Sammelband Spanien - Zwei Romane in einem Band - Sabine Benda - E-Book

Sammelband Spanien - Zwei Romane in einem Band E-Book

Sabine Benda

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Beschreibung

Wenn Teresa träumt Sommer 1986. Teresa, eine Psychologin aus der spanischen Provinz, wird seit kurzer Zeit von eindrucksvollen Träumen heimgesucht, von denen sie annimmt, dass sie eine Art Vorsehung sind. Erschwert wird ihr Leben zusätzlich durch spontane sexuelle Blackouts, die sie in starke Bedrängnis bringen. Nach einer neurologischen Untersuchung in Madrid, beginnt für Teresa eine übernatürliche Odyssee und ein mitreißender Wettlauf gegen die Zeit. »Wie weit würden Sie gehen, um eine Katastrophe zu verhindern?« Mercedes: Die Leichenaufschneiderin Das blaue Meer schlägt in sanften, gleichmäßigen Wellen an den feinen, flach abfallenden Sandstrand. Die neugierigen Schaulustigen starren, während die entschlossene Insel-Polizei den Fundort konsequent absichert. José García fragt mich wiederholt nach meiner Meinung oder Einschätzung. Innerlich verlangt es mich nach der achten Zigarette. Etwas Böses hat hier seine grauenvolle Tat vollbracht. An einem der schönsten Strände von Multikulti. Und es ist auf freiem Fuß. Ich schaue in die toten Augen dieses verunstalteten Unbekannten und denke permanent an die unheilvollen Worte meiner Großmutter: »Etwas atmet mich an!«

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Seitenzahl: 460

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sabine und Thomas Benda

Sammelband Spanien - Zwei Romane in einem Band

Wenn Teresa träumt / Mercedes: Die Leichenaufschneiderin

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Sammelband Spanien

Wenn Teresa träumt

1. Die Abfahrt

2. Flavia

3. Der Schweiß der Gläubigen

4. Das Paradies auf Erden

5. Das Ding

6. Kuh oder nicht Kuh?

7. Mehrzahl?

8. Es gibt ihn wirklich!

9. Die Leichenschau

10. Der Museumsbesuch mit Folgen

11. Mit bitterem Nachgeschmack

12. 50

13. Sieben Stunden

14. Katastrophe

15. Die Carlos-Situation

16. Noch zwei Stunden

17. Der Weg zum Bahnhof

18. Tick ... Tick ... Tick

19. Zu allem entschlossen

20. Nachgang

21. Wenn nicht Sie, wer dann?

22. Ein Wiedersehen

23. Die Seele erleichtern

24. Die jonglierende Thusnelda

25. Aufgelöst

26. Die Welt ist ein Dorf

27. Fünf sind mein Ziel

28. 50

Mercedes:

1. Ich bin kein teures Auto!

2. Die Stille nach dem Zuschlagen der Kühlfachtür

3. Cosmopolitans

4. Mein großer Auftritt

5. Ypsilon

6. Ich habe ihn bei mir

7. Wenn der Schwefel stinkt

8. Drei Deutsche

9. Lassen Sie uns kurz über Sex reden

10. Düfte unterm Sternenhimmel

11. Was die Leichenaufschneiderin zu Hause erwartet

12. Der Traum

13. Frühstück

14. Wenn man nichts in der Hand hat – nicht mal den Spatz!

15. Rede mit mir, Nummer fünf!

16. Cruz, du bist an der Reihe!

17. Kurz noch, bevor ich mit dem Psycho-Doc rede

18. Die Hausaufgabe

19. Einsam

20. Beichtgelegenheit

21. Wer zu dicht am Haus steht, der kann das Dach nicht sehen

22. Gerardo

23. Consuela ... wenn ich die nicht hätte

24. Maria ... wenn ich die nicht hätte

25. Die Vogelkacke, der Rosenkranz und der Kurierdienst

26. Die Witwe und der Witwer

27. Der Kerker, der Scheiterhaufen und die blutigen Schlangen

28. Schnüffelei und Friedrich Schiller

29. Paco ... wenn ich den nicht hätte

30. Transfleur Exotic

31. Politisches Allerlei und Abendessen unter Ausländern

32. Keine Angst, wir wollen nur spielen!

33. Hallo, alle noch wach?

34. Schneidet ihr uns bitte mal ab!

35. Kurz, hart und rücksichtslos

36. Ich, die Mutanten-Drecksau

37. Das Kennenlernen nach dem Fick

38. Noch nie so sehr geliebt

39. Nachtgedanken

40. Das Gedicht – und total verknallt!

41. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa!

42. Wenn ein Mann zu einem Arschloch mutiert

43. Unter der City

44. José … wenn ich den nicht hätte

45. Es gibt interessantere Gerüche

46. Der Vorteil des Nachteils

47. Parkhaus, Parkhaus – aus die Maus!

48. Sakoi Petri, mein Dealer

49. Mehr als Bettgeflüster

50. Eine heiße Spur

51. Elendig!

52. Blut wird fließen ... ganz sicher!

53. Fünf Buchstaben

54. Die Alte mit dem Weidenkorb

55. Klina

56. Die Wahrheit

57. Im Aroma-Raum

58. Ich muss sie überzeugen!

59. Letzte Worte

Über die Autoren:

Impressum neobooks

Sammelband Spanien

Zwei Romane in einem Band

Wenn Teresa träumt

Mystery-Thriller

Mercedes: Die Leichenaufschneiderin

Utopie/Drama

Sabine & Thomas Benda

IMPRESSUM

© 2025 Sabine Benda, Thomas Benda

Korrektorat und Lektorat: Sabine Benda

Coverdesign: Sabine Benda

Sabine und Thomas Benda

Josef-Schemmerl-Gasse 16

A-2353 Guntramsdorf

E-Mail: [email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Hinweis der Autoren: Unsere Bücher sind nur für Erwachsene geeignet!

07.10.2025

Wenn Teresa träumt

Mystery-Thriller

Sabine & Thomas Benda

IMPRESSUM

© 2025 Sabine Benda, Thomas Benda

Korrektorat und Lektorat: Sabine Benda

Coverdesign: Sabine Benda

Sabine und Thomas Benda

Josef-Schemmerl-Gasse 16

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Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

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07.10.2025

1. Die Abfahrt

Spanien, Sommer 1986

Die 38 Grad zur Mittagsstunde konnte er gut verkraften, denn er war hier geboren, nur die Krawatte, die er rasch vor Antritt der Zugreise gekauft und angezogen hatte, empfand er als störenden Galgenstrick.

Der Madrider Bahnhof Atocha schien ein pulsierender Organismus zu sein. Menschen aller Altersklassen und Lautstärken wuselten durch die große Wartehalle; andere warteten geduldig auf ihren Zug und lasen auf einer der vielen Sitzbänke ein gutes Buch oder eine triviale Zeitschrift.

Aristeo Álvarez Vázquez lockerte die schöne Krawatte ein wenig und sah sich nach einem Zeitschriftenstand um. Sein Zug ins südliche San Matadene würde erst in einer guten halben Stunde losfahren.

Zeit, um sich mit spannender Lektüre einzudecken, dachte der glattrasierte Mittdreißiger, der sein braunes Haar mit einem Lederband zu einem Schwanz zusammengebunden trug. Er freute sich auf die Fahrt zu dem weit entfernten Küstenstädtchen. Auf langen Zugfahrten konnte man lesen, ohne den Straßenlärm Madrids in den Ohren zu haben. Aristeo wohnte in einer schmucken Altbauwohnung im Zentrum der Hauptstadt, und dort war an Ruhe kaum zu denken. Ein Grund, warum er den Auftrag angenommen hatte, war, ins romantisch anmutende San Matadene zu reisen. Fernab, in einem Idyll aus Wäldern, Küsten und dem blauen Meer, an einem Ort der absoluten Besinnung und des Friedens schreiben zu dürfen, kam ihm wie ein Besuch im himmlischen Paradies vor. Dazu würde er fürstlich bezahlt werden. Eine Tatsache, die auch nicht zu verachten war, wenn man der schreibenden Zunft angehörte. Denn nach einem gewinnbringenden Erfolg auf der Bestsellerliste konnte sehr schnell ein ruhmloses Desaster folgen, obwohl man sich einen Namen gemacht hatte. Aristeo hatte dies in den letzten 15 Jahren sehr oft erfahren müssen.

Er stellte seinen altmodischen Koffer ab und begutachtete den Metallständer mit den Taschenbüchern, der zu dem kleinen Zeitschriftenstand gehörte. Eine junge Frau mit einer neongelben Irokesenfrisur, wie sie heutzutage bei den sogenannten Punkern üblich war, besah sich das beschauliche Bücherangebot. Aristeo schätzte sie auf 19, vielleicht 20. Er hatte ein Faible für schrille Frauen. Nein, eigentlich mochte er alle weiblichen Wesen, die seine männliche Fantasie beflügelten. Er stellte sich neben sie und tat es ihr gleich, suchte im Buchständer nach einer geeigneten Lektüre. Sie sah ihn schräg an, als sie ihn bemerkte. Er blickte nett zurück. Die Punkerin kaute hörbar einen Kaugummi, machte eine Blase, die sie platzen ließ. Natürlich wollte sie ihn damit provozieren.

»Wow!«, sagte er. »In der Größe habe ich noch keine gesehen.«

Das Gesagte irritierte sie. »Hä? Was meinst du?«, fragte sie motzig.

