Prioritäten der Liebe - Topaz Hauyn - E-Book

Prioritäten der Liebe E-Book

Topaz Hauyn

0,0
7,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Schildkröte William findet sich nackt in einer fremden Küche wieder. Mit Menschen fängt er aus Prinzip nichts an. Ruben putzt seinen Kühlschrank mit Eisfach. Er braucht eine neue Vorzeigefreundin, um endlich die Beförderung zu erhalten auf die er hinarbeitet. Keinen Mann. William hasst Versteckspiele. Ruben fürchtet seine Stelle zu verlieren. Mehr als eine Karriere hängt von Rubens Entscheidung und Williams Kompromissfähigkeit ab. Finden die beiden Männer einen gemeinsamen Weg zwischen ihren Welten?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prioritäten der Liebe

Prioritäten der Liebe

NewsletterPrioritäten der LiebeWilliam, StrandRuben, KücheWilliam, Schachtel im KühlschrankRuben, KücheWilliam, Schachtel im KühlschrankRuben, KücheWilliam, KücheRuben, SchlafzimmerWilliam, KücheRuben, KücheWilliam, StraßeRuben, StraßeWilliam, Straßenkreuzung zur U-BahnRuben, Treppe zur U-BahnWilliam, BahnsteigRuben, BahnsteigWilliam, Wohnung von RubenRuben, Tür zum Arbeitszimmer seiner WohnungWilliam, KücheRuben, KücheWilliam, KüchentischRuben, BadezimmerWilliam, WohnzimmerRuben, BadezimmerWilliam, BadewanneRuben, BadewanneWilliam, BadewanneRuben, WohnungstüreWilliam, BadewanneRuben, WohnungWilliam, BadewannenrandRuben, SchlafzimmerWilliam, SupermarktRuben, SupermarktWilliam, GehwegRuben, WohnzimmerWilliam, Wohnung von RubenRuben, WohnzimmerWilliam, Wohnung von RubenRuben, WohnzimmerWilliam, TaxiRuben, BüroWilliam, NordseeküsteRuben, BüroWilliam, NordseeküsteRuben, vor dem BüroWilliam, im AutoRuben, BäckerWilliam, SupermarktRuben, KrankenhausflurWilliam, KrankenhausflurRuben, BadezimmerWilliam, KücheLeseprobe: Phillip, küss mich!Weitere BücherFantasyRomanceScience FictionSpannung / KrimiGegenwartImpressum

Newsletter

Melde dich zu meinem Newsletter an.

Erfahre zuerst von Neuerscheinungen.

Hintergrundinformationen zu den Geschichten.

Exklusive Lesezeichen zum selber Ausdrucken.

Anmelden unter:

Oder:

https://blog.topazhauyn.de/newsletter/

Prioritäten der Liebe

William, Strand

William reckte seine ledrigen Beine in der heißen Sonne, bevor er sie einen kleinen Schritt weiter setzte. Soweit es sein Panzer aus grünen Platten zuließ. Hinter ihm hörte er das leise Rauschen der Wellen, die sich im Sand verliefen. Er vermisste das Meer jetzt schon, kaum, dass die Sonne seinen Panzer getrocknet hatte. Im Wasser war er so viel leichter und konnte sich einfacher bewegen als hier an Land. Aber wenn er jemals nach Hause wollte, blieb ihm keine andere Möglichkeit.

Im Wasser war er auch schneller unterwegs. Aber hier an Land zog ihn die Schwerkraft nach unten und es gab keinen Auftrieb vom Wasser. Nur Schnecken waren langsamer als er.

Leider war der Strand hier zudem ein öffentlicher, von Touristen überrannter Sandstrand. Einzig in den frühen Morgenstunden waren keine Touristen unterwegs. Dann war die Putzkolonne da, die den Müll entfernte. Und die hatten ihn bereits mehrfach ins Wasser zurückgetragen. Enttäuschenderweise wurden die anderen Strände nicht vom angeschwemmten Müll gereinigt. Dort würde er sich als Schildkröte sicher verknoten, und als Mensch die Füße zerschneiden. Er würde also noch ein ganzes Stück in seiner Gestalt vor sich hinkriechen müssen. Warum hatte er sich eigentlich nicht im Wasser verwandelt? Ach ja, weil es ein öffentlicher Strand war. Nackte, junge Männer wurden von der Aufsicht abgeführt und an die Polizei übergeben. Es bestand die Pflicht, Badekleidung zu tragen.

