Reise in die Freiheit - Matthias Langwasser - E-Book

Reise in die Freiheit E-Book

Matthias Langwasser

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Beschreibung

Wie gelingt es mir, glücklich zu sein? Warum bin ich hier? Gibt es einen höheren Sinn im Leben? Kommen dir diese und ähnliche Fragen bekannt vor? Matthias Langwasser hat sie sich gestellt und ist losgezogen, um Antworten zu finden. In seinem Buch schildert er seine Erlebnisse der zwei Jahre, in denen er ohne Geld durch die Wildnis Frankreichs und Spaniens wanderte und sich überwiegend von Früchten, Nüssen und Kräutern ernährte. Die Reise war eine Zeit voller Abenteuer, Entbehrungen und wundervoller Begegnungen, aber auch eine Suche nach sich selbst, auf der er eine tiefe innere Transformation erfuhr, die ihn letztlich zu einem erfüllten und erfolgreichen Leben führte. Die Erkenntnisse dieser Reise sind eine Inspiration für alle, die sich nach einem freien, ungebundenen Leben sehnen, ihr Leben neu ausrichten möchten, aber nicht wissen, in welche Richtung es gehen soll.

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Seitenzahl: 507

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MATTHIAS LANGWASSER

REISEIN DIEFREIHEIT

WIE ICH IN DER WILDNIS DEN SINN DES LEBENS FAND

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe, 3. Auflage 2021

© 2021 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Textteil gedruckt auf 100 % Recyclingpapier – unseren Wäldern zuliebe

Redaktion: Christiane Otto

Korrektorat: Dr. Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: © Matthias Langwasser

Abbildungen im Innenteil, sofern nichts anderes angegeben: © Matthias Langwasser

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-95972-404-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-751-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-752-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Vorwort

Einleitung

1 Wie alles beginnt

2 Eine lebensverändernde Begegnung

3 Das Lernen überflüssiger Dinge

4 Zu viel Dienst

5 Das Buch des Lebens

6 Verliebt in meine Krankenschwester

7 Ab heute mache ich nur noch, was ich will!

8 Konfrontation mit meinen Eltern

9 Die große Reise

10 Der Feigenbaum

11 Zwei außergewöhnliche Gemeinschaften

12 Zwischen Gestank und Eiseskälte

13 Mein Häuschen in einem spanischen Tal

14 Mein Leben in einer christlichen Sekte

15 Das Kundalini-Yoga-Festival

16 Meine Begegnung mit dem Dalai Lama

17 Ein vollkommener Tag

18 Die Einheit des Lebens

19 Schon wieder vergiftet!

20 Zurück in die »Zuvielisation«

21 Angekommen

Epilog

Danksagung

Anmerkungen

Für meine Tochter Ayana, die Erfüllung eines großen Traums. Du bist im Bauch deiner liebenden Mutter gewachsen, während dieses Buch entstanden ist. Ich wünsche dir ein glückliches Leben in einer Welt voller Liebe.

Für die Krieger des Lichts, die sich unermüdlich dafür einsetzen, dass diese Welt ein besserer Ort für uns alle wird.

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich erinnere mich noch genau an den Abend in einem veganen Restaurant in Thailand, in dem ich Freunden Anekdoten von meiner Wanderschaft durch die Wildnis Frankreichs und Spaniens erzählte. Nina, die ich gerade bei einem Pianokonzert am Strand kennengelernt hatte, war so begeistert von meinen Abenteuern, dass sie spontan ausrief: »Deine Geschichte ist so besonders, du musst unbedingt ein Buch darüber schreiben!«

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich nie auf diese Idee gekommen, doch nach längerem Nachdenken wurde mir klar, dass meine Erlebnisse viele Menschen inspirieren und berühren können. Und das ist mein Herzenswunsch: dass dich dieses Buch in der Tiefe berührt, dass es dich an dein wahres Selbst erinnert und daran, was im Leben wirklich wichtig ist.

Als ich anfing, dieses Buch zu schreiben, tauchte ich in meine Vergangenheit ein, in eine Zeit, die mich für immer geprägt und verändert hat. Die Bilder dieser Zeit wurden wieder in mir lebendig, ich konnte wieder die Düfte riechen und die Farben sehen. Jede Zelle meines Körpers erinnerte sich an das unbändige Gefühl von Freiheit, an die tiefe Verbundenheit mit der Erde und die Kraft, die ich aus dieser Verbindung schöpfte.

Durch die unberührte Natur Frankreichs und Spaniens zu wandern, war wie ein wunderschöner Traum, in dem ich mich gleichzeitig lebendig und geborgen gefühlt habe. Es war eine Zeit voller Abenteuer, wundervoller Begegnungen und unerwarteter Geschenke, aber auch begleitet von Entbehrungen, Herausforderungen und Einsamkeit.

Indem ich mich von der Erde ernährte und sie mir ihre Früchte und Nüsse schenkte, erlebte ich, dass sie für mich da ist, dass sie für mich sorgt und mich trägt. Ich rieche noch den Duft der Feigenbäume, sehe die Farben der verlassenen Weinberge, malerische Sonnenuntergänge und unbeschreibliche Sternennächte mit herabfallenden Sternschnuppen.

Ich war den Elementen so nahe wie nie zuvor. Die Abkühlung in eiskalten Gebirgsbächen, die Kraft der Sonne, der weiche Erdboden, auf dem ich schlief – das sind kostbare Momente, die immer noch in mir lebendig sind.

Meine innere Stimme hat mich auf vollkommene Weise geführt, ich habe Antworten auf all die Lebensfragen gefunden, die mich schon so lange beschäftigt hatten. Die Reise in die Wildnis war gleichzeitig eine Reise zu mir selbst. Sie hat mir Klarheit über meinen Lebensweg und meine Aufgabe gebracht, und dafür bin ich unendlich dankbar.

Wir alle erinnern uns auf irgendeiner Ebene an eine magische, wunderschöne Welt, die wir als Kinder noch wahrnehmen konnten, die wir im Laufe der Zeit aber vergessen haben. Diese Welt ist immer noch da, sie wartet auf uns. Sie wartet darauf, uns all das zu geben, was wir so dringend brauchen, um wieder ganz zu werden und im Einklang mit uns selbst und unserer Erde zu leben.

Ich freue mich sehr darüber, meine innere und äußere Reise mit dir zu teilen und wünsche mir, dass sie dich so wie mich inspiriert und daran erinnert, wer wir wirklich sind, warum wir uns diese Erde ausgesucht haben und dass wir für sie und für uns selbst verantwortlich sind. Dass uns alles geschenkt wurde, was wir brauchen, um ein wahrhaft erfülltes Leben zu führen. Es liegt allein an uns, was wir daraus machen ...

In diesem Sinne viel Freude beim Lesen!

Von Herzen,dein Matthias

www.regenbogenkreis.dewww.matthias-langwasser.com

EINLEITUNG

Dieses Buch ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Ich teile mit dir meine Reise durch die Natur Frankreichs und Spaniens, meine vielfältigen Abenteuer, vor allem aber auch meine größten Herausforderungen und wichtigsten Erkenntnisse. Ich bin losgezogen mit dem tiefen Wunsch, meine Lebensaufgabe zu finden und Antworten auf meine wichtigsten Fragen zu erhalten – Fragen, die sich die meisten Menschen an irgendeinem Punkt ihres Lebens stellen: Wie gelingt es mir, glücklich zu sein? Warum bin ich hier? Gibt es einen höheren Sinn im Leben? Bin ich ganz allein – oder ist da jemand, der über mich wacht? Warum gibt es so viel Leid auf der Welt? Wie können wir eine glückliche Zukunft für uns und unsere Kinder schaffen? Wie können wir das Ökosystem unserer Erde vor dem Zusammenbruch bewahren? Wie gelingt es mir, negative Gedanken zu überwinden?

Kommen dir diese Fragen bekannt vor? Willkommen im Club!

Die Antworten, die ich erhalten habe, haben mich überrascht und bewegt – sie berühren die Wurzeln unseres Seins und kommen von einer Ebene, in der das Wissen um die verborgenen Gesetzmäßigkeiten unserer Welt liegt.

Vieles von dem, was ich hier mit dir teile, habe ich vorher noch niemandem erzählt, und es ist für mich ein großer Schritt, diese Dinge, die ich so lange in mir bewahrt habe, aufzuschreiben und an die Öffentlichkeit zu bringen. Ich weiß aber, dass es genau jetzt an der Zeit ist, alles loszulassen und nichts mehr für mich zu behalten. In dieser Zeit des größten Bewusstseinswandels auf unserem Planeten sind wir alle aufgefordert, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind. Es spielt keine Rolle, wo wir herkommen, was wir gelernt haben, welche Titel wir uns geben. Wir sind alle Teil der großen Menschheitsfamilie, die an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter steht. Jetzt dürfen wir uns gemeinsam entscheiden, ob wir die alten Wege, die zu so viel Zerstörung und Schmerz geführt haben, weitergehen wollen, oder ob wir neue Pfade einschlagen, auf denen wir alles Leben als großes Geschenk achten und schützen. Meiner Erfahrung nach gibt es nur diese beiden Möglichkeiten:

Entweder glauben wir an die Illusion der Trennung, oder wir entscheiden uns für die Einheit alles Lebendigen. Mein Herzensanliegen ist es, dir anhand meiner Erfahrungen zu zeigen, dass wir alle in unserem tiefsten Inneren das Gleiche wollen: Es geht einzig und allein darum, dass wir uns daran erinnern, wer wir wirklich sind. Durch die vielfältigen Ablenkungen und Verwirrungen unseres modernen Lebens haben wir verlernt, uns Zeiten der Stille zu nehmen, in denen wir in die Natur gehen und uns wieder mit dem verbinden, was uns wirklich nährt.

