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Dietrich Bohoeffer hat als Christ und Theologe mit großer Konsequenz dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet. Vielen Menschen gilt er bis heute als Glaubensvorbild. Wer war dieser Mann? Christlicher Märtyrer des 20. Jahrhunderts? Hochbegabter Theologe, der über seine Zeit hinaus der Theologie wichtige Impulse verlieh? Gewaltbereiter Widerstandkämpfer, der als letztes Mittel ethisch auch die Tötung des Diktators Adolf Hitler bejahte? Ohne Zweifel sind bei ihm Leben und Denken in besonderer Weise verflochten. Seine Theologie ist durchdrungen von den Erfahrungen des eigenen Lebensweges. Das vorliegende Heft versteht sich bewußt als "Hinführung." Es will in knapper Form mit seiner Biographie und der Entwicklung seines theologischen Denkens bekanntmachen. Zugleich ist es seine Absicht, den interessierten Leser anzuregen, weiterzufragen.
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Seitenzahl: 65
Veröffentlichungsjahr: 2017
Hans-Christian Rickauer
Hinführung zum Leben und Denken Dietrich Bonhoeffers
© 2017 Hans-Christian Rickauer
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7439-1006-5
Hardcover:
978-3-7439-1007-2
e-Book:
978-3-7439-1008-9
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Während der Jahrestagung der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffergesellschaft 2015 in Eisenach fragte mich der Leiter der Arbeitsgruppe Gedenkstätten, Professor Dr. Günter Ebbrecht, welchen Bezug Limbach-Oberfrohna zu Dietrich Bonhoeffer habe, dass dort ein Platz nach ihm benannt und ein Gedenkstein errichtet wurde. Tatsächlich begegnet einem der Name der Stadt nicht im Lebenslauf Bonhoeffers. Der Bezug ergibt sich gewissermaßen auf „Umwegen“. Im Jahr 2000 wurde die Gemeinde Wolkenburg nach Limbach-Oberfrohna eingemeindet. Dort gab es ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg, in dem von 1944 bis zum 13. April 1945 fast 400 Frauen, davon ein Drittel Sinti und Roma, als Gefangene und Zwangsarbeiterinnen lebten. Lagerkommandant war SS-Scharführer Wilhelm Brusch. Auf dem Gemeindefriedhof sind einige Gräber von Häftlingen, die in diesem Lager ums Leben kamen. Nach 2000 wurden diese Gräber von der Stadt mit Unterstützung der Bundeswehr würdig instandgesetzt, Gymnasiasten forschten zu den geschichtlichen Zusammenhängen und gestalteten eine Erinnerungstafel. An einem von der Stadt errichteten Gedenkstein fand alljährlich am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, eine Kranzniederlegung als Akt des Erinnerns und Mahnens statt. In diesem Zusammenhang wurde auch an das Beispiel Dietrich Bonhoeffers erinnert, der sehr früh die Unmenschlichkeit der nationalsozialistischen Ideologie durchschaute, auf unterschiedliche Weise gegen sie agierte und schließlich dafür am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg ermordet wurde.
Als nach der Jahrtausendwende auch in Sachsen die NPD erneut erstarkte und in Limbach-Oberfrohna sogar ihr Landesparteitag abgehalten wurde, zeigte die Bevölkerung zunächst auf unterschiedliche Weise aber klar ihre Ablehnung. „Limbach-Oberfrohna für Demokratie und Toleranz“ stempelte die Stadtverwaltung auf ihre Briefe. Schließlich bildete sich ein breites Bündnis aller demokratischen Kräfte. In diesem Zusammenhang regte die Kirchgemeinde Limbach-Kändler an, den Platz zwischen Kirche und Rathaus nach Dietrich Bonhoeffer zu benennen und so ein klares Zeichen gegen neuen Rechtsextremismus und für die Achtung der Würde eines jeden Menschen zu setzen. Vom Stadtrat wurden die Namensgebung und die Errichtung eines Gedenksteins auf diesem Platz beschlossen. Am 8. Mai 2015, dem 70. Jahrestag der Befreiung Deutschlands von Nationalsozialismus, fand die feierliche Einweihung statt. Im Namen der Vorsitzenden der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffergesellschaft überbrachte das Vorstandsmitglied Christina Vater ein Grußwort.
Der Name Dietrich Bonhoeffers als Pastor, Mitglied des Widerstands und Opfer des Nationalsozialismus ist allgemein bekannt. Schon weniger Menschen wissen, dass seine Statue an der Londoner Westminster Abbey unter den Märtyrern des 20.Jahrhunderts zu finden ist. Um die Öffentlichkeit mit seinem Leben, Denken und Wirken etwas näher bekannt zu machen, verfasste ich im Frühjahr 2015 für das städtische Amtsblatt eine kleine Artikelreihe. Später wurde ich um einige Vorträge gebeten. Das vorliegende Heft ist eine Überarbeitung all dessen. Sein Ziel ist es, eine erste „Hinführung“ zu sein – zu seiner Biographie, zur Entwicklung seines Denkens und zu der für ihn eigenen Art, gegenüber Herausforderungen Stellung zu beziehen. Gleichzeitig will es zum Weiterfragen und zu einer vertieften Beschäftigung mit Bonhoeffers Leben und Denken anregen.