Er blickte sie freundlich an. »Kaugummiblasen.«

»Ist doch keine große Kunst, Alter«, erklärte sie. »Ich habe Übung darin, seit ich fünf bin ... oder war!«

»Eigentlich kannst du beides sagen. Es ist völlig gleichgültig, ob du sagst: Ich habe Übung darin, seit ich fünf bin – oder seit ich fünf war.«

»Bist du ein Besserwisser oder ein Lehrer?«, fragte sie gereizt.

»Weder noch«, entgegnete er locker. »In der Hauptsache bin ich ein schweigender Autor.«

Sie hielt ihren Kopf ein wenig schräg und schaute ihn misstrauisch aus diesen stark schwarz geschminkten Augen an, die in einem eindringlichen Smaragdgrün leuchteten und so gar nicht zu ihrem düster gehaltenen Punker-Aussehen passten. »Echt, du produzierst Bücher?«

Er nickte. »Eigentlich schreibe ich sie, doch wenn ich recht darüber nachdenke, ist das Ganze eine Heidenarbeit, und man kann wirklich von einer Produktion sprechen.«

»Stimmt ja«, pflichtete die Punkerin bei. »Ich lag völlig daneben. Aber: Filme produziert man, richtig?«

»Genau.«

Wieder musterte sie ihn. »Du siehst nach Mainstream aus.«

Jetzt war Aristeo verwundert. »Nach was sehe ich aus?«

»Na, schicker Anzug, doofe Krawatte, weißes Hemd, geputzte Schuhe, dass man sich drin spiegeln kann. Du schreibst sicherlich Mainstream für die Hausfrauen-Elite, nicht wahr?«

Der Mann deutete auf ein Taschenbuch, dessen Cover vor Rosatönen strotzte.

Die Punkerin blickte verächtlich und sagte: »War sowas von klar!« Sie las den Titel laut vor: »Die Köchin der 1.000 Düfte.« Sie schaute Aristeo an. »Das klingt ziemlich nach parfümierter Seifenoper!«

»Es ist parfümierte Seifenoper – und es hält sich seit Wochen unter den ersten zehn Buchtiteln in Madrid.«

»Mit so einem Schrott kann man Geld machen?«

»Leider ja«, erwiderte er.

Die junge Punkerin schaute auf das dicke Taschenbuch. »Und du bist wirklich dieser Thomas Benda? Das klingt nicht nach einem spanischen Schriftsteller.«

»Es ist ein deutsches Pseudonym. Parfümierte Seifenopern schreibe ich gerne als Thomas Eberhard Benda.«

»Ist ja irre, Alter!«, kommentierte die junge Frau. »Hast du noch mehr Namen auf Lager?«

»Nur meinen richtigen Namen: Aristeo Álvarez.«

Die Punkerin erbleichte, was ihren hellen Teint noch blasser machte. »Du spuckst mir gerade eine saftige Lüge ins Gesicht, Alter, richtig?«

Ein heiteres Lächeln umspielte Aristeos Lippen. »Ich würde nie und nimmer so weit gehen und Lügen spucken. Aber: Es ist ein blumiger Satz. Vielleicht benutze ich den in einem meiner nächsten Romane.«

»Aristeo Álvarez!«, entfuhr es der Punkerin flüsternd, was irgendwie ehrfürchtig klang. »Meine Fresse nochmal.« Sie drehte den Bücherständer und deutete auf ein dickes Taschenbuch mit einem grässlichen Monster auf der Coverseite, das eine blutverschmierte, halbnackte Blondine jagte. »Hast du wirklich dieses geile Ding verzapft?«

»Das war mein erstes Buch. Damals war ich ein paar Jahre älter als du – und völlig unerfahren. Aber: Die Leute lieben es noch heute. Blut und Brüste sind eben nicht totzukriegen.«

»Der Wahnsinn! Du bist mein Gott! Ich liebe Horror, Splatter und Mystery über alles! Du bist ein echter Plattmacher!«

Aristeo grinste. »Plattmacher? Oh ja, ich verstehe dein sehr bildhaftes Kompliment! Vielen Dank!«

»Ich ... ich sammle alle deine Bücher!«, erzählte die aufgeregte Punkerin mit großen Augen. »Ich habe sie bestimmt tausendmal gelesen! Du bist der absolute Hammer, Alter!«

»Ich bemühe mich redlich«, antwortete er.

»Und warum schreibst du dann dieses andere seichte Zeug, wenn du der Gott des Horrors bist?«

»Weil man damit sehr gut Geld verdienen kann. Ein irdischer Gott muss auch Miete zahlen.«

Die junge Frau nickte, die Irokesenfrisur hielt stand. »Das kann ich verstehen, Kohle braucht man. Ich lebe zeitweise auf der Straße, manchmal gehe ich gegen Cash mit Kerlen ins Bett, doch ich strebe was Anständiges an.«

»Ich denke, du wirst es schaffen.«

»Woher willst du denn sowas wissen?«

»Du liest. Und du liest mich! Das ist schon mal ein guter Anfang.« Aristeo blickte zu den Taschenbüchern. »Kannst du mir etwas empfehlen? Von Horror-Fan zu Horror-Fan? Ich habe eine ziemlich lange Fahrt vor mir.«

»Ich soll dir ...?« Sie war fassungslos. »Aber du bist der Gott des Horrors! Du weißt, was gut ist und was tierisch gut abgeht!«

»Nicht bei der zahllosen Konkurrenz. Und ich vertraue deinem Geschmack – du bist mein Fan!«

»Meine Fresse!«, schwärmte sie. »Das glauben mir meine Freunde niemals, dass ich den großen, einzigartigen Aristeo Álvarez getroffen habe!«

Aristeo holte eine Visitenkarte und einen Kugelschreiber aus der Innentasche seiner Anzugjacke. »Wie heißt du?«

»Mercedes.«

»Himmel, welch hübscher Name!«

»Finde ich auch krass. Und das Tolle: Ich bin kein deutsches Auto!«

Der Autor lachte, schrieb eine Widmung und ein Autogramm auf die Rückseite seiner Visitenkarte. »Für dich, Mercedes!«

»Da bimmeln die Glocken wie an Weihnachten und Ostern zusammen!«, strahlte die Punkerin bis zu beiden Ohren hin.

Aristeo blickte auf seine Armbanduhr. Er hätte sich noch gerne ein Weilchen länger mit ihr unterhalten.

»Oh, mein dummer Zug geht gleich. Also, was empfiehlst du mir?«

Die junge Frau suchte gezielt im Drehständer nach einem Horrorroman und reichte ihm ein umfangreiches Paperback. Es trug den Titel: Der Herzfresser des Teufels. »Der Cruz schreibt so krass wie du, aber du bist natürlich um Klassen besser! Du bist der Gott des Horrors!«

»Das ist die Hauptsache!«, sagte der Mann und lachte sie an.

»Wo fährst du eigentlich hin?«, fragte sie.

»Nach San Matadene«, antwortete er.

»Oh Gott, so südlich? Da ist doch tote Hose!«

»Genau. Das brauche ich mal: tote Hose.«

»Na, ich wünsch dir was, Alter!«

»Dasselbe dir, du Junge!«

»He, du bist eine richtig coole Socke, Aristeo, obwohl du einen Anzug trägst, der dich total konservativ macht. Überdenke mal deinen Kleiderstil! Gesicht und Haare passen – der Kittel ist ein Griff ins Klo!«

»Da hast du vollkommen recht. Normalerweise bin ich lockerer drauf. Ich habe noch einen geschäftlichen Termin, da muss ich mich bieder verkleiden.«

Dann sahen sie sich ein weiteres Mal eindringlich an, die Punkerin und der Autor.

»Mercedes ... du hast die schönsten Augen, die ich je gesehen habe«, sagte er charmant, und sie wurde tatsächlich rotbackig verlegen.

Schließlich gingen sie ihrer Wege.

Aristeo zahlte das Taschenbuch am Zeitschriftenstand und eilte zu seinem Zug nach San Matadene.

Er freute sich auf eine ruhige Zeit.

Ein gewaltiger Irrtum, wie er schon bald feststellen musste.

2. Flavia

Der Schaffner hatte vor einer halben Stunde die Fahrkarten in dem Abteil kontrolliert, danach musste Aristeo eingeschlafen sein. Schuld daran trug nicht der spannende Roman des Konkurrenten auf seinem Schoß, wohl eher dieser schnauzbärtige Mann, der vor ihm saß und herzhaft schnarchte. Schnarchen hatte schon immer eine sehr beruhigende Wirkung auf ihn gehabt, und der Autor erinnerte sich gerne an seine Kindheit bei den Großeltern, bei denen er nach dem Tod seiner Eltern aufgewachsen war. Sein Großvater, ein dickbäuchiger Weinbauer, hatte ebenfalls lautstark geschnarcht, wenn er sich nach einem fettigen und reichlichen Mahl seiner Ehefrau in seinen bequemen Ohrensessel zur Mittagsruhe begeben hatte.

»Ist der Platz neben Ihnen noch frei, Señor?«

Die weibliche Stimme ließ ihn aufhorchen. Er riss die tiefbraunen Augen auf und bemerkte, dass er mit dem Kopf an der Scheibe des Abteils ruhte. Draußen rasten dichtbewachsene Felder vorbei.

Nein, dachte Aristeo. Ich rase an den Feldern vorbei! Er blinzelte.

Richtig, ich sitze im Zug nach San Matadene!

Aristeo Álvarez blickte zu der Frau hin und war sofort hellwach, wie es sich für einen Single-Mann gehörte, wenn er auf eine höchst attraktive Schönheit traf.

