Requiem für Jakob - Roswitha Quadflieg - E-Book

Requiem für Jakob E-Book

Roswitha Quadflieg

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Beschreibung

Eine Hamburger Autorin und Buchkünstlerin, Gründerin der exquisiten Raamin-Presse, hat, wie sie selber sagt, ihr bisheriges Leben auf den Kopf gestellt, um den Spuren eines Unbekannten zu folgen. Der Anti-Held ihrer Recherche ist ein deutsch-französischer Jude, der 1997 mit 91 Jahren gestorben ist. Auch seine Familie lebt nicht mehr. Ein paar Fotos, ein paar Akten, auf die sie durch Zufall gestoßen ist, sind der Anfang. Sie befragt zweihundert Zeugen, wühlt sich durch mehr als zweitausend Seiten Gerichtsakten, schreibt zahllose Briefe und kämpft mit der Bürokratie von sechs Ländern - alles, um das Schicksal eines Mannes zu erforschen, der sie fasziniert und vor viele Rätsel stellt.*Jakob Birnbaum wechselte Länder und Identitäten, Namen und Lebensläufe, Religionen und Berufe je nach den Situationen und Zwickmühlen, in die er geriet. 33 Jahre seines Lebens hat er in Gefängnissen verbracht, als Dieb, Betrüger, Hochstapler oder Fälscher. Nach 1940 hat er nicht, wie er behauptete, der Resistance angehört, sondern als Informant für die Deutschen gearbeitet. Nach dem Krieg machte er »Karriere« in der deutschen Psychiatrie. Er glaubte sich von Geheimdiensten verfolgt und gefoltert, demonstrierte vor dem Bundestag und führte endlose Prozesse um Wiedergutmachung.*Aber Jakob war auch ein Charmeur, ein Frauenheld, ein Spieler und ein erfolgreicher Geschäftsmann. Zuletzt lebte er von Sozialhilfe in Altona, tingelte durch Agenturen und verdingte sich als Modell. Dieser rätselhafte Mensch erscheint hier, fern aller denunziatorischen Rechthaberei, als Opfer und Täter zugleich.

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Seitenzahl: 303

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Roswitha Quadflieg

Requiem für Jakob

Eine Spurensuche

Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger

ISBN 978-3-8477-5244-8

© für die deutschsprachige Ausgabe:

AB – Die Andere Bibliothek GmbH & Co. KG, Berlin www.die-andere-bibliothek.de

Requiem für Jakob von Roswitha Quadflieg ist im März 2005 als zweihundertvierundvierzigster Band der Anderen Bibliothek erschienen.

Die limitierte gedruckte Ausgabe ist erhältlich im Abonnement ab-abo.de oder als Einzelband unter:

http://www.die-andere-bibliothek.de/Originalausgaben/Requiem-fuer-Jakob::285.html

Covergestaltung: Ute Henkel

Herausgabe: Hans Magnus Enzensberger

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, http://www.le-tex.de

Umsetzung und Vertrieb des E-Book erfolgt über:

Inhaltsübersicht

Impressum

DIE ANDERE BIBLIOTHEK

12. September 2001

Dezember 2000

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

Personenverzeichnis

DIE ANDERE BIBLIOTHEK

Die 1984 von Hans Magnus Enzensberger und dem Verleger und Buchgestalter Franz Greno begründete Buchreihe DIE ANDERE BIBLIOTHEK ist längst zum Bestandteil unserer deutschsprachigen Lesekultur geworden. Monat für Monat ist seit Januar 1985 ein Band erschienen – »Gepriesen und geliebt« (Frankfurter Allgemeine Zeitung). An dem Anspruch, intellektuelles und visuelles Vergnügen zu verbinden, hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert:

DIE ANDERE BIBLIOTHEK ist die »schönste Buchreihe der Welt« (Die Zeit).

Seit Januar 2011 wählt der Herausgeber Christian Döring monatlich sein Buch aus und gibt es im Verlag DIE ANDERE BIBLIOTHEK unter dem Dach des Aufbau Hauses am Berliner Moritzplatz heraus. In Haltung, Gestaltung und Programm hat sich am Anspruch seit drei Jahrzehnten nichts geändert: »Wir drucken nur Bücher, die wir selber lesen möchten.«

Das Programm der ANDEREN BIBLIOTHEK folgt inhaltlich seit Anbeginn nur einem Maßstab: Genre-, epochen- und kulturraumübergreifend wird entdeckt und wiederentdeckt, die branchenübliche Einteilung in Sachbuch und Literatur hat nie interessiert, der Klassiker zählt so viel wie die Neuerscheinung. Es gilt der »Kanon der Kanonlosigkeit«, nur Originalität und Qualität sollen zählen.

