Schottische Disteln - Christa Canetta - E-Book
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Schottische Disteln E-Book

Christa Canetta

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Beschreibung

Ein Traummann mit Geheimnissen … Der romantische Roman »Schottische Disteln« von Bestseller-Autorin Christa Canetta jetzt als eBook bei dotbooks. Wenn der Weg zum Glück voller Steine liegt … Er gehört zu den reichsten Männern Schottlands – und wünscht sich doch nichts anderes als ein ganz normales Leben. So kommt es, dass Ryan McGregor jedes Jahr im August Edinburgh verlässt und vier Wochen lang als einfacher Schäfer seine Herde durch die raue Schönheit der schottischen Berge führt. Dort begegnet er der deutschen Fotografin Andrea – und ist vom ersten Moment an hingerissen von ihrem natürlichen Charme, ihrer Intelligenz und ihren Zukunftsplänen. Aber kann er ihr sein Geheimnis anvertrauen: Wird sie dann immer noch den ehrlichen Mann in ihm sehen oder nur noch den Millionär? Noch ahnt Ryan nicht, dass Andrea wegen ihm bald in Gefahr geraten wird … und dass es in Hamburg einen Mann gibt, der ebenfalls hofft, ihr Herz erobern zu können! Eine traumhafte Liebesgeschichte – große Gefühle in den schottischen Highlands! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Romantik-Highlight »Schottische Disteln« von Bestseller-Autorin Christa Canetta. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 424

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Über dieses Buch:

Wenn der Weg zum Glück voller Steine liegt … Er gehört zu den reichsten Männern Schottlands – und wünscht sich doch nichts anderes als ein ganz normales Leben. So kommt es, dass Ryan McGregor jedes Jahr im August Edinburgh verlässt und vier Wochen lang als einfacher Schäfer seine Herde durch die raue Schönheit der schottischen Berge führt. Dort begegnet er der deutschen Fotografin Andrea – und ist vom ersten Moment an hingerissen von ihrem natürlichen Charme, ihrer Intelligenz und ihren Zukunftsplänen. Aber kann er ihr sein Geheimnis anvertrauen: Wird sie dann immer noch den ehrlichen Mann in ihm sehen oder nur noch den Millionär? Noch ahnt Ryan nicht, dass Andrea wegen ihm bald in Gefahr geraten wird … und dass es in Hamburg einen Mann gibt, der ebenfalls hofft, ihr Herz erobern zu können!

Eine traumhafte Liebesgeschichte – große Gefühle in den schottischen Highlands!

Über die Autorin:

Christa Canetta ist das Pseudonym der deutschen Journalistin und Autorin Christa Kanitz (1928–2015). Sie studierte Psychologie und lebte in der Schweiz und Italien, bis sie sich in Hamburg niederließ. Sie arbeitete für den Südwestfunk und bei den Lübecker Nachrichten; 2001 begann sie in einem Alter, in dem die meisten Menschen über den Ruhestand nachdenken, mit großem Erfolg, Liebesromane und historische Romane zu schreiben.

Von Christa Kanitz erschien bei dotbooks der Roman »Die Liebe der Kaffeehändlerin«. Unter ihrem Pseudonym Christa Canetta veröffentlichte sie bei dotbooks »Eine Liebe in Frankreich«, »Das Leuchten der schottischen Wälder«, »Schottische Disteln«, »Die Heideärztin« und »Die Heideärztin unter dem Kreuz des Südens«.

Ebenfalls bei dotbooks erschienen die Romane »Jenseits der Grillenbäume« und »Im Land der roten Erde« aus dem Nachlass von Christa Kanitz: Zwei unvollendete Romane, denen ihre Töchter – darunter die erfolgreiche Autorin Brigitte D’Orazio – gemeinsam den letzten Schliff verliehen und die unter dem Namen von Christa Kanitz‘ Enkeltochter Virginia veröffentlicht wurden.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2014

Copyright © der Originalausgabe 2005 Moments in der area verlag GmbH, Erftstadt

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Fandorina Liza, Shutova Elena, NaKornCreate und AdobeStock/Helen Hotson

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95520-471-6

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Christa Canetta

Schottische Disteln

Roman

dotbooks.

Ich danke Birgit Grenz und Monika Wendt für ihre freundliche Unterstützung und meinen Töchtern Christine, Ulrike und Brigitte für ihre Geduld, ihre Hilfe und ihre Toleranz.

