NORDGRENZE - Schattenklang - Teil 2 - Franziska M. Aedelgroen - E-Book

NORDGRENZE - Schattenklang - Teil 2 E-Book

Franziska M. Aedelgroen

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Beschreibung

Ein Festival. Ein Klang. Ein Mord. Was als Sommerausflug beginnt, wird für Kommissarin Hella Waansyn und ihren schwedischen Kollegen Lasse Karlsson zur tödlichen Jagd auf ein unsichtbares System. Zwischen alten Datenleitungen, Frequenznetzen und psychoakustischer Manipulation entdecken sie ein Projekt, das Menschen nicht nur erfasst – sondern steuert. Als während eines Musikevents in Nordschweden ein Signal durchbricht, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Spuren führen in die Archive einer norwegischen Universität, zu einem verschlüsselten Audio-Code – und zu einer Datei, deren Name das Ende bedeuten könnte: sk_v6_release.key "Nordgrenze – Schattenklang" ist der zweite Teil der atmosphärisch dichten Thrillerreihe zwischen Schweden und Deutschland. Ein Roman über Kontrolle, Klang und die Frage, ob man Systeme wirklich abschalten kann – oder nur hoffen darf, nicht erfasst zu werden.

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Seitenzahl: 78

Veröffentlichungsjahr: 2025

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NORDGRENZE - Schattenklang

Teil 2

von Franziska M. Aedelgroen

Sie dachten, es sei nur ein Festival. Dann war es ein Mord. Dann ein zweiter. Und plötzlich ein System.

„Es gibt keine stillen Systeme. Nur Menschen, die sie nicht hören wollen.“ – Hella Waansyn, Ermittlungsbericht V6

Der Flug war ruhig. Zu ruhig. Kein Ruckeln, keine Lautsprecherstimme, die Hella aus dem inneren Schwebezustand gerissen hätte. Die Welt draußen blieb ein loses Versprechen aus Himmel und Flughafenschirmen. Ihre Gedanken waren längst voraus – über Schweden gespannt wie ein Tonband: flirrend, gespannt, voller Hintergrundrauschen.

Anfang August. Hochsommer. Und doch hatte Lasses Einladung nichts Leichtes. Ein Festival, hatte er geschrieben. Musik, Feuer, Geschichten. Und dann dieser Satz, der sich nicht wie ein Vorschlag las, sondern wie eine Frage an etwas Tieferes: Und du und ich. Bitte komm.

Stockholm empfing sie mit flimmernder Hitze. Am Mietwagenschalter roch es nach Papier und Schweiß, die Frau hinter dem Tresen war freundlich, aber abwesend. Die Übergabe dauerte nur Minuten. Dann war Hella unterwegs – nordwärts, allein auf der E4, der Straße ins Leisere. Je weiter sie fuhr, desto mehr verblasste die Stadt. Industrie wich Wäldern, die Wälder wurden dichter, dann leerer, als wären sie selbst müde vom Sommer. Seen blitzten auf wie Spiegel, in denen sich das Sonnenlicht brach. Kilometer um Kilometer: Harz, Asphalt, Himmel. Und irgendwo da draußen – Lasse.

Die Straße nach Sundmo zog sich wie ein grauer Faden durch Wälder und Wiesen. Es war einer dieser warmen, windstillen Sommertage, an denen selbst die Luft stillzustehen schien. Hella hatte das Seitenfenster einen Spalt geöffnet, aber es brachte kaum Erleichterung. Stattdessen zog der Geruch von feuchtem Gras und heißem Harz ins Wageninnere. Der Fluss war nur ein paar Meter entfernt – breit,dunkel , ruhig wie Öl. Sundmo selbst war kein Ort, den man zufällig fand. Es war ein Punkt, der nicht auf Karten schrie, sondern sich in Zwischenräumen verbarg. Das Ferienhaus lag am Rand der Ortschaft, umgeben von Wäldern, Wiesen und dem leisen Atem des Fjällsjöälven. Nur wenige Meter vom Wasser entfernt stand es dort wie ein Versprechen: schlicht, aber nicht karg. Typisch schwedenrot gestrichen, mit weißen Fensterrahmen und einer kleinen Veranda, auf der man sitzen konnte, wenn der Abend kam. Drinnen roch es nach Holz und warmen Sommern. Drei Schlafzimmer, eine gemütliche Küche mit bequemer Bank, ein Wohnzimmer mit Büchern über Elche, Pilze und Wetterumschwünge. Auf der Rückseite eine kleine Terrasse, auf der sich Kaffee trinken und Stille aushalten ließ. Kein großer Luxus. Aber die Art Ort, an dem man atmen konnte, wenn man es verlernt hatte. Lasse hatte das Haus organisiert. Hella war seiner Einladung einfach gefolgt.

