Schau nicht hin - Evelyn Steinthaler - E-Book
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Schau nicht hin E-Book

Evelyn Steinthaler

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GEFEIERT – GEFALLEN – VEREHRT. Die internationalen Künstlerinnen Zarah Leander, Marika Rökk, Lída Baarová und Kristina Söderbaum machten Karriere in der Filmindustrie Nazi-Deutschlands und erlangten damit Ruhm bis lange nach dem Krieg. Schlager wie Zarah Leanders "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" sind noch heute Teil der Popkultur. Evelyn Steinthaler analysiert die vier Biografien als Paradebeispiele für das Zusammenspiel von Macht und Kunst. Sie spannt den Bogen bis zur aktuellen Debatte um die Trennung von Künstler:in und Kunstwerk. Heute mehr denn je brennt die Frage: Wofür lässt sich der:die Einzelne instrumentalisieren, ob auf der Bühne oder davor?

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EVELYN STEINTHALER

SCHAUNICHTHIN

KUNST ALS STÜTZE DER MACHT –DIE GESCHICHTE DER DIVEN DES NS-KINOS

Schau nicht hin, schau nicht her,

Schau nur grade aus,

Und was dann noch kommt,

Mach dir nichts daraus

Aus dem Lied „Mach dir nichts daraus“ aus

Die Frau meiner Träume, 1944

Text von Willy Dehmel

INHALT

VORWORT

„DIESE GROßE KLEINIGKEIT BIST DU“

Handlungsspielräume

Absagen ans Regime

Die „entjudete“ Filmindustrie

Zugeständnisse ans Regime

Film als Zerrbild

DIE „PROPAGANDA-DIVA VON HERRN GOEBBELS“

ZARAH LEANDER

Revuen, Revuen, Revuen

Wiener Sensation

Die Berliner Inszenierung

Weltstar von Nazis Gnaden

Die Durchhaltediva

Die große Liebe

„Queer-Washing“

Rückkehr nach Schweden

Rückkehr auf die Bühne

DIE STEPPTANZENDE GUTE LAUNE-MASCHINE

MARIKA RÖKK

Aus der Manege vor die Kamera

Konkurrenz für Hollywood

Die deutsche Entindividualisierung

Gekommen um zu bleiben

Begegnung mit Georg Jacoby

Kora Terry und das Wunschkonzert

Schau nur geradeaus

Und nach dem Krieg?

DEM SCHICKSAL ERGEBEN

LÍDA BAAROVÁ

Prager Anfänge

Barcarole und Berlin

Die Geliebte des Ministers

Eine Dreiecksgeschichte

Zurück in die Tschechoslowakei

Die Kollaborateurin

Fügungen des Schicksals

DIE REICHSWASSERLEICHE

KRISTINA SÖDERBAUM

Aus bester Gesellschaft

Durchbruch mit Harlan

Das germanische Ideal

Das filmische Leiden und Sterben

Jud Süß

Nach dem Krieg mit und ohne Harlan

KUNST ALS STÜTZE DER MACHT?

USA: Red Scare

Deutschland und Österreich nach dem Krieg

Musik in autoritären Regimen seit den 1970er Jahren

Die Legitimation politischer Ideologien

Die „unpolitische“ Operndiva

NACHSCHAU

ANMERKUNGEN UND QUELLENANGABEN

VORWORT

Lída Baarová, Zarah Leander, Marika Rökk und Kristina Söderbaum wurden im nationalsozialistischen Deutschland zu Schauspielstars. Ihnen galt neben größter Aufmerksamkeit des Regimes auch die Verehrung des deutschen Publikums, mitunter weit über die Nachkriegszeit hinaus.

Unter den Schauspielkolleg:innen der vier Stars gab es welche, die sich binnen kürzester Zeit mit dem Regime arrangierten und sich ihm andienten, wie Heinrich George, der mit Zarah Leander 1938 für Heimat vor der Kamera stand. Andere, wie Gustav Gründgens, der eine glänzende Karrieren hinlegte, betonten noch in den 1960er Jahren, dass sie 1933 bezüglich des NS-Regimes „nicht glaubten, dass das sich halten würde.“1 Weder zu den einen noch zu den anderen gehören die vier Protagonistinnen des vorliegenden Buches, nichtsdestoweniger haben sie großen Nutzen aus dem NS-System gezogen und dieses durch ihre eigene Arbeit legitimiert.

