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Mehr Frauen in der Politik – diese Herzensangelegenheit möchte Ulrike Hiller mit diesem Buch Realität werden zu lassen. Über 20 Jahre war sie mit Leidenschaft für die beziehungsweise in der Politik unterwegs, erst im Stadtteil, dann im Stadt- und Landesparlament (der bremischen Bürgerschaft) und schließlich in der Landesregierung. Sie war verantwortlich für Bundes- und Europaangelegenheiten, war Mitglied im Kongress der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und im Ausschuss der Regionen, später Beiratssprecherin, Beirats-Fraktionsvorsitzende, Ortsvereinsvorsitzende, Delegierte, Staatsrätin, Bevollmächtigte, Schriftführerin, Koordinatoren und Vorsitzende der Deutschen Delegation. Hiller erläutert, wie Frauen den Schritt in die Politik wagen können und was sie dort erwartet. Sie erläutert die Abläufe, macht Mut und erzählt Anekdoten aus dem politischen Alltag. Nicht wissenschaftlich, sondern unterhaltsam schafft sie in diesem Buch eine Verstehensebene sowie eine Nähe, die inspiriert und den Frauen in aller Welt zuruft: Wagt es! Ein persönliches Buch einer engagierten Frau, die über viel Erfahrung und Hintergrundwissen verfügt.
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Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2024
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ULRIKE HILLER
POLITIK IST
WEIBLICH
ALS FRAU IN DEN MACHTZENTREN BERLIN, BRÜSSEL UND BREMEN
Dieses Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek registriert. Die bibliografischen Daten können online angesehen werden: http://dnb.d-nb.de
»So ist das Lebenund so muß man es nehmen,tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.«
Rosa Luxemburg
Für Luzie & Jade
Mein Anliegen:
Dass sich mehr Frauen Politik trauen!
Ich war über 20 Jahre in der Politik unterwegs, erst im Stadtteil, dann im Stadt- und Landesparlament und schließlich in der Landesregierung. Hier war ich hauptamtlich verantwortlich für Bundes- und Europaangelegenheiten, für die Entwicklungszusammenarbeit sowie zwei Jahre lang für Integrationsfragen im Bremer Senat zuständig. Ich war Mitglied im Kongress der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und im Ausschuss der Regionen, Abgeordnete, Bundesratsmitglied, Beiratssprecherin, Beirats-Fraktionsvorsitzende, Ortsvereinsvorsitzende, Delegierte, Staatsrätin, Bevollmächtigte im Ministerinnen-Rang, Schriftführerin, A-Koordinatorin und Vorsitzende der Deutschen Delegation. Viele Begriffe, viele politische Ämter, mal ehrenamtlich, mal hauptamtlich. Leider verstehen nur wenige Menschen, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt. Es gibt dafür keine Bedienungsanleitung, kein On-Boarding oder Coaching. Und leider gibt es zu wenige Frauen, die diesen Schritt wagen und sich gegenseitig unterstützen. Auf Seite 201 in diesem Buch findet sich ein Glossar mit den wichtigsten Politik-Begriffen.
Ich bin keine Politik-Prominente, aber hatte die Chance, vieles aus dem politischen Alltag mitzuerleben und teilweise mitzugestalten. Ich war in der dritten oder sogar zweiten Reihe, konnte beobachten und privilegiert dabei sein! Als kleines Rädchen im großen Getriebe blieb ich immer wachsam und umtriebig. Ob es etwas bewirkt hat? Ich weiß es nicht, aber ich habe es versucht, und das allein zählt.
Seit vier Jahren bin ich nun raus aus der aktiven Politik und werde trotzdem immer noch gefragt, wie meine Einschätzungen zu politischen Geschehnissen sind: zu internationalen Entwicklungen, zu den kommenden Wahlen, Wahlkämpfen und möglichen Koalitionen oder auch zu einzelnen Politikerinnen und Politikern. Seit drei Jahren arbeite ich als Beraterin und Coach, unterstütze andere auf ihrem politischen Lebensweg und gebe auch politische Einschätzungen zu konkreten Gesetzgebungen und Prozessen auf europäischer und nationaler Ebene. Mein Herz schlägt nach wie vor für internationale Entwicklungen, gerade in Fragen der Nachhaltigkeit und hinsichtlich der »17 Ziele für eine bessere Welt« (auf die ich in einem späteren Kapitel eingehen werde). Ich bin mehr eine Europäerin als eine Deutsche und frage mich immer wieder: Wohin steuern wir in Europa?