William atmete ein. Der salzige Duft des Meeres wurde von dem schrecklichen Gestank der Sonnencremes zurückgedrängt. Er rümpfte die Nase und machte einen weiteren Schritt.

Ihm schauderte bei dem Gedanken, ab sofort mehr Zeit mit diesen Menschen verbringen zu müssen.

Bisher hatte er sich jedes Jahr auf ein paar Tage an Land beschränkt. Lange genug, um zu lernen, welche neuen Erfindungen es gab. Kurz genug, um seine Nase nicht komplett zu ruinieren, in den künstlichen Duftwolken und Abgasen, mit denen sie sich umgaben. Außerdem lebte er dann auf dem zurückgezogenen Familiengrundstück. Dort konnte er sich verwandeln, wann immer er wollte. Keiner der anderen Schildkrötenwandler störte sich an seinem Mangel an Kleidung. Davon gab es ebenfalls genug und sie war auch überall deponiert. Selbst das Häuschen am Meeresufer hatte einen Schrank, der gefüllt war mit Hosen, Pullovern und Wäsche in mehreren Größen.

Nur hatte ihn der Müll im Meer hier, an diesem absolut unpassenden Ort, ans Ufer gezwungen. Der Weg zu seinem üblichen Aufenthaltsort war versperrt. Er musste zusehen, wie er über Land dorthin kam.

Am liebsten wäre William umgedreht, zurück ins Meer gekrochen und davon geschwommen. Leider war das keine Möglichkeit. Entweder er verwandelte sich, oder er erstickte im Plastikmüll, der seine Schwimmrouten verschmutzte. Er hatte bereits zu viele, schnellere und wendigere Schwimmer, sich darin verheddern und ertrinken sehen. Als Schildkröte hatte er noch schlechtere Chancen, lebendig hindurchzukommen.

William kroch weiter. Zumindest war der Sand frei von Plastik. Er genoss jeden Zug. Langsam setzte er Fuß vor Fuß, immer darum bemüht, die Zehen zusammenzuhalten, damit die Schwimmflossen dazwischen nicht so stark spannten, und zog sich weiter über den feinen Sand hinauf. Der Wind wehte sachte über ihn hinweg. Kaum spürbar.

Hier unten, in Sichtweite aller, durfte er sich nicht einfach verhalten, wie er wollte. Schließlich sollten die Menschen nichts von den Schildkrötenwandlern erfahren.

William lebte mit seinen neunundzwanzig Jahren bereits lange genug und hatte, während seiner Schulzeit an Land, zu viel von den Menschen gesehen, deren Gestalt er zur Hälfte teilte, um mehr als absolut notwendig mit ihnen zu tun haben zu wollen. Leider zerstörten sie zunehmend seine Heimat, das Meer. Er musste einen Weg finden, sie aufzuhalten. Oder zumindest, den Müll wieder aufzuräumen.

Es half, dass er ungebunden war. Darum hatten die anderen Wandler ihm diese Aufgabe übertragen. Bei ihrem letzten Treffen vor fünf Jahren. Cäsar, zuständig für Kommunikation, Ausweise und Bankkonten, wartete auf seinen Bericht und seine Rückkehr. Es war seine Aufgabe, die nächste Schicht der Betreuung zu übernehmen. Sie konnten und wollten ihre Kinder nicht so lange alleine lassen, nachdem sie gerade geschlüpft waren.

Er hatte seitdem beobachtet. Es gab Menschen, die gegen den Müll arbeiteten. Aber es waren zu wenige. Einen Plan hatte er noch nicht, außer mit den Aktivisten zu reden.