Baarová, Leander, Rökk und Söderbaum gehörten auch nicht zu jenen Künstler:innen, die angesichts eines möglicherweise erfolglosen Neuanfangs in der Emigration oder aufgrund fehlender Fremdsprachen in NS-Deutschland blieben. Ja, es gab internationale Künstler:innen, die nach einem kurzen Karriere-Ausflug in die NS-Filmindustrie dieser wieder den Rücken kehrten, ehe der Zweite Weltkrieg begann. Zu diesen gehörten sie ebenfalls nicht. Von den vier Frauen war keine gebürtige Deutsche, die Heimat von Leander und Söderbaum war Schweden, Baarová stammte aus der Tschechoslowakei und Rökk, die in Kairo zur Welt kam, wuchs in Ungarn auf. Sie alle kamen erst nach Deutschland, nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren.

Ausländische Schauspieler:innen fanden in der Filmindustrie der Nationalsozialisten ideale Bedingungen vor, auch wenn sie aus Staaten wie der Tschechoslowakei nach Deutschland kamen und ein beständiger Antislawismus eine zentrale Rolle im Nationalsozialismus spielte. Solange sie sich den Vorstellungen der Nazis fügten, wurden sie gehätschelt und umsorgt und mussten sich wegen internationaler Konkurrenz keine Gedanken machen.

Die Berichterstattung der gleichgeschalteten deutschen Presse ließ die Stars des NS-Kinos immer heller leuchten als die Konkurrenz in Hollywood. Stars aus dem Ausland, die in Deutschland groß wurden, genossen nicht nur Propaganda-Unterstützung, sie legitimierten den Nationalsozialismus: Je konformer sie sich einfügten und vom Regime benutzen ließen, desto höheres Standing bekam das Regime im Ausland und im „Deutschen Reich“ selbst.

Propagandaminister Goebbels sah die große Bedeutung der Filmunterhaltung für die Machterhaltung des Regimes. Dazu wollte man dem mittlerweile provinziellen Ruf der deutschen Filmindustrie mit internationalen Schauspieler:innen einen weltgewandten Anstrich geben. Völlig im Widerspruch zu den tatsächlichen Lebensrealitäten in NS-Deutschland. Die deutsche Filmindustrie unterstützte mit dem Glamour ihrer internationalen Stars das nationalsozialistische Regime bei der Errichtung eines talmihaften Staates, der sich für das deutsche und geneigte internationale Publikum in den Filmen widerspiegeln sollte. Die Olympischen Spiele in Berlin 1936 dienten auf diese Weise ebenfalls dazu, mit der vermeintlichen Weltgewandtheit und Menschenfreundlichkeit der Nationalsozialisten über die Reihen der Nazis hinwegzutäuschen, die vor der Ausübung der sogenannten „Nürnberger Rassengesetze“ von 1935 nicht zurückschreckten.

Baarová, Leander, Rökk und Söderbaum waren keineswegs die ersten Stars internationaler Herkunft im deutschen Kino. In der Weimarer Republik gab es etwa Lilian Harvey, mit englischer Mutter und deutschem Vater, die ab Mitte der 20er Jahre in mehreren Filmen an der Seite von Willy Fritsch zum Publikumsliebling wurde, auch international drehte und nach 1933 noch einige Jahre in Deutschland arbeitete, ehe sie es 1939 verließ. Oder Olga Tschechowa, die deutsch-russische Schauspielerin, die bereits 1921 mit Friedrich Murnau in Deutschland drehte und 1930 die deutsche Staatsbürgerschaft annahm.

Harvey und Tschechowa waren in den Jahren des NS-Kinos so etwas wie eine Erinnerung an die weltoffene deutsche Filmindustrie, die ja bis 1933 auch im internationalen Raum eine große Rolle gespielt hatte. Harvey wurde verdammt und verboten, Tschechowa soll zu den Lieblingsfilmstars des Diktators aus Braunau gehört haben.

Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 lichtete sich die erste Reihe der hochkarätigen Filmschaffenden Deutschlands. Die sogenannte „Entjudung“ der Filmbranche wurde massiv vorangetrieben und auch nichtjüdische Künstler:innen, die politisch nicht mit den neuen Mächtigen kollaborieren wollten, verließen zusehends Deutschland, während die Karrieren von Baarová, Leander, Rökk und Söderbaum ebendort begannen beziehungsweise an Fahrt aufnahmen.

Wer in den 1970er und 1980er Jahren in Deutschland und Österreich aufwuchs, kann sich an jene Spielfilme aus der NS-Zeit erinnern, die meist am Samstagnachmittag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk liefen. Die unverkennbare Kontra-Altstimme Leanders und die unaufhörlich gut gelaunte Rökk sprangen dem Publikum dieser Zeit aber auch in Talkshows und Samstagabendgalas entgegen.

