Rainer Brambach - Ich wiege 80 Kilo, und das Leben ist mächtig - Isabel Koellreuter - E-Book

Rainer Brambach - Ich wiege 80 Kilo, und das Leben ist mächtig E-Book

Isabel Koellreuter

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Beschreibung

Der Lyriker Rainer Brambach hinterließ rund 140 Gedichte und zwei Dutzend kurze Erzählungen: kein großes, aber ein außerordentliches, sehr eigenständiges und erfrischend unakademisches Werk. Aus der Schweiz ausgewiesen, vom Reichsarbeitsdienst desertiert und schließlich in der Schweiz verhaftet: Der ehemalige Malergeselle und spätere Gartenbauer war in der Literaturszene der Nachkriegszeit eine Ausnahmeerscheinung.

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Isabel Koellreuter | Franziska Schürch

Rainer Brambach - Ich wiege 80 Kilo, und das Leben ist mächtig

Eine Biographie

Diogenes

{7}»Ich schreibe Gedichte«

Leben

Ich schreibe keine Geschäftsbriefe,

ich beharre nicht auf dem Termin

und bitte nicht um Aufschub.

Ich schreibe Gedichte.

Ich schreibe Gedichte auf den Rummelplätzen,

in Museen, Kasernen und Zoologischen Gärten.

Ich schreibe überall,

wo Menschen und Tiere sich ähnlich werden.

Viele Gedichte habe ich den Bäumen gewidmet.

Sie wuchsen darob in den Himmel.

Soll einer kommen und sagen,

diese Bäume seien nicht in den Himmel gewachsen.

Dem Tod keine Zeile bisher.

Ich wiege achtzig Kilo, und das Leben ist mächtig.

Zu einer anderen Zeit wird er kommen und fragen,

wie es sei mit uns beiden.1

{8}Rainer Brambach gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern der Nachkriegszeit. Seit dem Erscheinen seiner ersten drei Gedichte in den Akzenten1954 wurden seine Texte in Anthologien und Schulbücher aufgenommen; dies ist bis heute so geblieben.

 

In seiner Heimatstadt Basel haben ihn viele gekannt, den Dichter Rainer Brambach. Sie haben den Tisch mit ihm geteilt in einer Beiz, sie haben mit ihm getrunken, sie haben mit ihm gelacht. Sie haben ihm zugehört, wenn er Gedichte rezitierte – auf der Bühne seine eigenen, zu später Stunde in einer Gaststube Gedichte anderer, die er liebte. Er erzählte Witze und machte aus einer banal erscheinenden Gegebenheit etwas Bemerkenswertes. Er hatte viele Freunde, nicht nur in Basel und in der Schweiz, auch in Deutschland. Wenn man sie heute nach Rainer Brambach fragt, erzählen sie von seinem Lachen, seiner Lebendigkeit, und sie beschreiben seine Präsenz: Er war nicht zu übersehen, auch wenn er gar nichts sagte.

 

Rainer Brambachs literarisches Werk ist überschaubar: Rund einhundertvierzig Gedichte und neunzehn kurze Erzählungen gab er zum Druck frei. Gemeinsam mit Freunden – zuerst mit Jürg Federspiel, später mit Frank Geerk – schrieb er weitere achtzig Gedichte.

Seine Gedichte und auch seine Prosatexte sind unverwechselbar: Sie sind ein Destillat, reduziert auf das Wesentliche, dabei wunderschön und glaubwürdig. In seiner kargen Sprache gelingt es Rainer Brambach, Bilder voller Farben zu skizzieren und dabei Empfindungen und {9}Stimmungen auszulösen, so dass sich vor dem inneren Auge des Lesenden eine ganze Landschaft entfaltet.

Dank dieser Texte ist er bis heute gegenwärtig; durch sie hindurch erscheint ein facettenreiches Bild von Rainer Brambach: als Erdarbeiter und Gefangener, in der Figur des Narren. Züge von ihm finden sich in einem Findling, in einem Baum, in einem Bären. Manchmal hört man ihn fröhlich pfeifen, dann wieder begegnet man einem müden oder auch einem wütenden Rainer Brambach.

 

In verschiedenen staatlichen Archiven finden sich Spuren aus seiner Kindheit, seiner Jugend und seinem Erwachsenenalter: Rainer Brambach, in Basel zur Welt gekommen, war der Sohn einer Berner Herrschaftsköchin und eines deutschen Klaviertechnikers. Wegen der Herkunft seines Vaters war auch Rainer Brambach für die Schweizer Behörden Deutscher. Als er sich um die Basler Bürgerschaft bewarb und sie ihm verweigert wurde, als er 1938 aus Basel ausgewiesen und später gar interniert wurde, befassten sich die Schweizer Behörden mit dem Ausländer Brambach. Die Beamten füllten Seite um Seite mit Informationen über den jungen Mann mit der abgebrochenen Malerlehre, der während seiner Inhaftierung im Interniertenlager Witzwil zum Erd- und später zum Gartenbauarbeiter wurde. Als Staatenloser wurde er auch nach seiner Freilassung in regelmäßigen Intervallen kontrolliert. Er musste über seine berufliche und private Situation Auskunft geben, bis sein rechtlicher Status rund sechs Jahre nach Ende des Krieges endlich geklärt wurde.

