Religion, Ökumene und Liebe - Hans-Peter Kolb - E-Book

Religion, Ökumene und Liebe E-Book

Hans-Peter Kolb

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Beschreibung

Nach der Entwicklung meiner Daseinsanalyse in "Dasein, um zu lieben", "Rhythmus, Intuition und Liebe" und "Liebe, Macht und Sexualität" habe ich diese nun auf den Bereich der Religionsphilosophie und -geschichte angewandt. Neben den drei abrahamischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam), die für unseren Kulturkreis besonders wichtig sind, befasse ich mich auch mit den mystischen Religionen des Hinduismus und Buddhismus, sowie mit den chinesischen Religionen des Konfuzianismus, des chinesischen Buddhismus und des Taoismus, die als Weisheitsreligionen bezeichnet werden. Dabei ist mir insbesondere der Aspekt des ökumenischen Dialogs wichtig, weil dieser einen großen Einfluss auf die Politik und den Weltfrieden hat (vergleiche auch die in der Literaturliste aufgeführten Bücher von Hans Küng).

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Grundlegende Begriffe

Das Beziehungsproblem

Transzendenz – theoretisch und in der Praxis

Mögliche Vermittlungen und Religionsstiftungen

Erscheinungswelten und die Entwicklung der Liebesfähigkeit

Die Entwicklung der abrahamischen Religionsgemeinschaften

6.1. Das Judentum

6.2. Der Islam

6.3. Das Christentum

Mystische und Weisheitsreligionen

7.1. Der Hinduismus

7.2. Der Buddhismus

7.3. Die chinesischen Religionen

7.4. Hinduistische und westliche Weltanschauung

Männliche und weibliche Form der Machtausübung

Das Böse: Abrahamische Religionen und Buddhismus

Freiheit und Gleichheit zwischen Mann und Frau

Die Theodizee-Frage

Ein vernünftiges ökumenisches Paradigma

Literaturverzeichnis

VORWORT

Nach der Entwicklung meiner Daseinsanalyse in „Dasein, um zu lieben“ (Kolb, 2017a), „Rhythmus, Intuition und Liebe“ (Kolb, 2017b) und „Liebe, Macht und Sexualität“ (Kolb, 2017c) habe ich diese nun auf den Bereich der Religionsphilosophie und -geschichte angewandt. Neben den drei abrahamischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam), die für unseren Kulturkreis besonders wichtig sind, befasse ich mich auch mit den mystischen Religionen des Hinduismus und Buddhismus, sowie mit den chinesischen Religionen des Konfuzianismus, des chinesischen Buddhismus und des Taoismus, die als Weisheitsreligionen bezeichnet werden. Dabei ist mir insbesondere der Aspekt des ökumenischen Dialogs wichtig, weil dieser einen großen Einfluss auf die Außenpolitik und den Weltfrieden hat (vergleiche auch die in der Literaturliste aufgeführten Bücher von Hans Küng).

Nach einer Auflistung der wichtigsten Begriffe meiner Daseinsanalyse aus „Dasein, um zu lieben“ und „Liebe, Macht und Sexualität“, die für die vorliegende Thematik benötigt werden, gehe ich zunächst auf die Thematik des „Wunders der Schöpfung“ (Wieso ist nicht nichts?), „des Wunders des Sinns bzw. der Existenz unseres Seins“ und des „Wunders der Sprache“ ein, dass wir überhaupt uns mit anderen austauschen und über diese Wunder reden können, allerdings auf einer sehr symbolhaften Ebene, und frage dann nach dem Platz von Religion und worin sie gründet.

Daraus ergibt sich der Sinn und Zweck jeder Religion und jeder Religionsphilosophie, nämlich die Antwort auf die Frage zu suchen, wie die menschliche Liebesfähigkeit gefördert werden kann, sodass auch das Gute prozessual offen und transzendent, also ein Wunder ist. Weiterhin ergibt sich als Äquivalent zur Frage nach den Entwicklungsmöglichkeiten unserer Liebesfähigkeit das Beziehungsproblem schlechthin, wie möglichst viel Freiheit und Gleichheit in einer Beziehung erreicht werden kann. Dabei entwickle ich die Rede von Gott und unsere persönliche Beziehung zu Gott Vater, Gott Sohn und zum Heiligen Geist. Da bei alldem die verschiedenen Aspekte der Transzendenz eine große Rolle spielen, habe ich dieses Thema in einem Extra-Kapitel theoretisch und praktisch aufgearbeitet und in meine Daseinsanalyse integriert.

Damit sich unsere Liebesfähigkeit immer weiterentwickelt, bedarf es der Vermittlung durch andere sowie durch frühere Grundlegungen in Form von Religionsstiftungen, sodass wir von der Frage nach der Liebesfähigkeit wieder zurück zum Thema Religion kommen. Da die Entwicklung der Liebesfähigkeit mit verschiedenen Erscheinungswelten verbunden ist, kommt es immer wieder zu Paradigmenwechseln nach Thomas Kuhn (Hoyningen-Huene, 1989), was ich in Beziehung gesetzt habe mit der Überwindung der fünf grundlegenden Gegensätzlichkeiten aktiv-passiv, objektiv-subjektiv, kontinuierlich-diskontinuierlich, linear-zirkulär und räumlichzeitlich nach Nishida (Nishida, 2011).

Obwohl Hans Küng eine ausgezeichnete systematische Analyse der Entwicklungen von Judentum, Christentum und Islam geschrieben hat, sah ich mich dazu herausgefordert, Parallelen zur Entwicklung eines Kindes aufzuzeigen und so die Systematik meiner Daseinsanalyse in die Gebiete der Religionsgeschichte und der Ökumene hineinzutragen.