Christa Canetta

Kapitel 1

Ryan McGregor kletterte auf den Anleger, vertäute sein Boot und packte das Angelgerät und den Eimer mit den Fischen auf die Planken. Mit wildem Gebell kamen seine schwarzweißen Kurzhaarcollies den Abhang heruntergestürmt, um sich mit wedelnden Ruten Streicheleinheiten zu holen. Ryan tätschelte die Köpfe, kraulte hinter den Ohren und versetzte jedem einen Klaps auf das kräftige Hinterteil.

»Ab mit euch, ihr sollt die Schafe hüten, nicht mich.«

Kläffend rannten die beiden zurück über den Hügelkamm. Von der Herde war nichts zu sehen, nur ein entferntes Blöken verriet die etwa zweihundert Tiere auf der anderen Seite der Erhebung. Ryan schob den breitrandigen Barbourhut in den Nacken, nahm seine Geräte und die Fische und lief hinter den Hunden her. Im Westen ging die Sonne über dem Moray Firth und den Hügeln der Black Isle unter und warf den langen Schatten des Mannes über die erblühende Heide.

August in den nördlichen Highlands von Schottland, das bedeutete violette Farbenpracht so weit das Auge reichte. Ryan liebte dieses Land. Er konnte sich nicht vorstellen, jemals weit entfernt von hier zu leben. Der würzige Wind vom Nordmeer, die duftenden Blüten zu seinen Füßen, der kräftige Kieferngeruch der Bergwälder im Süden und das wunderbare Gefühl absoluter Ruhe, wenn er mit dem Boot draußen war, das war sein Leben. Jedenfalls für vier Wochen im August. Ryan McGregor war ein hoch gewachsener Mann. Seine schmalen Schultern und der durchtrainierte Körper verliehen ihm das Aussehen eines aktiven Sportlers. Er hatte ein gut geschnittenes Gesicht mit einem offenen, aber sehr wachsamen Blick. Seine Augen waren von einem intensiven Blau, und sein volles blondes Haar fiel ihm jungenhaft und struppig ins Gesicht, als er den Hut abnahm und mit beiden Händen hindurchfuhr. Dennoch sah man ihm seine fast fünfzig Jahre an. Schuld waren die Falten, die sein Gesicht durchzogen, Folgen harter Arbeit und des Lebens in Sonne und Wind.

Ryan sah zurück zur Förde. Er liebte das Angeln. Schon als kleiner Junge kannte er nichts Schöneres, als mit dem alten Scott hinauszufahren und Fische zu fangen. Während er weiterging, dachte er an die vielen Stunden zurück, die er mit dem Fischer auf dem Firth verbracht hatte und in denen er gelernt hatte, Leinen zu werfen, die Beute einzuholen und den Kescher zu gebrauchen. Scott hatte ihm gezeigt, wo die Meerforellen in den verschiedenen Jahreszeiten standen, wo die wilden Lachse wanderten, wann und wo sie laichten und welchen Köder man benutzen musste. Später, als Heranwachsender und als es den alten Mann nicht mehr gab, fuhr er allein hinaus, und das war fast noch schöner, denn er liebte die Einsamkeit. Er fing niemals mehr Fische, als er brauchte, wobei er behutsam die kleinen heranwachsenden Tiere vom Haken löste und zurück ins Wasser warf. Auch heute brachte er nur vier Fische mit. Zwei Forellen waren sein Abendessen, die beiden Lachse würde er räuchern, denn sein Vorrat an Räucherfisch war zu Ende.

Oben am Hügelrand tauchte der Giebel seines Hauses auf. Er hatte es hoch anlegen müssen, denn das Meer war unberechenbar, und wenn der Wind direkt von Nordost in die Förde drückte, konnte das Wasser erschreckend hoch steigen. Dann musste er sogar sein Boot mit dem Jeep den Hügel hinaufziehen und oft genug einen neuen Steg bauen, wenn der Sturm abgeflaut war.

Je höher er kam, umso mehr sah er von seinem Haus. Es war aus den grauen Granitsteinen dieser Gegend gebaut und fast unsichtbar in einer Landschaft, die von diesen Felsen geprägt war. Er dachte daran, wie er es entworfen hatte und wie enttäuscht der Baumeister war, weil es so klein und schlicht werden sollte.