Bis vor wenigen Jahren liefen im Wiener Bellaria Kino, ein infolge des sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das „Deutsche Reich“ arisiertes Kino im 7. Wiener Gemeindebezirk gleich hinter dem Volkstheater, die sogenannten „alten Filme“ dieser Ufa-Stars, wie die Produktionen mit den NS-systemkonformen Superstars nach Ende des Zweiten Weltkrieges euphemistisch genannt wurden.

Wien war in der Zwischenkriegszeit eine Stadt der Kinos. Über hundert Lichtspielhäuser wurden in der Donaumetropole betrieben, nicht nur um die neuesten Filme vorzuführen, sondern auch, um in den Wochenschauen die neuesten Nachrichten unter die Bevölkerung zu bringen. Bei den Wochenschauen und den großen Stars als Kinoprogramm blieb man auch in der NS-Zeit, als so viele Wiener Kinos wie das Bellaria arisiert wurden.

Nach dem Krieg, ab den 1960er Jahren, konnte im Bellaria die Samstagnachmittagsfilm-Situation aus dem Fernsehen auf die große Leinwand umgelegt tagtäglich erneut erlebt werden. Die ehemaligen Kinostars kehrten hier in ihr angestammtes Habitat zurück: den Kinosaal. Im weitläufigen Vorraum waren die tapezierten Wände mit Fotografien der Ufa-Stars wie Zarah Leander geschmückt, in den abgewetzten, ehemals plüschigen Kinoreihen saßen vor allem Frauen, die zur „Glanzzeit“ der vier Künstlerinnen junge Mädchen gewesen waren und mit dem Besuch der „alten Filme“ ihrer eigenen Jugend huldigten, die sie in den Jahren des NS-Terrors verlebt hatten.2

Für nachfolgende Generationen untermauerten Leander, Rökk, Baarová und Söderbaum ein denkwürdiges Frauenbild, das sich aus ihren Filmen über die biederen Wirtschaftswunderjahre bis in die 1980er Jahre hinüberrettete und auch fortgesetzt werden wollte. Die allzu deutlichen Spuren der propagandistischen Unterhaltung für die „deutsche Volksgemeinschaft“ mit den typischen Rollenzuschreibungen von Frau und Mann fanden sich so auch in der Vielzahl der Samstagnachmittagsfilme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland und Österreich wieder.

„Schau nicht hin“ berichtet aus den Leben von Marika Rökk, Zarah Leander, Kristina Söderbaum und Lída Baarová und widmet sich exemplarisch ihrem kulturellen Schaffen. Diese Auseinandersetzung sucht Antworten auf Fragen, die sich mit der NS-Zeit, aber auch die Nachkriegsgesellschaft beschäftigen, in der die Mythen rund um diese Frauen nachhaltig aufrechterhalten wurden.

Dem vorliegenden Buch liegt völlig fern, die künstlerischen Engagements der vier Frauen zu zelebrieren, das Hauptaugenmerk liegt darauf, sie in die Jahre des braunen Terrors und die Zeit danach einzuordnen, als die NS-Vergangenheit durch die „Trümmerjahre“ und das Wirtschaftswunder in Deutschland und Österreich im Schatten des Kalten Krieges vergessen werden sollte.

Wir sehen bald acht Jahrzehnte nach dem Untergang des NS-Regimes, für das Baarová, Leander, Rökk und Söderbaum vor der Kamera standen, noch immer ihre langen Schatten in der heutigen Populärkultur. Diese sich bis in das frühe 21. Jahrhundert fortsetzenden Spuren fordern eine Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen von politischen Positionierungen und Verantwortungen von Künstler:innen, Publikum und den politisch Mächtigen. So will „Schau nicht hin“ den Blick eben auch auf jene Spuren lenken, die diese vier gefeierten Frauen in unserer Gesellschaft hinterlassen haben, und dabei auch die fragwürdige Verknüpfung von Kunst und Macht beleuchten.