Langsam schob William sich in kleinen Schritten weiter bergauf über den gelben Sand hinauf in Richtung Gebüsch. Er hatte den dunkelbraunen, mit dünnen, hellbraunen Fasern behangenen Stamm einer Kokospalme fest im Blick. Dahinter begann ein grünes Gebüsch. Das war der ideale Platz, um sich vor den Menschen, die am Strand lärmten und tobten, zu verstecken. Keiner würde seine Verwandlung in einen Mann bemerken. Jeder würde ihn nur für einen neu angekommenen Touristen halten. Einen mit dem exzentrischen Geschmack, sich in Palmblätter zu hüllen, falls er keine Kleider fand.

Der Sand bebte.

Ein Frauenfuß trampelte genau vor Williams Augen auf den Boden. Sie stieß dabei Sand beiseite.

Er blinzelte, um keine Körner in die Augen zu bekommen.

Er sah ihre blau lackierten Zehennägel im fliegenden Sand aufblitzen. Seit wann war diese Farbe bei den Frauen in Mode? Ihre schrille Stimme schmerzte ihn in den Ohren.

William zog seinen Kopf zurück in seinen Panzer. Das Trampeltier ohne Augen würde bald an ihm vorbeigerannt sein.

Doch der Boden hörte nicht auf zu beben.

Im Gegenteil.

Das Beben wurde stärker und William fühlte, wie er zur Seite kippte.

William zog seine Beine schützend zu sich in seinen grünen Panzer. Irgendwann würden die brüllenden Menschen vorbeigerannt sein, dann konnte er weiter krabbeln. Hoffentlich schaffte er es, sich wieder auf den Bauch zu drehen, sonst würde er sich doch hier am Strand verwandeln. Strandaufsicht hin oder her. Wobei er auf die Massenpanik und Medienaufmerksamkeit keine Lust hatte.

Etwas traf seinen Panzer, wirbelte ihn herum, bis er die Orientierung verlor.

Alles drehte sich um William. Er verlor den braunen, faserigen Stamm der Kokospalme aus den Augen. Mal sah er ein Stück Himmel, mal ein Stück Sand. Dann nahm er gar nichts mehr wahr.

Ruben, Küche

Rubens Knie schmerzten bereits jetzt von dem harten Fliesenboden. Ein heißes Bad mit grünem Badeschaum hatte er sich am Ende dieser Plackerei auf jeden Fall verdient.

Heißer, weißer Dampf schlug Ruben entgegen. Das Gegenteil der eisigen Luft, die aus der quadratischen, halbdunklen Öffnung kam, vor der er kniete. Er hatte gerade kochendes Wasser aus seinem silbernen Edelstahlwasserkocher in die orangefarbene Plastikdose gegossen. Jetzt war seine Brille beschlagen und er konnte nur noch blind die Dose mit dem heißen, dampfenden Wasser über die vereisten Streben von sich weg in die Öffnung schieben.

Seine Fingerspitzen glühten von der Berührung mit der Schüssel. Plastik wurde so schnell heiß, wenn man es mit kochendem Wasser füllte. Seine restliche Hand und Arm dagegen froren von der Kälte und der eisigen Luft, die sie in der kalten, rechteckigen Tiefe des Gefrierschranks umgab.

Ruben schob die Schüssel weiter nach hinten. Langsam, damit nichts von dem kochenden Wasser über den Rand hinaus schwappen konnte.

Heißes Wasser half am schnellsten beim Abtauen des ausgeschalteten Kühl-Gefrierschrankes. Besser als Warten, bis das Eis von selbst aufgetaut war. Irgendwie musste er das Eis abbekommen, um die Gefrierschrankhälfte seiner Kühlschrank-Eisschrank-Kombi nicht nur mit Wasser festfrieren zu beschäftigen.

Endlich spürte er den Widerstand der Rückwand.

Schnell zog er seine Hand zurück. Mit der anderen tastete er nach dem Türgriff des Gefrierschranks und schloss sie nachdrücklich. Der laute, schmatzende Ton der Gummilippen sagte ihm, dass die Tür fest geschlossen war.