Nach Jahren unter behördlicher Beobachtung wechselt {10}in den 1950er Jahren die Perspektive: Rainer Brambach, der Beschriebene, wird selber zum Schreibenden, zu einem großen Lyriker. Er war aber nicht nur Verfasser dieser schönen, klaren Gedichte, Rainer Brambach war auch ein begnadeter Briefeschreiber: Er schrieb seinem Freund und frühen Förderer Armin Mohler, über Briefe lernte er sein Vorbild Günter Eich kennen, über Briefe wuchs seine Freundschaft mit Hans Bender, einem Förderer, Vertrauten und Weggefährten. Viele dieser Briefe sind erhalten und im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern und in Rainer Brambachs Nachlass in der Universitätsbibliothek Basel zugänglich. Entschlossen, ein Dichter zu werden, vertraute Brambach sich in den 1950er Jahren Günter Eich an und fand mit ihm und durch ihn zu einer eigenen Sprache. Doch auch andere Dichter und ihre Werke waren der Stein, an dem Brambach sich schliff. Über Hans Bender kam er in Kontakt mit der Avantgarde der deutschen Literaturszene und erhielt, noch bevor er überhaupt einen Band mit Gedichten veröffentlichte, bereits zwei wichtige Preise und auch Aufmerksamkeit.

Seinen Weg zum Dichter, den er mit seinem Brotberuf als Gartenbauarbeiter zu verbinden suchte, musste Rainer Brambach sich hart erarbeiten. Dabei war seine tägliche Arbeit weit mehr als nur eine Verdienstmöglichkeit, Rohstoff für Gedichte oder gar seine »Marke« als Dichter: Sein Zugang zum Schreiben war der Tätigkeit eines Handwerkers ganz nahe. Brambachs Freund und Literaturvermittler Hans Bender schrieb darüber: »Er lebte mitten im Stoff, der zu kneten war. Er tat, indem er Gedichte schrieb, das {11}Natürlichste und Einfachste, wozu sein Wesen und sein Talent ihn drängten.«

Rainer Brambach hat nie eine Hochschule besucht. In der Literaturszene der Nachkriegszeit war er auch deshalb eine schillernde Figur. Doch ganz heimisch wurde er nicht inmitten der anderen Autorinnen und Lyriker: Die harte körperliche Arbeit absorbierte Kraft und Zeit, die ihm fürs Dichten fehlte. Es ist beeindruckend, wie er dennoch beharrlich bei seiner Leidenschaft blieb, auch in Zeiten, in denen ihm das Schreiben schwerfiel und er wiederholt in existentielle Nöte geriet. Rainer Brambach hat von seiner Substanz gelebt und daraus gedichtet: In jedem seiner Texte ist er enthalten, in jedem Gedicht hat er sich zur Disposition gestellt.

 

Bereits ein Jahr nach Rainer Brambachs Tod 1983 gab Frank Geerk in Zeit wär’s: Gedichte und Prosa aus dem Nachlass Einblicke in unveröffentlichte Gedichte und Texte. 1989 stellte er darüber hinaus eine Gesamtausgabe zusammen, die mit einem dreiundzwanzigseitigen Nachwort unter dem Titel Heiterkeit im Garten im Diogenes Verlag erschien. Auch Hans Bender, der bereits zu seinen Lebzeiten engagiert für die Verbreitung von Brambachs Werk einstand, gab zum zwanzigsten Todestag 2003 zwei Publikationen heraus: In Freunde erinnern sich meiner präsentiert er den Lyriker anhand einer Auswahl von Gedichten, Briefen und einem persönlichen Nachwort. Im selben Jahr erschien unter seiner Federführung eine Gesamtausgabe von Brambachs Gedichten, wiederum im Diogenes Verlag.

 

{12}Nur wenig und teilweise Widersprüchliches war allerdings in den bisher erschienenen Texten über Rainer Brambachs Jugend zu erfahren. Dieser Abschnitt seines Lebens erfährt in der vorliegenden Biographie besondere Aufmerksamkeit. Verschiedene Dokumente aus den Archiven und Zeitungen und vereinzelt auch die Erinnerungen von Freunden, Freundinnen und Verwandten geben ein Bild des Schweizer Lyrikers, das sich vor allem an seinem Werk orientiert.