Ich möchte dich mitnehmen auf eine Reise, in der wir die Wunder des Lebens bewusst wahrnehmen und lernen, die Welt wieder mit jener Neugier und Offenheit zu sehen, wie wir es als Kinder konnten.

Deswegen ist es auch mein Wunsch an dich, dieses Buch nicht mit dem Verstand, sondern mit deinem Herzen zu lesen. Unser Verstand ist oftmals ein überkritischer Begleiter, der uns durch Bewertungen davon abhält, die wahren Schätze in uns und in dem, was uns begegnet, zu entdecken. Lass dir immer wieder Zeit, die Energie meiner Erfahrungen zu fühlen, lass sie einfach wirken und beobachte, was dabei in dir passiert.

Möglicherweise sind dir manche meiner Erkenntnisse und Sichtweisen fremd. Das ist völlig in Ordnung. Ich teile mit dir meine persönlichen Erlebnisse und erhebe damit keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Du musst nicht mit allem einverstanden sein, was du in diesem Buch liest. Wenn dich bestimmte Aspekte stören, dann lass sie einfach los und konzentriere dich stattdessen auf die Dinge, mit denen du in Resonanz gehst.

Entweder glauben wir an die Illusion der Trennung, oder wir entscheiden uns für die Einheit alles Lebendigen.

1WIE ALLES BEGINNT

Ich wachse im hohen Vogelsberg auf, einem hessischen Mittelgebirge, das von Bergen, Tälern, Bächen, Seen, Wald und Wiesen geprägt ist. Unsere Familie verbringt viel Zeit miteinander. Da mein Vater im selben Haus arbeitet, ist er immer für uns erreichbar. Wir – meine Eltern, meine zwei Jahre jüngere Schwester Christiane, mein elf Jahre jüngerer Bruder Daniel und ich, nehmen alle Mahlzeiten gemeinsam ein. Auch nach seiner Arbeit ist mein Vater für uns da. Er liebt es, mit seinen Kindern zusammen zu sein. Wir sind ziemlich »verkuschelt«, und so sitzen wir viele Fernsehabende gemeinsam eng umschlungen auf unserem Wohnzimmersofa. Meine Mutter ist lieber für sich und bleibt auf ihrem Stuhl neben uns.

Mein Vater zeigt uns auch die Natur unserer Heimat. Es gibt wohl niemanden, der den Vogelsberg besser kennt als er. Auf unzähligen Wanderungen und Fahrradtouren, bei denen ich oft dabei bin, erforscht er fast jeden Winkel der Region. Im Winter nehmen wir beide unsere Langlaufskier und machen lange Tagestouren durch die schneebedeckten Wiesen und Wälder des Vogelsbergs. Das strahlende Weiß des Schnees, die gefrorenen und schneebedeckten Bäume und die damit verbundene Stille üben immer wieder einen besonderen Zauber auf mich aus.

Mein Vater scheint alle Menschen zu kennen, denen wir begegnen, und diese kennen ihn. Sie begrüßen ihn meistens mit einem »Hallo Erwin!«, wenn wir beide wieder irgendwo in unserer Heimat wandern. Anschließend erzählt er mir dann, wer ihn gerade begrüßt hat und woher er diese Person kennt. Die Tatsache, dass mein Papa am Schalter des Postamtes arbeitet, trägt natürlich zu seiner Bekanntheit bei.

Seine besondere Spezialität sind Sagenwanderungen, bei denen er Kurgästen sagenumwobene Geschichten erzählt, die sich vor langer Zeit an besonderen Orten in den Wäldern des Vogelsbergs ereignet haben. Während die Eltern meiner Freunde eigene Häuser bauen, entscheidet sich mein Vater bewusst dafür, das nicht zu tun, da ihm die Zeit mit seinen Kindern wichtiger ist als materieller Besitz.

Er ist ein herzensguter Mann, dem positives Denken anscheinend angeboren wurde. Er spricht selten negativ über andere und kann selbst schwierigen Situationen immer etwas Gutes abgewinnen. Deswegen ist er auch sehr beliebt. Bewegung, Sport und Natur sind ihm wichtig, und er liebt es, unterwegs zu sein und dabei viele Menschen zu treffen. Unser Familiensport ist Tischtennis. Alle außer unserer Mutter sind im Tischtennisverein, wir verbringen viel Zeit mit Turnieren, Training und Wettkämpfen. Ich bin ein Naturtalent in diesem Sport – meine Beweglichkeit, mein Ballgefühl, mein Ehrgeiz und meine Ausdauer sind gute Voraussetzungen, um in dieser Disziplin erfolgreich zu sein. Es gibt dabei nur einen entscheidenden Nachteil: Im Training, wenn es nicht ums Gewinnen oder Verlieren geht, spiele ich sehr gut, während meine Nerven mich bei Wettkämpfen regelmäßig im Stich lassen, sodass ich viele Flüchtigkeitsfehler mache. Meinem Vater geht es genauso wie mir, deswegen lieben wir auch unser Training. Einmal werde ich so wütend über meine Anfängerfehler bei einem Turnier, dass ich meinen Schläger gegen die Wand der Turnhalle werfe, woraufhin dieser auseinanderbricht.

Meine Mutter und mein Vater sind so unterschiedlich wie Nacht und Tag. Obwohl die beiden viel Zeit miteinander verbringen, scheint doch keiner von beiden Eigenarten oder Sichtweisen des anderen zu übernehmen. Ich verstehe nicht, warum meine Mutter oft so unglücklich ist. Manchmal vermute ich, dass sie in ihrer Kindheit Traumata erlebt hat, die sie nie überwinden konnte. Sie ist emotional verschlossen und spricht mit mir niemals über ihre Gefühle oder das, was sie persönlich beschäftigt. Es ist, als ob in ihr zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten leben: Die eine ist mütterlich, liebevoll und warmherzig, die andere kalt, jähzornig und streng. Leider kommt der liebevolle Teil seltener zum Vorschein. Ich erlebe sie mir gegenüber oft als hart und abweisend, während sie bei meinem elf Jahre jüngeren Bruder Daniel wie ausgewechselt ist. Sie erlaubt ihm so ziemlich alles, was er will, während sie mir und meiner Schwester Christiane enge Grenzen setzt.

Während mein Vater ein sehr geselliger Mann ist, lebt meine Mutter eher zurückgezogen. Während er Natur und Bewegung liebt, bleibt meine Mutter lieber in unserer Wohnung und studiert Kataloge oder verrichtet den Haushalt. Wenn es an der Tür klingelt, öffnet sie meistens nicht, da sie keine Lust auf Besuch hat. Im Gegensatz zu meinem Vater sieht meine Mutter das Leben meistens negativ und verbringt viel Zeit damit, sich aufzuregen und schlecht über andere zu reden. Meine Mutter ist das lebende Beispiel dafür, wie man sich durch eine negative Lebenseinstellung selbst unglücklich macht und in eine Negativspirale gerät, aus der man kaum wieder herauskommt. Obwohl ich sie auf dieses Muster, das Glas lieber halb leer anstatt halb voll zu sehen, immer wieder aufmerksam mache, kann oder will sie diese Angewohnheit nicht ändern.

Später fällt mir auf, dass ich viele ihrer destruktiven Sichtweisen übernehme, ohne es zu merken. Kinder sind wie ein leeres Blatt Papier. Sie nehmen ungefiltert alle Informationen auf, die sie hören und die ihnen vorgelebt werden, und speichern sie in sich ab, um sie dann bei entsprechenden Gelegenheiten unbewusst abzuspulen. Ich brauche lange, um mir meine eigenen negativen Glaubens- und Gedankenmuster bewusst zu machen und Stück für Stück wieder aus meinem System zu entfernen.

Ich erinnere mich an einen besonderen Tag. Alle Jungs aus meiner Klasse sprechen von dem neuesten James-Bond-Film. Beim Mittagessen erzähle ich begeistert davon: »Mami, heute Abend kommt der neue James-Bond-Film. Alle Jungen in meiner Klasse schauen sich ihn heute Abend an.«

Meine Mutter verzieht unwillig ihr Gesicht. »Schön für sie.«

»Was meinst du damit?«

»Ich meine damit, dass sich deine Freunde den Film ja gern anschauen können, aber du nicht.«

Eine Welt bricht in mir zusammen. »Wieso denn nicht?«

Die Antwort ist kurz: »Darum.«

Wut steigt in mir hoch. »Ich will den Film aber sehen!«

»Du wirst ihn aber nicht sehen. Und damit Ende der Diskussion!«

Ich bin verzweifelt und fühle mich ohnmächtig und wütend. Ich spreche meinen Vater an, der bis jetzt gar nichts gesagt hat: »Papi, was sagst du dazu?«

»Deine Mutter soll das entscheiden.«

So schnell lasse ich nicht locker. »Würdest du es mir erlauben?«

Mein Vater zuckt nur mit den Schultern. Er weiß genau: Wenn er jetzt meiner Mutter widersprechen würde, würde er den Stress seines Lebens bekommen.