Ruben lehnte sich von seinen Knien zurück, bis er auf seinen Fersen hockte. Mit dem Rücken lehnte er jetzt gegen die Schranktür hinter sich. Seine Knie protestierten schmerzhaft, nachdem er so lange auf dem harten, kalten Fliesenboden gekniet war. Und er würde noch länger dort knien, sobald das Eis anfing zu tauen. Er spürte die verführerische Wärme, die von dem immer noch heißen Wasserkocher ausging, der neben ihm auf dem Boden stand.

Die ganzen Sachen, die er aus dem Eisschrank geräumt hatte, musste er auch noch sortieren. Sylvis komische Experimente wollte er in keinem Fall wieder mit einfrieren. Er brauchte Platz für Frühlingsrollen und Edamame. Sachen, die er selbst kochen konnte und die besser schmeckten, als das, was er selbst mit einem Rezept zustandebrachte.

Ruben seufzte leise. Viel lieber würde er auf seinem kuscheligen, mit dem roten Flauschbezug überzogenen Sofa liegen und ein gutes Buch lesen. Das Sofa war eines der wenigen Möbelstücke, die geblieben waren, und diente ihm inzwischen auch als Bett.

Er nahm seine Brille von der Nase und putzte den Wasserdampf, der darauf beschlagen war, mit dem Saum seines grauen, an den Ärmeln hochgekrempelten Sweatshirts ab. Das Abtauen des Gefrierschrankes war, neben Bad und Toilette putzen, das, was er am wenigsten gerne machte. Nur das Kühlschrankputzen kam noch dahinter.

Früher hatte er mit Sylvi gemeinsam geputzt. Zur Unterhaltung hatten sie sich lustige Geschichten aus ihrem jeweiligen Arbeitsalltag erzählt. Leider war er seit ein paar Wochen auf sich gestellt.

Ruben erinnerte sich genau an den Abend, als er seinen Freund Moritz mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete.

Der Brettspielabend war lustig gewesen. Jeder hatte einmal gewonnen oder verloren und die Witze waren mit fortschreitender Stunde deutlich unter die Gürtellinie gewandert. Er hatte mit Sylvi, seiner Exfreundin, deren Freundin Marie und seinem Freund Moritz das Brettspiel ‚Siedler von Catan‘ gespielt. Runde um Runde bis weit nach Mitternacht. Wie jeden ersten Freitagabend im Monat.

Marie war bereits weg gewesen, als Moritz sich, nach dem Aufräumen, auch verabschiedet hatte. Leider war Sylvi nicht wie sonst noch im Bad mit Zähneputzen beschäftigt gewesen. Vielmehr hatte sie, im Dunkel des Flures versteckt, genau beobachtet, wie er Moritz zum Abschied auf die Wange geküsst und umarmt hatte. Wie immer. Sie hatten wohl zu lange mit dem Aufräumen gebraucht.

Moritz war nicht Rubens Typ. Aus ihnen beiden war nie etwas geworden und würde nie etwas werden. Aber eine Umarmung und ein Kuss unter Freunden, das war immer drin. So hatten sie sich schon zu Uni-Zeiten getröstet, wenn einer von beiden an gebrochenem Herzen litt. Besonders liebte Ruben Moritz wunderbar glatt rasierte Wangen. Weich, aber nicht so weich wie die einer Frau. Moritz Körper schmiegte sich perfekt an Rubens Körper, wenn er ihn in eine Umarmung zog.

An die Szene, die Sylvi ihm anschließend gemacht hatte, dachte Ruben lieber nicht.

Die Beschuldigung, dass er ihr nie gesagt hatte, auf Männer zu stehen, war noch das Harmloseste gewesen. Und der Vorwurf, er würde sie nur als Vorzeigefrau für seine Karriere nutzen, nun, der stimmte. Leider. Es würde bei seinem Arbeitgeber, einem konservativen Maschinenbauunternehmen, nicht gut aufgenommen werden, wenn er als schwul wahrgenommen würde. Außerdem gab es Beförderungen nur für Angestellte mit Familie. Wegen ihrer höheren Treue zum Unternehmen.

Zwei Stunden lang hatte Sylvi ihn angeschrien, geheult und getobt. Dann war sie mit ihren drei hektisch gepackten Koffern ausgezogen. Mitten in der Nacht. Ihre restlichen Sachen hatte eine Spedition zwei Tage später abgeholt.

