Schicksalsbund - Christine Feehan - E-Book

Schicksalsbund E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Die übersinnliche Saga geht weiter

Sie sind die Schattengänger, eine Gruppe herausragender Wissenschaftler, deren Fähigkeiten von dem brillanten Wissenschaftler Dr. Peter Whitney verstärkt wurden. Mack, der Anführer einer Elite-Einheit der Schattengänger, wird mit allem fertig. Nur nicht damit, dass er bei einem Einsatz unerwartet seiner einstigen großen Liebe Jaimie gegenübersteht. Leidenschaft und verletzte Gefühle lassen erneut die Funken zwischen ihnen sprühen. Doch Jaimie schwebt in höchster Gefahr.

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Seitenzahl: 691

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DAS BUCH

Ausgerechnet bei einem missglückten Einsatz in einer verlassenen Lagerhalle in San Francisco steht Schattengänger Mack McKinley plötzlich seiner einstigen großen Lieben Jaimie Fielding gegenüber. Vor zwei Jahren verschwand Jaimie von einem Tag auf den anderen aus dem Team  – und aus Macks Leben. Vergessen konnte er sie nie und seine Leidenschaft für sie ist rasch wieder entflammt. Doch Jaimie verschweigt Mack, dass sie sich in der Zeit ihrer Abwesenheit nicht nur ein neues Leben aufgebaut, sondern auch brisante Informationen über Whitneys Machenschaften gesammelt hat  – Informationen, die nun für sie zur Bedrohung werden. Bald schon wird sie von zwei Seiten unerbittlich gejagt: Von Whitneys Handlangern und von den Feinden der Schattengänger. Und Mack kann Jaimie und sich nur retten, wenn sie ihn rechtzeitig ins Vertrauen zieht …

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als siebzig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten landen. Auch in Deutschland ist sie inzwischen mit ihrer Schattengänger-Serie, der Leopardenmenschen-Saga und der Reihe um die Shadows-Serie äußerst erfolgreich.

Für Mary Scriven, eine Frau, die jedes Mal, wenn ich sie sehe, Freude in mein Leben bringt. Bewahre dir immer deine kindliche Freude am Leben.

DAS BEKENNTNIS DER SCHATTENGÄNGER

Wir sind die Schattengänger, wir leben in den Schatten.

Das Meer, die Erde und die Luft sind unsere Heimat.

Nie lassen wir einen gefallenen Kameraden zurück.

Wir sind einander in Ehre und Loyalität verbunden.

Für unsere Feinde sind wir unsichtbar, und wir vernichten sie, wo wir sie finden.

Wir glauben an Gerechtigkeit und beschützen unser Land und jene, die sich selbst nicht schützen können.

Ungesehen, ungehört und unbekannt bleiben wir Schattengänger.

Ehre liegt in den Schatten, und Schatten sind wir.

 

Wir bewegen uns absolut lautlos, im Dschungel ebenso wie in der Wüste.

Unhörbar und unsichtbar bewegen wir uns mitten unter unseren Feinden.

Wir kämpfen ohne den geringsten Laut, noch bevor sie unsere Existenz überhaupt erahnen.

Wir sammeln Informationen und warten mit unendlicher Geduld auf den passenden Augenblick, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Wir sind gnädig und gnadenlos zugleich.

Wir sind unnachgiebig und unerbittlich in unserem Tun.

Wir sind die Schattengänger, und die Nacht gehört uns.

DIE EINZELNEN BESTANDTEILE DES SCHATTENGÄNGERSYMBOLS

STEHT FÜRSchattenSTEHT FÜRSchutz vor den Mächten des BösenSTEHT FÜRPsi, den griechischen Buchstaben, der in der Parapsychologie für außersinnliche Wahrnehmungen oder andere übersinnliche Fähigkeiten benutzt wirdSTEHT FÜREigenschaften eines Ritters  – Loyalität, Großzügigkeit, Mut und EhreSTEHT FÜRRitter der Schatten schützen vor den Mächten des Bösen unter Einsatz von übersinnlichen Kräften, Mut und Ehre Nox noctis est nostri

1.

SCHWARZE NACHT. KEIN Mond, keine Sterne. Genauso, wie er es mochte. Master Gunnery Sergeant Mack McKinley kauerte in einer Gasse, dicht an einem hohen, schmutzigen Gebäude, und stimmte seine Sinne auf die vertrauten Geräusche ein. Eine Katze wühlte in einer Mülltonne, ein Betrunkener stöhnte und bibberte in der Kälte. Wellen schlugen auf den Strand und schwappten gegen die Mole direkt hinter dem Gebäude. Drei Stockwerke höher gingen Lichter aus und ließen die lange Fensterreihe wie gigantische, weit aufgesperrte Münder wirken. Dieses Bild ließ McKinley lächeln, und mit einem Lächeln blickte er zu den Fenstern auf. Sein Lächeln war nicht angenehm.

Sie hatten die Spur der Waffen durch den Libanon verfolgt, nach Beirut und auf das südamerikanische Frachtschiff. Und dann nach San Francisco. Immer waren sie einen Schritt hinterhergehinkt. Und dann hatten sie den entscheidenden Tipp bekommen. Er hatte schnell gehandelt, um die Information zu überprüfen, und jetzt betete er, dass sie korrekt war. Ihnen blieben weniger als vierundzwanzig Stunden, um die Waffen und die fünf Männer von Doomsday zu finden. Der Name der Terroreinheit, Jüngster Tag, ließ ihn verächtlich schnauben, aber er musste ihnen Anerkennung dafür zollen, dass sie jedes Land, das sie besuchten, in Angst und Schrecken versetzt hatten. Sie ließen Verwüstung, Blutbäder und Tod hinter sich zurück, vor allem aber Furcht.

Der Häuserkampf war eine Kunst für sich, ganz gleich, von welcher Warte aus man es betrachtete. Sein Team hatte Ortskenntnisse und war das beste Team von allen, aber die Arbeit war trotzdem gefährlich und erforderte einen kühlen Kopf. Zu viele Zivilisten, zu viele potenzielle Geiseln und viel zu viele Kleinigkeiten, die schiefgehen konnten. Seine Männer machten ihre Sache gut, mehr als gut  – seiner Meinung nach zählten sie zu den Besten  –, und Sergeant Major Theodore Griffen wollte, dass Doomsday hier ausgeschaltet wurde. Und wenn der Sergeant Major einen Befehl erteilte, dann wurde dieser augenblicklich und wortgetreu ausgeführt.

Das Lagerhaus war mit Sprengfallen versehen. Das wusste er, er konnte es fühlen. Aber irgendetwas … Seine Männer hatten ihre Posten bezogen und warteten auf ihn. Wie immer war First Sergeant Kane Cannon hinter ihm. Sie hatten sich auf der Straße zusammengetan, zwei Jugendliche, die taten, was sie konnten, um am Leben zu bleiben, und mit der Zeit hatten sie sechs andere Jungen und zwei Mädchen angelockt, alle mit unterschiedlichen Fähigkeiten, die ihre kunterbunt zusammengewürfelte Familie bildeten.

Von der Straße aus waren Kane und Mack und eines der Mädchen  – Mack wollte nicht an sie denken  – ins College weitergezogen. Die anderen waren zum Marine Corps gegangen. Sie alle waren sprachbegabt und konnten auch sonst noch so einiges, darunter das, was er jetzt gerade tat. Sie waren schon vor ihrem Schulabgang angeworben und als Agenten ausgebildet worden, bis er dem Aufruf gefolgt war, sich auf übersinnliche Gaben testen zu lassen. Das war ein riesiger Fehler gewesen, und seine ganze Familie war seinem Beispiel gefolgt  – wie sie es immer taten.

Fernaufklärung bei den Sondereinheiten. Testreihen zur Feststellung von paranormalen Anlagen, bei denen sie alle wieder zusammengekommen waren, wie früher auf der Straße. Weitere Spezialausbildung. Training bei den SEALs. Häuserkampfspiele. Noch speziellere Kurse, die sie zu regelrechten Mordmaschinen machten. Sie hatten zusammengehalten, und jeder von ihnen konnte jeden Schritt der anderen vorhersagen. Sie vertrauten einander und sonst niemandem, nicht in der Branche, in der sie waren. Nun ja … mit Ausnahme des neuen Jungen, aber das war eine ganz andere Geschichte. Es war kein guter Moment, um daran zu denken, nicht gerade jetzt, da er von denen umgeben war, die er liebte, und sie in eine Situation führte, die äußerst explosiv war, um es gelinde auszudrücken.

Mack bedeutete den anderen, ihre Nachtsichtbrillen aufzusetzen, die es ihnen erleichterten, in der Schwärze der Nacht zu sehen. Er und Kane brauchten keine. Sie sahen beide im Dunkeln so gut wie bei Tag. Das war eine Folge der Experimente, denen sie sich unterzogen hatten. Eine Dummheit, aber sie hatten es zum Wohle des Landes getan und weil sie dringend ein Zuhause brauchten. Ja, klar, er kannte den psychologischen Blödsinn, den alle ungefragt von sich gaben. Wahrscheinlich war sogar alles wahr, aber ihm war das ziemlich egal. Es war nämlich auch ein gewaltiger Adrenalinschub.