Evelyn Steinthaler

„DIESE GROßE KLEINIGKEIT BIST DU“3

Goebbels wollte Reichsminister für Kultur werden. Da ihm dies durch Hitler verwehrt blieb, machte sich der braune Chefpropagandist daran, alsbald in seinem Ministerium die Strukturen dafür zu schaffen, dass ihm und seinem Ministerium die Kontrolle über alle Kulturschaffenden in NS-Deutschland letztlich zukam: Die im September 1933 auf Goebbels’ Betreiben (und mit ihm im Vorsitz) installierte Reichskulturkammer diente dazu, die Gleichschaltung der Kultur durchzusetzen.4 Besonderes Augenmerk legte der Propagandaminister dabei auf den deutschen Film. Vollständiges Mitglied in der Reichskulturkammer und der jeweiligen Teilkammern5 konnte nur werden, wer einen „Ariernachweis“6 vorlegen konnte und auch nicht „jüdisch versippt“ war, also keine jüdische Ehepartner:innen hatte. Künstlern wie etwa Hans Moser oder Heinz Rühmann war es wegen ihrer jüdischen Ehefrauen nur aufgrund von Sonderregelungen möglich, zu arbeiten. Das Regime übte auf solche Künstler:innen besonderen Druck aus, seine Erwartungen an die Künstler:innen-Elite in ihrer berufsbedingten Öffentlichkeit standen jenen an die Durchschnittsbürger:innen im Reich in nichts nach. Die Ufa-Stars gingen mit diesem Druck allerdings sehr unterschiedlich um.7

Am 28. März 1933, nur wenige Tage, nachdem das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ eingerichtet worden war, sprach Goebbels im Berliner Hotel Kaiserhof vor vertretenden Mitgliedern der deutschen Filmindustrie.

Kunst müsse, so der Propagandaminister, „mit ihren Wurzeln in das nationalsozialistische Erdreich vorgedrungen“ sein.8

An Goebbels’ Rede ist neben der Eindeutigkeit der „völkischen“ Ziele für das Kulturschaffen erwähnenswert, dass er Sergej Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin aus dem Jahr 1925 als filmisches Meisterwerk hervorhob. Eisenstein, dem dies zu Ohren gekommen war, verwehrte sich gegen das Lob aus Deutschland vehement in einem offenen Brief, der am 22. März 1934 in der Literaturnaja Gazeta abgedruckt wurde.9

Es bestanden in Deutschland schon sehr bald ab 1933 allzu klare Ideen über die nationalsozialistischen Ziele für den deutschen Film. Sowohl der Diktator als auch sein Propagandaminister wussten um die wichtige Rolle von Unterhaltungsfilmen in der Etablierung des NS-Systems. Sie waren wie ein Großteil der „deutschen Volksgemeinschaft“ selbst vom „Filmfieber“ gepackt.

Ausgiebige Filmabende in Hitlers Refugium am Obersalzberg gehörten zur bevorzugten Abendgestaltung des Diktators.10 Vor allem von Hollywood-Produktionen und leichter Unterhaltung aus Deutschland soll Hitler angetan gewesen sein. Jeder im NS-Staat produzierte Film ging in einer kostenfreien Kopie an den Diktator. Fanden die Filme Eingang in seine private Filmsammlung, hatten die Filmschaffenden dies als besondere Auszeichnung zu verstehen.

Kunst war „Chefsache“, Hitler und Goebbels verstanden beide die ideologische Umformung der „deutschen Kunst und Kultur“ als dem System NS-Deutschlands inhärent, wohl nicht zuletzt mit derart großer Passion, weil sie beide selbst künstlerisch gescheitert waren. Und Film stand dabei einmal mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit, nicht zuletzt auch wegen der Bedeutung der Filmindustrie für die Exportwirtschaft des nationalsozialistischen Deutschlands.

HANDLUNGSSPIELRÄUME

Goebbels unterschied in seiner Rede im Berliner Kaiserhof keineswegs zwischen eindeutigen Propagandafilmen und jenen Unterhaltungsfilmen, die später über Jahrzehnte hinweg im deutschen und österreichischen Fernsehen immer wieder zu sehen waren und vereinzelt sogar noch in den 2020er Jahren ausgestrahlt werden (wie etwa am 5. Dezember 2020, MDR: Hallo Janine). Für ihn ging es um die Gesamtheit der deutschen Kunst.

Besonders bemerkenswert ist dabei, dass das öffentlichrechtliche Fernsehen in Deutschland einem dieser vermeintlich so harmlosen Unterhaltungsfilme nach wie vor einen sehr prominenten Platz einräumt: Die im wilhelminischen Deutschland angesiedelte Komödie Die Feuerzangenbowle aus dem Jahr 1944 mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle gehört in den Weihnachtsfeiertagen zum Pflichtprogramm im deutschen Fernsehen. Im Weihnachtsprogramm der ARD wurde der Film etwa am 24. Dezember 2023 um 21.45 Uhr ausgestrahlt.11Rühmann war nicht nur der Star der Feuerzangenbowle unter der Regie von Helmut Weiss, sondern auch Produzent dieses Films, der den Menschen im nationalsozialistischen System auf seinen von der Vorsehung bestimmten Platz verweist. Der Film, von Hitler besonders geschätzt, verzichtete bei allem vordergründigem Humor nicht auf die rassistisch, biologistische Ideologie des Nationalsozialismus.12

Der Spitze des Regimes in Berlin war bewusst, dass die Produktion einer Vielzahl an Filmen ohne wehende Hakenkreuzfahnen eine Notwendigkeit darstellte. Vor allem, um diejenigen für das System zu vereinnahmen, die in Deutschland lebten, aber der nationalsozialistischen Ideologie (noch) nicht anhingen und sich selbst in der inneren Emigration befindlich oder als unpolitisch verstanden.