– Jeden Monat erscheint ein neuer Band, von den besten Buchkünstlern gestaltet.

– Die Originalausgabe erscheint in einer Auflage von 4.444 Exemplaren – limitiert und nummeriert.

– Werden Sie Abonnent, so erhalten Sie jede Originalausgabe garantiert und zum Vorzugspreis.

Die Mindestlaufzeit des Abos beträgt ein Jahr (zwölf Bände), danach können Sie jederzeit kündigen. Als persönliches Dankeschön erhalten Sie eine exklusive Abo-Prämie.

Bitte informieren Sie sich bei Ihrem Buchhändler oder direkt bei uns:

DIE ANDERE BIBLIOTHEK

030 / 639 66 26 90 oder 030 / 28 394–227

[email protected]

www.die-andere-bibliothek.de

www.ab-abo.de

Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.

Chassidische Weisheit

12. SEPTEMBER 2001

Wie die Zeit vergangen ist, Jakob, kaum zu fassen, die Tage wie Augenblicke – und plötzlich scheint sie stillzustehen. Was soll werden?

»Klingt ein bißchen nach: Armer Poet«, hatte der freundliche Herr der Carneval-Gesellschaft »Klimperkasten« halb amüsiert, halb mitleidig festgestellt, als ich ihm gestand, daß ich nun schon mehr als neun Monate mit dir beschäftigt und noch kein Ende abzusehen sei. Wie verabredet war er am 1. September in den Hinterhof der Reifenwerkstatt gekommen, hatte mir den sogenannten Ratssaal dieses Deutschen Spaßvereins von 1872 aufgeschlossen – einen muffigen Raum über der Garage –, mir geduldig alles gezeigt und erklärt, Gong und Orden, Urkunden und Schellenkappe, und anschließend die alten Photoalben aus dem Schrank geholt. Aber nichts, keine Spur von dir! Und dabei war ich so sicher gewesen, dich im lustigen Treiben zu finden. Immerhin hattest du dir die Eintrittskarte Nummer 0095 für das Maskenfest, Samstag 5. Februar 1977 aufbewahrt. Hotel Atlantic, großer Saal, bitte auf Verlangen vorzeigen. Schade! Und Armer Poet? Wir werden sehen. Ganz unrecht hat er ja leider nicht, der nette Mensch, der für drei Jahre hier freiwillig den Großonkel macht. (Auch Spaßvereine haben eine Hierarchie.) Reise- und Telefonkosten, Gebühren auf Ämtern und in Archiven, eine durchaus beachtliche Summe, die da inzwischen zusammengekommen ist. »Mehr kann ich Ihnen jetzt aber nicht sagen, denn was ich Ihnen eben gesagt habe, kostet eigentlich schon dreizehn Mark.« Zum Glück nehmen es nicht alle Beamten so genau, und wie denn sonst, wenn nicht wie bisher, hätte ich vorgehen sollen? Auch, daß ich noch einige Zeit brauchen werde, steht außer Frage – wer könnte in ein paar Monaten ein ganzes Jahrhundert verstehen?

Dein Jahrhundert, Jakob. Am 30. Juni 1906 in Metz fing es an, in der Nacht vom dritten auf den vierten April 1997 war es zu Ende. In Hamburg. Einundneunzig Jahre. Beginn: Kaiserreich. Große Familie, sieben Kinder, arm. Vater: Handelsmann, Mutter: Althändlerin, beide israelitischer Religion, beide mehrfach vorbestraft. Wie Großeltern und Urgroßeltern auch. In manchen Familien wird gedichtet, in anderen komponiert, und bei euch? Diebstahl, Hehlerei, Betrug, die Männer, Meineid, die Frauen, wahrscheinlich für ihre Männer. So jedenfalls steht es geschrieben im Metzer Meldebuch, ordentlich, Zeile für Zeile in deutscher Schrift. Auch sämtliche Strafen sind aufgeführt: Geld, Gefängnis, Zuchthaus. Laß Kriege wüten, Feuer und Wasser – Urkunden und Akten überstehen.

»Straffällig ist immer gut, dann findet man was,« hat einer der Archivare zu mir gesagt. So habt ihr euch eingeschrieben in die Ewigkeit, und so habe ich deine Spur aufgenommen. Briefe und Fragen. Warten und Nachfragen. Reisen, Lesen.

Niemals werde ich meine Toten verraten, hast du immer wieder kundgetan. Was bedeutet das? Und was eigentlich ist schlimmer, »schiefe Bahn« oder Eisernes Kreuz vom Führer? Was von beidem sich im Angesicht eines – jüdischen oder christlichen – Gottes eingestehen zu müssen wird schwerer sein? Die Frage nach der Schuld überlassen wir ihm – und seiner Barmherzigkeit.

