NORDGRENZE - Grenzprofit - Teil 5 - Franziska M. Aedelgroen - E-Book

NORDGRENZE - Grenzprofit - Teil 5 E-Book

Franziska M. Aedelgroen

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Beschreibung

NORDGRENZE – Grenzprofit Ein neuer Fall für Hella Waansyn und Lasse Karlsson Ein toter Unternehmer in einer verlassenen Halle. Fördergelder, die im System verschwinden. Menschen, die nie zurückkehren. Hauptkommissarin Hella Waansyn aus Lübeck und ihr schwedischer Kollege Lasse Karlsson stoßen auf ein Netz aus Korruption, Profitgier und Menschenhandel – gedeckt von europäischen Subventionsprogrammen. Je tiefer sie graben, desto deutlicher wird: Es geht nicht um einen einzelnen Mord, sondern um ein System, das Menschen zu Zahlen macht – und dabei Millionen verdient. Spuren führen von Nordschweden nach Deutschland, bis in politische Hinterzimmer, wo niemand Fragen stellen will. Ein hochspannender, atmosphärischer Kriminalroman aus der Reihe Nordgrenze – psychologisch dicht, realistisch erzählt und erschreckend aktuell. Für Leser von skandinavischen Krimis, Politthrillern und True-Crime-Fiction.

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Seitenzahl: 73

Veröffentlichungsjahr: 2025

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NORDGRENZE - Grenzprofit

Teil 5

Von Franziska M. Aedelgroen

„Es ist nie nur ein Toter, es ist ein System, das schweigt, wenn Menschen verschwinden.“

Der Wind hatte in der Nacht umgeschlagen. Jetzt fraß er sich in Böen durch die Lücken zwischen den verrosteten Hallentoren, rüttelte an Blechkanten, trieb Schneereste in dunkle Ecken. Die alte Logistikhalle lag wie ein Fremdkörper in der Landschaft – grau, zahnlos, umgeben von nichts als verwaistem Asphalt und Birken, die sich im Morgenlicht stumm neigten.

Hauptkommissarin Hella Waansyn trat vorsichtig über eine geflickte Schwelle, folgte dem Lichtkegel ihrer Taschenlampe durch die Kälte. Neben ihr schob sich Lasse Karlsson das Tuch tiefer ins Gesicht. Sie sprachen nicht. Noch nicht. Der Geruch von Öl und alter Feuchtigkeit hing schwer in der Luft.

„Da hinten“, murmelte ein junger Kollege der Lokalpolizei, kaum älter als dreißig, blasses Gesicht, die Jacke zu dünn. „Zwischen den Paletten. Wir haben nichts verändert.“

Hella nickte und trat näher. Der Körper lag auf der Seite, halb unter einer Plane, als hätte ihn jemand notdürftig versteckt – oder nicht einmal das. Die Jacke des Toten war aufgeplatzt, als hätte man ihn gestoßen. Blut war kaum zu sehen. Lasse ging in die Hocke.

„Kopfverletzung. Keine offensichtliche Schusswunde. Möglicherweise stumpfe Gewalt, aber das müssen die Gerichtsmediziner bestätigen.“

Der Tote war um die sechzig. Gepflegte Hände, kein Schmuck. Die Gesichtszüge eingefroren in einem Ausdruck zwischen Erstaunen und Abwehr.

„Wer hat ihn gefunden?“ fragte Hella.

„Ein Immobilienmakler aus Arvidsjaur. Der wollte die Halle heute offiziell übernehmen, um sie weiterzuverkaufen. Laut Vertrag sollte sie leer sein. So steht es auch im Übernahmeprotokoll.“

Der junge Kollege hielt ein Klemmbrett hoch, als bräuchte er es zur Verteidigung.

„Name des Opfers?“

„Karl Rune Nyström. Unternehmer. Lebte in Skellefteå, aber war geschäftlich öfter im Süden. Deutsch-schwedische Wurzeln.“

Hella sah auf. „Deutsch-schwedisch?“

„Ja. Geburtsort: Köln. Hat aber schon lange einen schwedischen Pass. Ging nach der Wirtschaftskrise 2009 zurück nach Norrbotten. Ist in mehrere Unternehmen involviert gewesen – unter anderem in eine Firma für Bauverträge mit sogenannten Rückkehrprogrammen.“

Lasse hob eine Augenbraue. „Was genau heißt das?“

Der junge Kollege zuckte die Schultern. „Leute, die nach Schweden gekommen sind, aber wieder gehen wollen – angeblich. Es gibt dafür Fördergelder von verschiedenen Seiten. Keine Ahnung, wie es funktioniert. - Die Spurensicherung ist gleich da.“

Hella trat ein paar Schritte zurück. Ihr Blick blieb an einem verrosteten Gabelstapler hängen.