»Oh, ich wollte Sie nicht wecken. Es tut mir leid!«

»Sie haben mich nicht geweckt«, sagte er verdattert. »Ich habe nur geschlafen.«

Als sie über seine Worte lächelte und dabei strahlendes Zahnweiß zeigte, wurde ihm bewusst, was für einen Stuss er von sich gegeben hatte. Die Dunkelhaarige erinnerte ihn an die Schauspielerin Audrey Hepburn, deren Filme er heute noch mochte und die er auf VHS-Videokassette sammelte und ins Wohnzimmerregal stellte.

Diese warmherzigen Rehaugen sind zum Wegschmelzen schön, überlegte er fasziniert.

»Entschuldigen Sie, Señorita!«, sagte er. »Ich bin ein unbedarfter Tölpel. Natürlich ist der Platz noch frei. Bitte setzen Sie sich doch!« Erst jetzt bemerkte er ihren Koffer. »Darf ich Ihnen behilflich sein, Señorita?«

»Aber gerne«, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn zum Schlucken brachte.

Er wuchtete das Gepäckstück auf die Ablage über ihren Köpfen. »Oha, Sie schmuggeln Backsteine!«, witzelte er und setzte sich dann auf seinen Sitzplatz neben sie.

»Überwiegend Bücher – ziemlich schwere Literatur.«

»Sie lesen viel?«, fragte er und war bemüht, den Smalltalk nicht ins Stocken zu bringen.

Die Frau nickte. »Ja, ich bin Grundschullehrerin. Ich fange gerade an.« Sie schmunzelte, was sie kess aussehen ließ. Etwas, das ihm sehr zusagte. Er liebte Frauen, die eine freche Note in ihrer Wesensart hatten. Kurz dachte er an die kecke Punkerin Mercedes vom Madrider Hauptbahnhof. Er hoffte sehr, dass sie einen guten Weg einschlagen würde.

»Übrigens liegen Sie falsch, Señor«, hörte er die schöne Lehrerin sagen.

»Falsch – mit was?«, fragte er vorschnell, denn er war manchmal ungestüm, auch mit Worten.

»Ich bin keine Señorita mehr.«

Aristeo ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken.

Schade, die Hübsche ist verheiratet!

Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Flavia Romero Moreno.«

Der Mann ergriff ihre zarte Hand, spürte einen festen Händedruck und schüttelte sie. »Aristeo Álvarez Vázquez.«

Das Schnarchen des schnauzbärtigen Fahrgastes, der ihnen gegenübersaß, wurde kurz lauter, verstummte plötzlich und setzte nach wenigen Momenten wieder ein.

Flavia deutete auf den Mann und flüsterte vorsichtig. »Ist der Señor Ihr Vater?«

»Himmel, nein!«, entgegnete Aristeo. »Noch nicht!«, hängte er rasch an und entlockte ihr wieder ein Schmunzeln.

»Sie haben einen spontanen Humor«, bemerkte die Frau. »Ich mag das sehr.«

Und ich mag alles an dir, schmachtete Aristeo innerlich. Musst du unbedingt verheiratet sein? Er blickte auf ihre Hände. Kein Ring?, durchfuhr es ihn. Seltsam!

Er versuchte, der Sache auf den Grund zu gehen. Nein, er musste der Sache auf den Grund gehen und trat wieder in ein Fettnäpfchen. »Reisen Sie alleine, Señora Romero?«

Sie blickte sich amüsiert im Abteil um, runzelte die Stirn und meinte absichtlich überrascht klingend: »Also, ich sehe Sie und den schnarchenden Señor. Ganz sicher gibt es in den anderen Abteilen auch noch Leute. Ja, der Zug ist voller Menschen, überwiegend Spanierinnen und Spanier! Nein, ich reise gewiss nicht alleine!«

Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

»Schon gut!«, klang sie erheitert. »Ich nehme Sie auf den Arm. Ihr Gesicht ist ganz köstlich, Señor Álvarez!«

Er wurde rot, was selten vorkam.

»Sie werden ja rot!«, freute sie sich über ihn.

Aristeo wollte gerade im Erdboden versinken.

Wie frech ist die denn? Ganz hinreißend frech!

»Ich bin verwitwet«, sagte sie und riss ihn aus seiner Sprachlosigkeit.

»Gott sei Dank!«, entfuhr es seinem Mund.

»Wie meinen Sie denn das?«, fragte sie irritiert.

»Großer Gott – wollte ich natürlich sagen. Entschuldigen Sie bitte! Ich stehe heute ein wenig neben mir. Schlimm, dass Sie Ihren Ehemann verloren haben. Sie sehen so schrecklich jung aus!«

Sie blickte ihn an. »Bin ich Ihrer Meinung nach mehr schrecklich oder mehr jung?«

»Wie meinen Sie ...?«

»Sie sind ja ziemlich schnell aus der Fassung zu bringen, Señor Álvarez! Kann das sein? Ihr Gesicht wechselt ständig zwischen Weiß- und Rottönen.«

»Sie machen sich wieder über mich lustig, Señora, richtig?«, fragte er und hatte ein vorsichtiges Zögern in der Stimme.

»Pausenlos! Nette und attraktive Männer fordern mich immer heraus.« Sie legte ihren Kopf schief. »Sehr nette und sehr attraktive Männer.«

Himmel, wie direkt ist die denn drauf?, fragte er sich und befand sich in einem Strudel aus Faszination und Erstaunen.

Und es wurde nicht besser, als er ihre fröhliche Stimme vernahm: »Ja, ich bin Witwe! Der Scheißkerl ist tot!«

3. Der Schweiß der Gläubigen

»Dann hat Ihr Ehemann Sie mit Ihrer besten Freundin betrogen?«

Flavia hatte Aristeo eine ganze Stunde lang – ohne Punkt und Komma – ihre bitterböse Ehegeschichte erzählt.

Die Frau nickte. »Und ich Idiotin habe es jahrelang nicht geschnallt! Zum Gespött der Leute und meiner Familie hat er mich gemacht. Mama hatte mich noch vor der Heirat gewarnt. Einen Schürzenjäger hat sie ihn genannt! Recht hatte sie, meine Mama!« Die Lehrerin runzelte die Stirn. »Doch wer hört schon gerne auf seine Mutter, wenn man verliebt ist – Sie etwa?«

»Meine Eltern sind tot, aber ich verstehe, was Sie meinen, Señora.«

»Tot? Oh, das tut mir leid. Ich wollte Sie nicht ...«

»Keine Sorge. Es ist zu lange her, dass es noch wehtut, Señora.«

»Können wir das lassen?«, meinte sie, und es klang nicht nach einem Wunsch oder einer Bitte. »Dieses andauernde Señora und Señornervt mich total!« Sie streckte Aristeo die Hand hin. »Nenn mich Flavia!«

Er ergriff lächelnd ihre Hand. »Kurz und knapp: Aristeo.« Da sie ihn scheinbar als Autor nicht kannte, wollte er sich nicht in den Vordergrund drängen, dennoch begegneten sich ihre Augen eine Spur länger, als dies üblich war.

»Übrigens: toller Name«, sagte sie und wirkte einen Moment sehr gedankenversunken. »Ich hatte als Kind einen braven Hund, der Aristeo hieß.« Flavia lächelte, als sie sich die Bilder in Erinnerung rief. »Meine Familie lebte damals in Vallecas. Als Papa und Mama heirateten, war das noch ein eigenständiges Dorf.«

Er glotzte, aber diesmal wollte er nicht auf ihre Scherze hereinfallen. »Euer Hund hieß Aristeo? Du nimmst mich wieder auf den Arm, oder?«

»Aber nein«, versicherte sie ihm und sah ernsthaft dabei aus. »Aristeo war ein wunderschöner und starker Golden Retriever. Er war lange Jahre mein liebster Freund, bis er von einem Auto überfahren wurde – wie mein Ex-Mann.«

»Dein Hund und dein Ex-Mann sind beide von einem Auto überfahren worden?«

»Beide«, bestätigte sie. »Allerdings nicht gleichzeitig. Es liegen genau 13 Jahre zwischen den Unfällen. Mein Aristeo starb 1972, mein Ex-Mann wurde letzte Woche überfahren.«

»Letzte Woche? So frisch?«

»So frisch! Seitdem sitzt meine beste Freundin – die Schlampe – in der Klapse!«

»Kann ich mir vorstellen«, überlegte Aristeo laut. »Muss wohl ein Schock gewesen sein.«

»Gewiss«, bestätigte Flavia und grinste spitzbübisch. »Sie saß am Steuer, als der Unfall passierte.«

»Was ...? Deine Freundin hat deinen Ex-Mann überfahren?«

»Rückwärts aus der Garage herauszufahren, ohne zu schauen, kann dämlich ausgehen! Diego, mein betrügerisches Arschloch von einem Ex-Mann, stand mit dem Rücken zur Garage auf dem Gehweg, rauchte und wurde von ihr umgenietet!«

»Wie makaber!«, entgegnete Aristeo. »Hat er den Wagen nicht kommen hören?«

»Er liebte seinen Walkman«, erklärte Flavia. »Und an dem Unfallmorgen hatte er sein Mixtape ziemlich laut aufgedreht. Pech für Diego!« Sie spitzte ihre schön geschwungenen Lippen. »Sei mir nicht böse, aber ein klitzekleiner düsterer Bereich in meinem edlen Lehrerinnen-Herzen findet diese bemerkenswerte Ehebrecher-Schlusspointe richtig gut!«

»Ja«, grinste Aristeo. »Von der eigenen Geliebten überfahren zu werden, ist schon ein ganz gemeiner Zufall.«

