Notärztin Andrea Bergen 1507 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1507 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Der Schmerz über den Verlust ihres Kindes quält Liona jede einzelne Minute ihres Lebens. Hinzu kommt, dass ihr Ex-Mann Liona die Schuld am Tod des gemeinsamen Sohnes gibt. Er behauptet, sie habe nicht genug getan, um ihn vor dem Ertrinken zu retten. Diese Vorwürfe und die tiefe Trauer bereiten ihr nicht nur psychische, sondern auch physische Qualen. Sie leidet an dem "Broken-Heart-Syndrom"!
Als es ihr eines Tages heldenhaft gelingt, einen anderen kleinen Jungen vor dem Ertrinkungstod zu bewahren, bricht sie vollends in sich zusammen. Ihre Schuldgefühle gegenüber ihrem eigenen Kind steigen ins Unermessliche! Und sie weigert sich, mit dem Vater des von ihr geretteten Kindes überhaupt in Kontakt zu treten. Doch dieser gibt nicht auf. Er will Emils unbekannte Lebensretterin unbedingt wiedersehen und in ihr die Hoffnung auf ein glücklicheres Leben wecken ...

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Inhalt

Cover

Emils unbekannte Lebensretterin

Vorschau

Impressum

Emils unbekannte Lebensretterin

Wie ein Albtraum – so kommt mir der letzte Einsatz vor. Ein Fünfjähriger wurde schwer verletzt und unterkühlt aus dem Rhein gezogen. Bei einem Sturz am Ufer hat der kleine Emil sich an den Scherben einer Flasche den Hals aufgeschlitzt, seine Luftröhre verletzt und ist dann ins Wasser gefallen.

Für mich persönlich sind das die schlimmsten Einsätze – wenn Kinder in Lebensgefahr schweben! In dem Moment bin ich nicht nur Notärztin, sondern auch Mutter. Der Blick in die geschockten Augen der Eltern ist dann auch für mich kaum zu ertragen. Wenn dem eigenen Kind, das man mehr als alles andere auf der Welt liebt, so etwas Schreckliches widerfährt, muss das der absolute Horror sein!

Zum Glück konnte ich Emil in einem stabilen Zustand an die Kollegen übergeben und bin voller Hoffnung, dass er gerettet wird, aber ich weiß, dass an der gleichen Stelle im Rhein tatsächlich schon einmal ein kleiner Junge ertrunken ist ...

»Papa! Papa, schnell!«

Aron schreckte von seiner Arbeit hoch. Was war jetzt wieder los? Wenn er doch nur mal eine Stunde lang ungestört arbeiten könnte! Aber das war mit einem so lebhaften und abenteuerlustigen Kind wie Emil unmöglich.

Aron sprang vom Stuhl auf und lief zum Fenster. Draußen im Garten stand sein fünfjähriger Sprössling, rief immer noch nach ihm und gestikulierte dabei wild mit den Armen.

»Juno hat ein dickes Loch unter dem Zaun gebuddelt«, teilte er ihm aufgeregt mit. »Die olle Zicke ist schon ganz sauer! Sie hat böse geschimpft.«

»Emil, nicht so laut«, rief Aron beschwörend. »Ich komme.«

Meine Güte, hoffentlich hatte seine nicht immer nette Nachbarin das nicht gehört! Er hatte sie tatsächlich mal eine olle Zicke genannt. Das hätte er sich vor seinem Sohn verkneifen sollen.

Im Nachbarhaus ging ein Fenster auf.

»Ihrem Frechdachs von Hund sollten Sie mal bessere Manieren beibringen, Herr Kestner!«, rief die Nachbarin erbost. »Und Ihrem Frechdachs von Sohn ebenso!« Damit knallte sie das Fenster wieder zu.

Aron raufte sich das dunkle Haar. Und Ihnen ebenso!, hörte er sie in Gedanken hinzufügen. Ganz sicher dachte sie das von ihm. Und so unrecht hatte sie damit gar nicht. Wie sollte er seinem Sohn Manieren beibringen, wenn er selbst keine hatte? Man nannte seine Nachbarin nicht eine olle Zicke, auch wenn sie eine säuerliche alte Jungfer war, die an allem etwas auszusetzen hatte.

