Religion für Einsteiger - Burkhard Weitz - E-Book

Religion für Einsteiger E-Book

Burkhard Weitz

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Beschreibung

Macht Gott auch das Wetter? Manche religiösen und ethischen Fragen haben es in sich. Fragen,vor denen selbst Fachleute kneifen oder die sie mit schnellen Antworten abzuhaken versuchen. Dieses Buch, geschrieben von erfahrenen Theologen der chrismon-Redaktion, weicht keinem Thema aus. Mit Lust an der Kontroverse geht es Fragen nach, die zum Beispiel zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Männern und Frauen oder zwischen Schultheologen und Esoterikern umstritten sind.

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Seitenzahl: 320

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Religion für Einsteiger

Eduard Kopp · Reinhard Mawick · Burkhard Weitz

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagfoto:

Anja Lehmann

Gestaltung und Satz:

Kristin Kamprad, Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH

1. digitale Auflage:

Zeilenwert GmbH 2014

Religion für Einsteiger

© Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH, Frankfurt am Main 2010

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist ohne schriftliche Einwilligung des Verlags unzulässig.

ISBN 9783869211497

Inhalt

COVER

TITEL

IMPRESSUM

VORWORT

GLAUBEN UND MODERNES DENKEN

Glaube ohne Kirche – geht das?

Woran merke ich, dass ich glaube?

Erzählt die Bibel lauter Mythen?

Hat Darwin recht?

Gibt es Wunder?

Macht Gott auch das Wetter?

Hat Gott alles vorherbestimmt?

Wie viel Zweifel verträgt der Glauben?

Was ist eine Sekte?

Was ist religiöser Fundamentalismus?

GESCHICHTE UND OFFENBARUNG

Hat Gott Eltern?

Gab es im Paradies keine Sünden?

Sind wir von Geburt an Sünder?

Wie wird man Messias?

Die Zehn Gebote – wo kommen sie her?

Wie arbeiten eigentlich Propheten?

War Maria eine Jungfrau?

War Jesus ein gesetzestreuer Jude?

Was wäre das Christentum ohne das Kreuz?

Wer ist schuld am Tod Jesu?

Ist Jesus von den Toten auferstanden?

Werden nur Christen erlöst?

Gibt es Zufälle in der Bibel?

ETHIK UND MORAL

Darf man sich selbst töten?

Ist Sex vor der Ehe erlaubt?

Dürfen sich Christen scheiden lassen?

Sind Christen körperfeindlich?

Seid fruchtbar und mehret euch – gilt das noch?

Rein, unrein – was bedeutet das?

Sind Christen zur Gewaltlosigkeit verpflichtet?

Was halten Christen von der Todesstrafe?

Ist Ehre ein religiöses Wort?

Was ist das Gewissen?

Was ist Schuld?

Gibt es Gnade ohne Reue?

Was ist eine Sünde?

Ist Reichtum ein Handikap?

Müssen Christen Verzicht üben?

Demut – eine überholte Tugend?

Soll man Bettlern helfen?

Mit der Bibel Politik machen?

Müssen Christen bessere Menschen sein?

GOTTESERFAHRUNGEN

Kann man glauben lernen?

Was ist Erlösung?

Ist Gott eine Frau?

Ist Gott kinderlieb?

Ist Gott allmächtig?

Muss man Gott fürchten?

Warum reden Christen so viel vom Opfer?

Ist Gott für das Böse verantwortlich?

Führt uns Gott in Versuchung?

Was ist Rechtfertigung?

Geht es nicht auch ohne Gnade?

Können Christen und Muslime miteinander beten?

Glauben alle an denselben Gott?

GEMEINDELEBEN

Wem gehört der Sonntag?

Muss man sonntags zur Kirche gehen?

Was passiert bei der Taufe?

Besser mit der Taufe warten?

Wer kann Pate werden?

Brauchen Kinder Gott?

Ist die Bibel zu grausam für Kinder?

Warum zur Konfirmation?

Was essen wir beim Abendmahl?

Warum ist das gemeinsame Abendmahl so wichtig?

Was geschieht beim Segen?

Beichte – für Protestanten überholt?

Was ist ein Sakrament?

Darf man zu Maria beten?

Wofür sind Heilige gut?

Was kann man für die Toten tun?

Ist Mission überholt?

Was geschieht beim Kircheneintritt?

Gibt es für Christen nichts zu lachen?

Werden wir alle auferstehen?

Sehen wir uns im Jenseits wieder?

Was ist heilig an der Kirche?

Wie alt ist die katholische Kirche?

Was soll der Zölibat?

Ein Papst für alle Kirchen?

BRAUCHTUM UND TRADITION

Haben wir Schutzengel?

Weihnachtsmann und Christkind – sind sie Rivalen?

Wer ist der Teufel?

Was ist in der Hölle los?

Ist Halloween ein gefährliches Fest?

ESOTERIK UND MYSTIK

Wiedergeburt – ein Tabu für Christen?

Gibt es Zufälle?

Heilung durch Handauflegen – für Christen akzeptabel?

Ist Mystik nur eine Mode?

Haben Tiere eine Seele?

KIRCHLICHE FESTTAGE

STICHWORTVERZEICHNIS

Vorwort

Wie wird man Messias? Macht Gott auch das Wetter?

Sind Christen körperfeindlich? Glaube ohne Kirche – geht das?

Manche religiöse Fragen scheinen leicht zu beantworten zu sein. Aber steigt man näher ins Thema ein, zeigt sich oft: Diese Fragen haben es in sich. Die Texte dieses Buches sind hervorgegangen aus der Serie „Religion für Einsteiger“ des evangelischen Magazins chrismon. Geschrieben wurden sie von drei erfahrenen Theologen der Redaktion. Mit Lust an der Kontroverse gehen sie Fragen nach, die Leserinnen und Leser an die Redaktion geschickt hatten.

Die Texte dieses Buches vermeiden theologische Fachsimpelei, kirchlichen Jargon und ethische Höhenflüge. Denn solche Fragen erlauben keine Ausflüchte: Ist Gott eine Frau? Hat Gott Eltern? Werden nur Christen erlöst? Wo sich selbst wissenschaftliche und kirchliche Fachleute bisweilen im Dickicht großer Theorien verstecken oder ganz um Antworten drücken, helfen in einem publikumsnahen Magazin nur klare Analysen und klare Aussagen weiter.

So kam ein fachkundiges und unterhaltsames Buch zustande, das zu weiteren Debatten anregt – zwischen Katholiken und Protestanten, Männern und Frauen, Schultheologen und Esoterikern, Kirchennahen und -distanzierten. Geschrieben wurde es für Menschen mit religiöser Neugier, ja auch mit handfester religiöser Skepsis.