Ebenso war mein Interesse an den Personen, die da Politik machen, stets groß. Wie sind die wirklich? Sind die vertrauenswürdig? Welche Medien berichten seriös aus Berlin? Wem kann ich glauben und wer informiert mich wirklich?
Als Beraterin genieße ich die etwas distanziertere Position, um vieles vielleicht auch entspannter und damit differenzierter einzuschätzen. Ich muss mich nicht mehr aktiv »von einer Krise in die nächste« bewegen. Dieser Wahnsinn, diese Alarmbereitschaft und dieses ständige Reagieren-Müssen erinnern mich immer noch an einen Maschinenraum! Und in der Tat: Obwohl ich nun nicht mehr direkt in diesem politischen Maschinenraum dabei bin, verfolge ich natürlich die Entwicklungen und beobachte sehr bewusst.
Als ich im August 2019 aufhören musste mit dem aktiven Mandat als Bevollmächtigte und Staatsrätin der Freien Hansestadt Bremen für Bundes- und Europaangelegenheiten und Entwicklungszusammenarbeit, war ich sehr traurig, da mir die Arbeit wirklich sehr viel Spaß gemacht hat. Denn ich war mittendrin in der politischen Willensbildung, und immer gab es neue Entwicklungen und Fragestellungen, Probleme, die gelöst werden mussten, und neue Kommunikationsherausforderungen. Zuerst war ich wie entfremdet, und es kam mir merkwürdig vor, ohne diese teilweise sehr hohen Belastungen zu leben. Ich brauchte einige Monate, um zu erkennen, wie entspannt es sein kann, wenn man nicht mehr ständig zwischen Bremen, Berlin und Brüssel pendelt. Immer unter Strom und Druck, etwas zu erledigen und so viele Themen im Bundesrat, im Ausschuss der Regionen oder im Senat beziehungsweise der Bürgerschaft zu besprechen, zu diskutieren und Lösungen zu entwickeln. Ich fühlte mich ausgebrannt und auch irgendwie allein.
Auch die Verantwortung für fast 60 Beschäftigte in Brüssel, Berlin und Bremen war eine große Belastung, da es kaum möglich ist, allen gerecht zu werden und immer gute Entscheidungen zu treffen. Hinzu kamen viele spannende Veranstaltungen, die ich besuchen musste. Ich durfte Grußworte halten, führte Gespräche mit Schulklassen, Gruppen und auch Praktikant:innen – all das sorgte für einen sehr engen Terminkalender mit ständigen Anforderungen, die, einzeln gesehen, alle wunderbar waren, aber mich manchmal an meine Grenzen geführt haben. In dieser Umbruchszeit von September bis Dezember 2019 habe ich meine Gedanken zum ersten Mal aufgeschrieben. Zum einen, um nichts zu vergessen, und zum anderen, um diesen Abschnitt meines Lebens zu verarbeiten.
Schön war, als ich merkte, dass aus den langjährigen politischen Kontakten, insbesondere in Berlin in den vergangenen sieben Jahren, wirkliche Freundschaften geworden sind. Das freut mich persönlich sehr, da von Außenstehenden oft angenommen wird, dass es in der politischen Blase nur um Beziehungen geht, die mir als Politikerin im eigenen beruflichen Fortkommen nützen. Das habe ich in der Politik nicht so erlebt, im Gegenteil: Beziehungen haben nicht einmal etwas mit der Parteizugehörigkeit zu tun, und wenn Du einmal Vertrauen zueinander entwickelt hast, bleibt das bestehen. Vertrauen und Loyalität sind meiner Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften in der politischen Zusammenarbeit!
Es besteht allerdings kaum Zeit, die wertvollen Kontakte zu pflegen, da immer so viele Ansprüche von außen – häufig sehr kurzfristig – an die Politikerinnen und Politiker herangetragen werden. Flexibel muss man sowieso sein und darf nicht an starren Plänen festhalten; das Ziel und die Priorität sollten immer im Blick behalten werden.
