Raus in eine neue Freiheit! - Christian Hennecke - E-Book

Raus in eine neue Freiheit! E-Book

Christian Hennecke

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Beschreibung

»Mit Mut, Leidenschaft und Zuversicht«

Die letzten Monate hatten es in sich: Austrittszahlen schnellen in die Höhe, in allen Kirchen – und das, obwohl aktuell keine wirklich neuen Skandale dazukommen. Und jedes Mal Klagen und Seufzen, rituelle Trauer und Schuldzuweisung, Ratlosigkeit auf allen Seiten – und natürlich auch Besserwisser. Und es gibt Propheten des Untergangs und der Apokalypse, Mahnungen, dass jetzt die letzte Gelegenheit ist, die Kirche endlich so zu gestalten, dass sie attraktiv, relevant, faszinierend, zeitsensibel, milieusensibel wird.

Und auch die Coronakrise ist für Christian Hennecke offenbarend. Und was sich da zeigt, ist mehr als nur eine Krisenaufnahme: die Klage über das Schweigen der Kirche und die Frage nach ihrer Systemrelevanz ist verräterisch. Soll eine Kirche in diesem Gesellschaftssystem eingebunden sein und damit unverzichtbar werden? Für wen? Was ist genau gemeint? Ist wieder nur gemeint, dass die alten Stellungen modernisiert werden – und die Institution sich über ihre Bischöfe meldet, mahnt, drängt? Fällt denn nicht auf, dass in allen diesen Kontexten ein klerikal-machtvolles und institutionelles Bild zementiert werden soll? Selbst von denen, die das gar nicht zugeben würden?

Diese Fragen bilden die Grundlage für die Betrachtungen der Kirche von Christian Hennecke. Er möchte raus aus diesem lähmenden Gefüge und fordert einen neuen Stil des Handelns.

Es braucht Ausbruch, nicht einfach eine Reform. Darum geht es. Es geht um ein Jenseits der klerikalen Machtdiskussionen, die doch selbst kein bisschen weiter gehen, als diese Macht zu demokratisieren und dann Macht eben auf andere aufzuteilen.

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ausbrechen – nicht nur aufbrechen

Die letzten Monate hatten es in sich: Austrittszahlen schnellen in die Höhe, in allen Kirchen – und jedes Mal Klagen und Seufzen, Trauer und Schuldzuweisung – und natürlich auch fruchtlose Polemik. Doch tragen all diese Diskussionen nur dazu bei, das bestehende System immer weiter zu zementieren. Nichts verändert sich.

Es braucht einen radikalen Ausbruch und nicht nur einen Aufbruch, meint Christian Hennecke. Er möchte raus aus diesem lähmenden Gefüge und fordert einen neuen Stil des Handelns. Die Impulse in diesem Buch eröffnen überraschend neue Sichtweisen und bringen all diejenigen, die an die Botschaft des Christentums glauben, zurück in ein gemeinsames Gespräch.

Dr. Christian Hennecke, geboren 1961, ist seit 2015 Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim. Acht Jahre lang war er für die Priesterausbildung seines Bistums verantwortlich. Hennecke ist Autor zahlreicher Bücher.

Christian Hennecke

Raus

in eine

neue

Freiheit!

Die

Überwindung

der klerikalen

Kirche

Kösel

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Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit konnte eine gendergerechte Schreibweise nicht durchgängig eingehalten werden. Bei der Verwendung entsprechender geschlechtsspezifischer Begriffe sind im Sinne der Gleichbehandlung jedoch ausdrücklich alle Geschlechter angesprochen.

Copyright © 2021 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagmotiv: © FinePic®, München

Redaktion: Vera Baschlakow, Berlin

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-27989-9V001

www.koesel.de

Inhalt

Ein emotionales Vorwort – Ich will hier raus!

Corona als Bewusstseinsbeschleuniger

»Nichts Neues unter der Sonne«: In Pfadabhängigkeiten

Jenseits der Strukturen – Die neue Freiheit des Evangeliums

Konvertiten – charismatisch und konservativ

Evangelium und Werdeprozesse des Glaubens

Verschlossene Türen

Kirche im flüssigen Werden – zur subversiven Freiheitspointe kirchlicher Waldspaziergänge

Abschied nehmen

Werden aus dem Ursprung

Mehr ist besser? – Die Befreiung von der Diktatur des Zählens und ihre Konsequenzen

Die vier Generationen

Ein Angebots- und Dienstleistungsverständnis

Ohne Jugend keine Zukunft?

Biblischer Zwischenruf: die Katastrophe des Zählens

Dienste jenseits klerikaler Ableitungen – ein anderer Zugang zu den Diensten im Gottesvolk

Wieder mal in Afrika

Dienste teilen

Dienste im Gottesvolk neu denken

Aus den gewohnten Denkmustern ausbrechen: die Dienste neu gestalten

Raus aus den blockierenden Sackgassen – Auf dem Weg zu einer neuen Freiheit zum ordinierten Amt

Lokale Kirchenentwicklung: Kirche ohne Priester?