Er stürmte nach draußen. Schon wieder ein Loch im Zaun flicken! Warum brachte er nicht eine Verkleidung aus Blech an? Es würde ihm egal sein, ob es bescheuert aussah. Sollte seine Nachbarin sich darüber freuen.

Jetzt ging drüben die Haustür auf. Aron zog unwillkürlich die Schultern ein. Wehmütig dachte er an seine Arbeit. Die konnte er in der nächsten Stunde vergessen.

»Verschwinde, du frecher Hund!« Die Nachbarin schlug tatsächlich mit einer Schaufel nach dem süßen kleinen Kerl, was ein empörtes Protestgeschrei von Emil zur Folge hatte.

»Schlagen Sie den Kleinen doch nicht mit einer Schaufel!«, empörte sich nun auch Aron. »Juno ist noch keine drei Monate alt. Er wird schon noch Manieren lernen.«

Die ältere Frau lehnte die Schaufel gegen die Hauswand.

»Süß ist er ja«, gab sie in einem Anflug von Versöhnlichkeit zu. »Aber die ständigen Löcher im Zaun und das Gebuddel in meinen Beeten – das kann ich auf Dauer nicht dulden.«

»Schon klar, Frau Reitzhammer. Ich werde den Drahtzaun mit Plastik oder Blech verkleiden.«

Ursprünglich stand an der Grenze zum Nachbargrundstück ein Holzzaun. Da dieser nicht in den Erdboden ragte und ein kleines Hündchen wie Juno sich mühelos darunter durchbuddeln konnte, hatte Aron am unteren Teil Maschendraht angebracht. Aber auch der bot Junos Drang, aufs Nachbargrundstück zu gelangen, keinen Einhalt.

Inzwischen war es Emil gelungen, den kleinen Ausreißer zur Rückkehr in den heimischen Garten zu bewegen. Er nahm ihn auf den Arm und tröstete ihn. Dann lief er mit ihm ins Haus.

»Plastik oder Blech ...« Der Nachbarin schien weder die eine noch die andere Lösung zuzusagen. »Das wird aber nicht sehr hübsch aussehen.«

Aron verzog leicht die Lippen. »Möchten Sie einen hübschen Zaun mit Löchern oder einen Zaun, durch den sich Juno nicht buddeln kann?«

»Reparieren Sie einfach das Loch, und bringen Sie Ihrem Hündchen Manieren bei, das wäre im Moment die einfachste Lösung.« Die Nachbarin nickte ihm gnädig zu und verschwand wieder im Haus.

Aron begutachtete das Loch. Es würde nicht schwer zu reparieren sein, aber es würde ihn Zeit kosten und ihn von der Arbeit abhalten.

»Machen wir jetzt das Loch wieder zu?«, empfing Emil ihn, als Aron das Wohnzimmer betrat. Er saß mit Juno zwischen Spielsachen auf dem Teppich.

»Wir?«, horchte Aron auf. Es kam nicht oft vor, dass der Kleine seine Hilfe anbot. Dazu war er immer viel zu beschäftigt.

Emil nickte ernsthaft. »Juno ist mein Hund, und wenn er was anstellt, muss ich es in Ordnung bringen. Genau wie du, wenn ich was angestellt hab.«

Aron grinste breit. Mit seinen fünf Jahren war Emil schon ein recht cleveres Kerlchen.

»Danke für das Angebot, Kleiner. Das nehme ich gern an. In einer Stunde etwa? Zuvor möchte ich noch etwas am Computer arbeiten und einen Kaffee trinken.«

Emil hörte schon gar nicht mehr hin. Er erzählte seinem Hündchen gerade, dass er nie mehr zu der bösen Nachbarsfrau durch den Zaun krabbeln durfte, weil sie ihm sonst die Schaufel auf den Kopf schlug.

Aron ging in die Küche und setzte die Kaffeemaschine in Betrieb. In der Firma wäre jetzt Kaffeepause, und er würde mit seinen Kollegen bei einem Kaffee plaudern. Im Homeoffice zu arbeiten, war in seiner Situation als allein erziehender Vater gut und praktisch, aber er vermisste auch die sozialen Kontakte. Aus diesem Grund wollte er Emil im Herbst ganztags in den Kindergarten geben. Aron war IT-Fachmann und arbeitete für eine große Firma.