In diesem Moment gibt es für mich nur ein einziges Ziel: Heute Abend den James-Bond-Film zu sehen. Und ich werde nicht aufgeben, um keinen Preis.

»Mami, warum soll ich als Einziger in meiner Klasse den Film nicht sehen dürfen?«

Die Stimme meiner Mutter wird lauter. »Es ist mir egal, was die anderen machen.«

»Wie stehe ich denn morgen da, wenn alle über den Film sprechen und ich dazu nichts sagen kann?«

Das Gesicht meiner Mutter wird rot. »Du wirst diesen bescheuerten Film nicht sehen und damit basta!«

Wutentbrannt verlasse ich den Tisch und laufe in mein Zimmer. Ich bin sauer auf meine Mutter. Ich bin es leid, von ihr abhängig zu sein. Ich verabscheue die Art, wie sie mir ständig Dinge verbietet, ohne mir dafür auch nur einen sinnvollen Grund zu nennen. Ich weiß auch, dass mein Vater mir sofort erlauben würde, den Film anzuschauen, aber dass er zu feige ist, sich mit meiner Mutter anzulegen. Ich empfinde sie wie einen Hausdrachen, der alle kontrolliert und alleine bestimmt, was bei uns passiert. Ich bin der Einzige in unserer Familie, der sich gegen meine Mutter wehrt, was zu ständigen Streitereien zwischen uns führt. Meine Schwester und mein Vater haben Angst vor Auseinandersetzungen, deswegen geben sie lieber klein bei, statt es sich mit meiner Mutter zu verscherzen. Häufig schlagen sie sich auf ihre Seite, wenn ich ihr widerspreche. Ich fühle mich dann verraten und ausgegrenzt.

Besonders die letzten Jahre zu Hause sind für mich oft unerträglich, und so versuche ich, so wenig wie möglich dort zu sein. Meistens komme ich nur zum Essen in unser Haus und fahre anschließend zu Freunden oder in die Natur.

Ich erlebe auch immer wieder Streit zwischen meinen Eltern, der in der Regel von meiner Mutter begonnen wird. Es braucht sehr lange, bis mein Vater etwas sagt, und meistens gibt er dann nach, damit er wieder seine Ruhe hat. Für mich ist das jedoch ein Scheinfrieden. Ich erlebe immer wieder, dass ich mit meinem Vater wandere und er mir dann gesteht, dass er in vielen Punkten meiner Meinung ist und nicht der meiner Mutter. Wenn wir aber zu Hause sind, behauptet er oft das Gegenteil, wofür ich ihn verachte. Ich konfrontiere ihn immer wieder damit und spreche auch die Machtverhältnisse in unserer Familie offen beim Essen an. Das führt dazu, dass es meiner Familie lieber ist, wenn ich nicht da bin. Ich bin einfach zu unbequem. Ich sage das, was ich denke, und nehme lieber einen Streit in Kauf, als meine Wahrheit zu verraten.

Meine Mutter hat aber auch eine andere Seite. Wenn sie sich einmal überwunden hat, sich mit Nachbarn oder Verwandten zu treffen, genießt sie es sichtlich und blüht richtig auf. Sie beteiligt sich gelegentlich an unseren Wanderungen und Ausflügen und erfreut sich daran, sich an der frischen Luft zu bewegen. Sie interessiert sich für übersinnliche Dinge und liest immer wieder Bücher über okkulte oder esoterische Themen. Wenn wir beide uns gut verstehen, dann sitzen wir gemeinsam stundenlang am Küchentisch und diskutieren über Spiritualität, Bio-Ernährung oder Beziehungen. Bei diesen Themen haben wir oft einen inspirierenden Austausch. Es ist eher der Alltag, in dem wir oft aneinandergeraten, vielleicht auch deshalb, weil wir beide leicht aufbrausend sind.

In meiner Kindheit bin ich oft verträumt. Ich lebe in meiner eigenen Welt, die mir so viel näher ist als die reale Welt. Meine große Leidenschaft ist das Lesen, ich verschlinge unzählige Bücher. Dabei entwickle ich die Fähigkeit, extrem schnell den Inhalt einer Buchseite auf einen Blick zu erfassen. Manchmal frustriert mich meine Schnelligkeit, da ich ein normales Buch oft in einer Nacht zu Ende lese. Deswegen suche ich mir besonders gern dicke Bücher, für die ich etwas länger brauche. Wenn mich eine Geschichte fesselt, gelingt es mir nicht, das Buch wegzulegen, bevor ich es zu Ende gelesen habe. So kommen unzählige durchgemachte Nächte zustande. Da meine Mutter uns zwingt, an Schultagen früh ins Bett zu gehen, lese ich oft heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke weiter. Ich liebe es, in fremde, abenteuerliche und ungewöhnliche Welten einzutauchen, und erlebe diese so, als ob ich ein Teil davon sei. Meine Schwester erzählt mir später, dass ich beim Lesen oft laut lache.

Einmal sind wir zu Besuch bei der besten Freundin meiner Mutter, wir nennen sie nur »Tante Elisabeth«. Auch sie hat drei Kinder, wir kennen uns von klein an. Meine Schwester und ich kommen in das Spielzimmer und spielen mit den anderen. Im selbstgebauten Etagenbett entdecke ich eine Schublade und ziehe sie heraus. Sie ist voll mit Asterix-Comics! Da wir bei uns zu Hause fast nur Bücher haben, ist das hier eine willkommene Abwechslung für mich. Ich tauche sofort in die Welt der Comics ein und bin für die anderen Kinder nicht mehr ansprechbar. Nach anfänglichen erfolglosen Versuchen, mich zum Mitspielen zu bewegen, geben meine Freunde auf. Wie immer bin ich so vertieft in meine Lektüre, dass ich noch nicht einmal merke, dass ich angesprochen werde. Plötzlich reißt mir jemand meinen Asterix-Comic aus den Händen. Mein Vater steht groß über mir.

»Wir sind doch nicht hierhergefahren, damit du die ganze Zeit mit Lesen verbringst! Jetzt spiel endlich mit den anderen Kindern! Sie sind ganz unglücklich, dass du dich nicht um sie kümmerst. Du bist doch nicht allein auf der Welt.« Mit diesen Worten verlässt er das Kinderzimmer.

Ohne zu zögern nehme ich mir wieder meinen Comic und lese weiter. Ich kann einfach nicht unterbrechen. Als ich das Heft beendet habe, bin ich natürlich neugierig, was es hier sonst noch so gibt ... Man kann mich wirklich nur gewaltsam vom Lesen abhalten. Nachdem mein Vater mich noch zwei weitere Mal ermahnt hat, resigniert er. Am Ende habe ich den gesamten Besuch mit Lesen verbracht und kein einziges Mal mit den anderen Kindern gespielt, so sehr bin ich in die Welt der Comics abgetaucht.

Wenn ich nicht lese, dann träume ich. Ich male mir besondere Geschichten in einer anderen Welt aus, in der ich immer die Hauptperson bin. Diese Geschichten sind spannend und lebendig, ich erfinde sie täglich über Jahre hinweg. In ihnen lebe ich als mysteriöser Einsiedler im Wald in einem Baumhaus, habe eine weltweit operierende Armee, die im Untergrund lebt und immer wieder an bestimmten Orten auftaucht, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Ich bin der Anführer eines großen Clans von weißen Affen, die ein spannendes Leben in einer besonderen Gemeinschaft führen.

Auch die Welt der Tiere fasziniert mich sehr. Wir haben Katzen, Wasserschildkröten und Fische zu Hause. Von meiner Mutter übernehme ich die Leidenschaft für Aquarien und beginne, in verschiedenen Becken Barsche zu züchten. Es ist immer wieder ein Wunder für mich mitanzuschauen, wie diese schönen und anmutigen Tiere Eier legen, aus denen dann winzige Fischlein schlüpfen, die in den Mäulern der Eltern Zuflucht suchen. Ich verbringe Stunden damit, in die Welt der Fische einzutauchen und ihnen eine schöne Umgebung aus Kokosschalen, Wasserpflanzen und selbst gesammelten Steinen zu gestalten.

An eine Begebenheit denke ich noch heute besonders gern. Mein Vater und ich machen eine unserer Wanderungen durch den Oberwald, den großen Wald nahe unserem Heimatdorf. Ich bin wie immer mit ihm unterwegs, wir genießen das gemeinsame Laufen und Schweigen. Wir befinden uns in einem Buchenwald mit weit auseinanderstehenden großen Bäumen. Der Boden ist dicht bedeckt mit ihren Blättern. Manchmal halte ich an, um die glatte Rinde der alten Baumriesen anzufassen, die sich wärmer als die Luft anfühlt. Wir kommen an einen Abhang, der aus Felsen und Moos besteht. Dort entdecke ich mehrere kleine bunte Schnecken und große Weinbergschnecken. Den Rest des Nachmittags verbringen wir damit, uns an den Schneckenhäusern mit unterschiedlichen Formen und Farben zu erfreuen. Ich bin fasziniert von diesen Tieren, die so langsam sind und ihr Haus immer dabeihaben. Manchmal ziehen sie sich darin zurück, verschließen die Öffnung und können so lange Zeit ohne jede Nahrung überleben. Mir kommt eine tolle Idee.

