Operation Simipath: Geheimes Manöver - Dirk van den Boom - E-Book

Operation Simipath: Geheimes Manöver E-Book

Dirk van den Boom

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Beschreibung

Eine mysteriöse Verschwörung droht das Unternehmen Simipath Inc. zu zerstören. Doch Minarel Tarkin gibt ihr Lebenswerk nicht auf. Sie und ihr Dispatcher Sahir McKinnon, ein Veteran des Krieges gegen die Athir, haben endlich einen Ausweg gefunden. Doch dieser Weg führt direkt in die Hände des alten Feindes. Die Athir haben für die Völker des Stellaren Status nichts als Hass übrig - doch sie halten den Schlüssel für die Rettung dieser Völker in den Händen. Denn Minarel erkennt, dass es um viel mehr geht als nur um sie und ihre Gestaltwandler-Dienstleistungen ...

"Geheimes Manöver" ist der dritte, abschließende Band von Operation Simipath - die neue Science-Fiction-Trilogie von Dirk van den Boom.

Band 1: Verborgene Jagd

Band 2: Letzte Option

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25EpilogÜber den AutorWeitere Titel des AutorsImpressum

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Über dieses Buch

Eine mysteriöse Verschwörung droht das Unternehmen Simipath Inc. zu zerstören. Doch Minarel Tarkin gibt ihr Lebenswerk nicht auf. Sie und ihr Dispatcher Sahir McKinnon, ein Veteran des Krieges gegen die Athir, haben endlich einen Ausweg gefunden. Doch dieser Weg führt direkt in die Hände des alten Feindes. Die Athir haben für die Völker des Stellaren Status nichts als Hass übrig – doch sie halten den Schlüssel für die Rettung dieser Völker in den Händen. Denn Minarel erkennt, dass es um viel mehr geht als nur um sie und ihre Gestaltwandler-Dienstleistungen …

»Geheimes Manöver« ist der dritte, abschließende Band von Operation Simipath – die neue Science-Fiction-Trilogie von Dirk van den Boom.

Kapitel 1

Der Flug dauerte drei Stunden.

Als sie im Orbit angelangt waren, hatte er eine erste Möglichkeit, sich ein Bild von dem Ort zu machen, an dem sich so vieles entschieden hatte und möglicherweise noch entscheiden würde. Bereits der erste Blick beeindruckte ihn.

Diese Welt war groß, etwa vom doppelten Durchmesser der Erde und gerade noch so in der habitablen Zone um das Gestirn dieses Systems gelegen, dass sich darauf Leben hatte entwickeln können. Die Strecken, die man hier zurücklegen musste, waren erheblich. Dazu kam das Wetter, die beständigen Niederschläge und Stürme, ausgelöst durch eine exzentrische Flugbahn um das Zentralgestirn sowie drei Monde unterschiedlicher Masse und Schwerkraft. Der Verlauf von Trocken- und Feuchtgebieten, Gebirgen und Ebenen begünstigte brutale Sturmtunnel und radikale Wechsel in den Aggregatzuständen des Wassers.

Dies war eine harte Welt, oft sehr kalt und aufgrund der Winde, die die dünne Erdkrume immer wieder aufrissen und in die Luft schleuderten, auch nicht sehr fruchtbar. Sträucher und Gräser krallten sich buchstäblich im Boden fest, nur die windgeschützten Ecken boten größerer Flora etwas mehr Schutz. Die Tiere waren geduckte, räuberische Exemplare, die sich vor allem gegenseitig fraßen. Zumindest hatte man das Jonas so erzählt.

Er war kein Experte in Ökologie, aber das Bild, das all diese Informationen zeichneten, löste vor allem eines in ihm aus: das Gefühl, sich an einem warmen und geschützten Ort verkriechen zu wollen und niemals wieder den Kopf nach draußen zu strecken.

Von der Orbitalstation ging es hinab mit einem großen Mannschaftsgleiter. Ein gutes Fluggerät kam mit diesen widrigen Bedingungen natürlich mühelos zurecht, denn ein guter Gleiterpilot raste nicht, achtete auf seine Flugbahn und -höhe und ließ Vorsicht walten. Jonas war, wie die anderen Passagiere, dankbar für diese Vorgehensweise, aber sie machte die Reisezeit nicht eben kürzer.

Nicht, dass es wirklich Grund zur Klage gäbe.

Vier Erstlinge waren im Orbit zusammen mit ihrem persönlichen Gepäck in diesen Gleiter gesteckt worden. Nun saßen sie ein wenig ungemütlich in der Kabine, jeweils zwei einander gegenüber. Vier Soldaten, die zum ersten Mal ihre Schicht unten in einer der großen Wachstationen antreten würden.

Dass alle unbehaglich dreinblickten, lag gewiss nicht am Gleiter, denn der war ein Luxusgefährt mit tiefen, weichen Sesseln, einer kleinen Automatikbar und einer Geräuschisolierung, die nicht das geringste Geräusch dieser turbulenten Welt in ihre Ohren dringen ließ. Es mochte blitzen und donnern, hier hörte man nur das leise Säuseln der Klimaanlage und das beruhigende, tiefe Brummen der Motoren, die den Gleiter kraftvoll vorantrieben.

Jonas hatte der automatischen Bar ein wenig Aufmerksamkeit geschenkt und etwas bestellt, das von sich behauptete, ein Kaffee zu sein. Er war kein Kenner des Koffeins, aber was er mit kleinen Schlucken zu sich nahm, war definitiv besser als jeder Flottenkaffee, den er jemals getrunken hatte. Er besaß einen erdigen, würzigen Geschmack, der sich leicht im Mund verteilte und die Andeutung einer schweren Süße enthielt, mit der er nicht gerechnet hätte. Die Röstung brannte nicht wie bei manchem Gesöff, das er genossen hatte, sondern hinterließ eine wunderbare Weichheit im Abgang, gefolgt von angenehmer Wärme. Er war versucht, den genauen Namen der Bohne herauszufinden, wusste aber nicht, wen er fragen sollte. Anstatt weiter darüber nachzudenken, nahm er sich eine zweite Tasse – er hatte gut gegessen, er würde es vertragen – und streckte gemütlich die Beine aus. Platz genug war vorhanden.