Sieben Söhne, du warst der Jüngste, und als du geboren wurdest, gehörte Metz gerade mal wieder zu Deutschland. Ich weiß jetzt, in welcher Straße ihr gewohnt, wohin die Eltern mit dir und den Geschwistern umgezogen sind, und wann ihr Metz verlassen habt, nach Deutsch-Ott, 1913. Auch wann ihr zurückgekehrt seid. 1922. Da lag Metz schon wieder in Frankreich. 1932 starb deine Mutter. 1938 ist dein Name zum letzten Mal aufgeführt. Mit der letzten Metzer Adresse deines Vaters endet die Spur – Mai 1940. Kurz bevor die letzten Juden die Stadt verließen, wie mir die drei alten Männer, die ich im Bistro am Metzer Bahnhof traf, erzählten. Dein Vater hat sich nach Nizza durchgeschlagen, 1940 noch Freie Zone, und vier Jahre später haben sie ihn dort geschnappt, die Barbies in ihren blanken Stiefeln, mit Hilfe der französischen Polizisten. Kurz vor Landung der Alliierten. Den alten Mann von sechsundsiebzig Jahren. Und via Lyon und Drancy ab nach Auschwitz! Die Kopien der Fernschreiben, die seinen Transport begleiteten, liegen seit März bei mir. Ordnungsgemäß unterschrieben. Samt einem Auszug der Namensliste. Viele Frauen und Kinder. Deren Männern und Vätern hatten die Helden der Aktion Brehmer gleich vor Ort, noch in der Dordogne, den Tod geschenkt. Per Genickschuß.

»… Gott, der Herr hat sie gezählet, daß ihm auch nicht eines fehlet …« Beim Verlassen des Jüdischen Archivs in Paris war mir plötzlich dieses alte Kinderlied durch den Kopf gegangen. Keiner dieser Tausende von Sternen scheint verloren – jeder wurde registriert. Sein Name, das Datum der Verhaftung und auch, wieviel Geld und welche Wertsachen jeder bei sich trug. Einen deiner Brüder haben sie sich, wie ich jetzt weiß, schon im Herbst 1943 geholt, in Paris. Zusammen mit seinem kleinen Sohn. Ledig, steht auf dessen Karte aus dem Zettelkasten des Durchgangslagers Drancy. Er war fünf. Auch davon besitze ich eine Kopie – auch dort ging nichts verloren. Die Bahn hat verdient an den Transporten. Erwachsene, Kinder die Hälfte, alle einfache Fahrt. In manchen Fällen hat man die Fahrscheine sogar an den Ausgangsort zurückgebracht, wie ich las, abgeheftet und ins Regal gestellt. Mit Signatur. Und –

Jetzt fangen wir aber mal ganz von vorne an:

DEZEMBER 2000

Dritter Advent. Ein überheiztes Zimmer, ein kleines Rotklinkerhaus am westlichen Stadtrand Hamburgs. Noch weiß ich nicht, wie man das macht: jemanden kennenlernen, den man nicht gekannt hat und der seit dreieinhalb Jahren tot ist.

Anna sagt: »Mein Vater war Nazi, und Jakob war Jude – damit ist eigentlich schon alles gesagt. Er war meine persönliche Chance für Wiedergutmachung, verstehen Sie?« Anna sitzt neben mir, uns gegenüber Osip, ihr Mann, über Tisch und Fußboden haben sie deine Papiere gebreitet. An den Wänden hängen Photos von dir, gerahmt.

»Hier, ist er nicht toll, wie er dasteht?« Anna reicht mir ein Bild von dir. Ich betrachte dich genau: Einen kleinen eleganten Herrn, gebügeltes Hemd, helle Leinenhose, braune Lederschuhe. Mit dem Hut grüßt du in die Kamera. Ein Schnappschuss aus euren Ferien in Antalja. Das war dein Stil! Auftritt, Pose. Also genau das Gegenteil eines typisch deutschen Touristen in Schlabberhemd und kurzer Hose. Dreimal haben sie dich in den Urlaub mitgenommen, deine beiden um fast dreißig Jahre jüngeren Freunde, und ihr habt euren Spaß gehabt. Obwohl die letzte Reise – zu den Zigeunern ans Schwarze Meer, anläßlich deines Neunzigsten – schon ziemlich riskant war. Bereits etliche Krankenhausaufenthalte, sogar ein Pflegeheim lagen hinter dir.

Auch dort hat Anna dich besucht, jeden Tag, dich, zwei Kopf kleiner als sie selbst, vor sich auf ihre Füße gestellt, und los! So hast du wieder laufen gelernt. »Ohne uns wäre er vor die Hunde gegangen«, sagt sie, und Osip setzt noch eins drauf: »Pflegeheime sind eine moderne Form der Euthanasie.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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