Sammelband Mystery-Thriller Big House - Zwei Romane in einem Band - Sabine Benda - E-Book

Sammelband Mystery-Thriller Big House - Zwei Romane in einem Band E-Book

Sabine Benda

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Beschreibung

Big House: Dunkles Erbe »Louisiana!«, schrie Constance Mercier, als sie aus dem Traum erwachte. Eine verschlafen wirkende Asiatin, die neben ihr auf dem breiten Bett lag, schaute sie verwundert an. Es war Nicky, Constances Bettgespielin für diese Nacht. »Wow, hast du mich erschreckt! Was träumst du für einen Mist?« Nicky deutete durch das Dachfenster der Loft-Wohnung. Im Hintergrund konnte man Hochhäuser bei Nacht erkennen. »Wir sind nicht in den Südstaaten – das ist Big Apple!«, sagte sie heiter. »Ganz sicher, Süße!« Constances Herz pochte bis zum Halse. Vor ihrem inneren Auge konnte sie noch immer das blonde Geschwisterpaar sehen, diesen ausgepeitschten gutaussehenden Joshua und seine mutige wunderschöne Schwester Beverly. Das Gefühl der Vertrautheit, das dabei in ihr erwuchs, konnte sie sich nicht erklären. Noch nicht. Big House: Dunkle Rache Schreiend erwachte Constance aus ihrem Traum. Georgina W. Washington, die neben ihr im Hotelzimmer in New Orleans lag, schreckte ebenfalls hoch. »Mensch, beruhige dich!«, sagte sie und nahm die Schluchzende in den Arm. »Es war nur ein blöder Traum.« »War es nicht! Sie konnte mich sehen!« »Wer konnte dich sehen?« »Diese Mama Polly, damals, in Louisiana! Sie … sie wusste, dass ich da bin … in meinem Traum!« Georgina schluckte einen Kloß herunter. »Constance … du machst mir echt Angst.«

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Seitenzahl: 699

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sabine und Thomas Benda

Sammelband Mystery-Thriller Big House - Zwei Romane in einem Band

Big House: Dunkles Erbe / Big House: Dunkle Rache

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Sammelband Mystery-Thriller Big House

Big House: Dunkles Erbe

1. Louisiana

2. Der Vater

3. Es lässt mich nicht los!

4. Big House

5. Ding-Dong

6. Wo man den Schlüssel hineinsteckt

7. Die ausgesprochene Wahrheit

8. Ein sehr eigenwillig formuliertes Testament

9. Die Heimat

10. Louisiana-Moos

11. Post-A-Bike

12. Wer ist sie?

13. New Orleans

14. Mama Polly

15. Der Mantel

16. Hautfarbe und Herkunft

17. Die Sache mit dem Ohrring

18. Das Double-Comfort

19. Lästerlippen

20. Bist du überhaupt gläubig genug, Horatio?

21. So übel ist sie gar nicht

22. Nackte Tatsachen und nächtliches Treiben

23. Es wird besser werden

24. Pausengespräch

25. Im Big House

26. Blöd ist anders

27. Grill House

28. Heute und jetzt

29. Aufgeschnitten

30. Vollmondgefühle

31. Sex

32. Der Sheriff

33. Das Geständnis

34. Der perfekte Tag

35. Küchentratsch

36. Verwandtschaftsbesuch

37. Dialog am Morgen

38. Blutlinien

39. Jetzt wird‘s Zeit!

40. Wir müssen reden

41. Entschlüsse

42. Der Unfall

43. Die Wahrheit kommt ans Licht

44. Zukunftspläne

45. Trotzreaktion

46. Rasche Skizzen

47. Die Sache mit Dolores

48. Mitten in Manhattan

49. Der Schuss

50. Der Ort der Entscheidung

51. Ein Mann namens Wilbur Dawson

52. Wie ein Heimkommen

53. In dieser oder in jener

54. Prächtig

55. Die Krankenpflegerin

56. Ladys in der Sonne

57. Nichts bleibt ungesühnt

58. Geheimnisse

59. Cool

60. Die Fassade

61. Nur eine Geschichte von vielen

62. Wenn der Vater mit dem Sohne

63. Zunge

64. Bestimmungen

65. Guter Schuss!

66. Aufregendes

67. Tierisches

68. Rallig oder rollig?

69. Die gute Seele

70. DING-DONG

71. Den ersten Menschen

72. Die Dunkelheit über Standsville

73. Der Schwur

74. Alles Italienerinnen und Italiener

75. Kurz und schmerzvoll

76. Drei

77. Die Forderung

78. Das Geständnis

79. Sehr schwer zu beeindrucken

80. Ehe der Pfaffe stirbt

81. Henrietta

82. Das Wiedersehen

83. Was bin ich?

Big House: Dunkle Rache

Prolog

1. Louisiana

2. Besuch vom Vater

3. Es lässt mich nicht los!

4. Big House

5. Ding-Dong

6. Wo man den Schlüssel hineinsteckt

7. Die ausgesprochene Wahrheit

8. Ein sehr eigenwillig formuliertes Testament

9. Die Heimat

10. Louisiana-Moos

11. Post-A-Bike

12. Wer ist es?

13. New Orleans

14. Mama Polly

15. Der Mantel

16. Hautfarbe und Herkunft

17. Die Sache mit dem Ohrring

18. Das Double-Comfort

19. Lästerlippen

20. Bist du überhaupt gläubig genug, Horatio?

21. So übel ist sie gar nicht

22. Nackte Tatsachen, Nachdenkliches und nächtliches Treiben

23. Es wird besser werden

24. Henry Willis und Homer Bones

25. Die Liste

26. Das ist alt

27. Blöd ist anders

28. Immobilienbüro Morrison and Sister

29. Grill House

30. Heute und jetzt

31. Aufgeschnitten

32. Vollmondgefühle

33. Sex

34. Der Sheriff

35. Das Geständnis

36. Der perfekte Tag

37. Küchentratsch

38. Verwandtschaftsbesuch

39. Dialog am Morgen

40. Blutlinien

41. Stinkende Flatulenz

42. Der Besuch der Auswärtigen

43. Jetzt wird‘s Zeit!

44. Wir müssen reden

45. Ganz viel Wasser

46. Hitziges und nächste Schritte

47. Bürden

48. Es gibt keine Besseren

49. Sheriff Middles Einfall

50. Der Käfig

51. Die Fotografie

52. Der letzte Ständer

53. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt

54. Power-Chox und Rooibos

55. Ausradiert

56. Des Pudels Kern: Etwas kommt ans Tageslicht

57. Feierabend

58. Der Abschied

59. Vorbereitungen

60. Die Sache mit der Stricknadel

61. Eine gravierende Tatsache

Epilog

Über die Autoren:

Impressum neobooks

Sammelband Mystery-Thriller Big House

Zwei Romane in einem Band

Big House: Dunkles Erbe

Big House: Dunkle Rache

Sabine & Thomas Benda

IMPRESSUM

© 2025 Sabine Benda, Thomas Benda

Korrektorat und Lektorat: Sabine Benda

Coverdesign: Sabine Benda

Sabine und Thomas Benda

Josef-Schemmerl-Gasse 16

A-2353 Guntramsdorf

E-Mail: [email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Hinweis der Autoren: Unsere Bücher sind nur für Erwachsene geeignet!

23.08.2025

Big House: Dunkles Erbe

Mystery-Thriller

Sabine & Thomas Benda

IMPRESSUM

© 2025 Sabine Benda, Thomas Benda

Korrektorat und Lektorat: Sabine Benda

Coverdesign: Sabine Benda

Sabine und Thomas Benda

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Hinweis der Autoren: Unsere Bücher sind nur für Erwachsene geeignet!

23.08.2025

1. Louisiana

Die Wärme der Mittagssonne und das satte Tiefblau des wolkenlosen Himmels irritierten sie. Kein Windhauch war zu spüren, rein gar nichts. Das war seltsam. Die junge Frau, deren golden glänzendes Haar die bloßen Schultern wie ein zärtlicher Wasserfall bedeckte, blickte an sich herab.

Erstens: Wo stehe ich hier? Und zweitens: Wieso habe ich nichts an? Das ist mehr als peinlich!

Constance Mercier verstand die Welt nicht mehr – eben noch in ihrer teuren Loft-Wohnung in New York City mit ihrem schnuckeligen One-Night-Stand, einer bezaubernden Asiatin namens Nicky, an der Seite, und nun?

Wenn das ein Traum ist, dann ist es ein verdammt realistischer! Sie schaute sich um. Und was sind das hier für seltsame Pflanzen voller weißer Watte? Richtig: Baumwolle! Klasse, ich stehe nackt in einem Baumwollfeld! Die 28-jährige malende Künstlerin, die seit geraumer Zeit versuchte, mit ihren Werken in Öl und Acryl in der Millionenmetropole mehr schlecht als recht Fuß zu fassen, hatte als eisern bekennende Städterin schon vieles erlebt und gesehen. Ungekämmte Baumwollfasern, die pflückbereit warteten, gehörten jedoch nicht dazu. Das einzig Pflanzliche, mit dem sie sich bisher beschäftigt hatte, waren frische Salate oder selbstgedrehte Joints bei irgendwelchen schummrigen Partys von gleichgesinnten Kreativen der Szene. Heute Abend hatte sie dort die attraktive Nicky kennengelernt und mitgenommen.

Heute Abend?Jetzt stehe ich in der prallen Mittagssonne, die mir glitzernde Schweißperlen aus der zarten Haut treibt! Also: Wo ist mein geliebtes Manhattan hin? Wo ist mein grüner Central Park? Wo ist die niedlich blank rasierte Scham von Nicky? Was soll das hier? Wache ich bald auf und lache darüber?

Ein satter Knall ließ die Frau zusammenzucken. Raben spritzten aus den Baumwollpflanzen in die Höhe und zogen schimpfend davon. Wieder knallte es.

Gewiss kein Schuss, weder Pistole, Revolver noch Gewehr!

Die blonde Frau erkannte dies sofort, da sie seit ihrer Volljährigkeit in einem elitären Schießclub Mitglied war, der von ihrem Vater, einem Multimillionär der New Yorker High Society, geleitet wurde.

Erneut war das Knallen zu vernehmen.

Nein, so klingt nichts, was einen Lauf verlässt! Viel zu leise, dennoch … nicht ungefährlich!

Sie beschloss, dem knallenden Geräusch zu folgen, wollte in ihrem Traum unbedingt herausfinden, um was es sich dabei handelte.