»Papi, kann ich die Schnecken mitnehmen? Ich möchte sie zu Hause haben.«

Mein Vater überlegt. »Ich weiß nicht, wo sollen sie denn dort leben? Hier geht es ihnen doch wirklich gut, und niemand stört sie. Bei uns sind viele Menschen und viele Autos.«

»Die Schnecken könnten in unseren großen Garten. Was hältst du davon?«

»Matthias, dort würden sie aber nicht bleiben. Sie würden wegkriechen.«

Jetzt fällt mir leider auch kein Argument mehr ein. Wir wandern zurück nach Hause. Die Schnecken gehen mir aber nicht mehr aus dem Kopf. »Papi, ich habe eine Idee. Wir bauen den Schnecken ein Haus.«

Mein Vater schüttelt den Kopf. »Das ist keine gute Idee. Die Schnecken brauchen die Natur, sie können nicht in einem kleinen Häuschen leben.«

»Dann bauen wir ihnen ein großes Haus, sodass sie ganz viel Platz haben. Bitte!«

»Na gut, wir bauen erstmal eine Hütte für die Schnecken, dann sehen wir weiter.« Wahrscheinlich denkt er sich, dass es gut ist, Zeit zu gewinnen, und dass ich meine Schnapsidee bald wieder vergessen werde. Allerdings habe ich schon ein sehr klares Bild von meiner neuen Schneckenhütte in meinem Kopf. Und wie immer, wenn ich so klare Bilder bekomme, werde ich nicht eher ruhen und rasten, bis auch dieses Wirklichkeit geworden ist!

Eine Woche später bauen mein Vater und ich eine Hütte aus Holzbrettern, in der ich stehen und mich gut bewegen kann. Sorgfältig achte ich darauf, auch kleine Ritzen und Löcher mit Fensterkitt abzudichten, damit die Schnecken nicht flüchten können. Der große Tag ist gekommen – mein Vater und ich fahren mit dem Fahrrad zu dem Schneckenfelsen. Dort sammeln wir etwa zehn Weinbergschnecken und zwanzig bunte Schnecken und legen sie vorsichtig in zwei große, mit Moos gepolsterte Schraubdeckelgläser. Ich freue mich riesig! Aufgeregt fahren wir zu unserer Hütte, um die Schnecken dort auszusetzen. Von nun an sind sie mein neues Hobby. Jeden Tag versorge ich sie mit frischen Kräutern und beobachte, wie sie sich weiter vermehren. Ich veranstalte mit meinen Freunden Schneckenwettrennen, bei denen wir vorher Wetten abschließen, welche der Schnecken gewinnen wird. Das Problem ist nur, dass die eigenwilligen Schnecken sich oft nicht an den vorgegebenen Weg halten und eine andere Richtung einschlagen, sodass wir sie wieder umdrehen müssen. Dennoch haben wir großen Spaß dabei.

Ich kaufe mir ein Buch über die Zucht von Weinbergschnecken und beschäftige mich intensiv mit der Idee, Weinbergschnecken an Gourmetrestaurants zu verkaufen. In aufwendigen Berechnungen kalkuliere ich, wie viel Geld ich mit dieser Arbeit verdienen könnte, und komme auf Tausende von D-Mark, was für einen Jungen in meinem Alter sehr viel Geld ist.

Unsere Familie sitzt am Mittagstisch. Ich möchte meine neuesten Erkenntnisse mit meinem Vater teilen. »Papi, ich habe ausgerechnet, dass ich mit meiner Schneckenzucht sehr viel Geld verdienen kann, wenn ich meine Weinbergschnecken an Restaurants verkaufe. Es ist wirklich genial. Die Schnecken vermehren sich von selbst, und ich muss sie nur zum Restaurant bringen. Wir können uns damit eine Firma aufbauen.«

Mein Vater lächelt. »Das ist eine tolle Geschäftsidee. Weißt du eigentlich, was mit den Weinbergschnecken passiert, nachdem du sie ins Restaurant gebracht hast?«

Ich schüttele den Kopf.

»Sie werden lebendig in Wasser gekocht. Willst du das? Du liebst ja deine Schnecken sehr.«

Ich erschrecke – darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht! Ich bin frustriert, da habe ich eine tolle Idee, die aber für meine Schnecken eine Katastrophe wäre. Betrübt sage ich: »Nein, das will ich natürlich nicht. So ein Mist.«

Mein Vater streichelt mir über den Kopf. »Sei nicht traurig, es gibt noch viele Möglichkeiten, Geld zu verdienen, ohne dass Tiere darunter leiden müssen. Vielleicht können wir lieber deine Schnecken fotografieren und dann die Bilder verkaufen?«

Diese Idee gefällt mir doch gleich viel besser! Und obwohl wir sie nie umsetzen, bin ich für diesen Moment getröstet.

Meine weißen, braunen, gestreiften, bunten, kleinen und großen Schnecken wachsen mir sehr ans Herz. Manchmal denke ich an die Felsen im Wald und frage mich, ob es diesen langsamen Tieren dort besser gehen würde, weil sie in der Natur an der frischen Luft leben können und nicht in einer Holzhütte gefangen sind. Der Gedanke lässt mich nicht mehr los. Eines Tages entscheide ich mich, meine Freunde und ihre zahlreichen Kinder wieder freizulassen. Über Nacht lasse ich die Tür offen. Am nächsten Tag sind alle verschwunden. Seitdem gibt es in unserem Dorf zum Leidwesen der Nachbarn zahllose Schnecken, die es sich in ihren Gärten gutgehen lassen …

Seit ich denken kann, bekomme ich ständig Ideen, die oft außergewöhnlich sind. Es fällt mir leicht, neue Eingebungen umzusetzen, da ich unbewusst daran glaube, dass alles, wovon ich träume, auch machbar ist. Manchmal beginne ich jedoch zu viele Projekte parallel und bin dann mit der Umsetzung aus zeitlichen Gründen überfordert. Erst später lerne ich, jede neue Idee dahingehend zu überprüfen, ob sie zu meiner Lebensaufgabe passt und ob ich die Zeit dafür habe.

Im Alter von 16 Jahren beginne ich, mich für Politik zu interessieren. Mein Vater kauft regelmäßig das Magazin Spiegel, und mit großem Interesse lese ich alles außer Sport und Kultur. Zum ersten Mal beschäftige ich mich mit dem, was in der Welt passiert. Viele kritische Artikel rütteln mich auf. Ich bin schockiert darüber, wie viel Ungerechtigkeit es in der Welt gibt, und frage mich immer wieder, was ich dagegen unternehmen kann.

Während ich mich mit den vielen Missständen auseinandersetze, wird mir klar, dass ich diese niemals als normal akzeptieren werde. Immer wieder male ich mir aus, wie eine Welt aussehen würde, in der es keinen Krieg mehr zur Lösung von Konflikten gibt und in der die Menschen alles dafür tun, ihre Lebensgrundlagen zu schützen.

Mein Vater, meine beiden Geschwister und ich wandern durchs Feld. Wir kommen zum Grebenhainer Grillplatz, einem idyllischen Ort am Waldrand und Bach, an dem oft gezeltet wird. Der ansonsten ruhige Platz ist voll mit Zelten und Menschen. Mein Vater ist neugierig und spricht einen jungen Mann mit gelbem Regenmantel und langen dunkelblonden Haaren an.

»Was macht ihr denn hier?«

»Das hier ist ein Friedenscamp. Wir demonstrieren gegen die Aufrüstung der Amerikaner und die Stationierung von Atomraketen.«

Wir gesellen uns zu den freundlichen jungen Leuten. Ein großer Mann mit dunklen langen Haaren und Vollbart fragt mich, was ich einmal werden möchte.

»Ich will Polizist werden.«

Der Mann sieht mich ernst an. »Das würde ich mir noch mal gut überlegen. Wir haben schon viele friedliche Friedensdemonstrationen veranstaltet. Und es kommt immer wieder vor, dass wir von der Polizei angegriffen werden, die oft brutal mit Schlagstöcken auf uns einprügelt oder uns mit Tränengas oder Wasserwerfern beschießt.«

Ich bin betroffen. »Das wusste ich nicht. Okay, wenn das so ist, dann werde ich auf keinen Fall Polizist.«

Der Beruf des Polizisten hat mich immer sehr angesprochen, da ich ihn mit der Möglichkeit verbunden habe, für Gerechtigkeit sorgen zu können und damit Recht und Gesellschaft vor negativen Kräften zu schützen. Dass aber Polizisten dazu gezwungen werden, gewaltsam gegen Menschen vorzugehen, die sich friedlich für eine bessere Welt einsetzen, schockiert mich.

Das ist meine erste Begegnung mit der Friedensbewegung. Später schließe ich mich einer Gruppe von Straßenmusikern in Fulda an, die in Fußgängerzonen Friedenslieder singt und Flugblätter gegen Aufrüstung verteilt. Wir klären die Bevölkerung über Aufrüstung und die Stationierung von Atomraketen in Deutschland auf, die in Radio, Fernsehen und Zeitungen totgeschwiegen werden. Ich nehme auch an Demonstrationen und Ostermärschen für Frieden und Abrüstung teil. Ich engagiere mich in der Anti-AKW-Bewegung und fahre zu einer Demonstration gegen die Wiederaufarbeitungsanlage im bayrischen Wackersdorf. Dort erlebe ich tatsächlich selbst, wie friedliche Demonstranten von der Polizei plötzlich eingekesselt und zusammengeschlagen werden. Am nächsten Tag lese ich in der Zeitung über die Demonstration, die ich live miterlebt habe: »Vermummte Chaoten greifen Polizisten an. 35 Beamte verletzt.«

Da wird mir zum ersten Mal klar, dass in Medien und Nachrichten oft wichtige Dinge verschwiegen werden oder sogar bewusst gelogen wird.