Dennoch wartete er und zögerte, bevor er seinem Team signalisierte, sich in Bewegung zu setzen. Seine Männer waren zum Angriff bereit. Tief in seinen Eingeweiden hatte er ein schlechtes Gefühl, und er tat seine Instinkte nie leichthin ab. Irgendetwas stimmte hier nicht, aber er konnte nicht genau sagen, was es war.

Was ist los, Sergeant?, fragte Kane unter Einsatz von Telepathie. Schon als Kinder hatten sie die telepathische Kommunikation zur Vollendung gebracht, und dann war diese Gabe zusätzlich gesteigert worden, als sie sich als Freiwillige mit paranormalen Anlagen für das Schattengängerprogramm gemeldet hatten.

Hier ist etwas faul. Nein, vielleicht ist gar nichts faul, aber irgendetwas stimmt hier nicht. Wie zum Teufel konnte er dieses eigenartige Gefühl, das wie ein Tritt in seinen Bauch war, erklären?

Ich fühle es auch, aber ich bin nicht sicher, was hier aus dem Lot ist. Wieder herrschte einen Moment lang Stille. Sollen wir abbrechen?, fragte Kane.

Mack holte Atem und stieß ihn wieder aus. Nein, aber lasst uns alle sehr vorsichtig sein.

In ihrer Gruppe konnte sich nur der Neue, den sie auf Drängen des Sergeant Major in ihr Team aufgenommen hatten, nicht telepathisch verständigen. Die Telepathie war der gemeinsame Nenner gewesen, der sie auf der Straße hatte zueinanderfinden lassen. Sie waren alle anders, und sie hatten die paranormale Gabe der anderen erkannt. Mack war der Anführer gewesen, und Kane hatte ihm immer, aber auch wirklich immer, den Rücken gedeckt.

Er warf einen Blick auf den Mann und sah, dass Kane das tat, was er am besten konnte  – er suchte mit seinen eigenartigen Augen das riesige Lagerhaus ab. Wenn er wollte, konnte er geradewegs durch das Holz und das Metall die Wärme im Inneren sehen. Diese Gabe hatte ihm Whitney im Zuge seiner Experimente verliehen. Leider büßte er für den Einsatz dieser speziellen Gabe gleich im Anschluss daran mit mehreren Minuten Blindheit; daher war es extrem gefährlich, seine Begabung in einer Kampfsituation zu gebrauchen. Tierische DNA. Ein neuer genetischer Code. In diese Form von Experimenten hatten sie nicht eingewilligt, doch als sie aufgewacht waren, waren sie für alle Zeiten verändert gewesen. Kane unterdrückte den Drang, durch die Wände zu blicken, und benutzte stattdessen sein gesteigertes Sehvermögen, um Bewegungen und sonst nichts wahrzunehmen.

Mack gab seinen Männern das Signal zum Vorrücken. Es kostete Minuten, die Alarmvorrichtung am Seiteneingang zu überbrücken, viel länger, als es hätte dauern sollen. Für ein Lagerhaus am Kai war die Alarmanlage zu kompliziert. Wer dachte sich ein raffiniertes und so komplexes Dreifachwarnsystem aus, dass Javier, sein bester Techniker, kostbare Zeit darauf verwenden musste, es auseinanderzuklamüsern?

Wir haben es hier mit einem Profisystem zu tun, Boss, sagte Javier. Mit einem, das ich noch nie gesehen habe. Wer dieses Scheißteil zusammengebaut hat, der wusste genau, was er tut. In seinem Tonfall drückte sich unverhohlene Bewunderung aus.

Unten im Lagerhaus keine Aktivitäten, die ich entdecken kann, Mack, sagte Kane. Im ersten Stockwerk kann ich auch keine Wärme entdecken, aber im zweiten Stock hält sich jemand auf.

Nur eine Einzelperson? Das war nicht einleuchtend.

Nur eine Person.

Mack bewegte sich als Erster, wobei das Widerstreben in seinem Gehirn größer war als das seines Körpers. Er rollte unter einem Stolperdraht in der Tür hindurch ins Erdgeschoss und kroch militärmäßig unter dem Labyrinth von Laserstrahlen hindurch. Bis auf da und dort verstreutes Baumaterial war der gesamte Raum leer. Die raffinierte Alarmanlage erschien lächerlich. In seinem Hinterkopf regte sich etwas, was einfach keine Ruhe geben wollte.

Wo sind die Wachposten, Kane?

Ich weiß es nicht, Mann, aber das ist alles oberfaul.

Auf dem Dach war niemand; es wurde nur durch eine Alarmanlage gesichert. Gideon, einer seiner Männer, war jetzt dort oben, mit einem Gewehr und einem Funkgerät. Gideon konnte im Dunkeln sehen, hatte das Gehör einer Eule und hätte notfalls einer Fliege mitten in der Nacht die Flügel abschießen können. Mack hätte ein gutes Gefühl haben sollen, doch dieser Tritt in seine Magengrube wurde stärker. Und wo zum Teufel war der Wachposten im Erdgeschoss? War das eine raffinierte Falle? Hatte jemand Doomsday einen Tipp gegeben, dass sie kommen würden?

Diese Terroristen hatten kein Anliegen, keine politischen Ziele, und sie hatten auch keinen Religionskrieg auszutragen. Es waren Söldner von einem brandneuen Typus, von der heutigen Zeit hervorgebracht. Sie prahlten mit ihren Talenten und verschonten kein Land, weder Mann noch Frau oder Kind, und dahinter steckte nur ein Grundgedanke … für den Höchstbietenden zu arbeiten. Sie verkauften ihre Dienste an jeden, der zahlte, und das erschwerte es, sie aufzuspüren, da niemand je dahinterkam, für wen sie arbeiteten und wo sie als Nächstes auftauchen würden. Jetzt hatten die Schattengänger diese eine Chance, sie zu schnappen, indem sie den Waffen gefolgt waren, und doch konnte Mack einfach nicht das Gefühl abschütteln, hier stimmte etwas nicht.

Selbst während sein Verstand verzweifelt mit dem Problem rang, nahm er jede Einzelheit um sich herum deutlich wahr, und ihm entging auch nicht, dass der Neuling, der junge Paul, den Kopf etwas zu hoch hielt und zu nah an einen der Strahlen kam. Mack zischte, und jede Bewegung wurde eingestellt. Im Lagerhaus herrschte vollkommene Stille. Sein kalter Blick richtete sich durchdringend auf Paul. Mack gab ihm mit der flachen Hand ein Zeichen. Der Körper des Rekruten presste sich auf den kalten Zement. Selbst im Schutz der Dunkelheit wusste Mack, dass Paul knallrot anlief.

Der Junge errötete leicht. Mack kam nicht dahinter, was zum Teufel er in ihrem Team zu suchen hatte. Im Grunde genommen waren sie seine Babysitter, und das konnte sie alle das Leben kosten. Keiner im Team wollte den Jungen dabeihaben, aber Sergeant Major Griffen hatte ausdrücklich darauf bestanden. Es war nicht etwa so, dass der Junge nicht hochintelligent gewesen wäre  – er war es. Er besaß auch übersinnliche Gaben, obwohl keiner von ihnen Dr. Whitneys Programm gemeinsam mit ihm absolviert hatte. Sämtliche Schattengänger kannten sich untereinander oder erkannten sich zumindest wieder. Paul bildete eine Ausnahme. Mack mochte keine Rätsel, und der Junge gab ihm zu viele auf.

Mack rollte sich am anderen Ende unter den sich kreuzenden Laserstrahlen heraus. Der Lastenaufzug kam schon aufgrund seiner Geräusche nicht in Frage. Somit blieb nur die Treppe, und eine Stufe war gefährlicher als die andere. Und sie hatten viele Stufen zurückzulegen, um in den zweiten Stock zu gelangen.

Wo zum Teufel sind die Wachposten? Die Frage nagte an ihm und ließ ihn einfach nicht in Ruhe.

Alle waren jetzt in höchster Alarmbereitschaft, denn diese Frage beunruhigte sie ebenso sehr wie ihn. Er wartete einen Herzschlag lang, doch er fand keinen Grund, die Aktion abzubrechen.

Er setzte sich vorsichtig in Bewegung. Vier Stufen … sieben. Auf der achten fühlte er es. Der Draht wunderte ihn. Er führte zu einer Alarmanlage, nicht zu einer Sprengladung. Sein Verstand stürzte sich auf diese Information und verbiss sich in sie.

Mack hatte solche Einsätze schon so oft geleitet, dass er genau wusste, was jeder seiner Männer empfand. Adrenalin strömte, Herzen rasten, Furcht hielt sie im Würgegriff, doch ihre Waffen hielten sie mit sicherer Hand. Etwas stimmte hier nicht. Etwas war oberfaul.

Eindeutig oberfaul.

Kanes Befürchtungen verstärkten seine eigenen.