Er trug seinen Kaffee ins Arbeitszimmer und machte es sich am Schreibtisch bequem. Kurz dachte er an Emils Mutter, mit der er nicht verheiratet gewesen war.

Sie hatte es sich leicht gemacht, hatte ihm das Kind überlassen und sich nur für ihren Motorradsport interessiert. Schon seit Monaten fuhr sie mit Gleichgesinnten mit dem Motorrad durch Europa und Afrika. Hin und wieder meldete sie sich mit einer Karte. Aron hatte das Sorgerecht für Emil.

Er trank von seinem Kaffee und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Anstatt weiterzuarbeiten, verweilte er mit seinen Gedanken in der Vergangenheit. Seine kurze Beziehung mit Melanie war aufregend und erotisch gewesen. Beiden war klar gewesen, dass sie nicht lange halten würde. Melanie hatte es in die weite Welt hinausgezogen, und ihre Pläne hatten ihn nicht mit eingeschlossen.

Auch eine Schwangerschaft war nicht geplant gewesen. Dennoch hatte Melanie das Kind zur Welt bringen wollen. Aron war ihr dankbar gewesen, dass sie nicht auf eine Abtreibung bestanden hatte. Er konnte sich ein Leben ohne diesen quirligen kleinen Kerl gar nicht vorstellen.

Zweifellos hatte Emil die Abenteuerlust seiner Mutter geerbt. Aron besuchte mit ihm regelmäßig Freizeiteinrichtungen aller Art, die seinem Drang nach Abenteuern gerecht wurden und wo er sich austoben konnte. Emil übte sich auf dem Skateboard, durfte im Hochseilgarten klettern, und er liebte es, Höhlen zu erforschen.

»Hunger, Papa!«, tönte es von der Tür her. »Juno und ich haben Hunger.«

Aron kehrte von seinem Gedankenausflug zurück. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es später war, als er gedacht hatte.

»Okay, mein Kleiner«, sagte er im Aufstehen. »Dann wollen wir uns mal ans Abendessen machen.«

***

Der Schmerz war heute wieder unerträglich. Liona Henniger presste die Hand aufs Herz und holte tief Luft. Doch damit ließen sich die seelischen Schmerzen, die in ihrer Brust tobten, nicht lindern.

Ob sie die Bilder aus glücklichen Zeiten von der Wand nehmen sollte? Liona betrachtete sie mit einem dicken Kloß im Hals. Nein, sie hing zu sehr daran! Sie nicht mehr zu sehen, würde sie nicht ertragen können. Aber auch das tägliche Betrachten tat unendlich weh.

Mit einem schmerzlichen Seufzer wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Hätte sie nur kräftiger zugepackt! Wäre sie nur eine bessere Schwimmerin gewesen!

Knappe zwei Jahre war es jetzt her, dass Silas, ihr kleiner Liebling, im Rhein ertrunken war. Es war ihre Schuld gewesen. Zumindest behauptete das Erik, sein Vater. Sie hätte sich nicht genügend angestrengt, als sie versucht hatte, ihn aus dem Wasser zu ziehen.

Liona lachte bitter auf. Jede Mutter, die ihr Kind vor dem sicheren Tod retten wollte, würde ihr Äußerstes geben und sich bis zum Letzten anstrengen. Auch sie hatte das getan. Für Erik war es nicht genug gewesen. Es war auch tatsächlich nicht genug gewesen. Denn Silas war tot.

Liona strich sich das lange blonde Haar zurück. Sie fühlte sich wieder entsetzlich elend. Manchmal war sie vom Schmerz wie gelähmt. Auch ihr Herz schien dann wie gelähmt zu sein. Es schlug nur noch sehr langsam, und sie schien keine Kraft in ihrem Körper mehr zu haben.

Dann wieder stellte sich dieses schlimme Herzrasen ein, das ihr so Angst machte.

Aber würde es nicht egal sein, wenn sie an ihrem Kummer starb? Sie hatte nichts mehr vom Leben. Es war nur noch grau, düster und quälend.

