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Ein toter Deutscher in einem abgelegenen schwedischen Ferienhaus. Keine Zeugen. Keine Papiere. Nur eine Spur: ein langsamer, geplanter Tod durch Gift. "Nordgrenze – Spiegelfall" ist ein psychologisch dichter Kriminalroman ohne Esoterik, ohne Verschwörung – dafür mit klarer Ermittlungsarbeit, atmosphärischer Spannung und glaubhaften Figuren. Als Hella Waansyn aus Lübeck nach Schweden reist, um mit dem schwedischen Ermittler Lasse Karlsson einen ungewöhnlichen Todesfall zu untersuchen, stößt sie auf einen Abgrund aus Schweigen, Schuld und gezielter psychischer Manipulation. Der Täter ist kein Schatten – sondern ein Mann, der gelernt hat, andere systematisch zum Schweigen zu bringen. Doch Hella und Lasse kommen ihm gefährlich nahe. Was als scheinbar isolierter Mord beginnt, entpuppt sich als hochgradig persönlicher, psychologisch aufgeladener Fall – mit realistischem Ermittlungsalltag, forensischer Tiefe und einem Mordmotiv, das schleichender und brutaler nicht sein könnte. Für Leserinnen und Leser von: • skandinavischen Krimis ohne Kitsch • realistischen Psychothrillern • spannender Ermittlungsarbeit ohne Hokuspokus • starken Ermittlerduos mit Tiefe
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Seitenzahl: 77
Veröffentlichungsjahr: 2025
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NORDGRENZE - Spiegelfall
Teil 3
von Franziska M. Aedelgroen
Ein toter Deutscher in einem abgelegenen Ferienhaus. Keine Papiere, keine Spuren – nur ein langsamer Tod durch Gift.
Als Hella Waansyn und Lasse Karlsson den Fall übernehmen, führt die Spur in ein System aus Manipulation, Schweigen und psychischer Gewalt. Jeder Schritt in der Gegenwart offenbart ein düsteres Kapitel der Vergangenheit. Und der Täter? Ist kein Unbekannter – sondern jemand, der gelernt hat, aus dem Schatten heraus zu töten.
„Die gefährlichsten Täter erkennt man nicht an ihren Taten – sondern an dem, was sie löschen wollen.“
Der Regen kroch langsam die Scheiben hinab, während Hella Waansyn ihren zweiten Kaffee kalt werden ließ. In ihrer Wohnung in Hamburg war es still – nur das gedämpfte Ticken der alten Wanduhr erinnerte sie daran, dass die Zeit nicht stehen blieb, selbst wenn man es sich manchmal wünschte. Sie hatte in den letzten Wochen bewusst keine Fälle übernommen. Stattdessen war sie untergetaucht – nicht physisch, aber innerlich. Spaziergänge, Sortieren alter Unterlagen, ein paar Nächte mit zu wenig Schlaf und zu vielen Gedanken. Kein Blut, keine Spuren, kein Zweifel. Nur Ruhe. Oder etwas, das sich wie Ruhe anfühlen sollte. Das Telefon klingelte. Keine gespeicherte Nummer, aber das Landeskürzel ließ sie aufhorchen. - Schweden.
Sie hob ab. „Waansyn.“
„Ich bin’s“, sagte die Stimme. Klar, sachlich. Und dennoch mit etwas, das zwischen Anfrage und Bitte lag.
„Lasse.“ Sie lehnte sich zurück. „Was gibt’s?“
„In Blekinge ist jemand tot. Deutscher Staatsbürger. Vergiftet.“
Sie schwieg einen Moment. Wenn Lasse anrief, hatte er einen Grund. Er war nicht sentimental.
„Name?“
„Tillmann Rabe. Achtunddreißig. Keine bekannten Vorstrafen. Historiker, freiberuflich tätig, zuletzt in Malmö. Die Polizei hat mich gebeten, einen Blick auf den Fall zu werfen – und ich dachte an dich.“
„Wie kamt ihr überhaupt auf ihn?“
„Weil er in einem Haus gestorben ist, das einem gewissen Rüdiger Thal gehört. Deutscher ebenfalls. Lebt in Mecklenburg, Nähe Schwerin. Das Haus in Schweden hatte er auf seinen Namen vermietet – offiziell an Rabe, aber es gibt keinen schriftlichen Vertrag. Keine Verbindung zwischen beiden. Keine Angehörigen, die etwas erklären könnten.“
„Und die Todesursache?“
„Oleander. Pflanzengift. Wir haben die toxikologischen Ergebnisse gerade aus Lund bekommen. Die Dosis war hoch – keine Zufallsaufnahme. Und dann gibt es diesen Zettel.“
Hella richtete sich auf. „Welchen Zettel?“
„Handschriftlich. Sauber geschrieben. Kein Wackeln, kein Abschied. Nur vier Worte: ‚Spiegelgrenze – Such den Anderen.‘“
Der Satz blieb im Raum stehen. Hella hatte in ihrer Laufbahn genug gesehen, um zwischen den Zeilen zu lesen. Das klang nicht nach Verzweiflung. Das klang nach Code.