Die heutige Politik wird von der Gesellschaft unter einen hohen Druck gestellt. Das liegt unter anderem an den sozialen Medien und an dem Druck der »herkömmlichen« Presse, die immer schneller und ungeduldiger berichten muss. Es gibt kaum noch Zeit für Recherche und ausführliche Beratungen, obwohl die Themen immer komplexer werden. Wird nicht direkt und konkret auf ein erkanntes Problem reagiert, kommen die verantwortlichen Politiker:innen in eine Bredouille. Dabei sollte doch eigentlich ausführlich und gewissenhaft über eine Problemlösung nachgedacht werden dürfen …
Da gibt es einen schönen Spruch von dem früheren Ministerpräsidenten aus Rheinland-Pfalz, Kurt Beck: »Erst grübeln, dann dübeln.« Recht hat er, aber heutzutage ist das schwer durchzuhalten!
Der regelmäßige Austausch fehlt mir, da ich nun aus den damaligen Zusammenhängen herausgefallen bin, wenn ich dadurch auch einen distanzierteren Blick auf den »politischen Maschinenraum« werfen kann. Und davon möchte ich gern erzählen! Ich möchte Hinweise geben, wie ein Start mit politischem Engagement erfolgen oder wie man sich als aktive Politikerin verändern kann. Oft wurde ich als Beraterin hinzugezogen, um Menschen auf ihrem politischen Weg zu begleiten. Allerdings waren es bislang mehr Männer als Frauen, die um einen konkreten Rat oder Begleitung baten, und das möchte ich gern ändern.
Bei meiner Erzählreise durch die Politik begleiten mich drei übergeordnete Fragenkomplexe:
• globale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Entwicklung
• Demokratie und Föderalismus/Regionen in Deutschland, Europa und global
• Frauen und Männer in der Politik, Respekt und Anerkennung sowie Netzwerke und Seilschaften
Es gibt viele Menschen, die ein sehr spezifisches politisches Interesse haben, sich zum Beispiel in ihrem Stadtteil für Fahrradwege oder Schulpolitik einsetzen oder auch global für Menschenrechte oder Klimaschutz. Für einige bleibt das konkrete Anliegen über Jahre das einzige Thema – entweder setzen sie sich dann erfolgreich durch, oder sie hören frustriert auf, weil es nicht so schnell geht und niemand auf sie »gewartet« hat. Diese Erfahrungen sind wirklich demotivierend. Für mich waren die Vernetzungen zwischen den einzelnen Politikgebieten immer besonders interessant.
Erwähnenswert ist sicherlich, dass ich schon von klein auf immer gegen Ungerechtigkeit »rebelliert« habe, ob zu Hause, in der Schule oder auch im Verein. Ich konnte es nicht aushalten, wenn es für mich oder auch andere ungerecht war, und habe es – teilweise auch ungefragt – geäußert! Mich hat die Ungerechtigkeit schon sehr früh getriggert, so dass es mir von Anfang an ein Bedürfnis war, meine Meinungen öffentlich zu vertreten. Das hat mir nicht geschadet – im Gegenteil. Ich möchte alle Menschen, besonders Frauen, dazu ermuntern, ihre Sichtweise auf die Welt mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Politisch und persönlich konnte und kann ich es nicht akzeptieren, dass es auf dieser Welt so viel Elend gibt. Kinder arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen, Frauen werden in verschiedenster Weise ausgebeutet und unterdrückt und Menschen werden aufgrund persönlicher Einstellungen oder auch äußerlichen Faktoren diskriminiert – das hat mich schon immer genervt!
Ich verstehe bis heute nicht das Problem. Wir sind ja eigentlich alle »schlau«, haben vieles erfunden und sind auch bis zum Mond geflogen – warum können wir die scheinbar »banalen Dinge« nicht lösen? Nennt mich verzweifelte Weltretterin!
Mein Mut, der meistens sehr spontan und impulsiv ist, hat mir in vielen Lebenslagen geholfen. Ich glaube, es ist wichtig, eine gute Beziehung mit sich selbst zu haben, sich seiner bewusst zu sein und mit sich selbst im guten Einklang zu stehen. Natürlich ist es wichtig, seine Ängste und Befürchtungen wahrzunehmen, aber auch zu spüren, wenn man etwas gut geschafft hat und sich etwas zutraut – nicht kokettieren, sondern zum eigenen Fan zu werden. Wenn ich nicht selbst von mir begeistert bin, warum sollte es jemand anderer von mir sein?
Wir sprechen immer von Vorbildern, und es gibt leider wenige Frauen, die ihre Erfahrungen dokumentieren und einen Verlag finden, der das druckt. Das finde ich sehr schade, weil es Orientierung gibt und auch Mut machen soll, seinen Weg zu gehen.