Was hatte das zu bedeuten, dass selbst in einem Zubringer das Beste gerade gut genug war?

Für den Dienst auf Athir wurden offenbar selbst niedrige Dienstgrade verwöhnt, wo es nur ging. Motivation war vielleicht die wichtigste Sache, wenn man die Nemesis aller Zivilisationen in Schach halten musste. Dies war der Ort, an dem der Status besonders stark war und perfekt funktionierte. Hier durfte niemand einen Fehler machen. Hervorragender Kaffee war gewiss nicht das Einzige, was dabei helfen sollte.

Drei Passagiere außer Jonas, zwei Frauen und ein Mann, alle schweigsam und in sich gekehrt, vielleicht auch vorsichtig, genau wie Jonas selbst. Die Körperhaltung wies darauf hin, dass keiner so richtig entspannt war, eher innerlich aufgeregt, womöglich auch unsicher – zumindest interpretierte Jonas so die Indizien.

Er war nicht allein mit seinem Kaffeekonsum, weitere Tassen standen auf den kleinen Tischen, die aus den Lehnen der breiten Sitze geklappt werden konnten. Offenbar hatte jeder diese Stärkung nötig. Es herrschte wahrlich keine unfreundliche oder feindselige Atmosphäre zwischen ihnen, eher ein gelassenes Abtasten, als ob jeder darauf lauerte, dass einer die lange Stille nicht mehr ertragen würde und zu reden begann.

Der Gleiter ruckelte etwas, als ihn dann doch ein Windstoß beutelte und die Kompensatoren etwas mehr Mühe hatten, dies wieder auszugleichen. Vielleicht würde das jemanden dazu veranlassen, das Schweigen zu brechen.

Es war eine der Frauen, die den Anfang machte. Sie saß Jonas direkt gegenüber, und er hatte sie schon ein paarmal wohlwollend betrachtet. Eine schmale Frau, aber nicht schmächtig, mit großen Augen. Nicht mehr die Jüngste; erstaunlich, dass dies ihre erste Tour im Wachdienst hier unten war. Militärischer Haarschnitt, dem Klischee entsprechend, denn die Regeln waren gar nicht so streng, wie manche noch dachten. Schlanke Hände voller Narben, die nach Schnittwunden aussahen.

Jonas vermutete, dass es am Rest ihres Körpers noch weitere Narben gab. An seinem war es ja nicht anders. Manche, die schmerzten, ließ man wegmachen. Andere erinnerten einen an wichtige Momente der Vergangenheit, und sie blieben. Weitere wollte man. Darin waren sich alle Veteranen weitgehend einig. Jonas zeigte seine nicht vor, aber er würde sie auch niemals verbergen.

»Machen Sie es wegen des Geldes oder weil Sie Athir leiden sehen wollen?«, fragte sie ihn beiläufig. Der Kern ihrer Frage war also, ob er sein Leben eher an materiellen Werten orientierte oder ein von Hass zerfressener, rachsüchtiger Sadist sei. Interessant, dass bloße Pflichterfüllung als Soldat es gar nicht auf die Auswahlliste geschafft hatte.

Jonas sah die Frau mit einem Ausdruck des Erstaunens an, zumindest hoffte er, dass sein Gesicht dieses Gefühl kommunizierte. Die beiden anderen Anwesenden hörten interessiert zu, beide wahrscheinlich froh, dass es nicht sie getroffen hatte. Die Frau war offen und direkt, das musste Jonas ihr lassen, und natürlich waren dies die beiden wahrscheinlichsten Möglichkeiten. Das Problem lag eher im Tonfall ihrer Frage, diesem sanften Wechsel zwischen Alternative eins und zwei. Denn der signalisierte, dass sie Ersteres für denkbar, aber langweilig, Letzteres dagegen für äußerst attraktiv und absolut nachvollziehbar hielt. Immerhin beantwortete sie damit automatisch die Frage, warum sie selbst hier war.

Sympathisch wurde sie Jonas dadurch nicht.

»Gibt es nur diese beiden Möglichkeiten?«, vergewisserte er sich im Bemühen, vielleicht noch um eine eindeutige Stellungnahme herumzukommen.

»Alle anderen scheinen mir reichlich fade«, erwiderte die Frau sehr entschieden und um Beifall heischend, den sie aber nicht bekam, da sich die anderen wohlweislich aus dieser Diskussion heraushielten. Jonas schaute betont zur Seite, aber die Augen der Soldatin waren auf ihn fixiert, sie forderten eine Reaktion, und sie würden diese genau bewerten. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, auf ihre Frage zu antworten, während die beiden anderen geschwiegen hatten. Aber jetzt gab es keinen Weg zurück.

»Man kann den Athir doch zumindest gleichgültig gegenüberstehen«, meinte er dann vorsichtig.

»Dann ist es also das Geld«, sagte die Frau mit einem gehörigen Maß Verachtung in der Stimme. Sie schüttelte den Kopf. »Fürs Geld allein würde ich es nicht machen. Ich meine, die Zulagen sind in Ordnung, und ich stoße mich hier gesund, keine Frage. Aber fürs Geld allein?«

»Also gut, Sie wollen uns damit etwas sagen. Ich weiß auch schon, was: Sie hassen die Athir abgrundtief.«

Die Frau nickte mit Nachdruck, einer schon fast fiebrigen Anspannung in ihrem Habitus. »Mit jeder Faser meines Körpers.«

»Der Krieg war hart.« Jonas wollte Verständnis zeigen.