Die Baumwollfasern liebkosten ihre nackten Schenkel, während sie behutsam durch die weißen Reihen wandelte. Die körnige Erde pikste bei jedem Schritt in ihre schuhverwöhnten Fußsohlen.

Wann bin ich das letzte Mal barfuß gelaufen?

Constance hatte es schon als kleines Kind vermieden, in den Hamptons im blütenreichen Anwesen ihrer Eltern ohne Schuhe zu laufen. Natur war für die New Yorkerin etwas, das sie sich gerne im Fernsehen zum Entspannen anschaute.

Es ist der blanke Hohn, dass ausgerechnet ich einen solchen Traum habe!

Unversehens endete das Baumwollfeld und sie blickte eine kleine grüne Anhöhe hinauf. Einige Schafe fraßen dort gemütlich saftig aussehende Grashalme. Sie kauten eintönig und beachteten die nackte Frau nicht, ließen sich scheinbar durch nichts aus der Ruhe bringen.

Habe ich jemals Schafe in Wirklichkeit gesehen?

Constance kamen die putzigen Enten in den Sinn, die im Sommer am Ufer von The Pond watschelten, diesem kleinen See im Central Park, den man von der 59. Straße aus sehen konnte.

Das Knallen unterbrach ihre Gedanken. Diesmal schrie jemand kurz schmerzvoll auf. Augenblicklich ahnte Constance, was sie da hörte, aber noch nicht sehen konnte. Die Ahnung ließ Furcht in ihrem pochenden Herzen erwachen. Das Gefühl fraß sich rasend schnell durch ihren nackten Leib.

Da wird jemand ausgepeitscht! Der Stimme nach … ein Mann!

Einem inneren Drang folgend hetzte die blonde Frau die Anhöhe hinauf.

Wann bin ich je einen Hügel hinaufgerannt?

Sie dachte absurderweise an die Anmeldung in einem Fitnessstudio in der City, die sie monatlich verschob und für die sie immer wieder eine weitere wackelige Ausrede fand.

Constance keuchte ziemlich, als sie mit Seitenstechen oben ankam und eine Ansammlung von Holzhütten erblickte, die um ein heruntergekommenes Farmhaus standen.

Weiter weg konnte sie ein riesiges Herrenhaus mit Veranda und prachtvollen weißen Säulen erkennen.

Ich bin eindeutig in den Südstaaten! In dieser gottverdammten Zeit vor dem Bürgerkrieg! O God bless America … and me!

Dann erkannte sie eine Gruppe von zusammengeketteten Sklaven, die auf dem staubigen Boden um einen Holzpfahl hockten, an dem ein blonder Jüngling festgebunden war, der von einem schnauzbärtigen Mann in Hemdsärmeln ausgepeitscht wurde. Dem Hemdsärmeligen konnte man seine sadistische Wesensart deutlich ansehen. Er hatte eine dünne Lederpeitsche in der rauen Prankenhand, die er schwungvoll ausholte und auf den breiten, zerschundenen Männerrücken des Blonden niederzischen ließ.

Das Knallen der Bestrafung zerriss die schwüle Luft. Der Mann am Stamm schrie, als das Leder seine Haut blutig zerfetzte. Lange würde er die gnadenlose Tortur nicht mehr durchhalten können, das war klar.

Constance, die in ihrem Traum von keinem Menschen beachtet wurde, hörte Hufgetrampel, das rasch näherkam. Sie blickte in die Richtung. Vom Herrenhaus kommend galoppierte ein muskulöser Rappe, auf dessen Rücken eine blonde junge Frau in einem weißen Sommerkleid hockte und eine Gerte in der Hand hielt. Schon von weitem brüllte sie: »Parker! Hören Sie sofort damit auf!«

Das schwarze Pferd wieherte und bäumte sich kurz strampelnd auf, als die Frau ankam. Sie sprang behände vom Rücken des Rappen und raste wie eine Furie auf den Mann mit der Peitsche zu.

»Ich befolge nur Anweisungen, Lady Beverly. Ihr Vater hat mir …« Im nächsten Moment wurde er von zwei Hieben der Reitgerte unterbrochen, die in sein schwitziges Gesicht sausten. Im Zorn schlug sie ein drittes Mal zu. Parker ließ daraufhin seine Peitsche fallen. Einige Sklaven verfolgten mit großen Augen der Verwunderung das Schauspiel, das sich ihnen bot. Eine Herrin züchtigte einen Aufseher. So etwas sah man nicht alle Tage. Nein, eigentlich bekam man so etwas niemals zu sehen.

Lady Beverly herrschte Parker an, der seine Striemen auf den Wangen mit seinen Fingerspitzen befühlte. »Und nun mach meinen Bruder los, ehe ich völlig vergesse, dass ich eine Lady bin!«

Mit finsterem Blick zog der schnauzbärtige Aufseher ein Messer, das an seinem Gürtel steckte, und begegnete den Augen der entschlossenen jungen Frau.

Angespanntes Schweigen erfüllte die dramatische Szenerie zu dieser Mittagszeit.

Dann schnitt Parker den blonden Jüngling am Holzstamm los, der sofort stöhnend auf die Knie sackte. Beverly kniete sich zu ihrem Bruder hinunter und half ihm, sich aufzusetzen.

»Ich … ich danke dir, Schwesterherz«, stöhnte er. »Vater … Vater wird toben, wenn er erfährt, was du getan hast.«

»Keine Sorge, Joshua«, tröstete ihn Beverly. Schließlich schaute sie den Aufseher an. »Wie viele Peitschenhiebe sollte er erhalten?«

Parker senkte reumütig den Blick. »Zwei Dutzend, Lady Beverly. Das war die Anweisung des Masters.«

Beverlys blaue Augen schauten streng. »Wie viele davon hat Joshua schon ertragen müssen?«

»Neun Hiebe«, antwortete der Mann. »Ich werde Ihrem Vater melden müssen, dass …«

Die Lady hob ihre Gerte hoch und zeigte auf den Aufseher. »Du wirst meinem Vater berichten, dass du die Bestrafung ordentlich in der vorgegebenen Anzahl durchgeführt hast.«

Parkers wettergegerbtes Antlitz zeigte Furchen des Entsetzens. Er flehte fast: »Wenn er erfährt, dass ich ihn belogen habe, wird seine Wut gegen mich gnadenlos sein, Lady Beverly!«

Beverly schaute ihn kalt an. »Wenn du ihn nicht belügst, wirst du deines Lebens nicht mehr sicher sein! In ganz Louisiana findet sich in diesen Tagen immer irgendein nichtsnutziger Handlanger für einen preiswerten Meuchelmord.«

Der Aufseher nickte.

»Und jetzt komm und hilf mir, meinen Bruder zu versorgen! Seine Wunden müssen gesäubert und verbunden werden.«

»Louisiana!«, schrie Constance Mercier, als sie aus dem Traum erwachte.

Eine verschlafen wirkende Asiatin, die neben ihr auf dem breiten Bett lag, schaute sie verwundert an. Es war Nicky, Constances Bettgespielin für diese Nacht.

»Wow, hast du mich erschreckt! Was träumst du für einen Mist?« Nicky deutete durch das Dachfenster der Loft-Wohnung. Im Hintergrund konnte man Hochhäuser bei Nacht erkennen.

»Wir sind nicht in den Südstaaten – das ist Big Apple!«, sagte sie heiter. »Ganz sicher, Süße!«

Constances Herz pochte ihr bis zum Halse. Vor ihrem inneren Auge konnte sie noch immer das blonde Geschwisterpaar sehen, diesen ausgepeitschten gutaussehenden Joshua und seine mutige wunderschöne Schwester Beverly. Das Gefühl der Vertrautheit, das dabei in ihr erwuchs, konnte sie sich nicht erklären.

Noch nicht.

2. Der Vater

Der Rolls-Royce fuhr an den Gehsteig heran.

Geoffrey Mercier, der gut gelaunt auf der Rückbank saß, wischte über das Display des Tablets und studierte die neuesten Bilanzen. Das laufende Geschäftsjahr 2017 übertraf seine Erwartungen. Auch der Aktienkurs seines Technologieunternehmens DIGIT-BETTER wies nicht die minimalsten Einbrüche auf.

»Sir, wir sind angekommen«, informierte ihn Hastings, der Chauffeur.

»Danke, Hastings! Ich werde eine Stunde bei meiner Tochter bleiben. Sie können inzwischen Mittagspause machen.« Der Geschäftsmann blickte auf seine teure Schweizer Armbanduhr. »Holen Sie mich um 01:00 Uhr ab. Gegen 01:30 Uhr habe ich einen Termin in der Hauptfiliale.«

»Sehr wohl, Sir!«, entgegnete der Chauffeur. »Beste Grüße an Constance!« Hastings hatte Constance schon als Kindergartenkind durch Manhattan chauffiert.

»Werde ich gerne ausrichten.«

Geoffrey Mercier richtete seinen Krawattenknoten und fragte: »Wird’s so gehen, Hastings?«

Der Chauffeur schmunzelte. »Hat Constance Ihnen beim letzten Mal wieder unerwünschtes Feedback gegeben?«

Geoffrey nickte. »50 muss man werden, um von seiner erwachsenen Tochter wegen Farbzusammenstellungen bei der Kleidung kritisiert zu werden.«

»Meine Mary ist ebenfalls so. Also, ich kann an dem Knoten und an der Farbwahl nichts aussetzen, Sir.«

»Wir Männer sind uns immer schnell einig. Doch wie wird das wohl die Frau Künstlerin bewerten?«

»Sie liebt Sie, Sir! Und Sie lieben sie! Keine zu locker gebundene Krawatte mit zweifelhaftem Muster kann so eine Vater-Tochter-Basis zerstören.«

»Aha, Sie denken also doch, dass die Farbe nicht zu meinem Anzug passt? Ja?«

»Nun … ich würde ein Männerauge zudrücken.« Er deutete auf seinen eigenen Schlips, der dunkelblau war. »Meine Krawatte passt eine Spur besser zu Ihrem Anzug.«

»Macht es Ihnen was aus?«

»Nein, natürlich nicht, Sir«, entgegnete der Chauffeur, und die beiden Männer tauschten rasch ihre Krawatten.

»Perfekt!«, sagte Hastings. »Und nun viel Spaß bei Ihrer Tochter!«

Geoffrey Mercier stieg aus, zog sich seine Anzugjacke glatt. Dann stieg er die drei Stufen hinauf.