Warum mit der Weihe keine Leitungskompetenz verliehen wird

Seelsorge versus Management oder: Von falschen Alternativen

Priesterinnen 2.0

Auf neuen Wegen

Machtstellungen

Glauben und Spiritualität

Seminare als Orte der Priesterausbildung?

Impulse einer tiefgreifenden Erneuerung

Eine erste anglikanische Revolution

Die Kirche und ihr Personal – auf dem Weg in neue Freiheiten

Der klerikale Code

Eine doppelte Krise

Ein gegen-klerikales Muster

Bilder der Zukunft

Wagemutig weiterdenken: Die Zukunft des sakramentalen Dienstes

Grunderfahrung des Sakramentalen

Eine südafrikanische Vision

Wozu wir (in Zukunft) Priester brauchen?

Noch einmal auf den Punkt gebracht: Leitung in der sakramentalen Perspektive

Relationale Sendungsverhältnisse

Neue Wege wagen

Ökumene im Zukunftsbeschleuniger – Von der Freiheit der postkonfessionellen Katholiken und Katholikinnen

Postkonfessionelle Orientierung

Praktische Herausforderungen für die Theologie

Die Basics des Evangeliums neu entdecken – Eine Relecture christlicher Moral jenseits der politischen und theologischen Kampfgräben

Synodalität in nuce

Ein erster Versuch …

»Amoris Laetitia« – Die Weggestalt des Christwerdens

Segnen dürfen?

Eine Weggestalt zwischen Basics und Zukunftsorientierung

Jenseits der selbstgesetzten Schranken – Aufbruch zu einer neuen liturgischen Freiheit

Die Pandemie-Offenbarung

Wege in die Freiheit bahnen und die Frage nach der eucharistischen Tradition

Sich dem Geheimnis annähern – Schritt für Schritt in die Freiheit

Ein hoffnungsfrohes Schlusswort: Von Bonhoeffer und Delp und den Anglikanern

»Beten und Tun des Gerechten«

Dank

Literatur zum Weiterlesen

Ein emotionales Vorwort – Ich will hier raus!

Ein Kirchengefüge löst sich vor unseren Augen auf. Die letzten Jahre haben und hatten es in sich: Immer wieder neue Skandale lassen ohnehin hohe Austrittszahlen in die Höhe schnellen. Das berechtigte Klagen und Seufzen, die emotionale Trauer, die wachsende Aggressivität und Wut, die ungeheure Hilflosigkeit und auch die Ratlosigkeit machen deutlich, wie unlösbar diese Situation ist und wird.

In dieser tiefen Krise gibt es wieder jene Propheten des Untergangs, der kommenden Apokalypse. Wir hören immer wieder endzeitliche Mahnungen, dass jetzt die letzte Gelegenheit gekommen ist, die Kirche endlich besser zu organisieren und so zu gestalten, dass sie attraktiv, relevant, faszinierend, zeit- und milieusensibel wird. Sonst stirbt die Kirche.

Das glaube ich nicht. Und ich kann diese apokalyptische Prosa nicht mehr hören. Ich ertrage es einfach nicht mehr. Und ich will auch nicht mehr so gerne mitdiskutieren. Weil es sich jedes Mal, jedes Jahr, zu jeder Gelegenheit, wiederholt, im Kreis dreht und alle Medien füllt.

Ich will hier raus!

Und mich wundert nicht wenig, wie merkwürdig verfangen in Gefügen gewachsener Bilder sich diese Diskussionen abspielen – dieselben Schuldigen, dieselben Forderungen, dieselben Blöden. Merkt das denn keiner?

Denn es geht einfach um mehr. Es geht um einen echten Wandel, eine Wandlung, eine Transformation. Wir stecken mitten drin in einem notwendenden Sterbeprozess und einem notwendigen Neubeginn: Neues wird geboren – nicht geplant, nicht gewollt, erlitten und ersehnt. Der Tod eines Gefüges – und das Hervorgebracht-Werden, das Wachsen, das Ins-Leben-Kommen einer neuen Gegenwartsgestalt des Evangeliums.

Aber tendenziell beschäftigt man sich in den Diskussionen in ratloser Aggressivität und mutloser Polemik mit dem Zerbrechen des bisherigen Gefüges und den wenig aussichtsreichen Versuchen der Veränderung. Die Passung des Gesamtgefüges stimmt jedoch nicht mehr. Es geht nicht um einzelne Facetten, sondern um das Ganze: Wundpflaster sind kein Aufbruch.

Ich will da raus! Raus aus diesem lähmenden Gefüge. Raus in eine neue Freiheit. Und deswegen gilt: Ich will ausbrechen – nicht nur aufbrechen.