Seitdem wohnte Ruben alleine in der Drei-Zimmer-Wohnung, die am Stadtrand in einem modernen Mehrfamilienhaus lag. Mit Anbindung an die U-Bahn. Nur noch teilweise möbliert. Aber ihre komischen, eingefrorenen oder im Kühlschrank gekühlten Experimente von sogenanntem Essen, die hatte Sylvi leider nicht mitgenommen.

Als er gestern grün-blaue Pilze aus einer Box im Kühlschrank hatte wachsen sehen, hatte er beschlossen, die Kühlschrank-Gefrier-Kombi zu putzen.

An seinem Wochenende.

Alleine.

Leises Krachen lenkte Rubens Aufmerksamkeit zurück auf den Gefrierschrank vor sich. Das Eis schmolz und fiel von den Kühlrippen ab. Wunderbar.

Ruben stand auf, schüttelte seine Beine aus, legte seine Brille mit dem dunkelroten Rand auf die Arbeitsplatte und setzte neues Wasser zum Kochen auf.

William, Schachtel im Kühlschrank

Als William wieder etwas hörte, war das Erdbeben der trampelnden Menschen vorbei. Alles war ruhig. Fast. Ein leiser, surrender Ton erfüllte gleichmäßig die Umwelt. Aber das Gekreische der Touristen war weg. Zum Glück.

Ebenfalls fehlte das Rauschen des Meeres, das doch hinter ihm sein müsste. Das beunruhigte ihn schon mehr. Es hatte ihn doch hoffentlich niemand mitgenommen?

Die Wärme der Sonne fehlte ebenfalls.

William fühlte sich kalt und langsam. Fast so als wäre er in der Winterstarre. Aber dann hätte er nicht aufwachen dürfen. Was also hatte ihn geweckt, wenn die Temperatur auf Winterstarre gestellt war?

Er sog die kalte Luft ein. Manche der Düfte, wie reifer Apfel oder alter Stinkekäse, kannte er. Andere, scharfe Gerüche konnte er nicht zuordnen.

Er blinzelte.

Langsam gewöhnten sich seine Augen daran, und aus dem Dunkel wurde ein fahles Dämmerlicht. Aber keines, wie es der Dämmerung in der Natur zu eigen war. Das Dämmerlicht sah falsch aus.

Vor sich erkannte William eine blaue Wand. Sie schien Punkte zu haben, die sich regelmäßig darauf verteilten. Also nicht der Himmel und auch nicht der Ozean, bei dem sich die Wolken oder die Schaumkronen bewegen würden. Das musste er genauer anschauen.

Vorsichtig und langsam streckte er seine kalten Vorder- und Hinterbeine aus dem Panzer und machte seinen Hals lang. Er fühlte dünne, lange Bänder unter seinen Füßen. Seine Berührung ließ die Bänder rascheln. Holzwolle. Kein stabiler Untergrund.

William schnaufte abfällig, dann kroch er langsam, sehr langsam auf die blaue Wand vor sich zu. Sein Körper war so heruntergekühlt, dass seine Bewegung am Strand schneller war im Vergleich zu jetzt. Es waren nur zwei kleine Schritte, die er machen musste, aber sie kamen ihm ewig vor.

An der Wand angekommen sah er, dass die Punkte Löcher waren.

Luftlöcher.

Er drehte sich um sich selbst. Langsam und behäbig. Wie er bereits erwartet hatte, waren auf den anderen Seiten ebenfalls Wände. Alle waren mit Löchern bedeckt. Auch der Deckel, der über ihm auf der Schachtel lag.

Jemand hatte ihn mitgenommen und in einen Kühlschrank gesteckt. Ein Erlebnis, das er nicht noch mal machen wollte. Bei seinem letzten unfreiwilligen Aufenthalt in einem Kühlschrank hatte er ihn mit seiner Verwandlung zerstört. Aber die Kühlschränke waren inzwischen auch stabiler geworden. Viel wahrscheinlicher würde er sich an den Glasplatten anstoßen, oder sie zerbrechen und sich verletzen.