In welch ursprünglicher Wohngegend die Kleine doch wohnt – typisch Künstlerin!

Schließlich betätigte er den Klingelknopf an dem roten Backsteinhaus.

»Oha, endlich hast du mal Geschmack bei deinen Krawatten bewiesen, Dad!«

»Ja, auch reiche Leute lernen noch«, bemerkte er schmunzelnd und umarmte sie.

»Mmmh, du duftest gut«, lobte die Blondhaarige und zwinkerte ihrem Vater verschwörerisch zu. »Kenne ich sie?«

»Immer willst du mich verkuppeln«, beschwerte er sich.

»Mom wollte es doch so!«, stellte Constance klar. »Sie hat es sogar ausdrücklich in ihrem Testament erwähnt. Nach ihrem Tod sollst du wieder ein glücklicher Mann werden. Das schließt Beziehungen mit ein. Und Mom ist seit zehn Jahren tot. Zudem bist du noch in einem akzeptablen Alter für die Lady ab 40 aufwärts. Kohle hast du auch. Also, wie heißt sie?«

»Sandra.«

Constance stutzte. »Klingt jung. Oh Gott, sie wird doch nicht jünger als ich sein, oder?«

»Sandra ist 45«, beschwichtigte der Vater die Tochter. »Sie ist Anwältin.«

»Dein Typ?«

»Mein Typ.«

»Also attraktiv, kurvenreich – und mit stabilen finanziellen Mitteln?«

»Alles abgecheckt«, bestätigte Geoffrey. »Ich habe sie zufällig auf einer Wohltätigkeitsgala kennengelernt – und sie gründlich durchleuchten lassen. Sie ist nicht auf mein Geld aus, garantiert.«

Die Blondhaarige schnaufte absichtlich theatralisch und lachte. »Okay, ich dachte schon, dass mein Erbe in Gefahr sei!«

Der Vater schaute sich in dem Maleratelier um, das sich in einer sonnenlichtdurchfluteten Ecke von Constances Loft-Wohnung befand. »Sehr schöne Bilder. Verkaufst du auch etwas – oder malst du nur?«

»Ein Galerist ist an meinen sinnlich stimmenden Akten interessiert. Ansonsten … gehen die Geschäfte so blendend schlecht wie bei fast allen namenlosen Künstlern, die im Big Apple ums tägliche Überleben kämpfen müssen.«

»Gut, dass du einen reichen und verständnisvollen Vater hast.«

»Gut, dass ich einen superlieben Vater habe. Mit meiner Kohle komme ich schon klar, Dad. Willst du einen Single Malt?«

»Huch, es ist noch nicht mal Mittag, Kleines.«

Die Tochter spitzte die Lippen. »Ach, spielt jetzt bei Whiskey die Tageszeit eine Rolle?«

»Normalerweise schon. Bitte nur zwei Finger breit – ohne Eis, ohne Wasser.«

»Dad«, schmunzelte sie. »Ich bin keine Barkeeperin. Ich kenne dich seit 28 Jahren.«

Constance bereitete die Whiskeygläser vor.

Der Vater nahm sein Glas. Sie prosteten sich zu.

»Am Telefon sagtest du mir«, kam er zum Thema, »dass du mich etwas Familiäres fragen möchtest. Was ist es, Schatz?«

Die Tochter druckste ein wenig herum. »Etwas … worüber du nicht gerne sprichst, aber es hängt mit einem Traum zusammen, den ich hatte.«

»Mit einem Traum?«

»Ja, Dad, und ich weiß, dass dir meine Frage nicht gefallen wird, weil sie unsere düstere Ahnen-Vergangenheit betrifft.«

Geoffrey Mercier atmete tief durch. »Du meinst …?«

»Ja, ich spreche von den Südstaaten … von Louisiana … während dieser ganz abscheulichen Zeit damals.«

3. Es lässt mich nicht los!

Inzwischen war es Nachmittag geworden. Eine Zeit, in der das Tageslicht in der Atelier-Ecke der Loft-Wohnung nicht mehr optimal war.

Constance Mercier blickte auf die Leinwand auf der Staffelei. Bis auf die paar Skizzen-Striche, die sie vor Stunden mit einem Kohlestift gemacht hatte, war nichts zu sehen. Eigentlich hatte sie eine Landschaft malen wollen. Nein, keine Landschaft, sondern ein endloses Baumwollfeld mit einer nackten Frau. Ihr Traum hatte sie inspiriert, doch irgendwie war der kreative Funke nicht übergesprungen. Constance beschloss, es für heute sein zu lassen, und steuerte den Kaffeeautomaten in ihrer Küche an. Während sie sich einen Cappuccino zubereitete, fiel ihr Blick auf die beiden benutzten Whiskeygläser auf der Küchenzeile. Das Gespräch mit ihrem Vater war stockend verlaufen; wirklich Neues hatte sie nicht erfahren können. Wie immer war es ihm unangenehm gewesen, über seine Vorfahren vor dem Bürgerkrieg zu sprechen. Heute hatte Constance zum ersten Mal erfahren, dass dieser Adam Erasmus Mercier ein durch und durch patriarchischer Plantagenbesitzer und ein tyrannisch veranlagter Mann gewesen war. Ein herrischer Kerl, der nicht nur seine bedauernswerten Sklaven und schlecht bezahlten Bediensteten, sondern auch seine Familie entsprechend streng behandelt hatte. Constance schauderte bei dem Gedanken, dass ein wenig Blut dieses ekelhaften Mannes durch die Adern ihres gutherzigen Vaters und durch ihren eigenen emanzipierten Frauenkörper floss.

Verständlich, dass Daddy das Thema gerne umgeht! Über einen brutalen Sklavenhalter in der Ahnenreihe spricht man nicht gerne! Schon gar nicht, wenn man ein angesehener Geschäftsmann und Multimillionär ist, der auf Wohltätigkeitsveranstaltungen und auf der politischen Ebene der New Yorker High Society ein gerne gesehener und sehr respektierter Mann ist!

Im Internet standen sehr wenige Informationen über die Familie Mercier in Louisiana aus dem Jahre 1850.

Daddy hat bestimmt brisante Details löschen lassen!Er hat den Einfluss hierzu, ganz gewiss! Außerdem hat er endlos viele hochqualifizierte Spezialisten aus aller Welt in seinem Technologieunternehmen beschäftigt!

Constance hatte ihrem Vater Geoffrey von dem eindringlichen Traum erzählt. Es hatte ihn sichtlich erstaunt. Allerdings hatte er das Thema schnell abgehandelt und ihr den Rat gegeben, die Vergangenheit ruhen zu lassen, besonders dann, wenn etwas über 160 Jahre her war.

Sicherlich will er mich vor irgendetwas bewahren!Oder möchte er etwas geheim halten?Vielleicht beides?

Die Frau runzelte nachdenklich die glatte Stirn, erinnerte sich, dass schon zu Lebzeiten ihrer an Krebs verstorbenen Mutter die alten Südstaaten-Geschichten kaum erwähnt worden waren. Als Kind hatte man Constance ein klein wenig davon erzählt. Nein, nicht erzählt, eher vage angedeutet und schnell verdrängt. Sie nippte am Cappuccino, wollte die nebulöse Vergangenheit gedanklich zu den Akten legen.

Ich bin eine moderne Frau des 21. Jahrhunderts und lebe im Herzen von New York City! Die damaligen Südstaaten können mir gestohlen bleiben – und die jetzigen ebenfalls! Und warum sollte ich mich mit diesen verstaubten und versteinerten Familiengeschichten beschäftigen?

Dennoch ließ Constance dieser Louisiana-Traum nicht mehr los, und sie ahnte, dass dieser ausgepeitschte Joshua und seine temperamentvolle blonde Schwester, diese Lady Beverly, bestimmt Ahnen von ihr waren. Doch weshalb träumte sie von ihnen, obwohl sie von beiden noch nie etwas gehört hatte?

Der Türsummer summte, ließ die Bilder von den schönen blonden Geschwistern wie Seifenblasen zerplatzen. Constance sah auf die Kuckucksuhr, die neben dem Kühlschrank an der Wand hing. Sie hatte diese nicht amerikanische analog funktionierende Kuriosität mit dem bisweilen nervigen Holzvögelchen hinter dem Türchen und diesen eindrucksvollen Gewichten in Tannenzapfenform bei einer Europa-Reise vor wenigen Jahren erstanden. Sie bildete sich hin und wieder stolz ein, dass es nicht viele Künstlerinnen im Big Apple gab, die solch eine solide Handarbeit aus dem fernen deutschen Schwarzwald mit Echtheitszertifikat besaßen.

Wieder summte es monoton an der Eingangstür.

Großer Gott – heute ist Dienstag!

Ihr wurde es siedend heiß. Gleichzeitig war sie verärgert über ihre Nachlässigkeit.

Ich habe Georgina vergessen!

Schnell rannte Constance zur Tür und betätigte die Sprechanlage.

»Hallo, wer ist da?«, fragte sie, obwohl sie es ahnte.

»Sag mal, pennst du?«, fragte eine rauchige Frauenstimme barsch. »Lass mich endlich rein! Hier sind ein paar Kappenträger auf der Straße, die haben eindeutig unkeusche Absichten!«

»Will ich nicht wissen – und bitte bring keinen mit!«, unterbrach Constance sie heiter. Dann drückte sie den Türöffner. »Komm hoch!«

Ich habe 30 Sekunden – sie ist gut zu Fuß!

Constance checkte ihr Aussehen im Spiegel ab.

Himmel, ich habe Kohlestift am Kinn!

Sie wischte die feine Schmutzspur rasch weg, ordnete ihr blondes Haar und ihren Busen im Büstenhalter, zog das Lippenrot nach und freute sich auf Georgina W. Washington.

4. Big House

Herbert Morrison, ein aristokratisch wirkender Immobilienmakler mit Stirnglatze, ließ sich seine innere Freude nicht anmerken. In den letzten Jahren war es selten vorgekommen, dass er ein sehr lukratives Geschäft in dieser Größenordnung abgeschlossen hatte, doch der Verkauf des prachtvollen Herrenhauses, das historisch betrachtet ein sogenanntes Big House war, stimmte ihn mehr als glücklich. Bei der vielversprechenden Maklerprovision, die er dafür bekam, gab es keinen Grund zur Unzufriedenheit. Lange hatte Morrison einen geeigneten Käufer gesucht und schließlich in dem Millionärssohn Horatio Heaven finden können. Heaven, ein schwarzhaariger, attraktiver Dreißiger mit einem Winner-Lächeln zum Wegschmelzen, hatte sich trotz des Familienreichtums einen eigenständigen Namen als Fotomodel für Herrenunterwäsche gemacht. Es gab sicherlich keine Frau zwischen der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten, die nicht beim Anblick seines durchtrainierten Körpers sehnsüchtig seufzen würde.