»Warum sollte ich politisch aktiv werden?«
Ja, diese Frage wurde mir häufig gestellt, und ich beantworte sie gerne.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Verstärkt durch die an die eigenen Bedürfnisse angepasste digitale Welt sind die Erwartungen an die Politik, Gesellschaft ganz allgemein, aber auch konkret an Nachbarn und Freunde heutzutage sehr hoch. Teilweise herrscht in den Diskussionen null Toleranz, dafür aber ungebremste Emotionalität – und dann wieder totale Lethargie und Uniformiertheit, wahrscheinlich aus einer Mischung aus Egozentrik, Frustration und Ohnmacht heraus!
Es stimmt, dass man durch individuelles Verhalten (z. B. der Verzicht auf Kreuzfahrten) keine großen Veränderungen schafft, sondern nur durch gesellschaftliche, strukturelle Veränderungen. Trotzdem muss man das Bedürfnis nach Veränderungen auch individuell unterstützen, da das eine das andere stärkt. Eine intolerante Gesellschaft, die sich gegenseitig misstraut und aus einer emotionalen Ohnmacht agiert und schnell frustriert wird, birgt ein großes Risiko, vor allem hinsichtlich Spaltung und Abgrenzung.
Auch wenn durch Gesetze und Förderungen auf staatlicher Ebene vieles nicht nur angestoßen, sondern grundlegend nachhaltig und damit für das Allgemeinwohl ausgerichtet werden kann, so sind doch die persönliche Ebene und der eigene private Ermessensspielraum ebenso ausschlaggebend.
Bei der »Transformation unserer Welt«, wie die Agenda 2030 hoffnungsvoll betitelt wurde, geht es um die Veränderung der globalen Gesellschaft. Wir sind natürlich Teil dieser Gesellschaft. Ob wir wollen oder nicht. Und wir können Teil der Veränderung sein. Manchmal müssen wir es.
Wir können warten oder erwarten, dass die anderen – wer auch immer das sein mag – den ersten Schritt machen und sich ändern. Oder wir ändern die einzige Person, die wir wirklich ändern können: uns selbst. Andere können wir versuchen, zu überzeugen, mit Fragen, mit Worten und Ratschlägen, mit Zwängen und Gewalt. Aber können wir dadurch jemand anderen wirklich ändern? Fangen wir also bei und mit uns selbst an.
Ich war mit 29 Jahren kommunale Frauenbeauftragte in einer kleinen niedersächsischen Gemeinde, und da habe ich viele Erfahrungen mit politischen Herangehensweisen von Männern und Frauen gemacht. In den Gremien waren jedenfalls in den 1990er-Jahren fast ausschließlich männliche Vertreter, insbesondere im Bereich Finanzen, Bau und Energie/Verkehr, tätig. Mir ist immer aufgefallen, wie durch die männlichen Lebenserfahrungen (mit dem Auto morgens zur Arbeit und abends zurück ins Carport, Freizeitgestaltung im Golfklub, Fußballverein oder bei der Feuerwehr) die politischen Entscheidungen geprägt wurden.
Das ist kein Vorwurf, aber das eigene Leben formt einfach die eigene Wichtigkeit, und wenn ich mich nicht für Einkauf, Kinder und soziales oder kulturelles Leben interessiere, dann ist es mir auch nicht so wichtig. Wenn ich abends keine Angst auf dem Parkplatz habe, dann schaue ich auch nicht so sehr auf die Beleuchtung und die Wegverhältnisse.
Deshalb habe ich schon damals immer den Frauen gesagt, sie sollen mitmachen! Im Rat oder Landkreis wird darüber entschieden, wie mein direktes Lebensumfeld entwickelt wird. Wenn es keine diverse Zusammensetzung der Gremien gibt, wird natürlich nur einseitig entschieden.
Geduld ist wichtig. Mit uns selbst.
Ich handele aus eigener Überzeugung, das Richtige zu tun. Und sollte es sich irgendwann als falsch herausstellen, so kann ich mein Verhalten ändern und anpassen.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Mensch, wenn er geboren wird, positiv ist, und dass viele etwas tun wollen, um die Welt besser zu gestalten. Ihre eigene Welt, aber auch die der anderen. Manchmal fehlen die Vorbilder und manchmal die Zugänge, aber der Wille ist da.