Corona als Bewusstseinsbeschleuniger

Die letzten Monate, ja mehr als ein Jahr, hatten es in sich: Die Coronakrise ist offenbarend. Und was sich hier zeigt, ist mehr als nur eine Krisenaufnahme: Die Klage über das Schweigen der Kirche und die Frage nach ihrer Systemrelevanz ist verräterisch. Soll eine Kirche in dieses Gesellschaftssystem eingebunden sein und damit unverzichtbar werden? Für wen? Was ist genau gemeint? Ist wieder nur gemeint, dass die alten Stellungen modernisiert werden und die Institution sich über ihre Bischöfe meldet, mahnt, drängt (was sie im Übrigen getan hat)? Fällt denn nicht auf, dass in allen diesen Kontexten ein klerikal-machtvolles und institutionelles Bild zementiert werden soll? Selbst von denen, die das gar nicht zugeben würden?

Und umgekehrt wird seit dem Lockdown auch sehr deutlich, dass eine klerikale Kirche nicht ungebrochen weiterbestehen wird. Von einem weitgehenden Kontrollverlust ist hier oft die Rede gewesen. So wie es beschrieben werden könnte, wäre das negativ konnotiert. Geht es nicht im Gegenteil um eine Freilegung ungeheurer christlicher Kreativität und Freiheit? So wie im Netz vielfältige Gottesdienste mit hoher Partizipation und Gleichwürdigkeit gestaltet wurden, so entstanden – oft unsichtbar – viele Netzwerke der Nachbarschaft und Initiativen der Nächstenliebe, in selbstverantworteter Kooperation und selbstverständlicher Ökumene.

Entsteht hier nicht eine neue Perspektive des Kircheseins? Wird hier nicht über-sichtbar, was mit dem mündig werdenden Volk Gottes gemeint ist? Wieso dann die besorgte Rede vom Kontrollverlust?

Zeigt sich in den Folgen der Pandemie, ersehnt und notwendend erzwungen, nicht das Ende eines Gefüges und der Anfang von Neuem?

Was soll also das trotzige Weiter-so? Das Weiter-so der Diskussionen, die doch vor allem eine schon lange nicht mehr relevante Vergangenheit immer wieder traumatisch umkreisen. Ich kann es gut verstehen, wenn viele sich gegen eine frauendiskriminierende Kirche wenden und wenn viele neue Amtsmodelle fordern. Und unbedingt nötig ist es, den sexuellen Missbrauch transparent aufzuarbeiten und den Machtmissbrauch anzuklagen, aber schon die MHG-Studie* macht deutlich, dass das gewachsene kirchliche System als Ganzes versagt hat. Eine Revolution steht an, die dann aber keinen unberührt lassen wird. Panta rhei!

Die Diskussionen, die ich verfolgen muss, sind jedoch nicht radikal genug. Die Gefügetreue und die geprägten Bilder und Antibilder sind zu routiniert. Kein Wunder, dass der Beifall groß ist. Was alle eint, ist eine Bilder- und Konzeptwelt längst und endgültig vergangener Zeiten.

Ich will aus diesen Sprachspielen und immer selben Filmen heraus. Sie nehmen gefangen in alte Bilder. Sie passen nicht mehr und müssen auch nicht passen. Entspricht dies nicht genau dem Anliegen einer lokalen Kirchenentwicklung, die doch nichts anderes ins Licht rücken möchte als das Werden einer selbstbewussten Bewegung von Christinnen und Christen, die aus der Kraft des Evangeliums die Zukunft überall dort gestalten, wo der Geist sie hinruft?

Ein synodaler Weg?

Die letzten Monate hatten und haben es in sich. Der synodale Weg hat begonnen und ist doch durch die Coronakrise ins Stocken geraten. Aber auch hier finde ich ähnliche Mechanismen. Auf der einen Seite scheint es so, als ginge es nur darum, dass endlich einige Bischöfe verstehen, was die wirklich wichtigen Themen der Kirche sind. Polarisierungen bleiben und vertiefen sich – auf der anderen Seite stehen jene, die schon ein Schisma der deutschen Kirche von Rom vorhersagen. Und es scheinen eine Reihe von Konflikten konstitutiv unlösbar, zumal gerne argumentativ und emotional hochgerüstet wird: Es sei die letzte Chance der Kirche. Und in der Tat: Ich gebe dieser Kirchenkonstellation keine große Chance. Es wäre gut, wenn wir nicht weiter an einem immer weniger prägenden Modell der Kirche reformierend herumbasteln. Es wäre gut zu erkennen, dass es nicht nur um einen liberalen oder konservativen Aufbruch geht (die Kategorien sind ohnehin hinfällig), sondern um eine Transformation, die endlich und schmerzhaft eine wirkmächtige Kirchengestalt zum Ende bringt und dem Evangelium eine neue Chance gibt.