Der Makler und der Millionärssohn saßen in Rattansesseln auf der frisch restaurierten Rundum-Veranda des Hauses und genossen die Aussicht auf das gepflegte Anwesen. Vor ihnen auf einem runden Beistelltisch mit einer weißen Marmorplatte standen zwei Gläser mit eisgekühlter Zitronenlimonade, daneben lag der 30-seitige Verkaufsvertrag.

Einige Handwerker, die im Inneren des Hauses mit Sanierungs-, Umbau- und Restaurierungsarbeiten beschäftigt waren, unterhielten sich lautstark. Eine rothaarige Frau schien es sich herauszunehmen, ihnen Anweisungen zu erteilen, denen sie missmutig nachgingen. Von einer Städterin nahmen die einheimischen Männer ungern Befehle entgegen. Dementsprechend sahen ihre langen Gesichter aus.

»Oha«, schmunzelte Morrison fast schon übertrieben. »Ich gehe beim Tonfall Ihrer Verlobten davon aus, dass sie in einer Führungsposition arbeitet.«

»Nein, sie ist nur schön anzusehender Schall und Rauch«, witzelte Horatio. »Tanya ist die Tochter eines betuchten Senators. Beruflich hat sie sich noch nicht entschieden, außer dass sie ihr Medizinstudium abgebrochen hat.« Verschwörerisch flüsternd hängte er an. »Ihr wurde bewusst, dass sie kein Blut sehen kann. Bei einer Autopsie einer Unfallleiche ist sie dann kurzerhand einem Brechreiz und Schwächeanfall erlegen. Sie war wochenlang das Gesprächsthema Nummer eins unter den Medizinstudenten.« Horatio lächelte schief. »Glücklicherweise sind wir Kinder von reichen Vätern, die gerne für das seelische und leibliche Wohl ihrer sensiblen Brut sorgen.«

»Dann haben sich bei Ihnen Attraktivität und Reichtum gefunden?«

»Nicht ganz«, bemerkte Horatio. »Liebe und Sex stehen im Vordergrund. Und ich mag Frauen, die wissen, was sie wollen.«

Man hörte Tanya durchs Herrenhaus einen Befehl an die Arbeiter schreien.

Der Makler nickte. »Ich verstehe, was Sie meinen.« Morrison deutete auf die Vertragsunterlagen. Humorvoll fragte er: »Und haben Ihre Anwälte die Papiere geprüft und einen versteckten Haken finden können?«

»Nein … sauber getippt«, entgegnete Horatio ein wenig salopp. »Nur eine Frage noch, Mr. Morrison.«

»Gerne, Mr. Heaven«, entgegnete der Immobilienmakler rasch und verdrängte routiniert einen Schatten der Besorgnis, der über sein Gesicht huschte.

»Sie sagten mir, dass die Gemeinde Standsville das Haus jahrzehntelang als Museumsstätte nutzte. Hat der ursprüngliche Eigentümer das Big House an die Stadt verkauft?«

Der Makler räusperte sich: »Ähm … darüber gibt es keine Aufzeichnungen mehr. Die Gemeinde Standsville hatte eine Brandkatastrophe. Das Ganze ist über 100 Jahre her. Alle Dokumente sind damals den Flammen zum Opfer gefallen. Es ist schwierig, aus dieser Zeit …«

Horatio unterbrach ihn: »Dann weiß man nicht, ob es noch einen Erben der ursprünglichen Familie gibt?«

»Mr. Heaven, man weiß nicht einmal, wessen Familienbesitz es ursprünglich war. Eventuelle Geburtsregister aus der Gemeinde wurden beim Brand vernichtet oder sind im Laufe der Zeit verschollen.«

»Verschollen?«

»Anders kann ich es nicht ausdrücken. Jedenfalls hat die Gemeinde das Big House über ein ganzes Jahrhundert lang verwaltet und später als Museum für Landesgeschichte genutzt. Es gab nie irgendwelche Ansprüche von außerhalb. Ich habe dies alles rechtlich prüfen lassen. Keine Sorge, es gibt keine bekannten Nachfahren, die sich für diesen wunderschönen Besitz interessieren.« Der Makler nahm einen Schluck Zitronenlimonade und meinte dann: »Das liegt vielleicht auch an den düsteren Ammenmärchen, die sich um das Haus ranken.«

Horatio zeigte sein Winner-Lächeln und winkte ab. »Ja, ich habe davon gehört! Ich kann mit diesem übernatürlichen Kram nichts anfangen.« Wieder schnauzte seine Verlobte im Haus einen Handwerker an. »Und meine Tanya glücklicherweise auch nicht.«

»Wann steht Ihre Heirat an, Mr. Heaven – wenn ich fragen darf?«

»Wenn die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind. Unsere Eltern planen eine Glamour-Hochzeit in unserem neuen Big House im kommenden Sommer – mit Protz, Pomp, Glanz und Gloria!«

»Noch ist es nicht Ihr Haus, Mr. Heaven«, meinte der Immobilienmakler geschäftstüchtig und deutete auf die Vertragspapiere.

Horatio langte in die Innentasche seiner Anzugjacke und holte einen Kolbenfüller heraus.

»Welch schönes Stück!«, schmeichelte Morrison.

»Ja«, sagte der Millionärssohn. »Ein Unikat zu meiner Volljährigkeit. Das Ding hat eine hochwertige Goldspitze. Damals haben meine erfolgsverwöhnten Eltern noch geglaubt, ich hätte Interesse, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.« Horatio lächelte. »Doch meine eigenen Pläne waren mir wichtiger. Glücklicherweise ließen sie mich wählen. Nun … ein Vorteil lag dabei auf meiner Seite. Ich bin der einzige Sohn.«

Horatio unterzeichnete schwungvoll die Papiere.

»Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Eigentum!«, jubelte Makler Morrison beinahe und dachte an seine eigenen Kontoauszüge im nächsten Monat. »Sie werden den Kauf sicherlich nicht bereuen, Mr. Heaven.«

Drinnen im Haus krachte etwas ganz entsetzlich, dann polterte es.

Kurze Zeit war nichts zu hören. Dann schrie eine Frauenstimme erst schmerzvoll, dann wütend.

Horatios Winner-Lächeln gefror: »Das klingt ernst – ziemlich ernst!«

5. Ding-Dong

»Nehmen Sie die gottverdammte Uhr von mir runter!«

Tanya Taylors klare Befehlsstimme raunzte durch die Empfangshalle des Herrenhauses. Als Horatio Heaven, ihr Verlobter, und Mr. Morrison, der Immobilienmakler, hereinkamen, standen einige zumeist schaulustige Handwerker in einem Halbkreis, die sich ein Lachen nicht verkneifen konnten. Auf dem glatten Marmorboden zu ihren Füßen lag eine attraktive, jedoch ziemlich energische Rothaarige in einem farblich passenden Kleid, deren ansehnliche Beine von einer mächtigen Standuhr bedeckt waren. Zwei Männer in blauen Latzhosen, die wegen der üppigen Muskulatur wandelnden Kleiderschränken ähnelten, wuchteten die Uhr aufrecht. Ein sattes Ding-Dong war zu vernehmen.

»Himmel, wie ist das passiert?«, fragte Horatio seine Verlobte, die ihre Beine begutachtete. Glücklicherweise gab es keine offensichtlichen Verletzungen, jedoch waren Hämatome nicht auszuschließen. Diese zeigten sich oftmals später. Tanya hasste Hämatome.

»Von uns war keiner in der Nähe der Uhr«, beschwichtigte ein älterer Handwerker sogleich. Der Mann war der Leiter der Truppe und strahlte beruhigende Fachkompetenz aus.

»Keiner in der Nähe?«, keifte Tanya und ließ sich von ihrem Verlobten auf die Beine helfen. Zornig trat die Rothaarige gegen den tiefbraunen Uhrkasten. Abermals antwortete die Standuhr mit einem Ding-Dong. »Das Drecksding ist doch nicht von alleine auf mich gefallen, oder?«

»Tanya, was genau ist passiert? Erzähl mal!«

Seine Verlobte ließ die hellgrünen Augen giftig funkeln. »Was passiert ist? Ein leichtsinniger Arbeitsunfall – das ist passiert! Und der eingeschworene Haufen hier will es vertuschen!«

Ein gemeinsames Raunen des Widerstandes entrann den Kehlen der beschuldigten Männer.

»Miss Taylor«, wehrte sich der Bauleiter. »Keiner befand sich bei Ihnen. Seit Stunden scheuchen Sie meine Männer und mich durch das Big House! Und glauben Sie mir, bei Ihrer keifenden Art sucht bestimmt niemand freiwillig Ihren Kontakt!«

Die Handwerker lachten leise, aber hörbar; nur einer hielt sich scheu im Hintergrund.

»Horatio, tu was!«, forderte Tanya aggressiv und Hilfe suchend.

Der sagte jedoch nur: »Glücklicherweise ist dir ja nichts Ernsthaftes zugestoßen, Tanya.«

»Man hat eine Uhr auf mich fallenlassen!«, herrschte sie.

»Kann nicht sein!«, hielt der Bauleiter dagegen. Er deutete auf die gegenüberliegende Wand. »Das Ding steht normalerweise an der Stelle dort. Sehen Sie den staubigen Umriss am Verputz?«

Alle schauten hin. Es war eindeutig, dass dort, in ungefähr sechs Meter Entfernung, die Uhr ihren ursprünglichen Platz hatte. Doch … wer hatte sie durch die Empfangshalle bewegt?

Horatio versuchte es mit Sachlichkeit: »Liebes, wie gesagt: Erzähl uns doch mal, was vorgefallen ist! Wo bist du gestanden? Hast du die Uhr auf dich … zukommen sehen?«

»Horatio, willst du mich als Idiotin hinstellen?«, schleuderte sie ihm entgegen, und die Handwerker raunten wieder, hofften auf einen verbalen Schlagabtausch unter den beiden Verlobten. »Man hat versucht, mich mit dem Ding zu ermorden!«

»Eben wirst du ein wenig hysterisch, Liebes!«, tat der Verlobte es ab.