Anhand verschiedener Religionen bringe ich auf diese Weise deren Entwicklungen und Paradigmen mit diesen fünf grundlegenden Gegensätzlichkeiten in Beziehung und zeige so, wie kindliche und religiöse Entwicklungen ziemlich ähnlich verlaufen. Was die geschichtlichen Daten dabei betrifft, so stütze ich mich hier im Wesentlichen auf die in der Literaturliste aufgeführten Bücher von Hans Küng.

Bei der Betrachtung der drei chinesischen Religionen Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus ergab sich unter daseinsanalytischer Perspektive, dass diese drei eine Art System bilden, indem sie in einem absoluten dialektischen Verhältnis stehen, d.h. dass jeweils eine Religion zwischen den anderen beiden vermittelt und diese beiden die erste vermitteln. Ferner liegt die Vermutung nahe, dass der Taoismus Riten und Kulte der chinesischen Volksreligionen benutzt hat und benutzt, um auch die Psyche von Menschen zu heilen, insbesondere bei Traumata.

Ein weiterer Gesichtspunkt für die Reife von Entwicklungen ist der Grad der Überwindung des Gegensatzes männlich-weiblich, der nicht nur im Allgemeinen eine große Rolle spielt, da sich anhand dieses Gegensatzes die Entstehung des Bösen bzw. von Leid aufzeigen lässt, wie dies im 9. Kapitel der Vergleich entsprechender Vorstellungen über das Böse bzw. das Leid im Buddhismus und in den drei abrahamischen Religionen demonstriert, sondern auch in religiösen Gemeinschaften, in denen das männliche Prinzip, wie ich es genannt habe, dass erst die Selbst-Konsolidierung angestrebt wird, bevor man andere unterstützt, von Anfang an bis heute zumindest in allen mir bekannten Religionsgemeinschaften vorherrscht, auch wenn dies von der jeweiligen Religion nicht unbedingt abgeleitet werden kann. Freiheit und Gleichheit für Mann und Frau sind letztlich der Maßstab dafür, inwieweit eine Ökumene der Religionen gelingen kann. Der Glaube daran und allgemein an das Gelingen des Guten führt zu der Frage, ob sich das Gute wirklich durchsetzen kann, und damit nach der Frage der Theodizee, ob Gott zugleich allmächtig und gütig sein kann angesichts der Zustände in unserer Welt, die ich im 11. Kapitel behandle.

Zum Schluss versuche ich noch einen Ausblick in die Zukunft zu geben, wie ein vernünftiges religiöses Paradigma aussehen müsste, damit ein ökumenischer Dialog gelingen und von dieser Seite der Weltfrieden immer mehr gesichert werden kann. Was diesen Zusammenhang zwischen dem Weltfrieden und dem Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften betrifft, so stimme ich hier der These von Hans Küng zu, die er in allen seinen in der Literaturliste aufgeführten Bücher vertritt, dass dieser Dialog eine notwendige Bedingung für den Weltfrieden ist.

1. GRUNDLEGENDE BEGRIFFE

An dieser Stelle möchte ich zuerst eine kurze Einführung in die von mir entwickelte Daseinsanalyse geben (Kolb, 2017a; Kolb, 2017b; Kolb, 2017c) und die dort entwickelten Begriffe kurz darstellen. Hierbei ist grundlegend anzumerken, dass es sich dabei um keine Metaphysik dreht, sondern um Aufforderungen, eigene Erfahrungen mit den jeweiligen Begriffen zu machen und sie auf diese Art und Weise mit Inhalt zu füllen. Fundamental ist dabei der Begriff des menschlichen Daseins, was jeweils das unsrige ist, wie schon Heidegger schreibt (Heidegger, 2006) und uns dadurch auffordert, diesen Begriff auch selbst zu hinterfragen.

Ich für mich habe versucht, diesen Begriff dadurch anzureichern, dass ich jeweils drei grundlegende Modalitäten des Daseins beschrieben habe, den Modus des Genus als Gemeinschaftswesen und Wesen von gleicher Art, den Modus des Individuums als einzelne Wesen und den Modus der Spezies, wie wir handelnd mit unserer Umwelt in Kontakt treten. Diese Unterscheidungen habe ich von Tanabe übernommen (Tanabe, Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären, 2011), der aufzeigt, dass diese drei Modi in einem absolut dialektischen Verhältnis stehen (zwei der Begriffe vermitteln den einen und dieser zwischen den beiden), sodass kein Modus einen Vorrang vor den anderen besitzt. In „Dasein, um zu lieben“ (Kolb, 2017a) habe ich diese absolut dialektische Vermittlung in eigenen Worten nochmals nachvollzogen.

Neben diesen drei grundlegenden Modi habe ich außerdem drei grundlegende Daseinsaspekte aufgeführt, nämlich den Aspekt des Körperlich-Materiellen, der durch affektiv wahrnehmbare Unterschiede und Gegensätze gekennzeichnet ist, den Aspekt des Psychisch-Motivationalen, dessen Eigenart es ist, dass wir durch unsere Empfindungen bzw. unsere Ergriffenheit von bestimmten affektiv begriffenen Wahrnehmungen motiviert sind, aktiv zu werden, weil wir dadurch eine Entsprechung bei uns selbst gefunden haben, und den Aspekt des Geistig-Idealen, wenn wir erwartungsvoll und durch entsprechende Gefühle geleitet Katastrophen vermeiden und ideale Ziele erreichen wollen. Zwischen diesen drei Aspekten besteht ebenfalls eine absolute dialektische Vermittlung (ebenda).