Dass diese Filme auf mehr oder weniger subtile Art und Weise nationalsozialistische Propaganda auch ohne all die zum „Hitler Gruß“ erhobenen Arme transportierten, entging nicht nur oftmals dem zeitgenössischen filmbegeisterten Publikum, sondern auch Generationen danach. Letztere richteten ihren kritischen Blick oft auf berüchtigte, antisemitische und rassistische Hetzfilme wie Veit Harlans Jud Süß oder Gustav Ucickys Heimkehr, vergessend, welche Botschaften die vielen Unterhaltungsfilme des NS-Kinos transportierten, die durch die alliierte Filmzensur rutschten.

Offensichtliche Propagandafilme (wie Kolberg, Die Rothschilds oder Hitlerjunge Quex) machten nur die Minderheit unter den Filmproduktionen im nationalsozialistischen Deutschland aus. Um das Verhältnis von Propagandafilmen und Unterhaltungsfilmen zu veranschaulichen: Unter den insgesamt 34 Filmen, die 1935 und 1936 in Deutschland produziert wurden, kamen nach Kriegsende gerade einmal vier auf den Index der Alliierten und wurden als nationalsozialistische Propaganda verboten.13

Von den rund 1.150 Spielfilmen, die in Hitlerdeutschland von 1933 bis 1945 produziert wurden, waren nur knapp ein Sechstel direkte Propaganda.14

Warum grenzte man sich in Deutschland und Österreich in den Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht eindeutig von all diesen Filmen ab? War es ein Mangel an Filmproduktionen oder der Umstand, dass diese Filme an eine Zeit erinnerten, die für viele die „gute alte Zeit“ bleiben sollte? Oder wollte man sich einfach weiterhin darin üben, nicht hinzusehen bei allem, was das Regime, das diese Filme produzieren lassen hatte, verbrochen hatte – und das vielleicht man selbst oder Familienmitglieder aktiv unterstützt hat. War es schlichtweg eine Frage des die Wahrheit nicht ertragen Könnens?

Wegzuschauen und Tatsachen auszublenden war nicht nur im Nationalsozialismus eine aktive, politische Handlung. An den Entscheidungen, wie in den Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit Künstler:innen der NS-Zeit und ihren Werken umgegangen wurde und wird, zeigt sich das anhaltende Missverständnis in unserer Gesellschaft, das sich auch auf das Heute übertragen lässt. Die übergriffigen Mächtigen gewähren zu lassen, funktioniert auch in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts noch immer allzu gut.

Regisseur Harlan versuchte, sich nach dem Krieg einer Schuld zu entledigen, indem er betonte, dass der Propagandaminister bei Filmproduktionen immer das letzte Wort gehabt hätte und die Möglichkeiten für einen Regisseur innerhalb des Systems beschränkt gewesen wären.

Trotz des immensen Drucks von Goebbels’ Seite wurden in Deutschland von 1933 bis 1945 aber auch Filme budgetiert und gedreht, die nicht den nationalsozialistischen Idealen entsprachen. Eine dieser Ausnahmen war etwa der 1943 gedrehte Spielfilm Große Freiheit Nr. 7 mit Hans Albers in der Hauptrolle. Helmut Käutners beeindruckender Film-Noir-Abgesang auf die Liebe und St. Pauli, der alles andere als ein Durchhaltefilm war, schaffte es nicht durch die Zensur für das „Reich“, wurde aber in der Export-Fassung in den besetzten Staaten gezeigt.15 In Deutschland lief der Film erst am 9. September 1945 erstmals im Kino.16

ABSAGEN ANS REGIME

Hans Albers gehörte zu jenen Stars, die nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten in Deutschland blieben. Er war weiterhin einer der großen Stars des deutschen Kinos, machte gleichzeitig kein Hehl daraus, dass er von der NS-Elite nicht viel hielt, und entzog sich so gut es ging ihrem Einfluss. Seine gute Freundin Marlene Dietrich verließ hingegen Deutschland Richtung Hollywood nach ihrem Welterfolg in Joseph von Sternbergs Der blaue Engel, in dem sie mit Albers vor der Kamera gestanden hatte. Sämtliche Versuche des Propagandaministers, sie nach Deutschland zurückzuholen, lehnte die gebürtige Berlinerin ab. Keines der Angebote Goebbels’ konnte die glamouröse Antifaschistin davon überzeugen, sich vor den propagandistischen Karren des NS-Regimes spannen zu lassen.