Ich werde Mitglied bei Greenpeace und Robin Wood und sammele Unterschriften für die Rettung der Wale und den Schutz der Regenwälder. Eine Zeit lang bin ich sogar Mitglied in der DKP, der Deutschen Kommunistischen Partei, und beschäftige mich mit Themen wie Kapitalismuskritik und Sozialismus. Doch auch dort bin ich ein Außenseiter – vor allem aus einem Grund: Als Nichtraucher gerate ich bei den Parteitreffen immer wieder in Streit mit den Rauchern. Ich sehe nicht ein, mich von ihnen vollqualmen zu lassen. Erst, als ich mit meinem Parteiaustritt drohe, vermeiden es die rauchenden Genossen, ihre Zigaretten in unseren Sitzungsräumen anzuzünden, wenn ich dabei bin. Nach ungefähr eineinhalb Jahren merke ich, dass ich mich mit den Werten in der Partei nicht wirklich identifizieren kann und andere Wege finden möchte, mich auf konstruktive Weise für eine bessere Welt zu engagieren.

In politischen Büchern und Magazinen informiere ich mich über den Einfluss der US-Regierung in Südamerika. Besonders Chile. Ein Schwarzbuch, das den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende durch den vom CIA finanzierten Diktator Pinochet und die daraus resultierende Folter und Massenhinrichtungen beschreibt, schockiert und prägt mich sehr. Manchmal falle ich in tiefe Depression angesichts der mir unerklärbaren, grausamen Dinge, die überall auf der Erde geschehen.

In der Schule und auch in meiner Familie stoße ich auf Unverständnis mit meinen Ansichten, die von vielen Menschen als »zu radikal« bezeichnet werden. Es entstehen immer wieder Diskussionen über Politik oder Umweltverschmutzung, sei es in der Schule oder bei meinen Eltern. Damit mache ich mich oft unbeliebt und muss früh die Erfahrung machen, dass sich die meisten Menschen nicht gern mit unangenehmen Dingen beschäftigen, sondern sie lieber verdrängen. Ich kann einfach nicht verstehen, wieso so viele lieber wegschauen, als sich dafür einzusetzen, eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, erst etwas zu verändern, wenn er persönlich betroffen ist?

Ich selbst empfinde es so, dass ich von den Walen im Ozean oder den Baumriesen am Amazonas nicht getrennt bin und dass es meine Verantwortung als mitfühlender Mensch auf dieser Erde ist, mich für sie und unsere Natur einzusetzen.

Auch wenn wir es nicht immer bewusst wahrnehmen, sind wir doch mit allem Leben auf unserer Erde verbunden. Wenn andere Wesen oder Menschen leiden, beeinflusst das auch uns. Ich möchte in einer Welt leben, in der meine Kinder später die Möglichkeit haben werden, Wale oder Amazonasriesen selbst bewundern zu können. Ich sehe es als meine persönliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Naturwunder unserer Erde für uns selbst und alle nachfolgenden Generationen erhalten bleiben.

Zu den Indianern in Nordamerika spüre ich eine besonders starke Verbindung. Ich kaufe mir viele Bücher über sie und lese ihre Gedichte und Sagen. Vor allem ihre Verbundenheit zu Mutter Erde berührt mich sehr. Sie sagen immer wieder, dass wir von unserer Erde nicht getrennt sind und dass ihnen alles Leben, alle Pflanzen und Tiere heilig sind. Ganz genauso habe ich es auch immer empfunden, obwohl ich noch nie jemanden getroffen habe, der das ähnlich erlebt. Ich empfinde mich nicht als getrennt von den Bäumen, den Pflanzen und Tieren, und ich erlebe es so, dass das Leid unserer Erde auch mein Leid ist, dass die Zerstörung unserer Natur und unserer Lebensgrundlagen auch etwas in mir zerstört. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass diese Themen mich mein ganzes Leben beschäftigen und zu meiner Lebensaufgabe führen werden …

Auch wenn wir es nicht immer bewusst wahrnehmen, sind wir doch mit allem Leben auf unserer Erde verbunden.

2EINE LEBENSVERÄNDERNDE BEGEGNUNG

Ich habe mir bis jetzt noch nie Gedanken über Ernährung gemacht. Wie die meisten Menschen esse ich das, was mir am besten schmeckt, und davon große Mengen. Dass es zwischen dem, was wir täglich zu uns nehmen, und unserer Gesundheit einen Zusammenhang geben könnte, ist mir noch nicht bewusst. Meine Eltern sind nahezu Selbstversorger und bauen in ihrem parkähnlichen Garten Gemüse, Obst und Kräuter an. Es gibt dort immer wieder neue Leckereien zu entdecken: süße Zuckererbsenschoten, frische Karotten, süß-aromatische Cherrytomaten, verschiedene Sorten Erdbeeren, Renekloden, Äpfel, Pfirsiche, Birnen, Haselnüsse und Walnüsse. So bekommen wir fast nur das eigene, frische Bio-Essen aufgetischt. Meine Mutter legt dazu auch Vorräte für den Winter an, indem sie Obst einkocht, entsaftet sowie Gemüse und Beeren einfriert. Wir Kinder helfen fleißig mit und pflücken rote, schwarze und weiße Johannisbeeren, Stachelbeeren, Kirschen, Zwetschgen und Mirabellen. Meine Schwester Christiane und ich lieben es auch, zusammen im alten Kirschbaum unserer Oma zu sitzen und uns die Bäuche mit dicken dunkelroten Herzkirschen vollzuschlagen.

Neben unserem selbst angebauten Gemüse und Obst stehen wie bei anderen Familien auch Käse, Wurst, Milchprodukte, Fleisch und Lebensmittel mit Zucker auf dem Speiseplan. Im Gegensatz zu meiner jüngeren Schwester esse ich kaum Süßigkeiten – und habe bis heute noch nie Genussgifte wie Kaffee, Schwarztee, Zigaretten oder Marihuana zu mir genommen.

Ich erinnere mich an eine Situation im Zeltlager unseres Sportvereins, wo es große Töpfe mit Schwarztee für die Kinder gibt. Mir gelingt es einfach nicht, dieses Getränk herunterzubekommen. Einmal bietet mir mein Vater zwei D-Mark dafür, wenn ich es schaffen würde, einen Becher davon zu trinken. Ich verzichte aber lieber auf das Geld ...

Ich bin auch noch nie betrunken gewesen. Bei unseren großen Familienfesten, zu denen oft mehr als 50 Verwandte eingeladen sind, wird wenig Alkohol getrunken und nicht geraucht.

Ich wachse also ziemlich gesund auf, liebe es aber, Fleisch zu essen. An meiner Konfirmation verzehre ich zehn kleine Schnitzel, Gemüse, Kroketten und sechs Desserts und spiele direkt danach stundenlang Fangen mit den anderen Kindern, die erfolglos versuchen, mich einzuholen. Obwohl ich so viel esse, bin ich im Vergleich zu den anderen Jungs in meinem Alter klein und schmächtig, besitze dafür aber viel Energie und Ausdauer.

Heute ist ein besonderer Tag. Ich weiß noch nicht, dass etwas geschehen wird, was mein Leben für immer verändert ...

Ich lehne an einem großen, alten Ahornbaum in der Nähe meiner Schule und genieße die Wärme des Frühsommers. Etwa drei Meter entfernt von mir setzt sich ein sportlicher Mann mit kurzen, braunen Haaren und weißem T-Shirt ins Gras. Er lächelt mir zu, holt ein weißes Büchlein aus seiner Leinentasche und beginnt darin zu lesen. Seine besondere Ausstrahlung weckt meine Neugier, deswegen kann ich es nicht verhindern, ihn immer wieder zu beobachten. Sein Gesicht ist wach und offen. Er wirkt sehr gesund und macht den Eindruck, als ob er mit sich und der Welt im Reinen ist. Nach einer Weile hört er auf zu lesen und schaut mich direkt an.

Ich erwidere seinen Blick. »Was lesen Sie da Interessantes?«

»Ein Buch über Ernährung.« Seine Stimme hat einen weich-melodischen Klang.

»Ist das Buch gut?«

Der Mann nickt. »Ja, sehr. Ich denke, dass es jeder lesen sollte, denn dann würde die Welt ganz anders aussehen. Möchtest du es dir anschauen?«

Ich nicke ihm zu. Er springt auf, kommt zu mir und setzt sich neben mich. Es geht ein angenehm frischer Geruch von ihm aus. Er gibt mir das Büchlein. »Schau es dir gern in Ruhe an. Ich habe Zeit.«

Ich lächle ihm zu und beginne, darin zu blättern. Es geht um den Verzehr von Fleisch, Milchprodukten, Fisch, Eiern, Weißmehl und raffiniertem Zucker.