Mack erreichte das erste Stockwerk. Im Gegensatz zum Erdgeschoss, das bis auf Baumaterial weitgehend leer gewesen war, war diese Etage mit elektronischen Geräten vollgestellt. Eine Reihe von Computern war in die Rückwand eingebaut, das Einzige, was fertig installiert war. Alles andere war in Kisten verpackt, die ausschließlich modernste und hochwertige elektronische Geräte enthielten.

»Bingo«, ließ sich Pauls Flüstern über Funk vernehmen; seine Stimme zitterte vor Aufregung. »Mitten im Umzug.«

Überprüf das, Kane. Vielleicht sehen wir gerade vor uns, wie sie die Waffen transportieren.

In elektronischen Geräten? Das sind Satellitenverfolgungssysteme, Kameras und solche Dinge. Keine Waffen. Wir sind auf etwas gestoßen, aber ich bin nicht sicher, dass es das ist, worauf wir es abgesehen haben.

Mack war sich seiner Sache auch nicht sicher. Er schüttelte den Kopf, und sein Verstand begehrte mittlerweile lautstark auf. Hier stimmte überhaupt nichts. Keine Wachposten. Solche Geräte waren viel zu fortschrittlich für Terroristen von der Sorte, aus der sich die Doomsday-Gruppe zusammensetzte.

Er schlich die nächste Treppe hinauf. Diesmal war es die dritte Stufe. Keine Sprengladung. Die siebte Stufe. Er rollte sich unter dem Strahl auf dem Treppenabsatz hindurch, zog sich auf ein Knie hoch und atmete tief durch. Hierher! Hierher! Seine Männer fächerten sich Rücken an Rücken zu der üblichen Durchsuchungsformation auf.

Was ist los? Was stimmt hier nicht? Findet die Antwort! Findet die Antwort! Mack bewegte sich vorsichtig zwischen den Möbelstücken.

Die Einrichtung, Mack. Da stimmt nichts, zischte Kane in seinem Kopf.

Ein breites Plüschsofa, ein handgeschnitzter Couchtisch aus Holz, ein unbezahlbarer Perserteppich. Wunderschön und kostspielig. Ein kleines Objekt auf einem Beistelltisch. Ein Drache. Wie in einem Wohnzimmer. Hier war jemand zu Hause. Diese Erkenntnis kam einen Herzschlag zu spät.

Etwas rührte sich dicht vor ihm, und eine Waffe blitzte auf.

»Abbrechen! Abbrechen!« Er schrie die Worte, während er sich auf die kleine Gestalt warf, die hinter dem Liegesessel kauerte. Sein kräftig gebauter, muskulöser Körper prallte frontal mit dem kleineren und weicheren zusammen, warf die Frau der Länge nach hin und hielt sie auf dem Boden fest.

Sie schockierte ihn damit, dass sie sich heftig wehrte und auf diverse Druckpunkte losging, da sie offensichtlich ausreichende Kenntnisse in Nahkampftechniken besaß. Es kostete ihn beträchtliche Kraft und Raffinesse, sie zu bezwingen. Er deckte sie erfolgreich mit seinem Körper zu und spannte sich in Erwartung der Kugeln an, die ihn bestimmt gleich treffen würden. Sein Team war gut, wenn nicht gar hervorragend ausgebildet. Kein einziger Schuss wurde abgegeben. Trotzdem packte Kane vorsichtshalber Pauls Waffe und stieß sie fort, damit sie nicht auf McKinleys Körper gerichtet war.

Eine lange, tödliche Stille trat ein. Mack konnte ihren Atem hören und wusste, dass ihr Herz raste. Sowie er sie auf den Boden gepresst hatte, wehrte sie sich nicht mehr, sondern lag vollkommen still unter ihm. Einen Moment lang befürchtete er, er hätte sie bewusstlos geschlagen, doch dafür ging ihr Atem zu abgehackt.

»Ist sonst noch jemand hier oben?«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie schüttelte den Kopf.

Kane und die anderen nahmen eine Standarddurchsuchung vor. McKinley hoffte, dass sie die Wahrheit sagte. Sie roch frisch und leicht exotisch, und ihre zarte Pfirsichhaut fühlte sich so glatt wie Satin an. Ihm war eigentümlich vertraut, wie sie roch und wie sie sich anfühlte. Zu vertraut. Sein Körper erkannte sie schneller als sein Gehirn und reagierte mit genug Testosteron für seine gesamte Einheit, mit Adrenalinmengen vermischt, die jeden von ihnen überfordert hätten.

McKinley verteilte sein Gewicht langsam und sorgfältig um, bis er sicher sein konnte, dass er ihr nicht wehtat, sie aber immer noch unter sich festhielt. Während ein Mitglied des Teams nach dem anderen »Alles klar!« rief, zog er sich so weit hoch, dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Ein Bein blieb schwer auf ihren Schenkeln liegen, eine Warnung, sich nicht von der Stelle zu rühren.

Hinter ihnen wurde eine Lampe angeschaltet. »Alles klar, Sir.« Es war der junge Paul. Seine Männer gafften alle und versuchten gleichzeitig, es sich nicht anmerken zu lassen. Die Frau trug ein langes Nachthemd. Es war durchsichtig, eines dieser duftigen, transparenten Dinger, die sich an jede Rundung schmiegten und einen Presslufthammer mitten durch den Schädel eines Mannes jagten. Das Nachthemd war auf ihre Oberschenkel hochgerutscht und legte zu viel schimmernde Haut frei.

Sie hatte zerzaustes Haar, eine unbändige Lockenmähne und große, betörende saphirblaue Augen. Er hätte sie überall und jederzeit wiedererkannt.

Jaimie. Er sprach ihren Namen aus oder glaubte zumindest, dass er es tat, doch kein Laut kam hervor. Vielleicht hatte er ihren Namen auch nur gehaucht. Er berührte ihre dichte Mähne, das seidige mitternachtsschwarze Haar. Seine Finger fassten nach einer der Locken, zogen leicht und ließen die Strähne zwischen seinen Fingerkuppen hindurchgleiten, während er versuchte, wieder Luft zu bekommen, denn sie hatte ihm den Atem geraubt.

»Geh runter von mir, McKinley.« Furcht schwang in ihrer Stimme mit, doch sie rang um Selbstbeherrschung. »Was hast du hier zu suchen? Hallo, Jungs. Ihr habt mir gefehlt  – die meisten von euch jedenfalls«, sagte sie, auf dem Boden liegend, zur Begrüßung.

»Hallo, Jaimie«, sagte Kane.

»Mann, Jaimie«, schloss sich Javier an. »Eine ganz hinreißende Alarmanlage, verdammt nochmal. Ich hätte mir denken können, dass die von dir stammt.«

»Schön, dich zu sehen, Jaimie«, fügte Brian Hutton mit einem kleinen Grinsen hinzu. »Obwohl wir mehr von dir zu sehen bekommen, als es Brüdern lieb ist.«

»Was zum Teufel trägst du da?«, fragte Mack barsch. Die Lust versetzte ihm einen harten und fiesen Schlag; sein ganzer Körper spannte sich an, und sein Schwanz wurde steinhart. Er war wütend auf sie, und er hatte Angst um sie. Es schockierte ihn, sie zu sehen. Was ging hier vor? Sie hatte ihn verlassen, verflucht nochmal. Ihn verlassen. Sie war spurlos verschwunden.

Seine Hand packte ihre Kehle und hielt sie auf dem Fußboden fest, um sie fühlen zu lassen, wie groß seine Wut war  – und sein Verlangen. Er beugte sich dicht über sie. »Hast du zu dir selbst gefunden, Jaimie? Hast du alles gefunden, wonach du gesucht hast?« Hast du mich so sehr vermisst, wie ich dich vermisst habe? Hast du mir mein Herz zurückgebracht? Dort, wo es sein sollte, klafft nämlich ein verdammt großes Loch.

Er starrte ihr in die Augen  – Augen, auf die er immer hereinfallen würde, Augen, in denen er immer ertrinken würde. Der Teufel soll dich holen, Jaimie. Dafür sollst du in der Hölle schmoren. Die Anziehungskraft war schlimmer als jemals zuvor und überwältigte ihn, bis sein Körper nicht mehr ihm gehörte und seine Disziplin und seine Selbstbeherrschung verflogen waren.

»Wage es nicht, mich so anzusehen.«

Sie schluckte schwer. Er konnte es an seiner Handfläche fühlen. »Wie denn?«

»Als hättest du Angst vor mir. Als würde ich dir wehtun.« In ihren Augen stand Panik, eine Furcht, die schon fast auf Entsetzen hinauslief, und das machte ihn krank.

»Mack.« Kanes Stimme war gesenkt. »Du hast deine Hand um ihre Kehle geschlungen, und du sitzt auf ihr. Das könnte von manchen Personen als aggressives Verhalten ausgelegt werden.«

Mack fauchte und riss seinen Kopf herum. »Hat sonst noch jemand einen brillanten Einfall beizutragen?«

Kein anderer war so dumm  – oder so mutig.