1936 wurde Marlene Dietrich im Auftrag Goebbels’ von der deutschen Schauspielerin und Ehefrau ihres ehemaligen Schauspielagenten, Mady Soyka, kontaktiert. Dietrich solle für einen Film nach Deutschland kommen, ein Monat bräuchten die Dreharbeiten, 50.000 britische Pfund steuerfrei wurden ihr angeboten.17 Sie sagte Soyka unter Vorwand von vertraglichen Verpflichtungen ab und beantragte bald die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Im Juni 1939 wurde die Dietrich US-amerikanische Staatsbürgerin.18 Sie war über den Kurzwellendienst der BBC, in Deutschland ein sogenannter „Feindsender“, zu hören und trat in Uniform der US-Army u. a. etwa auch zur Unterhaltung der US-amerikanischen Truppen auf. Am 4. April 1943 wurde Dietrich nach Algier geschickt, um dort vor Alliierten-Truppen aufzutreten.19

Truppenbetreuung à la Marlene: ein Lächeln und ein Autogramm.

Eines der Lieder, die Dietrich bei diesen Auftritten darbot, war übrigens die englische Version des Lale-Andersen-Schlagers „Lili Marlen“, der im Jahr zuvor, 1942, von Andersen selbst gesungen in Deutschland verboten worden war. Dietrichs der US-Army so angetragene Öffentlichkeit entging auch Goebbels in Berlin nicht. In Deutschland wurde sie von der gleichgeschalteten Presse als Verräterin gebrandmarkt. Als sie nach dem Krieg mit der US-Army deutschen Boden betrat, besuchte Dietrich in Uniform auch Albers in seiner Villa am Starnberger See, wohin er sich vor den neugierigen Blicken aus Berlin zurückgezogen hatte.

Dass so viele in Deutschland Marlene Dietrich die deutliche politische Positionierung gegen das NS-Regime nach Ende des Zweiten Weltkrieges öffentlich übelnahmen, zeigt, wie lange die Propaganda der Nationalsozialisten nachwirkte. 1960, als Dietrich im Rahmen einer Europatournee nach Deutschland zurückkehrte, wurde sie von Teilen der Öffentlichkeit gefeiert, gleichzeitig wurde ihr aber auch Landesverrat vorgeworfen. Als man sie fragte, warum sie sich in den USA auf Seiten der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland engagiert hatte, antwortete sie: „aus Anstand“.20

Ablehnung im Nachkriegsdeutschland erfuhr auch die in London geborene Lilian Harvey, Tochter einer Engländerin und eines Deutschen. Sie verließ Deutschland, in dem sie zu einem seiner größten Stars geworden war, im Jahr 1939 ins französische Exil.

Dass Harvey bereits seit den späten 1920er Jahren ein Superstar war und mit Willy Fritsch an ihrer Seite schon vor 1933 das Traumpaar des deutschen Kinos personifiziert hatte, wurde bei der Empörung über ihre undankbare Regime-Untreue ausgeblendet. Harvey hatte international gedreht und war nach Deutschland zurückgekommen, wo sie 1936 in Glückskinder, dem Babelsberg-Versuch einer Screwball-Komödie, an der Seite von Willy Fritsch zu sehen war. Die im Film wohlplatzierte, nationalsozialistische Kritik an den Vereinigten Staaten konnte dank der Gesangseinlagen wie „Ich wollt, ich wär’ ein Huhn“ unter allgemeinem Gelächter ignoriert werden.

Zwei im Pyjama: Willy Fritsch und Lilian Harvey in der Komödie Glückskinder.