William zog seine Arme, Beine und den Kopf zurück in seinen Panzer. Wenn er sich nicht hier in einen Menschen verwandeln konnte, blieb ihm nur Abwarten übrig. Wie lange er wohl bereits hier war?

Bevor er weitere Pläne schmiedete, wollte er erst beobachten.

Menschen tendierten dazu, einen Kühlschrank häufiger auf- und zuzumachen. Außerdem brauchte William sein Zeitgefühl zurück. Flucht war am einfachsten, wenn sie erst bemerkt wurde, wenn er weg war. Die Nacht war dafür die beste Wahl.

Ruben, Küche

Die Eisstücke lagen verteilt in den drei Gefrierfächern herum. Das Wasser in der orangefarbenen Schüssel war noch warm, dampfte aber nicht mehr. Hinter sich oben hörte Ruben, wie langsam das Wasser im Wasserkocher zu blubbern anfing. Die kalte Luft, die ihm aus dem Gefrierschrank entgegenkam, zwickte ihn in die Wangen.

Vorsichtig machte er sich daran, die losen Eisstücke aus dem Gefrierschrank in eine leere Schüssel zu schieben, die er in der anderen Hand hielt. Alles Eis, das er gefroren herausbekam, musste er später nicht als flüssiges Wasser aufwischen.

Knirschend rutschten die Eisstückchen und der feine Eispuder, der alles überdeckte, über die dünnen, weißen Kühlrippen. Fast als wäre es Schnee, überlegte Ruben. Nur, dass Schnee im Frühling schon schmolz und weich wurde. Das Eis dagegen blieb fest, hart und scharfkantig, sodass es ihm in die Finger und Handflächen aufreißen konnte.

Mit einem Klick schaltete der Wasserkocher aus. Das brodelnde Sprudeln von kochendem Wasser blieb als Geräuschkulisse erhalten.

Ruben beeilte sich, die losen Eisstücke herauszufegen. Dann leerte er die orangefarbene Schüssel mit dem warmen Wasser zu den Eisstücken in die Schüssel. Er füllte sie neu mit dem kochenden Wasser und machte die Gefrierschranktüre wieder zu.

Er schaute auf das Häuflein Eis, das in der Schüssel schmolz. Das sah nach viel zu wenig aus. Hatte Sylvi nicht immer länger gewartet? Einen Versuch war es wert. Er kippte die Schüssel im Spülbecken aus. Während der Wartezeit konnte er die Gefriersachen aussortieren.

Er setzte seine Brille wieder auf und wandte sich dem braunen Karton zu, den er auf einem Stuhl vor der Arbeitsplatte abgestellt hatte. Darin lag alles, was bisher in den Gefrierfächern verteilt gewesen war. Und daneben standen die Schubladen. Die warteten auch noch darauf, geputzt zu werden.

Ruben fand, neben seinen Frühlingsrollen, Kartoffelpuffern und grünen Sojabohnen, wie Sylvi seine Edamame immer abfällig genannt hatte, viele Plastikbeutel mit undefinierbarem Inhalt. Manche waren mit grünen, länglichen, dünnen Sachen gefüllt. Die konnte er noch als grüne Bohnen identifizieren. Das konnte er zur Not auch noch kochen. Aufheben. Dann gab es zwei Tüten mit rotem Inhalt, die keine Struktur hatten. Vermutlich ein Püree?

Er schauderte.

Weg damit.

Hinter ihm krachte es. Das war wohl ein größeres Eisstück gewesen.

Ruben sortierte weiter durch die gefrorenen Beutel. Seine Hände fühlten sich an, als würden sie gleich zu Eis erstarren. Wo waren nur seine Handschuhe? Sollte er sie bei seinen Wintersachen suchen?

Nein. Er wollte fertig werden.