»Nichts Neues unter der Sonne«: In Pfadabhängigkeiten

Ein Ausbruch, nicht einfach eine Reform. Darum geht es. Es geht um ein Jenseits der klerikalen Machtdiskussionen, die doch selbst kein bisschen weiter gehen, als diese Macht zu demokratisieren und dann Macht eben auf andere aufzuteilen. Das ist für mich abstoßend: Wir bleiben im selben Gefüge des Oben-Unten und haben es jetzt gegendert. Das soll es schon sein?

Hier habe ich ein neues Wort gelernt. Wir sind alle auf Pfaden unterwegs und denken auf diesen Pfaden weiter. Auch Reformen der Kirche – gewollte, gewünschte oder zu vermeidende – reflektieren häufig – und hoffentlich unbewusst – die Denk- und Kulturgefüge der Wirklichkeit, die es zu verändern gilt. Hier spricht man von Pfadabhängigkeiten. Der Begriff ist wissenschaftlich vorgeprägt. Ohne die Diskussion hier führen zu wollen und zu können, geht es aber ganz einfach darum, dass auch Veränderungsprozesse letztlich im Gefüge stecken bleiben, aus dem sie stammen. Man könnte sagen: Entwicklungsprozesse übersteigen oft nicht den Rahmen des Gefüges, aus dem sie stammen. Echte Innovation geschieht so nicht – es bleibt alles beim neuen Alten.

Über Pfadabhängigkeiten diskutierte schon Kohelet. Hier gibt es eben nichts Neues unter der Sonne. Und in der Tat fällt mir bei den aufgeregten Veränderungsdiskussionen auf, dass die hintergründige Kirchenarchitektur bei Befürwortern und leidenschaftlichen Akteuren des Wandels immer noch ein bisheriges Kirchenbild fördert oder bekämpft. Das sind Pfadabhängigkeiten. Es ist spannend, hierbei zu beobachten, dass dies den Diskutierenden oft gar nicht bewusst ist.

Beispiele gibt es viele, gerade in jüngster Zeit. Man denke an die Priesterausbildung. Es ist seit Jahrzehnten klar, dass die Zahl der Seminare zu hoch ist. Seit 2006 verfolge ich die Diskussion um die Zukunft der Seminare, die Größe der Ausbildungskommunitäten, die Länge der Praktika, die geistliche Ausbildung. Und wenn in diesem Jahr neu vorgeschlagen wird, alle Seminaristen in drei Seminaren deutschlandweit auszubilden, und die pawlowschen Reflexe der betroffenen Bischöfe und Fakultäten sich sofort zeigen, dann sind dennoch entscheidende Fragen nicht beantwortet: Ist die derzeitige Gestalt der Ausbildung überhaupt geeignet, um Priester für das 21. Jahrhundert auszubilden? Welche Art akademisch präsenter Theologie braucht es in Deutschland? Welcher Art von Amtsträgern bedarf es? Pfadabhängigkeiten verhindern hier ein neues Denken, eine neue Praxis, die auf diese Fragen antworten könnte.

Und ja, auf dieses neue Denken habe ich Lust, aber nicht auf das Bepflastern von Defiziten und Selbstwahrnehmungen, die sich gegen Veränderungen immunisieren, und dies mit einem ungebrochenen Selbstbewusstsein.

Die Heftigkeit der Reaktionen, die Überemotionalisierung der Diskussionen machen nur eines deutlich: Viele spüren, dass es ernst geworden ist. Sie spüren, dass sie etwas verlieren könnten. Ob wir über Räte und ihre Zukunft diskutieren, über kirchliche Berufsgruppen, Priesterseminare, priesterliche Leitungsfragen, Frauenordination, über Sakramente und ihre Feier, über die Eucharistie und andere Liturgien, über die Systemrelevanz der Kirche, Austrittszahlen und ihre Bedeutung – alles gerät in Bewegung, aber leider werden in diesen heftigen Diskussionen auch die Pfadabhängigkeiten umso sichtbarer.

Das ist kein Wunder, aber es ist unfruchtbar. Am Ende kommen wir nicht weiter. Denn wir stehen vor einem tiefen Transformationsgeschehen, und das verlangt einen Ausbruch aus den gewohnten Frontstellungen, aus den argumentativen Schützengräben.

Und genau hier liegt mein Interesse: Wie können wir denn wirklich neue Pfade beschreiten? Könnte es nicht sein, dass die Zeit, in der wir die Gnade haben zu leben, neu freilegt, worum es im Ursprung des Evangeliums geht? Und wie das Feuer des Ursprungs und der Tradition neu gelebt und so auch bedacht werden kann? Und auch umgekehrt.

Kann es nicht sein, dass etwas neu ins Leben kommt? Ich erinnere mich an einen spektakulären Vortrag von Paul Zulehner. Die Erneuerung der Kirche formulierte er im Blick auf den kinderlosen Abraham und seine alte Frau Sara: »Tötet die Alte nicht, sie kann noch fruchtbar werden …« Und sie wurde es.