Vor ihrer Flucht ins Exil engagierte sich Harvey eigensinnig entgegen den Vorgaben des Regimes für Ufa-Stars. So hinterlegte sie 1937 für den inhaftierten Jens Keith, einen homosexuellen Choreographen, eine Kaution über 100.000 Reichsmark und verhalf ihm schließlich zur Flucht. Harvey ließ sich von mehrfachen Gestapo-Verhören nicht einschüchtern und legte gegen die Gestapo-Überwachung persönliche Beschwerde bei Goebbels ein. Sie hielt weiter Kontakt zu jüdischen Freund:innen, die sich noch in Deutschland befanden. Drohbriefe gegen sie häuften sich, und bei der NS-Spitze galt der widerspenstige Star bald als „politisch unzuverlässig“. 1937 wurde Der Kongress tanzt mit Harvey in der Hauptrolle in Deutschland verboten, weil der Film das „nationalsozialistische Empfinden“ verletzt hatte. Zu viele Gegner:innen des NS-Regimes und jüdische Künstler:innen waren an diesem höchst erfolgreichen Film aus dem Jahr 1931 beteiligt gewesen. Zudem kann die Erzählung Metternichs während des Wiener Kongress in diesem Film von Erik Charell auch als eine entlarvende Warnung vor einem totalitären Deutschland, das nur zwei Jahre später Wirklichkeit werden sollte, verstanden werden.

1939 drehte Harvey, die noch immer zu Deutschlands Schauspielerinnen mit den höchsten Tagesgagen gehörte, mit Frau am Steuer ihren letzten Film für die Ufa, der im Mai 1939 in Wien Premiere hatte. Von den Dreharbeiten in Ungarn kehrte Harvey nicht mehr nach Deutschland zurück. Im Juni hatte der Film in Berlin Premiere. Harvey befand im zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrem Pariser Exil.21

Renate Müller, die dritte international erfolgreiche Schauspielerin Deutschlands, verließ Hitlers „Reich“ auf völlig andere Weise als Dietrich und Harvey. Sie war der Inbegriff des aufgeweckten, strahlenden, blonden deutschen Mädels. Müller war bereits in der Weimarer Republik ein Star und international bekannt. In der für die NS-Zeit völlig untypischen Komödie Viktor und Viktoria22 aus dem Jahr 1933 über eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt, festigte sich Müllers Ruhm an der Seite Adolf Wohlbrücks, der selbst emigrieren musste.

Wiederholt wurde Müller vom Propagandaminister zu Empfängen in der Reichskanzlei eingeladen und dabei direkt neben Hitler platziert.23 Vermutungen, Goebbels hätte Müller für Hitler auserkoren, lassen sich nicht bestätigen. Als die Schauspielerin Goebbels’ dritter Einladung schließlich nicht mehr folgte, begann ihre Überwachung durch die Gestapo. Ein Auftrittsverbot Müllers stand für den Propagandaminister außer Frage, dafür war sie beim deutschen Publikum einfach zu beliebt.

Renate Müller in ihrer Paraderolle als „Viktor“ in Viktor und Viktoria.

Goebbels setzte Müller in einer weniger deutlichen Art und Weise unter Druck: Die Bankkonten der Schauspielerin wurden überwacht, sie selbst wurde abgehört, und nachdem Müller regelmäßig zu ihrem emigrierten Geliebten, dem jüdischen Bankier Georg Deutsch, nach London reiste, wurde ihr gedroht, dass man ihren Vater in ein KZ deportieren würde, so sie noch einmal zu Deutsch reisen sollte.24

Müller verweigerte fortan Staatsempfänge und drehte weitaus weniger Propagandafilme als viele ihrer Kolleg:innen. Der auf sie ausgeübte Druck hatte Alkohol- und Tablettenmissbrauch zur Folge, die Beziehung zu Georg Deutsch scheiterte. Er hatte versucht, Müller dazu zu bewegen, in England zu bleiben, wo ihre Filme Sunshine Susie und Marry Me Kassenschlager waren und sie ihre Karriere bestimmt fortsetzen hätte können. Aber Renate Müller blieb in Deutschland. Wohl weil sie nicht „klein beigeben“ wollte, wie später über die Schauspielerin berichtet wurde.25

Im September 1937, zur Zeit der Dreharbeiten für den Propagandafilm Togger, stürzte die 31-jährige Renate Müller aus einem Fenster ihres Berliner Hauses auf die Straße. Nur wenige Wochen später, am 7. Oktober 1937, starb sie im Krankenhaus nach stundenlangen epileptischen Anfällen. Kurze Zeit nach ihrem Tod wurde Müllers Haus von der Gestapo übernommen. Ihre Familie bekam den Nachlass nicht ausgehändigt, er wurde vernichtet und zwangsversteigert. Die finanziellen Erlöse behielt der NS-Staat für sich ein.26

Deutschland war also von drei international gefeierten Künstlerinnen verlassen worden und gerierte sich angesichts dieser Absagen nach Ende des Zweiten Weltkrieges als geradezu verfemt. Es schien sich davon lange Jahre nicht erholen zu können.