Der Mann schaut mich mit seinen warmen Augen an. »Wenn du möchtest, dann erzähle ich dir, worum es in dem Buch geht.«

Meine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. »Ja, gern!«

Er räuspert sich. »Der Autor dieses Buches, ein Arzt, hat sein ganzes Leben lang den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit erforscht. Er fand heraus, dass es Lebensmittel gibt, die ein langes Leben in perfekter Gesundheit fördern, und andere, die genau das Gegenteil tun. Sie machen unseren Körper schwach und krank. Leider weiß fast niemand um diese Zusammenhänge. Deswegen gibt es auch so viele Krankheiten in unserem Land.« Er zieht seine Augenbrauen hoch. »Wie sieht es bei dir aus? Was weißt du über Ernährung?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich habe mich damit bisher noch nicht beschäftigt. Welche Ernährung ist denn die beste für den menschlichen Körper?«

»Nun, der Buchautor hat herausgefunden, dass Menschen, die sich rein pflanzlich und natürlich ernähren, am gesündesten sind und die längste Lebenserwartung haben.«

Ich bin überrascht. »Woran liegt das? Die meisten Menschen, die ich kenne, sind davon überzeugt, dass es gesund ist, Fleisch, Milch und Käse zu essen.«

»Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Natürliche Pflanzennahrung aus biologischem Anbau ist nicht nur in der Lage, den Körper zu entgiften und mit allen wichtigen Nährstoffen zu versorgen, sie besitzt auch die höchste Lebensenergie, die wir beim Essen direkt aufnehmen. Sie fördert außerdem eine gesunde Verdauung, die essenziell für alle Körperfunktionen ist. Sie hat unzählige Vorteile, nicht nur für uns Menschen, sondern auch für die Tiere, die nicht mehr geschlachtet werden müssen.«

Der Mann scheint sehr überzeugt von dieser Form der Ernährung zu sein, das merke ich an der Leidenschaft, mit der er davon spricht. Ich genieße es, mich mit jemandem zu unterhalten, mit dem so ein anregender Austausch möglich ist.

Er steht abrupt auf. »Ich würde gern noch länger mit dir sprechen, aber ich muss jetzt leider los. Es war schön, dich kennenzulernen.«

»Warte«, sage ich. »Ich würde zu gern noch mehr über dieses Thema erfahren!«

Er überlegt kurz. »Weißt du was? Ich schenke dir das Buch. Du brauchst es mehr als ich. Ich gebe es dir aber nur unter einer Bedingung.«

Fragend schaue ich ihn an.

»Versprich mir, dass du es wirklich liest und dich damit beschäftigst, denn es ist mir sehr wichtig.«

»Ich verspreche es«, antworte ich. »Noch heute werde ich es durchlesen.«

»Das freut mich. Es ist kein Zufall, dass wir beide uns begegnet sind. Mein Name ist übrigens Frank.«

»Ich heiße Matthias. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!«

Frank lächelt mich an. »Wahrscheinlich nicht. Ich bin nur zu Besuch hier. Jetzt muss ich aber wirklich los. Alles Liebe für dich.«

Wir verabschieden uns mit einem kurzen Handschlag.

Ich fühle, dass gerade etwas Besonderes passiert ist, was ich noch nicht so richtig fassen kann. Doch erst mal geht es jetzt von Lauterbach nach Grebenhain – die 25 Kilometer mit dem Fahrrad durch den Vogelsberg mit durchgehender Steigung sind mir egal. Ich kann es kaum erwarten, dieses besondere Büchlein zu lesen!

Zu Hause angekommen, habe ich einen Mordshunger und verschlinge zwei große Teller Mittagessen, das nicht ganz dem entspricht, was Frank empfohlen hat. Meine Mutter hat eines meiner Lieblingsessen zubereitet: Kartäuserklöße mit Weinschaumsoße, was zwar vegetarisch ist, aber nach Aussage meiner Mutter mit Weißmehlbrötchen, Kuhmilch und Zucker zubereitet wurde.

Danach schwinge ich mich wieder auf mein Rad, um zu meinem Lieblingsplatz zu fahren. Auf einer Blumenwiese am Waldrand, die sich um mehrere Apfelbäume herum erstreckt, breite ich meine Decke aus. Ich ziehe meine kurze Hose und mein Top aus. Hier kann ich nackt sein, weil sich selten jemand dorthin verirrt. Die Sonne wärmt meine Haut, Bienen und andere Insekten summen umher, zwei Bussarde ziehen langsam am Himmel ihre Kreise, um nach Beute zu suchen. Ein perfekter Ort, um mich inspirieren zu lassen.

Aufgeregt ziehe ich das weiße Büchlein aus meinem Rucksack und beginne zu lesen. Darin wird genau beschrieben, wie schädlich sich der Verzehr von tierischen Produkten und isolierten Kohlenhydraten auf den menschlichen Körper auswirkt. Danach werden die Vorzüge einer veganen, rein pflanzlichen Ernährung vorgestellt, am Ende gibt es verschiedene Ernährungstipps. Fasziniert lese ich jede Seite genau durch. Zwischendurch lege ich das Buch immer wieder beiseite, schaue in den blauen Himmel und denke über diese neuen Erkenntnisse nach. Wenn es wirklich stimmt, was dort steht, dann befindet sich die Menschheit auf einem gigantischen Irrweg. Wieso sind diese Informationen nicht bekannter? Wie kann es sein, dass Menschen lauter ungesunde Dinge essen, ohne es zu wissen? Der Autor beschreibt genau, warum Fleisch, Eier, Fisch und Milchprodukte den Körper übersäuern, was wiederum zu Ablagerungen und Verschlackungen führt. Er erklärt, warum Milchprodukte nicht für uns Menschen gemacht sind, und dass Fleisch viel zu lange im menschlichen Darm verweilt, dort verwest und giftige Substanzen sowie Fäulnisbakterien produziert. Er behauptet sogar, dass tierische Produkte und denaturierte Lebensmittel verantwortlich für fast alle Krankheiten seien, die wir in unserer Gesellschaft kennen. Er hat Völker besucht, die sich natürlich und pflanzlich ernähren, und die daher weder Krebs noch Herzinfarkt, Diabetes oder Rheuma kennen.

Ich überlege. Auf mich hat meine bisherige Ernährung keinen schlechten Einfluss gehabt. Ich bin gesund und habe eine außergewöhnlich gute körperliche Kondition. Das passt irgendwie nicht ganz zusammen. Zeigen sich die gesundheitlichen Probleme möglicherweise erst später, wenn die Menschen älter werden und schon lange minderwertige Lebensmittel zu sich genommen haben? Nachdem ich das Büchlein zu Ende gelesen habe, liege ich noch lange mit geschlossenen Augen auf meiner Decke im Gras. Es arbeitet intensiv in mir. Was soll ich jetzt tun? Ich denke an Frank und seine besondere Aura - er hat auf mich ausgesprochen zentriert und gesund gewirkt. Alles, was er gesagt hat, ergibt für mich wirklich Sinn. Ich spüre, dass ich ihm vertraue. Dennoch taucht in mir die Frage auf, ob in dem Buch vielleicht nicht die Wahrheit steht. Ich höre in mich hinein - nein, es muss genauso sein! Und ich sollte Frank begegnen, damit er mir sein kostbares Buch schenkt. Ich atme tief durch. Meine Entscheidung ist getroffen. Ab heute werde ich meine Ernährung ändern und den Empfehlungen dieses besonderen Büchleins folgen! Ich habe zwar noch keine Ahnung, wie ich das umsetzen soll oder wie meine Eltern darauf reagieren werden, aber es wird sich alles klären, das weiß ich. Ich freue mich schon darauf, mich von jetzt an vegan zu ernähren!

Natürliche Pflanzennahrung aus biologischem Anbau ist nicht nur in der Lage, den Körper zu entgiften und mit allen wichtigen Nährstoffen zu versorgen, sie besitzt auch die höchste Lebensenergie, die wir beim Essen direkt aufnehmen.

Zu Hause zeige ich meiner Mutter mein Geschenk und teile ihr meine Entscheidung mit. Ich hoffe, dass sie auch Interesse hat, sich mit pflanzlicher Ernährung zu beschäftigen.

Ihre Reaktion ist verhalten. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es gesund ist, auf tierische Produkte zu verzichten. Würden dann nicht wichtige Nährstoffe in deinem Essen fehlen?«

Eifrig sage ich: »Vielleicht bekommt man durch die pflanzliche Vollwertkost sogar noch mehr Nährstoffe. Möchtest du das Buch auch lesen? Es wäre bestimmt auch interessant für dich.«

Meine Mutter zögert. »Gut, ich schaue es mir an. Allerdings werde ich noch mehr Arbeit haben, wenn du jetzt auf einmal anders isst als wir. Hast du darüber nachgedacht?«

Ich bin immer noch ganz aufgeregt. »Vielleicht können wir uns ja alle so ernähren!«

Meine Mutter bleibt skeptisch. »Warte erst mal ab. Dafür brauchst du andere Lebensmittel. Wo willst du die herbekommen?«

»Das finde ich schon heraus. Da gibt es bestimmt irgendwo eine Möglichkeit.«

Sie verzieht unwillig ihr Gesicht. »Du weißt ja noch gar nicht, ob du auch dabeibleiben wirst.«

»Doch Mami, ich ziehe das auf jeden Fall durch, komme, was wolle!«

Ich will meine neue Entscheidung unbedingt umsetzen, auch wenn es sonst niemanden gibt, der sich so ernährt. Ich werde einen Weg finden!