»Wegen der dummen Scheißer. Sie haben gekämpft bis zum Schluss. Als schon alles verloren war, haben sie noch weitergetötet. Ich habe alte Kameraden in den letzten Tagen verloren, bevor der Widerstand endgültig zertreten wurde. Es war unnötig. Sie hätten es Monate vorher einsehen sollen.« Es brach aus ihr heraus in lauten, abgehackten Sätzen, Ausdruck aufgestauter, seit Langem gehegter Gefühle, für die sie sich kein bisschen schämte. In ihrem Tonfall schwang ein Vorwurf mit: Warum empfinden nicht alle so wie ich? Wie könnt ihr es wagen, anders zu fühlen?

Jonas schaute die beiden Männer an, beurteilte ihre Reaktion. Sie verbargen sie nicht. Die Frau hatte nicht unrecht. Niemand verstand die Athir wirklich, ihre Motivationen oder woher diese unerschütterliche Kraft kam, den Krieg bis zur letzten Sekunde auszukosten. Sie hatten erst kapituliert, als sie vollständig gebrochen worden waren, und selbst dann hatte es keine Kommunikation mit ihnen gegeben, egal, wie viele Kompanien an Linguisten und Xenopsychologen man in Stellung gebracht hatte. Jonas glaubte, irgendwann hatte man auch das aufgegeben.

Aber Hass, sogar Freude an ihrem Leid?

Das war eine andere Hausnummer. Durch diese Tür würde Jonas nicht treten. Auch die beiden Männer nicht, das sah er ihnen an. Keiner von ihnen wusste, was die Frau erlebt hatte. Jedes intelligente Lebewesen trug sein eigenes Universum des Leids mit sich herum. Aber so was musste einen doch auffressen. Es war aber sinnlos, darüber zu diskutieren oder ihr gar Vorwürfe zu machen. Aber es war notwendig, eine Haltung zu äußern, sein Bild in den Augen der Kameraden zu schärfen. Jonas musste antworten.

»Es tut mir leid«, sagte er dann. Er meinte sie, bezog es aber auf sich. »Ich bin nur hinter dem Geld her, das stimmt wohl. Damit enttäusche ich Sie vermutlich, aber ich bin vielleicht einfach zu müde, um noch hassen zu können.«

Er erntete von den beiden anderen Passagieren beifällige Blicke, die der Frau nicht entgingen. Sie presste die Lippen unwillig aufeinander, schaute für einen Moment sehr finster drein, entspannte sich dann aber wieder. Möglicherweise dachte sie an die Tatsache, dass sie mit diesen Leuten nun zusammenarbeiten musste und es sich nicht gleich von Anfang an mit ihnen verderben sollte. Der Unwille verschwand aber nicht ganz aus ihrer Haltung. Sie würde so schnell nicht aufgeben, auch andere von ihrem Hass zu überzeugen versuchen, wenn sich die richtige Gelegenheit ergab.

Nur war das nicht hier und jetzt. Eine vernünftige Sichtweise, wie Jonas fand. Er lehnte sich zurück, lächelte sie an, zeigte weder Ärger noch Unmut.

»Ich bin Jonas Carmikal«, sagte er dann, und es klang aus seinem Mund wie ein Versöhnungsangebot.

Sie sah ihn abschätzend an, nickte dann, als akzeptierte sie sein Friedensangebot.

»Bellini«, sagte sie. »Sie können mich Bellini nennen.« Sie sah sich um. »Sie alle. Einfach Bellini.«

Immerhin, das war besser als nichts. Jonas lächelte ihr noch einmal zu, lehnte sich zurück und schaute aus dem Fenster in die stürmische Wetterlage, durch die sich der Gleiter mit unerschütterlicher Stabilität und immer wieder aufheulenden Absorbern kämpfte. Jonas überlegte, wie wohl die Truppe drauf war, der sie sich jetzt anschließen würden. Viele Bellinis? Auszuschließen war das nicht. Und wenn die ihrer Wut freien Lauf ließen, wie würde er dann reagieren?

Er spürte nun eine gewisse Beunruhigung. In seinem Leben hatte er so manchen Rabauken in die Schranken weisen müssen, auch gewaltsam. Aber war das hier seine Aufgabe? Und wenn nicht – fühlte sich überhaupt irgendwer dafür verantwortlich? Er musste das wissen, um zu verstehen, in welchem Kontext er hier aktiv wurde.

Ein Lager, das kaum jemand kannte, entlegen und einsam, unter dem Radar der Öffentlichkeit … wie alle solchen Installationen auf dieser wilden Welt. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, diese Arbeit anzutreten. Gleichzeitig empfand er eine seltsame Zuversicht, eine positive Anspannung. Woher sie kam, verstand er auch nicht. Vielleicht war es die Aussicht auf ein gut gefülltes Konto. Oder darauf, dass er hier eine Aufgabe zu erfüllen hatte.

Der Gleiter beendete seine Reise, ohne dass unter den Passagieren noch ein richtiges Gespräch aufgekommen wäre. Alle hingen ihren Gedanken nach, und Jonas fragte sich, ob die der anderen genauso schwer waren wie seine eigenen, oder ob er der Einzige war, der sich endlos mit sich selbst beschäftigte.

Schließlich waren sie so nahe, dass Jonas einen ersten Blick auf sein Ziel erhaschen konnte. Das Lager war aus der Luft gut zu erkennen, umgeben von einer mächtigen Mauer mit einer Balustrade. In regelmäßigen Abständen gab es massive Wachtürme, und Jonas konnte mit geübtem Blick die Autokanonen ausmachen, die auf ihren Dächern montiert waren. Es gab einen offensichtlichen Zufahrtsweg und, das war seine fachmännische Vermutung, einige unterirdische. Der Gleiterlandeplatz war direkt neben dem massiven Wachgebäude angelegt worden und schloss oben mit dem Rand der Mauer ab – wahrscheinlich, damit im Notfall Truppen direkt in das Lager vordringen konnten. In dem Wachgebäude, mehrere Stockwerke hoch, befand sich gewiss auch ihre Unterkunft. Einladend sah das alles nicht aus.