 

Rainer Brambach war ein ausgesprochen geselliger Mensch, eingebunden in eine Vielzahl von Freundeskreisen in Basel, im Schwarzwald, in Richterswil. Anekdoten und Erinnerungen ergänzen seine Lebensgeschichte. Sie ist nicht vollständig, weil nicht alle Abschnitte seines Lebens gleich gut dokumentiert sind: Rainer Brambach hat einen Teil seines Nachlasses, Briefe und eigene Texte, vor seinem Tod ausgewählt und geordnet. Dabei hat er auch vieles aussortiert. Die zur Aufbewahrung bestimmten Dokumente befinden sich heute in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel. Private Erinnerungen bewahrte seine langjährige und letzte Lebensgefährtin Ulea Schaub auf. Am 23. Juli 2007 stürzte ein Kleinflugzeug in Basel ab, just auf ihr Haus. Der gesamte Dachstock ging in Flammen auf, mit ihm Fotoalben, Briefe und Dokumente von Rainer Brambach.

{13}Das Haus in der Vorstadt

Rainer Brambach wird am 22. Januar 1917 in der Schweiz, in der Grenzstadt Basel geboren. Seine Eltern geben ihm den Namen Reinhard und rufen ihn »Reini«. Selber nennt er sich später Rainer. Bei seiner Geburt leben seine Eltern Franz und Mina und der zwei Jahre ältere Bruder Paul in der Maiengasse 5. Die Wohnung in dem kleinen Mehrfamilienhaus ist in einem schlechten Zustand: Wenn die Eltern den gusseisernen Zimmerofen einfeuern, läuft an den mit Ölfarbe gestrichenen Wänden das Kondenswasser herunter.2 Doch ist es auch ein Glück, wenn geheizt werden kann, denn der Monat seiner Geburt ist bissig kalt: Bis weit in den Februar hinein bleibt das Tagesmittel konstant unter null, die Sonne zeigt sich kaum. Es ist das dritte Jahr des Ersten Weltkriegs, der im August 1914 begonnen und während vier Jahren 65 Millionen Soldaten mobilisiert hat. Beinahe 20 Millionen Menschen – Soldaten und zivile Opfer – sterben, ähnlich hoch ist die Zahl der Verwundeten. Die neutrale Schweiz ist nicht in die militärischen Auseinandersetzungen involviert, dennoch prägt der Krieg das Leben in der Schweiz maßgeblich. Der Alltag ist entbehrungsreich: Kohle ist kaum mehr erhältlich, die Lebensmittel werden knapp, die Grundnahrungsmittel schrittweise rationiert, ebenso der Gas- und Kohlenverbrauch: Wohnräume {14}dürfen nur auf siebzehn, Schlafräume auf zehn Grad geheizt werden.

In Basel sind Soldaten stationiert und die Rheinbrücken verbarrikadiert, Schützengräben ziehen sich an den Durchgangsstraßen entlang. Die wirtschaftliche Situation ist angespannt, der soziale Frieden gefährdet. Vor allem die Arbeiterschaft verarmt durch die Teuerung der Lebensmittel bei sinkenden Reallöhnen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist zunehmend gereizt. Die zahlreichen Demonstrationen gipfeln im Herbst 1918 in der schwersten politischen Krise des modernen Bundesstaates, im Landesstreik – einem landesweiten Generalstreik, der vom 11. bis zum 14. November dauert und an dem sich bis zu 250 000 Arbeiter und Gewerkschafter beteiligen.

 

1918, Rainer Brambach ist mittlerweile ein Jahr alt, zieht die Familie von der Maiengasse in eine Zweizimmerwohnung an der Johanniterstrasse 15, einer kleinen, unscheinbaren Straße mit wenigen Wohnhäusern. An ihrem östlichen Ende befindet sich bis 1920 die Fabrik eines Darmhändlers, deren Gestank immer wieder zu Klagen Anlass gibt. Daneben steht die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, der Mormonen – das einzige Gebäude, das bis heute existiert.

Der Stadtteil St. Johann ist eine der fünf ringförmig um das Grossbasler Stadtzentrum gelegenen Vorstädte. Der untere, an den Rhein grenzende Teil, entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem Industriequartier mit Bauten, die innerhalb der Stadt nicht erwünscht waren: ein Gaswerk, das Gefängnis, der Schlachthof und die Psychiatrische {15}Klinik. Straßennamen wie Licht-, Gas- und Fabrikstrasse zeugen davon. Gleichzeitig entstanden erste Mietskasernen für Arbeiterfamilien und Zugezogene.

Hier, am westlichen Rand der Stadt, wuchs Rainer Brambach auf. Diesen Ort der Kindheit beschreibt er in einigen seiner literarischen Texte, so auch in der Geschichte Das Haus in der Vorstadt, die im Dezember 1959 erstmals in der Sonntagsausgabe der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht wurde.3

Das Haus, darin ich meine Jugend verbrachte habe, stand in der Vorstadt. Ich war knapp einjährig, als wir einzogen, und ich musste mich bereits zweimal wöchentlich rasieren, als wir es für immer verließen.