„Kein Abschiedsbrief? Kein Hinweis auf Suizid?“
„Nichts. Keine Kampfspuren, keine Fremdeinwirkung. Der Tote saß im Wohnzimmer, als hätte er auf etwas gewartet.“
„Wer hat ihn gefunden?“
„Ein Förster. Der Wagen stand tagelang an einem Waldweg. Irgendwann ist es ihm aufgefallen. Der Tote muss mindestens drei Tage da gelegen haben.“
Hella zog die Vorhänge zur Seite. Der Regen hatte sich verstärkt. Die Straße unter ihr glänzte wie frischer Asphalt. Unten zog jemand einen Rollkoffer durch die Pfützen. Der Alltag.
„Und du hast ein Gefühl bei der Sache, nehme ich an?“
„Nicht nur das. Der Name Thal ist mir schon einmal begegnet. In einem alten Bericht über inoffizielle DDR-Kontakte nach Schweden, Anfang der Achtziger. Nichts Belastbares, nur Randnotizen. Aber genug, um mich stutzig zu machen.“
„Du willst, dass ich mitkomme.“
„Ja.“
Hella schwieg. Es war keine Entscheidung gegen etwas. Es war eine Entscheidung zurück in etwas. In das, was sie war, bevor sie Abstand brauchte.
„Wann fährst du los?“
„Ich hole dich morgen am Fährterminal in Trelleborg ab. Acht Uhr.“
„Ich bin da.“
Sie legte auf. Kein Zögern. Kein Nachdenken. Sie war nicht raus. Nicht wirklich. Es dauerte keine zehn Minuten, bis ihr Koffer gepackt war. Nur das Nötigste: Wechselkleidung, Notizbuch, Dienstmarke, ein abgegriffener USB-Stick, den sie nie zu erklären wusste. Sie warf noch einen Blick auf den Esstisch, auf dem ein halb geöffneter Ordner mit alten Fallakten lag – Dinge, die sie sortieren wollte. Ein andermal. Die Fähre nach Trelleborg fuhr am späten Abend. Sie nahm ein Taxi zum Terminal. Der Regen hatte nicht nachgelassen. Im Hafen war es windig, der Asphalt glänzte unter grellem Flutlicht, und irgendwo rief ein Lautsprecher Namen auf, die niemand verstand.
An Deck war es ruhig. Hella lehnte sich an die Reling, während das Schiff langsam aus dem Hafen glitt. Das Licht der Stadt verblasste hinter ihr. Vor ihr: Wasser, Dunkelheit und ein Fall, der mit einem einzigen Satz begonnen hatte. Spiegelgrenze – Such den Anderen. Was auch immer dieser Satz bedeutete – sie würde es herausfinden. - Der Morgen graute, als die Fähre langsam in den Hafen von Trelleborg einlief. Das Wasser war bleigrau, der Himmel schwer und regungslos. Hella stand an Deck, die Hände tief in den Manteltaschen, den Blick auf das schwedische Festland gerichtet. Es war ein vertrautes Bild – aber diesmal fühlte sich der Übergang anders an. Nichts von Neugier oder Vorfreude. Nur eine innere Unruhe, die sich nicht benennen ließ. Im Hafen wartete ein alter Volvo. Dunkelgrün, leicht verschrammt. Lasse Karlsson stand neben dem Wagen, eine Thermoskanne in der Hand, den Kragen hochgeschlagen gegen den Wind. Kein Winken, kein Lächeln – nur ein stummes Nicken, als sie die Gangway hinunter kam.
„Pünktlich wie immer“, sagte sie, als sie vor ihm stand.
„Du auch.“ Er reichte ihr einen Becher. „Kaffee. Stark. Nicht nett.“
„Genau richtig.“ Sie trank, sah ihn über den Becherrand an. „Was hast du mir da eingebrockt, Lasse?“
„Vielleicht eine Leiche. Vielleicht etwas Altes, das keiner mehr sehen will.“
Sie verstauten ihr Gepäck im Kofferraum. Der Motor brummte dumpf, als sie vom Hafen Richtung Nordosten fuhren. Die Straßen waren leer, die Felder flach und feucht, durchzogen von dunklen Wäldern, in denen sich das Licht fing wie in altem Glas.