Aber es liegt auf der Hand: In dieser gnadenhaften und doch verheißungsvollen Fruchtbarkeit geht es um das Alte und das Neue, das Sterben und Geborenwerden – und nicht um eine Verjüngungskur.

Könnten wir also nicht aufhören, ständig über die Unfruchtbarkeit zu diskutieren, sondern vielmehr das Sterben aushalten und die neue Geburt wahrnehmen, die sich gerade ereignet?

Hildesheim, im April 2021

* Die MHG-Studie war ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zum Thema Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, das in den Jahren 2014 bis 2018 von einem Forschungsverbund aus Experten mehrerer universitärer Institute durchgeführt wurde.

Jenseits der Strukturen – Die neue Freiheit des Evangeliums

Damals war es elektrisierend, die Überlegungen von Danièle Hervieu-Léger zu lesen. Vor inzwischen zwanzig Jahren gab die französische Religionssoziologin und Katholizismusforscherin mir (und vielen anderen) Worte für die Beschreibung einer Situation. Im Hinblick auf die französische Situation sprach sie davon, dass es kaum noch »praktizierende Katholiken« in der klassischen und ererbten Konfiguration gäbe. Sie seien eine aussterbende Spezies. Gleichzeitig hatte sie eine neue Typologie von Katholikinnen und Katholiken ausfindig gemacht. Sie sprach von Pilgern auf der einen und von Konvertiten auf der anderen Seite.

Das hat mich überzeugt. Pilger, so Hervieu-Léger, sind Menschen, die sich auf einer offenen Suche befinden. Sie sind offen und auch neugierig, durchaus auch auf religiöse Glaubenserfahrungen, aber keineswegs begierig, sich an eine Gemeinde oder Kirchengestalt dauerhaft zu binden. In dieser Suche sind sie keineswegs unverbindlich! Es ist eine Verbindlichkeit, die dazu führt, dass sich Menschen für mehrere Wochen auf den Weg nach Santiago de Compostela machen: Pilger eben, die sich aussetzen, sich einlassen auf neue Wege und finden oder gefunden werden.

Wir finden sie auch bei Kirchentagen, Weltjugendtagen, in Taizé und an anderen Orten: Menschen, die viel an Zeit und Energie investieren für eine Erfahrung, die sie doch nicht »im Griff« haben. All das aber – auch wenn es keine kleinen Zahlen sind – wirkt sich in keiner Weise aus in einer Bestandserhaltung gemeindlicher Vitalität. Eher ist es so, dass sich die Erfahrung des Kircheseins offensichtlich orientiert an der Erfahrbarkeit und der daraus resultierenden Authentizität der Wirksamkeit des Evangeliums.

Pilger sind auf dem Weg. Das ist ihre Grundcharakteristik. Und sie bleiben auf dem Weg. Dadurch unterscheidet sich die damit gegebene Grundkonstellation fundamental von der Idee einer stabilen Gemeindeerfahrung, wie sie in vergangenen Jahrzehnten proklamiert wurde.

Die unterschiedlichen Merkmale lassen sich kurz fokussieren. Während die restvolkskirchliche Gemeindewirklichkeit – gegen die offensichtliche und erfahrbare Wirklichkeit – einfach voraussetzte, dass Menschen in ihrem Glauben an das Evangelium schon irgendwie geprägt sind und dies dann weiter kirchlich-gemeindlich einüben können, geht die Erfahrung des Pilgerseins hingegen davon aus, dass jeder und jede auf seinem oder ihrem Weg ist, auf seiner oder ihrer Suche – und der Glaubensweg ein Abenteuer mit offenem Ausgang ist. Es ist kein erreichbarer »Status« oder »Stand« zu finden, und keine Institution oder Instanz kann machtvoll den Glauben vermitteln, vorgeben und normieren.

Eigentlich wissen wir das schon. Der Unterschied zwischen vierzehnjährigen Teenagern und neunzigjährigen Mitchristen ist nicht mehr auszumachen: Sie tun, was sie wollen, sie sind ekklesial-institutionell nicht mehr einzuhegen, aber zuweilen sehr wohl für die Kraft des Geistes und des Evangeliums ansprechbar.

Das Zerbrechen einer gewachsenen Kirchengestalt ist mithin absehbar. Der sich hier abzeichnende Klimawandel ist aber eben nicht die apokalyptische Katastrophe der Kirche, sondern lediglich das Zuendegehen einer gewohnten Gestalt. Über die Chancen des Evangeliums und seiner daraus wachsenden ekklesialen Wirklichkeit ist weiter nachzudenken.