Limbach-Oberfrohna, am 4. Februar 2017
Verehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Rickauer, sehr geehrte Festgemeinde, meine Damen und Herren,
Sie haben sich heute hier versammelt, um den neu gestalteten und mit einem Gedenkstein für Dietrich Bonhoeffer ausgestatteten Dietrich-Bonhoeffer-Platz einzuweihen. Die Internationale Bonhoeffergesellschaft, Deutschsprachige Sektion, dankt Ihnen sehr herzlich dafür, dass Sie diesen prominent gelegenen Platz Ihrer Stadt dem Andenken Dietrich Bonhoeffers widmen.
Dietrich Bonhoeffers Leben und Denken sind auch noch 70 Jahre nach seiner gewaltsamen Ermordung im Konzentrationslager Flossenbürg bewegend und nachdenkenswert. Mit großem Mut hat er sich gegen gesellschaftliche, politische und kirchliche Missstände seiner Zeit engagiert, immer getrieben in der Frage, wie er sein Leben in der Verantwortung vor Gott und den Menschen gestalten kann. In einem Text an seine Mitverschworenen vom 20. Juli 1944 schreibt Bonhoeffer deshalb: „Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll.“
Wenn Sie heute diesen Platz mit einem Stein zu seinen Ehren auszeichnen, zeigen Sie, dass Sie sich als Stadt, als Politiker und als Bürger einer solchen Verantwortung stellen. Sie wollen sich daran erinnern lassen, dass das Leben jedes Einzelnen wertvoll ist und sich der Einsatz füreinander lohnt. Sie wollen sich daran erinnern lassen, dass keiner nur für sich selber lebt, sondern im Miteinander und Füreinander von Menschen sich Menschsein und nach Bonhoeffers Überzeugung auch Christsein erfüllt. Mit der heutigen Einweihung setzen sie ein Zeichen gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.
Für Ihr Leben in Ihrer Stadt wünscht die deutschsprachige Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft Ihnen von Herzen alles Gute und Gottes Segen.
Prof. Dr. Christiane Tietz
Vorsitzende der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft
Abb. 1: Stele auf dem Dietrich-Bonhoeffer-Platz in Limbach-Oberfrohna
Dietrich Bonhoeffer entstammt einer großbürgerlichen Familie der Bildungselite der zu Ende gehenden Kaiserzeit. Er studierte Theologie, promovierte, habilitierte, war Privatdozent, Pfarrer und leitete ein Seminar der Bekennenden Kirche. Er ließ sich am liebsten „Herr Pastor“ anreden. Er war V-Mann der deutschen Abwehr und arbeitete unter Admiral Canaris aktiv im Widerstand. Auf ausdrückliches Betreiben Hitlers wurde er im KZ Flossenbürg zum Tode verurteilt und am 9. April 1945 mit anderen Mitgliedern seiner Widerstandsgruppe zum Tode durch Erhängen am Strang verurteilt und ermordet.
Wer war dieser Mann? Christlicher Märtyrer des 20. Jahrhunderts? Vielen Menschen ist er bis heute ein Glaubensvorbild. Er steht für christliche Hoffnung und Zuversicht selbst in schwierigsten Zeiten. Ist er der hochbegabte Theologe, der der Theologie des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse verlieh und zugleich gewaltbereiter Widerstandskämpfer, der als letztes Mittel ethisch auch die Tötung des Diktators Adolf Hitler bejahte? Muss zwischen einem frühen, mittleren und späten Bonhoeffer unterschieden werden? Oder wird er zu einfach als Held verklärt und bleibt eigentlich für uns unfassbar und fremd? Der Amerikaner Charles Marsh gibt seiner kritischen Bonhoefferbiographie, die 2015 auch in deutscher Übersetzung erschien, den Untertitel „Der verklärte Fremde“. Die letzten siebzig Jahre zeigen eine vielschichtige und teilweise unterschiedlich akzentuierte Sicht des Lebens und Wirkens von Dietrich Bonhoeffer. Dies verwundert wohl auch nicht, wenn die Internationale Bonhoeffergesellschaft mehr als 6000 Publikationen über ihn vermerkt. Richtig ist sicher, dass Leben und Denken bei ihm in besonderer Weise verflochten „und seine theologischen Thesen von den Erfahrungen seines Lebens durchdrungen sind.“1
Bonhoeffer ist es von Kindheit an gewohnt, das Erlebte zu reflektieren. Die Erziehung des Vaters duldet kein unbesonnenes „Geschwätz“. Dietrich, dem von allen Geschwistern besonders an der Anerkennung durch den Vater liegt, verinnerlicht diese Einstellung. Die Reflexion des Erlebten führt bei ihm zu Einsichten, die immer wieder seinen Lebensweg prägen. Schon als Student formuliert er in einer Semesterarbeit: „Christentum bedeutet Entscheidung.“2
Kern lutherscher Ethik ist, dass gutes und gerechtes Handeln des Christen aus dem Glauben als dessen Quelle heervorgeht. Als junger Theologe beginnt Bonhoeffer zu fragen, was wirkliche Kirche ist und gelangt in seiner Dissertation zu der Einsicht, dass Kirche als Kollektivperson