Das von der Mauer umsäumte eigentliche Lager war gigantisch. Es war vollgestellt mit niedrigen Bauwerken, eng an eng, und hatte einen einzigen großen Platz in der Mitte, auf dem man schon von hier oben ein reges Treiben erkennen konnte. Aufgrund des diesigen Wetters waren die Scheinwerfer aktiviert, sowohl eine Kette, die an der Innenseite der Mauer in das Innere starrte, als auch jene, die wandernde Lichtkegel über die Dächer schickten. Und jetzt, wo sie zur Landung ansetzten, nachdem ihnen der Pilot noch eine weite Schleife zur genauen Betrachtung gegönnt hatte, sahen sie auch in den Gassen zwischen den Bauwerken das endlose Gewimmel. Tausende und Abertausende Insassen, die sich trotz des grausigen Wetters im Freien aufhielten, den Naturgewalten ausgesetzt. Und dort taten sie, was immer ihnen in ihrer Situation übrig blieb.

Aber was genau machten sie da unten? Es wirkte gleichermaßen ziellos wie geschäftig.

»Schau dir das an. Wie ein Haufen fieser kleiner Käfer.«

Bellini sagte es mit einem sehr zufriedenen Unterton. Diese Bemerkung beschrieb sie ausreichend, mehr gab es nicht zu sagen.

Der Gleiter ging auf dem Landefeld nieder. Der strömende Regen hatte nicht einen Moment nachgelassen. Bevor die Maschine aufsetzte, wurde sie noch einmal von einem Windstoß geschüttelt. Dunkle Wolkenberge türmten sich am Himmel auf, und ein scharfer Wind fuhr über die Fläche, die durch ihre Architektur ein wenig wie ein Windtunnel wirkte.

Sie wurden sofort nass, als sie aus dem Fahrzeug kletterten und auf den breiten Eingang des Verwaltungsgebäudes zurannten. Der Regen traf Jonas wie ein Schlag von der Seite, als wollte er ihn dafür bestrafen, diesen Ort zu besuchen. Jonas war nicht abergläubisch, aber es besserte seine Laune auch nicht gerade. Nachdem er gegen die Böen angekämpft hatte, erreichte er den Eingang in der Gewissheit, dass diese Welt ihre Besatzer zu bestrafen versuchte.

Drinnen war es warm und trocken. Zwei Männer in Uniform erwarteten sie mit einem freundlichen Lächeln, das in einem starken Kontrast zur Umgebung stand. Es wurde nicht salutiert, sondern Hände geschüttelt.

»Willkommen!«, dröhnte einer, breit gebaut, eher dicklich, mit rosafarbener Haut und nur Stoppeln auf dem Kopf. »Ich bin Marek Dorn, der Schichtleiter. Da drüben sind Handtücher. Der Pilot bringt ihr Gepäck, sobald es trocken wird. Dies hier ist Stone, er wird ihnen die Quartiere zuweisen und die Kantine zeigen. In einer halben Stunde treffen wir uns dort zum Abendessen, und sie können die anderen kennenlernen, die derzeit keine Wache haben. Sie werden sich alle hier schnell zurechtfinden, keine Sorge.« Er nickte ihnen fröhlich zu und winkte seinem Kollegen, der eher schmächtig wirkte und trotz der Uniform den Eindruck eines Bürokraten statt eines Wachsoldaten abgab. Er winkte Dorn zu, der sich lächelnd verabschiedete, und schaute dann die vier Neulinge gelassen an. Genervt war er anscheinend nicht.

»Wenn sie so weit sind, folgen sie mir bitte.«

Sie waren so weit. Das Gebäude war von innen sehr viel angenehmer als von außen. Es hatte hier wohl einen Innenarchitekten gegeben, der sich etwas Mühe gemacht hatte. Alles war gut ausgeleuchtet, sauber, und es gab eine dezente Dekoration, die die Stimmung aufhellte. Angesichts der sonstigen Rahmenbedingungen eine weise Entscheidung.

Die Quartiere, die ihnen zugewiesen wurden, konnten sich ebenfalls sehen lassen: Geräumige private Schlafzimmer mit eigenem Bad, ein Gemeinschaftsraum, der Gemütlichkeit ausstrahlte und zahlreiche Möglichkeiten zur Zerstreuung bot, zwei VR-Kapseln, die man buchen konnte, wenn man mal ganz woandershin wollte – und ein Fitnesscenter mit Schwimmbad, Letzteres deutlich größer als ein besseres Planschbecken.

Jonas hatte weniger erwartet und war nun angenehm überrascht. Sein Misstrauen verflog etwas, und er entspannte sich ein bisschen. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als sie sich gemeinsam zu dem angekündigten Willkommensessen in der Kantine begaben. Diese war nicht die kulinarische Abfüllstation, die Jonas insgeheim erwartet hatte, sondern wirkte eher wie ein gutes Restaurant. Das Büfett überforderte ihn einen Moment ob seiner Vielfalt. Hier waren keine Mühen gescheut worden, um mit frischen Zutaten das Bestmögliche zuzubereiten. Allein die Auswahl von gut einem Dutzend unterschiedlicher Desserts führte ihm die Notwendigkeit des kurz besichtigten Fitnesscenters eindringlich vor Augen. Moral ging durch den Magen. Wer eine ganze Zivilisation dahinvegetieren ließ, musste sich um die Moral der Wachleute kümmern. Man wollte ja nicht, dass jemand aus Versehen sein Gewissen entdeckte.

Dies, fand Jonas, war ein Ort, an dem man zum Zyniker werden konnte. Als er Bellini anschaute, erinnerte er sich daran, dass es auch jene gab, die dieses Stadium bereits erreicht hatten.

Sie trafen hier auch wieder den Schichtleiter, der sie fröhlich heranwinkte.