Diese Beschreibung unserer Daseinsaspekte lassen den Transzendenzaspekt und die Transzendenz in der Immanenz erkennbar werden: indem ich die Materie nicht physikalischgegenständlich z.B. als Ansammlung und Verbindung von Atomen kennzeichne, sondern als Gegensätzlichkeiten, die wir unterscheiden können in unserem Dasein, die uns dadurch als Ausdruck von etwas anmachen (Affekt), von denen wir ergriffen sind, weil wir eine Entsprechung davon bei uns finden (Empfindung), was uns motiviert und drängt, uns damit auseinanderzusetzen und eine Antwort zu finden, deren verschiedene Möglichkeiten mit entsprechenden Erwartungen und Gefühlen (vorfühlen) verknüpft sind, können wir „die Struktur der Transzendenz […] als einen dynamischen Prozess […] explizieren, der nirgends vergegenständlicht und verortet werden kann, weil er das Geschehen des Ganzen des Seins, der Welt und alles Existierenden ist“ (Rentsch, Gott, 2005, S. 61). Mit dem Auftreten von Täuschungen, die wir als Gegensätzlichkeit bzw. als Unterschied zwischen unseren Erwartungen und den Ergebnissen unserer Handlungen materiell wahrnehmen können, erkennen wir den Transzendenzaspekt, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts, und die Transzendenz in der Immanenz, nämlich dass uns in unserem Dasein dieser Aspekt der Transzendenz erschlossen ist, unabhängig davon, ob wir ihn nun entdecken oder nicht.

Jeder Unterschied, den unser menschliches Dasein in der Materie ausmachen kann, ist für uns ein Ausdruck, der auf uns einen entsprechenden Eindruck macht, uns ergreift und eine Entsprechung der Materie bei uns finden lässt, wodurch wir uns angesprochen und zu einer Auseinandersetzung angeregt fühlen. Was unser Dasein hier von Anfang an anspricht, und zu einer Antwort motiviert, ist noch nicht der Ausdruck menschlicher Sprache, sondern der unserer Vernetztheit mit allem, was ist, es ist das Phänomen unseres In-der-Welt-Seins, wie Heidegger es formuliert hat (Heidegger, 2006). Man kann dies unsere Interexistenzialität nennen, in der alle Kommunikation und auch unsere Sprache gründen.

Möglich wird die ganze Entwicklung unseres Daseins und damit alle unsere Seins- und Handlungsweisen nur durch den Austausch mit anderen (daseinsmäßig Seienden), am Anfang die primäre Bezugsperson, in der Regel unsere Mutter. Dass wir uns überhaupt miteinander austauschen und verständigen können, ist genauso ein Wunder wie das Wunder der Schöpfung. Rentsch nennt es „das Wunder der Sprache“ (Rentsch, Gott, 2005), ich finde allerdings, es müsste allgemeiner das Wunder der Kommunikation oder der Entsprechung genannt werden. Erst das Wunder der Entsprechung oder Sprache ermöglicht verantwortungsvolles Handeln, ein Handeln, bei dem wir eine Antwort auf die Frage geben können, was uns dabei angesprochen, ergriffen, dazu motiviert und gedrängt hat.

Indem uns etwas Materiell-Ausdruckhaftes anspricht, geht es uns erst einmal um das Sein dieses Seienden und erst später in der Auseinandersetzung, insbesondere bei einer Täuschung, die uns auf Unzulänglichkeiten (auch hier erst die von anderem Sein und dann die von unserem eigenen) aufmerksam macht, um das Sein unseres eigenen Daseins. Wenn wir dann den Aspekt der Transzendenz entdecken, das Wunder des Seins bzw. der Schöpfung, deren Grund absolut unverfügbar jenseits der Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit liegt (daher können wir uns nur wundern), sowohl was Herkunft, als auch Zukunft und gegenwärtigen Augenblick betrifft, in dem wir gerade angekommen sind, geht es uns um das Sein überhaupt, und unsere Interexistenzialität bekommt erst jetzt eine eigentlich menschliche Qualität. Damit ist uns insbesondere das Wunder der Sprache erschlossen, wenn auch nicht unbedingt entdeckt, dass wir diese Wunder und unser eigenes Sich-Wundern sprachlich in der Rede ausdrücken können, die erst durch die dazu nötige Symbolhaftigkeit eigentlich menschlich wird. Die dadurch sprachlich im Austausch mit anderen, befindlich für uns allein und spezifisch erwartungsvoll handelnd möglich gewordene Auseinandersetzung mit unseren Grenzen drängt uns, diese immer mehr zu erweitern und dadurch immer menschlicher zu werden. Es, was auch immer es sein mag, motiviert uns ständig, unser menschliches Dasein immer mehr zu optimieren.

Was bedeutet eigentlich „symbolhaft“? Einen sprachlichen Ausdruck verwenden, begreifen und verstehen wir symbolhaft oder hermeneutisch, wenn wir von dem, was er früher einmal ausgedrückt hat (bei Heidegger die Vor-Habe (Heidegger, 2006)), vollkommen absehen und ihn als Ausdruck von etwas nehmen, was mit dem Früheren nur assoziativ (Heidegger nennt dies Vor-Sicht, ebenda) verbunden ist. Eine assoziative Verknüpfung kann auf einer Ähnlichkeit in der Wahrnehmung beruhen (z.B. „sich schlängelnde Haare“, die ähnlich wie eine Schlange aussehen), auf einer vergleichbaren psychischen Ergriffenheit (z.B. eine „Saure-Gurken-Zeit“ empfindet man wie eine Zeit, in der es nur saure Gurken zu essen gab) oder auf einer entsprechenden geistig-vorstellungsmäßigen Erwartung (z.B. wenn sich ein „Unwetter zusammenbraut“, erwarte ich etwas ähnlich Schlimmes, wie wenn jemand wütend die Augenbrauen zusammenzieht). Von der ursprünglichen Bedeutung wird bei dieser neuen Verwendung des Ausdrucks (Heidegger bezeichnet dies als Vor-Griff, ebenda) vollkommen abgesehen (die Haare sind keine Schlangen, bei einer Saure-Gurken-Zeit ist es vollkommen egal, ob es saure Gurken gibt oder nicht, und ein Unwetter hat keine Augenbrauen, die es zusammenziehen kann).

