Roter Ochse - Dani Nitz - E-Book

Roter Ochse E-Book

Dani Nitz

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Beschreibung

Berlin – Ost 1980. Vier junge Leute um die 20, wohlbehütet in der sozialistischen Gesellschaft aufgewachsen, haben die Faxen dicke von der roten Linie und den ganzen kommunistischen Seifenblasen. Sie versuchen, über die Tschechei nach Österreich abzuhauen. Der dilettantische Versuch geht in die Hose und die vier landen im Knast. Ab dem Zeitpunkt ist jeder auf sich allein gestellt und die Erzählerin schildert im weiteren Verlauf ihre eigenen Erlebnisse.

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Inhaltsverzeichnis

Der Anfang aller Gedanken

Berlin

Prag

Alcatraz am Alex

Der Rote Ochse

Meine letzten Tage in Chemnitz

16. Oktober 1981!

Schlusswort

Ich danke allen,

die mich in dieser Zeit unterstützt und zu

mir gehalten haben.

Mein ganz besonderer Dank gilt meinen

Eltern

und meiner Lektorin

Sabine Herbst.

Für die Bereitstellung der Bilder bedanke

ich mich bei der Gedenkstätte

„Roter Ochse“ in Halle an der Saale.

Der Anfang aller Gedanken

Dies ist keine biographische Abhandlung, kein „Sachbuch“ im herkömmlichen Sinne, sondern ein persönlich gelebtes und erlebtes Schicksal, welches wesentlich geprägt wurde durch die antisozialistische Erziehung meiner Familie und meinem unbändigen Drang nach Freiheit und die Verwirklichung meiner Wünsche und Träume. Stattfindend zu einer Zeit, in sich der „Kalte Krieg“ zwischen Ost und West so ziemlich auf dem Höhepunkt seiner Perversität befand.

Alles begann im Frühsommer 1980.

Die beiden Weltmächte USA und UDSSR standen sich bis an die Zähne bewaffnet gegenüber und ein kleiner Funke hätte genügt, um das Feuer eines erneuten Krieges zu entfachen.

Gerade erst hatten die Amis und ein Großteil der mit ihnen verbündeten Staaten die Teilnahme an der in Moskau stattfindenden Olympiade abgesagt, was wiederum die Russen ziemlich auf die Palme brachte und nicht unbedingt die Wogen in Richtung politischen Kuschelkurs glättete. Keiner der beiden Kontrahenten war bereit, dem anderen auch nur eine handbreit Raum zuzugestehen. Inmitten dieses politischen Säbelrasselns um die Vorherrschaft an der Weltspitze lag die DDR.

Die östlichen Teile des ehemaligen Deutschen Reiches wurden unter den Siegermächten der ehemaligen UDSSR zugesprochen. Eine Folge der übelsten Diktatur, die Deutschland je hatte. Nun wurden auch in dem von der Sowjetunion besetzten Teil die Maßstäbe für Freiheit und Demokratie je nach Gutdünken der Sieger neu definiert.

Zukünftig wehte ein eisiger Wind zwischen Ost und West. Damit war es dann auch vorbei mit aller Herrlichkeit. Arbeiter- und Bauernstaat schrieben sich die Genossen auf die Fahne; nur leider kamen weder die einen noch die anderen in den Genuss der Vorzüge eines real gelebten Sozialismus. Im Gegenteil, Sie waren es, die dafür sorgten, dass die DDR auch heute noch einen Platz in den Geschichtsbüchern inne hat.

Regiert von einer Riege seniler Greise, die nach radikaler Hirnwäsche in einer von den berüchtigten kommunistischen Kaderschmieden der sowjetischen Freunde auf ihren Stühlen klebten und völlig fern der Realität Staat spielten. Dabei wurden sie nicht müde, ihrem „Volk“ stetig und in allen erdenklichen Facetten das Feindbild des bösen „Westens“ zu propagieren. Andererseits wussten sie durchaus die Vorzüge des westlichen Konsums zu schätzen.

Während der normale DDR-Bürger einmal im Jahr vor Weihnachten für ein paar Apfelsinen stundenlang in der Schlange stand, spazierten die Genossen munter in die eigens für sie eingerichteten Läden und deckten sich dort nach Herzenslust mit „Westklamotten“ für kleine „Ostmark“ ein. Auch mit der Reisefreiheit nahm es die Obrigkeit nicht ganz so genau. Das gemeine Volk konnte sich schon glücklich schätzen, wenn es für sich einen der begehrten Urlaubsplätze am Schwarzen Meer oder am Plattensee ergatterte, während sich die feinen Herren unter durchaus westlicher Sonne die Bräune auf die Glatzen holten.

