich von meinen Kollegen jetzt als Vorgesetzter wahrgenommen. Dass sich mein Status geändert hatte, spürte ich, als ich zum ersten Mal die Unterkunft des Platoons betrat und die Männer rasch verstummten. Sie wandten den Blick ab und schwiegen. Ich war nicht mehr Teil ihrer Welt. Die Beförderung riss mich aus ihrer Gemeinschaft und machte mich zu einem Teil des Oberen. Ich hatte nichts gegen den Job an sich, aber es quälte mich, dass ich von den Jungs getrennt worden war.

Die Männer des Alfa Platoons zählten zu den Besten, denen ich je begegnet bin. Ich musste sie nie zurechtweisen oder ihnen sagen, was sie zu tun hatten. Wenn ich Befehle oder Anweisungen vom Chief erhielt, gab ich sie weiter, und sie sorgten dafür, dass ich am Ende des Tages gut dastand. Das wiederum rückte den Chief in ein vorteilhaftes Licht, was zur Folge hatte, dass die Offiziere ebenfalls gut dastanden.

Der Zusammenhalt im Alfa Platoon war verblüffend. Die Dinge konnten noch so schlecht laufen, wir gehörten zusammen. Jeder stellte sich in den Dienst des Teams. Sogar die neuen Mitglieder der Einheit fügten sich ein, hielten die Ohren offen und den Mund geschlossen. Sie behielten ihre Probleme für sich und konzentrierten sich vollkommen auf ihre Aufgaben.

Die Ausbilder ziehen oft ihre Erfahrungen aus früheren Einsätzen zum Training heran. Wenn man aus vergangenen Fehlern lernen kann, wird die Zukunft weniger schmerzhaft sein. Das ist Teil des Ethos der Kampfschwimmer. Die Bereitschaft, aus der Vergangenheit zu lernen, ist Teil unseres Selbstverständnisses – und ein Grund dafür, dass wir einige der unmöglichen Missionen bewältigen können, die hin und wieder in die Öffentlichkeit gelangen. Wann immer ein Ausbilder etwas erklärte, ging ich mein Vorgehen in Afghanistan durch und fragte mich: »Habe ich es so gemacht?« Ich wollte sicher sein, dass ich meine Kameraden nicht im Stich gelassen hatte. Ich wollte sicher sein, dass es anders ausgehen würde, sollte ich je wieder in eine solche Lage geraten.

Irgendwann erfuhr ich, dass es beim Kommando Leute gab, die mich in ein »Strandkommando« stecken wollten, wenn das Team ins Kampfgebiet aufbrechen würde. Aber auf Wunsch des Skippers hielt der Master Chief an mir fest. Ihr Vertrauen gab mir Kraft. Als das Training in die Endphase ging, wollte ich nur noch eines: Ich wollte ihr Vertrauen rechtfertigen.

2SEAL-Team 5, Alfa Platoon

Als sich herumsprach, dass wir in die Provinz al-Anbar geschickt werden würden, wurden die Männer von Vorfreude erfasst. Wir hatten die Einsätze der Teams verfolgt, die vor uns dort gewesen waren. In unserem Quartier trafen täglich Einsatzberichte ein. Ramadi war ein heißes Pflaster. Die Einheit, die seit April 2006 dort stationiert war, hatte dort reichlich Kampferfahrung gesammelt. Die Männer von Team 3 stapelten die erschossenen Feinde auf wie Brennholz.

In der Provinz al-Anbar war seit Ende 2005 mehr Blut geflossen als in jedem anderen Teil des Irak. Die Provinzhauptstadt Ramadi war ein Hornissennest, es wimmelte dort von Terroristen. Die rund 110 Kilometer westlich von Bagdad gelegene Stadt hatte etwa eine halbe Million vorwiegend sunnitische Einwohner und war eine Bastion Saddam Husseins gewesen, der Vereinbarungen mit den Stammesältesten geschlossen hatte, um die Kontrolle über die Region zu behalten.

Nachdem die US-Streitkräfte im November 2004 Falludscha eingenommen und den Großteil der Aufständischen getötet hatten, die diese Stadt zu ihrem Zentrum gemacht hatten, setzte sich die Führung des irakischen Ablegers von al-Qaida einschließlich ihres angeblichen Chefs Abu Mussab al-Sarkawi nach Ramadi ab. Auch nach al-Sarkawis Tod bei einem Blind Date mit einer präzisionsgelenkten JDAM-Bombe (Joint Direct Attack Munition) kontrollierte al-Qaida die Stadt, und die Aufständischen griffen von dort aus fast unbehelligt Patrouillen und Vorposten der Koalitionsstreitkräfte an.

Ramadi liegt an einer alten Schmugglerstraße, einer staubigen Autobahn, die von Bagdad in westlicher Richtung nach Syrien führt. Im Jahr 2003 war diese Straße eine Terrorpipeline. Als die Koalitionsstreitmacht in jenem Jahr im Irak einmarschierte, schleusten Syrien und der Iran, die befürchteten, die Nächsten auf der Liste der Amerikaner zu sein, über ihr Territorium Scharen von ausländischen Terroristen in den Irak ein. Sie kamen im Namen der arabischen Brüderlichkeit, um die Ungläubigen zu bekämpfen. Zum Leidwesen der irakischen Bevölkerung hatten die Terroristen keine Scheu, auch muslimische Kehlen durchzuschneiden, um ihre Ziele zu erreichen.