Notärztin Andrea Bergen 1476 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1476 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

"Ruhig! So sei doch bitte endlich ruhig!" Seit Stunden trägt Eva ihre kleine Tochter Perdita nun schon herum und wiegt sie in den Armen. Doch das Neugeborene will sich einfach nicht beruhigen! Kein sanftes Wiegenlied, keine Milchmahlzeit und keine frische Windel kann Perdita von ihrem pausenlosen Gebrüll abhalten. Ihr Gesichtchen ist schon dunkelrot angelaufen, ihr Babykörper schweißüberströmt! Perdita ist ein Schreikind, sagen die Ärzte - und lassen Eva mit dieser Diagnose allein. Eva ist am Ende ihrer Kräfte angelangt - sie kann nicht mehr! Tränen rinnen über ihre Wangen, und ihr Flehen geht in ein verzweifeltes Winseln über. Da geschieht das Unfassbare ...
Stunden später kommt Eva in einer abgelegenen Klosterkapelle zu sich - und kann sich an nichts erinnern, was geschehen ist. Nur eine dunkle, schreckliche Ahnung umklammert ihr Herz. Und im Ohr der Klang von Babyweinen, das jäh erstirbt - und dann ist da nur noch Stille. Todesstille ...


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Seitenzahl: 132

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Inhalt

Cover

Die Kurzschlusshandlung

Vorschau

Impressum

Die Kurzschlusshandlung

Die erst wenige Wochen alte Perdita ringt auf der Kinderintensivstation um ihr junges Leben! Nachdem mein Mann Werner und ich gestern Abend verzweifeltes Babyweinen hörten, das dann jäh erstarb, haben wir Perditas Elternhaus betreten und die Kleine wie leblos in ihrem Bettchen gefunden. Sie hat Blutungen im Gehirn und Einblutungen in den Augen! Perdita leidet an einem schweren Schütteltrauma, das ihr wohl die eigene Mutter zugefügt hat!

Seit dem vergangenen Abend, an dem Eva Dorian, wie von Furien gehetzt, aus dem Haus stürzte und an uns vorbei über die Straße floh, fehlt von ihr jede Spur. Wir rechnen mittlerweile mit dem Schlimmsten! Wohin kann Eva sich gewandt haben? Was hat sie so in Stress versetzt, dass es zu dieser Kurzschlusshandlung kam und sie sich so vergessen hat?

»Ist es bei dir nicht schon bald so weit, Eva?« Fragend blickte Evas Kollegin Iris sie an.

Eva Dorian strich sich über den schon stark gewölbten Bauch.

»In drei Wochen«, erwiderte sie lächelnd.

Die Kollegin zog die Augenbrauen hoch. »Und da arbeitest du noch?«

»Ich hätte meinen Mutterschaftsurlaub natürlich schon früher antreten können, aber ich bin lieber im Laden, statt untätig zu Hause zu sitzen.«

»Kann ich verstehen. Dann siehst du deinen Liebsten auch tagsüber.« Die Kollegin ging weiter, um neue Kundschaft zu begrüßen.

Eva faltete ein Sporttrikot zusammen, das sie einem Kunden gezeigt hatte, der es dann doch nicht genommen hatte. Dass sie so kurz vor der Entbindung immer noch im Sport-Shop arbeitete, hatte nichts mit Ludger zu tun. Er war zwar der Vater ihres Kindes, aber als ihren »Liebsten« würde sie ihn nicht mehr bezeichnen. Dazu hatte er sie zu sehr enttäuscht, wie sie auch von vielen ihrer Mitmenschen und überhaupt vom ganzen Leben enttäuscht worden war.

Ludger war der Inhaber des Sport-Shops im Stadion. Eva war froh gewesen, als sie nach ihrer schwerwiegenden Muskelverletzung, die ihre sportliche Karriere als Sprinterin und Hürdenläuferin beendet hatte, bei ihm eine Anstellung gefunden hatte. So war sie ihrem Sport immer noch nahe, und sie liebte das lebhafte Treiben im Stadion.

Ansonsten war ihre Beziehung zu Ludger nicht mehr das, was sie vor zwei Jahren noch gewesen war. Die anfängliche leidenschaftliche Liebe war verflogen, und wäre sie nicht mit seinem Kind schwanger gewesen, dann hätte sich Eva vielleicht von ihm getrennt. Aber es ging ihr außerdem um ihre Anstellung als Verkäuferin und Beraterin. Sicher würde sie auch in einem anderen Sportgeschäft unterkommen, aber dann würde ihr das Ambiente des Sportstadions fehlen.