Sein Griff um ihre Kehle lockerte sich, doch er ließ sie nicht los und fühlte mitten an seiner Handfläche zu seiner Genugtuung, dass ihr Puls raste. »Was zum Teufel hast du an?«, fragte er noch einmal schroff. »Du könntest ebenso gut gar nichts anhaben.«

»Das nennt sich Nachthemd«, erwiderte Jaimie in einem sarkastischen Tonfall. »Mack, lass mich aufstehen. Falls dir das noch niemand gesagt hat, du bist schwer.«

Er bestand nur aus Muskeln. Und im Moment war er von Kopf bis Fuß steinhart. Jede Bewegung würde auf die eine oder andere Weise schmerzhaft sein.

Er seufzte, weil alle ganz genau wissen würden, was sie bei ihm anrichtete, und rückte behutsam von ihr ab. »Zieh dir etwas an.« Abrupt sprang Mack auf und zog sie mit sich hoch. Ein kurzer Blick von ihm sorgte dafür, dass seine Männer die Decke plötzlich interessant fanden.

Sie grinsten wie Idioten. Alle miteinander. Sogar Kane. Mack verkniff es sich mühsam, sie zu beschimpfen.

»Besitzt den Anstand, euch umzudrehen«, befahl er den anderen.

Schwachköpfe. Jeder einzelne von ihnen. Er drehte sich nicht um, sondern sah sie stattdessen finster an und durchbohrte sie mit seinen Blicken. »So etwas trägt man nicht, wenn man keinen Gast erwartet, Jaimie. Erwartest du jemanden?« Seine Hand glitt auf den beruhigenden Griff seines Messers. Er würde selbst mit Vergnügen den Gastgeber spielen, falls sich irgendjemand an Jaimie vergreifen sollte. Ohne eine Antwort abzuwarten, riss er sich seine Jacke herunter und warf sie ihr zu. »Bedecke dich.«

»Scher dich zum Teufel, Mack. Ich wohne hier. Du hältst dich in meinem Schlafzimmer auf, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest.«

Dennoch zog sie seine Jacke über, atmete tief ein und rieb ihre Wange gedankenlos an dem Stoff. Dann stolzierte sie durch das Zimmer und riss eine Schublade auf. »Du bist weit weg von zu Hause«, bemerkte Jaimie, während sie in eine dunkelgraue Trainingshose schlüpfte. »Ganz zu schweigen davon, dass du für diesen Anlass unpassend ausstaffiert bist.«

Ihm fiel auf, dass ihre Hände zitterten, als sie die Ränder seiner Jacke zusammenzog. Ihre Stimme war genauso, wie er sie in Erinnerung hatte. Lieblich, heiser, wunderschön. Wie glasklares Quellwasser. Ihr Anblick war schmerzhaft für ihn. Sie hatte ihr Kinn in die Luft gereckt  – dieselbe trotzige Jaimie, die er schon immer gekannt hatte. Aber sie sah ihn nicht an, sah ihm nicht mitten ins Gesicht, und das sah Jaimie gar nicht ähnlich.

»Wenn du das nächste Mal vorbeikommen willst, verlangen die hiesigen Sitten, dass du den Anstand besitzt anzuklopfen.« Sie lief auf und ab, entfernte sich von ihm und kam wieder zurück, weil es ihr einfach nicht gelang, das Adrenalin aus ihrem Körper rauszukriegen. »Was hast du hier zu suchen, Mack?«

»Wir sind einer Schiffsladung Waffen gefolgt.«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Nach San Francisco? In meine Wohnung?«

»Geradewegs zu deiner Haustür, Kleines.«

Sie zuckte zusammen »Ich bin nicht dein Kleines, Mack. Das ist lange her. Was tust du wirklich hier?«

»Unsere Information …«

»Also wirklich, Mack.« Sie trat ans Fenster und blickte auf die Wellen hinaus, die an die Mole schlugen. »Du und ich, wir wissen beide, dass es ein zu großer Zufall ist. Wenn du nicht derjenige warst, der die Sache eingefädelt hat, dann wollte dein Informant dich hier haben. Er wollte uns zusammenführen.«

Er selbst wollte, dass sie wieder zusammenkamen, und daher stand Mack in der Schuld desjenigen, der es so eingerichtet hatte, ob absichtlich oder nicht. Jamie war vor einiger Zeit aus ihrer aller Leben verschwunden. Sie hatte in dieser Familie, die auf der Straße zusammengefunden hatte, eine große Rolle gespielt, und jetzt stand sie plötzlich wieder vor ihm  – zum Greifen nah.

Er stellte sich hinter sie, legte sanft seine Hände auf ihre Schultern und zog sie von dem Fenster zurück.

Kane räusperte sich. »Die Information lautete, die Fracht, hinter der wir her sind, sei gelöscht und in diesem Block von Lagerhallen untergebracht worden. Im Eckhaus. Bestens gesichert. Und das ist dieses Lagerhaus hier.«

Ihr Blick streifte ihn und wandte sich sofort wieder von seinem Gesicht ab. »Nein, eben nicht. Ihr wollt das am Ende dieses Blocks. Geheimnisvolle Lastwagen mitten in der Nacht. Harte Kerle, die versuchen, freundlich zu wirken. Das ist das Lagerhaus, auf das ihr es abgesehen habt, nicht meines.« Sie richtete ihren Blick wieder auf Mack. In den Tiefen ihrer saphirblauen Augen stand ein unterschwelliger Vorwurf, doch dann sah sie schnell wieder weg  – als sei ihr sein Anblick unerträglich.

Tief in seinem Innern regte sich etwas. Eine Antwort. Mack konnte die Reaktion seines Körpers fühlen, der sich anspannte und gefährlich wurde  – die Reaktion eines Mannes. Jaimie Fielding. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Seine Jaimie. Die sture Jaimie mit ihrem unerhörten Humor, einem Gehirn wie ein Computer und ihrer reinen Ethik. Ihre kleinen Zähne bissen nervös auf ihre Unterlippe und lenkten Macks Aufmerksamkeit sofort auf ihre vollen, weichen Lippen. Wenn er diesen Mund sah, hatte er schon immer seine Lippen darauf pressen wollen  – und er wollte es noch. Sie hatte ihn verlassen.

»Ich glaube, das ist ein grober Verstoß gegen meine Rechte als amerikanische Staatsbürgerin«, hob Jaimie hervor. »Ihr seid unbefugt in mein Haus eingedrungen.«

Mack fuhr sich mit einer Hand durch sein schwarzes Haar. »Hör auf mit diesem Blödsinn, Jaimie«, fauchte er. »Das ist nicht komisch.« Es warf ihn aus der Bahn, sie zu sehen. Er brauchte nur ihren Geruch einzuatmen, und schon lief sein Körper ständig auf Hochtouren. Von ihm wurde Disziplin erwartet, aber irgendwie rastete sein Körper aus, wenn Jaimie in der Nähe war. Dann dachte er nicht mehr mit seinem Gehirn, sondern mit anderen Teilen seiner Anatomie.

»Sehe ich so aus, als fände ich das zum Lachen?« Ihre Augenbrauen hoben sich fragend. »Ich kann dir versichern, dass ich nicht die Absicht hatte, komisch zu sein.« Als sie seinen Blick sah, schürzte sie ihre vollen, üppigen Lippen. »Na ja, schon gut«, räumte sie ein. »Vielleicht doch eine Spur. Euer toller Nachrichtentrupp hat einen großen Fehler gemacht. Da schaut ihr natürlich dumm aus der Wäsche. Ganz zu schweigen davon, dass ich euch erwartet habe.«

Mack hob die Bratpfanne auf, die neben dem Sofa lag. »Vermutlich dachtest du, damit könntest du dem gesamten Team eins über den Schädel ziehen.«

Ein leises, grummelndes Gelächter zog durch den Raum. Jaimie lächelte die Männer hämisch an. »Lacht ruhig, so viel ihr wollt, ihr tollen Hengste. Wenn ich euer Feind gewesen wäre, wärt ihr jetzt tot oder verwundet.«

»Da ist was dran.« Macks funkelnde Augen glitten durch das Zimmer. »Wir können froh sein, dass wir hier nicht am richtigen Ort sind.«

Kane beobachtete, wie Mack Jaimie betrachtete. In seinen Augen sah das nach Ärger aus, aber andererseits hatte es immer Schwierigkeiten gegeben, wenn die beiden einander nahegekommen waren. Feuergefahr. Als hielte man ein Streichholz an Dynamit. Er stellte fest, dass er grinste. »Hast du die anonyme Information geliefert?«

»Das kannst du glatt vergessen«, sagte Jaimie schroff. »Ich ziehe hier gewissermaßen mein eigenes Ding durch und würde keine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Und ich will auch nicht, dass aufgebrachte Nachbarn das Haus mit mir darin anzünden, weil ich die Hunde auf sie hetze.«

»Wozu all die Sicherheitsmaßnahmen?«, fragte Paul, den sie nicht überzeugt hatte. »Und was hat es mit all diesen elektronischen Geräten auf sich?«

»Ich spioniere für Russland«, fauchte Jamie. »Wo ist euer Durchsuchungsbefehl? Wir sind hier immer noch in den Vereinigten Staaten, ob ihr ein unsichtbares Abzeichen tragt oder nicht.«

»Er ist neu, Jaimie«, sagte Kane leise. »Nimm ihn nicht so hart ran.«

»Er ist ein Hitzkopf.« Ihre Hände zitterten immer noch. Jaimie fühlte, dass sich ihr fast der Magen umdrehte. »Und durch sein Verschulden wird noch einer von euch ums Leben kommen.« Sie presste eine Hand fest auf ihr Zwerchfell.