»Sie sind alle wirklich sehr herzlich willkommen. Es ist nicht leicht, qualifiziertes Personal zu bekommen, und wir stellen hier hohe Ansprüche«, eröffnete Marek Dorn das Abendessen, nachdem sie sich alle die Tabletts vollgestellt und mit etwas Mühe zu ihrem Tisch balanciert hatten. »Nach dem Krieg haben sich viele Kameraden zivilen Aufgaben zugewandt. Das will ich nicht kritisieren, aber es enthebt uns nicht gewisser Notwendigkeiten. Die Arbeit, die wir hier tun, ist schwierig und verantwortungsvoll, wir brauchen daher weder Desperados noch Sadisten, sondern disziplinierte Soldaten, die schon immer gewusst haben, dass Selbstbeherrschung und Exaktheit das Wichtigste sind. Diejenigen, die Pflichterfüllung und den Dienst am Status über alles stellen. Unsere Aufgabe hier ist eine von höchster Priorität. Alle besiedelten Welten verlassen sich auf uns. Das macht es nicht einfach, aber wir wollen diese Pflicht mit Anstand erfüllen.«

Jonas bemühte sich ostentativ, bei diesen Worten nicht in Bellinis Richtung zu gucken. Vielleicht tat er der Frau ja auch unrecht. Vielleicht hatte sie nur eine große Klappe, versuchte ein hartes Image aufzubauen, sich Respekt zu verschaffen, würde im Dienst dann aber schlicht ihre Arbeit machen und den Hass, so er denn real war, tief in sich verbergen. Man hätte sie als brutale Schlächterin ohnehin niemals unter Vertrag genommen. Grausamkeiten waren bis zum Schluss nicht toleriert worden, wenn sie zu offensichtlich wurden. Dass man am Ende die Athir in einem Genozid weitgehend ausgelöscht hatte, dafür war die Politik verantwortlich gewesen und nicht irgendwelche individuellen Soldaten.

Eine der großen Lebenslügen des Status, wenn es nach Jonas ging. Sobald Verantwortlichkeit diffus kollektiviert wurde, war das Individuum unschuldig, da die Schuld in der Masse der Handelnden verwässert wurde. Jeder hatte ja nur Befehle ausgeführt, was war einem denn auch anderes übrig geblieben? Eine sehr bequeme Sichtweise. Ob die Athir, die den Krieg immerhin damals begonnen hatten, heute genauso dachten? Jonas würde es möglicherweise bald herausfinden.

»Sie werden erst einmal in der Tagschicht eingesetzt, damit sie alles gut kennenlernen, immer an der Seite mit erfahrenen Kollegen. Es gibt vier Einsatzorte, das gilt für alle Schichten: Wachtürme an der Mauer, Wache auf der Mauer, Bereitschaft und Streifendienst. Es wird natürlich auch zu Sondereinsätzen kommen, aber eher selten. Die Athir verhalten sich meist passiv, ihnen ist klar, dass sie verloren haben. Ich weiß von keinem Aufstand, keinem Angriff oder sonstigen Problemen, seit wir diese Lager errichtet haben. Wir überwachen zudem die regelmäßige Ausgabe von Nahrungsmitteln und medizinischen Versorgungsgütern, die in einem wöchentlichen Turnus erfolgt. Die Athir erhalten auch einfache Baumaterialien, um ihre eigenen Unterkünfte ausbessern oder neue errichten zu können. Das ist ebenfalls unsere Aufgabe. Sie alle beginnen in den Wachtürmen, Streifendienst ist zuletzt dran, das ist naturgemäß am schwierigsten. Sie werden genug Gelegenheit bekommen, nach und nach die Erfahrung zu sammeln, die Sie für den Dienst hier unten benötigen. Nach sechs Monaten gibt es die Rotation, dann haben Sie vier Wochen Urlaub, dann beginnt die nächste Tour. Die zweite ist dann schon Routine, glauben Sie mir.«

Dorn sah in die Runde, nickte zufrieden, wahrscheinlich, weil er von seinen eigenen Worten überzeugt war und sich ihrer beruhigenden Wirkung auf die Neuen sicher war. »Sie haben bestimmt viele Fragen. Dies ist eine spezielle Aufgabe für spezielles Personal. Sie wurden sorgfältig ausgesucht. Sie werden noch eine genaue Einführung bekommen, aber ich empfehle Ihnen auch eine anregende Lektüre: Es gibt ein gutes Handbuch. Habe einiges darin selbst geschrieben. Laden Sie es sich herunter, und studieren Sie es, es lohnt sich. Wenn es Fragen gibt, wir stehen jederzeit zur Verfügung.«

»Reden sie?«, fragte Jonas. Seit er das Gewimmel durch das Fenster des Gleiters erblickt hatte, beschäftigte ihn diese Frage. Die Dokumente und Forschungen gaben darauf eine Antwort. Aber das hier … das war unmittelbar vor Ort.

Dorn sah ihn fragend an. »Wer? Die Athir?«

Jonas nickte. Wer sonst?

Jemand lachte. Es war wohl eine dumme Frage.

Dorn lehnte sich zurück und seufzte ein wenig, als wäre das ein Thema, dem er sich nur ungern widmete oder das ihn bekümmerte. Er hatte durchaus etwas von einem Schauspieler. Er sah aber nicht so aus, als hielte er die Frage tatsächlich für dumm.

»Sie reden gewiss miteinander. Aber niemals mit uns. Wir wissen nicht einmal genau, wer bei denen das Sagen hat. Es gibt eine Hierarchie, sagen unsere Xenosoziologen. Wir haben hier ein ganzes Team Eierköpfe, die immer noch verzweifelt versuchen, etwas Sinnvolles herauszufinden. Wenn Sie mich fragen, ist das für die Katz. Aber es kommt wohl die eine oder andere ordentliche Doktorarbeit dabei heraus.« Dorn zuckte mit den Achseln. »Für irgendwas muss das hier ja gut sein. Ach so, ja: Wenn sich diese vorwitzigen Doktoranden in den Kopf gesetzt haben, so eine Feldstudie durchzuführen, dann müssen wir auch Personenschutz leisten. Das ist gewiss von allen die lästigste Aufgabe. Die gute Nachricht: Aktuell ist nichts angekündigt. Aber Ihre Frage ist leicht zu beantworten: Wenn sie reden, dann nicht mit uns. Zu mir hat jedenfalls noch nie einer was gesagt.«

Leises Gelächter folgte. Wahrscheinlich hatte der Mann diesen etwas lahmen Witz schon mehrfach zum Besten gegeben.