Wie sollte eine Politikerin sein? Tipps für die Positionierung
Politik ist komplex, unglaublich schnell und mit hohem Anspruch. Wenn du es also gut machen willst, brauchst du viel Zähigkeit und Leidenschaft. Egal, wo du dich engagierst – es sollte immer mit Leidenschaft für die Sache sein.
Manche glauben, dass man sich vornehmen kann, Politikerin zu sein ohne ein richtiges Anliegen und Engagement. Ich glaube, das klappt nicht wirklich!
Zum einen spüren Menschen, ob dir die Sache wirklich wichtig ist und am Herzen liegt, und zum anderen hältst du es auch nicht durch. Natürlich gibt es »blutleere« Karrierepolitiker:innen, die keine Meinung haben und nur versuchen, »durchzukommen« und von ihren Kontakten leben.
Natürlich muss nicht jede:r für das Thema brennen, und mit etwas Distanz und Strategie argumentiert es sich häufig leichter. Aber es bedarf schon einem echten Anliegen und nicht nur persönlicher Karriereplanung. Ohne politische Idee und Engagement geht es nicht – dann wird man nicht nachhaltig erkennbar, sondern beliebig.
Politische Erfolge sind nur im Marathon zu erzielen. Viele Personen, die ich kennengelernt habe und die politisch interessiert waren, hatten eine Position, die sie jetzt – direkt und unmittelbar – durchsetzen wollten, und dann kam der Frust schnell, weil sich niemand oder nur wenige darüber freuten.
Dieser Mangel an Geduld ist meiner Meinung nach in den letzten Jahren immer stärker geworden. Mit Ungeduld funktioniert aber kein politisches Handeln in einer Demokratie, und ich finde das, ehrlich gesagt, auch gut so.
Es ist wichtig, sich zu einem Thema verschiedene Meinungen genau anzuhören oder vielleicht sogar noch einen Rat einzuholen, bevor entschieden wird, ob man die Sache wichtig und richtig findet. Manche Dinge brauchen Zeit und sehen schon nach einigen Monaten ganz anders aus.
Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß, erst recht, wenn es viele Menschen betrifft; es gibt vor allem ganz viel Grau.
Ein schönes Beispiel dazu ist das Kopfsteinpflaster auf unseren Straßen. Wenn der Kanal neu verlegt wird, dann stellt sich die Frage, wie die Straße danach belegt wird: entweder mit einer Asphaltdecke oder den alten oder neuen Kopfsteinen. Ein wirklich emotionales Thema, wo es kaum Kompromisse gibt. Für den Kopfstein sprechen zum einen unsere Erinnerung und unsere Geschichte wie auch die Stadtatmosphäre, zum anderen fahren die Autos und Räder wesentlich langsamer, und es ist keine abgeschlossene Bodendecke, Regenwasser kann in den Boden sickern und Pflanzen können wachsen. Eine Asphaltdecke kann das nicht leisten, dafür ist sie leiser und sicherer, besonders bei Regen; sie ist auch barrierefreier und erzeugt ein ordentlicheres Straßenbild.
Man merkt schnell, es gibt für jede Seite Argumente, und nun muss man überlegen, was konkret die beste Lösung ist. Das ist Politik im Kleinen, aber auch im Großen. Informieren, diskutieren und entscheiden! Und von diesen Beispielen gibt es auf jeder politischen Ebene viele Themen. Deshalb ist für einen selbst ein Kompass besonders wichtig.
Wo will ich hin? Was ist mir besonders wichtig, und wie will ich mit anderen umgehen, damit ich Entscheidungen beeinflussen und auch durchsetzen kann – denn am schönsten ist politisches Handeln, wenn man was erreicht; sei es die energetische Sanierung einer Sporthalle oder ein Tariftreue-Gesetz mit der Vorgabe der Ilo-Kernarbeitsnormen zum fairen Handel oder die Öffnung der Sprachkurse für Flüchtlinge.