Flavia erhob einen Zeigefinger und sah nun wirklich wie eine Grundschullehrerin aus, die eine Ermahnung von sich geben wollte. »Es gibt keine Zufälle. Das wird alles gesteuert – nach einem Plan!«

Aristeo war verwirrt. »Gesteuert? Von wem?«

»Von Gott und dem Teufel.«

Er winkte amüsiert ab und lächelte ein wenig arrogant. »Ziemlich weit hergeholt, Flavia. Ich glaube an solche Dinge nicht. Ich bin Autor und Atheist.«

»Ach?«, fragte sie provozierend. »Sind alle Autoren nun Atheisten?«

»Nein, nur ich.«

»Du bist kein Atheist.«

»Oha, du kannst den Menschen das ansehen?«

»Ja«, nickte sie, und ihr hübsches Gesicht schien keinen Widerspruch zu dulden. »Beziehungsweise: Ich kann so etwas ... riechen.«

Er weitete die braunen Augen und lachte. »Du kannst einen Atheisten riechen?«

»Nein, ich kann einen Gläubigen riechen. Ich habe einen Geruchssinn dafür. Den habe ich von meiner toten Großmutter mütterlicherseits geerbt. Die konnte noch mehr Dinge, die richtig unheimlich waren. Mein Halbbruder Carlos ist bei ihr aufgewachsen und behauptet noch heute steif und fest, dass sie eine Seherin gewesen sei. Eine Seherin mit einem ausgeprägten Geruchssinn für Gläubige.«

»Flavia«, sagte Aristeo und schauspielerte Entsetzen. »Jetzt bekomme ich langsam eine Gänsehaut – wegen deiner verstorbenen Großmutter und deinetwegen! Himmel, wie duften denn Gläubige? Womöglich nach sakralem Weihrauch?«

»Nein, nur nach Schweiß.«

Beinahe hätte er laut gelacht, konnte sich gerade noch zurückhalten, weil er sah, dass es ihr todernst war.

»Aristeo, der Schweiß von Gläubigen unterscheidet sich in Feinheiten vom Körpergeruch der Leugner.«

»Inwiefern?«, wollte er wissen, obwohl er es anzweifelte.

»Ich rieche die Angst und die Ungewissheit«, erklärte Flavia. Nun zeigte die hübsche Frau unnahbare Arroganz in ihrem Gesicht. »Manche prostituieren sich heutzutage regelrecht mit ihrer oppositionellen Einstellung gegenüber Gott. Nach Angst und Ungewissheit müffeln sie dennoch bis zum Ende ihrer Lebenszeit. Sie könnten ja mit ihrem Kontrakurs falsch liegen. Ja, mein Näschen kann Gläubige von Nichtgläubigen unterscheiden wie meine Zunge einen guten Tropfen von Billigwein aus Plastikkanistern.«

Aristeo deutete auf den schnarchenden Señor, der ihnen gegenübersaß.

»Und wie steht es mit dem?«

Flavia schaute zu dem schnauzbärtigen Schläfer hinüber und sagte leicht lächelnd, wie aus der Pistole geschossen: »Spanisch und erzkatholisch – ganz unverkennbar!« Dann beugte sie sich zu Aristeo, kam ihm sehr nahe und schnüffelte sachte. Ihre Nasenspitze berührte fast seine Wange.

Schließlich vernahm er ihre Schnüffel-Analyse.

»Gläubig – und du duftest ganz himmlisch nach einem extrem teuren Aftershave, das meine Sinne aufwühlt und meine erotische Fantasie beflügelt!«

Wieder fanden sich Flavias und Aristeos Augen.

Im nächsten Moment kreischten die Bremsen des Zuges. Die Frau schrie vor Schreck auf. Ihr Koffer stürzte von der Ablage herunter. Der schnarchende Señor kippte haltlos nach vorne. Aristeo konnte ihn gerade noch auffangen.

Aus den Nachbarabteilen des Waggons drangen aufgeregte Stimmen und hysterische Angstschreie.

»Ich danke Ihnen, Señor«, sagte der heftig erwachte Schnarcher verdutzt. Aristeo nickte ihm zu.

»Bist du in Ordnung?«, fragte er Flavia.

Sie war ein wenig blass geworden. »Mein Herz rast – sonst ist alles klar!«

»Es muss etwas auf den Schienen liegen«, mutmaßte Aristeo. »Eine Vollbremsung auf freier Strecke bedeutet nichts Gutes.«

4. Das Paradies auf Erden

Im Westen von San Matadene, einem Küstenstädtchen, das direkt am Mittelmeer lag, befand sich das Paradies auf Erden, wenn man die Einheimischen fragen würde. Dabei meinten die Dörfler nicht die atemberaubende Natur, die sie umgab, die malerische Bergkette im Norden, auch nicht die schönen Sandstrände im Süden. Nein, es war der weitflächige und schön angelegte Besitz des Millionärs Santiago Vargas Ortega.

Die zweigeschossige Finca mit der schönen Sonnenterrasse war in U-Form gebaut worden und thronte wie ein stolzes Herrschaftsanwesen auf einem grünen Hügel, umgeben von duftenden Orangenhainen, die bis zum Horizont zu reichen schienen.

Die warme Morgensonne stand noch nicht hoch, die milde Temperatur und ein lauer Wind streichelten sanft ihren nackten Körper. Sie stand am Beckenrand des Pools und streckte sich. Das lange, braune Haar hatte die Frau zu einem Zopf zusammengebunden. Sie atmete durch, ihr Busen hob und senkte sich. Dann nahm sie die Arme hoch und tauchte elegant ins Wasser des Swimmingpools. 20 Minuten lang Kraulen waren Teresas Ziel, wie jeden Morgen vor dem Frühstück.

Ihr Ehemann Santiago zwirbelte die elegant aussehenden Spitzen seines Schnurrbarts und beobachtete Teresa, wie sie nach dem Eintauchen wie ein Delphin durch das glitzernde Wasser glitt, auftauchte und zu kraulen begann.

Santiago Vargas, ein 35-jähriger Selfmade-Millionär, liebte es, seiner schönen Frau beim morgendlichen Schwimmen zuzusehen. Schwimmen war nicht seine bevorzugte Sportart. Er verausgabte sich lieber auf dem Tennisplatz oder spielte eine Runde Golf in einem elitären Club in der Nähe. Sein wacher Blick suchte etwas und wurde fündig. Auf dem runden Terrassentisch hatte der Diener ein reichhaltiges Frühstück serviert. Die dicke Morgenzeitung aus San Matadene lag zusammengefaltet neben dem feinen Porzellangeschirr. Das würzige Aroma von Arabica-Kaffee überdeckte den frisch fruchtigen Geruch der selbstgemachten Orangenmarmelade neben dem Butterteller. Santiago setzte sich und nahm einen Schluck, bestrich sich eine zart gebräunte Toastscheibe. Nachdem er die erste Scheibe verzehrt hatte, widmete er sich der Zeitung. Die Schlagzeile sprang ihn in großen Lettern an: BLUTIGER FUND AM STRAND VON SAN MATADENE. Der Mann erschrak. Schon wieder?, dachte er und las besorgt den Zeitungsbericht.

Seine Ehefrau Teresa García López stemmte sich am Beckenrand hoch. Sie hatte die 20 Minuten mühelos geschafft. Sie griff sich einen flauschigen Bademantel, der auf einer Sonnenliege bereitlag, und schlüpfte hinein. Manuel, der Diener, näherte sich ihr. »Doña Teresa, ein Telefonat für Sie in der Empfangshalle. Es ist Don Octavio.«

Teresa runzelte ihre glatte Stirn und war innerlich angespannt. Heute würden die endgültigen Ergebnisse vorliegen. Sie nickte dem Diener zu. »Manuel, sagen Sie bitte meinem Mann, dass ich gleich zum Frühstück kommen werde.« Dann verließ die Frau den Poolbereich, um durch eine Schwingtür in die Finca zu laufen.

5. Das Ding

Dr. Octavio Sánchez Díaz, ein befreundeter Hausarzt von Teresa und ihrem Mann Santiago, hasste es, mit der sprichwörtlichen Stange im Nebel herumzustochern. Der 35-jährige Single, der sich ganz seinem Beruf beziehungsweise seiner Berufung als Mediziner verschrieben hatte, war ein Pedant, dem Klarheit über alles ging. Die Befunde und Laborergebnisse, die vor ihm auf dem breiten Eichenholzschreibtisch lagen, waren vieles, jedoch alles andere als klar und eindeutig.

Teresa kannte er seit ihrer Studienzeit in Madrid, doch während er sich für den menschlichen Organismus mit all seinen Stärken und Schwächen erwärmt hatte, war Teresa den Rufen Sigmund Freuds gefolgt und hatte mit Bravour ein Psychologiestudium absolviert. Teresas Vater José, ein wohlhabender Bankier, hatte seiner einzigen Tochter eine schicke Praxis im Herzen der Hauptstadt eingerichtet. Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung hatte sie den charmanten und millionenschweren Santiago kennengelernt. Man verliebte sich heiß, schnell und innig ineinander. Nach der Heirat vor drei Jahren hatte Teresa die Praxis aufgegeben, um ihr Leben mit ihrem Ehemann im wunderschönen San Matadene zu genießen. Santiago hatte seiner Ehefrau einen Praxisraum in der Finca einrichten lassen. Teresa betreute seitdem einen feinen und vor allen Dingen sehr wohlhabenden Kundenstamm, der ihre Hilfe als Psychologin konsultierte.

Das Geschäft mit der Therapie der Psyche boomte wie überall auf der Welt.