Jonas konnte sich irren, aber der Schichtleiter machte nicht den Eindruck, als würde er allzu großen Enthusiasmus für seine Arbeit hier empfinden. Für seine Leute schon, er pflegte eine beinahe väterliche Attitüde. Doch ihre eigentliche Aufgabe – die hatte er etwas monoton abgespult, wie eine Pflicht, von der er so wortreich geredet hatte. Vielleicht tat er all das hier auch schon zu lang, um besonders motiviert zu sein. Den Zynismus, den viele Veteranen in sich aufgebaut hatten, vermochte Jonas an ihm aber nicht wahrzunehmen. Es war eher die betuliche Langeweile eines gut versorgten Beamten, der an seiner Arbeit vor allem schätzte, dass sie ihn nicht mit Herausforderungen belästigte.

»Was wird mit ihnen geschehen?«, fragte einer der anderen Neuankömmlinge. »Ich meine … sie werden doch nicht auf ewig hier im Lager bleiben?«

Dorn nickte. »Auch eine gute Frage. Das Mandat des Interdikts wird jeweils um zehn Jahre verlängert. Eine Expertenkommission evaluiert das und macht dem Status entsprechende Empfehlungen. Die letzte Tagung der Kommission ist noch nicht lange her, und Sie sehen: Das Interdikt besteht immer noch.« Der Schichtleiter lächelte dünn. »Das ist eine politische Entscheidung. Wir befolgen hier unsere Befehle, und da gibt es kein Deuteln. Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass es hier keinen Ärger gibt und die Sicherheit gewährleistet wird. Was politisch getan wird, dazu habe ich nichts zu sagen. Vielleicht stellen Sie Admiral Stetten mal diese Frage, der ist am nächsten an der Entscheidungsebene dran. Sie werden ihn bald kennenlernen, er besucht die Wachstationen regelmäßig und mischt sich unter das gemeine Volk.«

»Der Admiral persönlich?«, rutschte es Jonas heraus. Hoffentlich klang er ausreichend ehrfürchtig.

»Er macht das gerne. Will mit den Leuten im Dienst Kontakt aufnehmen, verstehen, was sie bewegt. Tourt regelmäßig durch alle Lager. Sie werden gut mit ihm auskommen. Er kümmert sich, das muss man ihm wirklich lassen.«

Dorn redete nicht weiter, sondern begann zu essen, und auch die anderen nahmen das als Aufforderung, sich jetzt ihren vollen Tellern zu widmen. Jonas musste feststellen, dass die Speisen wirklich ganz ausgezeichnet waren, und er bekam mehr und mehr den Eindruck, dass die Verachtung, die man hier den Athir entgegenbrachte, in diametralem Verhältnis zur Fürsorge für die sie bewachenden Truppenteile stand. Mit etwas Glück würde er zu Beginn seines Dienstes nur auf dem Turm stehen und mit einem Fernglas in die Menge der Athir starren. Und mit noch etwas mehr Glück würde er diesen Dienst so gut erledigen, dass man ihm erlaubte, in das Lager hinabzugehen und das zu tun, was er wirklich zu erledigen hatte.

Männer wie Dorn schienen alles gut im Griff zu haben. Jonas glaubte zwar nicht an das Märchen mit der Evaluation und der Kommission oder vielmehr nicht in absehbarer Zeit an die Aussicht, dass die Möglichkeit bestünde, das Interdikt aufzuheben. Es mussten wohl Generationen alt werden und sterben, ehe sich die Sichtweise auf den alten Feind ändern könnte, und selbst das war nicht sicher. Ressentiments, Hass, Phobie – egal, wie man es nannte! – vererbten sich manchmal von der Elterngeneration auf die Kinder und Kindeskinder. Mitunter waren jene, die den Krieg nie erlebt hatten, danach noch viel fanatischer als die, die alles am eigenen Leibe erfahren mussten.

Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass sich die Haltungen veränderten. Das war die Tragik seiner Mission und zugleich ihre Ironie. Wäre er erfolgreich, würden die Athir noch ewig in diesen Lagern dahinvegetieren müssen. Scheiterte er, stand ihre Befreiung möglicherweise bevor.

Jonas aß auf. Heute würde eh nicht mehr viel passieren.

Kapitel 2

»Wir sind auffällig unauffällig, und das macht mir Sorgen.«

McKinnon spießte ein Fleischbällchen auf und steckte es sich in den Mund, den See aus Soße geschickt vermeidend, der sich auf seinem Teller ausgebreitet hatte, seit der Staudamm aus Kartoffelbrei aufgrund der unablässigen Attacken der Gabel seine Konsistenz verloren hatte. Das Essen in diesem Restaurant am größten Boulevard des Habitats war weder Haute Cuisine noch überhaupt irgendwie bemerkenswert. Es war, wie der Ort, an dem sie saßen: unauffällig. Möglicherweise hatte das den Dispatcher animiert, diesen Satz zu sagen. Dass dahinter eine echte Sorge stand, war Minarel auch ohne weitere Erläuterungen klar. Denn sie teilte diese Besorgnis.

Dennoch starrte sie in diesem Moment an McKinnon vorbei, die eigene, kalt werdende Mahlzeit ignorierend. In letzter Zeit hatte sie wenig Appetit. Ihre Gedanken waren zu sehr am Umherwandern, eine endlose Abfolge sinnloser Grübelei, die ihr erkennbar auf den Magen schlug.