»Nein, werde ich nicht! Ich stand mit dem Rücken zur Uhr, hörte ein Schaben … und als ich mich umdrehte, sah ich nur noch das große Ziffernblatt vor meinen Augen. Und das riesige Drecksteil von Uhr hat mich zu Boden gerissen und begraben!« Sie deutete mit einem schwungvollen Fingerzeig auf die Handwerker. »Irgendwer … hat die Standuhr auf mich geschoben oder geworfen!«

»Ein Witz!«, sagte der Leiter der Handwerkertruppe streng. »Eine völlig haltlose Beschuldigung! Keiner meiner Männer hat Ihnen etwas getan, Miss! Aber Sie können gerne eine Anzeige machen, wenn Sie darauf bestehen!«

»Das wird nicht notwendig sein!«, riss Horatio das Gespräch an sich.

»Das wird – was nicht?«, schrie Tanya, konnte nicht glauben, dass ihr eigener Verlobter sich gegen sie stellte. »Du hilfst denen, nicht mir?«

»Eigenartig ist das Ganze schon«, unterbrach Mr. Morrison, der Makler, das Streitgespräch. »Sehen Sie!«

Auf dem Marmorboden waren eindeutig Schleifspuren zu erkennen, als ob jemand die schwere Standuhr bewegt hätte.

»Von selbst hat sie das wohl nicht getan, oder?«, kommentierte Tanya die Ratlosigkeit der Männer. »Und ich habe das Teil bestimmt nicht durch die Halle geschleift, um es auf mich selbst zu werfen!« Sie blickte Horatio mit zusammengekniffenen Augen an. »Oder glaubst du, ich habe meinen Verstand verloren, hä?«

Alle schwiegen, dann ein sattes Ding-Dong, das unter diesen seltsamen Umständen unheimlich wirkte.

»Da ist was kaputtgegangen!«, meinte ein Handwerker mit Sommersprossen. Er zeigte auf die Rückseite des fast zwei Meter hohen Uhrkastens. Am oberen Rand hatte sich ein Stück Holz gelöst.

»Ist wohl durch den Sturz passiert«, meinte ein anderer Mann. »Das kriegt man mit einem guten Nagel und einem Hammer wieder zu. Keine große Sache.«

Ding-Dong.

Tanya war zusammengezuckt und empörte sich. »Das olle Ding nervt!«

»Wartet!«, sagte der Bauleiter und fasste intuitiv in den Holzspalt an der Rückwand.

»Was erwarten Sie?«, stichelte die rothaarige Frau. »Denken Sie, in dem antiken Ding sind Goldmünzen versteckt?« Mit gerümpfter Nase hängte sie an. »Die können Sie mir dann gleich als Schmerzensgeld geben.« Tanya schaute ihren Verlobten an. »Horatio, hast du die Papiere schon unterschrieben?«

»Ja, Liebes.«

»Alles, was sich in der Uhr befindet, gehört dann sowieso meinem Verlobten, klar?«, stellte sie arrogant fest.

»Hat jemand mal eine Flachzange?«, fragte der Bauleiter. »In dem Holzspalt steckt etwas, aber ich komme nicht ran.«

Man reichte ihm eine Zange. Sekunden später holte er etwas heraus. Es war ein altertümlicher Schlüssel, der Rost angesetzt hatte.

»Ich fühle mich wie in einem Wimmelbildspiel«, witzelte Morrison, der Makler.

Horatio Heaven nahm den Schlüssel entgegen. »Wo ein Schlüssel ist …«

»… gibt es auch ein Schloss«, ergänzte einer der Handwerker. »Das hat mein Großvater immer gesagt … meinte aber im übertragenen Sinne etwas anderes und grinste dreckig dabei.«

Einige Handwerker lachten.

In diesem Moment polterte wieder etwas. Diesmal kam das Geräusch vom ersten Stock.

»Ist da oben noch einer Ihrer Kollegen?«, wollte Horatio wissen.

»Nein, Sir, alle Mann sind hier unten«, gab der Bauleiter zu verstehen. »Oben ist niemand mehr.«

Wieder drang ein Gerumpel an ihre Ohren.

Morrison, der Makler, schnaufte innerlich durch.

Gut, dass der Kaufvertrag unterschrieben ist!

»Hier spukt es wohl?«, fragte einer der Handwerker verdutzt.

»Daran glaube ich nicht«, konterte Horatio. »Oder glauben Sie, ich hätte mir sonst ein altes Herrenhaus gekauft?«

Ein sommersprossiger Mann namens Benny meldete sich. »Meine Großeltern sagen, dass diese alten Häuser alle irgendeinen Geist im Gebälk haben. Meist irgendeine arme Seele, die während der Sklavenzeit ums Leben gekommen ist. Hier in der Gegend haben sich früher schlimme Geschichten zugetragen, Sir!«

»Ammenmärchen«, quittierte Horatio knapp die gruselige Vermutung. »Im Jahr 2017 gibt es keine Geister mehr.«

Benny bekreuzigte sich. »Und diesem Geist hier ist klar, dass wir im Jahre 2017 leben?«

Schweigen.

Ding-Dong.

Diesmal erschraken alle gemeinsam. Alle … außer Horatio Heaven.

»Wie ich bereits sagte: Ich glaube nicht daran«, beharrte Horatio. »Ich bin ein moderner …«

Dann hörten sie erneut ein Poltern, das vom oberen Stockwerk kam.

»Was … was ist das?«, fragte Tanya und hatte einen besorgten Tonfall in der Stimme, der auf Angst hindeutete.

»Okay … dafür gibt es sicherlich eine Erklärung«, meinte Horatio Heaven selbstsicher.

»Und welche?«, zischte Tanya.

»Schauen wir nach«, antwortete er, steckte den rostigen Schlüssel in die Hosentasche und übernahm mutig die Führung.

Manche der einheimischen Männer gingen nicht gerne mit, um nachzuschauen.

6. Wo man den Schlüssel hineinsteckt

Das ehemalige Plantagenhaus, das man in den Südstaaten Big House nannte, hatte im geräumigen oberen Stockwerk 25 Zimmer, drei komfortable Suiten, zwei Salons für den Empfang von Besuchern und eine beschauliche Bibliothek zu bieten. Einige reiche Unternehmer der Gemeinde Standsville hatten das zwischenzeitlich als Museum genutzte Gebäude vor der Verkaufsabgabe an das Maklerbüro Morrison and Sister in seinen ursprünglichen Zustand als Wohnresidenz umgestalten lassen. Den letzten Feinschliff im Erdgeschoss erledigte seit drei Wochen die kleine, zuverlässig arbeitende, ortsansässige Handwerkertruppe, die sich hinter Horatio Heaven, dem frischen Neu-Eigentümer, die breite Treppe hinauf wagte.

Oben angekommen hörte das Poltern auf.

»Es muss eine sachliche Erklärung dafür geben«, beharrte Horatio weiterhin. Als Sohn eines millionenschweren Reeders hatte er eine akademische Ausbildung genossen. Übernatürlichen Dingen, die andere in Angst und Schrecken versetzen konnten, trat er rational entgegen.

Geister oder Hokuspokus waren für ihn schlicht schaurige Humbug-Geschichten, um kleinen Kindern das Fürchten zu lehren. Er selbst war als Kleinkind eher mit Börsennachrichten aufgewachsen als mit irgendwelchen fantasievollen Schauer-Märchen.

Die Männer und Horatios Verlobte Tanya schritten langsam über den dunkelroten Teppichboden, der so dick war, dass er jedes Schrittgeräusch verschluckte.

Es rumpelte und polterte wieder.

Morrison, der Makler, erklärte das Offensichtliche: »Es kommt von dort – aus der Bibliothek!«

Benny, der Sommersprossen-Mann unter den Handwerkern, bekreuzigte sich wieder.

»Können Sie das lassen?«, zischte Tanya ihn an. »Sie machen mich nervös.«

»Ich bin gläubig«, verteidigte sich der junge Mann.

»Ihr Problem«, antwortete sie taktlos und verachtend.

»Tanya, halte dich bitte zurück!«, maßregelte Horatio sie.

»Ich bin eben eine beinharte Atheistin!«

»Der Mann ist es eben nicht, aber er atmet dieselbe Luft wie du! Die Luft in meinem Haus!«

Tanya wollte etwas entgegnen, aber in Anbetracht der vielen männlichen Augen, die sie anschauten, verkniff sie sich einen weiteren Kommentar.

Das mysteriöse Rumpeln und Poltern war in ein rhythmisches Klopfen übergegangen, als würde etwas die Menschen anlocken wollen.

»Lasst uns hineingehen!«, sagte Horatio und umfasste die schmiedeeiserne Türklinke. Schwungvoll öffnete er beide Türflügel, und es präsentierte sich ihnen eine gemütlich eingerichtete Bibliothek mit meterhohen Regalen, in denen mehrere 100 Bücher aufgereiht standen. Eine gemütliche Sitzecke mit Chesterfield-Möbeln befand sich neben einem offenen Kamin, der wegen des Sommers nicht brannte.

Das Klopfen war weiterhin zu hören; einen Grund hierfür gab es scheinbar nicht.

Nun bekreuzigte sich nicht nur der Sommersprossen-Mann, sondern noch drei weitere Handwerker.

Dann: Stille.

Die Männer und die Frau verharrten gespannt, erwarteten etwas Neues, etwas Unerwartetes, das jedoch nicht eintrat.

»Und jetzt?«, fragte Morrison, der Makler, nachdem sie eine Minute regungslos geblieben waren.

»Es hat aufgehört«, meinte Tanya, was ein unnötiger Kommentar war.

»Was auch immer«, meinte Horatio. »Es hat uns hierhergeführt … in die Bibliothek.«

»Geführt?«, wiederholte die rothaarige Tanya fassungslos. »Das sagst ausgerechnet du? Du, der an einen solchen Scheiß nicht glaubt?«

»Es muss hier etwas sein«, sagte Horatio, als habe er einen Sinneswandel erfahren. »Und es ist natürlich rational erklärbar«, schob er nach. »Schauen wir uns um.«

Die Männer und die Frau verteilten sich in der Bibliothek.

»Vielleicht hat ein Scherzbold einen Lautsprecher im Kamin versteckt?«, mutmaßte einer der Arbeiter. »Wahrscheinlich ein dummer Jungenstreich! Was meint ihr?« Einige Handwerker schauten im Kamin nach, fanden jedoch nichts.