»Bring sie alle hier raus.« Mack beobachtete Jaimie stirnrunzelnd, während er Kane den Befehl erteilte.

»Ihr könnt ins Erdgeschoss gehen. Da sind Bewegungsmelder, aber sonst kaum etwas«, sagte Jaimie.

»Ich hätte nichts dagegen, mir deine elektronischen Geräte im ersten Stock anzusehen«, sagte Javier. »Das sieht mir nach etwas ganz Feinem aus.«

»Ich würde wetten, dass du dir die gern ansehen würdest. Das ist mein neues Geschäft, Javier.« Sie lächelte ihn strahlend an. »Und ich werde dich nicht mal in die Nähe dieser Computer lassen. Ich kann die Konkurrenz nicht gebrauchen.«

»Vielleicht hast du Gründe dafür, dass wir sie uns nicht ansehen sollen«, sagte Paul.

Jaimie zuckte die Achseln und musterte den Mann von Kopf bis Fuß mit einem kühlen Blick. »Kann schon sein.«

»Ich bringe sie alle ins Erdgeschoss«, sagte Kane. »Und ich setze mich mit dem Sergeant Major in Verbindung, um zu sehen, wo sich der Fehler bei uns eingeschlichen hat.«

Jaimie schaltete ihre raffinierte Alarmanlage aus, um die Dinge zu beschleunigen. Mack wartete, bis sie allein waren. Er folgte ihr in den Küchenbereich und sah zu, wie sie nach dem Teekessel griff. Tee. Natürlich. Sie kochte immer Tee, wenn sie außer sich war.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er sanft.

»Du hast mein Leben um zehn Jahre verkürzt«, gestand sie.

Er lehnte sich mit einer Hüfte an die Küchenschränke und sog ihren Anblick in sich auf. »Was tust du hier? Was hat es mit den elektronischen Geräten auf sich?«

»Es geht nur um etwas, woran ich arbeite.«

Sie weigerte sich, ihn anzusehen. Ihre Schultern waren steif. Ihre Körperhaltung sagte ihm laut und deutlich, er solle fortgehen. »Du hast mir gefehlt, Jaimie.« Hartnäckig, wie er war, würde er nicht vor einer Konfrontation zurückschrecken. Sie hatte sein Herz und seine Seele mitgenommen, als sie fortgegangen war. Er war ein Zombie gewesen, eine Maschine ohne Richtung und Ziel. Er konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen. Er wusste, dass in seiner Stimme und in seinem Gesichtsausdruck ein Vorwurf lag, aber das hatte sie, verdammt nochmal, verdient. »Du bist spurlos verschwunden.«

»Du hattest eine Wahl, Mack«, rief sie ihm ins Gedächtnis zurück. »Du hast mir gegenüber sehr deutlich klargestellt, wo deine Prioritäten liegen. Sie lagen nicht bei mir. Bei uns. In solchen Fällen spricht man von Selbsterhaltungstrieb.«

»Das ist Blödsinn. Ich hatte keine Ahnung, dass du einfach verschwinden würdest.«

»Wenn ich mich recht erinnere, hast du unmissverständlich gesagt, du seist noch nicht so weit, irgendeine Form von fester Bindung einzugehen. Ich habe dich beim Wort genommen. Was dachtest du denn, was ich tun würde?«

Um ihn weinen. Auf ihn warten. Zurückgekrochen kommen und ihn um Verzeihung bitten. Aber doch nicht verschwinden. Das niemals. Sie hatte sein Leben mitgenommen. Sie hatte ihm alles genommen, was seine Person ausmachte. »Ich hatte erwartet, du würdest begreifen, dass ich viel zu tun hatte.«

Sie hielt ihm weiterhin den Rücken zugekehrt; ihre Hände zitterten, als sie den pfeifenden Wasserkessel vom Herd nahm. »Viel zu tun? Du meinst deinen Drang, die Welt zu verbessern? Dein Bedürfnis, alle zu retten? Du hast uns beide abgeschrieben, Mack. Wenn du so tun willst, als sei es nicht so gewesen, und wenn für dich dann alles gut ist, dann soll es mir recht sein. Ich habe es überlebt. Du hast es überlebt. Du hast das Leben, das du wolltest. Bei mir läuft es auch gut. Ich habe alles hinter mir gelassen und gehe davon aus, dass wir beide gut dran sind und dass keiner dem anderen etwas vorzuwerfen hat.«

»Das vermutest du also?« Er wartete, bis der Kessel wieder sicher auf dem Herd stand, bevor er ihren Arm packte und sie zu sich herumwirbelte. »Dann rate nochmal, Jaimie.«

Sie wehrte sich nicht, wie er es von ihr erwartet hatte. Sie hielt vollkommen still und blickte auf die Finger hinunter, die ihre Handgelenke wie stählerne Schraubstöcke festhielten. Dann schaute sie ihm ins Gesicht, und sein Herzschlag setzte beinah aus, als ihr Blick für einen Moment auf seinem Mund verweilte, bevor sie ihm in die Augen sah. Er hatte das eigentümliche Gefühl, nach vorn zu kippen.

»Mack, lass mich los.«

Fast hätte er es nicht getan. Fast hätte er sie an sich gerissen und sich über ihren Mund hergemacht, diesen perfekten Mund, der einen Mann um den Verstand bringen und ihn ins Paradies führen konnte. Er wusste, dass sie mit ihm verschmelzen würde. Er wusste, dass sie zu ihm gehörte, von Kopf bis Fuß und ganz und gar  – doch er wollte mehr als nur ihren Körper. Er hatte etwas sehr Kostbares besessen und es nicht gewusst, bevor er es verloren hatte. Er ließ seine Hände sinken und ärgerte sich, als sie die Male, die seine Finger auf ihrer Haut zurückgelassen hatten, rieb, ehe sie sich ihrer Tätigkeit wieder zuwandte.

Er starrte lange ihren Rücken an und versuchte eine Möglichkeit zu finden, wie er zu ihr durchdringen konnte. Egal wie. Die Wut und der Schmerz angesichts seines Verlusts brodelten zu dicht unter der Oberfläche und machten seinen sonst so wachen Verstand unbrauchbar. Das hier war seine Jamie, und doch war sie es nicht.

»Jaimie«, sagte er leise. »Sprich mit mir.«

Sie hielt ihm den Rücken zugekehrt. McKinley. Sie hatte ihn nie McKinley genannt, selbst zu den Zeiten nicht, als sie nur beste Freunde waren. Cannon, McKinley und Fielding. Wo einer von ihnen war, waren auch die anderen gewesen, und sie hatte ihn Mack genannt, immer nur Mack.

»War das wirklich ein Versehen? Ein reiner Zufall?«

Er ballte die Faust so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Natürlich war es ein Zufall. Was denn sonst?«

Daraufhin drehte sie sich um, und ihre großen Augen glänzten und waren wunderschön. Augen, in denen sich ein Mann verlieren konnte. »Findest du das nicht auch reichlich unwahrscheinlich? Du gerätst zufällig in das falsche Lagerhaus und findest mich dort vor.«

»Die Welt ist klein.«

»Verschone mich mit Klischees, Mack«, warnte sie ihn. »Du hast mich zu Tode erschreckt. Ich dachte, du seist ein Einbrecher.«

»Und du wolltest ihn mit einer Bratpfanne angreifen? Was zum Teufel ist los mit dir?« Er musste seine Hände in Schach halten, denn er wollte vortreten und ihren zitternden Körper schützend an sich ziehen. Er verspürte das dringende Bedürfnis, ihr seidiges Haar zu berühren und die finsteren Falten in ihrem Gesicht zu glätten.

»Ich verhalte mich möglichst unauffällig. Einen Einbrecher zu erschießen oder ihn windelweich zu prügeln würde meine Anwesenheit hier allgemein bekanntmachen, oder etwa nicht?«

Er holte hörbar Atem. »Du arbeitest als Geheimagentin.«

Sie lehnte sich an das Spülbecken und blickte mit ihren umwerfenden Augen zu ihm auf. Er fühlte die Wirkung ihres Blicks wie einen Hieb in die Magengrube und dann tiefer, und der Schmerz erinnerte ihn daran, dass er äußerst lebendig war.