Die frühen 80er galten schlechthin als „DIE“ Blütezeit des Sozialismus und Korruption und Vetternwirtschaft waren allerorts an der Tagesordnung.

Mitläufer und Denunzianten erlebten eine neue Phase der Hochkonjunktur.

Selbstverständlich hatte das Ganze auch seinen Preis. Um das fatale Ungleichgewicht zwischen der Regierungsriege und den „erbärmlichen“ Untertanen permanent zu vertuschen und sich in dieser Komfortzone des Sozialismus häuslich einzurichten, war ein ganz perfider Machtapparat mit weitreichenden Verbindungen in alle nur erdenklichen Richtungen erforderlich. Diese „delikate“ und „vertrauensvolle“ Rolle fiel dem Staatssicherheitsdienst, im Volksmund „Stasi“ genannt, zu. Passend zu den „brisanten“ Aufgaben, die es zur Aufrechterhaltung des sozialistischen Lügenkonstrukts zu lösen gab, fand sich dann im Mitarbeiterstab dieser Institution auch der mehr oder weniger komplette Ab-schaum an verkrachten Existenzen, die das Land zu bieten hatte, wieder. Ein ganzes Heer voller Schleimer, Lügner und Kleinkrimineller war damit beschäftigt, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten und die Gesellschaft vor den bösen Machenschaften des „kapitalistischen Feindes“ zu verteidigen. Die Bespitzelung kannte keine Gnade und machte auch vor dem heimischen Herd und Bett nicht halt. Jede noch so kleine Information wurde gesammelt und akribisch dokumentiert. Egal ob Freund oder Feind, Fremde oder Familie, sogar der eigene Ehepartner oder die eigenen Kinder wurden in dieser Zeit zum Opfer, alles wurde ausspioniert und dabei war es auch völlig belanglos, ob gegen denjenigen ein realer Tatverdacht bestand oder nicht.

In dieser Zeit konnte man niemandem wirklich vertrauen, musste ständig auf der Hut sein und seine Worte mit Bedacht wählen, wollte man ein einigermaßen unbehelligtes Leben führen. Ein falsches Wort zur falschen Zeit am falschen Ort reichte schon aus, um für eine Ewigkeit; wenn man Glück hatte, „nur“ hinter Gittern zu verschwinden. Viele ereilte aber auch ein weitaus böseres Schicksal, sie verschwanden oft unbemerkt auf Nimmer-wiedersehen in einem der geheimen Gefangenenlager in den Weiten Sibiriens oder gar schlimmer. Bei Nacht und Nebel holten sie die Regimegegner aus ihren Wohnungen und verbrachten sie an geheime Orte. Ohne einen vernünftigen Rechtsbeistand und ohne jegliche Chance auf einen fairen Prozess wurden die Menschen in einem Schnellverfahren abgeurteilt und in vielen Fällen klammheimlich hingerichtet und ihre Körper eilig verbrannt. Namenlos verscharrte man ihre Asche auf irgend einem Friedhof und die Angehörigen, so sie denn welche hatten, wurden mit einem gefälschten Totenschein abgespeist. Alle Spuren wurden fein säuberlich ausgelöscht, so als hätte der Mensch niemals existiert.

Berlin

In dieser Zeit, die geprägt war von staatlicher Willkür und Denunziantentum, von Vorschriften und Maßregeln, in einer Zeit wo Angst und Misstrauen die ständigen Begleiter waren und Lügen und Verrat ihre skurrilen Blüten trieben, wuchs ich, 1960 geboren, als wohlbehütetes Einzelkind heran.

Meine Eltern, beide nicht linientreu und noch weniger dem sozialistischen Staat ergeben, erzogen mich zu einem frei-geistigen, kritisch hinterfragenden, respektvollen aber auch durchaus rebellischen und manchmal auch ziemlich unbequemen Menschen, eben eine echte Berliner Göre! Durch meine Verwandten, die größtenteils im Westteil der Stadt und in Westdeutschland wohnten, wurde ich schon frühzeitig mit den nicht zu übersehbaren Vorzügen der kapitalistischen Freiheit und der Konsumgesellschaft vertraut gemacht. Allerdings lernte ich auch schon von Kindesbeinen an, mit den Nachteilen der deutsch – deutschen Teilung zu leben. Zwar verstand ich als kleines Kind die Zusammenhänge noch nicht wirklich, aber ich fand es total blöd, wenn mein Lieblingsonkel um Mitternacht wieder über die Grenze fahren musste. Diese Familientreffen fanden in der Regel immer zu den Geburtstagen meiner Eltern oder meiner Großmutter statt. Meine Cousins und ich genossen es natürlich sehr, gab es doch Süßigkeiten und Klamotten in rauen Mengen. Für mich bedeuteten die Besuche immer eine Art Ausflug ins Schlaraffenland und ich konnte in meinem jungen Alter noch nicht begreifen, warum es all die schönen Sachen nicht auch in unseren Läden zu kaufen gab.