Eduard Kopp

Leitender chrismon-Redakteur

Glaube ohne Kirche – geht das?

Vielen Menschen ist die Kirche heute nicht mehr wichtig. Sie suchen Gott in der Natur. Oder in Kunstgenüssen. Oder in einer stillen Meditation. Doch Christen sagen: Religion braucht Gemeinschaft

Es kann nicht Gott zum Vater haben, wer die Kirche nicht zur Mutter hat“, sagte einst Bischof Cyprian, ein großer Lehrer der Kirche im dritten Jahrhundert. Damit meinte er, dass nur derjenige wirklich Christ sein könne, der sich ohne Wenn und Aber der Lehre und Moral der Kirche unterwerfe. Schon hundert Jahre vor Cyprian prägte der römische Kirchenvater Tertullian den Satz: Extra ecclesiam nulla salus – zu Deutsch: Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil. Dieser Satz erscheint vielen Menschen heute nicht nur alt, sondern auch altmodisch, denn sie sind genau vom Gegenteil überzeugt.

Der Anspruch der Kirche, verbindlich zu bestimmen, was zu glauben ist, blieb jahrhundertelang gültig. Sie bestimmte, was „immer, überall und von allen“ zu glauben war (so Vinzenz von Lerinum, um 450). Dann beförderte die Renaissance im Abendland eine neue Sicht der Dinge. Das Individuum erfuhr eine ungeahnte Aufwertung, und aus dem Schoß der Kirche kroch ein Augustinermönch namens Martin Luther (1483–1546). Der beharrte nicht nur darauf, dass sich auch der Papst und kirchliche Konzilien irren können, sondern behauptete sogar, wirklich entscheidend sei, wie der Einzelne seinen Weg zu Gott finde. Auf den eigenen Glauben, die innere Überzeugung und die persönliche Gottesbeziehung komme es an und nicht auf das gehorsame Befolgen kirchlicher Riten und Verpflichtungen.

Heute, rund 500Jahre später, ist das Nebeneinander verschiedener Glaubens- und Lebensformen Kennzeichen unserer Gesellschaft, und vieles spricht dafür, dass der Endpunkt des Pluralismus noch nicht erreicht ist. Es gilt mehr denn je die Formel vom „Zwang zur Häresie“, die der Religionssoziologe Peter L.Berger bereits 1980 prägte. Diese Formel bringt auf den Punkt, dass jeder Mensch heutzutage nicht nur in großer Freiheit lebt, sondern auch und gerade deshalb dazu genötigt ist, sein eigenes weltanschauliches und religiöses Profil zu entwerfen. Was soll da noch die Kirche? Schließlich finden viele Menschen auch an ganz anderen geistigen Quellen Nahrung. Esoterik und Naturgläubigkeit erleben in den Zeiten der Öko-Diskussion einen neuen Boom. Auch der Buddhismus gilt in vielen europäischen Kreisen als schick.

Wer aber die biblische Tradition ernst nimmt, kommt an der Kirche nicht vorbei. Zwar offenbart sich der biblische Gott auch regelmäßig einzelnen Menschen, doch immer steht die Gemeinschaft im Mittelpunkt der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Zunächst ist da der Weg Gottes mit seinem Volk Israel. Auch die christliche Kirche, die sich zwar in einem schmerzhaften Prozess vom Judentum lossagte, hat ihre Beziehung zu Gott immer an der Beziehung Gottes zu Israel orientiert.

Die beiden grundlegenden Sakramente des Christentums verweisen auf die Gemeinschaft. Mit der Taufe wird jeder Mensch in den Kreis der Glaubenden, die Kirche, aufgenommen. Ein sinnfälligeres Symbol für die Gemeinschaft im Glauben ist das Abendmahl. Und außerdem heißt es im wichtigen Apostolischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an die heilige christliche Kirche.“ Damit ist ausgedrückt, dass Kirche und christlicher Glaube nicht nur organisatorisch-praktisch, sondern wesentlich zusammengehören.

Den christlichen Glauben können Menschen nicht nur allein leben. Um ihn zu bekennen und zu festigen, benötigen sie, wenn auch nicht immer, die Gemeinschaft. Die Erfahrung zeigt: Nur das zu tun, zu denken und zu glauben, was einem selbst in den Sinn kommt, ist vielleicht eine Zeit lang, aber nicht ein Leben lang befriedigend. Eine „Erschöpfung von der Liebesaffäre mit sich selbst“ diagnostiziert der evangelische Theologe Fulbert Steffensky (1998) beim modernen Menschen. Allen Lebenssinn aus sich selbst zu ziehen, das macht unglücklich. Deshalb plädiert er für einen Glauben mit der Kirche. Er ist überzeugt: „Man lernt seinen Glauben, seine Lebenshoffnung und das Vertrauen auf die Güte des Lebens, indem man nachsprechen lernt, was man erst halb glauben kann.“ Glaube braucht eben Vorbilder und gemeinsame Erfahrungen.

Die Kirchen verlangen keinen bedingungslosen Gehorsam mehr. Sie haben gelernt, die Individualität des modernen Menschen zu achten und zu respektieren. Zum Glück kann heute jeder Mensch selbst bestimmen, wie viel Nähe oder Distanz zur Kirche er will. Das gibt ihm die Möglichkeit, sich in aller Freiheit dem Schatz der kirchlichen Tradition zu nähern. Ob nur auf Sichtweite oder ganz nah dran – das bleibt jedem selbst überlassen.

So gilt immer noch, was Cyprian von der Kirche sagte: Sie ist die Mutter, die den Glauben nährt, stützt und ihm Raum gibt. Aber sie ist keine strenge, strafende und klammernde Mutter mehr, sondern eine freundliche, helfende und bergende Mutter.

Reinhard Mawick

Woran merke ich, dass ich glaube?