„Du hast Geschmack.“

„Die Auswahl war begrenzt“, sagte Lasse, „aber ja – ist okay.“

Sie blieben am Haus, aßen kalt, tranken Kaffee. Sagten wenig. Die Vertrautheit zwischen ihnen war eine stille, nicht wortreiche. Als die Sonne tiefer stand, holte Lasse zwei Festivalbändchen aus seinem Rucksack.

„Näsåker. Morgen Abend. Hast du Lust?“

„Du meinst, so richtig? Menschen, Musik, Dixi-Klos?“

„Ja.“

„Warum nicht.“

Sie nahm das Bändchen. Baumwolle, gewebt, mit schwarzer Schrift: Urkult. Das Fest war bekannt – eine Art nordischer Ableger von Woodstock. Musik, Feuer, Workshops, Yoga im Morgengrauen, Bier aus Flaschen, Trommeln bis in die Nacht. Alles, was man in der Stadt für ein Klischee hielt – aber hier wirkte es nicht aufgesetzt.

„Und was machen wir bis dahin?“, fragte Hella.

Lasse zuckte mit den Schultern. „Ankommen. Abschalten. Mal sehen, wie sich Urlaub anfühlt.“

Am nächsten Tag fuhren sie am späten Nachmittag los. Zwei Rucksäcke, leichte Jacken, Wasser. Die Sonne stand noch hoch, als sie Näsåker erreichten – eine Ansammlung aus Ständen, Bühnen, Lichtern. Der Klang von Gitarren, Trommeln, Stimmen lag über dem Gelände. Der Duft von Essen, Rauch, feuchter Erde. Es war voll, aber nicht hektisch. Bunt, aber nicht grell. Hella ließ den Blick schweifen. Kinder mit Barfußfüßen, alte Männer mit geflochtenem Bart, eine Frau mit einem Cello auf dem Rücken, als wäre das ganz normal. Sie gingen eine Weile nebeneinander, hörten sich ein Stück Musik an, blieben stehen, liefen weiter. Es war nicht die Art Ort, an dem man jemanden suchte. Sondern einer, an dem man sich verlieren konnte.

„Kennst du viele hier?“, fragte Hella, als sie eine Feuerstelle passierten, an der drei Männer wortlos saßen und in die Flammen sahen.

„Ein paar vom Sehen. Die Region ist klein.“

„Irgendwas Besonderes heute?“

„Heute spielt Skoog. Letzter Act. Die machen experimentellen Kram. Klangflächen, so was.“

„Und du magst das?“

„Ich will’s hören. Mehr nicht.“

Sie fanden einen Platz auf einer Anhöhe, von der aus man einen guten Blick auf die Hauptbühne hatte. Die Menge vibrierte. Kein Gedränge, aber Erwartung. Als die ersten Klänge aus den Boxen kamen – tiefe, vibrierende Töne, kaum Musik, eher ein Zustand – sah Hella auf die Menschen um sich. Einige hatten die Augen geschlossen. Andere wippten mit dem Kopf. Irgendwo schrie ein Kind. Und dann spürte sie es auch: ein leichtes Ziehen im Magen, als würde der Ton etwas in ihr lockern.

„Interessant“, sagte sie.

Lasse sagte nichts. Aber sein Blick war hellwach. Nach dem Auftritt blieben sie noch einen Moment sitzen. Die Masse begann sich zu bewegen. Gespräche, Gelächter, Flaschenklirren. Der übliche Abgang. Doch als sie sich schließlich erhoben, hörten sie es. Eine Stimme, hektisch.

Ein Mann, rennend. „Da liegt einer! Hinter der Bühne!“

Ein paar Menschen drehten sich um. Dann viele. Dann ging alles schnell. Ein Techniker schob sich durch die Menge. Ein Scheinwerfer wurde auf die Rückseite der Bühne gedreht. Und da lag er. Ein Mann. Bewegungslos. Die Beine seltsam verdreht. Eine blasse Hand auf dunklem Waldboden. Hella spürte, wie sich alles in ihr schaltete. Kein Urlaub mehr. Kein Musikabend. Der Modus änderte sich. Sofort. Lasse war schon unterwegs. Es war nicht laut auf dem Festivalgelände, als Hella und Lasse die Rückseite der Bühne erreichten. Die Musik war verstummt, der Applaus versickert. Doch das Schweigen hatte eine andere Schärfe bekommen – aufgeladene Neugier, ein Flackern von Angst. Menschen standen in Grüppchen, zogen ihre Jacken enger, warfen Blicke über die Schulter. Zwei Ordner versuchten, die Absperrung zu verstärken. Vergeblich. Das Gelände war offen, improvisiert, gebaut für Leichtigkeit, nicht für Kontrolle. Hella zeigte ihren Ausweis – nicht offiziell im Einsatz, aber das reichte hier.