Konvertiten – charismatisch und konservativ

Doch Hervieu-Léger fand eine zweite Typologie gegenwärtigen Christseins. Sie beobachtet zu Recht eine zweite Gruppe, die sich in Frankreich herausbildete: Sehr persönlich und individuell wächst eine Gruppe von Menschen heran, die sie »Konvertiten« nennt. Es geht nicht um Konfessionswechsel, sondern um eine Art des Christseins, die auf einer persönlichen Umkehrerfahrung gründet – und nicht auf ererbter Christlichkeit. Genau an dieser Stelle wird der tiefe Transformationsprozess deutlich. Glaube wird neu durch eine intensive Erfahrung einer Umkehr, eine Erfahrung aus der sehr expliziten Berührung durch das Evangelium – und das hat natürlich Konsequenzen. Menschen, die aus dieser Grundwirklichkeit der »Umkehr« Christen oder Christinnen werden, haben ein anderes Profil. Sie leben Spiritualität expliziter, suchen intensive geistliche Gemeinschaft – und sind dabei allerdings anspruchsvoll und gänzlich anders »verortet«. Nicht die gegebene kirchliche Gemeinschaft oder Pfarrei, nicht einmal die Konfession ist entscheidend, sondern die Frage nach der inneren Qualität der Erfahrung und der Möglichkeit, die eigene Glaubenserfahrung zu vergegenwärtigen.

In diesem Zusammenhang ist an eine auch schon alte empirische Forschungsarbeit zu erinnern, die der amerikanische Religionssoziologe Philip Jenkins vorlegte. In seinen Überlegungen zur Zukunft des Christentums beobachtete er treffgenau. Christentum wächst dort, wo charismatische Gemeinden und ungebundene Kirchenkonstellation Menschen meist sehr lokal binden. Zugleich ist diesen Kirchengefügen eine eher konservative Grundkultur zu eigen.

Mich hat das damals sehr bewegt. Und es hat mir in dieser Zeit – um 2005 – sehr eingeleuchtet, entspricht es doch genau jenen Beobachtungen in Europa, die Hervieu-Léger ins Licht rückte. Um es zu verdeutlichen: Wachstumsprozesse des Christseins hängen fast ausschließlich mit gnadenhaften Erfahrungen des Glaubens zusammen – und eigentlich (!) ist dies das Grundmuster des Christentums. Denn in der Logik des Evangeliums ist der Weg zum Glauben eine persönliche Umkehrerfahrung.

Dadurch wird aber auch deutlich, dass mit dieser Neufokussierung der Glaubenswege die Transformation der Kirchengestalt ein selbstverständlicher Prozess ist. Menschen werden dort ihr Zuhause im Glauben finden, wo sie anderen Menschen begegnen, die aus demselben Geist leben. Diese charismatische Dimension bringt aber zugleich neue Fragen hervor: Die nach dem Ursprung und der Identität der Tradition spielen eine entscheidende Rolle. Nicht irgendetwas Schwammiges und Undefinierbares wird angenommen, sondern es wird eine neue Klarheit gesucht. Das ist dann »konservativ«. Es steht nicht mehr unbedingt im Kontrast zum Zeitgeist – es ist zeitgeistige Notwendigkeit.

Zwei kurze Einblicke

Die Erkenntnisse von Jenkins und Hervieu-Léger sind nicht neu. Und dennoch wirkt es überraschend, wenn sich diese Bewegungsrichtung auch im deutschsprachigen Raum zeigt. Während einerseits im deutschsprachigen Raum weithin die Frage nach dem Kirchenerhalt und der Bewahrung seiner Sozialform dazu führte, dass Identität aus dem Evangelium kaum eine Rolle spielte, sondern eher versucht wurde, möglichst viele Menschen neu und wieder mit allen Mitteln an die Kirche zu binden, zeigen Erfahrungen wie das Gebetshaus in Augsburg, die Nightfever-Bewegung oder auch die Lorettobewegung in Österreich, wie attraktiv ein charismatisch-identitätsstiftendes Programm für (junge) Menschen aller kirchlichen Traditionen ist.

Es reicht nicht, Lobpreismusik, eine explizite Gebetspraxis, spirituelle Hauskreise und die intensive Suche nach Glaubensidentität als konservativ und sektiererisch zu bezeichnen. Wir müssen lernen zu verstehen, wie Menschen heute den Glauben aus dem Evangelium neu finden und wachsen können und ihre Gaben und Charismen entdecken.

Eine weitere Beobachtung ist in diesem Kontext wichtig: In den vergangenen Jahren ist unsere Kirche immer bunter und vielfältiger geworden. Vor allem Christen anderer Nationen rücken genau jene charismatische und konservative Perspektive neu ins Licht. Die Christen anderer Muttersprache, die in großen Metropolen deutlich mehr als fünfundzwanzig Prozent darstellen, bringen sehr charismatische und traditionsbewusste Christentumskulturen mit, die sich durch große Emotionalität und Leidenschaft auszeichnen.

Es kann nicht verwundern, dass damit auch eine gewisse Inkompatibilität der kirchlichen Formen verknüpft ist, die echte Herausforderungen an die »katholische« und also umfassende und oft spannungsreiche Weite des Christseins in allen konfessionellen Traditionen mit sich bringen. Zu entdecken ist hier allerdings, dass Frömmigkeit und Spiritualität, Kirchlichkeit und Traditionsgebundenheit ganz anders erlebt, gefeiert und leidenschaftlich gelebt werden.