Glaube hat viele Gesichter. Er zeigt sich als spirituelle Neugier, als Freude am sozialen Engagement. Oder als Gelassenheit, wenn alle Sicherungen rausfliegen – wichtig ist nur eins: sich für religiöse Erfahrungen zu öffnen

Manche Entdeckungen schlagen in die eigene Biografie ein wie ein Blitz. Reinhold Schneider, ein großer Literat der dreißiger bis fünfziger Jahre des 20.Jahrhunderts, notierte in einem seiner Tagebücher: „Ich schlug an einem Weihnachtsabend in Potsdam die Heilige Schrift auf und floh nach wenigen Kapiteln auf die kalte dunkle Straße. Denn es war klar: Unter diesem Anspruch der Wahrheit kehrt sich das Leben um. Dieses Buch (…) ist kein Buch, sondern eine Lebensmacht. Und es ist unmöglich, auch nur eine Zeile zu begreifen, ohne den Entschluss, sie zu vollziehen. Darauf beruht ja die härteste Unmöglichkeit menschlicher Verständigung, dass den Glauben nur versteht, wer glaubt (…).“

Tief im Bewusstsein vieler moderner Menschen sitzt ein religiöser Zweifel. Ihre Fragen gehen schnell ins Grundsätzliche: Ist überhaupt etwas dran am vielbehaupteten Walten Gottes in der Welt? Wer weiß überhaupt zu sagen, wo Gott steckt und was er tut? Was kann er wissen, was vermag er? Und ist das, was uns im Innersten bewegt, überhaupt „Glauben“ oder „Religion“?

Viele unserer innersten Empfindungen und unserer Verhaltensmuster sind heute wissenschaftlich erklärbar. Psychologisch gesehen spielen zum Beispiel Angst und Selbstvertrauen eine lebensprägende Rolle. Medizinisch betrachtet entfalten Hormone ihre Wirkung und beeinflussen unser Verhalten. Beurteilen wir unser Leben mit den Augen von Volkskundlern und Anthropologen, so erkennen wir, welch umfangreiches, undurchdringliches Traditionsgut wir mit uns herumschleppen. Biologen ihrerseits sehen uns als Träger von Erbgut, Historiker wiederum erkennen mit geübtem Blick, wie wir an immer neuen Modellen kultureller und politischer Ordnung schmieden.

Auch unser Glauben ist teilweise „erklärbar“ geworden. An Hirnströmen lassen sich religiöse Glücksgefühle ablesen. Fromme Menschen leben gesünder, heißt es in regelmäßig variierten Umfrageergebnissen. Unsere innersten Empfindungen finden ihren nachweislichen Niederschlag in glühenden Gedichten, auf leuchtenden Leinwänden, in emotionalen Konzerten. Doch ist das alles schon Glauben? Woran merken wir Kinder der Moderne überhaupt, dass wir glauben?

Das Eigenartige am Glauben ist: Man kann nur über ihn sprechen, wenn man sich auf ihn eingelassen hat. „Glaube braucht Erfahrung“ betitelte der frühere Tübinger Theologieprofessor Gerhard Lohfink eines seiner Bücher. Unter Erfahrung in diesem religiösen Sinne versteht er etwas anderes als das experimentelle Denken in Naturwissenschaft und Technik. Dort ist nur das „wirklich“, nur das „real“, was sich in Experimenten nachstellen und erfassen lässt. Experimente in diesem naturwissenschaftlichen Sinn sind ganz unbrauchbar, geht es um den Nachweis von Glauben. Doch Experimente im weiteren Sinn, wörtlich verstanden „Erfahrungen“, gibt es auch im Glauben.

Woran merke ich, dass ich glaube? Auf diese Frage kann man nur paradox antworten: Wenn du glaubst, wirst du es wissen! Es gibt viele andere Situationen im Leben, wo nichts über die eigene Erfahrung geht. Ein simples Beispiel: Woran merke ich, ob ein Essen gut schmeckt? Ich werde es wohl probieren müssen. Ein anspruchsvolleres Beispiel: Woran merke ich, ob ein Mensch, dem ich begegne, zu einer verlässlichen Liebesbeziehung in der Lage ist? Ich werde mir natürlich seine Beteuerungen, Versprechungen und Liebesschwüre anhören, aber dann beginnt ein Abenteuer, über dessen Ausgang keine sicheren Prognosen möglich sind. Das Lebensprojekt Glauben ist so tiefgreifend wie das von Liebe, Treue, Partnerschaft – wenn nicht noch umfangreicher.

Glauben stützt sich auf Lebensberichte von anderen, die durch die eigenen Erfahrungen mit Leben gefüllt werden: „die Erfahrung des inneren Friedens, des Trostes, der Hoffnung und der Freude“, wie Gerhard Lohfink schreibt; hinzu kommt die Erfahrung, durch soziales Engagement zur Lebensbewältigung anderer und zum sozialen Wandel beigetragen zu haben; oder die, vorbehaltlos akzeptiert zu werden ohne Rücksicht auf die eigenen (Fehl-)Leistungen; schließlich die Erfahrung, Hilfe zu erhalten oder anderen zu gewähren, anders gesagt: dass jemand die Hand über mich hält, wenn es im Leben drunter und drüber geht. Da ist nicht Kopfarbeit, sondern Herz gefragt. Das wussten schon die ersten Christen. Originalton Paulus: „Freut euch allezeit im Herrn! (…) Lasst alle Menschen eure Güte erfahren, denn der Herr ist nahe. Um nichts macht euch Sorge, sondern bringt eure Bitten jederzeit betend und flehend mit Dank vor Gott. Und der Frieden Gottes, der alles Begreifen übersteigt (!), wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren.“ (Philipper 4,4–7)

Eduard Kopp

Erzählt die Bibel lauter Mythen?

Die Menschen der Antike liebten Fantasiegeschichten.

Über Götter und Fabelwesen, über Ungeheuer und Kugelmenschen. In der Bibel geht es etwas anders zu

Mutter Gaia (Erde) hat es so gewollt. Sie reicht ihrem Sohn Kronos die Sichel. Der wartet, bis sich Vater Uranos (Himmel) bei seinem nächsten Liebesakt über die Gaia ausbreitet. Dann schwingt Kronos das scharfe Eisen und trennt Uranos’ Penis ab. Im hohen Bogen fällt er zu Boden. Blut fließt auf die Erde. Ihm entsteigen die Erinnyen, die Rachegöttinnen.

Unmöglich, ohne jeden erzieherischen Wert fand der Philosoph Platon diese Erzählung! Der Mythos von Kronos wird sogar noch wüster. Später vergewaltigt er seine Schwester Rheia. Sie gebiert Kinder und setzt sie ihm auf die Knie. Doch er frisst sie alle auf. Ihr nächstes Kind, Zeus, versteckt Rheia auf Kreta und gibt Kronos stattdessen einen in Windeln gewickelten Stein zum Fraß. Zeus wächst heran, und schließlich besiegt er Kronos, der erst den Stein und dann die übrigen Kinder wieder ausspeien muss.