Im Unterschied dazu bleibt bei einer zeichenhaften oder apophantischen Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks sein bisheriger Bedeutungsgehalt bestehen, man fasst nur das, was er meint, als Hinweis auf etwas anderes auf, z.B. dunkle Wolken als Zeichen für Regen oder Gewitter. Indem wir gemeinsam immer wieder neue symbolische Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke erschaffen oder nach entsprechendem Muster neue Wörter und Ausdrücke bilden, die so durch „familienähnliche“ Strukturen verknüpft sind (Wittgenstein, 2001), kann niemand die Entwicklung menschlicher Sprachen voraussagen. Das ist „die Transzendenz und offene Prozessualität der Sprache“ (Rentsch, Gott, 2005, S. 79).

Alles Transzendente können wir nur symbolhaft sprachlich ausdrücken, das „Wunder der Schöpfung“, das „Wunder unserer eigenen Existenz“ und das „Wunder unserer Handlungsmöglichkeiten“, nämlich Handlungsmöglichkeiten, die nur durch das „Wunder der Sprache“ entstanden sind und immer neu entstehen können. Die Rede vom Transzendenten sieht von der Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks, wie er jeweils im Alltag relativ zu unserer alltäglichen Umwelt verwendet wird, vollkommen ab und ist in diesem Sinne absolut (absolut kommt von lateinisch absolvere, loslösen), es bestehen nur assoziative Verknüpfungen wie oben beschrieben. Insofern haben wir es hier mit zwei verschiedenen Sprachebenen zu tun, eine in diesem Sinne relative und eine absolute oder transzendente, die nicht miteinander vermischt werden dürfen, sonst bekommen wir logische Probleme. Auf dieses Thema werde ich auf Seite → noch einmal eingehen.

Bei meiner Daseinsanalyse habe ich nun drei Wahrnehmungsstrukturen unterschieden (etwas wahrnehmen heißt etwas von etwas anderem unterscheiden), nämlich Raum,Zeit und Rhythmik, die ebenfalls in einem absolut dialektischen Verhältnis zueinanderstehen, und die uns jeweils auffordern, uns mit unserem menschlichen Dasein auseinanderzusetzen, indem wir das Wahrgenommene aufnehmen, verarbeiten und praktisch nutzen. Daraus ergeben sich dann die entsprechenden Daseinsstrukturen der Räumlichkeit mit ihrer Ekstase der Weltzugehörigkeit, uns auf unser Dasein in der Welt immer mehr und immer entschlossener einzulassen, der Zeitlichkeit, uns immer mehr in die drei zeitlichen Ekstasen der Herkunft, Zukunft und Ankunft hineinzuversetzen oder uns hineinversetzen zu lassen, und der Lebenswirklichkeit, der Dynamik unserer Emotionen (Affekte, Empfindungen und Gefühle), durch die wir immer mehr in die Ekstase der Auskunft über Herkunft, Zukunft und Ankunft unserer jeweils aktuellen Lebenssituation durch ein immer besseres Auskommen (Auskunft kommt von Auskommen) mit anderen und der Welt hineinversetzt werden bzw. uns selbst dort hineinversetzen. Diese Daseinsstrukturen befinden sich ebenfalls in einem absolut dialektischen Verhältnis.

Jede Analyse verfolgt einen Zweck, und der Sinn meiner Daseinsanalyse besteht in der Suche danach, wie das menschliche Dasein optimiert und gewissermaßen wahrhaft menschlich werden kann (siehe oben). Die folgende Idee habe ich von Heideggers Konzept der Eigentlichkeit (Heidegger, 2006) abgeleitet, indem ich seinen Begriff des eigentlichen Verstehens des Worumwillens neu gefasst habe: Das absolute Optimum wäre dann erreicht, wenn wir alle echt und unmittelbar das jeweilige Worumwillen unseres menschlichen Daseins verstehen würden. „Verstehen“ bedeutet dabei, dass wir aufgrund unseres affektiven Begreifens von wahrgenommenen Unterschieden und der dadurch entstehenden Empfindungen bzw. unserer Ergriffenheit planvoll Möglichkeiten unseres Seinkönnens entwerfen, uns für einen Plan entscheiden und dann aufgrund erwartungsvoller Gefühle entsprechend praktisch handeln. „Echtes Verstehen“ bedeutet, dass wir uns in unseren Erwartungen nicht täuschen und dann empfindungsmäßig enttäuscht sind, und „unmittelbar“ heißt, dass dieses „Verstehen“ durch nichts anderes vermittelt ist als durch das jeweilige Worumwillen selbst, also direkt durch das vermittelt, worum es dem menschlichen Dasein jeweils gerade befindlich bzw. in seiner Ergriffenheit geht. Eine andere Herleitung ist die, dass es das Optimum wäre, wenn jede Täuschung vollkommen ausgeschlossen wäre. Ausgeschlossen wäre jede Täuschung, wenn das Verstehen unserer Ergriffenheit, unseres Worumwillens echt wäre, und vollkommen ausgeschlossen genau dann, wenn dieses echte Verstehen unmittelbar, also von nichts anderem abhängig bzw. vermittelt wäre als von unserer Ergriffenheit selbst.

Wie ich schon früher aufgezeigt habe (Kolb, 2017c), geht es uns jeweils „nicht nur um ein kluges Sein wie manchen Tiere, sondern zum einen allgemein um ein sinnvolles Sein (im Modus des Genus unter dem Aspekt des Geistig-Idealen), zum anderen im Einzelnen um ein eigenes Sein (im Modus des Individuums unter dem Aspekt des Körperlich-Materiellen) und als drittes im Besonderen um ein verantwortungsvolles Sein (im Modus der Spezies unter dem Aspekt des Psychisch-Motivationalen)“ (ebenda, S. 86). „Sinnvoll“ bedeutet allgemein affektiv begreifbar einem idealen Ziel folgend und „verantwortungsvoll“, dass wir autonom, im eigenen Namen handeln und so Antwort geben können, was uns psychisch bzw. von unserer Ergriffenheit her motiviert hat.