Ich weiß nicht genau zu sagen, wann es errichtet wurde; sicher ist nur, daß der Baumeister ein Kauz war, denn er stellte es, mit Erkern, Balkonen, Stuckwerk und falschen Giebeln verziert, mitten in eine Reihe unauffälliger Bürgerhäuser. Es wirkte komisch in dieser Umgebung, es sah aus wie ein etwas liederliches Weib, das von flachbrüstigen, braven Mädchen flankiert wird. Aber das Haus hatte nicht nur dieses eine Gesicht.4

Die Geschichte handelt von Rainer Brambachs Kindheit am Ende der 1920er Jahre: »Ein Stück Jugend voller Angst, Einsamkeit und Hoffnung«, wie er in einem späteren Text feststellt.5 In seinen Prosatexten schöpfte er aus seinem eigenen Erleben, allerdings ging es ihm nicht um die detailgetreue Wiedergabe dieser Begebenheiten, sondern darum, Stimmungen zu transportieren. Tatsächlich sieht man auf {16}diversen historischen Fotografien deutlich, dass das Haus, in dem Brambach aufwuchs – ganz ohne Erker und Schnörkel –, innerhalb der Reihe der anderen Häuser nicht besonders hervorstach. In seiner Erzählung aber fällt es auf, es wird zu einem besonderen Blickfang, zu einem Akteur in der Rolle eines Außenseiters; das Haus steht hier auch für Brambach selbst. Zudem vermittelt die Beschreibung ein Unbehagen, etwas Bedrohliches geht von dem Gebäude aus. Die Bewohner sollten im Leben des jungen Brambachs eine schicksalshafte Rolle spielen. Obwohl klein, beherbergt die Johanniterstrasse 15 neben den Brambachs eine ganze Reihe weiterer Mieter. Da ist Ende der 1920er Jahre zunächst die Hausbesitzerin, die Witwe eines Pfändungsbeamten mit ihren Töchtern, dann eine Glätterin und eine Klavierlehrerin, weiter ein Straßenbahnarbeiter mit Frau und Sohn, ein Gleisarbeiter sowie ein Schreiner mit seiner Familie, deren Sohn Wärter in der gegenüberliegenden Strafanstalt ist.6 Es ist keine romantische Erinnerung an die Kindheit, die Rainer Brambach hier präsentiert, sondern eine abgründige und vielschichtige Beschreibung der Nachbarschaft.

Das Haus stand wie immer; es ließ sich das verschrobene Gesicht von der Sonne bescheinen, und hinter den Fenstern bewegten sich seine Bewohner, die außer dem Schreiner Mild durchwegs rechtschaffene Leute waren.

Mild soff lästerlich. Mild mußte jedesmal in der Nacht nach dem Zahltag von seinen Wirtshauskumpanen in die Dachwohnung hinauf geschafft werden. Eine böse Sache! Der dicke Schreiner schätzte diese handfeste {17}Hilfe keineswegs; er hielt sich mit plumper Kraft am hölzernen Geländer fest und zerbrach dabei stets einige Staketen. Ein paar Mal ist es ihm auch gelungen, uns vor die Wohnungstüre zu kotzen.

»Dieser Schweinehund macht das nur, weil er mich nicht leiden kann!« sagte mein Vater erbittert.7

Die Eltern

»Warst Du unglücklich als Kind? Ich nicht, ich war glücklich, obwohl wir ja arm waren«, schrieb ihm 1975 eine Freundin aus Kindertagen.8 Ohne jede Bitterkeit erzählte auch Rainer Brambach später von seiner entbehrungsreichen Kindheit.

Der Vater, Franz Philipp Brambach, ein Deutscher aus Rheinbach bei Bonn, war von Beruf Klavierbauer. Als Rainer zur Welt kam, war er bereits achtundfünfzig Jahre alt und arbeitete nur noch wenig. Den kärglichen Unterhalt der Familie bestritt die Mutter, Mina Brambach-Born, mit Kochen, Putzen und Waschen in Herrschaftshäusern und im Bürgerspital. Als Kinder waren Paul und Rainer deshalb in einem Tagesheim untergebracht, später verbrachten sie viel Zeit auf der Straße.9 Rainer Brambach schilderte oft, wie er nach der Schule die Mutter abholte und sie im Dampf einer Waschküche fand. Immer wieder wurde die Familie durch die Allgemeine Armenpflege und den Deutschen Hilfsverein in Basel unterstützt, einer deutschen Organisation, die in Basel ansässigen und in Not geratenen Deutschen beistand. Die beiden Söhne trugen Kleider aus »{18}Armenstoff«, den die Familie kostenfrei erhielt. »Am Stoff der Kleider war für alle erkennbar, dass ich armer Leute Kind bin«, sagte Rainer Brambach später.10 Zu seinen Erinnerungen an die Kindheit gehörte auch, wie er mit anderen Kindern auf der Straße spielte und wie der Vater ihn und den Bruder Paul abends mit der Okarina hineinrief. Beim Eindunkeln schritt ein Lampenanzünder bedächtig durch die Straßen und entzündete mit seiner langen Stange eine Lampe nach der andern. Fragmente und Gestalten aus seiner Kindheit tauchen in einigen von Brambachs Erzählungen und in vielen Gedichten auf – vor allem im letzten Band, Auch im April:

Die Sommerabende im Sankt Johannsquartier

Das Platzkonzert der Blasmusik im Park

Roßäpfel auf der Straße liegend

guter Dung für Schrebergärten

Es gab noch Fledermäuse

immer hurtig auf der Jagd nach Mücken

und Liebespaare auf den Bänken unter Bäumen

Das waren Juli und August im Sankt Johannsquartier

und manchmal eine sanfte Melodie

von einer Okarina.11

Rainer Brambachs Mutter war am 13. Februar 1876 im bernischen Niederbipp zur Welt gekommen, einem Dorf am südlichen Jurahang, mit etwas über 2000 Einwohnern. Die einst vom Ackerbau geprägte Gemeinde war im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Milchwirtschaft übergegangen. Die Anbindung an die Bahnlinie Olten-Solothurn gegen Ende {19}des 19. Jahrhunderts erleichterte den Einwohnern die Arbeitssuche außerhalb des Dorfes und förderte gleichzeitig die Entstehung kleiner gewerblicher und industrieller Betriebe. In Mina Borns Geburtsurkunde ist nur der Name der Mutter aufgeführt, Marianna Born, der Vater bleibt unbekannt. In Rainer Brambachs Vorstellung wurde der namenlose Großvater später zu einem reisenden jurassischen Kesselflicker.12 Über ihre Kindheit als uneheliches Kind ist nichts bekannt. Spätestens 1910 ließ sich die inzwischen vierunddreißigjährige Mina Born in Basel nieder: In den Akten der Einwohnerkontrolle wird sie fortan als Köchin geführt – Herrschaftsköchin sei sie gewesen, präzisierte Rainer Brambach in seinen Texten. Eine ihrer Dienstherrinnen übernahm die Patenschaft des kleinen Rainers, er sah sie ein paarmal, wurde aber nie in das vornehme Haus eingeladen. Die kantonale Einwohnerkontrolle führte Buch über Mina Borns Dienstherren, die in chronologischer Reihenfolge aufgelistet sind: Sie hat in vier Jahren in drei verschiedenen großbürgerlichen Haushalten gekocht. Als sie am 6. Mai 1914 den aus Preußen stammenden Franz Brambach heiratete, wurde sie Deutsche und musste ihr Schweizer Bürgerrecht abgeben. Erst nach dem Tod des Gatten 1940 wurde sie in Niederbipp wieder eingebürgert.

 

Rainer Brambachs Neffe, Andreas Brambach, Minas einziger Enkel, war als Kind oft mit ihr zusammen. Als sie 1966 starb, war er zehn Jahre alt. Sie habe nicht viel von ihrer Jugend erzählt, eine Geschichte ist ihm allerdings gut in Erinnerung geblieben. Als junge Frau beobachtete Mina Born, wie sich kleine Buben von den herabhängenden {20}Ästen eines Baumes ein paar Früchte nahmen. Der Dorflehrer, ebenfalls Zeuge dieses Vorfalls, verabreichte den Kindern Ohrfeigen, worauf Mina Born sich für die Kinder wehrte. Eine Grenzüberschreitung: Der Lehrer verklagte sie und verlangte von ihr eine Entschuldigung, die sie ihm jedoch verweigerte. Dafür nahm sie eine eintägige Haftstrafe in Kauf. Mit einer Strickarbeit ausgestattet, verbrachte sie den Tag im Gefängnis.

Andreas Brambach schaut sich die alten Fotografien der Großmutter an und erinnert sich, wie die resolute Frau, seine Mutter beiseiteschiebend, immer wieder zu Besuch kam. Sie ließ sich gar die Haare vom kleinen Andreas schneiden und unterhielt ihn auf Berndeutsch mit »Lumpenliedli«, die ihm bruchstückhaft geblieben sind:

Wybi wäbi wubb,

Wäbers Chind sy blutt.

Si hocken uf em Stüeli

u blätze iri Schüeli.13

Auch für ihre Kinder habe sie viel gesungen und rezitiert: Für Rainer Brambachs Liebe zur Sprache sei die Mutter entscheidend gewesen, meint Ulea Schaub. Sie habe über ein außergewöhnliches Repertoire an Gedichten und Balladen verfügt, die sie ihren Söhnen weitergegeben habe. Und fromm sei sie gewesen, auf eine einfache, urtümliche Art. Als Rainer Brambach seine Mutter einmal besuchte, saß sie am Tisch, las in der Bibel, es war schon dämmrig. Er sagte zu ihr: »Du sitzt ja im Dunkeln. Willst du nicht Licht machen?« Sie antwortete: »Wie schön wird es sein, wenn ich {21}gestorben bin und alles hell ist und man kein Licht mehr machen muss.« Ihre Frömmigkeit und die damit verbundene Großherzigkeit sprach sich herum: Ab und zu soll es vorgekommen sein, dass ein Hausierer oder ein Bettler sie kurz vor dem Mittag, einen frommen Spruch auf den Lippen, besuchte und so zu einem warmen Mittagessen kam.