Tanya runzelte die Stirn. »Hier ist nichts Besonderes … nur endlos viele alte und natürlich langweilige Bücher«, motzte sie.

»Sie täuschen sich, Miss Taylor«, korrigierte Makler Morrison die voreilige Frau. »Manche Ausgaben hier sind so alt und vergriffen, dass sie einiges an Wert haben.«

»Ernsthaft?« Tanya war sehr interessiert, wie sie alles interessierte, was man zu Geld machen konnte.

»Grundgütiger!«, hörten sie Benny, den Sommersprossen-Mann, laut rufen. Der Mann deutete blass auf ein Regal.

»Was soll dort sein?«, fragte Horatio, der nichts Ungewöhnliches entdecken konnte.

»Sehen Sie«, sagte der junge Handwerker, der fast flüsterte. »Die Heilige Schrift.«

Horatio Heaven trat an das hohe Regal heran. Da stand eine in Leder gebundene Bibelausgabe. Auf dem Buchrücken war deutlich in Blattgold THE HOLY BIBLE zu lesen. Allerdings stand das heilige Buch auf dem Kopf. Man hatte es falschherum einsortiert.

»Das ist ein Zeichen«, hauchte einer der Handwerker ehrfürchtig.

Horatio nahm die Bibel und zog sie aus dem Regal heraus. Nichts tat sich.

»Sieht ziemlich normal aus.«

»Schau mal!«, sagte Tanya und deutete auf die freie Stelle im Bücherregal. »Dahinter ist etwas!«

Horatio nickte und räumte die angrenzenden Bücher heraus. »Ein Geheimfach.«

»Mit einem Schlüsselloch«, ergänzte Morrison mit geweiteten Augen. Auch die anderen Männer versammelten sich gespannt vor dem Türchen.

»Wo es einen Schlüssel gibt, gibt es auch ein Schlüsselloch«, sagte Horatio und fasste in seine Hosentasche, um den rostigen Schlüssel herauszuholen.

Klack.

»Er passt«, freute sich Horatio erwartungsvoll und drehte ihn um. Das Schloss quietschte schrill. Mit einem Ruck zog er die Tür auf. Vorsichtig griff er hinein und holte eine Papierrolle heraus, die mit einem roten Stoffband zugebunden war. Der Mann zog die Schleife auf, rollte das beschriebene Papier auseinander.

Er las laut vor: »Testament und Letzter Wille von Lady Beverly Mercier.«

Makler Morrison erbleichte.

Großer Gott, es gibt ein Testament!

7. Die ausgesprochene Wahrheit

Constance Mercier hielt normalerweise nichts von festen und dauerhaften Beziehungen, denn sie war mit ihrem Beruf beziehungsweise ihrer Berufung liiert, nämlich die bunte Kreativität und die schäumende Fantasie auf weiße Leinwände zu bringen.

Georgina W. Washington, eine 25-jährige Studentin, die an der Universität ihren Abschluss in Journalismus anstrebte, hatte Glück. Irgendwie war zwischen den beiden jungen Frauen vor vier Wochen der Funke der Leidenschaft übergesprungen. Georgina hatte Constance einen Gefallen getan und hatte in ihrer Atelier-Ecke einige Male unentgeltlich und zum Spaß als Aktmodell posiert. Dabei war es dann geschehen, dass man sich körperlich nähergekommen war. Obwohl Georgina nicht lesbisch wie Constance war, fühlte sie sich sexuell und gefühlsmäßig sehr stark zu ihr hingezogen. Die Pansexualität ihrer neuen Freundin hatte Constance zu einer ganzen Reihe von erotisch angehauchten Bildern stimuliert, für die sie einige Interessenten gewinnen konnte.

Es war 02:00 Uhr morgens, und draußen umrahmte die Nacht die Skyline der Stadt, die niemals schläft.

»Willst du auch ein Glas warme Milch mit Honig?«, fragte die nackte Georgina und schaute Constance an, die neben ihr auf dem breiten Bett lag und Löcher in die Luft starrte.

»Was meinst du?«

»Ob du auch Milch mit Honig willst?«

Constance runzelte die Stirn. »Wie kommst du auf sowas? Das habe ich ewig nicht getrunken.«

»Du wirkst so aufgewühlt, deswegen dachte ich an Milch mit Honig.«

»Lieb von dir«, sagte Constance und küsste Georgina zärtlich auf die Lippen.

Georgina runzelte die Stirn. »Hast du überhaupt so etwas wie Milch und Honig im Haus?«

Die Blondhaarige grinste. »Denkst du, dass Malerinnen weiße Farbe in ihren Kaffee kippen?« Sie zeigte auf einen Hängeschrank. »Der Honigtopf steht im zweiten Fach von oben. Milch ist im Kühlschrank. Die Mikro ist dort – und lieben Dank fürs Verwöhnen!«

Georgina löste sich aus der Kuschelstellung und schritt leichtfüßig zur Küchenzeile.

»Sieht immer wieder cool aus«, rief Constance ihr nach.

Georgina drehte sich um. »Was denn? Mein Hintern?«

Constance zwinkerte ihr vergnügt zu. »Nein, wenn du mit diesem sehr begehrenswerten und anmutigen Körper durch meine Wohnung schreitest und das weiße Mondlicht deine zarte Haut streichelt.«

»Glück gehabt, Süße!«, meinte Georgina kess, »dass du nicht gesagt hast, dass das weiße Mondlicht meine schwarze Haut streichelt.«

»Huch«, entgegnete Constance. »War ich mit meiner prosaischen Beschreibung schon wieder so dicht an der Grenze zur diskriminierenden Pfui-Ecke, wie du so gerne sagst?«

»Noch nicht«, konterte Georgina. »Aber pass auf: Selbst im romantisch gemeinten Liebesgesülze kann sich politisch Unkorrektes verbergen, das besonders Empfindsamen sehr bitter aufstoßen kann.«

Constance lächelte. »Perfekt, dass du weißt, dass ich bitteren schwarzen Kaffee ebenso liebe wie Cappuccino!« Sie grinste. »Und gut, dass für mich als malende Künstlerin ein schönes Schwarz genauso selbstverständlich auf die Leinwand gehört wie jeder andere Klecks auf der Farbpalette.«

»Deswegen klappt es zwischen uns so hervorragend!«, stellte Georgina klar und bereitete dabei Milch und Honig zu. »Wir lieben gegenseitig unser leckeres Aussehen und unsere fantastischen inneren Werte. Und beim Sex stehen wir zungenzart auf dieselben Sachen.«

Kurz schwiegen sie.

»Doch … irgendetwas beschäftigt dich dennoch?«, hinterfragte Georgina nach einer Weile der Stille, denn sie wollte es unbedingt wissen. »Du hast doch niemand anderen kennengelernt, oder?«

»Grundgütiger, nein!«, beschwichtigte Constance. »Dafür sind wir beide noch nicht langweilig genug – finde ich jedenfalls«, fügte sie humorvoll an. »Es sind meine Träume, die einen Bezug zur Wirklichkeit haben.«

»Deine Träume? Du machst einen Scherz, nicht wahr?«

»Nein … und ich muss dir etwas erzählen, das du unbedingt wissen musst, weil es … irgendwie zu mir und zu meiner Vergangenheit gehört. Und ich will nicht, dass das blöd und unausgesprochen zwischen uns beiden steht. Die Sache belastet mich seit Tagen. Und jetzt, da es ernster zwischen uns geworden ist, muss ich damit rausrücken. Meiner Meinung nach bin ich dir das schuldig.«

»Großer Gott«, entfuhr es Georgina absichtlich übertrieben. »Du hast ein Kind oder sogar Zwillinge mit einem Mann oder mit mehreren Männern, richtig?«

Constance holte Luft und sprach es aus: »Einer meiner Ahnen war ein tyrannischer Plantagenbesitzer … ein innerlich überzeugter … Sklavenhalter aus Louisiana. Ein Arschloch vor dem Herrn!«

Georgina stutzte. »Du nimmst mich jetzt auf den Arm, oder?«

Constance atmete belastet durch und schüttelte leicht den Kopf. »Nein, leider nicht, Georgina … aber ändert das Gesagte etwas zwischen uns?«

Da standen sie nun in der nächtlichen New Yorker Loft-Wohnung und sahen sich schweigend und eindringlich an … die selbstbewusste Afroamerikanerin und die selbstbewusste Malerin mit dem Sklavenhalter im Stammbaum und mit dieser ausgesprochenen Wahrheit, die alles zwischen ihnen verändern konnte … oder auch nicht.

8. Ein sehr eigenwillig formuliertes Testament

»Du willst dieses Dokument nicht vernichten? Geht’s dir sonst gut, Horatio?«

Tanya Taylor war so aufgebracht, wie ihre Haare rot aussahen. Sie konnte und wollte nicht gutheißen, was ihr Verlobter vorhatte.

Es war Abend und am Himmel zeigten sich die ersten Schlieren der beginnenden Nacht. Die Schwüle der Südstaaten offenbarte sich in dieser Jahreszeit von der unangenehmen Seite und war für die Städterin genauso nervig wie die stechenden Moskitos, die ihre langen Beine als Einladung betrachteten und sie piesackten.

Tanya und Horatio standen an dem mit Schilf bewachsenen Ufer dieses verträumt wirkenden Sees, der zum Anwesen gehörte, das er zusammen mit dem Big House gekauft hatte.

Doch war es überhaupt ein legaler und rechtskräftiger Kauf gewesen? Der Millionärssohn hatte seit den mysteriösen Vorgängen, die sich heute Vormittag zugetragen hatten, berechtigte Zweifel. Immerhin hatten ihn diese Ereignisse, für die es keine rationalen Erklärungen gab, in die Bibliothek zu dem Geheimfach hinter der Bibel geführt.

Sie hatten das Testament und den Letzten Willen einer gewissen Lady Beverly Mercier gefunden. Oder hatte man sie übernatürlich darauf gestoßen?

Horatio Heaven, ein 32-jähriger Vernunftmensch, wollte von dieser fantastisch anmutenden Möglichkeit nichts wissen. Das gefundene Dokument war allerdings so real, wie seine Verlobte schön, sexy und gleichzeitig biestig zielorientiert sein konnte.

»Es gibt für mich gute Gründe, dieses sehr eigenwillig formulierte Testament nicht einfach ins nächste Kaminfeuer zu werfen«, erklärte er. »Und das liegt nicht daran, dass es Sommer ist, Tanya! Es ist für mich eine Frage der Moral und des Anstandes, den Willen dieser lange verstorbenen Lady zu respektieren und prüfen zu lassen.«

Klatsch.