An dieser Stelle könnte nun der Einwand kommen, es gebe hier einen Zirkelschluss, da das ideale Ziel, dem das Dasein folgt, wenn es ihm um ein sinnvolles Sein geht, ja gerade das echte und unmittelbare Verstehen des Worumwillens ist, was ja ein sinnvolles Sein wäre. Dem ist zu entgegnen, dass hier Relatives mit Absolutem verwechselt und vermischt wird: Wie schon Heidegger schreibt (Heidegger, 2006), bewegt sich das Dasein im Verstehen in Zirkeln, das ist der Relativität des Daseins geschuldet, das Dasein ist zeitlich und räumlich relativ, aber das echte und unmittelbare Verstehen des Worumwillens ist absolut bezüglich Räumlichkeit und Zeitlichkeit, eine Utopie, bei der es weder Raum noch Zeit gibt.

Der Zirkel ist nun geschlossen, und wenn wir dabei nach dem echten und unmittelbaren Verstehen des Worumwillens unseres Daseins streben, dann bemühen wir uns um immer mehr Auskunft über die entsprechende Herkunft unserer Ergriffenheit, über die Möglichkeiten, die aus der Zukunft auf uns zukommen können, und über die tatsächliche Situation, in der wir nach unseren Handlungen (oder Nicht-Handlungen) angekommen sind. In unserem Bemühen geht es vor allem darum, dass wir uns insgesamt immer weniger täuschen bzw. aus unseren Täuschungen etwas lernen und Konsequenzen ziehen.

Dadurch wird unser Verstehen immer echter. Indem wir immer verantwortungsvoller dabei handeln, also immer besser Antwort geben können darüber, was uns ergriffen hat und was wir erwarten, wird das Verstehen unseres Worumwillens immer unmittelbarer, sodass wir uns tatsächlich so immer mehr dem echten und unmittelbaren Verstehen des Worumwillens unseres Daseins annähern. Bei diesem Zirkel begegnen uns weitere Transzendenzaspekte, nämlich dass wir uns stets vorweg, stets hinterher und stets dabei sind, alles, was uns und unser In-der-Welt-Sein betrifft, wahrzunehmen, zu begreifen und uns darauf zu verstehen, wobei es hier ebenfalls Grenzen gibt, die wir höchstens ausdehnen aber nie überschreiten können. Diese Transzendenzaspekte vermitteln unserem Dasein einen Rahmen, in dem unser Sein verständlich wird, vermitteln also den Sinn unseres Seins (Heidegger, 2006).

Die Ekstase der Auskunft macht noch einmal deutlich, dass wir bei alldem auf den Austausch und ein Auskommen mit anderen angewiesen sind. Die Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeiten werden niemals von einem allein geschaffen, das hat Wittgenstein mit seinem Privatsprachenargument bereits logisch widerlegt. Dies gilt nicht nur für die Sprache, sondern für jede Art der Kommunikation, auch die nichtsprachliche. Einerseits kann man die Argumentation von Wittgenstein übertragen, andererseits haben Beobachtungen ergeben, dass die Kommunikation zwischen Mutter und Kind, die sich ab der Geburt entwickelt, bei derselben Mutter mit verschiedenen ihrer Kinder nicht gleich ist, d.h. ähnliche Lautäußerungen oder Verhaltensweisen werden von verschiedenen Kindern verschieden eingesetzt und von derselben Mutter auch entsprechend anders beantwortet. Insgesamt sind Ausdruck, Entsprechung und Auseinandersetzung zwischen einer Mutter und jedem ihrer verschiedenen Kinder anders. Jede Auskunft, jeder Austausch mit anderen und jede Art der Kommunikation dient der verständigen Weltorientierung und Daseinsbewältigung. Daher kann man auch sagen, das menschliche Dasein strebt der absoluten Einheit zu, und statt „Im Anfang war das Wort“ (Johannes, 1, 1) müsste man viel radikaler davon sprechen, dass im Anfang die absolute Einheit war. Die absolute Einheit aber ist für uns das absolute Nichts, weil wir absolut nichts mehr unterscheiden und daher absolut nichts mehr wahrnehmen könnten. Wenn wir als Anfang allerdings die Sprengung der ursprünglichen Einheit nehmen, also den Urknall, dann bedeutet „Wort“ das Versprechen der Rückkehr zur absoluten Einheit.

Wenn wir uns täuschen, können wir drei Stellen dieses kreisförmigen Prozesses kritisch betrachten: (1) wenn wir wahrnehmen, ob wir einen Unterschied übersehen haben oder meinten, einen solchen wahrgenommen zu haben, obwohl es keinen gab, (2) wenn wir uns ergreifen lassen bzw. von etwas ergriffen sind, obwohl wir besser gelassen bleiben sollten, oder umgekehrt, wenn uns etwas nicht ergreift, was uns aber etwas angeht, und (3) wenn wir aufgrund unerfüllbarer Erwartungen handeln oder an einer möglichen Erfüllbarkeit zweifeln und deshalb einen entsprechenden Plan nicht umsetzen. Vereinfacht ausgedrückt, können wir unsere physisch-materielle Wahrnehmung und unsere Affekte, unsere psychisch-motivationale Ergriffenheit und unsere Empfindungen oder unsere geistig-idealen Erwartungen und unsere Gefühle kritisieren. Woher solche Kritik und entsprechende Zweifel kommen, wohin sie führen, dass wir überhaupt zweifeln und zweifeln können, ist für uns unerklärlich und unverfügbar. Bei diesem Transzendenzaspekt des Zweifelns ist jeder auf sich selbst zurückgeworfen, ist dazu angehalten, sein Selbst zu entdecken (hier ist schon angedeutet, was unter dem Selbst zu verstehen ist, ich werde es aber weiter unten noch genauer beschreiben). Zugleich gründet darin unsere Selbstbestimmung („Ich zweifle oder wundere mich, also bin ich“), unser Selbst ist darin erschlossen, wenn auch noch nicht unbedingt entdeckt. Außerdem zeigt sich hierin, dass Immanenz ohne Transzendenz unmöglich ist, Selbsterkenntnis ist nur möglich, weil wir im Zweifel auskunftmäßig uns hinterher, uns vorweg und dabei sind, in welcher Situation wir gerade angekommen sind, und das ist der Rahmen, in dem Sein erst selbst-verständlich ist, das ist der Sinn des Seins (Heidegger, 2006).