„Hat irgendjemand gesehen, wie Nyström herkam?“

„Sein Wagen steht draußen. Schlüssel steckt nicht. Keine Spuren am Boden, nur alte Reifenspuren – der Schneefall vor zwei Tagen hat alles verwischt.“

Lasse trat näher an Hella. Leise: „Das ist nicht der Ort für ein zufälliges Verbrechen. Der Mann wurde hierher gebracht – oder kam wegen etwas ganz Bestimmtem. Vielleicht einem Treffen.“

Hella nickte langsam. Dann wandte sie sich an den Polizisten.

„Sichern Sie alle Überwachungskameras im Umkreis von zehn Kilometern – auch Tankstellen und Grenzübergänge. Und besorgen Sie uns bitte eine Liste aller Firmen, mit denen Nyström in den letzten zwei Jahren zu tun hatte. Auch wenn sie auf dem Papier nur Durchlaufposten waren.“

„Und wir brauchen die Förderlisten“, ergänzte Lasse. „Sowohl aus Schweden als auch – wenn möglich – aus Deutschland. Rückkehrprogramme, Subventionen, Dienstleistungsverträge. Da wird oft geschoben, was offiziell niemand sehen soll.“

Der junge Kollege blinzelte. „Ich weiß nicht, ob ich das alles bekomme.“

„Doch“, sagte Hella, und sie klang dabei nicht unfreundlich. Nur klar. „Sie schaffen das.“

Das Büro war klein, aber aufgeräumt. Zwei alte Schränke, ein wackliger Tisch, die Heizung klackerte stoisch gegen die Kälte. Hella und Lasse saßen einander gegenüber, dampfender Kaffee zwischen ihnen, während auf dem Laptop die ersten Akten geöffnet waren.

„Karl Rune Nyström“, murmelte Lasse. „Nicht vorbestraft. Drei Firmenbeteiligungen in den letzten fünf Jahren. Eine in Skellefteå, eine in Malmö, und – das ist spannend – eine GmbH in Leipzig, eingetragen auf eine Frau mit bulgarischem Namen.“

Hella zog die Brauen hoch. „Wirtschaftlicher Brückenschlag?“

„Möglich. Oder Verschleierung. Die GmbH hatte laut Handelsregister eine einzige Tätigkeit: Vermittlung von Arbeitskräften im Bau- und Transportwesen. Sie lief über vier Jahre, dann wurde sie liquidiert – kurz nach einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration.“

„Und niemandem ist aufgefallen, dass ausgerechnet der Mitgründer später tot in einer Halle nahe der norwegischen Grenze liegt?“

Lasse sah sie an. „Dafür sind wir jetzt hier.“

Hella beugte sich vor. „Was weißt du über diese Rückkehrprogramme?“

„Offiziell dienen sie dazu, Menschen, die in Schweden keine Perspektive mehr sehen, eine freiwillige Rückkehr zu erleichtern. Meist mit Hilfe von privaten Trägern, die logistische und soziale Unterstützung anbieten. Dafür fließt Geld – aus Brüssel, aus Stockholm, aus Berlin. Je nach Herkunftsland des Betroffenen.“

„Und wenn diese Programme ausgenutzt werden?“

„Dann bezahlt der Staat für etwas, das entweder nie stattfindet – oder menschenverachtend abgewickelt wird. Stell dir vor: Eine osteuropäische Familie bekommt Hilfe beim Rückflug, kehrt zurück, bekommt dort nichts – und steht nach drei Wochen wieder an der schwedischen Grenze. In der Statistik aber gilt sie als erfolgreich rückgeführt.“

Hella atmete langsam aus. „Und jemand verdient daran.“

„Genau. Der Träger bekommt pro Fall eine Summe – manchmal fünfstellige Beträge. Wenn du das kreativ organisierst, kannst du doppelt abkassieren: erst bei der Rückkehr, dann bei der Re-Integration.“

„Ein geschlossenes System“, sagte Hella leise. „Mit menschlichem Preis.“

Lasse nickte. „Und Nyström war mitten drin. Vielleicht war er einer von denen, die irgendwann nicht mehr mitspielen wollten. Oder zu viel wussten.“

Sie schwiegen einen Moment. Draußen peitschte der Wind gegen die Fensterscheibe. Dann klopfte es. Ein junger Kollege schob den Kopf zur Tür herein.

„Die Spurensicherung hat erste Ergebnisse. Und wir haben mit der Tochter des Opfers gesprochen – sie ist unterwegs hierher.“

„Tochter?“ Hella sah auf.