Auf einer großen Holowand, die Werbeclips aller möglichen Firmen und Dienstleister abspielte, war gerade Amanda Ariovista zu sehen, strahlend lächelnd und dem imaginären Publikum huldvoll zuwinkend. Eine neue Konzertreise wurde angepriesen, und die Liste der glücklichen Hallen wimmelte den Schirm entlang. Effizient, wie sie nun einmal war, würde Ariovista alle zwanzig Torsysteme anreisen. Als zentrale Verkehrsknotenpunkte waren sie bestens geeignet, um auch Publikum aus angrenzenden Gebieten anzuziehen. Minarel dachte mit gemischten Gefühlen an diese Frau, die sie auf der einen Seite bewunderte, auf der anderen aber mit kritischem Auge betrachtete. Beides wurde überdeckt durch die Dankbarkeit, die sie empfand. Sie stand nun tief in der Schuld dieses interstellaren Megastars, aber auch in der von Eradus Hanteren, und sie war sich nicht sicher, was die schlimmere Verpflichtung war.

Sie umgab sich wirklich mit sehr seltsamen Gestalten.

»Auffällig unauffällig«, echote sie, und es war keine Frage, sondern eine Bestätigung. Die Simis waren auf dem Weg, eingeschleust in die Streitkräfte des Status im Athir-System, ein Vorgang, der mit sehr, sehr viel Geld geölt worden war. Hier ging es um Summen, die Minarel nur in ihren besten Zeiten hätte aufbringen können. Doch die waren lange vorbei und erschienen ihr nunmehr unerreichbar. Aber ihnen war von diesen beiden Gönnern geholfen worden, sehr großzügig und unkompliziert.

Jetzt saßen McKinnon und sie in diesem Habitat fest und warteten darauf, dass bestimmte Dinge passierten. Seit gut drei Wochen. Das war das Schlimmste. Dieses Nichtstun. Abwarten. Sich ducken und verstecken, bloß nicht auffallen. Minarel fühlte eine extrem starke innere Unruhe. Ihr war, als drohte sie jeden Moment zu platzen. McKinnon konnte es doch eigentlich nicht anders gehen. Passivität war für sie beide gleichbedeutend mit Hilflosigkeit. Damit konnte sie gar nicht umgehen.

»Das wird auf die Dauer aber nicht gut gehen«, bemerkte McKinnon, der skeptisch auf den Kartoffelbrei starrte. So richtig Hunger schien er auch nicht zu haben.

»Was soll ich dagegen tun?«, fragte sie zurück, vielleicht etwas barsch. McKinnon hob die Augenbrauen und hörte mit dem Gepicke auf. Möglicherweise dachte er fälschlicherweise, das damit verbundene Klickgeräusch würde sie aufregen.

»Ich stelle es nur fest. Einige Tage kann es noch gut gehen, aber dann sollten wir uns bewegen. Solange wir hier festsitzen, hocken wir auf dem Präsentierteller. Du glaubst doch nicht, dass unsere Häscher die Jagd aufgegeben haben.«

»Nein. Aber wohin sollen wir fliegen? Wir müssen in der Nähe des Athir-Systems bleiben, sodass wir reagieren können, falls die Simis unsere Hilfe brauchen.«

McKinnon schüttelte den Kopf und machte ein nachdenkliches Gesicht. Minarel wusste genau, worüber er nachsann. Er trug diesen Gesichtsausdruck immer, wenn er ihr etwas mitteilen wollte, von dem er annahm, dass sie es nicht gerne hörte. Und ja, sie war absolut nicht in der Stimmung, um mit den noch unangenehmeren Aspekten ihrer Realität konfrontiert zu werden. Allerdings ließ sich der Dispatcher auch nie davon abhalten, diese auszusprechen. Es gab eigentlich nie einen Ausweg.

»Deine Haltung ehrt dich ja«, begann er etwas unbeholfen, ein kommunikatives Sandwich herzustellen. Das sogenannte Sandwich-Prinzip gehörte zu den Grundregeln des Personalmanagements und hatte sich mittlerweile abgenutzt: Jeder kannte es, jeder erwartete es, und für jeden war es bedeutungslos. Die scharf gewürzte Kritikwurst zwischen zwei labbrige Scheiben unaufrichtiges Lob zu packen, war nicht mehr als ein unnötiges Ritual. Absolute Zeitverschwendung. Alle hassten es. Warum McKinnon damit nun begann, verstand sie nicht. Es war sonst nicht seine Art.

Minarel überging diesen Teil deshalb sofort, es war nicht mehr als eine Floskel. »Komm zur Sache.«

»Wir werden den Simis keine Hilfe sein. Egal, was passiert, wir können nur noch zuschauen. Sie sind auf sich allein gestellt, deswegen haben wir die drei ja auch geschickt und halten uns von Athir fern. Du gibst dich einer unnötigen, möglicherweise sogar gefährlichen Illusion hin.« Er seufzte. »Tu das nicht, Minarel. Es steht dir nicht.«

»Seit wann bist du ein Kritiker meines Charakters?«, fragte Minarel. Sie war nicht verärgert, klang aber möglicherweise so.

»Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe.«

»Was erwartest du denn von mir?«, erwiderte sie ungehalten, beherrschte die absurde Aufwallung von Zorn, die sie zu ergreifen drohte, aber gleich wieder. Ihren Frust an McKinnon auszulassen, war dumm und kindisch, selbst wenn er es ihr nicht übel nehmen würde. Aber sie benötigte im Augenblick ein Ventil.

Auf der Palomino gab es dafür den alten Trainingsraum ihrer Eltern, den diese auf langen Reisen genutzt hatten, um sich fit zu halten. Minarel hatte die verschiedenen Trainer selbst oft genug ausprobiert – eher spielerisch zu jener Zeit. Vielleicht würde ein ordentliches Kraft- und Ausdauertraining ebenjene Endorphine in ihr auslösen, die die Fleischbällchen in diesem Restaurant nicht zu wecken vermochten. Es war auf jeden Fall besser, als fruchtlose Diskussionen über Dinge zu führen, die sie nicht beeinflussen konnten.