Weil Kritik und Zweifel immer auf sprachlichen Ausdrücken beruhen, begegnen wir hier der Transzendenz bzw. dem Wunder der Sprache. Die Potenzialität und Ahnungen sind das Unfassbare, welches hinter der Grenze dessen liegt, was wir sprachlich ausdrücken können, und Kritik und Zweifel werden aus Ahnungen geboren. Diese „Geburt“ gelingt nur dann, wenn wir uns einerseits mit anderen ausreichend ausgetauscht haben (eine kontextmäßige Betrachtung, also die Vernetztheit, Bezogenheit und Relativität von allem Seienden betreffend), sodass wir von Ahnungen ergriffen werden können, die wir dann für uns allein verstehen können, nachdem wir genug Möglichkeiten des Seinkönnens (Potenzialität) genauer betrachtet haben.

Wie schon oben erwähnt, handelt es sich beim echten und unmittelbaren Verstehen des Worumwillens unseres Daseins um eine Utopie, etwas absolut Unerreichbares, was meines Erachtens genauso für Heideggers eigentliches Verstehen gilt. Trotzdem konnte ich zeigen, dass es sinnvoll ist, nach diesem Ziel zu streben, dass der Weg dorthin absolut Sinn macht: zum einen ist es eine in unserem Dasein bezeugte Erfüllungsgestalt, zum anderen besitzt jeder die Möglichkeit, auf diesem Weg Fortschritte zu machen (Kolb, 2017a). Damit ist dieses utopische Ziel vernünftig und rational begründbar. In Bezug auf die drei Daseinsmodi bedeutet diese Utopie vollkommene kommunikative Solidarität (Genus), vollkommenes ganzheitliches Selbstverständnis (Individuum) und vollkommene Autonomie und Effektivität (Spezies), wobei ich meine bisherige Daseinsanalyse dahingehend ergänzen muss, dass Effektivität wegen der Solidarität mit anderen und wegen des Selbstverständnisses des einzelnen bedeuten muss, dass beim Handeln das Leid in der Welt und bei sich selbst nicht vermehrt, sondern am besten vermindert wird. Das Kommunikative im Gemeinschaftlichen, das Ganzheitliche des individuellen Verstehens und die Autonomie beim Handeln stehen in einem absolut dialektischen Verhältnis zueinander, und dasselbe gilt für die Solidarität, das Selbstverständnis und die Leidminderung (zwei vermitteln jeweils das Dritte und dieses zwischen den beiden).

Ich habe diese Utopie die der vollkommenen Liebe genannt, bei der vollkommene Selbst-Liebe und vollkommene Fremd-Liebe eins sind. Der Daseinsaspekt des Geistig-Idealen ist dann der Aspekt der Rückkehr zur vollkommenen Liebe, das Körperlich-Materielle ist der Aspekt der Entfremdung von der vollkommenen Liebe und das Psychisch-Motivationale der Aspekt der Dynamik der vollkommenen Liebe (Kolb, 2017a).

Nachdem ich die wichtigsten Grundlinien meiner Daseinsanalyse skizziert habe, möchte ich vertieft auf das Phänomen zweier verschiedener Sprachebenen für das Transzendentale oder Absolute und für das Relative oder Profane eingehen, welches uns im menschlichen Dasein zum ersten Mal in der frühen Kindheit begegnet, wenn ein Kind zwischen den beiden Erlebnismodalitäten des Als-ob-Modus (auf fantasierte Möglichkeiten bezogen z.B. in Rollenspielen) und des Äquivalenz-Modus (auf frühere Erfahrungen bezogen) hin- und herwechseln kann (Fonagy, Gergely, Jurist, & Target, 2008). Es hat dann z.B. gelernt, wie es das Wort „Geist“ verwenden kann. Wittgenstein meint, wir sprechen von einem Geist, als ob etwas existiert, wofür es aber kein greifbares Äquivalent gibt. „Wo unsere Sprache uns einen Körper vermuten lässt, und kein Körper ist, dort, möchten wir sagen, sei ein Geist.“ (§ 36) (Wittgenstein, 2001).

Beim Phantomschmerz, um ein anderes Beispiel zu nehmen, bin ich psychisch im Äquivalenz-Modus und empfinde meinen Zustand als äquivalent zum Zustand vor der Amputation. Ich mache mich unter solchen Bedingungen eventuell von anderen abhängig, etwa von einem Arzt, der mir sagt, ich könne keine Schmerzen haben, obwohl ich welche empfinde. Ich bin dann vielleicht ganz entgeistert und glaube dem Arzt und nicht mir, als ob meine Empfindungen und mein Denken darüber falsch und daher gar nicht meine eigentlichen Empfindungen und mein eigentliches Denken sind, als ob meine Seele und mein Geist gar nicht meine Seele und mein Geist sind, als ob ich erst von außen beseelt und begeistert werden muss und bis jetzt nur ein Zombie bin, mit dem man machen kann, den man beliebig benutzen kann. Mein Körper wird sozusagen von außen beseelt und mit Geist versehen, eine Beseelung und Begeisterung von außen, und ich bin nur Körper, nur Staub, ein Nichts, von außen bestimmt und nicht von mir selbst. Mein Selbst ist bei dieser Vorstellung mein Körper, und meine Seele und mein Geist, das bin nicht ich – und das ist schizophren.