„Ja. Stina Nyström. Mitte dreißig. Lebt in Umeå, arbeitet im öffentlichen Dienst. Sie klang … reserviert.“

„Gut“, sagte Hella. „Sagen Sie uns Bescheid, sobald sie da ist. Und rufen Sie bitte auch in Leipzig an. Ich will wissen, wer die bulgarische Gesellschafterin ist – oder war.“

Der Kollege nickte und verschwand.

Lasse lehnte sich zurück. „Denkst du, es war ein Auftragsmord?“

„Noch nicht. Aber es war kein Unfall. Jemand hat ihn dort hingelegt wie ein Problem, das jemand anders lösen soll.“

Sie sahen sich an. In ihrer beider Blick lag derselbe Gedanke. Dieser Fall war nicht nur ein Mord. Er war ein Schnitt in ein System, das nicht gern durchleuchtet wurde.

Stina Nyström trug einen schlichten schwarzen Mantel, die Haare zum Knoten gebunden, keine Schminke, keine Tränen. Als sie durch die Tür des Polizeigebäudes trat, war sie nicht die Tochter eines Toten, sondern die Vertreterin eines fremden Landes in einer neutralen Angelegenheit.

Hella stand auf, reichte ihr die Hand. „Danke, dass Sie gekommen sind. Mein Name ist Waansyn, das ist mein Kollege Karlsson. Wir wissen, dass dies kein leichter Moment ist.“

Stina nickte knapp. Ihre Augen waren blassgrau, der Blick wach. „Sie haben gesagt, mein Vater sei tot.“

„Ja. Wir haben ihn gestern Morgen in einer verlassenen Halle gefunden. Wir wissen noch nicht, was passiert ist.“

„Das klingt, als hätten Sie eine Ahnung.“

Lasse warf Hella einen Blick zu, ließ sie den Ton setzen.

„Ihr Vater war allein, keine erkennbaren Kampfspuren, aber die Verletzungen deuten nicht auf einen Unfall. Wir müssen allen Möglichkeiten nachgehen.“

Stina setzte sich. Den Mantel behielt sie an.

„Ich habe ihn selten gesehen in den letzten Jahren. Weihnachten, vielleicht ein kurzes Treffen im Sommer. Er war … beschäftigt.“

„Mit seiner Firma?“

„Mit allem. Immer irgendetwas. Immer unterwegs.“

„Wussten Sie, womit er konkret zu tun hatte?“ fragte Lasse.

Stina sah ihn an. „Mein Vater war Unternehmer. Er hat Dinge gesehen, die er nicht mochte. Und trotzdem mitgemacht. Irgendwann hat er nicht mehr darüber gesprochen.“

„Worüber nicht?“

„Über Menschen, die benutzt werden. Über Systeme, die nur funktionieren, wenn niemand genau hinsieht. Über sein schlechtes Gewissen.“

Hella lehnte sich leicht vor. „Hatte er Feinde?“

„Wahrscheinlich. Aber er hätte sie nie so genannt. Er war keiner, der Schuld abschiebt. Er war eher einer, der irgendwann unter der Last zusammenbricht.“

Sie schwieg. Dann: „Er hatte letzte Woche versucht, mich zu erreichen. Drei Anrufe. Keine Nachricht. Ich hab nicht zurückgerufen.“

„Hatte er Angst?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht wollte er auch nur etwas beichten.“

Ein Moment Stille. Dann fragte Hella: „Wussten Sie, dass Ihr Vater früher in Deutschland gelebt hat?“

Stina nickte. „Köln. Meine Großmutter war Deutsche. Sie ist gestorben, als ich klein war. Mein Vater hat nie viel erzählt.“

„Und wussten Sie, dass er bis vor wenigen Jahren Gesellschafter einer Firma in Leipzig war?“

Stina runzelte die Stirn. „Nein. Aber es wundert mich nicht. Er hatte viele Firmen. Einige liefen unter anderen Namen. Manche waren eher … Durchlaufstationen.“

„Geldwäsche?“

„Ich bin nicht die Polizei, Frau Waansyn.“

„Aber Sie kennen das System.“

Stina sah Hella lange an. Dann sagte sie leise: „Was glauben Sie, warum ich nicht für ihn arbeite?“

Ein leises Klopfen. Der junge Kollege von vorher steckte den Kopf durch die Tür.

„Kurze Unterbrechung – Leipzig hat sich gemeldet. Die bulgarische Gesellschafterin heißt Maria Todorova. Seit einem halben Jahr spurlos verschwunden.“