Erzählungen (griechisch: Mythen) wie diese dürften Unverständige und Kinder eigentlich gar nicht hören, lässt Platon seinen Lieblingsdenker Sokrates sagen. Wer genötigt werde, sie doch zu erzählen, dürfe nur wenige Zuhörer zulassen! Sie müssten Verschwiegenheit versprechen! Und geopfert haben, „und zwar nicht bloß ein Schwein, sondern ein großes und schwer zu erschwingendes Opfer – damit es möglichst wenige zu hören bekämen“.

Platon lehnte Mythen nicht prinzipiell ab. Er dachte sich sogar selbst welche aus: den Mythos vom versunkenen Reich Atlantis. Und den vom Kugelmenschen, der zu Mann und Frau zerbricht und sich wieder vereinen will. Lehrreich sind seine Mythen – und nur begrenzt unterhaltsam.

Dennoch nahmen Juden und Christen Platons Mythenkritik begeistert auf. Kein Wunder: Göttersagen wie die der alten Griechen gibt es in der Bibel nicht. Fabelwesen wie das Meeresungeheuer Leviathan und der Urdrache Rahab treten nur am Rande auf. Engel in Gestalt überirdischer Wesen kommen (abgesehen von den Legenden um Jesu Geburt) eher selten vor. Richtig fantastisch wird es erst in den Visionen der Propheten und apokalyptischen Seher. So sind eben Visionen.

Mythos heißt übersetzt Erzählung. Mythen sind Science-Fiction der Antike. Sie geben Einblicke in menschliche Abgründe. Sie erzählen von dem zu sinnlosem Tun verdammten Sisyphus und vom unausweichlichen Schicksal des Ödipus, der den Vater töten und die Mutter heiraten muss. Sie sind Konzentrate menschlicher Grenzerfahrungen – an keine historische Zeit gebundene, erdachte Geschichten.

In diesem Sinne sind die biblischen Erzählungen keine Mythen. Denn sie beanspruchen, erlebte Geschichte zu erzählen. Nicht wie Historiker sie heute erforschen: objektiv und auf nachprüfbare Fakten gestützt. Die biblischen Erzähler ergreifen Partei, sie belehren und bewerten, manche berichten von großen Verheißungen. Und was sie berichten, ist oft so von Legenden überwuchert, dass der historische Anlass kaum noch zu erkennen ist.

Mose führt ein riesiges Volk aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit und hält dabei einen Pharao mit seinem ganzen Heer zum Narren. Natürlich ist die Schilderung maßlos übertrieben, nichts davon findet sich in den ägyptischen Annalen wieder. Dennoch hatte sie aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Ursprung in einer realen Begebenheit – als Gesetzlose und Sklaven dem Machtbereich des Pharaonenreiches entkamen. Die Autoren der Bibel stilisieren diese Befreiung zum nationalen Symbol, sie machen sie zu Israels Urerlebnis – und in diesem Sinne auch zu einem Mythos für alle Entrechteten, zum Konzentrat menschlicher Erfahrung. „Go down, Moses“, sangen Amerikas Sklaven: „Geh zum Pharao, Mose, und sag ihm: Lass mein Volk frei!“

Nach elf Kapiteln mit Sagen aus der Urzeit erzählt die Bibel, wie das Volk Israel entsteht, sich ein Königreich erkämpft und dann alles verspielt. Sie archiviert düstere Prognosen von Unheilspropheten, die kultische Vergehen und soziale Ungerechtigkeit im eigenen Volk anprangerten – und eher selten Heil versprachen. Und sie verkündet den Wanderprediger Jesus von Nazareth, das „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kolosser 1,15).

Auch wenn die Bibel ihren historischen Stoff sehr ungenau wiedergibt: Sie schildert nicht Typen, sondern Individuen und deren folgenreiche Entscheidungen, richtige wie falsche. Es geht in ihr nicht um Mythen. Die Bibel erzählt, vor allem aber deutet sie reale Geschichte.

Burkhard Weitz

Hat Darwin recht?

Nein, sagen konservative Christen. Die Evolutionslehre könne die Entstehung der Welt nicht erklären.

Selbst Fossilien führen sie ins Feld, um Darwin zu widerlegen.

Aber vieles spricht gegen ihre Theorie

Ein amerikanischer Comic zeigt einen jungen Wissenschaftler, der seinem Professor an einer Tafel eine komplizierte mathematische Berechnung vorführt. Zwischen Schritt eins und Schritt drei seiner Berechnung steht: „Hier geschieht ein Wunder.“ Skeptisch sieht sich der Professor die Formeln an. Dann sagt er: „Ich denke, bei Schritt zwei sollten Sie etwas genauer sein.“ Eines macht der Comic deutlich: Die Behauptung, ein Wunder geschehe, ersetzt nicht die wissenschaftliche Erklärung. Sie verweist lediglich auf eine Wissenslücke.

Unter amerikanischen und deutschen Biologen tobt ein heftiger Streit. Zur Debatte steht die Evolutionstheorie, vom englischen Naturforscher Charles Darwin vor gut 150Jahren erstmals formuliert. Laut Darwin hat sich alles Leben durch Zufall allmählich entwickelt.

Alle Tier- und Pflanzenarten hätten sich im Laufe der Jahrmillionen durch Veränderungen der Erbanlagen (Mutation) und durch natürliche Auslese (Selektion) gebildet. So seien aus Einzellern Mehrzeller entstanden, später Wirbeltiere, Landtiere, Säugetiere, schließlich der Mensch.

Die Gegner der Evolutionstheorie sind überwiegend konservative Christen, die wissenschaftliche Einwände gegen Darwin äußern. Hatte dieser vermutet, Fossilien bezeugten eine allmähliche Veränderung der Arten, so sagen Kritiker: Die Fossilfunde der vergangenen 150Jahre ließen diesen Schluss nicht zwingend zu.

Arten wie der Ammonit träten plötzlich auf und blieben über lange Zeiträume konstant. Stammbäume könne man so nicht eindeutig rekonstruieren. Ein weiterer Einwand lautet: Für viele komplexe Baupläne gäbe es keine plausiblen evolutionären Vorstufen.

Zum Beispiel für die Schnappfalle Insekten fressender Pflanzen oder für den Fortbewegungsapparat von Kolibakterien. Zufallsevolution erkläre nicht das mehrfach unabhängige Entstehen des Linsenauges bei Wirbel- und Weichtieren.

Evolutionskritiker sagen auch: Trotz intensiver Mutationsforschung habe niemand je das Entstehen einer neuen Art beobachtet. Neue Arten, behaupten sie, könnten gar nicht allein durch Mutation entstehen.