Ärgerlich hatte Tanya eine Stechfliege totgeklatscht, die sich von ihrem in Wallung versetzten Blut ernähren wollte. »Scheißviecher!«, zischte sie. »Der Teufel soll sie holen!«

Horatio gab sich amüsiert. »Ach, Atheisten glauben nicht an Gott, aber der Teufel wird um Hilfe gebeten?«

»Das ist doch nur ein saublöder Spruch, wenn ich zornig bin. Ich glaube weder an das eine noch an das andere Hirngespinst. Ich bin frei von religiösen Zwängen aufgewachsen.«

»Und ich«, erklärte der schwarzhaarige Mann und blickte dabei auf den romantischen See. »Ich bin in einer Welt groß geworden, in der man Anwälte einschaltet und Geschäftsverträge und sonstige Dokumente auf ihre Rechtskräftigkeit hin prüfen lässt. Ich bin kein Mann, der sich ein böses Erwachen herbeisehnt.«

»Du hast den Kaufvertrag doch schon unterschrieben, oder?«

»Gewiss, Tanya, doch der Makler und ich sind uns darin einig geworden, dass das Geschäft noch nicht endgültig ist, bis alle neuen Belange geprüft worden sind. Wenn diese Prüfung nicht ordentlich von Morrison durchgeführt wird, verklage ich ihn wegen Verschleierung von Tatsachen.«

Tanya bezweifelte das: »Damit kommst du nicht weit. Woher hätte denn dieser Makler wissen sollen, dass es ein verstecktes Testament gibt?«

»Tanya, das Haus ist seit über 100 Jahren im Besitz der Gemeinde Standsville gewesen. Jahrzehntelang hat es als Museum für die mitunter düstere Südstaaten-Historie gedient. Und keinem ist in all der Zeit diese Bibel in der Bibliothek aufgefallen, die auf dem Kopf steht? Mein klarer Verstand zweifelt stark daran.«

Klatsch.

Wieder segnete ein Moskito das Zeitliche. Diesmal an Tanyas Nacken.

»Du solltest am See kein ausgeschnittenes Kleid tragen«, riet ihr der Verlobte. »Nicht spätabends.«

»Und du solltest nicht so einen Wind um dieses uralte Testament machen. Keiner außer den Handwerkern und dem Makler weiß davon. Es wäre ein Leichtes für unsere Eltern, entsprechende Schweigegelder zu zahlen.«

»Tanya, das sind nicht meine Methoden. Meine Eltern haben da einen anderen Sohn erzogen. Und dieser Sohn, den du liebst und heiraten willst, sieht es als Verpflichtung an, es prüfen zu lassen, ob es noch eine lebende Nachfahrin dieser Lady Beverly Mercier gibt!«

»Und wenn es keine Nachfahrin gibt – oder die noch vorhandenen ausschließlich Schwanzträger sind?«

»Beides gut für mich, für uns und unser Big House. Das Testament ist eindeutig formuliert. Lady Beverly vererbt ihren Besitz nur an eine blondhaarige Frau in ihrer direkten Blutlinie, die noch keine 30 Jahre alt ist. Und sie soll Constance heißen.«

Tanya schüttelte fassungslos ihr rotes Haupt. »Kann es sein, dass diese olle Lady am Ende ihrer Tage einen gewaltigen Sprung in der Schüssel hatte? Woher soll die damals schon gewusst haben, dass es irgendwann mal eine Constance in ihrer Ahnenreihe geben sollte? Das wäre ja Hellsehen, oder?«

»Ob Lady Beverly irgendwelche Schüsseln mit Sprüngen besaß, kann ich dir nicht sagen«, nahm Horatio seine Verlobte sinnbildlich auf den Arm. »Aber sie hatte genaue Vorstellungen davon, wer das hier einmal alles erben sollte.«

Die Rothaarige schnaubte. »Sicherlich war diese Südstaaten-Beverly scheiße egozentrisch und selbstverliebt. Wer sonst käme auf solch eine extrem persönlich formulierte Vorgabe, wie die rechtskräftige Erbin auszusehen hat?« Spöttisch meinte Tanya: »Und dazu noch mit Vornamen, Altersvorgabe und blond! Passt ja alles zusammen: egozentrisch, selbstverliebt und ganz klar blond! Sie hat das Big House sicherlich ihrem eigenen Spiegelbild vererbt.«

Horatio schmunzelte und nahm spielerisch eine Strähne von Tanyas roten Haaren zwischen die Finger. »Es soll auch selbstverliebte Egozentrikerinnen unter den Rothaarigen geben – habe ich mir aus zuverlässiger Quelle sagen lassen.«

»Der war wirklich gut!«, antwortete die Frau, und ihr Zorn war wie weggeblasen.

»Ich weiß eben, was dir guttut«, antwortete Horatio und nahm sie in seine Arme.

»Immer muss alles so kompliziert sein«, stöhnte Tanya. »In der Stadt war es irgendwie einfacher.«

»Du wolltest künftig in einem romantischen Big House wohnen, Liebes. Ich wäre am Strand von Miami auch glücklich geworden.«

Tanya zeigte zu dem Herrenhaus hin, das in wunderschönes Abendlicht getaucht war. »Es sieht ja auch schnuckelig aus, oder?«

»Es ist einfach umwerfend! Und ich hoffe natürlich wie du, dass es keine Erbansprüche geben wird. Vielleicht ist diese Familie Mercier schon lange ausgestorben. Doch ich muss das geklärt wissen. Es ist wichtig. Das sagt mir ein inneres Gefühl.«

»Okay, vertrauen wir auf deine Moral und deinen Anstand«, lenkte Tanya ein. »Oder vertrauen wir einfach darauf, dass der letzte Nachfahre dieser verdammten Familie männlich und steinalt ist und eine Glatze hat! Also, keinen gültigen Erbanspruch besitzt!«

Klatsch.

»Wir sollten essen gehen«, sagte Horatio. »Bevor die Moskitos sich an deinem Nordstaaten-Blut den Magen verderben.«

Sie knuffte ihn, und er küsste sie. Er liebte sie, obwohl sie hin und wieder sehr stressig war.

Doch der Geist von Lady Beverly Mercier hatte andere Pläne mit ihnen, wenn man daran glauben konnte und wollte.

Völlig andere.

9. Die Heimat

Sie saßen gemeinsam in einem Schaumbad. Im Hintergrund flutete Jazzmusik aus den Lautsprechern. Die vielen Kerzen, die sie auf dem Fliesenboden des Badezimmers aufgestellt hatten, waren die einzigen Lichtquellen, die alles und jeden in ein sanftes Orange verwandelten.

»Danke, dass du damit klarkommst«, sagte Constance Mercier, während sie Georgina W. Washington im warmen Wasser in den Armen hielt.

»Mit was klarkomme?«

»Du weißt schon.«

»Ach, du sprichst von dem eitrigen Pickel in deinem Stammbaum, diesem Plantagenbesitzer?«

Constance schnaufte betrübt. »Glaubst du, dass er selbst die Peitsche benutzt hat?«

»Soweit ich weiß«, erzählte Georgina, »hatten die Herren der Plantagen meist Verwalter oder Aufseher für solch niedere Dienste wie Bestrafungen. Zudem waren diese Typen oft zwielichtigen Ursprungs, oftmals sadistisch veranlagt. Wer sonst könnte wehrlose Menschen auspeitschen?«

Constance erinnerte sich. »Ja, in meinen Träumen ist da ein Aufseher. Lady Beverly hat ihn Parker genannt.«

»Ich habe übrigens über deine Vorfahrin im Internet recherchiert. Da gibt es nicht viel Brauchbares.«

»Ich weiß. Ich vermute, da hat mein Vater die Hände im Spiel. Er möchte mit unseren düsteren Familiengeschichten nicht in Verbindung gebracht werden. Er denkt, dass die damaligen menschenverachtenden Ereignisse noch heute einen dunklen Schatten auf unsere makellos strahlende Familie werfen könnten. Er hat Angst um seinen guten Ruf, sein politisches und sein unternehmerisches Ansehen. Er ist geschätzt und beliebt in der New Yorker Upper Class.«

»Kann ich verstehen, wer will schon gerne so was Übles in der Familiengeschichte stehen haben.« Georgina blickte Constance an: »Warum beschäftigst du dich eigentlich mit diesem düsteren Familienkapitel? Ist doch ziemlich lange her, oder? Nur wegen deiner Träumerei aus dieser schandvollen Zeit?«

Constance nickte. »Ja. Wegen Beverly und Joshua Mercier. Joshua wurde auf Befehl des eigenen Vaters ausgepeitscht. Beverly hat diesen Aufseher, diesen Parker, bei der Bestrafung gestoppt.«

Georgina schüttelte ihren Kopf. »Was? Der Master hat seinen eigenen weißen Sohn brutal züchtigen lassen? Dein Vorfahr muss ein richtiger Bastard gewesen sein!«

»Ja, Georgina. Und ich gehe davon aus, dass Joshua und seine Schwester Beverly nicht so drauf waren wie ihr Vater.«

»Und? Seine Kinder waren es trotzdem. Die Kinder eines Sklavenhalters und Schinders.«

Constance rümpfte die Nase. »Aber … haben sie ihn geliebt, wie man seinen Vater liebt und respektiert? Oder haben sie ihn genauso gefürchtet, wie seine Bediensteten und Sklaven das taten?«

»So wie du sie mir beschrieben hast, waren diese Geschwister eher Rebellen in der eigenen Sippe. Hast du auch etwas von ihrer Mutter geträumt?«

»Leider nicht.«

»Du solltest aufhören, dich mit der gruseligen Südstaaten-Thematik weiter zu quälen, Constance. Das waren schlimme Zeiten, besonders für die Schwarzen. Doch wir leben nun im 21. Jahrhundert. Und ja, ich bin nicht blöd … der Rassismus lodert, flammt und fackelt noch immer an vielen Stellen in unserem Land. Doch glaube mir, selbst wir Afroamerikaner denken nicht jeden Tag an Black.«

»Was meinst du mit Black?«

»Ach, du kennst den Roman von Benjamin Hallmanner über die Sklavenzeit nicht?« Georgina fühlte sich bestätigt. »Dummerweise wurde Black – Verlorene Heimat, fremde Heimat nie verfilmt, dann würden ihn sicherlich weltweit mehr Leute kennen. Die Menschen heutzutage lesen einfach zu wenig und streamen viel zu viele Videoclips und Movies!«

»Georgina … ich muss dir gestehen, der Titel sagt mir gar nichts.«

»Tröste dich – vielen Schwarzen ebenfalls nicht. Der Roman wurde in den 70ern veröffentlicht. Ist ja auch gefühlte 1.000 Jahre her.« Georgina ergänzte mit einem frechen Lachen im Gesicht: »Damals konnten die Leute mit einem Taschenbuch genauso schnell umgehen wie wir heute mit unseren Smartphones.«

Constance rieb sanft cremigen Seifenschaum mit einem Naturschwamm über Georginas Rücken.