Eva räumte ein wenig auf und bediente dann wieder Kundschaft. In Kürze hatte sie Mittagspause. Vielleicht würde Ludger mit ihr zum Essen gehen. Wenn nicht, würde sie zum Einkaufszentrum hinausfahren und sich in dem neuen Babyausstattungsgeschäft umsehen.

Vor dem Regal mit den Sportschuhen sah sie Ludger mit Iris zusammenstehen. Eva wusste, dass die Kollegin es auf ihn abgesehen hatte. Er schien in ihr jedoch nicht mehr zu sehen als eine tüchtige Verkaufskraft.

Jetzt kam er zu ihr herüber.

»Wie läuft es so?«, erkundigte er sich in jenem geschäftsmäßigen Ton, der so typisch für ihn war.

»Alles bestens«, erwiderte Eva mit einem Lächeln. »Unser Baby strampelt wieder ganz schön. Hier, willst du mal fühlen?« Sie wollte nach seiner Hand greifen, doch Ludger entzog sie ihr.

»Ich meinte, wie läuft es geschäftlich? Schon gute Verkäufe gemacht?«

Evas Lächeln erlosch. Natürlich, es ging ihm immer nur ums Geschäft und den Umsatz. Sein Baby interessierte ihn im Grunde herzlich wenig; diese Erfahrung machte sie mit schöner Regelmäßigkeit. Es enttäuschte Eva sehr. Sie konnte nur hoffen, dass sich das ändern würde, wenn das Baby erst einmal da war und Ludger es im Arm hielt.

»Ich habe eine teure Sherpa-Jacke und ein Skateboard verkauft«, gab sie Auskunft und zählte noch verschiedene kleinere Artikel auf. »Dann werde ich mal Mittagspause machen. Ob du mit mir zum Essen kommst, brauche ich wohl nicht zu fragen.«

Ein unwilliger Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Warum auf einmal so schnippisch? Du siehst doch, wie voll der Laden ist. Ich habe auch noch tausend andere Sachen zu tun.«

»Schon gut. Dann gehe ich eben allein. Das bin ich ja gewohnt.« Eva wandte sich von ihm ab, damit er ihre aufsteigenden Tränen nicht sah. Ihr war nicht bewusst, dass sie schnippisch gewesen war. Sie war nur empfindlich geworden, aber das war auch kein Wunder. Sie konnte nicht mehr so viel einstecken wie früher.

Eva verließ den Laden und schlug den Weg zur Sports-Bar ein, die am Ende der Arena lag. Von der großen Glasfront aus konnte man auf die Eislaufbahn blicken. Sie setzte sich dort an einen Tisch und bestellte eine Lasagne.

Auch die Bedienung erkundigte sich danach, wann es denn bei ihr so weit sei. Eva sagte es ihr und plauderte kurz mit ihr. Während sie auf ihre Lasagne wartete, sah sie den Eisläuferinnen und Eisläufern zu. Es schien sich um ein Training von Amateuren zu handeln.

Wehmut überkam Eva. Was hätte sie darum gegeben, noch so fit zu sein, um sich wenigstens privat sportlich betätigen zu können! Mit einem Baby hätte sie ihre Profikarriere sowieso nicht weiter verfolgen können. Doch wäre es nicht zu diesem Muskelabriss am hinteren Oberschenkel gekommen, dann wäre sie jetzt nicht mit Ludger zusammen und wäre auch nicht schwanger von ihm. Dann hätte sie es vielleicht doch noch bis zur Goldmedaille geschafft, wozu ihre Mutter sie so erbarmungslos gedrängt hatte.

»Guten Appetit«, unterbrach die Bedienung ihre Gedanken und stellte einen Teller mit einer großen Portion Lasagne vor sie hin.

»Danke.« Eva schluckte. Bei dem Gedanken an ihre Mutter wäre ihr der Appetit beinahe vergangen. Nein, bloß nicht mehr an die schrecklichen Jahre ihrer Kindheit und Jugendzeit denken, den Drill, den Stress, die Lieblosigkeit, den Missbrauch! Energisch scheuchte sie alle derartigen Gedanken zur Seite. Doch sie drängten sich ihr immer wieder auf.