Ihre Alternative nennen sie mit einem englischen Ausdruck „Intelligent Design“. Die Entstehung der Arten müsse man sich als zielgerichteten Prozess vorstellen. Ein intelligenter Designer, Gott, habe den Bauplan für die Arten geliefert.

Manchem gläubigen Menschen mögen solche Erklärungen gefallen. Mit ihnen hat ein Naturwissenschaftler aber ein ähnliches Problem wie der Assistent im Comic, der behauptet: „Hier geschieht ein Wunder.“

Seit Jahrhunderten untersuchen Naturwissenschaftler die Welt unter der Prämisse „etsi deus non daretur“, als gäbe es Gott nicht. Sie suchen natürliche Ursachen, keine religiösen. Dieser Weg hat sich in der Vergangenheit als erfolgreich erwiesen. Unter dieser Vorgabe ist Darwins Theorie trotz aller Einwände noch immer die beste Erklärung für die Entstehung der Arten.

Die Vorstellung, dass das Leben nicht aus dem Kampf ums Dasein, sondern aus Gottes Willen entstand, mag humaner wirken. Doch die Theorie des Intelligenten Designs hat auch aus theologischer Sicht Mängel. Nach frühchristlicher Lehre formt Gott die Welt nicht aus dem Chaos, sondern erschafft sie aus dem Nichts.

Also beantwortet der Schöpfungsglaube nicht die Frage, wie die Welt entstand. Sie beantwortet vielmehr die philosophische Grundfrage, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. Das Bekenntnis zum Schöpfer heißt: Gott will die Welt, wie sie ist; sie ist auch dann sinnvoll und gut, wenn sich ihr Sinn und ihre Güte dem Einzelnen nicht erschließen mögen.

Einiges spricht also gegen die Theorie des Intelligenten Designs. Trotzdem verdienen seine Vertreter Respekt und Gehör. Jeder Biologe hat das Recht, die Evolutionstheorie wissenschaftlich anzuzweifeln, selbst wenn ihn religiöse Motive dazu bewegen.

Leider wird den Vertretern des Intelligenten Designs dieses Recht von ihren Kollegen zuweilen verweigert.

Darwins Theorie kann sich durch Experimente und Naturbeobachtung als richtig oder falsch erweisen. Mancher übereifrige Evolutionsforscher versucht, christlich motivierte Einwände von Wissenschaftlern zu unterdrücken.

Nur: Wer eine Theorie gegen Kritik, egal von welcher Seite, abschottet, verhält sich nicht wie ein Wissenschaftler, sondern wie ein Ideologe. Solches Verhalten trägt kaum zur Wahrheitsfindung bei.

Ungeachtet dessen bleibt es dabei: Ob Darwin Recht hat oder nicht, entscheiden die Naturwissenschaften, nicht die Theologie.

Gibt es Wunder?

Die einen verlassen gesund und munter ihr Totenbett. Die anderen, von Geburt an gelähmt, werfen plötzlich ihre Krücken weg. Das Unmögliche wird möglich, wenn die neue Zeit anbricht

Da gehen sie, als wären sie nie tot gewesen: Lazarus aus dem judäischen Dorf Betanien, Jesu Freund, Bruder von Maria und Martha, der bereits vier Tage im Grab gelegen hatte (Johannes 11,14–17). Oder die Tochter eines Gemeindevorstehers namens Jaïrus, an deren Totenbett die Flötenspieler bereits versammelt waren (Matthäus 9,18). Mal bringt die energische Aufforderung „Kommt aus dem Grab heraus“ den Toten ins Leben zurück, mal erhebt sich das Menschenkind, kaum dass Jesus es bei der Hand gefasst hat.

Da geht er, als wäre er nie gelähmt gewesen, der Bettler am Tempel, „lahm von Mutterleibe“ (Apostelgeschichte 3,2); ihn ergriff Jesus „bei der rechten Hand und richtete ihn auf“. Es geschehen Wunder oder, wie sie in der Bibel genannt werden, Zeichen und „Krafttaten“. Rund 30 schreiben die Evangelien Jesus zu: Krankenheilungen, Dämonenaustreibungen, Totenerweckungen und eine Reihe „Naturwunder“: Wasser verwandelt er in Wein, er beruhigt die aufgepeitschten Sturmwellen des Meeres.

Ist das wirklich möglich? Stimmt das, was in der Bibel steht? All diese Wunder haben etwas gemein: Sie „überschreiten die Grenzen des menschlich Möglichen“ und berufen sich dabei auf Jesus Christus (Gerd Theißen, 1996). Als Wunder gelten „besondere Taten, die im Volk den Eindruck von Jesu Vollmacht vertieften“, heißt es im Evangelischen Gemeindekatechismus. „Das wahre Wunder, von dem Jesus sprach und handelte, war die erwartete Offenbarung Gottes.“

Die Wunder erhalten ihre Bedeutung also durch die näher rückende Heilszukunft. Sie sind gleichsam eine „Anzahlung“ auf die neue Zeit, in der Krankheit und Unrecht besiegt sind, Gewalt dem Frieden gewichen ist, die ganze Schöpfung aufatmet.

Aber Achtung: Die Wunder sind keine objektiven, gleichsam gerichtsverwertbaren Beweise. Zwar beglaubigen die Wunder Jesu besondere Rolle als Heilsgestalt der neuen Zeit, aber wer ihm neue Wunder nur zur Legitimation seiner Messiasrolle abverlangt, ist nach biblischem Verständnis bereits auf dem Holzweg und geht mit seinen Wunderwünschen leer aus. Ist bei den Hilfsbedürftigen aber etwas Glauben, etwas Vertrauen da, selbst noch so klein und voller Zweifel, geht der Mann aus Nazareth auf die Wünsche ein. Eine sachlich neutrale Beobachtung von Wundern ist also prinzipiell unmöglich.

Ja, es gibt Wunder, auch heute. Nicht unbedingt so wie in den mittelalterlichen Wallfahrtskirchen und in den heutigen Heilungsgottesdiensten der Charismatiker, wo Krücken und Rollstühle zur Seite gestellt werden und Gelähmte mit geradem Rücken und erhobenen Hauptes nach Hause gehen. Wunder als Durchbrechung der wissenschaftlich bekannten Kausalitäten sind äußerst unwahrscheinlich.

Aber Wunder gibt es in zahlreichen anderen Formen: als Wunder der Liebe und der Lebenserrettung, der Versöhnung und Genesung. Wunderberichte lassen sich nur „verstehen“, wenn man sie als eine besondere literarische Erzählform sieht, die übrigens auch außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition weit verbreitet war.