Der Mann lag in einer Mulde zwischen zwei Lautsprecherkisten. Die Scheinwerfer warfen hartes Licht auf ihn. Mitte vierzig, dunkle Haare, ein schmaler Bart, der auf Präzision schließen ließ. Die Augen halb offen, der Ausdruck seltsam leer. Kein Blut. Keine sichtbare Verletzung.

„Nicht gestürzt“, sagte Hella leise.

Lasse kniete sich neben ihn. Keine Atmung, kein Puls. Die Finger leicht gekrümmt, als hätten sie sich gerade noch an etwas festhalten wollen. Das Gesicht: bleich, eingefroren in einem Ausdruck, den man nicht deuten konnte.

„Wir brauchen die Kripo aus Sollefteå“, sagte Lasse.

Hella nickte. „Und die Spurensicherung. Sofort.“

Ein junger Mann in einem Hoodie kam näher, zögernd, die Augen weit aufgerissen. „Ich... ich hab ihn gefunden.“

„Name?“, fragte Lasse.

„Joel. Joel Lundström. Ich bin Lichttechniker... also... ehrenamtlich.“

„Was genau hast du gesehen?“

Joel schluckte. „Ich bin nach der Show raus, um zu rauchen. Hinter der Bühne ist es ruhig. Normalerweise. Da lag er. Ich dachte erst, der pennt nur. Aber… dann hab ich gemerkt… der ist komisch.“

„Komisch?“

„Tot. Einfach... tot.“

Der Gerichtsmediziner kam gegen halb zwei. Hella und Lasse hielten sich im Hintergrund, beobachteten. Es war kein spektakulärer Fundort, kein blutiger Tatort. Und gerade das machte ihn unheimlich. Keine Kampfspuren. Kein Blut. Kein Anzeichen für Gewalt. Aber auch kein Hinweis auf einen natürlichen Tod. Kurze Zeit später kam das Team der Kriminaltechnik. Zwei Männer, eine Frau, in neutralen Overalls, schweigend, konzentriert. Einer begann, die Umgebung zu fotografieren – aus verschiedenen Winkeln, mit Maßstab, mit Markierungsnummern. Die Kamera klickte im regelmäßigen Takt, wie ein stiller Metronomschlag gegen die Nacht. Die andere sicherte Spuren: Faserspuren vom Boden, ein Haar an der Rückseite des Lautsprecherkastens, ein halber Schuhabdruck in weicher Erde. Er war undeutlich – keine Marke, keine klare Größe, aber tiefer als andere. Frisch. Jemand war nah am Toten gestanden, bevor der Körper entdeckt wurde. Hella trat näher an die Spurensichererin heran.

„Könnte vom Täter stammen?“

Die Frau zuckte leicht mit den Schultern, ohne aufzusehen. „Oder vom Finder. Oder von einem Techniker. Aber er steht nicht im Winkel zur Bühne – eher, als hätte jemand beobachtet. Oder gewartet.“

„Keine Schleifspuren?“

„Keine. Der Körper liegt exakt da, wo er gestorben ist. Oder wo er sich hingelegt hat.“

„Von allein?“

Ein Blick. „Eher nicht.“

Der dritte Ermittler nahm sich das Handy des Toten vor, legte es in eine Antistatikfolie und notierte etwas in sein Tablet. Dann fotografierte er die Hände des Mannes, die Ränder der Fingernägel, die Innenseiten der Handflächen.

„Keine Abwehrverletzungen“, murmelte er. „Aber...die rechte Hand ist leicht angespannt. Nicht normal. Als hätte er... eine Reaktion gehabt. Ein Krampf? Ein Impuls?“

Der Leichnam wurde vorsichtig auf eine Trage gelegt, eingehüllt in eine dunkelgraue Plane. Hella beobachtete, wie das Team sich methodisch vorarbeitete – der Bereich rund um die Lautsprecher wurde abgesucht, ein kleiner Kunststoffstreifen markiert: ein abgerissener Kabelbinder, schwarz, mit leicht abgeschliffener Oberfläche. Kein Fingerabdruck, aber ungewöhnlich.

„Wird der häufig hier verwendet?“, fragte Hella den Lichttechniker Joel, der noch immer in der Nähe stand.

„Nur für Notbefestigungen. Für Stromkabel oder Bühnenkram. Die regulären sind rot. Die schwarzen... hat eigentlich keiner dabei.“

Als das Team die Tonregler der Bühnenrückseite durchging, stieß einer der Techniker auf einen Schaltkasten mit gelöster Abdeckung.

„Offen“, sagte er leise.

„Sabotage?“

„Oder Improvisation.“

„Kann man von hier aus in die Tontechnik eingreifen?“

Ein Nicken. „Nicht steuern. Aber manipulieren – ja.“