Kummer machte krank und schwächte das Herz, darüber war sich Liona bewusst. Zudem litt sie an Erschöpfungszuständen, schlaflosen Nächten und Magenkrämpfen.

Erik hatte sie nach dem Unglück verlassen und die Scheidung eingereicht. Mit einer Frau, die seinen Sohn hatte ertrinken lassen, konnte er nicht länger zusammenleben.

Liona hatte ihn nicht zu halten versucht. Ihre Ehe war ohnehin nicht das gewesen, was sie sich gewünscht hatte. Erik war ein erfolgreicher Filmproduzent, und sie war sicher, dass er seine Affären hatte.

Liona wünschte sich nur, er würde nicht mehr herkommen, wann immer es ihm passte. Würde nicht mehr in Gedanken versunken vor der Schaukel im Garten stehen, Fotos machen und ihr zum hundertsten Mal vorwerfen, dass Silas noch am Leben wäre, wenn sie besser auf ihn aufgepasst und ihn aus den Fluten gerettet hätte. Erik verstand es, ihre Schuldgefühle jedes Mal aufs Neue zu schüren.

Sie stand auf und trug ihre leere Teetasse zur Spüle. Es war Zeit, ihren Pflichten nachzugehen.

Sie arbeitete als Übersetzerin und hatte ihre regelmäßigen Aufträge. Finanzielle Sorgen musste sie nicht haben. Bei der Scheidung hatte sie das Haus bekommen, und ihr Verdienst war nicht schlecht. Übersetzungen aus dem Englischen oder Französischen machten ihr großen Spaß, auch wenn manche Aufträge eine Herausforderung darstellten.

Liona machte in erster Linie Buchübersetzungen aller Art. Schöne Geschichten, traurige Geschichten, Liebesromane, Krimis – oft versank sie in den Leben der anderen und identifizierte sich mit den Personen.

Aber da waren auch Gedichte, Liebesbriefe, Fachübersetzungen, Exportdokumente, Printmedien, Verträge und vieles mehr. Abwechslungsreicher konnte ihre Arbeit nicht sein.

Auf dem Weg zu ihrem Arbeitszimmer überlegte Liona es sich anders. Statt an den Schreibtisch zog es sie hinaus zu Silas' Gedenkstätte am Rhein. Sie war schon länger nicht mehr dort gewesen, denn bei jedem Besuch brachen die Wunden wieder neu auf.

Heute brachte die Sonne Wärme in ihren grauen Alltag. Sie wollte für Silas ein paar Blümchen aus dem Garten holen und sie an seiner Gedenkstätte niederlegen.

Es war ein gutes Stück Weg bis dorthin. Ein kalter Wind wehte vom Fluss her, und trotz der Sonne fröstelte Liona in ihrer dünnen Jacke.

Sie ging schneller. Jugendliche auf Skateboards überholten sie, Radfahrer kamen ihr entgegen. Im Geist sah sie Silas auf seinem Dreirad auf dem Uferweg fahren. Was für einen Spaß hatte er immer gehabt, und wie schnell war er trotz seiner vier Jahre schon gewesen!

Schon von Weitem sah Liona das Kupferblech in der Sonne leuchten, das dem Holzkreuz an der Gedenkstätte als Dach diente.

»Für dich, mein Schatz«, sagte sie, als sie dort angekommen war, und verteilte die Blümchen auf den Steinen, mit denen das Holzkreuz stabilisiert war.

Es war ein sehr hübsches Kreuz mit Schnitzereien und eingraviertem Text. Auch ein Bild von Silas war angebracht.

Liona setzte sich auf das Mäuerchen. Nach dem Unglück war eine Warntafel angebracht worden, dass hier eine gefährliche Stelle war und man nicht zum Fluss hinunterklettern sollte. Eine der Todesfallen am Rhein, hatte jemand per Hand dazugeschrieben.

Lange würde sie hier nicht ausharren wollen, das würde zu schmerzlich werden. Sie wollte auch nicht von Passanten angesprochen werden, die sich noch an das Unglück erinnern konnten und wissen wollten, ob sie etwa die Mutter des ertrunkenen Kindes sei.

Liona begann ein Zwiegespräch mit Silas. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie im Geist sein Stimmchen hörte.

Allmählich spürte sie, wie Ruhe in ihr Herz einkehrte.