Die Digitalisierung – Fluch und Segen zugleich
Als ich im Dezember 2012 meine Tätigkeit in Berlin begann, war es für mich ein großer Spagat. Ich habe zwei wunderbare Töchter, die zu dem Zeitpunkt acht und zwölf Jahre jung waren und in Bremen blieben. Trotzdem habe ich diese Aufgabe in Berlin angenommen. Mir war mulmig, und ich wusste, ich konnte es nur schaffen, weil ich wunderbare Kinder, ein sehr unterstützendes Au-pair-Mädchen und ein Handy in der Tasche hatte. Die Handys, Tablets und Computer ermöglichen gerade auch Frauen, Aufgaben zu übernehmen und zeitgleich den Kontakt zu ihren Kindern zu behalten. Wir schwanken immer zwischen »Reichen wir als Frau, Mutter, Arbeiterin aus?« und »Sollten wir mehr für den einen oder anderen Bereich machen?«. Das ist fürchterlich und stresst unglaublich, aber es bietet auch die Möglichkeit, die vielfältigen Bedürfnisse eines Menschen auszuleben. Manche leben sie nacheinander oder schaffen es, sie auf kurzem Weg miteinander zu verbinden. Ich bin sicherlich ein Extrembeispiel mit den langen Wegen zwischen den Städten mit B. Ohne den Brückenbauer Handy wäre es nicht möglich gewesen, alles halbwegs gut zu vernetzen und zu organisieren.
Meinen Töchtern war es häufig egal, wo ich gerade wieder war, Hauptsache sie konnten mich per Handy erreichen. Natürlich gibt es auch Sehnsüchte, Einsamkeit und die Frage, warum bin ich jetzt in Berlin und nicht zu Hause in Bremen. Oft beschlich mich auch das Gefühl, fremd und ausgeschlossen zu sein, wenn ich nach Hause kam und alle lustig und glücklich beieinander waren. Unsere Handygespräche waren trotzdem die Möglichkeit, schnell und öfter am Tag mitzubekommen, was im Alltag gerade los war. Das funktionierte tatsächlich gerade dann besser, wenn ich nicht in Bremen war … Ich hatte manchmal das Gefühl, durch die räumliche Distanz mehr zu erfahren, als manche Mutter, die jeden Tag nachmittags zu Hause war. Kommunikation ändert sich sowieso, so nehme ich auch bei meinen Töchtern viel mehr wahr, dass sie über die digitalen Kanäle kommunizieren, als sich real zu treffen! Das war natürlich in meiner Jugend und Kindheit nicht möglich, geschweige denn denkbar – aber ich kann verstehen, wie praktisch und komfortabel es ist, wenn man Hausaufgaben per Facetime bespricht und sich in Chatrooms trifft und sich dort kennenlernt – und das schon vor Covid-19.
Wir leben in einer digitalen Welt, und die hat schon vor mindestens drei Jahrzehnten begonnen. Ich erinnere mich noch, wie ich im Studium meinen ersten Computer mit großen Speicherkarten bekommen habe und dort in Schwarz-weiß wie auf einer besseren Schreibmaschine meine Hausarbeiten geschrieben habe. Auch von dem Telefon mit Wählscheibe habe ich es zu einem Handy und dann zu einem Smartphone geschafft. Eigentlich sind wir die Generation der Digitalisierungsentwicklung. Ich weiß noch, wie ich mit 33 Jahren in Kalifornien meine erste Mail schrieb – 1998 von der Universitätsbibliothek in Berkley – ohne zu bezahlen. [email protected]! Was für ein Erlebnis, wie cool war das! Keine Briefe, die ewig lange brauchten, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Ewig bedeutet hier nicht Minuten oder Stunden, sondern Tage oder Wochen. Was haben wir in einer langsamen Welt gelebt. Nun haben wir den Turbo an, und eine Mail ist schnell geschrieben. Auch Texte können ohne großen Aufwand korrigiert und verschoben werden. All das war vorher nicht denkbar. Ich entsinne mich noch an Schreibmaschinenkurse der Volkshochschule Hildesheim und an das Gefühl, nun schnell tippen zu können und mit einem Korrekturband auch mal – zwar sichtbar, aber immerhin – Schreibfehler zu korrigieren.
Ja, und auch in der Politik hat sich durch die Digitalisierung so viel verändert. Alles muss schneller gehen, und die Bedächtigkeit des Grübelns wird immer mehr unmöglich gemacht. Es gibt Presseticker, die gefräßig den ganzen Tag gefüllt werden müssen, und deshalb braucht es Unmengen an Informationen und Neuigkeiten, die vielleicht gar keine mehr sind, und alle können mitmachen! Es bedarf fast keiner Profis mehr – jedenfalls scheint es so. Der bisherige Höhepunkt ist sicherlich Trump, der selbst die sozialen Medien bedient und auf nix mehr Rücksicht nimmt. Auf diese Weise entlarvt er sich oft genug in seinem Wesen und seinen Gedanken.