Diese literarische Gattung erkennen zu lernen brauchte seine Zeit. Ein passende Betrachtung biblischer Texte kam erst mit der sogenannten formgeschichtlichen Exegese. Waren bis zur Aufklärung die Wundergeschichten noch als Tatsachenberichte gelesen worden, wendete sich nun das Blatt. Der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) hatte noch argumentiert: Als Jesus den Sturm auf dem Meer stillte, fuhr das Boot wohl um eine Landzunge herum in eine windstille Bucht. So könnte es gewesen sein.

Doch das hätte in den Schreibstuben der Bibelautoren niemanden interessiert. Naturwissenschaftliche Deutungen laufen der Absicht der Wundererzähler entgegen. Nur wenn man diese Geschichten auf ihren Stil und ihre religiöse Sinnspitze hin abklopft, entgeht man der Falle der naturwissenschaftlichen Wunderanalyse. Die Frage heißt: Mit welcher Absicht haben die Christen solche Berichte erzählt? Die Antwort: Sie sollen den Wundermann als Propheten und Vorboten des kommenden Gottesreiches erscheinen lassen.

In diesem religiösen Sinn, nicht als Show, wird es weiter Wunder geben. Einschneidende Ereignisse werden das Leben von Menschen auch weiter verändern. Christen haben auch weiter den Auftrag, Zeichen zu wirken – getreu dem gar nicht bescheidenen Wort: „Heilt die Kranken und verkündet das Evangelium.“

Macht Gott auch das Wetter?

Er lässt die Sonne scheinen und Regen fallen. Er lässt Bäume blühen und Getreide wachsen. Dann schickt er Frost und Hagel, und alles ist kaputt – ein merkwürdiger Gott

Endlich Regen: eine Wohltat nach den Jahren der Trockenheit und der Heuschreckenplagen. Joel, der Prophet des Gerichts, hat nicht viel Schriftliches hinterlassen. Aber das, was er schrieb, lässt keinen Zweifel zu – Umweltkatastrophen und blühende Natur kommen ganz allein von Gott. „Ihr Kinder Zions, freuet euch und seid fröhlich im Herrn, eurem Gott, der euch gnädig Regen gibt und euch herabsendet Frühregen und Spätregen wie zuvor, dass die Tennen voll Korn werden und die Keltern Überfluss an Wein und Öl haben sollen. Und ich will euch die Jahre erstatten, deren Ertrag die Heuschrecken, Käfer, Geschmeiß und Raupen gefressen haben, mein großes Heer, das ich unter euch schickte. Ihr sollt genug zu essen haben… “ (Joel 2,23–26)

Sonne und Regen als Lohn aus Gottes Hand, glühende Hitze, Stürme und Insektenbefall als Strafe. Wie die Bibel ist der traditionelle Volksglaube voll von solchen Vorstellungen. Das Sympathische daran: Sie geben dem Gedanken Raum, dass diese Welt sehr viel mehr ist als das, was Menschen erdenken und bewerkstelligen können. Diese Welt ist ein Wunderwerk, mit ihren schönen – und ihren manchmal auch grausamen Seiten. Weniger sympathisch ist die Vorstellung, dass dieser Gott eifersüchtig über das Verhalten der Menschen wacht. Wohlverhalten belohnt er mit üppigen Gaben der Natur, Ungehorsam mit Zerstörung, Hunger, Tod.

Das große theologische Dilemma, das nicht einfach aufzulösen ist: Die Aussagen über den gnädigen oder zornigen „Wettergott“ sind in der Bibel so zahlreich und vielfältig, dass sie zu Synonymen für Gottes Gnade und Ungnade geworden sind. Wenn ein Tsunami oder ein Tornado ungezählte Menschenleben sowie Hab und Gut zerstören, dann suchen selbst glaubensdistanzierte Menschen nach religiösen Erklärungen. Ihnen wird intuitiv deutlich: Was ihrem Leben Halt gab und nun weggebrochen ist, verdanken sie nicht sich selbst. Manche mögen an Glück, an glückliche Fügungen, an „positive Energien“, an ein günstiges Schicksal denken. Christen glauben: Niemand kennt die Menschen so gut und kann sich so gut in sie hineinversetzen wie der, der sie erschaffen hat, Gott. Und der kümmert sich um sie.

Aber bis zum Wetter? Darf man Gott für einen duftenden Frühling, einen strahlenden Sommer, einen üppigen sonnendurchtränkten Herbst danken? Muss man ihm dann nicht auch Schneekatastrophen, eine verhagelte Obstblüte, verregnete Sommerferien und bedrohliche Herbststürme zurechnen? Wer die Bibel wörtlich liest, muss das wohl. Fundamentalisten wie die sogenannten Kreationisten tun das. Sie vermissen in der modernen wissenschaftlichen Meteorologie ein wesentliches Element, die Vorsehung Gottes. Viele Ereignisse ließen sich nicht erklären, wenn man den Einfluss Gottes ausblende. Die dahinterstehende Logik: Nur wenn eine göttliche Absicht nicht prinzipiell ausgeschlossen wird, lässt sich möglicherweise erklären, warum ein Blitz in ganz bestimmte Häuser, nicht aber in andere einschlägt. Und warum wohl ist der Blitz ausgerechnet neben dem Jurastudenten Martin Luther eingeschlagen (der sich daraufhin der Theologie zuwandte)?

Dennoch spricht wenig für eine „christliche Meteorologie“ im Gewand eines unmittelbaren Eingreifens Gottes in die einzelne Wetterlage. Martin Luther hat genau das Richtige getan, als er nach dem Blitzeinschlag sein Leben auf den Prüfstand stellte und sich um die einzig wichtige Frage kümmerte: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Joel, der Prophet des Alten Testaments, tat genau das Richtige, als er die Bevölkerung ins Gespräch zog und ihr ins Gewissen redete, moralisch und politisch. Eine Heuschreckenplage in Israel, ein Hagelsturm über bayerisch-katholischen Getreidefeldern, ein Tsunami vor den Küsten Sumatras: Sie alle haben natürliche Ursachen. Auch ein blauer Sommerhimmel über blühenden Bergwiesen und ein Regenschauer nach einem heißen Herbsttag lassen sich wissenschaftlich erklären. Aber niemand hindert Menschen daran, sie zum Anlass zu nehmen, sich über sich selbst und ihren Glauben im Klaren zu werden. Und darüber, was Dankbarkeit bedeutet.