»Silas, mein kleiner Liebling«, flüsterte sie. »Bitte vergib mir! Zu gern würde ich dich im Arm halten, dich streicheln und küssen. Aber wir sehen uns ja im Himmel wieder. Weißt du noch, wie wir mal darüber gesprochen haben?«

Unversehens wurde sie gestört.

»Es zieht Sie immer wieder hierher, Liona, nicht wahr?«, bemerkte eine bekannte Stimme.

Liona unterdrückte einen Seufzer. Ausgerechnet jetzt musste ihre Nachbarin erscheinen! Dabei war die Unglücksstelle doch ein ganzes Stück von zu Hause entfernt.

Liona begrüßte sie. Sie mochte Gerlinde, doch sie redete einfach zu viel. Ohne Unterlass, ohne Punkt und Komma, über Dinge, die Liona nicht einmal am Rande interessierten.

An Silas' Gedenkstätte machte die Nachbarin jedoch eine Ausnahme. Sie begann ein freundliches Gespräch über das Wetter, über das Unglück, und wie hübsch das Holzkreuz mit den bunten Blümchen aussah.

»Ich habe sie ihm gerade aufs Grab gelegt«, erklärte Liona mit einem traurigen Lächeln.

»Aber es ist doch gar nicht sein Grab«, widersprach Gerlinde sanft. »Begraben ist Silas auf dem Waldfriedhof.«

»Natürlich, Sie haben recht. Aber es ist die Stelle, wo seine Seele den Körper verlassen hat.« Liona kämpfte wieder mühsam mit den Tränen.

Gerlinde erging sich in einem Schwall von tröstenden Worten. Für Liona wurde es ein wenig zu viel.

»Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich möchte gern allein sein«, bat sie.

»Aber selbstverständlich, Liona. Tut mir leid, ich rede wieder mal zu viel. Schauen Sie doch bald mal auf einen Kaffee bei mir vorbei. Es soll wieder wärmer werden, dann können wir auf der Terrasse sitzen. Ich backe uns auch einen schönen Kuchen.«

Mit einem kurzen Gruß ging die Nachbarin weiter.

Liona blieb nicht mehr lange. Sie hatte einen Abgabetermin für ihre derzeitige Übersetzung und musste sich beeilen, wenn sie diese pünktlich abliefern wollte. So verabschiedete sie sich von Silas und trat den Rückweg an.

***

»Ich will nicht zum Doktor!«, verkündete Emil laut und zornig. Er war ungeheuer schlechter Laune, wovon er seinen Vater auch in jeder Minute zur Kenntnis setzte.

»Du hast Halsweh, Schnupfen und Husten«, erinnerte Aron den widerspenstigen Knirps. »Da gehen wir besser zum Arzt und lassen uns Medizin geben.«

»Die kannst du in der Apotheke kaufen«, hielt Emil ihm entgegen.

»Die ist teuer. Wenn Dr. Bergen uns ein Rezept gibt, kostet es nichts.«

»Du hast doch Geld«, warf Emil ihm mürrisch hin.

Aron musste sich ein Grinsen verkneifen. Debatten mit seinem Sohn verliefen immer nach demselben Muster. Emil kritisierte seine Entscheidungen und stellte ständig infrage, ob er richtig handelte. Er war ein Weltmeister im Widersprechen. Wo er das nur gelernt hatte?

Aron wunderte sich über Emils Ablehnung. Er hatte seinen Kinderarzt immer gemocht, besonders wegen dem großen Bonbonglas, das er auf seinem Schreibtisch stehen hatte.

»Was hast du nur gegen Dr. Bergen einzuwenden? Sonst bist du doch immer gern hingegangen. Hast du nicht mal gesagt, er wäre der beste Kinderarzt der Welt?«

»Ich mag ihn ja auch«, räumte Emil ein.

»Prima. Dann fahren wir jetzt gleich zu ihm.«

»Jetzt gleich? Ich hab keine Zeit. Juno wartet auf mich.«

Das Hündchen war im Garten, wo es immer eine Beschäftigung fand.

»Den nehmen wir mit«, entschied Aron.

»Dann kann er mit der Dolly spielen«, war Emil schließlich einverstanden.