Bei der Vorstellung der Beseelung und Begeisterung von außen bin ich nur dann nicht schizophren, bin immer noch selbst meine Seele und mein Geist, wenn ich mir klar darüber werde, dass ich vom Erleben meine Empfindungen und im Äquivalenz-Modus bin und in den Als-ob-Modus wechseln kann. In diesem Modus habe ich Gefühle, die mit entsprechenden Vorstellungen verknüpft sind. Das ist normal und nötig, damit ich entscheiden kann, welche Alternative meines Seinkönnens ich handelnd umsetzen will oder sollte und welche nicht. Im Als-ob-Modus stelle ich mir diese Alternativen ja geistig vor.

Wenn ich die Meinung und das Gefühl eines anderen ausdrücke und dabei glaube, es sei meine Meinung und mein Gefühl, obwohl das nicht stimmt, dann bin ich im Äquivalenz-Modus und zugleich in einem anormalen Bewusstseinszustand, z.B. in Hypnose oder in einem psychotischen Schub. Im Als-ob-Modus dagegen bin ich wie jemand, der die Rolle eines anderen spielt und davon weiß. Ich weiß dann auch, dass mein körperlicher Ausdruck mein eigentliches Sein verdeckt. Wir drücken dies meist so aus, dass der Körper für andere ein Hindernis darstelle, Seele und Geist zu erkennen. Im psychotischen Schub ist mein Körper dies auch für mich. Dann rede ich wie im Als-ob-Modus, obwohl ich mich im Äquivalenz-Modus erlebe, sodass beide Modi vermischt sind.

Dagegen meint Wittgenstein, dass der „menschliche Körper [...] das beste Bild der menschlichen Seele“ (Wittgenstein, 2001, S. 1002, PU 496) sei. In diesem Sinne sind Körper und Seele äquivalent, und genau dies ist mit dem Äquivalenz-Modus des Erlebens gemeint. Wenn unser Körper das beste Bild der Seele ist, dann vertraue ich darauf, dass ich für andere, die mich körperlich wahrnehmen, in meinen Äußerungen verständlich bin. Meine Seele ist in diesem Sinne körperlich geworden, sie ist abbildhaft Fleisch geworden nach außen hin, eine Fleischwerdung nach außen, und mein Körper ist das fleischliche Bild meiner Seele, das irgendwann einmal zu Staub zerfällt. Als Körper bin ich das fleischliche Abbild meiner Seele (und meines Geistes) und so mir selbst verständlich, ich bin selbst-verständlich mein Körper.

Wenn ich nun mich selbst als meinen Körper wahrnehme, dann sage ich, ich bin ich selbst, ich bin mein Körper. Ein wörtliches selbst-verständliches Mein-Körper-Sein, wenn es nicht wie bei der Vorstellung der Beseelung und Begeisterung schizophren sein soll, setzt aber voraus, dass ich nicht nur mein Selbst, sondern auch meine Seele und meinen Geist mit meinem Körper identifiziere, doch ist das nicht schizophren? Weiter unten auf Seite → werde ich aufzeigen, dass das Selbst in unserer Ergriffenheit, unseren Erwartungen und daher in unserer Seele und unserem Geist phänomenal enthalten und aus unseren Täuschungen und damit aus unserem Körper – genauer aus dem körperlich-materiellen Aspekt unseres Daseins – ableitbar ist. Ableitbar, weil der Körper das Bild unseres Selbst ist, und phänomenal enthalten, weil unser Selbst von der Welt ergriffen ist und Erfüllung erwartet. Wenn ich also mein Selbst mit meinem Körper identifiziere, dann ist das so, als sagte ich zu meinem Bild in einem Spiegel: „Das bin ja ich!“ Wenn das wörtlich so stimmte, dann hätte ich mich verdoppelt, und das wäre tatsächlich schizophren. Da ich aber tatsächlich im Alltag zu meinem Spiegelbild sage, dass ich das bin, ohne der Meinung zu sein, dass ich mich verdoppelt habe, kann ich auch sagen, ich bin selbstverständlich mein Körper, ohne mein Selbst mit meinem Körper gleichzusetzen, also ohne schizophren zu sein. Ich bin also, wenn ich sage, „ich bin mein Körper“, vom Erleben her in einem Äquivalenz-Modus, denn mein Selbst und mein Körper sind äquivalent, also nur gleichwertig und nicht gleich. Bei der Vorstellung der Fleischwerdung nach außen betrachte ich meinen Körper ja als Abbild und setze ihn gerade nicht mit meinem Selbst gleich, das in ihm auch nur abgebildet wird. Seele und Geist sind Fleisch geworden im Körper und damit in die Welt gekommen, in die Realität, sodass man vom Erleben her diesen Modus, wenn ich mich in der Welt fühle als In-der-Welt-Sein, auch als Realitätsmodus bezeichnen kann, weil Seele und Geist im Körper Fleisch geworden, relativ geworden und ihm äquivalent sind und sich als (relative) Repräsentationen des (relationalen) Daseins im Umgang mit der Realität, im praktischen Leben, bewähren können, dürfen, sollen, müssen. Als-ob-Modus, Äquivalenzmodus und Realitätsmodus befinden sich daher in einem absolut dialektischen Verhältnis.