Es muss ja beim Wetter nicht gleich so bieder zugehen wie in einer Anekdote aus dem Schweizer Kanton Waadt. Dort veranstaltete eine Gemeinde zur Regenabwehr eine Prozession. Plötzlich hagelte es. Geistesgegenwärtig rief der Pfarrer: „Nun haben wir aber zu stark gebetet.“

Eduard Kopp

Hat Gott alles vorherbestimmt?

Seit Urzeiten stehe fest, wer das Heil erlangen und wer verdammt werde. Das behauptete der Reformator Johannes Calvin. Was er uns damit sagen wollte

„Free at last! Free at last! Thank God Almighty, we’re free at last!“ Die Zeilen aus dem Gospelsong stehen auf dem Grabstein des schwarzen Bürgerrechtlers und Baptistenpfarrers Martin Luther King (1929–1968): „Frei, endlich frei! Dank Gott, dem Allmächtigen, sind wir endlich frei.“ Das Lied gibt einer unerschütterlichen Erlösungshoffnung von Sklaven Ausdruck. Von Sklaven, für die es eigentlich nichts zu hoffen gab. Doch über eines waren sie sich sicher: Unsere vergänglichen Leiber mögen zugrunde gehen, doch unser wahres Ich wird den Sieg davontragen. In den Augen der Weißen sind wir gering, doch Gott hat uns zum Heil vorherbestimmt.

Dass Gott einige Menschen seit Anbeginn der Welt zum Heil vorherbestimmt habe, das lehrte der französische Reformator Johannes Calvin (1509–1564). Er war dem Schlachtruf der Reformation gefolgt: „Allein aus Gottes Gnade sind wir erlöst.“ Aus eigener Kraft könne der Mensch nichts zu seiner Erlösung tun, Gott allein erwähle zum Heil. Und Calvin versicherte den protestantischen Glaubensflüchtlingen, die damals in Genf Zuflucht suchten: „Christus ist der Spiegel, in dem wir unsere Erwählung ohne Täuschung sehen können.“

Für Calvin stand fest: Die Erwählten erlangen ewige Seligkeit, die Verworfenen dagegen ewige Verdammnis. Das sei Gottes unabänderlicher Ratschluss, der seit Beginn der Schöpfung feststehe. Daher spricht man auch von der „Lehre von der doppelten Prädestination“.

Diese Lehre war schon zu Calvins Zeiten heftig umstritten. Sieht Gott wirklich einige Menschen für die Verdammnis vor? Gott will doch, dass alle durch Christus gerettet werden (1.Korinther 15,22)! Und sollte Gott tatsächlich für das Böse verantwortlich sein, das er dann bekämpft?

Theologische Lehren sind keine exakten Beschreibungen der Wirklichkeit. Sie sind Annäherungen, Deutungen. Ihr Wahrheitsgehalt entscheidet sich daran, ob sie zum Jesus der Bibel passen, zum Gottessohn, der ein wahrhaftiger Mensch war, dem kein Leid fremd war. Theologische Lehren sind keine abstrakten Feststellungen. Sie können versteckte Appelle enthalten, zu Demut aufrufen, Mut machen. Und sie können, wenn sich die Lebensumstände ändern, späteren Generationen plötzlich unangemessen und falsch erscheinen.

Als die Protestanten viele Jahre nach Calvin vor Verfolgung sicher waren, verlor die Prädestinationslehre ihre ursprüngliche Wirkung. Half sie zu Calvins Zeiten den Verzweifelten, sich gegen ein übermächtiges Schicksal zu wappnen, so ließ sie sich später als Ausdruck von Überheblichkeit missdeuten.

Spaßvögel haben versucht, die Weltreligionen mit dem englischen Spruch „Shit happens“ zu erklären, zu Deutsch: Dumm gelaufen. Ein Hindu würde demnach im Sinne der Reinkarnationstheorie feststellen: „This shit happened before“: Das ging schon einmal schief. Ein Jude würde das Leid seines Volkes beklagen: „Why does this shit always happen to us?“: Warum trifft es immer uns? Ein Protestant calvinistischer Prägung würde beten: „Let this shit happen to others“: Sollen die anderen zur Hölle fahren, er selbst ist sich seiner Erlösung gewiss. Eine karikierende Überzeichnung – mit wahrem Kern.

Als von Gott für das Heil vorbestimmtes Volk sahen sich viele weiße Sklaventreiber in den USA und viele südafrikanische Buren bis zum Ende der Apartheid (zu Beginn der 1990er Jahre). Mit dieser Sicht begründeten sie ihren Rassismus: dass nur sie bestimmte Strände betreten, auf bestimmten Bänken sitzen oder in bestimmte Busse steigen dürften, die farbigen Einwohner des Landes aber nicht.

Dennoch: Die aus Afrika verschleppten Frauen und Männer eigneten sich in Amerika die Religion ihrer Unterdrücker an. Dieselbe Lehre, mit der die Weißen ihre Überlegenheit begründeten, beanspruchten die Sklaven für sich. Vielleicht konnte Calvins Lehre von der Prädestination deshalb ihre Kraft in den Gospels entfalten, weil sie da wieder angekommen war, wo sie hingehörte: in den Herzen der Unterdrückten. „Oh, when the saints go marching in… “ – „Wenn die Geheiligten einziehen werden, will ich zu ihnen zählen.“ Was aus dem Munde des Sklaventreibers eine Anmaßung wäre, klingt aus der Kehle der Sklaven würdevoll.

Dass Gott alles vorherbestimmt hat, ist kein Naturgesetz. Calvins Lehre ist ein Trostwort für die Bedrückten. Sie ist Ausdruck einer Heilsgewissheit in aussichtsloser Lage.

Burkhard Weitz

Wie viel Zweifel verträgt der Glauben?

Christen nehmen sich ganz schön was heraus: Sie debattieren regelmäßig mit ihrem Gott, bekritteln die Kirche –

für Gläubige anderer Religionen undenkbar

Diese Bibel muss man einfach lieben – nicht zuletzt wegen der Gelassenheit, mit der ihre Hauptakteure die penetranten Störungen ihrer öffentlichen Auftritte ertragen. Nehmen wir Jesus von Nazareth. Er ist nicht nur fortgesetzt den verqueren Fragen der Pharisäer ausgesetzt, sondern stößt sogar auf die massiven Zweifel der eigenen Anhänger.