Eva hatte in ihrem Leben bisher nur Stress gekannt. Ohne Vater und Geschwister aufgewachsen, von der ehrgeizigen Mutter zur Profisportlerin gedrillt, im Trainingslager missbraucht – es war oft die Hölle für sie gewesen. Schon als Achtjährige hatte sie in der Kinderleichtathletik unter Leistungsdruck gestanden. Später musste sie als Sprinterin und Hürdenläuferin Höchstleistungen erbringen. So hatte sie es bei den Weltmeisterschaften auch auf den zweiten Platz geschafft. Eva war stolz auf sich gewesen, doch ihre Mutter hatte sie zur Goldmedaille gedrängt. So war der Drill weitergegangen.

Eva hatte auch sehr unter der Lieblosigkeit ihrer Mutter gelitten. Nie hatte sie ein liebes Wort für sie gehabt, immer hatte sie nur geschimpft und ihr Vorschriften gemacht. Sie hatte sie ständig kontrolliert und ihr vorgeschrieben, was sie essen durfte. Freizeit hatte sie so gut wie nicht gekannt.

Als sie älter geworden war, hatte es zu Hause nur noch Streit gegeben. So war Eva dann auch schon früh ausgezogen und hatte den Kontakt zu ihrer Mutter mit der Zeit völlig abgebrochen. Sich von ihr abzunabeln und nicht auf ihre ständigen Anrufe und Nachrichten zu reagieren, war weiterer Stress für sie gewesen, der sich dann auch auf ihren Körper und ihre Psyche ausgewirkt hatte.

Trotz ihrer sportlichen Erfolge war Eva oft deprimiert gewesen. Sie hatte unter unklaren Schmerzen gelitten, außerdem hatte sie zunehmende Gedächtnisstörungen. Sie versuchte, diese zu vertuschen, doch es fiel auf, dass sie immer vergesslicher wurde. Erst gestern hatte Ludger es ihr wieder vorgeworfen. Offenbar ging sie ihm mit ihren Gedächtnislücken auf die Nerven.

Ludger! Eva seufzte auf. Auch er und die Art und Weise, wie er sie manchmal behandelte, waren ein Stressfaktor für sie. Eva war sich bewusst, dass es für sie besser gewesen wäre, wenn sie sich von ihm trennen würde. Doch im Moment war dafür kein günstiger Zeitpunkt. Nicht jetzt, da die Geburt ihres Kindes bevorstand.

»Hat's geschmeckt?«

Eva hatte gar nicht gemerkt, dass sie über all diesen bedrückenden Gedanken ihren Teller leer gegessen hatte.

»Danke, ja«, erwiderte sie und schenkte der Bedienung, die das Geschirr abräumte, ein flüchtiges Lächeln.

Eva verließ das Restaurant. Sie hatte keine Lust mehr, zum Einkaufszentrum zu fahren. Sie fühlte sich auch nicht danach, den Nachmittag im Geschäft zu verbringen. So kehrte sie nur kurz zurück, um Ludger mitzuteilen, dass sie sich nicht wohlfühlte und sich zu Hause hinlegen wollte.

***

»So ein schöner Tag heute! Man kann schon richtig den Frühling riechen.« Dr. Andrea Bergen schloss das Autofenster wieder, das sie kurz geöffnet hatte, um frische Luft hereinzulassen.

Werner, ihr Mann, der sich auf dem Beifahrersitz bequem zurückgelehnt hatte, stimmte ihr zu.

»Ein perfektes Wochenende. Wir haben beide dienstfrei, das Wetter ist wunderbar, und wir sind auf dem Weg zum Kloster Hohenstetten, um uns wieder mal mit deren Bio-Erzeugnissen einzudecken. Wie wäre es, wenn wir morgen früh zu unserer Blockhütte fahren würden, auch wenn wir nur einen Tag dort verbringen können?«

»Ein sehr verlockender Vorschlag«, fand Andrea. Ihr Wochenenddomizil im Westerwald sahen sie ohnehin viel zu selten. Bei dem schönen Wetter würde schon die Fahrt ein Genuss sein. Wenn sie am Morgen frühzeitig losfuhren, würden sie den ganzen Tag für eine schöne lange Wanderung und ein Mittagessen im Gasthof Kühn zur Verfügung haben.