Dies sollte sich jedoch in den nächsten Jahren schnell ändern, denn für mich begann mit der Schule ein riskanter Spagat zwischen staatlichen Interessen und elterlicher Erziehung. Es fing schon in der ersten Klasse an. Ich hatte das große Glück, meine ersten Jahre in einem kirchlichen Kindergarten verbringen zu dürfen, fernab von jeglicher staatlichen Einflussnahme auf mein kindliches Gemüt, und hatte somit auch null Plan von unserem Arbeiterund Bauernstaat und schon mal gar nicht von unserem großen Bruder Sowjetunion. Bei den lieben Nonnen gab es Spiel und Spaß satt und so ganz nebenbei auch noch das kleine Einmaleins und das Alphabet. Da mir das Schicksal als Joker noch eine ziemlich schnelle Auffassungsgabe mit in die Wiege gelegt hatte, war ich meinen Mitschülern aus den staatlichen Kinder-gärten um einiges voraus, denn diese wurden von der ersten Windel an sofort auf den sozialistischen Weg gebracht. Dementsprechend langweilig gestaltete sich dann auch das erste Schuljahr für mich und ich begann damit, anderweitig für meine Abwechslung im Unterricht zu sorgen, sehr zum Missfallen meiner Lehrer und Eltern. Bei uns zu Hause ging es ziemlich locker zu und es wurde grundsätzlich Westfernsehen geschaut, obgleich dies in der DDR schon fast an Hochverrat grenzte und unter drakonischer Strafe verboten war. Aber es war so vieles verboten und wo kein Kläger, da auch kein Richter; man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Mir hatten es die lustigen Werbespots des alltäglichen Vorabendprogramms angetan und ich kannte sie fast alle auswendig. Also trällerte ich munter mal eben so zwischen Mathe-aufgaben und Rechtschreibübung ein paar Songs über „Strahlerküsse“ und „Creme 21“ und wenn ich gut gelaunt war, legte ich als Zugabe den Spruch „Wer wird denn gleich in die Luft gehen, greife lieber zur HB“ noch oben drauf. Das war dann selbst für den liberalsten unter unseren Lehrern zu krass. Dies musste unter allen Umständen strengstens geahndet werden. Als beliebte Sofortmaßnahme eignete sich das „in der Ecke stehen mit dem Gesicht zur Wand“. Aber als ich im Laufe der Zeit schon mit allen Ecken des Raumes Bekanntschaft gemacht hatte und auch mal gern die eine oder andere Stunde vor der Klassentür verbrachte, wurde es ziemlich brenzlig.

Meine Mutter war die Leiterin in einem kleinen Porzellangeschäft, welches dem „Konsum“, einer der zwei Handels-ketten im Osten, angehörte. Unglücklicherweise lag dieser Laden direkt auf Heimweg der meisten meiner Lehrer, die sich dort dann auch rege die Klinke in die Hand gaben, was für mich selbstverständlich die eine oder andere unangenehme Konsequenz nach sich zog. Aber ich gewann in dieser Zeit auch die ersten tieferen Einsichten in das wirkliche Leben in der DDR und behielt sie natürlich schön für mich. Bis zur fünften Klasse folgte der übliche Drill; Jungpionier mit blauem Halstuch, Thälmannpionier mit rotem Halstuch, deutschsowjetische Freundschaft einschließlich einer Brieffreundin in Kaluga, einem winzigen Kaff in der Nähe von Moskau, wo der Hund begraben lag, demonstrieren für die Freilassung Salvador Allendes, des damaligen chilenischen Präsidenten, eines der Länder, mit denen die DDR seinerzeit rege wirtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen pflegte. Genutzt hat ihm unser leidenschaftlicher Einsatz allerdings herzlich wenig, denn das Militär hat ihn trotz unserer Proteste hingerichtet. Ferner hieß es Flaschen, Lumpen und Altpapier sammeln für die „Freunde in Vietnam“, ein weiterer Partner im Kuschelbündnis und Schnorrer der eh schon knappen Ressourcen im Osten. Und ein-mal pro Monat die kostbare Freizeit für den obligatorischen Pioniernachmittag opfern. So in etwa gestaltete sich das Business eines heranwachsenden Schülers in der sozialistischen Zweckgemeinschaft, immer schön mitmachen und unter keinen Umständen aus der Reihe tanzen. Ziemlich fremdbestimmt und öde das Ganze.