Sie hatten das Ihre getan und dabei eine Menge Geld ausgegeben, das nicht ihnen gehörte. Nein, korrigierte sie sich in Gedanken. Das nicht ihr gehörte. Technisch gesehen war McKinnon immer noch ihr Angestellter, und sie trug für alles die Verantwortung. Und da war sie auch schon am Kern des Problems angekommen. Wie sollte sie Verantwortung tragen, wenn ihr die Hände gebunden blieben, und sie nur am Rande des Dramas sitzen und auf das Beste hoffen konnte? Das war es, was sie wirklich mürrisch machte, unleidig bestenfalls. Sie war gerade ganz bestimmt keine angenehme Gesellschaft bei einem ohnehin nur begrenzt erbaulichen Mittagessen.

»Ich möchte, dass wir so bald wie möglich von hier aufbrechen«, sagte McKinnon mit gesenkter Stimme. Erregte Menschen, selbst wenn sie leise sprachen, waren für viele Passanten und auch nur beiläufig in der Nähe Stehende wie Feuermelder, die losgingen. Zorn und Wut, Trauer und Schmerz, das strahlte aus und wurde empfangen, erzeugte Neugierde und Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit war das, was sie eigentlich zu vermeiden trachteten. Minarel holte tief Luft und schloss für einen Moment die Augen, beruhigte sich wieder. Nun konnte sie antworten.

»Wohin, Sahir?«

»Es gibt mehrere Optionen. Wir haben noch nicht alle potenziellen Zufluchtsorte von Operation Laurin abgegrast. Es gibt Ecken, an denen wir uns verstecken können, bis die Sache vorbei ist, so oder so.«

»So oder so? Du meinst, auch wenn wir scheitern und die ganze Zivilisation zusammenbricht?«

»Das Haus in den Bergen auf Cantor III ist so ausgestattet, dass wir es da jahrelang aushalten könnten, Zivilisation hin oder her«, gab McKinnon zurück und bewies damit, dass er sich auch über diese Perspektive schon seine Gedanken gemacht hatte. Das wiederum erregte Minarels Zorn. Er hatte ernsthaft überlegt, was sie tun würden, wenn alles scheiterte?

Natürlich hatte er, es war seine Art. Sie konnte ihm deswegen im Grunde keinen Vorwurf machen. Sie machte sich selbst welche, weil sie nicht zu akzeptieren bereit war, dass es für sie aktuell nichts mehr zu tun gab – außer auf sich selbst aufzupassen. Was nützte es den Simis, wenn es niemanden mehr gab, zu denen sie zurückkehren konnten, wenn sie erfolgreich – oder auch erfolglos – waren?

»Wir müssen eine Spur auslegen«, sagte sie. »Wie Brotkrumen im Wald.«

»Alle drei kennen die geheimsten Verstecke, die wir noch auf der Liste haben«, erwiderte der Dispatcher. »Sie werden sie abklappern und uns finden. Das ist nur eine Frage der Zeit.«

»Du bist ja sehr zuversichtlich.«

»Es sind keine kleinen Kinder. Die Tatsache, dass sie ihr Leben in der Obhut von dir beziehungsweise deiner Eltern verbracht haben, bedeutet nicht, dass sie unselbstständig sind. Vielmehr haben sie das Gegenteil in vielen Einsätzen unter Beweis gestellt. Ich wusste gar nicht, dass dein Mutterinstinkt so stark ist.«

»Du bist manchmal wirklich ein Arschloch, Sahir McKinnon«, erwiderte sie leise und fragte sich selbst, ob sie das ernst meinte oder nicht. Warum war es bei Männern immer gleich Solidarität mit alten Kumpels, bei Frauen aber sofort der unvermeidliche Mutterinstinkt? McKinnon war kein übermäßiger Chauvinist, jedenfalls war ihr das bisher nicht aufgefallen, aber es gab diese Momente, in denen sie ihm gerne mit der flachen Hand eins auf den Hinterkopf gegeben hätte. Eine kleine Lektion, um sein Denkvermögen anzuregen.

»Wir sollten uns bevorraten, das Schiff startklar machen und verschwinden«, sagte McKinnon mit gesenkter Stimme, sich der kritischen Bewertung in den Gedanken seiner Chefin nicht bewusst. »Wir sollten das tun, solange wir noch Herren unserer Handlungen sind und uns diese nicht aufgezwungen werden. Es sind nur noch wir zwei, Minarel. Du und ich, zwei ganz normale Menschen. Wir sind verwundbar ohne die Simis. Das ist die Wahrheit, der wir uns stellen müssen. Ohne die Simis sind wir zwar nicht nichts – aber auf jeden Fall nicht mehr besonders viel.«

Das war wohl der Kern der Sache, so unangenehm diese Erkenntnis auch sein mochte. Minarel schaute auf erkaltete Fleischbällchen, während sie diese Wahrheit in sich einsickern ließ. Das stimmte. Es ging nicht darum, dass ihre Eltern oder sie selbst die Simis behütet hätten – von einer Phase zu Beginn ihrer Entwicklung vielleicht abgesehen. Es war umgekehrt: Die Simipathen und ihre Fähigkeiten waren Schwert und Schild für sie gewesen. Und jetzt musste sie ohne beides auskommen. Und ohne Freunde und Geld.

»Gut«, wisperte sie, unwillig vielleicht, aber auch plötzlich einsichtig und gewissermaßen kapitulierend. »Dann machen wir es so. Fülle unsere Vorräte auf, und danach stellen wir einen Flugplan zusammen. Egal wohin. Zum Arsch der Galaxis. Weit weg, und das still und leise. Aber wenn das nicht klappt, wenn wir dafür die Chance nicht mehr haben, brauchen wir einen Plan B.«

»Hast du schon eine Idee?«

»Ja, und sie gefällt mir eigentlich ganz gut. Wir haben sie bereits angesprochen, aber zu schnell wieder abgetan. Der Weg ist steinig, und du wirst sie garantiert nicht mögen. Nun, fürs Erste hast du gewonnen. Denn dein Plan ist Plan A.«