Das Ehepaar plauderte angeregt und machte Pläne. Hinter beiden lag eine anstrengende Woche. Andrea hatte als Notärztin zahllose und teilweise schwierige Einsätze mit dem Rettungswagen hinter sich, und Werner, der in einem Anbau der Villa der Bergens eine gut gehende Kinderarztpraxis betrieb, war ebenfalls nicht zur Ruhe gekommen. Nun wollten sie das gemeinsame freie Wochenende ausgiebig genießen.

Nachdem sie eine Weile am Rhein entlanggefahren waren, tauchten rechter Hand auf den Hügeln das stattliche Hauptgebäude und die verschiedenen Nebengebäude des Benediktinerklosters auf. Besonders für Andrea war es ein Ort der Ruhe und Stille, den sie immer wieder gern aufsuchte. Sie bogen in die Zufahrtsstraße ein und fuhren kurz darauf auf den Parkplatz.

»Wollen wir gleich einkaufen oder uns erst die Füße vertreten?«, fragte Werner.

Andrea angelte nach ihrer Jacke. »Ich würde erst gern einen ausgedehnten Spaziergang machen, dann brauchen unsere Einkäufe nicht so lange im Auto zu liegen. Es ist zwar ganz schön frisch, aber die Sonne ist schon recht kräftig. Da wird es im Auto rasch warm.«

»Du hast recht, Liebes. Marschieren wir erst einmal. Danach gönnen wir uns ein leckeres Mittagessen.«

Andrea setzte ihre Mütze auf und stieg aus. Werner folgte ihr. Hand in Hand wie ein verliebtes Paar, das sie auch immer noch waren, schlugen sie den Rundweg ein, der durch das Klostergelände und die angrenzenden Felder führte.

Sie waren fast eine Stunde unterwegs, bis sie wieder am Hauptgebäude landeten. Dort betraten sie den Hofladen. Erst wollten sie ihre Bestellung aufgeben und dann zum Mittagessen in die Klosterschenke gehen. Ihre Einkäufe würden sie später abholen.

Der Hofladen war wie immer gut besucht. Die Bergens schätzten die Qualität der angebotenen Waren sehr. Und sie schätzten die Familie Gerner. Mario Gerner war der Leiter des Hofladens, seine Schwester Rosa gehörte zum Marktwagen-Team und fuhr auf Märkte, und seine Eltern verkauften ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse an das Kloster.

Die Familie lebte auf einem nahe gelegenen Bauernhof. Marios Bruder war vor zwei Jahren leider tödlich verunglückt. Es war Andreas Einsatz gewesen. Sie hatte alles getan, um sein Leben zu retten, doch sie hatte es nicht geschafft. Er war zu schwer verletzt gewesen.

Andrea und Werner betraten den Anbau, in dem der Hofladen untergebracht war. Auf der anderen Seite des Flures befand sich ein Raum, in dem das Fleisch zugeschnitten und verpackt wurde. Plötzlich ertöntne dort ein Poltern und ein lauter Schmerzensschrei, dem aufgeregte Stimmen folgten. Eine ältere Frau stürzte heraus und stieß die rückwärtige Tür zum Hofladen auf, ohne von den Besuchern Notiz zu nehmen.

»Herr Gerner, kommen Sie mal schnell!«, rief sie. »Der Herbert hat sich ganz übel in die Hand geschnitten.«

Die Bergens sahen sich an.

»Das klingt, als sollte ich besser unseren Notfallkoffer aus dem Auto holen«, meinte Werner, und Andrea nickte.

Während er nach draußen eilte, kam Mario Gerner aus dem Hofladen gelaufen.

»Tag, Frau Dr. Bergen«, grüßte er unkonzentriert.

»Ich helfe Ihnen, Herr Gerner.« Andrea folgte ihm in die Fleischerei.

Dort hielt sich ein Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand, um die ein blutdurchtränktes Handtuch gewickelt war. Andrea war klar, dass es sich hier nicht nur um eine oberflächliche Verletzung handelte.

»Was bin ich froh, dass Sie gerade im rechten Moment gekommen sind, Frau Dr. Bergen«, bemerkte Mario Gerner erleichtert, als ihm bewusst wurde, dass eine Notärztin neben ihm stand.

Da war Werner auch schon mit dem Notfallkoffer zurück. Der verletzte Mann wurde in einem angrenzenden Raum auf einen Stuhl gesetzt. Werner reichte seiner Frau eine Fertigspritze mit einem Schmerzmittel, die sie dem Patienten zusammen mit einem kreislaufstärkenden Mittel injizierte.