Denn umgekehrt gilt: Das Gefüge christlicher Gemeindewirklichkeit der vergangenen Jahrzehnte, aber auch die Entwicklung karitativer Einrichtungen und ihre Stärke gründet in Menschen, die sich mit großer Leidenschaft und einer Sehnsucht nach geiststarker kirchlicher Perspektive engagieren.

Und zweifellos liegt hier eine der großen Herausforderungen: Die Sehnsucht nach vertiefter Spiritualität wächst gerade auch in den klassischen Gemeindegefügen, sie wächst im Kontext der Liturgien sowie bei den Engagierten in Caritas und Schule – und bestätigt damit auch insgesamt die Tendenzen, die Soziologinnen und Soziologen wie Hervieu-Léger und Jenkins beschrieben haben.

Dadurch wird erkennbar, wo die Grenzen und Schwächen des bisherigen Gefüges liegen. Genau dieser persönliche Antrieb führt dazu, dass Menschen Orte verlassen, wo sie diese Intensität nicht erfahren, um nach anderen Erfahrungsräumen zu suchen.

Und wenn auf der anderen Seite das kirchliche Gefüge samt seinen Hauptberuflichen darauf reagiert, dann wird deutlich, dass bislang häufig nicht an konstitutive Entwicklungsprozesse gedacht wird. Natürlich gibt es Initiativen wie Exerzitien im Alltag und geistliche Treffen, aber sie werden als »Add-on« betrachtet. Häufig wird übersehen, dass die Gestalt der Gemeinschaft und die Feier der Liturgie nicht von selbst »geistvoll« sind. Auch damit lösen sich dann gewachsene Gestalten auf, weil die Christinnen und Christen, die sich engagieren, in der Selbstverständlichkeit des Gefüges und der Initiativen nicht stehen bleiben, sondern dorthin gehen, wo sie finden und genährt werden. Auch dies löst die gewachsenen Strukturen nach und nach auf – und macht deutlich, dass diese Gemeindeformationen nur dann eine Zukunft haben werden, wenn sie aus der Sicht der Suchenden eine Erfahrung von Fülle, Kraft und Geist ermöglichen.

In klassischer kirchlicher Sprache könnte man sagen: Das schon bestehende kirchliche Sozialgefüge wird dann eine Zukunft haben, wenn in ihm die sakramentale Dimension erlebbar und erfahrbar wird – wenn die Gegenwart des Herrn als Gnade und Evangelium erfahren wird und so Kirche von innen heraus neu gestaltet. Wo umgekehrt all dies nicht erfahrbar wird, wird sich keine Resonanz suchender Menschen einstellen, werden Gemeinden sich auflösen, spätestens dann, wenn die tragende Generation selbstverständlich Glaubender stirbt. Es wäre umgekehrt auch nicht richtig, diesen »zu geringe Spiritualität« vorzuwerfen. Dem ist nicht so – nur dass Spiritualität hier in Formen gegossen ist, die nur die überzeugen können, die sie von Kindheit an kennen und schätzen gelernt haben. Die Form ist die Spiritualität – zuweilen jenseits von innerer Erfahrung und Vollzug: »Es ist eben so!«

Diese Gruppe wird ständig kleiner, aber sie ist wirkmächtig. Hier wird dann deutlich, warum Christen, die ihre gewohnten Formen nicht vorfinden, andere Formen nicht für sich entdecken oder auch nicht bereit wären, an einen anderen Ort zu fahren. Ihr Zugang zu Spiritualität ist orts-, zeit- und formgebunden. Dies erklärt auch sehr gut, was es bedeutet, wenn Gottesdienstzeiten geändert werden oder statt einer Messe ein Wortgottesdienst angeboten wird. Hier reagieren auch solchermaßen geprägte Christen wie ihre jüngeren Zeitgenossen: Sie stimmen mit den Füßen ab.

Evangelium und Werdeprozesse des Glaubens

Seit mehr als zwanzig Jahren kann ich Menschen begleiten, die als Erwachsene den christlichen Glauben entdeckt haben. Die sogenannten Katechumenen bezeugen die Grundwirklichkeit, wie Glauben heute geht: Er wird – und bleibt dabei ein unverfügbares Geheimnis.

Denn Glauben ist ein gnadenhaftes Geschehen, das sich jeder systematischen Gefügigkeit entzieht. Warum ein Mensch seine Glaubenssehnsucht entdeckt, warum er sich auf den Weg macht, Christus kennenzulernen, und warum er dies in einer bestimmten Tradition und Konfession tut, das entzieht sich – zum Glück! – allen planbaren und machbaren Prozessen. Es gibt in diesem Kontext eine »gnadenhafte Ohnmacht«, die Rückseite der Tatsache, dass christlicher Glaube immer ein Geschenk ist.