 

In Das Haus in der Vorstadt ist Mina Brambach eine sehr zentrale Stelle gewidmet:

Ich sah gelangweilt zu dem Haus hinüber, und auf einmal schien es mir vollkommen fremd. Mir war, als sei es seit Jahren unbewohnt, ein gemiedenes Haus, ein Haus, das hinter seinen Mauern doppelte Böden und hohle Wände verborgen hatte, ein Haus, in dem unheimliche Dinge geschahen.

Das Entsetzen packte mich, ein Gefühl, wie es mir bisher nie widerfahren war, und mein Herz blieb auch dann noch verwirrt, als das vertraute Gesicht der Mutter am Fenster erschien und mir zulachte.14

Die Mutter ist in der Erzählung das einzig Sichere und dem Jungen freundlich Gesinnte in einem Moment des Erschreckens und der plötzlichen, totalen Fremdheit.

Mit ihrem Sohn Rainer stand Mina Brambach bis zu ihrem Tod in gutem Kontakt. Auch seine beiden späteren Ehefrauen, Margarethe Wettky und Claire Bünter, besuchten sie und kümmerten sich selbst nach der Scheidung um sie.

In Rainer Brambachs Nachlass in der Basler {22}Universitätsbibliothek befindet sich ein einziger Brief der Mutter an den Sohn, geschrieben im Januar 1965.

Lieber Reini!

Letzten Freitag war Dein Geburtstag, ich habe Dich gesucht, aber nicht gefunden. Clärli war auch abwesend.

Mutter und Kind, gibt es zwei die sich näher sind, unter dem Herzen und auf dem Herzen hat sies getragen in Freud & Schmerzen. Du warst immer ein lieber Bub, auch die Lehrer hatten Dich gern, seit Du vom Klärli fort bist, habe ich Dich nicht mehr gesehen, warum kommst nie zu mir, meine Wallfahrt wird auch bald zu Ende sein denke, bald 90-jährig ich gehe jeden Montag nach Riehen, Gredel ist ein liebes habe auch zu stricken für Frau Gabriel.

Die Meyer ist am Erblinden. Lieber Reini, komm doch auch einmal zu mir, bevor ich sterbe. Andresli ist ein grosser Bub geworden, meine Arbeit ist stricken, bin auch sehr schwach.

Hoffe auf Deinen Besuch grüsse Dich herzl. Alles Gute wünscht Deine Mutter15

Im Alter von neunzig Jahren starb sie in der Nacht zum 4. November 1966 im kantonalen Altersheim an der Hebelstrasse. Anlässlich ihres Todes schrieb Brambach in einem Brief an Günter Eich:

Meine Mutter ist am 4. gestorben und am 7. haben wir sie begraben. (…) Mina, diese einfache Frau mit dem phänomenalen Gedächtnis wäre im nächsten Februar {23}91 Jahre alt geworden, sie war völlig klar bis zum Ende und schlief einfach ein für immer.

Die Mutter ist sicher der Mensch, der am vorbehaltlosesten zu einem hält, nach ihrem Verlust ist man viel ärmer, metaphysisch abgenabelt, also verwaist.16

Der Vater, Franz Philipp Brambach, war am 26. Mai 1859 zur Welt gekommen. Zur Zeit seiner Geburt lebte seine Mutter Caroline in Rheinbach, einer Kleinstadt zwischen Köln und Bonn. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt, »ohne Gewerbe« und mit dem in Bonn wohnhaften Orgelbauer Philipp Brambach verheiratet.17 Der Vater sei in eine Orgelbauerdynastie geboren, betonte Rainer Brambach bei verschiedenen Gelegenheiten. Bereits sein Urgroßvater Franz Jacob Brambach (1813–1890) war Musiklehrer und Instrumentenbauer, die Urgroßmutter, Gertrud Lückenrath, die Tochter eines Marionettenspielers. Rainer Brambachs Vater hatte einen jüngeren Bruder, Johann, der auch Klavierbauer wurde, und eine neun Jahre jüngere Schwester, Susanne.

 