An diesem Abend esse ich Brot, Möhren, Haselnüsse und als Nachtisch eine Banane. Das gefällt mir ganz gut, ich fühle mich leicht und bin froh, meinen Entschluss direkt in die Tat umgesetzt zu haben. Ich beschäftige mich weiter mit meinem neuen Zauberbüchlein. Was wird künftig alles zu meiner Ernährung dazugehören? Im hinteren Buchteil werden Lebensmittel empfohlen: Gemüse, Obst, Getreide, Nüsse, Ölsaaten, Hülsenfrüchte und Kräuter. Ich überlege, was ich bisher hauptsächlich gegessen habe. Zum Frühstück gibt es meistens Graubrot mit Käse oder Wurst, manchmal auch Milch mit Müsli. Unser Mittagessen ist meistens abwechslungsreich, da meine Mutter sehr gern und gut kocht. Da gibt es Gerichte wie Nudeln mit Tomatensoße und Schinkenstückchen, Frikadellen mit Kartoffeln und Gartengemüse oder Kartoffelauflauf mit Speck, der mit Käse überbacken ist. Als Nachtisch gibt es Eis, Pudding, Früchte der Saison wie Erdbeeren aus unserem Garten oder eingekochtes Obst aus dem Glas. Abends essen wir meistens Brot mit Wurst oder Käse, dazu gibt es eingelegte Gewürzgurken und Reste vom Mittag.

Ich frage mich, wie mein Essen wohl aussehen würde, wenn ich alles weglassen würde, was nicht vegan oder vollwertig ist. Gedanklich nehme ich mir jedes einzelne Gericht vor, das ich kenne. Bei Spaghetti mit Tomatensoße könnte ich nur die Tomatensoße essen, da die Spaghetti aus Weißmehl hergestellt werden. Die Kartäuserklöße bestehen aus hellen Brötchen, die kommen also auch nicht in Frage. Die Weinschaumsoße wird wahrscheinlich aus Milch gemacht. Den Speck will ich nicht aus dem Kartoffelauflauf rauspuhlen. Und die Soße dazu besteht wahrscheinlich auch wieder aus Milchprodukten. Wenn ich es mir recht überlege, wird wohl nicht viel übrigbleiben, was ich dann noch zu mir nehmen kann. Unsicherheit beschleicht mich. Was wäre, wenn ich nicht satt werden würde? Gibt es vegane Alternativen, die auch satt machen?

Am nächsten Morgen spreche ich noch einmal mit meiner Mutter. »Mami, meine Entscheidung ist gefallen. Ab heute bin ich Veganer, und ich werde es auch bleiben. Ich bin überzeugt davon, dass es gesünder ist, und dir würde es bestimmt auch guttun.«

Meine Mutter verzieht ärgerlich das Gesicht. »Wie stellst du dir das vor? Was willst du dann essen? Die meisten Gerichte, die du liebst, und auf die du dich immer freust, kannst du dann vergessen. Lass doch die Spinnerei.«

Ihre Worte regen mich auf. »Ich werde andere Gerichte finden, und wenn ich sie mir selbst machen muss.«

Sie stemmt ihre Hände in die Hüften. »Du machst dir gar nichts selbst. Das ist meine Küche, und hier bestimme ich. Mir reicht schon das Chaos in deinem Zimmer. Kommt überhaupt nicht in Frage!«

Wir sind zwei Hitzköpfe, die immer wieder aneinandergeraten. Meine Reaktion kommt prompt: »Du hast mir gar nichts zu sagen! Ich freue mich schon darauf, wenn ich meine eigene Wohnung habe. Dann kann ich endlich machen, was ich will!«

Ihre Stimme wird lauter. »Aber jetzt wohnst du noch hier, und du hast dich an unsere Regeln zu halten. Du machst dir kein eigenes Essen in meiner Küche.«

»Dann machst du es mir eben. Verhungern will ich nicht.«

»Das werden wir noch sehen. Jetzt mach dich endlich fertig, du kommst schon wieder zu spät zur Schule.«

In diesem Moment kommt mein Vater in die Küche. »Warum streitet ihr schon wieder?«

Meine Mutter atmet hörbar aus. »Dein Sohn hat schon wieder einen neuen Spleen. Er will jetzt Veganer werden. Vielleicht kannst du ihn ja von dieser Schnapsidee abbringen.«

Mein Vater lächelt. »Jetzt reg dich nicht auf. Das hört sich ganz interessant an. Warte doch erst mal ab. Vielleicht überlegt Matthias es sich ja noch mal.«

Ich zeige ihm das Buch. »Schau mal, das hat ein Arzt geschrieben. Er erklärt, warum es viel gesünder ist, sich rein pflanzlich und natürlich zu ernähren.«

Mein Vater nimmt es in die Hand und blättert darin. »Heute Abend können wir in Ruhe darüber sprechen. Jetzt musst du aber wirklich los!«

Nach der Schule besuche ich meine Oma, die in der Nähe des Gymnasiums wohnt. Sie erzählt mir, dass es in der Stadt einen neuen Laden gebe, den sie etwas abfällig als »so ein Ökoladen« bezeichnet. Ich werde hellhörig. Das ist ein Zeichen! Da muss ich unbedingt hin. Ich gehe sofort los und brauche etwas länger, um ihn zu finden. Er befindet sich in einer kleinen Seitengasse in der Altstadt, wo es sonst keine Geschäfte gibt. Die eine Hälfte der alten, doppelflügeligen Holztür steht offen, ich trete neugierig ein. Der Geruch von frisch gebackenem Brot und alten Holzregalen schlägt mir entgegen. Der kleine Raum ist umgeben von dicken, weiß gestrichenen Steinmauern. Unter einer hohen, gewölbten Decke steht links eine alte Kasse auf einem Podest, daneben liegen in einem mit weißem Tuch ausgelegten Bastkorb frische Brötchen und Brot aus Vollkorn. Etwas weiter entdecke ich ein Holzregal mit Möhren, Rote Beete, Kartoffeln, Äpfeln und Kopfsalat. Das Gemüse und das Obst scheinen sich schon etwas länger dort zu befinden, denn alles sieht etwas schrumpelig aus. Geradeaus steht ein großes Holzregal mit kleinen durchsichtigen Tüten, in denen verschiedene Sorten Getreide, Bohnen, Nüsse, Ölsaaten und Trockenfrüchte abgefüllt sind. Ich trete näher. Außer mir befindet sich niemand in dem Laden. Auf dem Boden stehen braune Glasflaschen, auf denen »Sojamilch« steht. Ob die wohl so ähnlich wie Milch schmeckt? Mein Blick wandert zu verschiedenen Schraubdeckelgläsern in einem Regal. Auf einem steht »Nuss-Paprika-Aufstrich«, auf einem anderen »Curry-Linsen-Paste«. Ich denke mir, dass diese Aufstriche wahrscheinlich anstelle von Käse oder Wurst verwendet werden können.

Plötzlich ertönt hinter mir ein lautes »Guten Tag«. Erschrocken zucke ich zusammen und drehe mich reflexartig um. Ein kleiner, etwas dicklicher Mann mit braunen Haaren und Nickelbrille grinst mich an. »Kann ich dir weiterhelfen?«, fragt er mich freundlich.

»Ja, gern. Ich bin gerade Veganer geworden und weiß noch nicht, was ich anstelle von Fleisch und Käse essen kann.«

Er nickt eifrig. »Das ist kein Problem. Ich kann dir viele Tipps geben. Kennst du schon mein Brot? Das habe ich heute frisch aus selbstangebautem Dinkel gebacken.«

Erstaunt nicke ich. »Bist du Landwirt?«

»Ja, ich bin Bioland-Landwirt und habe erst vor zwei Wochen diesen Laden aufgemacht.«

»Was für ein toller Zufall!« Ich zeige ihm mein neues Buch.

Er blättert darin und gibt es mir zurück. »Das ist wirklich interessant. Das schaue ich mir bei Gelegenheit näher an.«

Er stellt sich mir als Karl-Heinz vor. Später erfahre ich, dass er nicht nur Bauer, sondern auch Künstler ist und Ausstellungen organisiert. Er erklärt mir, welche leckeren Gerichte man aus Getreide zaubern kann, wie man sein eigenes Brot backt und sich auch Brotaufstriche aus Linsen oder Grünkern machen kann. Auf meinen fragenden Blick hin erklärt er mir, dass Grünkern ein Getreide sei, das aus Dinkel, einem »Urweizen«, gewonnen wird, indem man es frühreif erntet und über Buchenrauch trocknet. Dadurch besitzt es einen herzhaft rauchigen Geschmack.

Ich verabrede mich mit Karl-Heinz, am nächsten Tag wiederzukommen, wenn ich Geld dabeihabe. Er schenkt mir zwei Jutetaschen mit Friedenstaube-Aufdruck und ein Dinkel-Vollkornbrötchen, das ich, ausgehungert wie ich schon wieder bin, sofort verschlinge. Es schmeckt ganz anders als alle Brötchen, die ich bislang gegessen habe! Es hat eine feste Konsistenz, da es aus grob geschrotetem Dinkel besteht und deswegen nur leicht aufgegangen ist. Es schmeckt nussig und leicht süßlich. Beim Kauen habe ich das Gefühl, dass mich das kernige Brötchen mit frischer Energie versorgt. Überglücklich verlasse ich den kleinen rustikalen Bioladen, ich bin begeistert und dankbar, eine Möglichkeit gefunden zu haben, vegane Bio-Lebensmittel einzukaufen. Und das habe ich ausgerechnet meiner Oma zu verdanken!