Nun ist das eine ursprüngliche Frage, die eng mit dem Evangelium und seiner Verkündigungslogik zusammenhängt. Die Verkündigung des Evangeliums durch Jesus Christus, die Apostel, die Jüngerinnen und Jünger – sie bleibt immer gebunden an die Kraft des Geistes. Sie ist für Christus und alle, die ihm nachfolgen, eine Überraschung, ein Geschenk.

Dies gilt auch für den Weg des Wachstums im Glauben. Dem spürt der katechumenale Weg nach: Er ist eben nicht an einen bestimmten Zeitraum gebunden, sondern strikt biografisch. Und damit stellt sich die Frage, wie ein solcher katechumenaler Werdeweg gedacht ist.

Insgesamt widerspricht er grundsätzlich einer volkskirchlichen Logik. Hier ist das Christsein vorgegeben und ererbt, in seiner katholischen oder evangelischen Variante. Und es geht darum, dass Eltern und die ganze (geschlossene) Gemeinschaft die jüngeren und selbstverständlich Getauften – Kinder und Jugendliche – »erziehen« und ihnen so den Glauben weitergeben. In dieser Logik ist das alternativlos. In Zeiten geschlossener gesellschaftlicher Wirklichkeiten ging es damit nicht zuerst um ein persönliches Glaubenswachstum, sondern um eine Übernahme einer Glaubensform und -gestalt, die – so die implizite Annahme – auch den persönlichen Glauben stärkt.

Auf dem Hintergrund dieser Bilder verwundert es nicht, dass in den klassischen Strukturen und Sozialgestalten der Katechumenat kaum oder doch nur als Randphänomen Bedeutung bekam, frei nach dem Motto: »Kann man machen.«

Aber für eine Gegenwart und Zukunft des Evangeliums könnten hier Schlüssel liegen, die das Verstehen von Prozessen der Verkündigung jenseits der Grenzen bisheriger Systemgefüge denken lassen. Es ist wichtig, diese Schlüssel in den Blick zu nehmen, denn nur jenseits bestehender Logiken der Glaubensverkündigung und in der neuen Logik von Glaubenswachstumsprozessen wird die Freiheit des Evangeliums neu erfahrbar werden können.

Diese Schlüssel sind nicht beliebig – sie können das Himmelreich erschließen. Sie ersetzen Schlüssel, die schon lange keine Pforten zu neuen Wegen öffnen, sondern eher verschließen. Über beides muss gesprochen werden.

Türenöffner des Evangeliums

Vorweg: Es braucht ein radikales Desinteresse am Erhalt des Gefüges kirchlichen Lebens, wenn wir ernsthaft mit dem glaubenswirkenden Evangelium umgehen wollen. Das ist die Grundvoraussetzung. Niemand hat das deutlicher und prägnanter durchdacht als der Dogmatiker Christoph Theobald. Der deutsche Jesuit, der wie kein anderer die französische und europäische Wirklichkeit der Kirche auf ihre Zukunftspotenziale abgehorcht hat, meldet diese Grundposition immer wieder an.

Und das ist sehr wichtig: Nahezu alle Klagen, Depressionen und apokalyptischen Szenarien einer Zukunft des Glaubens sind eben auch dadurch geprägt, dass sie letztlich immer noch am bestehenden Gefüge hängen und es theologisch, praktisch, modernisierend, liberalisierend oder organisationsentwicklerisch optimierend erhalten wollen. Aber das hat halt seine großen blinden Flecken – die Wirklichkeit und die Sehnsucht der Menschen.

Nichts stimmt mehr in diesem Gefüge kirchlicher Selbstverständlichkeit. Seit dem 19. Jahrhundert, so berichten die Apokalyptiker, verliert die »Kirche« (und gemeint ist ein bestimmtes für normativ erachtetes Gefüge) Schritt für Schritt alle Bevölkerungsgruppen: Arbeiterinnen und Arbeiter, Frauen, Männer, Eliten, Eltern und Singles, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, Arme sowieso und Randgruppen, Homosexuelle, Heterosexuelle. Und alle anderen Gruppen, was sich statistisch nachweisen lässt. Nur ist hier der Denkansatz falsch. Es geht nicht darum, Menschen für die Kirche zu gewinnen – und man kann niemanden verlieren, den man nie gewinnen musste. Kirche ist auch nicht jene vorgeprägte Gemeindekultur mitsamt ihren Annexen in Caritas und Schule, Kloster und Akademie. Sie ist kein organisationales Gefüge einer Institution, das sich dann werbend und dienstleistend um Mitglieder bemüht.

Das ist der erste Schlüssel: Es geht nicht um die Kirche, sondern vor allem und lange und nur um das Evangelium und seine Wirksamkeit – und um Wege, wie das Evangelium wirksam Menschen verwandelt, prägt und reifen lässt.

Erfahrungsräume ermöglichen