Marlene Dietrich war zu dem Weltstar geworden, der sie in Deutschland nie hätte werden können. Renate Müller wurde nach dem Krieg tunlichst vergessen, ihre Filme wurden nicht im Rahmen der Samstagnachmittagsfilme im öffentlichrechtlichen Rundfunk gezeigt. Über Lilian Harvey hing, wie man im Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus dem Jahr 1949 lesen konnte, der Nimbus der Gescheiterten.

DIE „ENTJUDETE“ FILMINDUSTRIE

Das NS-Regime hatte dafür gesorgt, dass Kunst und Kultur binnen kürzester Zeit „entjudet“ waren, und tat sein Möglichstes, um auch Filme aus der nunmehr „völkischen“ Filmindustrie weiterhin international verkaufen zu können. Bestehende Exportverträge für deutsche Produktionen und die sich international vorerst durchsetzende Appeasement-Politik gegenüber NS-Deutschland in Kombination mit dem grassierenden Antisemitismus sollten dabei durchaus zupasskommen.

Man war vertraglich langfristig gebunden, dies änderte sich nicht mit den neuen Machthabern ab 1933. Die USA und Deutschland dominierten den europäischen Filmmarkt, seitens Deutschlands wurden gegenüber der österreichischen Filmwirtschaft massive Einschränkungen erlassen, so konnten etwa keine österreichischen Produktionen mit jüdischer Beteiligung in die reichsdeutschen Kinos kommen. Auch wurden Gelder österreichischer Filmfirmen auf deutschen Konten eingefroren, ein Todesstoß für Firmen wie die erfolgreiche Wiener Sascha Film. Gleichzeitig verkaufte Berlin weiterhin seine im „nationalsozialistischen Erdreich“ wurzelnden Unterhaltungsfilme ins Ausland.

Auch nach 1933 blieb Film für Deutschland ein wichtiger Exportartikel, auf den man nicht ohne weiteres verzichten konnte und wollte. Der deutschen Filmindustrie kam eine große ökonomische Bedeutung zu, die das Regime erkannte. Eine Investition in diesen Industriezweig war nötig, vor allem, da durch die „Entjudung“ der Filmindustrie und die Verfolgung politischer Gegner:innen die zentralen Persönlichkeiten in der „völkisch“ verorteten Filmwirtschaft fehlten.

Der bis 1933 erfolgsverwöhnten deutschen Filmindustrie reichte es nicht, einschlägige Propagandafilme in das verbündete Japan zu exportieren.27 Ab Kriegsbeginn sollte es zwar zu deutlichen Einbrüchen beim Absatz deutscher Exportfilme kommen, dennoch war das Ziel klar, weiterhin auf dem internationalen Markt zu reüssieren. Es fehlten der deutschen Filmindustrie dazu seine international gefeierten Schauspieler:innen wie Marlene Dietrich, die sich den Avancen der Nationalsozialisten verweigerten und deutlich gegen das Regime stellten. Dazu gehörte auch der aus Deutschland nach Hollywood emigrierte Conrad Veidt. Er verkörperte bis zu seinem frühen Tod mit großem Erfolg den Inbegriff des „bösen Deutschen“ und übernahm auch 1942 die Rolle des „Major Strasser“ im Hollywood-Klassiker Casablanca.

Hitlerdeutschland versuchte, sein internationales Image aufzubessern. Dazu konnte man sich nicht allein auf die Olympischen Spiele 1936 in Berlin verlassen, sondern musste sich intensiv darum kümmern, internationales Flair ins Reich Hitlers zu bringen. Dieses Unterfangen bedeutete besonders hohe Gagen, die an internationale Schauspieler:innen für ihre Engagements beim deutschen Film gezahlt wurden, und nicht wenig Kreidefressen seitens der Drahtzieher:innen der Filmindustrie, um sich den Anschein einer moralisch hochstehenden und gleichzeitig freien Kunst- und Kulturszene zu geben.

All die Annehmlichkeiten, die den Künstler:innen in Deutschland geboten wurden, suchten international vergeblich ihresgleichen. Neben den öffentlich bekannten, hohen Gagen gab es für eine kleine Gruppe an Filmschaffenden, zu der Leni Riefenstahl, Veit Harlan, Emil Jannings oder Heinz Rühmann gehörten, finanzielle Zuwendungen aus einem Privatfonds des Diktators, steuerfrei.28 Weiters umwarb das Regime die Filmschaffenden, indem es ihnen ein Leben völlig getrennt vom „Volk“ in luxuriöser Abgeschiedenheit ermöglichte und sie auch mit Einladungen, etwa in Hitlers Reichskanzlei, bevorzugte. Die NS-Elite umgab sich gerne mit Künstler:innen und machte sich diese gefügig.