»Ich baue eine neue Firma auf, die einen guten Ruf, Verschwiegenheit und Ehrbarkeit erfordert.«

»Das ist ein Haufen Quatsch. Ich gehöre zur Familie. Selbst wenn ich dir nichts mehr bedeute, kannst du zumindest das nicht leugnen.«

Ihre Augen blitzten ihn an und sprühten regelrecht Funken. »Du hast mir das Herz gebrochen, Mack. Du hast mich für deine Adrenalinschübe weggeworfen. Nun hast du das Leben, das du führen wolltest. Ich habe meine Lektion gelernt und, glaube mir, sie war hart. Du wolltest Sex, und ich war da. Ich fühlte mich zu dir hingezogen, und ich war bereit, dir so ziemlich alles zu geben. Es hat sehr lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass das«, sie wies mit ihrem Kinn auf die dicke, steinharte Ausbuchtung seiner Jeans, »alles war, was zwischen uns zählte, alles, was du mir jemals geben würdest. Aber das wird mir niemals genügen. Ich habe jetzt ein Leben, Mack. Ich werde nie mehr das empfinden, was du mich hast empfinden lassen. Aber ich will dich nicht wiedersehen. Ich bitte dich, halte dich von mir fern.«

»Im Traum nicht. Ich werde mich im Traum nicht von dir fernhalten.« Er trat näher, und sein Atem ging abgehackt und keuchend. Er verzehrte sich glühend nach ihr. Jede Minute des Tages. Ohne sie konnte er nicht klar denken. Sie beruhigte ihn innerlich. Sie machte ihn menschlich. »Ich kann nicht atmen ohne dich, verdammt nochmal, das weißt du doch. Über das, was wir miteinander hatten, kommt man nicht hinweg. Du schaffst es nicht. Ich schaffe es auch nicht. Wir gehören zusammen, ganz gleich, welchen Blödsinn du dir selbst einredest.«

Sie schockierte ihn damit, dass sie sich gegen ihn behauptete. Sie starrte ihn an. Ihr Körper hielt still, doch sie war kampfbereit. Sie zitterte, und ihr perfekter Mund bebte ein wenig, aber sie knickte nicht ein unter seinen Forderungen, wie es früher immer der Fall gewesen war.

»Es war deine Entscheidung, das, was wir miteinander hatten, wegzuwerfen, Mack, nicht meine. Ich werde mich nicht mit dir über meine Gefühle streiten. Du hast kein Recht mehr darauf, zu wissen, was ich fühle. Du hast kein Recht mehr darauf, Ansprüche auf irgendeinen Teil von mir zu erheben. Nicht auf meinen Körper und auch nicht auf mein Herz.«

»Da liegst du falsch. Wenn ich dich küssen würde, wenn ich dich berühren würde, würdest du immer noch mir gehören.«

Sie bedachte ihn mit diesem lässigen Achselzucken, das ihm das Herz aus der Brust riss und ihn in rasende Wut versetzte. »Wahrscheinlich, Mack. Wir hatten immer dieses Flammenmeer, auf das wir zurückgreifen konnten, aber als du von mir fortgegangen bist, habe ich eines begriffen: Das ist alles, was wir hatten. Du hast mir gesagt, was ich tun soll, und ich habe es getan, wie eine Marionette. Deine Marionette. Ich war gut im Bett, aber für etwas anderes konntest du mich nicht gebrauchen. Es gibt Millionen von Frauen, die grandios im Bett sind. Finde eine von ihnen, eine, die nur Sex will. Ich will mehr, und ich habe mehr verdient. Ich brauche mehr. Du kannst mir nicht geben, was ich brauche, Mack. Das habe ich akzeptiert.«

Er konnte die Resignation aus ihrer Stimme heraushören, und Panik stieg in ihm auf. Sie hielt ihn nicht hin. Sie meinte es ernst. Er riss seinen Blick von ihr los und sah sich in dem großen Lagerhaus um. Es war behaglich, da den Räumen anzusehen war, dass hier jemand lebte. Und es war einzigartig. Wie Jaimie. Sie hatte Chicago, wo sie aufgewachsen waren, weit hinter sich zurückgelassen. So weit wie möglich. Sie hatte die Fehlinformation wirklich nicht in Umlauf gesetzt. Es war nicht ihr Plan gewesen. Eine andere Person hatte sie zusammengeführt. Sie hatte sich ein neues Leben aufgebaut … Auf einem Tisch stand eine Vase mit Blumen. Rosen. Rote und weiße. Jamies Lieblingsblumen.

Seine Eifersucht sprengte alle Dämme und erfüllte ihn mit bösartiger Wut, die wie ein Dämon von ihm Besitz ergriff. Mit ihrem Verschwinden hatte sie ihn umgebracht. Er war nur noch ein halber Mensch gewesen, und sie, verdammt nochmal, sie hatte einfach weitergemacht, als sei er nicht ein Teil ihres Herzens und ihrer Seele, wie es umgekehrt der Fall war.

»Lebst du hier mit irgendeinem Scheißkerl zusammen?« Er stieß die Worte mühsam durch zusammengebissene Zähne hervor.

»Die Diskussion fang gar nicht erst an. Ich habe dir doch gesagt, ich wollte eine Familie, Mack.«

»Wir waren eine Familie. Wir sind eine Familie. Es hat sich immer alles nur um uns gedreht.« Und was zum Teufel bedeutete das überhaupt? Er sah sich weiterhin in der geräumigen Etage nach Anzeichen eines anderen Mannes um.

»Erinnerst du dich noch daran, was du zu mir gesagt hast, als ich dich gefragt habe, was wäre, wenn ich schwanger würde?«

»Ich habe dir gesagt, mir sei es recht.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das hast du nicht gesagt, Mack. Erst hast du mich wütend angesehen, und dann hast du mich angefahren, ob ich schwanger sei. Als ich dir darauf keine Antwort gegeben habe, hast du gesagt, wenn ich schwanger wäre, würden wir schon irgendwie damit umgehen.«

»Eben. Das hätten wir ja auch getan.«

»Wir wären irgendwie damit umgegangen? Das hat nichts mit dem Wunsch nach einer Familie zu tun, Mack. Das heißt nur, aus einer üblen Situation das Beste zu machen. Oder, noch schlimmer, vielleicht wärst du ja damit umgegangen, indem du eine Abtreibung vorgeschlagen hättest.«

»Verdammt nochmal, Jaimie, ich würde niemals vorschlagen, dass du unser Baby wegmachst. Hast du das etwa geglaubt? Dazu kennst du mich zu gut.«

»Ich habe mir eingebildet, dich zu kennen. Ich habe mir eingebildet, wir wollten beide dasselbe von einer Beziehung. Für mich war es ein Schock, als ich dahintergekommen bin, dass ich mich geirrt habe.« Sie zuckte die Achseln. »Ich bin irgendwie damit umgegangen. Aber es ist das Beste, wenn wir nichts miteinander zu tun haben.«

»Weil wir zusammengehören.« In seiner Stimme schwang Selbstzufriedenheit mit.

»Weil wir einander nicht guttun.« Ihr Tonfall klang entschieden.

»Jaimie, bist du glücklich?« Alles in ihm erstarrte. Abwartend. Ihre Antwort würde über sein Schicksal entscheiden. Er würde das, was Jaimie hatte, nicht zerstören, falls es wirklich das war, was sie wollte. Jaimie würde niemals lügen. Es mochte zwar sein, dass sie Fragen auswich, aber es entsprach nicht ihrem Naturell, zu lügen. Er kannte sie zu gut.

Ihre Zungenspitze berührte ihre Lippe. Sie blies in ihren Tee und wich seinem Blick aus. »Du brauchst keine Familie, Mack. Es hat mich immer überrascht, dass so viele Menschen keine Familie brauchen. Ich habe mich inbrünstig danach gesehnt zu wissen, wohin ich gehöre. Deshalb habe ich mich euch ursprünglich angeschlossen und später für den Geheimdienst gearbeitet. Ich brauchte es, mich irgendwo zugehörig zu fühlen, mich als einen Teil von etwas zu empfinden. Das habe ich jetzt noch nicht gefunden, aber ich werde es finden. Wenigstens weiß ich, was mir wichtig ist, und ich werde mich darum bemühen, dass ich es bekomme.« Sie sah ihn mit einem matten Lächeln an, das ihre Augen nicht ganz erreichte. »Ich kriege das schon hin.«

Sein innerer Aufruhr legte sich. Wenn sie nicht glücklich war, hieß das, er hatte noch eine Chance. Es mochte zwar sein, dass es nur eine geringe Chance war, aber er war ein Schattengänger und ließ sich von geringen Chancen nicht abschrecken, sondern lief gerade dann zu Hochform auf.

»Ich komme zurück. Ich muss mich an die Arbeit machen, aber ich komme zurück. Falls es einen anderen Mann in deinem Leben gibt, dann schaff ihn ab. Er macht dich nicht glücklich.«

Ihre Augen blitzten wieder auf, und er fühlte die Antwort in seinen Eingeweiden. Gegen seine Reaktionen auf sie war er schon immer machtlos gewesen, und seit der Steigerung seiner übersinnlichen Anlagen war die Anziehungskraft zwischen ihnen elektrisierend. Er hatte sie noch als einen Teenager in Erinnerung, ein junges Mädchen, das nur aus Augen und Haaren und diesem prachtvollen Mund bestand. Wenn sie lächelte, konnte sie die Sonne aufgehen lassen. Nie war ihm ein anderer Mensch begegnet, der so intelligent war wie sie. Sie konnte es bei jedem Thema mit ihm aufnehmen, und ihr Verstand war so flink wie die Computer, die ihre Leidenschaft waren. Früher hatte er Stunden damit zugebracht, mit ihr zu reden, den Feuereifer auf ihrem Gesicht zu betrachten und zu wissen, dass sie ihm gehörte  – dass sie immer ihm gehören würde.