Ganz der Familientradition entsprechend wurde Rainers Vater Franz Brambach Klavierbauer. Zwölf sei er gewesen, als er von der Schule musste. Fortan arbeitete er im Familienbetrieb, einer kleinen Klaviermanufaktur.18 Als junger Mann verließ Franz Brambach Bonn und ging auf Wanderschaft, er arbeitete längere Zeit in Frankfurt am Main, danach zog er weiter in den süddeutschen Raum. 1885 heiratete er in Freiburg im Breisgau im Alter von sechsundzwanzig Jahren die zweiunddreißigjährige Wilhelmine Zipsin, eine Klavierhändlerin aus Wittlingen bei Lörrach. 1902{24}erhielten die beiden ihre Niederlassungsbewilligung in Basel. Ab diesem Zeitpunkt findet man Franz Brambach unter der Rubrik »Klavierstimmer« im Basler Adressbuch. Am 21. November 1912 – nach siebenundzwanzig Jahren Ehe – reichte Franz Brambach beim Basler Zivilgericht Klage gegen seine Ehefrau ein und verlangte, dass die Ehe geschieden werde. Durch den Scheidungsprozess, der ein zweimaliges Erscheinen vor Gericht nach sich zog, hinterließen die beiden Spuren im Archiv, die heute einen Blick auf das unglückliche Ende ihrer Ehe ermöglichen. Franz Brambach klagte seine Frau wegen Geizes an: Sie überlasse ihm die ehemännliche Verwaltung des Vermögens nicht und habe selbst für sein Zimmer einen Mietzins verlangt. Der Anwalt der Ehefrau reagierte prompt mit einer Gegenklage wegen »tiefer Zerrüttung durch Verschulden des Beklagten«. Franz Brambach sei bereits vor der Ehe »dem Trunk ergeben gewesen«, habe die Ersparnisse seiner Frau verbraucht und mehrfach Ehebruch begangen. Die Scheidungsklage von Franz Brambach wurde abgewiesen, sein Verschulden als deutlich gewichtiger gewertet. »Bei einem Manne wie dem Widerbeklagten, dessen moralischer Tiefstand ein sehr bedenklicher ist (…), ist die Wartefrist möglichst lange auszudehnen.« Frühestens in drei Jahren könne er wieder heiraten. Er hatte das Gericht vor allem durch sein selbstbewusstes Auftreten beim Eingeständnis des mehrmaligen Ehebruchs irritiert, wie im Protokoll zur Urteilsverkündigung vermerkt ist. Die Parteien einigten sich dennoch auf eine Gütertrennung, die Kosten des Prozesses wurden Franz Brambach übertragen, ferner musste er eine Strafe wegen Ehebruchs bezahlen.19

 

{25}Die Ehe wurde im April 1913 geschieden. Zwischen April 1913 und Februar 1914 lernte der inzwischen vierundfünfzigjährige Franz die siebzehn Jahre jüngere Mina Born kennen. Sie wurde schwanger, und da Franz in Basel bis zu einer neuerlichen Eheschließung weitere zwei Jahre hätte warten müssen, heirateten die beiden am 6. Mai im benachbarten Lörrach. Bereits fünf Monate später kam Paul Brambach am 17. Oktober 1914 zur Welt, zweieinhalb Jahre vor Rainers Geburt.

 

Die Geschichte der Verbindung seiner Eltern fasste Rainer Brambach mit großer Leichtigkeit und in wenigen Zeilen in der Kurzgeschichte Ohne Hausglocke und Briefkasten zusammen:

Hier fasste ihn meine Mutter, die Mina Born aus Niederbipp, von Beruf Herrschaftsköchin, am Wickel (vielleicht war’s auch umgekehrt), kurz, die beiden gründeten einen Hausstand und malträtierten sich ehelich liebevoll.

Das Resultat: Zwei Söhne, nämlich der Paul und ich, wobei gesagt sein muss, dass mich Franz im respektablen Alter von nahezu sechzig Jahren gezeugt hat. Ja, mutig war er immer, der Franz, aber heimisch ist er nirgends geworden, auch in Basel nicht. Ich verstehe ihn, den eingewanderten ›Schwob‹; er hatte dauernd darunter zu leiden, dass er den alemannischen Dialekt nicht über die Zunge brachte.20

{26}Als Franz Brambach Mina Born heiratete und später Vater von zwei Söhnen wurde, hatte er schon vierzig Jahre lang gearbeitet und eine beinahe dreißigjährige erste Ehe hinter sich. Er war inzwischen ein älterer Mann, der nur noch ab und zu in Restaurants und Gasthöfen ein Klavier stimmte, zu einer Zeit, als die Instrumente zunehmend aus den Gastwirtschaften verschwanden.

 

Die Figur des Vaters erscheint in Rainer Brambachs Spätwerk in mehreren Geschichten und Gedichten – vielleicht tragen auch verschiedene Figuren in den Erzählungen aus der Kindheit Züge des Vaters: der alte und einsame Uhrmacher Dipold oder auch der trinkende Schreiner Mild aus Das Haus in der Vorstadt. Stets wirkt der Vater zeitlich entrückt, eine Gestalt aus einer anderen, längst vergangenen Epoche.

Einen altmodischen steifen Strohhut

auf dem Deetz (wie er seinen Kopf stets nannte)

saß mein Vater Franz Philipp Brambach

im Hochsommer abends

immer in der Gartenwirtschaft

vor sich auf dem Blechtisch ein großes Helles –

Franz, geboren 1859 zu Rheinbach bei Bonn

kam im Jahr 08

säbelrasselnder wilhelminisch deutscher Dinge müde

nach Basel, wo er auch dank der Gartenwirtschaft

in den Langen Erlen hängenblieb.