Im ersten Halbjahr der fünften Klasse wurde es dann so richtig spannend, denn da entschied sich, wer zur Erweiterten Oberschule (EOS), sprich Gymnasium, zugelassen wurde. Obgleich eine Hochschulausbildung in erster Linie ein vorrangiges Privileg für Arbeiter- und Bauernkinder sein sollte, bei entsprechend guten schulischen Leistungen in den Genuss einer höheren Ausbildung zu kommen, waren jedoch die Zensuren auf dem Zeugnis allein noch längst keine Eintrittskarte für die Akademikerlaufbahn. Vielmehr spielte hier die politische und linientreue Gesinnung der Eltern eine wesentlich größere Rolle als die erarbeiteten Einser-Noten. Denn nur das Mitgliedsbuch der Sozialistischen Einheitspartei der DDR in der Tasche der Eltern war der Schlüssel zum Olymp der Wissenden. Garantierte es doch, dass bis dato eine lupenreine Erziehung ganz im Sinne des Arbeiter-und Bauernstaates stattgefunden hatte. Meine Erziehung wies in dieser Hinsicht erhebliche Defizite auf und meine Berufsvorstellungen, als wenn man sich mit elf Jahren schon mit klarem Verstand auf einen Beruf konkret festlegen hätte können, wechselten in dieser Zeit mit den Spielfilmen im Fernsehen. Bedauerlicherweise gab es zu meinen Favoriten - Prinzessin, Hexe, Zigeuner, Fee oder Indianer - keinerlei Stellenangebote. Meine kindlichen Phantasien entsprachen in dieser Hinsicht weniger den tatsächlichen Gegebenheiten und so legte ich mich dann letztendlich auf Medizin fest. Wobei mein Hauptaugenmerk der Tiermedizin galt. Meine Zensuren bewegten sich im gehobenen Mittelfeld, aber mit der Aussicht auf einen EOS Platz hätte ich durchaus alle meine geistigen Ressourcen nochmal kräftig aktiviert. Schließlich handelte es sich um meine weitere Zukunft und ich war mir der Tragweite durchaus bewusst.

Ungünstigerweise machte mir hier dann der Lebenslauf meiner Eltern einen dicken Strich durch die Rechnung. Beide keine Parteimitglieder und auch sonst in keinster Weise auf die Republik eingeschworen, gaben sie nicht das Bild der Vorzeigeeltern einer künftigen Akademikerin ab. Also aus der Traum von der großen Karriere in einer Tierklinik!

Damals keimte zum ersten Mal der Gedanke in mir auf, dass ich mich irgendwie zur falschen Zeit am falschen Ort befand und im Hinblick auf die schreiende Ungerechtigkeit, die in diesem Land herrschte und angereichert mit dem freiheitlichen Gedankengut der 68er Generation nisteten sich zum ersten Mal Zweifel an unserer Staatsform in meinem Kopf ein. Langsam aber sicher lichteten sich in den kommenden Jahren die jugendlichen Nebel der Unwissenheit in meinem Oberstübchen und ich begann ganz allmählich, das perfide System zu durchschauen und kritisch zu hinterfragen.

Es war längst nicht alles so rosig wie es uns die Genossen weismachen wollten. Ganz im Gegenteil! Ich war inzwischen 16, alt genug um meinen Geist ab und zu selbstständig arbeiten zu lassen und mir wurden nach und nach immer mehr die Nachteile dieser pseudo- kommunistischen Gesellschaftsordnung deutlich. In erschreckendem Maße offenbarte sich mir das Konstrukt aus Lügen, Betrügen, Bespitzelung und Verrat, welches nach außen hin das positive Leben in einer anscheinend klassenlosen Wohlfühlgesellschaft widerspiegeln sollte, immer deutlicher. Wie die Sklaven auf der Galeere waren die Massen gefangen in dem Gedankengut einiger weniger und ihnen auf Gedeih und Verderb aus-geliefert. Alles drehte sich einzig und allein um die Arbeit, den Aufbau der Heimat und welchen Beitrag jeder persönlich zum Sieg des Sozialismus bei-tragen konnte. Kreativität und eigene Gedanken waren da nicht gefragt und wurden im Keim erstickt. Stattdessen gab es staatliche Vorgaben in allen Bereichen. Alles wurde von der Obrigkeit geregelt und jeder Einzelne war verpflichtet, seinen Teil zur Umsetzung der geistigen Hirngespinste unserer Regierungkasper, erfolgreich beizutragen. Willkommen im Mittelalter zwischen Mangelwirtschaft und Leibeigenschaft!