Äußerst behutsam stellte sie die Teetasse neben das Spülbecken, nicht nur, um zu verhindern, dass er sah, wie sehr ihre Hände zitterten, sondern vor allem, um ihm die Tasse nicht geradewegs an den Kopf zu werfen. »Ich lasse mich nicht noch einmal mit dir ein, Mack. Es hat mir zu viel abverlangt. Es war mir eine große Freude, euch alle wiederzusehen. Ich habe mich in diesen letzten zwei Jahren schrecklich allein gefühlt, aber ich kann das nicht nochmal mitmachen. Ich bitte dich eindringlich, mich in Ruhe zu lassen.«

Er stellte sich dicht vor sie, bedrängte sie geradezu mit seinem Körper, damit sie die Glut fühlte, die von ihm ausging, und seine harten Muskeln, die ihre weichen Rundungen streiften. »Schätzchen.« Seine Stimme war sanft, sogar zärtlich, wie sie es nur bei Jaimie sein konnte. »Du könntest mich ebenso gut darum bitten, das Atmen einzustellen.« Er nahm ihr Kinn in seine Hand und hob es, damit sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. »Bei mir bist du zu Hause, Jaimie. Ich habe es satt, ohne dich zu leben. Ich wollte nie einen anderen Menschen. Ich gehe nicht fort. Nicht, nachdem ich dich wiedergefunden habe. Mir ist egal, ob uns jemand absichtlich zusammengebracht hat. Mir ist egal, wie es dazu gekommen ist. Und versuch nicht, zu verschwinden. Tu das nicht, Jaimie. Diesmal werde ich mich auf die Suche nach dir machen, und Gott möge uns beiden beistehen, wenn ich deinetwegen einen Mann töten muss.«

Sie riss ihr Kinn aus seiner Hand zurück. »Ich hasse es, dass du dich immer wie ein Alphatier benehmen und dir ständig mit den Fäusten auf die Brust trommeln musst. Ich bin kein Knochen, um den man sich balgt.«

»Nein, du bist eine Frau, die mir alles auf Erden wert ist.«

»Das ist ja mal was ganz anderes.«

»Ich streite mich nicht mit dir. Wir haben uns weiß Gott schon oft genug gestritten. Ich habe es satt, mich mit dir zu streiten. Ich möchte nach Hause kommen.«

Sie stieß ihn vor die Brust, doch das brachte ihn nicht einmal ins Wanken. Zorn flackerte auf ihrem Gesicht auf. »Du hast dich überhaupt nicht verändert.«

»Du hast mich immer genau so, wie ich bin, geliebt, Jaimie, ob Alpha oder nicht.«

2.

KANE GING WIEDER in die Hocke. »Mir gefällt das nicht, Mack. Sie haben zwei Wachposten, die in dem Lagerhaus sitzen und Karten spielen. Ansonsten ist dort niemand. Ich kann nirgendwo sonst Wärme entdecken. Falls die Waffen wirklich dort sind, warum stehen sie dann nicht unter schwerer Bewachung? Sind wir tatsächlich bereit zu glauben, wir hätten die Fährte dieser Waffen durch drei Länder verfolgt und in all der Zeit hätten sie unter schwerer Bewachung gestanden, aber jetzt würden sie einfach unbewacht in einem Lagerhaus gleich bei Jaimie um die Ecke liegen?«

»Du sagst es.« Mack seufzte. »Das ist wirklich ziemlich schwer zu schlucken. Madigan ist ein cleverer Waffenhändler. Er würde die Doomsday-Gruppe niemals wissen lassen, wo er die Waffen hat, und er würde sie schon gar nicht irgendwo rumliegen lassen, wo sich jeder bedienen kann. Vielleicht sind wir zu spät dran.«

»Das finden wir nur raus, indem wir reingehen und nachsehen«, sagte Kane, dem deutlich anzuhören war, wie sehr ihm der Gedanke widerstrebte.

Brian robbte auf dem Bauch näher und hielt seinen Körper dabei dicht am Boden. »Gideon hat sich gemeldet. Er ist auf dem Dach. Keine Kameras, keine Wachen. Irgendetwas ist hier faul. Es gibt ein paar Alarmanlagen, die Javier mühelos entschärfen könnte.«

Mack sah in die Gesichter um sich herum. Er kannte sie alle seit ihrer frühen Jugend. Sie kannten einander und wussten, dass sie ihm in die Hölle und zurück folgen würden. Und der neue Junge. Paul. Nichts weiter als ein junger Welpe, dessen Gesicht Angst zeigte, doch seine Augen blickten entschlossen.

»Richtig, hier ist etwas faul, Brian«, sagte er zustimmend. »Jacob, du und Ethan, ihr beide bahnt euch einen Weg zur anderen Seite des Gebäudes und behaltet diese Lagerhäuser von einem Ende bis zum anderen im Auge. Haltet euch im Verborgenen, und sagt mir, ob uns Überraschungen erwarten. Wir sind hier nicht in Oz, Jungs, also bitte keine Helden. Ihr könntet da und dort auf ein paar Zivilisten stoßen. Lasst euch nicht blicken.«

»Ja, Mama, wir wissen, wie wir das anzustellen haben«, sagte Jacob.

»Es ist mein Ernst. Keine Heldentaten. Wir wissen nicht, worauf wir uns hier einlassen«, wiederholte Mack und sah beide mit festem Blick streng an.

Jacob Princeton nickte, und gleich darauf glitten er und Ethan schnell wie zwei Schlangen die Stufen hinunter, rollten sich in die Schatten und verschwanden. Mack ließ seinen Blick noch einmal über das Lagerhaus gleiten. »Kane, überprüfe sämtliche Lagerhäuser. Halte die Augen nach mehreren wie auch nach Einzelpersonen offen  – nach Wachposten oder einem Grüppchen, das sich zusammendrängt und sich für einen Angriff auf uns bereithält. Sie müssen sich irgendwo verborgen haben. Marc, du und Lucas, ihr sucht uns mindestens zwei freie Fluchtwege von hier, nach oben und über die Dächer.«

Er würde seine Männer nicht in eine Falle führen. Er würde ihnen klare Anweisungen erteilen, notfalls mit Gewalt. Aber … Er warf einen Blick auf Javier Enderman. Javier sah von ihnen allen am wenigsten wie ein Soldat aus, und doch war er vielleicht der Gefährlichste.

»Du gehst zurück zu Jaimie, Javier. Du weißt, was du zu tun hast. Es wird ihr nicht gefallen, und sie wird dir die Hölle heißmachen, aber du tötest jeden, der in ihre Nähe kommt. Lass niemanden rein oder raus. Ich brauche dir nicht zu sagen, was Jaimie mir bedeutet …«

»Was sie uns allen bedeutet«, verbesserte ihn Javier. »Sie ist auch unsere Jaimie, Mack. Ich lasse niemanden an sie herankommen.«

»Ich will deine Stimme ständig in meinem Ohr hören, Javier. Ich will, dass du mir Bescheid sagst, sowie du den leisesten Verdacht hast. Warte nicht erst, bis sich dein Verdacht bestätigt. Ich will darüber informiert werden, wenn ihr Nachbar auch nur blinzelt oder irgendwo eine Ratte auftaucht. Hast du mich verstanden?« Er wollte selbst hingehen, aber Javier würde wie Leim an Jaimie kleben, und niemand, aber auch wirklich niemand, war auf Tuchfühlung besser als Javier.

»Ich werde für ihre Sicherheit sorgen, Boss.«

»Trau keinem, nicht mal denen, die wir kennen. Wir haben einen Spitzel unter uns.«

Paul rührte sich, zog die Stirn in Falten und sah Mack finster an. »Legst du mir etwas zur Last?«

»Du bist der neue Junge, Paul, das ist alles«, sagte Mack. »Das macht dich nicht unbedingt zum Verräter. Und wenn wir alle in die Luft gesprengt werden, dann wirst du vermutlich gemeinsam mit uns draufgehen.«

Javier zwinkerte dem Jungen zu. »Das klingt jetzt nicht gerade verdammt einleuchtend, aber wenn du eine miese Ratte wärst, sähe es vielleicht anders aus.«

Paul starrte die beiden lange an. Offenbar versuchte er zu entscheiden, ob er gekränkt sein sollte oder nicht. Schließlich gab er sich anscheinend damit zufrieden, dass sie ihn nicht für den Verräter hielten. Er zuckte die Achseln. »Ich bin keine miese Ratte.«

»Das höre ich gern, Junge. Trotzdem werde ich dich ständig im Auge behalten. Ich rate dir daher, dich mir an die Fersen zu heften«, sagte Mack und zwinkerte ihm zu.