„Der Tote – Rabe – du meintest, er war Historiker?“ fragte Hella nach einer Weile.
Lasse nickte. „Freiberuflich. Hat unter anderem für Stiftungen gearbeitet, die sich mit Fluchtbewegungen in der Nachkriegszeit beschäftigt haben. Ost-West-Verbindungen, Transitabkommen, verschwundene Akten. Keine offizielle Anstellung. Keine Familie. Zumindest keine, die sich bisher gemeldet hätte.“
„Und Thal?“
„Schwieriger Fall. War Lehrer in Güstrow, dann Schulleiter in Schwerin. Wurde 2014 vorzeitig pensioniert – angeblich aus gesundheitlichen Gründen. Danach ist er abgetaucht. Keine Interviews, keine Mitgliedschaften, kein digitales Leben. Nur dieses Haus in Blekinge. Und das wiederum hat er vor fünf Jahren gekauft, aber selten genutzt.“
„Was sagen die Schweden zu dem Fall?“
„Offiziell abgeschlossen. Keine Hinweise auf Fremdverschulden. Keine Einbruchspuren, keine Kampfspuren. Aber auch keine plausible Erklärung. Das Gift war Oleander – nicht leicht zu erkennen, nicht häufig in Mitteleuropa. Die Dosis war hoch, gezielt.“
Hella schüttelte den Kopf. „Also keine Panikattacke mit Kamillentee. Sondern ein sauberer, stiller Tod.“
„Genau das. Und dann dieser Zettel.“ Er zog ein laminiertes Blatt aus der Kartentasche und reichte es ihr. „Original ist in Lund. Ich habe dir eine Kopie gemacht.“
Sie betrachtete die Schrift. Schwarz, klar, mit feinem Druck. Keine Krakel, kein Zittern. Nur diese vier Worte: Spiegelgrenze – Such den Anderen.
„Was soll das bedeuten?“ murmelte sie.
„Frag ich mich auch. Aber es klingt nicht wie etwas, das man kurz vor dem Sterben hinschmiert. Es klingt wie ein Auftrag.“
Hella ließ den Blick über die weite Landschaft draußen schweifen. Der Nebel hatte sich inzwischen gehoben, aber der Himmel blieb undurchdringlich. Etwas lag in der Luft – nicht Greifbares, aber auch nicht harmlos.
„Wenn Rabe etwas entdeckt hat, das jemand verborgen halten wollte, könnte das die Erklärung sein“, sagte sie langsam. „Aber es klingt nicht nach Bedrohung. Es klingt nach Rätsel.“
„Oder nach Schuld“, sagte Lasse. „Nach einem Echo, das zu lange unterdrückt wurde.“
Sie schwiegen eine Weile. Der Wagen schlug eine Kurve, tauchte in ein kleines Waldstück ein. Dann wieder freie Fläche. Felder, feuchte Gräben, vereinzelte Häuser mit heruntergelassenen Rollos.
„Ich hab mir das Haus in Blekinge schon angeschaut“, sagte Lasse, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. „Die Polizei hat ihre Arbeit gemacht, aber nur das Nötigste. Keine forensische Tiefe. Es gibt noch Spuren, wenn man weiß, wonach man sucht.“
„Dann sollten wir genau das tun.“
Lasse warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ich bin froh, dass du da bist.“
„Ich auch“, sagte Hella. Und meinte es auch so.
Es war lange her, dass sie sich so klar gefühlt hatte. Nicht ruhig – aber wach. Der Fall war noch schemenhaft. Aber er hatte Tiefe. Und etwas an ihm schien gefährlich. Nicht im Sinne von Waffen oder Gewalt – sondern in dem, was aufbrechen konnte, wenn man zu genau hinsah. Als sie die Ausfahrt zur Nebenstraße nahmen, die zum Haus des Toten führte, fiel ein erster feiner Regenschleier über die Windschutzscheibe. Ein typischer schwedischer Frühling – kalt, leise, ernst.
„Wie weit noch?“ fragte Hella.
„Zehn Minuten“, sagte Lasse. „Vielleicht fünf – wenn der Weg offen ist.“
Hella nickte. Sie schloss die Jacke bis oben zu und ließ den Zettel nicht los. Was immer Rabe gesucht hatte, irgendjemand wollte nicht, dass es ans Licht kam. Aber genau das würde nun geschehen.