Entschlossen nahm Ruben die nächste Tüte aus dem Karton. Er rubbelte die Eisschicht herunter und erkannte selbst gemachte Maultaschen. Wehmütig dachte er daran, wie er sie gemeinsam mit Sylvi an einem Wochenende gemacht hatte. Petersilie klein hacken, Zwiebel schneiden und rösten, bis die Augen tränten und die gesamte Küche so lecker nach Röstzwiebeln roch, dass er Hunger bekam. Bereits bei dem Gedanken daran lief ihm das Wasser im Munde zusammen.

Ruben legte die Tüte mit den Maultaschen auf das Abtropfbrett neben dem Spülbecken. Die würde er heute zum Mittagessen machen. Genießerisch leckte er sich über seine Lippen.

Sylvi war eine gute Freundin gewesen. Schade, dass sie seinen sexuellen Vorlieben so ablehnend gegenüberstand. Dabei war sie doch selbst immer froh gewesen, dass er selten Sex wollte. Verstehe einer die Frauen.

Leise knirschte es im Gefrierschrank. Dann hörte Ruben, wie es tropfte.

Vielleicht sollte er besser doch noch mal nachsehen. Er faltete die Pappschachtel wieder zu, damit alles schön kalt blieb. Dann nahm er ein rotes Handtuch von der Ablage neben dem Wasserkocher und legte es auf den Boden vor dem Gefrierschrank. So würde das Wasser nicht unter den Gefrierschrank laufen, sondern im Handtuch landen.

William, Schachtel im Kühlschrank

Das leise Summen verschwand. William lauschte aufmerksam. Sonst änderte sich nichts. Die Tür wurde nicht geöffnet, es fiel kein Licht in den Kühlschrank. War der Strom ausgefallen?

Dann hörte er leises Klopfen, gefolgt von einem kratzenden und schabenden Geräusch.

Was auch immer die Menschen da machten, das klang komisch.

Williams Herz klopfte. Wenn das nicht bald besser würde, musste er die Verletzungen doch in Kauf nehmen, um aus seiner Schachtel im Kühlschrank zu kommen.

Dann war es still.

In kurzen Abständen wiederholte sich das Klopfen und Kratzen. Dann hörte er es tropfen, wie von einem schwachen Regen. Das war doch nicht möglich. In einem Haus regnete es nicht. Und der Kühlschrank war, abgesehen von den Erschütterungen beim Öffnen und Schließen der Türen, nicht bewegt worden.

Sollte er sich doch verwandeln?

Gerade als William die Verwandlung beginnen wollte, ging das gelbliche Kühlschranklicht an. Warme Luft wehte durch die Luftlöcher in seiner blauen Box, die mit Holzwolle gefüllt war.

Er wartete auf die schleifenden Geräusche von Sachen, die aus dem Kühlschrank genommen oder hineingestellt wurden. Er hörte, wie Sache um Sache herausgenommen wurde. Spürte die Wärme eines Armes, als über seine Box hinweg irgendetwas von neben ihm herausgeholt wurde. Der Mensch roch nach Eis und warmem Mann.

Schließlich wackelte Williams Box.

Wollte der Mann ihn jetzt aus dem Winterschlaf wecken? Oder wurde er gleich in den Schnee gesetzt.

»Löcher? Was hatte sie damit wohl vor?«, murmelte eine Männerstimme. »Urg. Hoffentlich lebt darin nichts mehr.«

William hörte den Ekel und die Abscheu in der Stimme des Mannes. Offenbar hatte er ihn nicht hier eingesperrt.

Die Box wurde geschüttelt und William schleuderte durch die Kiste. Die Holzwolle flog um ihn herum, bis sie überall verteilt war. Staub füllte seine Umgebung. Er rang nach Atem. Es roch nach modrigem Holz. Sein Kopf schmerzte und seine Augen brannten.

Das war genug!

Was fiel diesem Trampel von einem Menschen eigentlich ein, ihn so rücksichtslos zu schütteln? Ekel oder nicht, Mann oder nicht. Etwas vorsichtiger hätte er schon sein können. Zum Beispiel den Deckel abnehmen und hineinschauen, statt wild zu schütteln.

Er musste hier raus, sonst würde er an dem Staub ersticken.

William verwandelte sich.

Sein Panzer wurde dünner und dünner, bis er als Muster auf seinem Rücken lag. Wie eine Tätowierung. Seine Arme und Beine streckten sich.