Octavio besah sich wiederholt die Röntgenbilder und Befunde, während er mit Teresa das Telefongespräch führte. »Es gibt gute und schlechte Nachrichten.«

»Zuerst die schlechten Nachrichten«, bat Teresa.

»Ganz mein Mädchen«, sagte der Arzt. »Erst die bittere Medizin.«

Teresa, die sich in der kühlen Empfangshalle ihrer Finca befand, umfasste den Telefonhörer stärker. Ihre Handknöchel traten weiß hervor.

Octavio schnaufte belastet. »Mir liegen die neuesten und sehr detaillierten Berichte der Neurochirurgie vor. Tatsache bleibt: Wir wissen immer noch nicht, was es ist und warum es sich gebildet hat.«

»Und was ist die gute Nachricht?«, fragte Teresa hastig, hoffte auf irgendetwas, das den Nebel lichten könnte.

»Es ist kein gewöhnlicher Tumor, weder gutartiger noch bösartiger Natur.«

»Also ... auch kein Krebs?«

»Ja. Die Werte sind in dieser Hinsicht weiterhin eindeutig. Es ist kein bösartiges Volumen. Und das Gewächs ... oder was auch immer sich in deinem Kopf eingenistet hat, ist glücklicherweise seit der letzten Untersuchung nicht größer geworden.«

»Ein Stillstand?«

»Ja, Teresa. Hast du noch die gleichen Symptome?«

»Sie haben sich sogar verstärkt«, antwortete die Frau. »Und ich träume noch häufiger und heftiger als vor vier Wochen.«

»Und deine ... Libido?«

»Unverändert hoch.« Sie schmunzelte bitter. »Santiago kann sich bestimmt nicht beklagen.«

»Wie häufig verspürst du Lust auf Sex?«, wollte er wissen.

»Zweimal«, gab sie eine prompte Antwort.

Octavio stutzte. »Zweimal die Woche ist nicht gerade eine Zunahme deiner sexuellen Aktivität, oder?«

»Zweimal am Tag«, korrigierte sie seinen Irrtum.

»Das allerdings schon«, pflichtete er ihr bei.

»Noch etwas hat sich verändert«, fügte sie an. »Aber ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es ist eine Art ... Gefühl.«

»Welcher Art?«

»Du wirst mich auslachen, Octavio.«

»Oh, meine Humorschwelle ist ziemlich hoch. Das weißt du. Also teste mich!«

»Ich saß neulich am Frühstückstisch. Ein Sonnenmorgen. Alles war friedlich. Dann kam dieses seltsame Gefühl. Es besetzte mich aus heiterem Himmel heraus. Etwas drängte mich.«

»Das Gefühl drängte dich? Wohin? Zu was?«

»Nun ... du kennst unseren Pool. Das Gefühl drängte mich genau dorthin. Gerade noch rechtzeitig. Ein kleiner Spatz kämpfte dort um sein Leben.«

»Ein Spatz?«

»Ja, Octavio, wahrscheinlich hatte er Durst und wurde durch das Wasser angelockt. Vielleicht war ihm auch schlecht. Ist doch egal, denn ... er war am Ertrinken!«

»Und das Gefühl hat dich zu dem Vogel gebracht?«

»Richtig, und ich habe ihn gerettet!«

»Gut für den Flattermann!«, sagte der Arzt und klang amüsiert.

»Es war wie eine Art Vorsehung, Octavio. Und ich wusste, dass du mich nicht ernst nimmst.«

»Ich nehme dich ernst, Teresa! Solche Gefühle sind nicht ungewöhnlich. Oftmals zeigen sich solche mentalen Besonderheiten bei sehr sensiblen Frauen.«

»Er kommt jeden Tag an mein Fenster«, unterbrach sie ihn.

»Wer kommt an dein Fenster? Santiago?«

»Der Spatz.«

»Der Spatz?«

»Ja, Octavio! Der Spatz kommt immer zur selben Zeit und hockt sich auf mein Fensterbrett – und klopft an!«

»Lass mich raten«, hakte der Arzt ein. »Und er singt dir ein Lied, richtig?«

»Nein, er zwitschert!«

»Er zwitschert?«

»Mir kommt es so vor, als ob er sich bedanken will, dass ich ihm das Leben gerettet habe.«

Sachlich fragte der Doktor: »Du rauchst kein Gras mehr, oder?«

»Das letzte Mal mit dir ... in deiner Studentenbude. Also vor rund 1.000 Jahren!«

»Und dieser Spatz kommt täglich?«

»Täglich.«

Schweigen.

»Nun«, gab Octavio zu. »Dazu fällt mir nichts ein. Ein Zufall womöglich.«

»Ein Zufall, nach dem ich die Uhr stellen kann?«, bezweifelte Teresa. »Aber lassen wir das. Was passiert jetzt mit dem Ding in meinem Kopf?«

»Weitere Tests, weitere Untersuchungen. Wenn es schlimmer werden sollte, dann ...«

»Dann?«

»Etwas, das ich nicht hoffe«, antwortete er. »Du weißt, dass wir eine Operation am Gehirn vermeiden wollen.«

»Das würde ich begrüßen«, entgegnete sie. »Wann soll ich in deine Praxis kommen?«

»Wann hast du Zeit?«

»Immer. Wir sind reiche Leute.«

»Wie sieht es mit Donnerstag aus?«

»Das passt! Ich komme am Donnerstag – nach dem Zwitschern.«

»Äh ... wann ist das? Wann kommt dein Spatz?«

»So gegen 08:00 Uhr. Frühstück lasse ich ausfallen.«

»Sehr gut, Teresa, komm nüchtern. Dann können wir wieder eine Laboranalyse fahren.«

»Die wieder nichts bringen wird«, vermutete die Frau erschöpft klingend.

»Unsere Möglichkeiten sind eben beschränkt, Teresa.«

Meine sind es nicht, durchfuhr sie ein Gedanke, der wie eine starke Welle über sie gerollt war.

»Ich muss auflegen, Octavio. Santiago wartet auf mich. Wir sehen uns am Donnerstag.«

»¡Hasta pronto!«, verabschiedete sich der Arzt.

Dann legten sie auf.

Manuel, der Diener, kam heran und nahm Teresa das Telefon ab und wickelte die lange Leitung auf.

Die Frau ging zu Santiago, der noch immer auf der Terrasse bei seinem Frühstück und seiner Zeitung saß.

Sie blickte ihn wortlos an, öffnete den Gürtel ihres Bademantels und ließ ihn über die nackten Schultern gleiten.

»Ich habe einen Geschäftstermin um 11:00 Uhr«, sagte er, als ihm ihr erotisches Angebot bewusst wurde.

»Ich liebe unsere Quickies«, flüsterte sie.

Er lächelte. Sie lächelte.

Gemeinsam verließen sie die sonnige Frühstücksterrasse und verschwanden im kühleren Schlafzimmer an der ruhigen Nordseite der Finca.

6. Kuh oder nicht Kuh?

Der Zug stand auf freier Strecke. Weit und breit gab es keine Häuser zu sehen, nur endlose Felder der ansässigen Landwirte.

Es hatte eine Durchsage gegeben, dass die Fahrgäste Ruhe bewahren sollten. Keiner durfte sein Abteil verlassen.

Aristeo, der Autor, Flavia, die Lehrerin, und der schnauzbärtige Mann, der ihnen gegenübersaß und sich nach der Vollbremsung und der ersten Aufregung als José Garcia Navarro vorgestellt hatte, bewiesen mehr Geduld als andere, die man durch die dünnen Wände des Waggons aufgeregt und genervt sprechen hörte.

»Wahrscheinlich eine Kuh«, mutmaßte der dickbäuchige José plötzlich.

Flavia schaute ihn an. »Wie meinen Sie das, Señor?«

»Na, auf den Gleisen. Das habe ich schon erlebt.«

Aristeo weitete seine Augen, konnte sich das Gesagte nicht vorstellen, malte es sich allerdings in seinem Autorengehirn sehr detailliert und blutig aus. »Sie glauben, dass der Zug eine Kuh totgefahren hat?«

José blickte auf seine goldene Taschenuhr, die an einem Kettchen an seiner Weste hing, während er sprach. »Nein, das hätte gerumpelt. Der Zug hat ja eine ordentliche Vollbremsung hingelegt. Ich gehe eher davon aus, dass eine tote Kuh oder ein anderes Tier auf den Schienen liegt. Der Lokführer hat rechtzeitig gebremst, um das Schlimmste zu verhindern.« Der Mann deutete zum Abteilfenster hinaus. »Wir haben Sommer. In dieser Gegend gibt es kaum Schatten.«

Flavia zweifelte. »Sie denken wirklich an eine ... Kuh?«

Er nickte. »Wie im letzten August. Allerdings nicht an derselben Stelle, sondern weiter südlich, einige Kilometer hinter San Stessa.«

Aristeo schaute aus dem Fenster. »Keine Wiesen. Wenn es ein Tier sein sollte, dann vermutlich keine Kuh.«

»Nun«, meinte José. »Es gibt auch andere Tiere. Vielleicht ein wilder Hund? Ja, in der Gegend gibt es Streuner. Jeder Bauer hier hat einen Kläffer. Irgendein altersschwaches Tier ist bestimmt auf den Gleisen krepiert. So wird es sein.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet ein Hund auf der Bahnstrecke verendet sein soll«, bezweifelte Flavia das Gehörte.