Auf den ersten Blick scheinen sich die beiden Vorstellungen der Beseelung und Begeisterung von und der Fleischwerdung nach außen zu widersprechen, aber wenn wir uns die Entwicklung eines Kindes in der Mutter-Kind-Beziehung der ersten Lebensjahre betrachten, dann findet beides parallel zueinander statt. Einerseits begeistert die Mutter ihr Kind von außen, wobei dieses sich vom Erleben her im Als-ob-Modus befindet und ihre Vorstellungen übernimmt, und sie beseelt es von außen, indem sie es liebevoll berührt, wobei das Kind im Äquivalenz-Modus des Erlebens ist, denn es erlebt die Liebe der Mutter am Körper, der äquivalent zu seiner Seele ist. Andererseits setzt sich das Kind vom Erleben her in beiden Modi immer mehr mit der Welt auseinander und seine Seele entfaltet sich im Äquivalenz-Modus und sein Geist im Als-ob-Modus, und beides wird im „Fleisch“ seines Körpers und dessen Ausdruck immer sichtbarer und damit äquivalenter zum Körper, bis es am Ende dieses Entwicklungsabschnitts mit etwa vier Jahren vom Erleben her damit beginnt, die beiden Modi sowie Geist und Seele immer mehr miteinander zu verknüpfen, sodass es dadurch immer mehr sich im Realitätsmodus erlebt. Vorbild ist dabei, wie die Mutter ihre Begeisterung und Beseelung ihres Kindes miteinander verbindet.

Am Anfang „hat“ ein Kind in den gefühlsmäßigen Vorstellungen der Möglichkeiten seines Seinkönnens einen Körper, den es benutzen kann, aber im Laufe seiner Entwicklung, wenn diese Vorstellungen differenzierter werden, identifiziert es sich mit verschiedenen Körperteilen und „ist“ immer mehr sein Körper. Vom Seelisch-Motivationalen her „ist“ es anfänglich nur ein Körper, empfindet sich als Teil seiner Mutter, bis es allmählich begreift, dass es verschiedene körperliche Bereiche und damit Körperliches „hat“ und sich so immer mehr von seiner Mutter unterscheidet, von der es ja real verschieden ist. Entsprechend ist das Psychisch-Motivationale zuerst nur auf die Vergangenheit bezogen, die ein Kind z.B. gerne wieder holen möchte, wenn sie erfüllend war, und erst nach und nach wird es von idealen zukünftigen Möglichkeiten befindlich angezogen; und vom Geistig-Idealen her ist es zu Beginn seiner Entwicklung auf die Zukunft ausgerichtet und bezieht erst allmählich vergangene Möglichkeiten in seine Vorstellungen mit ein. So verbinden sich Seele und Geist, behalten aber immer eine gewisse Eigenständigkeit bei, die erst in der vollkommenen Liebe aufgehoben wäre.

In der Pubertät lernt der Jugendliche, seine Seele bzw. seine Empfindungen und seine Gedanken bzw. seinen Geist hinter seinem sich geschlechtlich entwickelnden Körper immer mehr zu verbergen, bis er sich dann als Erwachsener in der intimen körperlichen Partnerbeziehung wieder mehr mit seinen Empfindungen und Gedanken körperlich zeigt. So kann das immer hin und her gehen, dass der Körper einmal Seele und Geist verbirgt und dann wieder offenbart. Wir können hier einen Rhythmus der Entwicklung des menschlichen Daseins erkennen, das sich nicht geradlinig auf das utopische Ziel der vollkommenen Liebe hin entwickelt, sondern teils linear, teils zirkulär.

Seele und Geist sind aber nie vollkommen vereint, das wäre nur in der vollkommenen Liebe der Fall. Von daher sind auch Als-ob-Modus und Äquivalenz-Modus zwar verbunden aber trotzdem verschieden. Dasselbe gilt für die beiden Sprachebenen, mit denen wir einerseits im Als-ob-Modus vom Transzendenten bzw. Absoluten reden und sagen, dass wir als absolutes und unverfügbares Selbst einen Körper haben, und andererseits im Äquivalenzmodus die Rede vom Relativen bzw. vom Diesseitigen führen, wobei wir dann sagen müssen, dass wir im relativen Dasein unser Körper sind. Wenn wir das verwechseln und z.B. Körper-Haben und Körper-Sein miteinander vermischen oder die Rede von Gott wörtlich nehmen und für gleich mit der vom Alltäglichen halten, dann vermischen wir Absolutes mit Relativem, und das ist wahnhaft oder abergläubisch.

Um noch einmal auf den Phantomschmerz zurückzukommen, so besteht hier vor allem ein psychisches Problem: Vom Absoluten her haben wir einen Körper mit zwei Beinen, vom Relativem her sind wir nach einer Amputation nur noch ein Körper mit einem Bein bzw. ein Körper ohne das eine Bein. Wenn wir vom Seelischen her noch nicht begreifen, dass wir ohne das eine Bein sind, dann empfinden wir ab und zu Phantomschmerzen, womit unsere Psyche unseren Geist, welcher noch nicht weiß, dass wir nur noch ein Bein haben, auffordert, für unser Bein zu sorgen, als ob wir es noch hätten. Nach einer Amputation muss also unsere Seele begreifen, dass wir ohne das eine Bein sind, und unser Geist muss verstehen, dass wir nur noch ein Bein haben. Würden wir in diesem Fall aufstehen und versuchen, mit zwei Beinen zu laufen, dann würden wir hinfallen und durch diese Täuschung und Enttäuschung vom Geist her ziemlich schnell verstehen, dass wir über die Möglichkeit dieses Seinkönnens nicht mehr verfügen, also nur noch ein Bein haben. Ganz allgemein lernen wir am besten durch positive Fakten, die wir wahrnehmen, greifen und begreifen können. Eine Täuschung ist wahrnehmbar und daher so ein positives Faktum. Aber nicht mehr ein Körper mit zwei Beinen zu sein trotz früherer äußerst schmerzhafter Erfahrungen und Empfindungen, ist ein negatives Faktum, sodass es von unserer Psyche her wesentlich schwieriger ist, dieses Faktum zu begreifen. Insofern ist der Phantomschmerz kein geistiges, sondern ein psychisches Problem.

Nachdem nun geklärt ist, wie wir vom Transzendenten reden können, kann ich den Begriff Religion daseinsanalytisch definieren und bestimmen, was eine Religion im menschlichen Dasein für einen Platz hat, worauf sie gründet und wie und wodurch sie entsteht und sich auswirkt. Eine Religion umfasst