Er spürte, wie die Pappschachtel riss, hörte das Japsen des Mannes, der ihn fallen ließ.

Hart schlug er mit dem Kinn auf den Boden auf. Dann spürte er etwas Warmes über seinen Mund laufen. Nasenbluten. Ganz sicher.

Egal, er konnte nicht mitten drin abbrechen.

Langsamer als vorher ging die Verwandlung weiter.

William musste sich sehr konzentrieren, um sich von seinen kalten Gliedern und dem heißen Blut nicht ablenken zu lassen.

Schwer atmend lag er nackt auf einem kalten, harten Boden. Vermutlich ein Fliesenboden.

Er blinzelte. Ja. Grauer Fliesenboden in einer Küche. Mit Holzwolle im Blickfeld. Am Rand sah er zwei Füße in weißen Socken und weißen Schuhen auf den Zehenspitzen stehen. Ganz dicht vor einem Brett. Es könnte ein Küchenschrank sein oder etwas Ähnliches.

Mühsam zog er einen Arm nach vorne und wischte sich die dünnen, hellbraunen Fasern aus dem Gesicht und aus seinen Haaren.

»Hast du ein Tuch gegen das Nasenbluten?«, fragte William in der Sprache, in der der Mann vorhin vor sich hingemurmelt hatte.

Ruben, Küche

Nachdem er die Prozedur, heißes Wasser in einer Schüssel in den Gefrierschrank stellen, warten, Eis herauswischen, wiederholen, noch einige Male durchgeführt hatte, war der Eisschrank endlich fertig abgetaut.

Rubens Rücken schmerzte vom vielen Bücken. Seine Knie taten weh und würden morgen garantiert blaue Flecken haben.

Die Hälfte der Sachen aus der Pappkiste hatte er bereits im Mülleimer entsorgt.

Glücklich, wenigstens die Hälfte geschafft zu haben, machte sich Ruben daran, den Kühlschrank auszuräumen. Langsam sollte er sich beeilen, sonst tauten alle seine Vorräte auf. Leider konnte er Kühlschrank und Gefrierschrank nur gemeinsam ein- und ausschalten.

Nase rümpfend nahm er Stück für Stück heraus.

Seine Sachen legte er gleich in die Pappkiste oben auf. Sylvis Sachen warf er direkt in den Mülleimer, der bereits fast voll war. Dann griff er nach der Schachtel mit den Löchern. Seine Finger hatten in feuchte Pappe gefasst. Der Boden war komplett durchnässt.

Ruben starrte die Kiste an, die viel zu schwer war, um leer zu sein. Natürlich wusste er, dass die Schachtel im Kühlschrank stand, aber bisher hatte er sie erfolgreich ignoriert. Was hatte Sylvi da wohl hineingetan? Hoffentlich nichts Lebendiges. Und wenn doch, war es sicher längst tot.

Ruben schüttelte die Schachtel auf die Seite. Etwas Schweres rutschte darin hin und her. Dann riss die Schachtel.

Nein. Sie riss nicht. Sie wurde von einem Zeh zerrissen.

Einem Zeh?!

Ruben ließ die Schachtel fallen und sprang rückwärts, bis er mit seinem Rücken an der Küchentür stand. Auf Zehenspitzen. In seinen weißen Turnschuhen. Von dort starrte er auf die Schachtel am Boden, die immer mehr zerriss. Er sah Hände, Füße und einen Kopf daraus hervorkommen. Braune Holzwolle flog durch die Gegend.

Wie hatte da ein Mensch hineingepasst? Sicherlich träumte er. Ein Alptraum, dieses gesamte Eisfach abtauen und Kühlschrank putzen. Wenn er wach wäre, hätte er sich garantiert nicht an diese unsägliche Putzarbeit gemacht. Nur warum stand er dann auf Zehenspitzen an die Küchentür gepresst, fragte er sich selbst. Wenn alles nur ein Traum war, könnte er doch einfach auf den Mann am Boden zugehen und ihn ausfragen.

---ENDE DER LESEPROBE---