Javier schlich in die Schatten zurück und arbeitete sich auf der Feuertreppe bis nach unten auf den unebenen Bürgersteig vor. Er blieb in einer kauernden Haltung, presste sich möglichst eng an das Gebäude und ließ seinen Blick ruhelos über die angrenzenden Lagerhallen gleiten. Es gab zu viele Fenster und Türen. Seine Anspannung nahm zu, und seine Eingeweide zogen sich zusammen. Jeder Eingang stellte eine potenzielle Bedrohung dar. Das galt auch für jedes Boot, das am Kai vertäut war. Für jeden Wagen. Wohin er auch sah, ob in die Höhe oder nach allen Seiten  – überall gab es Orte, an denen sich der Feind mühelos verstecken konnte.

Stimmen ließen ihn sich noch enger zusammenkauern und erstarren. Nicht einmal atmen wollte er in der kühlen Nachtluft, damit die ausströmende Dunstwolke seinen Standort nicht verriet. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Zwei Zivilisten, Sergeant. Die beiden Männer waren älter und hatten angegrautes Haar. Anders als bei Terroristen rochen ihre schweren, abgetragenen Pullover nach Fisch und Alter, und doch hing auffallend viel Werkzeug an ihren Gürteln. An ihren Oberschenkeln konnte er Messer sehen, die in Scheiden steckten.

Das war das Ärgerliche beim Häuserkampf. Man brauchte gut entwickelte Instinkte, Nerven wie Stahl, gute Augen und eine schnelle Auffassungsgabe, damit man sich durch eine Stadt bewegen konnte, in der jeder, ob Mann, Frau oder Kind, ein potenzieller Feind sein konnte.

Spiel mir bloß nicht den Helden, Javier. Keiner von uns lässt hier sein Leben.

Macks Entschlossenheit erfüllte Javier mit Wärme. Er gab es nicht gern zu, aber sogar Macks Strafpredigten konnten ihm ein Gefühl von Dazugehörigkeit vermitteln.

Javier wartete stumm und regungslos und beobachtete, wie die beiden alten Männer über den Bürgersteig schlurften, bis sie einen Wagen erreichten. Das Fahrzeug wirkte so ramponiert wie die beiden. Er sah zu, wie sie mit stotterndem Motor durch die Straße fuhren und der Auspuff schwarze Rauchwolken ausstieß.

Hier ist alles in Ordnung. Nur zwei Zivilisten in der Kampfzone. Javier hielt sich in den Schatten, während er sich einen Weg zum anderen Ende der Lagerhäuser bahnte, zurück zu Jaimie.

Bisher hatte er gute Deckung gehabt, und um diese späte Stunde waren nur wenige Leute unterwegs. An der Mole ging es ruhig zu, doch irgendwo weiter rechts war lautstarke Musik zu hören, und Javier drang der unverwechselbare Geruch von Marihuana in die Nase. Jugendliche, vermutete er, die einen Ort gefunden hatten, wo sie abhängen konnten und es warm hatten, wenn sie nirgendwo anders eine Bleibe hatten. Er erinnerte sich noch gut an die Zeiten, in denen der Wind kühl und grausam geweht und er zu den Fenstern aufgeblickt hatte, die ihn mit Wärme und Gelächter verhöhnten, die Zeiten, in denen seine Welt so rau und er ganz allein und begierig gewesen war. Damals hatte er Steine geworfen und Scheiben eingeschlagen, wütend und hungrig nach Nahrung und Zuwendung gleichermaßen, bis Mack eingeschritten war, als sich zwei brutale Schläger an ihn angeschlichen hatten. Er hatte Mack nicht gesagt, dass die Rohlinge den Kampf verloren hätten. Er hatte nicht riskieren wollen, dass er nicht zu ihnen passte und Mack ihn verstieß.

Er hatte sich still verhalten und darauf geachtet, dass er möglichst jung und weltfremd wirkte. Er sah überdurchschnittlich gut und verbarg seine dunklen Augen doch oft hinter dicken Brillengläsern. Er war klüger als so ziemlich jeder andere gewesen, bis er Mack begegnet war. Der Mann hatte sein Leben verändert. Er hatte ihm ein Ziel gegeben und ihn vor einer Verbrecherlaufbahn bewahrt.

Er fühlte, wie sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl. Er hatte all die Dinge tun können, die er tun wollte, und zwar nun ganz legal. Natürlich hielt Mack ihn fest an der Kandarre. Und das war auch gut so. Manchmal drehte er total durch und verlor jeden Funken Verstand. Mack war immer die Stimme der Vernunft, und Aufträge wie dieser  – wenn Mack ihn dazu auswählte, Jaimie zu bewachen  – waren ein Zeichen von Hochachtung und führten nur dazu, dass er Mack noch lieber mochte als ohnehin schon.

Jetzt erreichte er das offene Gelände. Jaimie hatte ihren Standort sorgsam gewählt. Ihr Lagerhaus konnte auf einer Seite vom Wasser und auf drei Seiten vom Land aus erreicht werden. Zwei dieser drei Seiten waren so offen wie möglich. Jeder, der es auf sie abgesehen hatte, würde sich zeigen müssen. Sie konnte dort oben in ihrem Turm sitzen und hätte sie einen nach dem anderen abknallen können, wenn das ihre Art gewesen wäre, doch sie wussten alle, dass es nicht ihre Art war. Mit Sicherheit hatte sie einen Fluchtweg. Mehr als einen. Jaimie war die größte Pazifistin, die er kannte. Was sie in ihnen allen sah  – und an ihnen liebte  –, hatte er nie begriffen. Sie alle waren Kämpfer, aber wie Mack gehörte auch Jaimie zur Familie, und für seine selbst gewählte Familie wäre er durch die Hölle gegangen.

Er hielt ganz still und suchte systematisch die Gegend ab, erst die Dächer und die Fenster und dann den Bürgersteig. Zwei Männer bogen um die Ecke und blieben stehen, um sich Zigaretten anzuzünden; die Hände, die sie schützend um die Flammen hielten, verbargen ihre Gesichter im kurzen Aufflackern des Lichts, aber nicht, bevor er einen Blick auf ihre Augen erhascht hatte. Sie waren gekleidet wie Fischer, doch zwei Dinge zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. Ihre Stiefel und ihre Augen. Mit ihren Blicken suchten sie ihre Umgebung ebenso sorgfältig ab wie er, und er sah, dass sich diese Blicke mehrfach nach oben richteten, zum zweiten Stockwerk des Gebäudes, in dem Jaimie Fielding wahrscheinlich gerade einzuschlafen versuchte.

Jaimie bekommt demnächst Besuch, Mack, meldete er.

Mack fluchte leise. Kannst du es zu ihr schaffen, ohne dich zu erkennen zu geben?

Javier blickte auf die freie Fläche, die sich vor Jaimies Gebäude erstreckte, und auf die beiden Männer, die sich zwischen ihm und seinem Ziel befanden. Das ist machbar, Boss.

Wir räumen hinter dir auf, Javier. Bring keinen von uns um.

Sag den Jungs, sie sollen sich melden, ehe sie einen Fuß in Jaimies Haus setzen.

So ist es richtig. Pass bloß auf, bis Verstärkung kommt, warnte ihn Mack noch einmal.

Vorsicht wurde mir in die Wiege gelegt, Sergeant.

Javier grinste breit und ließ die beiden Männer, die Jaimies Gebäude beobachteten, nicht aus den Augen, als er seine Wendejacke rasch umdrehte. Die schwarze Bomberjacke sah jetzt aus wie eine typische Teenie-Jacke, mitsamt Kapuze. Er zog die Brille mit dem dicken schwarzen Gestell aus der Tasche und setzte sie auf die Nase. Seine MP7 mit dem Schalldämpfer stieß er unter seinen Arm, damit er leicht herankam, und aus seinem Marschgepäck zog er ein Skateboard und eine Baseballkappe. Falls ihn jemand aufhielt, würde sein Gepäck einer gründlichen Untersuchung nicht standhalten, aber er hatte nicht vor, Gefangene zu machen.

Javier setzte sich die Kappe mit dem Schirm nach hinten auf den Kopf, ließ das Skateboard auf den Gehsteig fallen und stieß sich mit einem Fuß ab, während er voranrollte. Im letzten Moment, bevor er aus den Schatten herauskam, machte er eine halbe Drehung in die Richtung, aus der die Musik schallte, und hob eine Hand. »Später!« Er stieß sich mit einem Fuß ab und rollte, sowie er in Sicht kam, geradewegs auf eine Stelle zu, an der er den beiden Männern den Weg abschneiden konnte.

Er blickte auf, als sähe er sie zum ersten Mal, und vollführte vorsätzlich eine vollendete Kombination aus Fliptrick und Shove-it, bei der er das Brett um 180 Grad drehte, landete dann wieder auf dem Brett und fuhr weiter. Es war ein relativ leichter Trick, aber er eignete sich gut zum Angeben. Die Männer wandten sich ihm zu, doch er konnte sehen, dass sie in Wirklichkeit Jaimies Gebäude beobachteten und zu den Dächern aufblickten. Das hieß, sie kauften ihm seine Rolle als Jugendlicher ab.

Als er sich den Männern näherte, waren beide sichtlich alarmiert, und einer ließ seine Hand in seine Jacke gleiten. »Verschwinde von hier, Junge«, knurrte der mit der Waffe. Der andere spuckte auf den Boden.