Sein Strohhut von den Sonnenstempeln

Juni Juli August geprägt

{27}verlieh Franz dem Klavierstimmer

etwas ungemein Würdiges

besonders wenn er dazu seinen Schwalbenschwanz

und den mit Reinbenzin geputzten Gummikragen trug.

Neulich nun auf dem Estrich räumend

kamen mir, einfach gesagt, aus einem Koffer

eine Stimmgabel und Franzens Strohhut in die Hände –

Ich setzte ihn auf, ging außer Haus

und trug ihn, die Stimmgabel in der Tasche

unter das Laubdach einer Gartenwirtschaft

unbestimmbar wehmütig.21

Zwischen Franz Brambachs Geburt und der Entstehung dieses Gedichts lag mehr als ein Jahrhundert. Franz Brambach starb über achtzigjährig, bis zu seinem Tod an der Johanniterstrasse 15 wohnhaft. Über den Tod seines Vaters schrieb Rainer Brambach:

Nun, am ersten April 1940 starb Franz – sein letzter Scherz – und liegt seither auf dem Hörnli, mit allen dort Liegenden stillschweigend assimiliert.

Ich bin im St. Johanns-Quartier aufgewachsen, genau gegenüber dem Zuchthaus, dem ›Schällemätteli‹, das mir nach meinen Bubenstreichen dauernd warnend vor Augen gehalten wurde; ich erinnere mich an den gnomenhaften Sandmann, an den durch die Straßen jodelnden Aenishänsli, an den stummen Laternenanzünder, an das Zytigsanni samt dem bärenstarken Muni-Guschti; sie alle waren der skurrile Teil dieser {28}Stadt, und sie halfen mir über den knöchernen, puritanischen Geist, der damals penetrant in den Schulen und Amtstuben vorhanden war, hinwegzukommen.22

Ein mäßiger Schüler

1924 folgte der damals siebenjährige Rainer dem älteren Bruder Paul ins nahe gelegene Schulhaus St. Johann. Zusammen mit neunundvierzig anderen Buben, darunter der später erfolgreiche Plakatkünstler Herbert Leupin, kam Rainer Brambach in die Klasse 1b. Er hatte Mühe mit dem Einstieg in den Schulalltag, sein erstes Zeugnis bringt dies zum Ausdruck: Die Bestnote 1 erreichte er nur im Betragen, sein Fleiß wurde mit einer 2 bewertet, in den Fächern Sprache, Heimatkunde, Lesen und Schreiben kam er auf eine 3, ganz schlecht war er im Rechnen. Der Erstklässler wurde nur provisorisch befördert. Danach allerdings ging es kontinuierlich aufwärts, seine Leistungen verbesserten sich vor allem in den Sprachen. Auf die Primar- folgten vier Jahre Knabensekundarschule im Pestalozzischulhaus. Seine Noten waren mittelmäßig. Dennoch hielt Rainer Brambach später daran fest, ein miserabler Schüler gewesen zu sein.

Nach Abschluss der Schulzeit begann er im April 1932 auf Anraten des Berufsberaters eine Flachmalerlehre. Der Vierzehnjährige begeisterte sich nicht sonderlich für die Tätigkeit: »Mir selbst gefiel der Beruf nicht, ich hielt jedoch aus«,23 schrieb er später. In einem Brief an den Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung, Werner Weber – einem frühen Förderer Rainer Brambachs –, fasste er seine Schul- {29}und Lehrzeit in einem einzigen Satz zusammen: »Acht Jahre Volksschule mit anschließender (missglückter) Flachmalerlehrzeit.«24

Verweigerte Einbürgerung

Während seines ersten Lehrjahres – Rainer Brambach war inzwischen fünfzehn Jahre alt – beantragte er 1932 gemeinsam mit seinem siebzehnjährigen Bruder die schweizerische Staatsbürgerschaft.25 Da sie beide noch minderjährig waren, musste der Vater, der seinerseits zu alt für eine Einbürgerung war, die Formalitäten für seine beiden Söhne erledigen.

Als Schweizer ist man nicht nur Bürger eines Landes, sondern auch eines Kantons und einer Gemeinde. Dementsprechend ist das Verfahren ein dreifaches, und drei verschiedene Institutionen müssen der Einbürgerung zustimmen: der Bund, ein Kanton und eine Bürgergemeinde. Das Gesuch der Brambach-Brüder wurde entsprechend auf Bundesebene, durch die Basler Kantonsregierung und zuletzt durch die Basler Bürgergemeinde geprüft. Zu den Voraussetzungen für den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit mussten die Brüder zuerst aus der deutschen Staatsangehörigkeit entlassen werden. Bund und Kanton hatten nach einer Begutachtung der eingereichten Akte keine Einwände: Rainer und Paul Brambach wurden der Basler Bürgergemeinde zur Einbürgerung empfohlen. Diese letzte Instanz war die wichtigste. Leitendes und vollziehendes Organ war der »Engere Bürgerrat«, bestehend {30}