»Nun«, fügte Aristeo an. »Der Zugführer wird schon richtig gehandelt haben.«

José steckte seine Taschenuhr weg. »Jedenfalls haben wir eine halbe Stunde Verspätung. Meine Tochter in San Matadene wird nicht begeistert sein.« Er schüttelte verächtlich den Kopf. »Ausgerechnet heute. Ich wollte sie besuchen. Ihr Mann hat bestimmt schon einen Chauffeur zum Bahnhof geschickt, der mich abholen soll.« Er lächelte. »Es wird Zeit, dass man diese tragbaren Telefone kleiner und kostengünstiger herstellt, dann hätte ich anrufen können.«

Flavia wusste nicht, von was der Señor sprach, und sah entsprechend ratlos aus.

Aristeo, der zu Recherchezwecken für ein Buch in Sachen neuester Kommunikationstechnik bewandert war, nickte wissend. »Ich habe eines dieser Dinger in Madrid gesehen. Die können sich im Moment nur sehr reiche Leute leisten.«

»Ihr sprecht von Telefonen, die man ohne Leitung herumtragen kann?«, hakte Flavia nach. Die Lehrerin wirkte erstaunt. »Geräte mit einer Antenne?«

»Ja, man hat so was entwickelt, Señora«, erklärte José. »Allerdings ist es so, wie Señor Álvarez es bereits gesagt hat: ein ziemlicher Luxus. Ich glaube nicht, dass sich diese Art des Telefonierens durchsetzen wird.« Der dicke Mann lächelte verschmitzt. »Oder glauben Sie, dass die Menschen Zeit und Spaß haben werden, ein Telefon herumzuschleppen, das so schwer und klobig ist wie ein Militärfunkgerät?«

»Vielleicht baut man sie eines Tages kleiner, handlicher und kostengünstiger«, warf Aristeo seine Vermutung ein.

»Für mich klingt das sehr nach Science-Fiction«, bemerkte Flavia. »Obwohl? Es hat sich schon so manches aus der vergangenen Literatur bewahrheitet. Ich denke da an Jules Verne.«

Aristeo schaute zum Fenster. »Was ist das für ein Geräusch?«

Gemeinsam lauschten sie.

»Ein Hubschrauber«, erklärte José. »Unverkennbar.«

Sie schauten gemeinsam aus dem Fenster, wie viele Zugreisende in den anderen Abteilen ebenfalls.

»Es sind sogar zwei«, erkannte Aristeo. »Ein Rettungshubschrauber, und da hinten fliegt einer von der Polizei. Sieht so aus, als ob sie direkt neben dem Zug landen wollen.«

»Eines ist sicher«, schlussfolgerte Flavia. »Wenn etwas auf den Schienen liegen sollte, ist es weder eine Kuh noch ein anderes Tier.«

Aristeo und José ahnten sofort, was sie meinte.

7. Mehrzahl?

Kommissar Salvador Núñez Vega hasste das Fliegen. Flugzeuge waren für den 60-Jährigen Teufelswerk, und Fluggeräte ohne große Tragflächen, wie es bei Hubschraubern üblich war, kamen für den verwitweten Beamten der Guardia Civil direkt aus der Hölle.

Als der weißhaarige Mann, bekleidet mit einem schicken Anzug inklusive passender Weste und Krawatte, das Aufsetzen der Kufen bei der Landung des Polizeihubschraubers spürte, nahm er die schützenden Handflächen von den Augen. Die 25 Minuten Flugzeit zwischen der romantischen Provinzhauptstadt San Saltonia und den hiesigen Feldern von San Stessa und San Matadene hatte er praktisch blind verbracht. Seine junge Assistentin, die rothaarige Inspektorin Alma Ríos Guzmán, schmunzelte. Seit drei Jahren waren sie bei der kriminalistischen Arbeit ein Team, und die Frau kannte alle Eigenarten ihres Vorgesetzten, der zu ihrem väterlichen Ratgeber und Freund geworden war.

»Sal«, nannte sie ihn heiter bei der Kurzform seines Vornamens. »Du hast es wieder tapfer überstanden. Und wir sind wieder nicht abgestürzt!«

»Noch ist das Ding an«, meinte er mit sonorer Stimme und zeigte nach oben zu den drehenden Rotorblättern.

»Es ist normal, dass die ein wenig nachdrehen. Wir können wirklich problemlos aussteigen.«

»Vielleicht ducke ich mich«, überlegte der Kommissar laut. »Und entgehe damit einer üblen Enthauptung.«

Misstrauisch blickte der Weißhaarige zu Alma hin.

»Statistisch betrachtet«, erklärte die Inspektorin augenzwinkernd, »kommt ein solch spektakulärer Unfall eher selten vor.« Sie entsicherte die Seitentür und zog sie auf.

»Du mit deinen kalten Statistiken«, sagte Salvador genervt und schnallte sich ab.

Alma liebte es, bei jeder Möglichkeit, die sich ihr bot, mit Statistiken und Berechnungen zu jonglieren. Seit ihrer Schulzeit hatte sie ein Faible für Zahlen und Daten. Etwas, das ihr bei der Polizeiarbeit sehr gelegen kam – oder auch, um einen Freund zu beruhigen, der Flugmaschinen aller Art für den Inbegriff des Bösen hielt.

Nachdem die beiden Polizisten ausgestiegen waren, bemerkten sie, dass sich die Sanitäter aus dem daneben gelandeten Rettungshubschrauber mit Bahren schon auf den Weg gemacht hatten. Salvador konnte Absperrbänder der Guardia Civil vor der Lokomotive des Zuges erkennen. Ein träge und tapsig wirkender Polizeibeamter namens Gutierrez aus dem kleinen Dorf San Stessa, das zwei Kilometer nördlich lag, kam ihnen entgegen. Nach der offiziellen Begrüßung unterrichtete er sie vom Fund auf den Gleisen. »Der Zug aus Madrid hat glücklicherweise eine Vollbremsung hingelegt«, erzählte er in befremdlich wirkender Plauderlaune. »Es hätte sonst keine vollständigen Leichen gegeben – nur grobes Hackfleisch und Knochenmehl!«

Salvador und Alma blickten sich kurz an. Sie hassten den vulgären Dorfpolizisten schon jetzt. Doch eines überraschte sie allerdings: Beim Aufbruch mit dem Polizeihubschrauber war zunächst von einer Toten die Rede gewesen. Nun sprach man von mehreren.

»Von wie vielen Leichen sprechen wir?«, wollte der Kommissar wissen und ließ den Untergebenen an der Mimik erkennen, dass er ihn nicht mochte.

»Eine junge Frau und zwei Mädchen ... zwei Jugendliche.«

»Gibt es irgendwelche Hinweise, wer die Toten sind?«, fragte Alma.

»Das wird schwierig werden«, antwortete der Polizist und kratzte sich die fettig glänzenden Haare am Hinterkopf. »Keine Kleidung und ...« Er zögerte kurz und schluckte. »Man hat sie zudem ziemlich verunstaltet.« Der Mann deutete auf die Stelle vor dem Zug. »Doch sehen Sie selbst.« Er grinste Alma mitleidig an. »Ich vermute, Sie können einiges vertragen, Señora?«

»Ich übergebe mich nur bei Dummschwätzern«, antwortete die Rothaarige prompt und ohne zu lächeln. »Und glauben Sie mir, als Inspektorin treffe ich jeden Tag auf diese leider nicht auszurottende Spezies!« Alma bemerkte, dass Gutierrez nicht nur unangenehm wirkte, sondern auch gegenüber offensichtlichem Spott unempfänglich war.

Am Fundort vor dem Zug hörten sie eindeutig, wie sich jemand haltlos übergab.

Es war einer der beiden Sanitäter aus dem Rettungshubschrauber.

Schließlich sahen auch Salvador und Alma das Schreckliche, das nicht in diese hübsche, ländliche Gegend passte. Es war eher wie ein erbarmungsloser Faustschlag in die Magengrube. Nein ... drei Tote ... es waren drei erbarmungslose Faustschläge.

Kommissar Salvador Núñez Vega, weißhaarig, 60, hasste nicht nur Flugmaschinen aller Art.

Er hasste Menschen, die zu so etwas fähig waren, und er verfluchte diese bösen Seelen schon jetzt und vertraute darauf, dass diese eine gerechte und eine sehr schmerzhafte Strafe erhielten.

Der Fundort war nicht nur schlimm, er war entsetzlich und grausam ... ein sehr blutiger Alptraum.

»Na, habe ich zu viel versprochen?«, fragte der Dorfpolizist Gutierrez und grinste, was geschmacklos aussah.

Motorengrollen ließ die Polizisten aufblicken. Von fern staubten einige Autos auf Feldwegen heran.

»Die Aasfresser kommen«, meinte Alma.

Der Kommissar fletschte die Zähne. »Gutierrez, Ihre Männer sollen uns die Presse vom Hals halten. Hiervon darf noch nichts an die Öffentlichkeit.«

Der Dorfpolizist nickte, fuhr sich mit der Hand durch seine fettigen Haare, dann wies er einige Kollegen an, den Reportern streng entgegenzutreten.

8. Es gibt ihn wirklich!

Es war eine kleine stilvolle Zeitreise, wenn man die Räume und den Wartebereich von Dr. Octavio Sánchez Díaz‘ Praxis im Zentrum Madrids betrat. Jedes schmucke Detail am Boden, an den Wänden und an der Decke stimmte, entführte den Patienten an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. In jeder Ecke gab es für Kunstinteressierte etwas zu entdecken oder zu bestaunen. Das medizinische Behandlungszimmer war im Gegensatz zum Rest eher steril gehalten. Hier hingen einige in Glas gerahmte Kunstdrucke von Joan Mirós Meisterwerken an den Wänden. Teresa schaute sich die Bilder an, um sich die Zeit zu vertreiben. Dabei kam ihr in den Sinn, dass der Maler vor zwei Jahren an ihrem Geburtstag gestorben war.