Es war tatsächlich ein übler Schnitt in den Handballen. Der Mann hatte auch einiges Blut verloren. Fachmännisch klammerte Andrea die klaffende Wunde und verband die Hand. Danach ordnete sie dem Mann Ruhe an und bat ihn, zwecks Verbandswechsel morgen zu seinem Arzt zu gehen.

Der Mann bedankte sich überschwänglich. Auch Mario Gerner sprach der Notärztin und ihrem Mann seinen Dank aus.

»Dafür bekommen Sie ein extragroßes Stück Fleisch«, versprach er und gab einem Mitarbeiter entsprechende Anweisungen.

***

»Warum hast du nichts davon gesagt, dass es dir zu viel ist, ein Abendessen zu kochen?« Ludger Hellmanns Gesicht drückte Ärger und Missbilligung aus. »Dann hätte ich im Restaurant gegessen.«

Eva holte tief Luft. Sie fühlte sich heute wieder enorm gestresst, auch wenn nichts Bemerkenswertes vorgefallen war und sie sich nicht mit Arbeit übernommen hatte. Es wurde ihr nur allmählich alles zu viel, ein Gefühl, das sie schon seit ihrer Kindheit begleitete.

»Tut mir leid, aber ich habe es vergessen«, rang sie sich ab.

»Vergessen, vergessen!« Ludger fuhr mit der Hand ärgerlich durch die Luft. »Ich hasse dieses Wort. Wie oft benutzt du es am Tag? Hundert Mal? Du gehst mir mit deiner Vergesslichkeit echt auf die Nerven.«

Eva biss sich auf die Lippe. Auch du gehst mir auf die Nerven, hätte sie ihm am liebsten entgegengeschleudert. Doch sie beherrschte sich. »Ich könnte dir belegte Brote machen«, bot sie stattdessen an.

»Die hatte ich heute Mittag schon«, wehrte Ludger ab. »Nach einem langen Arbeitstag brauche ich eine ordentliche warme Mahlzeit. Wenn ich sie zu Hause nichts bekomme, muss ich eben ins Restaurant gehen.«

Damit machte Ludger kehrt und zog in der Diele seine Jacke wieder an. Ohne Abschied trat er aus der Tür. Er hatte Eva auch nicht gefragt, ob sie mit zum Essen kommen wollte.

Eva knüllte das Geschirrtuch zusammen und warf es in die Ecke. Aufschluchzend sank sie auf einen Stuhl. Schon den ganzen Tag über hatte sie sich elend gefühlt, deprimiert und richtig krank. Sie wusste, dass es bei ihr hauptsächlich die Psyche war. Aber auch körperlich fühlte sie sich nicht wohl.

Hoffentlich ging es wenigstens dem Baby gut! Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen strich sich Eva über den Bauch. Hatte sie etwas falsch gemacht? Hatte sie die nötige Vorsicht außer Acht gelassen? Nein, sie war sich dessen nicht bewusst.

Gern hätte sie auf ein Abendessen verzichtet. Sie hatte nicht den geringsten Appetit. Ihrem Baby zuliebe aß sie etwas Obst und machte sich anschließend noch einen Salat.

Ihre Gedanken wanderten zu Ludger. Wo er jetzt wohl beim Essen saß ... und mit wem? Eva wollte nicht annehmen, dass er sie betrog, auch wenn ihre Beziehung nicht mehr die innigste war. Sie wusste, dass er gern mit Kundinnen und anderen hübschen Frauen flirtete. Das hatte sie ihm nicht weiter übel genommen.

Wie würde er seiner Vaterrolle gerecht werden?, ging es ihr als Nächstes durch den Sinn. Und was war, wenn sie ein Mädchen bekamen und nicht den Jungen, den er sich wünschte? Ludger hatte darauf gedrängt, dass sie einen Test machen ließ, um das Geschlecht des Babys zu bestimmen. Doch das hatte Eva aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt.

Sie beendete ihren Imbiss und begann, das Geschirr zu spülen. In den letzten Tagen fielen ihr jeder Handgriff, jeder Schritt schwer. Nein, von jetzt an würde sie nicht weiter im Laden arbeiten, sondern sich schonen und sich auf die Geburt ihres Babys vorbereiten. Lange war es ja nicht mehr hin bis zum Termin.