Als ich mit meinen Eltern und meinen beiden Geschwistern am Abendbrottisch sitze, erzähle ich ihnen vom Bioladen in Lauterbach. »Es ist so toll da! Allein der leckere Geruch und das Dinkelbrot, das Karl-Heinz aus seinem eigenen Getreide backt! Dort gibt es auch Milch aus Soja und viele andere vegane Sachen. Kann ich mir ab jetzt mein Essen dort kaufen?«

Meine Mutter ist weiterhin skeptisch. »Das ist bestimmt teuer. Das können wir uns nicht leisten.«

Mein Vater wendet sich mir zu. »Wie viel kosten denn die Sachen dort?«

»Ich weiß es nicht, ich habe nicht auf den Preis geachtet.«

Diesmal trifft mein Vater die Entscheidung, was ja eher ungewöhnlich ist. »In Ordnung, ich gebe dir für morgen Geld mit, und dann kaufst du dir erst mal das, was du brauchst.«

»Danke, Papi!« Ich umarme ihn glücklich.

Der kleine Bioladen in Lauterbach ist ab jetzt mein neuer Lieblingsort. Ich bin fast jeden Tag dort und rede oft lange mit Karl-Heinz. Da selten andere Kunden kommen, haben wir viel Zeit. Der einzige Nachteil ist, dass der Laden ein ganzes Stück vom Gymnasium entfernt liegt. Ich brauche ungefähr zehn Minuten, um dort hinzulaufen, und dann wieder zehn Minuten zurück. Meistens besuche ich den Bioladen jeden zweiten Tag in der langen Pause, die genau zwanzig Minuten lang ist, aber natürlich reicht das nicht aus. So komme ich meistens eine halbe Stunde zu spät zum Englischunterricht, der sich an die lange Pause anschließt.

Mein typischer Bio-Einkauf läuft immer so ab: Ich renne so schnell ich kann zu Karl-Heinz‘ Laden, fülle die Jutetaschen mit meinen Einkäufen, tausche Neuigkeiten mit Karl-Heinz aus und laufe dann schwerbeladen zurück zur Schule. Es ist mir äußerst unangenehm, mitten in den Englischunterricht hineinzuplatzen, aber ich habe keine andere Wahl. Als ich die Tür zum Klassenzimmer öffne, sind alle Augen auf mich gerichtet. Es ertönen abfällige Rufe:

»Matthias schon wieder!«

»Dieser Öko!«

»Das nervt!«

Ich gehe wie durch ein Spalier durch die Mitte der Sitzreihen und wünsche mir, im Erdboden zu versinken.

Meine Englischlehrerin schaut mich vorwurfsvoll an. »Warum bist du schon wieder so spät?«

»Ich war im Bioladen einkaufen. Obwohl ich mich beeilt habe, ging es einfach nicht schneller.«

So oder ähnlich wiederholt sich diese Geschichte jede Woche. Das drückt sich dann bei der Zeugnisvergabe aus. Als ich aufgerufen werde, um meine Englischnote zu erfahren, sagt die Lehrerin: »Matthias, dein Englisch ist wirklich gut. Normalerweise würde ich dir eine 2 geben. Da du allerdings nur die Hälfte der Unterrichtszeit anwesend warst, bekommst du aber eine 4. Schade.«

Ich bin enttäuscht, denke mir aber: Egal, es hat sich absolut gelohnt. Ich habe mir immer die leckersten Bio-Lebensmittel gekauft, und das ist es mir wert.

Einige Wochen, nachdem ich den kleinen Bioladen das erste Mal entdeckt habe, spricht Karl-Heinz mich an: »Hast du Lust, bei mir auszuhelfen? Ich habe alle Hände voll mit der Landwirtschaft zu tun und brauche dringend Unterstützung.«

Ich strahle. Das ist die beste Idee, die ich seit langer Zeit gehört habe! »Super gern. Wann soll es losgehen? Und welche Zeiten schweben dir vor?«

»Samstag und die Nachmittage wären klasse. Schau einfach, wie es dir passt.«

Von da an arbeite ich ein- bis zweimal in der Woche im Bioladen und erhalte dafür die Bio-Lebensmittel deutlich günstiger. Wir haben also beide etwas von unserer neuen Abmachung – Karl-Heinz wird entlastet, und ich spare Geld und kann noch mehr über Naturkost lernen. Alle Zutaten für meine neue Ernährung kaufe ich fortan dort ein.

Mein Vater gibt mir das Geld dafür, was sehr großzügig von ihm ist. Er integriert mein selbstgemischtes Müsli in sein Frühstück und probiert auch von den Aufstrichen, die ich von Karl-Heinz mitbringe. Meine Mutter und meine Geschwister sind eher zurückhaltend, kosten manchmal aber auch von meinen neuen Kreationen.

Obwohl meine Mutter von meiner neuen Ernährungsweise noch nicht überzeugt ist, gelingt es mir, sie dazu zu überreden, mittags veganes Essen extra für mich zuzubereiten. Wenn es Frikadellen gibt, dann macht sie mir einen Grünkernburger. Wenn die anderen Nudeln aus Weißmehl essen, macht sie mir extra Dinkel-Vollkornnudeln. Manchmal klagt sie über diesen zusätzlichen Aufwand, aber ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie es mir damit ermöglicht, mich pflanzlich und biologisch zu ernähren.

Bei unseren gemeinsamen Mahlzeiten gibt es immer wieder heiße Diskussionen über die richtige Ernährung, die meist von mir initiiert werden. Meine Eltern besitzen die Offenheit, über meine Vorschläge zu reflektieren und neue Dinge auszuprobieren, was ich ihnen hoch anrechne. Meine Mutter beginnt sogar damit, die Naturkostzeitung Schrot und Korn zu studieren, die ich immer mitbringe. Mehr und mehr öffnet sie sich für die vegane Vollwertküche und probiert auf meine Anregung immer mal wieder neue Rezepte aus.

Stück für Stück erarbeite ich mir die Welt der veganen Küche und lerne, selbst zu kochen und unterschiedliche Gerichte zuzubereiten. Ich backe Brot und Kuchen mit Vollkornmehl und Vollrohrzucker, mache selbst Sauerkraut, kreiere eigene Brotaufstriche und entdecke die Welt der Wildkräuter, die ich in der Natur sammle und aus denen ich leckere Salate mache. Ich lerne, wie man Sojamilch und Tofu selbst herstellt und experimentiere mit immer neuen Zutaten.

Meine Mutter findet es nach wie vor nicht gut, dass ich so häufig in der Küche bin, da sie es immer gewohnt war, allein dort zu sein und ihre eigene Ordnung zu haben. Ich gerate immer wieder mit ihr aneinander. Ich kann nur schlecht Ordnung halten, und meine Mutter ärgert sich, wenn die Dinge nicht genau an dem Platz stehen, wo sie hingehören. Wenn ich neue Rezepte ausprobiere, bin ich so begeistert, dass ich den jeweils nächsten Schritt der Zubereitung kaum abwarten kann. Ich räume die Küchenutensilien und Lebensmittel, die ich gerade benutzt habe, nicht weg, sodass nach kurzer Zeit Tisch und Küchenzeile vollgestellt sind. Meine Mutter verbietet mir irgendwann, weiterhin ihre Küche zu benutzen.

Einmal fährt meine Familie nach dem Mittagessen zum Einkaufen nach Lauterbach. Ich komme nicht mit, da ich andere Pläne habe. Ich warte darauf, bis die Tür ins Schloss fällt und renne in die Küche. Einer der seltenen Momente, an dem meine Mutter nicht zu Hause ist und ich die Küche endlich für mich habe! Ich habe vor, einen Vollkorn-Dinkel-Apfelkuchen zu backen. In meinem Kopf hat sich schon eine deutliche Vision von knusprigen Streuseln aus Haferflocken geformt, die ich jetzt umsetzen will. Kochen und Backen sind für mich wie ein kreativer Akt, ich liebe es, eine Vorstellung von einem neuen Gericht Realität werden zu lassen. Ich wirble und rühre – der Apfelkuchen wird wundervoll, noch besser, als ich es erwartet habe. Ich freue mich riesig. Diesmal tue ich alles dafür, dass sich meine Mutter nicht aufregt. Ich räume alles auf, wische die Flächen, wasche das benutzte Geschirr ab und stelle Gewürze und Zutaten wieder an ihren Platz.

In dem Moment kehren die anderen vom Einkauf zurück. Mein Vater erscheint als Erster in der Küche. »Hmmh, hier riecht es aber gut! Darf ich von dem Apfelkuchen probieren?« Bevor ich antworten kann, folgt ihm meine Mutter. Sie runzelt ihre Stirn und sagt kein Wort. Ich sehe ihr an, dass sie richtig sauer ist. Dennoch bin ich glücklich, es ist mir einfach unglaublich wichtig, meiner Kochleidenschaft zu folgen – auch, wenn dies Streit mit meiner Mutter hervorruft. Was wir alle damals noch nicht wissen: Aus dieser Leidenschaft wird später mein Beruf, ich bin 17 Jahre lang als reisender veganer Seminarkoch unterwegs.