Eine medizinische Fachangestellte hatte ihr zuvor Blutproben abgenommen und war mit einem Becher Urin im angrenzenden Labor verschwunden.

Octavio, Teresas Studienfreund und Hausarzt, führte in einem Nebenraum ein lebhaftes Telefonat mit einem Stationsarzt eines hiesigen Krankenhauses.

Fünf Minuten später kam er lächelnd herein. »Entschuldige, Teresa, dass ich dich warten ließ.«

»Macht nichts, Octavio«, entgegnete sie. Sie gaben sich freundschaftliche Begrüßungsküsschen auf die Wangen. »Dein Rasierwasser ist ein Traum«, bemerkte sie.

»Von meiner Schwester.«

»Wie geht es Maria?«

»Sie ist eine große Nummer auf der Opernbühne geworden. Du würdest dich wundern.«

»Sie hatte schon in unserer Jugendzeit Talent«, erinnerte sich Teresa. »Ist sie noch mit diesem Belgier zusammen?«

»Nein«, schüttelte Octavio seinen Kopf. »Der Mistkerl hat sie betrogen.«

Teresa verzog das Gesicht. »Oh, das tut weh! Doch ich habe es mir gleich gedacht, dass es so kommen würde.«

Octavio stutzte. »Warum?«

Sie antwortete verschmitzt: »Einen attraktiven Theaterregisseur hat man niemals alleine.«

Er grinste. »Deswegen bin ich Mediziner geworden. Mich hat man alleine … nur will mich keine.«

Teresa lachte amüsiert. »Das liegt eindeutig an deiner Einstellung zu einer festen Beziehung, nicht an deinem Charme oder deinem absolut blendenden Aussehen.«

»Kommen wir zum Eigentlichen«, unterbrach er den netten Smalltalk. »Obwohl ich stundenlang mit dir reden könnte.«

»Können wir gerne heute Abend machen, wenn du Lust und Zeit hast?«

»Dann wirst du heute nicht mehr nach San Matadene zurückfahren?«

»Wenn ich schon in Madrid bin, ist Shopping angesagt. Ich habe für zwei Nächte im Grand Hotel eingecheckt. Ich habe einiges vor. Mein Zug geht übermorgen um 10:00 Uhr.«

Der Arzt strahlte. »Ja, dann ist ein Abendessen bestimmt drin. Heute passt es sehr gut. Mein Schachabend bei Freunden fällt flach.«

»Du spielst Schach?«

»Ja, das kannst du mir zutrauen. Ich bin gut darin.«

»Wir schweifen vom Thema ab«, erinnerte sie ihn.

»Das passiert uns oft ... nein, immer«, antwortete er. Dann deutete er auf zwei Röntgenbilder, die an einer beleuchteten Scheibe hingen.

Teresa konnte deutlich den Umriss erkennen. Er war wirklich nicht größer geworden, was sie schon als Beruhigung empfand, obwohl man nicht wusste, was es überhaupt war.

»Wie gesagt«, erklärte der Arzt. »Es scheint organisch zu sein und sitzt stationär im Stammhirn. Dort werden auch Hunger, Schlaf, Atmung und Herzschlag kontrolliert.«

»Träume ebenfalls?«, fragte die Frau, weil es ihr einfiel.

»Du sprichst damit auf deine Träume an?«

Sie nickte. »Es sind keine normalen Träume.«

»Du meinst, es sind Vorsehungen wie bei diesem Vogel?«

»Nein. Bei dem Vögelchen war ich ja wach. Aber ...« Sie verstummte, überlegte nach geeigneten Worten. »Diese Träume sind sehr real, fast greifbar. Ich habe niemals zuvor so intensiv geträumt, Octavio! Es wirkt auf mich wie ein Film, den ich als Zuschauer betrachte und bei dem ich gleichzeitig alle Empfindungen habe.«

»Du selbst bist kein aktiver Teil der Träume?«

»Nein, nur Zuschauerin.« Sie lächelte. »Und eigenartigerweise hängen diese Träume irgendwie mit der Realität zusammen.«

»Erkläre es mir näher.«

»Nun, heute Nacht träumte ich vom Madrider Hauptbahnhof. Ich konnte alles riechen, hören und schmecken.«

Der Arzt spitzte die Lippen. »Interessant. Gab es irgendwelche bekannten Menschen in deinem Traum?«

»Nein. Ein gutaussehender Mann unterhielt sich mit einer Punkerin an einem Zeitschriftenstand über Bücher. Der Mann war ein Autor.«

»Ernsthaft? Du hast eine Punkerin und einen Schriftsteller gesehen?«

»Ich weiß sogar die Namen: Aristeo ... Aristeo Álvarez und Mercedes.«

Octavio runzelte die Stirn. »Du kennst ihre Namen? Was ist denn noch geschehen?«

»Nicht viel«, erzählte Teresa. »Der Mann kaufte ein Buch und stieg in einen Zug. Dann bin ich aufgewacht.«

Der Arzt grinste schief. »Schade, keine Erotikszene zwischen dem Autor und der Punkerin?«

»Spinner«, entgegnete sie und lächelte. Plötzlich wurde sie ernst. »Als ich vorhin auf dem Hauptbahnhof ankam, habe ich den Zeitschriftenladen gesehen.«

»Den Stand mit den Büchern?«

»Ja, Octavio. Er sah genauso aus wie in meinem Traum. Doch das ist nicht alles.« Teresa öffnete ihre Handtasche und holte ein Taschenbuch heraus: ein Horrorroman. Sie zeigte auf den Namen des Schriftstellers. »Es gibt ihn wirklich: diesen Aristeo Álvarez.«

9. Die Leichenschau

Inspektorin Alma Ríos Guzmán hatte in ihrer bisher kurzen und kurzweiligen Polizeikarriere schon einige Tote gesehen, doch so etwas Grauenhaftes noch nie, wie es sich hier auf den Bahngleisen nach San Matadene zeigte.

Das Brummen und Summen der Insekten, die von dem aufgeschnittenen Fleisch und dem schmierigen Blut angelockt wurden, war so unerträglich wie der beißende Geruch, den die Leichname wegen der starken Mittagssonne ausströmten. Ein Forensiker in einem weißen Overall samt Schutzbrille und Mundschutz reichte den beiden Kriminalpolizisten zwei Masken hin.

Kommissar Salvador Núñez Vega nickte dankend und stellte seine Kollegin Alma und sich selbst dienstlich kühl vor. Dann kam er ohne Umschweife zum Eigentlichen: »Was können Sie uns sagen?«

»Die Frau und die beiden Mädchen sind nicht hier ermordet worden. Man hat sie nur abgelegt.«

Die nackten und verstümmelten Leichname lagen nebeneinander aufgereiht auf den Gleisen.

Der Mann von der Spurensicherung erklärte: »Man hat die Toten post mortem den Bahndamm entlang geschleift und hier aufgebahrt.«

Die rothaarige Alma schaute sich um. »Eine freie Sicht. Der Mörder wollte, dass man seine Opfer sofort sieht und findet.«

Der Kommissar schaute den Dorfpolizisten Gutierrez an, der sich nun ebenfalls einen Mund-Nasen-Schutz aufgezogen hatte.

»Gutierrez, wie stark ist diese Bahnstrecke befahren?«

»Der nächste Ort ist San Stessa, dann kommt San Matadene ...«

»Danach habe ich Sie nicht gefragt«, sagte Salvador genervt. »Wie oft pendeln hier Züge?«

Der Beamte räusperte sich, kratzte sich die fettigen Haare am Hinterkopf. »Wahrscheinlich stündlich.«

»Nicht häufiger?«, hakte Alma nach.

»Nein«, entgegnete der Polizist. »Das liegt daran, dass die neue Zufahrtsstraße in die Küstendörfer im letzten Jahr großzügig saniert und ausgebaut wurde. Die meisten Anwohner der umliegenden Ortschaften und auch die Touristen, die es sich hier gutgehen lassen, kommen lieber mit dem eigenen Auto oder mit dem Bus. Der Zugverkehr in dieser Ecke hat deutlich nachgelassen. Die Bahn überlegt sogar, ob ...«

»Danke Ihnen«, unterbrach der Kommissar den Polizisten, um sich wieder dem Forensiker zuzuwenden. »Eine Stunde hatte der Täter Zeit, um diese offensichtliche Leichenschau auf den Gleisen zu drapieren.«

»Du denkst ...?«, fragte die Inspektorin.

Der Kommissar nickte nachdenklich. »Er will sich wichtigmachen oder ... die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Diese Zurschaustellung der Toten weist auf einen Täter hin, der Gefallen daran hat, dass man seine Opfer sofort findet.«

Alma fragte den Dorfpolizisten. »Gibt es Vermisstenanzeigen aus den umliegenden Städten oder Dörfern?«

Gutierrez schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. Meine Kollegen und ich haben das zuerst überprüft.«

Kommissar Salvador Núñez sah in die eingeschlagenen Gesichter der beiden blondhaarigen Mädchen und entdeckte eine weitere erschreckende Tatsache. Er blickte den Forensiker an, der sofort Bescheid wusste und erklärte: »Richtig, man hat ihnen alle Zähne gezogen.«

»Um die Identifikation zu erschweren«, mutmaßte der Kommissar.