Dieses ganze verlogene Gequatsche von Sozialismus und Vaterland ging mir mächtig auf den Keks. In der Schule hatte ich jetzt von lebhaft, aber lieb auf aufmüpfig und unbequem umgeschaltet, was mir nicht unbedingt das Wohlwollen des Lehrerkollegiums einbrachte. Das kratzte mich allerdings herzlich wenig, denn in dieser so typischen Nullbock-Phase verschoben sich meine Prioritäten immer weiter zu Ungunsten des sozialistischen Einheitsbreis. Vielmehr infiziert durch die Rock-und Pop-Größen des internationalen Musikmarktes und unter-stützt durch die monatlichen Geschenkpakete meiner lieben Verwandtschaft aus dem Westen, zimmerte ich meiner neuen Gesinnung dann auch gleich einen entsprechend kreativen Rahmen, welchen ich auch mit der Inbrunst der Überzeugung täglich auf ´s Neue zur Schau trug. Während der größte Teil meiner Mitschüler immer noch brav in seinen Pionier-Klamotten durch die Gegend geisterte und somit weiterhin fleißig ihre Loyalität gegenüber dem Vaterland demonstrierte, bildete sich an unserer Schule ein kleiner Kreis von Andersdenkenden, die sich nicht einfach so unreflektiert vor den sozialistischen Karren spannen ließen und dieses auch durchaus deutlich, allein schon durch ihr Auftreten, kund taten. Denen schloss ich mich natürlich sofort an.

Unser Outfit als Zeichen der Gegenwehr bestand in dieser Zeit aus einem Shirt mit der Fahne des Erzfeindes USA, einem Nato-Parka welcher, unter den Genossen auch nicht gerade Begeisterungstürme auslöste, einer Original Levis Strauss & Co., die in der DDR zwar heiß gehandelt wurde aber ein absolutes No Go für einen pflichtbewussten Staatsbürger darstellte, denn die Fakejeans Made in DDR, die es unter dem Namen „Nietenhose“ in den Geschäften zu kaufen gab, waren nicht unbedingt der Kassenschlager. Das ganze Ensemble rundeten dann „Jesuslatschen“ oder Original Volleyball Schuhe, je nach Witterung ab. Zugegeben, ich sah schon etwas exotisch aus zwischen den glattgebügelten FDJ – FREIE DEUTSCHE JUGEND (frei - dass ich nicht lache!) Blusen meiner Mitschüler, doch ich fühlte mich verdammt wohl dabei. Im täglichen Leben allerdings bedeutete unser pubertärer Gesinnungswandel auch, sich mit dem einen oder anderen Nachteil ab-finden zu müssen. Dies ging schon in der Schule mit einer schlechteren Benotung los und zog sich bis in die Freizeit weiter fort. Wo und wann immer wir uns trafen, konnten wir uns der scheelen Blicke der anderen gewiss sein und bei jedem Zusammentreffen mit der Polizei hagelte es unter Garantie eine Ausweiskontrolle. Aber in dem Wissen, nicht bloß stumpf in dem Strom der hirnlosen Mitläufer zu schwimmen, waren diese kleinen Schikanen für uns ok.

Alles in allem brachte ich meine Schulzeit dann auch einigermaßen anständig zu Ende und begann im Herbst 1977 eine Lehre zur Fachverkäuferin für Radio- und Fernsehtechnik, die mir später noch einmal von großem Nutzen sein sollte.

Nicht, dass ich mich wirklich für Technik interessiert hätte, aber eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche zu haben konnte in keinem Fall schaden, denn die Zeiten des Wirtschaftswunders und der Vollbeschäftigung waren im Westen erst mal vorbei und ganz allmählich trieb das Gespenst Arbeitslosigkeit sein Unwesen. Auch für den Osten Deutschlands brachen jetzt weniger rosige Zeiten an und da konnte es nie schaden, wenn man sein eigenes Rüstzeug mitbrachte.

Meine Ausbildung verlief ohne größere Höhen und Tiefen und die zwei Jahre waren ziemlich schnell überstanden. Außer einer Urkunde für das beste „Lehrlings Kollektiv“ und einem vernünftigen Abschluss-Zeugnis ist aus dieser Zeit jedoch nicht viel bei mir hängen geblieben.