»Mmmhmm, das tut gut!«, seufzte die Freundin.

»Hast du dich je mit deiner Heimat beschäftigt?«, wollte Constance wissen.

Georgina stutzte. »Mit meiner Heimat?«

»Entschuldige, ich habe mich ungenau ausgedrückt. Ich meine, hast du dich je mit der Heimat deiner Vorfahren beschäftigt?«

»Mit Afrika?«

»Ja, mit Afrika.«

Georgina W. Washington lächelte. »Bei aller Liebe zu historischen Themen. Ich wurde 1992 in Georgetown, Washington geboren. Ich war eine leichte Hausgeburt in einem dieser schicken bunten Häuser am ruhig fließenden Potomac. Mein Vater ist ein beliebter Allgemeinmediziner und hat als junger Mann lange bei den Marines gedient. Meine Mom lehrt Englisch an einer renommierten Highschool. Und wir Washingtons waren schon immer ein wenig stolz auf unseren besonderen Nachnamen. Meine Eltern besitzen einen tadellos gepflegten Vorgarten samt Flaggenmast mit den Stars and Stripes. Georgetown ist die Heimat meiner Familie … die Heimat, die mir wirklich am Herzen liegt … nicht Afrika.«

10. Louisiana-Moos

Hinter ihr hämmerte ein Handwerker an der großen Rundum-Veranda, ein anderer Mann mit weiß verschmierten Latzhosen strich einige Pfosten mit Farbe an. Tanya Taylor saß in einer Hollywoodschaukel, die monoton quietschte. Sie schaute nachdenklich auf den knorrigen Baum, der rechts neben dem kleinen Springbrunnen stand. Von den Ästen hingen weiße Fäden herab. Die Rothaarige versuchte, sich zu erinnern, wie man dazu sagte, kam aber nicht darauf.

War es nicht Hexenhaar – oder so ähnlich?

Sie nippte an ihrer Limonade.

Egal, es sieht jedenfalls sehr märchenhaft aus!

Tanya, die in Miami aufgewachsen war, hatte sich zwar im Vorfeld vorzugsweise im Internet mit der wunderschönen Umgebung um Louisiana beschäftigt, doch bei Fauna und Flora musste sie passen. Modeboutiquen und Restaurants gehörten zu ihrem Interessensgebiet.

Der sommersprossige Benny Jacobs, einer der Schreiner, ein schlaksiger Mittzwanziger mit wachen Augen und lustigen Grübchen in den Wangen, lief mit ein paar Brettern an ihr vorüber.

Der Typ war ihr wegen seines Glaubens zwar unangenehm aufgefallen, dennoch ergriff Tanya die Chance zu einem Smalltalk. Die Zeit, bis ihr Verlobter Horatio zurückkommen würde, wurde ihr einfach zu lange. Für die quirlige Frau war jede Art von Langeweile entsetzlich. Zudem sah dieser Benny ansprechend aus. Es gab bestimmt unattraktivere Gesprächspartner. Sie wischte sich eine rote Strähne aus dem Gesicht und setzte ihr bezauberndes Lächeln auf. »Bitte entschuldigen Sie«, sprach sie den Mann an, der sich prompt zu ihr hindrehte, weil er ein verbales Donnerwetter von ihr erwartete.

Tanya Taylor hatte bei den Handwerkern ihren verdienten schlechten Ruf weg, und das nicht erst seit diesen seltsamen Zwischenfällen mit der Standuhr, dem unerklärlichen Rumpeln und Poltern in der Bibliothek und dem Fund des Testaments. Diese Tanya, so hübsch sie auch war, galt als befehlshabender Drache unter den einheimischen Männern in den blauen Latzhosen.

»Sie wünschen, Miss?«, fragte er schnell, um nicht in Ungnade zu fallen.

»Sie heißen Benny, nicht wahr?«

»So isses, Miss!«, antwortete der Handwerker salopp im hiesigen Dialekt.

»Sie sind hier in Standsville aufgewachsen?«

»Ich und meine fünf Geschwister. Drei Jungs und drei Schwestern. Und wir haben alle was Gescheites gelernt.« Er war plötzlich in Plauderlaune geraten und hatte scheinbar alle Befürchtungen abgelegt, die Tanya und ihre couragierte Art betrafen, Männer lautstark zu befehligen. Wahrscheinlich war er dem selten zu sehenden und zauberhaft wirkenden Lächeln der Städterin verfallen. Ja, Tanya wusste, wie man gezielt an Informationen herankommen konnte, besonders bei einem attraktiven Mittzwanziger in Latzhosen.

»Dann sind Sie sechs Kinder?«, staunte Tanya, die als verzogenes Einzelkind aufgewachsen war, was jedem sofort einleuchtete, der zehn Sekunden mit ihr zu tun hatte.

»Jipp, Miss! Es war immer Leben in der Bude. Später hat sich die Bande dann beruflich oder familiär in alle Himmelsrichtungen davongemacht. Ich bin der Jüngste und wohne noch bei Mom. Aber nächstes Jahr werde ich wohl nach New Orleans ziehen. Dort gibt es einfach bessere Jobs für mich. Mom ist ja noch rüstig und hat Onkel Wallace. Leider ist Dad letztes Jahr bei einem heimtückischen Angriff umgekommen.«

»Das ist … das ist ja schrecklich!«, entfuhr es der Rothaarigen. »Hat man den Mörder gefasst?«

»Jipp. War ein Mordsbrocken von Alligator, Miss!«

Tanya glotzte. Sie kannte Alligatoren bisher nur aus TV-Dokumentationen.

»Ja, so isses wirklich gewesen! War ziemlich heftig und blutig. Das Vieh hat ihn beim Angeln geschnappt. Die sind heimtückisch, wenn man nicht aufpasst.«

Besorgt blickte Tanya zu dem angrenzenden See hin. Das amüsierte den Handwerker. »Keine Sorge, Miss. In dem Ding leben keine. Da müssen Sie schon in die Sümpfe rausfahren oder in ruhiges Gewässer. Ich kann Ihnen da die Bayou empfehlen. Traumhaft dort, aber auch gefährlich. Ich habe den Schnapper, der meinen Daddy auf dem Gewissen hat, selber erlegt. Er hängt jetzt ausgestopft über Moms Kaminsims. War ein Drei-Meter-Schnapper! Ein Freund von mir ist Präparator. Wir kennen uns seit der Kinderwiege.«

Tanya lauschte beeindruckt den spannenden Schilderungen des Mannes. »Sie haben einen richtigen Alligator getötet?«

»Jipp, hab drei Schüsse dafür gebraucht. Die sind zäh.«

Die Frau trank aufgeregt einen Schluck Limonade. Solche Geschichten waren für eine Städterin wahre Gruselgeschichten, und Tanya liebte Gruselgeschichten über alles.

Benny meinte: »Wir haben eine Tanke im Ort, dort verkaufen sie Ketten aus echten Alligatorenzähnen für die Touris. Die Bescheuerten aus der Stadt löhnen echtes Geld dafür.« Ihre Blicke kreuzten sich. »Oh … entschuldigen Sie, Miss, die Sache mit den Bescheuerten aus der Stadt ist mir so rausgerutscht.«

»Schon gut! Ich bin nicht so empfindlich.« Tanya deutete auf den Baum mit den feinen Fäden, die herabhingen. »Wie sagt man doch gleich zu diesem Baumbart? Ich komm grad nicht drauf.«

»Das ist Louisiana-Moos, Miss. Den lateinischen Namen weiß ich nicht. Hab nie Latein gehabt, dafür Französisch wie viele hier aus der Gegend. Das liegt an unserer Vergangenheit.«

»Louisiana-Moos«, wiederholte Tanya. »Klingt interessant, doch der Name kommt nicht an das Schöne heran, das es ausstrahlt.«

»Ja, so isses, Miss! Das Schöne und Sanfte kommt eher in der alten Legende so richtig raus, die man sich von dem Zeug erzählt.«

»Eine Legende?«

»Jipp, Miss«, der Mann strahlte, weil er wieder etwas erzählen konnte, was die schöne Städterin interessierte. »Meine Großmutter – Gott hab sie selig! – hat uns als kleine Hosenscheißer …« Er verstummte. »Oh … entschuldigen Sie, Miss!«

Tanya lächelte. »Schon gut, Benny. Wir waren alle mal kleine Hosenscheißer, auch ich, die bescheuerte Städterin.«

Er grinste zurück. »Waren Sie eigentlich als Baby auch schon rothaarig?«

Der Themenwechsel amüsierte Tanya. »Ja, auf Familienfotos sieht man mein Köpfchen mit einem leichten Kupferstich.«

Er räusperte sich. »Sie haben wunderschönes Haar.« Dann wurde er rotbackig, was sie innerlich erheiterte, doch sie ließ es sich nicht anmerken, weil sie ihn sympathisch fand. »Stichwort Haar ist gut«, meinte Benny. »Also, meine Großmutter – Gott hab sie selig! – hat uns Kleinen immer die Legende vom Louisiana-Moos erzählt. Ist so ein altes Indianer-Ding, die Geschichte. Kommen Sie mit, Miss. Wir gehen mal näher ran. Ähm, an den Baum, mein ich.«

Tanya stellte die Limonade auf einen Beistelltisch neben der Hollywoodschaukel, und Benny schichtete die Bretter, die er trug, auf die Stufen der Veranda. »Ich rauche mal schnell eine Kippe!«, rief er einem Kollegen zu, der das Geländer anpinselte.

Tanya folgte Benny zu dem mächtigen Baum. Der schlaksige Mann langte nach oben und holte einige Fäden herab. »Nehmen Sie mal!«

Die Frau tat es sogleich. »Fühlt sich wirklich wie Haare an.«