»Die Fingerkuppen hat der Mörder seinen Opfern gelassen«, betonte der Forensiker, nachdem er nochmal nachgesehen hatte.

»Es war nicht nötig, die Kuppen zu entfernen. Zahnabdrücke und Röntgenaufnahmen findet man häufiger in Zahnarztpraxen. Fingerabdrücke sind eine Sackgasse. Die junge Tote und die beiden Kinder werden wahrscheinlich nicht wegen einer Straftat in unseren Akten auftauchen.«

Alma kniete sich hin und betrachtete die zertrümmerten Gesichter. »Bei der Vorgehensweise können wir eine Tat aus Leidenschaft oder Habgier ausschließen. Diese blutige Sache wirkt sehr geplant und berechnet.«

»Ja«, nickte der Kommissar. »Es sieht aus, als ob jemand Gefallen daran findet, Spielchen zu spielen. Das stimmt mich nicht froh.«

»Du denkst ...?«, fragte die Kollegin.

»Gewiss, es wird wahrscheinlich weitere Spielrunden geben.«

In diesem Moment erstarb das Summen der Insekten. Irgendwo krächzte eine Krähe, und Alma glaubte, dass es kühler wurde. Dann war dieser seltsame Moment vorbei, und das Summen und die Gier nach Blut und Fleisch setzten wieder ein.

10. Der Museumsbesuch mit Folgen

Das Grand Hotel in Madrid, in dem Teresa García López für die kommenden zwei Nächte eingecheckt hatte, befand sich in der Nähe des berühmten Museo del Prado. Die Frau hatte vor, den schönen, sonnigen Nachmittag zu nutzen, um im Museum zu verweilen, um sich Werke berühmter Maler anzusehen. Teresa liebte die Kreativität des Ikonenmalers El Greco und war gleichsam von den lebensgetreuen Ölgemälden des Niederländers Rembrandt angetan. Santiago, Teresas Ehemann, hatte im letzten Frühjahr bei einer Auktion in London ihr zuliebe versucht, einen Rembrandt zu ersteigern, wurde aber von ihr bei einem sehr horrend hohen Auktionsgebot sanft gestoppt. So hatte es anstelle des Rembrandt-Gemäldes nur einen farbenfrohen Picasso für ein – wie Santiago es gerne formulierte – kleines Millionenschnäppchen gegeben.

Während Teresa nun ehrfürchtig durch die Gänge des Museums wandelte, erinnerte sie sich, dass ihre körperlichen Beschwerden kurz nach dieser damaligen London-Reise begonnen hatten. Erst waren vermehrt Schwindelgefühle aufgetreten. Einmal war Teresa bewusstlos im Badezimmer zusammengesackt und hatte sich bei dem Sturz einen Handknöchel gebrochen. Wenig später hatten die Migräne-Attacken und diese realistisch wirkenden Träume angefangen. Nach einer ausführlichen Laboruntersuchung und mehreren langwierigen Computertomografien hatte man dieses kleine klumpige Etwas in ihrem Gehirn gefunden, das seit gut einem Jahr den Medizinern beharrlich Rätsel aufgab.

Gerade die Träume beschäftigten Teresa sehr, da sie immer erschreckend lebensecht wirkten. Viele waren harmloser Natur und spielten an fernen Orten, an denen Teresa nie zuvor gewesen war, andere waren entsetzlich und dramatisch. Erst vor kurzem war sie in einem ihrer Träume in Lower Manhattan unterwegs gewesen. Dabei war sie Zeugin einer entsetzlichen Katastrophe geworden. Zwei Flugzeuge krachten in die Zwillingstürme des World Trade Centers. Dieser Alptraum hatte Teresa sehr beschäftigt. Am darauffolgenden Morgen hatte sie eine befreundete Psychologin in New York angerufen, die ihr glücklicherweise versichern konnte, dass die beiden World-Trade-Center-Gebäude noch stünden, und dass sie wahrscheinlich noch in Ewigkeiten dort stehen würden. Ein anderer Alptraum, den sie vor zwei Tagen gehabt hatte, war weniger katastrophal, dennoch sehr unheimlich gewesen. Teresa wandelte durch die Straßen von Madrid, und jeder, der ihr begegnete, hatte eine Maske getragen, wie sie normalerweise nur Ärzte oder Pflegepersonal bei ihrer Arbeit trugen. Menschen mit Masken in Madrid – eine seltsame Vorstellung. Ihr Ehemann Santiago hatte diesen Traum sehr amüsant gefunden, aber er glaubte, sich zu erinnern, dass in asiatischen Ländern das Tragen solcher Masken höflich und üblich war, um andere nicht mit irgendwelchen Erkältungsviren anzustecken. Doch in Spanien? Selbst Teresa fand diesen Traum im Nachhinein sehr befremdlich und komisch. Was er zu bedeuten hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, obgleich sie als Psychologin gerne Theorien entwarf, um sie später zu bestätigen oder zu entkräften.

»Mir gefällt das Kraftvolle in Rembrandts Bildern«, riss sie eine angenehme Männerstimme aus ihren Gedanken. Neben ihr vor dem Ölgemälde stand ein junger Mann in einer Lederjacke. Auf dem Rücken hatte er einen Rucksack, um den Hals trug er einen Kopfhörer, der zu dem Walkman gehörte, der lässig wirkend am Gürtel an seiner Hüfte festgeschnallt war. Teresa schätzte den jungen Mann auf Anfang 20.

»Wie meinen Sie?«, fragte sie und klang ein wenig verwirrt.

»Rembrandt«, sagte der Student und zeigte blendendes Zahnweiß. Teresa mochte schöne, weiße Zähne, die gerade gewachsen waren, wie bei ihm. »Ich meine«, wiederholte er. »Das Kraftvolle und die Lebendigkeit seiner Werke plätten mich immer wieder.«

Plätten mich immer wieder, wiederholte die Frau im Geiste.

Dann setzte er ein, der Blackout.

Die Sonnenstrahlen stachen durch die Jalousien, als sie schläfrig die Augen öffnete.

Kiffgeruch, dachte Teresa. Eindeutig – doch ich erinnere mich nicht, dass ich ...

Schlagartig wurde sie wach und starrte zu einer rissigen Zimmerdecke hoch. Straßenlärm drang durch die dünnen Fensterscheiben. Schließlich bemerkte sie, dass sie nackt auf einem ziemlich schmalen Bett lag.

Mein Gott, wo bin ich?

Ein Mann sang durch die geschlossene Tür eines angrenzenden Raumes. Teresa vermutete, dass es sich um die Toilette handelte. Sie richtete sich auf, entdeckte abgestreifte und wahllos hingeworfene Kleidungsstücke.

Ihr Blick fiel auf den Holzboden. Dort lag ein benutztes Kondom.

Panik überfiel sie. Großer Gott, es ist wieder geschehen!

Jemand furzte laut hinter der geschlossenen Tür. Teresa zog sich hektisch an, blickte sich ein letztes Mal in der stickigen Studentenbude um, ob sie etwas übersehen hatte.

Schließlich schlich sie hinaus und zog die abgewetzte Tür leise zu. Draußen auf dem Flur machte sie, dass sie davonkam.

Ich weiß nicht mal seinen Namen! Ich weiß gar nichts von dem, was geschehen ist!

Auf der Straße brauchte sie einige Minuten, um sich zu orientieren. Sie befand sich im Zentrum von Madrid. Als sie auf ihre Armbanduhr blickte, stellte sie mit Erschrecken fest, dass seit dem Museumsbesuch drei Stunden vergangen waren.

Ein drei Stunden langer Filmriss, ein vollkommener Blackout – und wieder Sex mit einem Fremden.

Er war nicht mal mein Typ, dachte sie absurderweise. Dann winkte sie ein Taxi herbei, das sie ins Grand Hotel zurückfuhr.

11. Mit bitterem Nachgeschmack

Sie saßen in einem noblen Restaurant in der Innenstadt an einem stilvoll gedeckten Zweiertisch. Beide hatten exzellenten Weißwein und die vom Kellner angepriesene Seezunge gewählt.

Teresa hatte Octavio von ihrem Nachmittag im Museum und dem Blackout mit der sexuellen Komponente erzählt. Das erste Mal hatte sie sich dem befreundeten Arzt gegenüber mit diesem pikanten Detail offenbart.

»Grundgütiger«, meinte er und sah entsetzt aus. »Es ist dir wirklich schon öfter geschehen?«

Die Frau in dem eleganten schwarzen Abendkleid spielte verlegen an ihrer Perlenkette. »Sechsmal«, flüsterte sie.

»Weiß Santiago davon?«

Teresa weitete ihre braunen Augen. »Bist du verrückt? So etwas kann ich ihm doch nicht erzählen. Das würde er missverstehen – trotz allem!« Sie atmete erschöpft aus. »Wer auf Erden würde es denn richtig verstehen?«

»Was ist denn ... richtig verstehen?«, hakte er nach. »Ich meine, was geht in dir vor, wenn es geschieht?«

»Nichts Besonderes. Glücklicherweise geschieht es nur in Madrid. Hier in der Millionenstadt kennt man mich nicht. Meist treffe ich auf irgendwelche Menschen. Es entwickelt sich ein Gespräch – und dann kommt der Filmriss.«

»Konntest du dich bisher immer so glimpflich aus der Affäre ziehen wie bei diesem Studenten heute?«

»Nein, bei meinem letzten Besuch in Madrid, also vor zwei Wochen, wollte mich die Frau nicht gehen lassen. Sie dachte, ich mache einen Spaß, als ich ihr versicherte, dass ich sie nicht kenne.«

»Die Frau?«