Und die Bibel transportiert diese Zweifel haarklein. Da hatte Jesus sich selbst in der Synagoge von Kapernaum wortreich als „Brot des Lebens“ angepriesen, dessen Genuss Unsterblichkeit schenke. Das ging den anwesenden Zuhörern und auch den meisten seiner Anhänger entschieden zu weit. Die Bibel vermerkt ungerührt: „Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm.“ (Johannes 6, 66)

Sätze wie dieser lassen einen besonderen Grundzug der Bibel erkennen: Sie rechnet allenthalben mit den Zweifeln der Menschen, selbst bei zentralen Glaubensinhalten. Wenn man so will: Die Religionsfreiheit ist in der Bibel, anders als zum Beispiel im Koran, bereits zugrunde gelegt. Gerade darin zeigen sich Stärke und Menschennähe der Bibel: Sie kleistert Fragen und Vorbehalte nicht mit unhinterfragbaren Weisheiten zu. Ohne die Freiheit des Menschen, sich auf das Angebot Gottes einzulassen, wäre der Glaube eine reine Gehorsamsfrage.

Wo sich Menschen auf ein ganzes Lebenskonzept einlassen, müssen sie auch Fragen stellen dürfen. Immerhin geht es ja nicht nur um den Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen, mit denen man sich geistig auseinandersetzt, sondern um den Sinn des eigenen Lebens. Dazu gehören so weitreichende Haltungen wie die Bereitschaft, sich selbst ganz und gar als Geschenk anzusehen (und eben nicht als Produkt der eigenen Fähigkeiten und Leistungen); das Vertrauen, dass gute Mächte die Hand über einen halten (und hektische Sorgen um das eigene Wohlergehen damit überflüssig werden); die Zuversicht, dass die Liebe Gottes auch grobe Fehlleistungen der Menschen noch zu heilen vermag (und diese nicht das endgültige eigene Scheitern bedeuten).

Versteht man den Glauben in diesem umfassenden Sinn als Lebenseinstellung und eben nicht als Summe von Katechismusweisheiten, dann verändert sich auch die Zielrichtung der Frage: „Wie viel Zweifel verträgt der Glauben?“ Zweifel an einzelnen theologischen Glaubenssätzen können und müssen sein; sie haben geringeres Gewicht als Vorbehalte gegenüber der Hoffnung, dass man in Gottes Hand geborgen sei. Das eine sind intellektuelle Anfragen, das andere grundsätzliche Zweifel daran, was dem eigenen Leben Sinn und Richtung geben kann. Oft genug kommen hinter einzelnen Sachfragen auch grundsätzliche Lebensfragen zum Vorschein. Da gilt es, klar zu unterscheiden.

Paul Tillich, einer der bedeutendsten evangelischen Theologen der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, sprach vom „protestantischen Prinzip“, wenn er auf die notwendige Kritik an kirchlichen Institutionen und Traditionen, an festgefahrenen Denk- und Verhaltensmustern zu sprechen kam. Gerade, weil er die lutherische Rechtfertigungslehre und damit den Vorrang göttlicher Gnade vor aller Leistung betonte, kritisierte er jede Überbetonung von Strukturen und Denkweisen, sei es in Bezug auf Staats- oder Gesellschaftsformen, sei es selbst der Kirchen, Konfessionen oder Dogmen. „Das protestantische Prinzip“, so erklärte einmal Heinz Zahrnt, der evangelische Theologe und Journalist, „greift alle geheiligten Autoritäten, Mächte, Überlieferungen, Lehren und Institutionen an und unterwirft sie der Kritik. Es kämpft gegen jede Vergegenständlichung Gottes, es duldet keine heiligen Orte, Personen, Handlungen und Stunden: Niemand kann das Göttliche an Raum und Zeit binden.“

Dieser Zweifel als innerstes evangelisches Prinzip ist zwar etwas anderes als die Religionsskepsis moderner Menschen, aber beides hat auch wieder miteinander zu tun. Denn gerade dadurch, dass der Protestantismus jeden menschlichen Anspruch auf unbedingte Autorität infrage stellt, trifft sich sein Anliegen mit der Skepsis derer, die der Kirche kritisch gegenüberstehen.

Wer allerdings in einer Haltung der Kritik verharrt, dem bleibt etwas Wesentliches verborgen: dass hinter den allzumenschlichen, manchmal selbstverliebten Seiten einer Kirche die eigentliche Kirche zu finden ist: die die Zweifler liebt.

Eduard Kopp

Was ist eine Sekte?

Manchmal geht es nur um ein paar kleine Geheimnisse.

Oder darum, wie man die Bibel liest. Doch spätestens dann, wenn dieser Glauben die Freiheit vertreibt, ist Kritik gefragt

Allein schon der Name: „Sonnentempler“! Eine religiöse Gruppe dieses Namens machte Mitte der Neunziger Schlagzeilen. In Erwartung eines anderen, eines besseren, lichten Lebens griffen sie dem befürchteten Weltuntergang vor: Insgesamt 74Menschen in der Schweiz, in Frankreich und Kanada legten Hand an sich selbst oder an andere. Sie taten dies in der Erwartung, der Tod sei leicht zu bewältigen, der Lohn des Sterbens ein neuer Bewusstseinszustand.

Eine Sekte im umgangssprachlichen Sinn: eine religiöse Gruppierung, die Emotionen und Fantasie der Menschen anregte. Und ein Vorfall, der alles hatte, was Journalisten lieben: geheimnisvolle Umtriebe, gepaart mit Erlösungs- und Verschwörungsfantasien; autoritär-charismatische Führergestalten, die radikale Disziplin und Unterwerfung fordern; eine selbst gewählte Distanz zur Öffentlichkeit. So versteht man eine Sekte im landläufigen Sinne, als Gruppierung, mit der man sich als moderner, demokratisch gesinnter, religiös mündiger Mensch besser nicht einlässt. Fällt in den Medien der Begriff Sekte, dann oft in der Bedeutung: Hier geben sich Menschen einem Irrglauben hin, der sie selbst und andere in Gefahr bringt und die Freiheitsrechte grob verletzt. Es ist ein Begriff mit klar negativer Bedeutung.

Auch die Kirchen benutzen diesen Begriff. Die lutherischen Kirchen in Deutschland veröffentlichen in regelmäßigen Abständen neue Auflagen ihres „Handbuchs Religiöse Gemeinschaften“, in dem sie auch Sekten auflisten, darunter die Neuapostolische Kirche, die Zeugen Jehovas und die (anthroposophische) Christengemeinschaft. Ganz anders als im umgangssprachlichen Sinn bezeichnet hier eine Sekte konfessionelle Unterschiede. Es geht um Differenzen in der Lehre, zum Beispiel im Verständnis des Evangeliums. Die Kirchen legen Wert darauf, dass sie das Wort rein deskriptiv, nicht wertend benutzen.