Ryan legte seine Sachen ab, zog die Gummistiefel aus und ging hinein. Zwei Drittel des Erdgeschosses nahm die große Wohnhalle ein, links davon war die Küche. Eine schmale Treppe führte nach oben. Ein geräumiges Schlafzimmer und das Bad im Dachgeschoss, mehr brauchte Ryan nicht. Zufrieden blickte er sich um. Ein großer Kamin versorgte alle vier Räume mit Wärme, und ein mühsam über Land gezogenes Kabel brachte den Strom. Er hatte das Haus nach seinen Plänen bauen lassen, als nach dem Tod des Fischers die alte Holzhütte einzustürzen drohte. Nun besaß er genau das Haus, von dem er immer geträumt hatte. Er nahm den Hut ab, hängte die Anglerweste mit den zahllosen Taschen an den Haken und ging in Strümpfen zum Kamin, um Feuer zu machen. Die Wohnhalle mit dem gefliesten Boden und den dicken Schafwollteppichen war der gemütlichste Raum, den er sich vorstellen konnte. Alte Bauernmöbel, bequeme Ohrensessel, ein Regal mit Büchern, ein vergilbter Spiegel in geschnitztem Rahmen, ein paar Bilder mit Moorlandschaften und die vielen handgewebten Kissen, die überall verteilt waren, garantierten die Geborgenheit, die er immer schon gesucht hatte.

Die kleine Küche neben der Halle verbarg hinter ihrem rustikalen Stil modernste Technik und bot Platz für einen großen Holztisch, an dem mindestens acht Personen essen konnten. Aber Ryan legte keinen Wert auf Gäste, und so saß er meist allein am Tisch, den er zugleich als Arbeits- und Schreibtisch nutzte.

Ryan sah nach dem Feuer, legte Holz nach und holte den Eimer herein. Er nahm die Fische aus, bestreute sie mit Salz, legte die Forellen auf den Teller und ging mit den Lachshälften nach draußen. Etwas entfernt vom Haus hatte er sich seinen Räucherofen gebaut. Etwas Holz, etwas Torf und verschiedene Wildkräuter – er wusste genau, welchen Geschmack der Fisch haben sollte. Als die helle Flamme zusammengefallen war und die glimmenden Reste ihren würzigen Duft entwickelten, hängte er die Fischhälften in den Rauch und verschloss den Ofen.

Kühl war es geworden, und die Dämmerung senkte sich herab. Ryan ging ins Haus, nahm eine Wollmütze und den dicken Pullover vom Haken und lief hinter dem Haus hinunter in die Mulde, in der die Schafherde inzwischen ihr Nachtquartier bezogen hatte. Wiederkäuend lagen die Tiere im eingezäunten Pferch und hoben kaum die Köpfe, als Ryan kam und das Gatter verschloss. Er lobte die Hunde, die bestens abgerichtet diese Arbeit allein erledigt hatten, und kontrollierte den Zaun.

»Ajax, Bella, auf geht's nach Hause.«

Darauf hatten die beiden nur gewartet. Um die Wette rannten sie mit ihm zurück zum Haus. Die Hunde kannten das Ritual, tollten kläffend um ihn herum, sprangen an ihm hoch, warfen ihn fast um und warteten bellend vor der Tür, bis er die Stiefel ausgezogen hatte.

»Na los, kommt schon.« Er holte das Futter aus dem Kühlschrank, gab heißes Wasser dazu, um es zu erwärmen, und stellte den Hunden die Näpfe hin. Bevor er die Wasserschüsseln für sie gefüllt hatte, war das Futter schon verschlungen.

Ryan sah zu, wie sie das Wasser aufnahmen und sich auf ihren Decken in der Nähe des Kamins zusammenrollten. Dann erst zog er sich selbst aus, wusch die Hände und begann, sein eigenes Essen vorzubereiten. Die Forellen wurden mit Wildkräutern, die um das Haus herum in Hülle und Fülle wuchsen, und mit Zitronenscheiben gefüllt und in den Backofen geschoben. Ein paar Kartoffeln in den Topf und eine Flasche Bier auf den Tisch: Das Abendessen würde köstlich schmecken.

Während sich draußen die Dunkelheit ausbreitete, wurde es drinnen warm und gemütlich. Ryan hatte sich nach dem Essen die Pfeife angesteckt, ein Glas Whisky eingeschenkt und sich im Sessel ausgestreckt. Er genoss die absolute Stille, die ihn umgab. Wenn er Gesellschaft suchte, fuhr er in den Pub von Dyke. Dort konnte er mit den Fischern aus Findhorn und den Schäfern vom Culbin Forest, mit Waldarbeitern und Whiskybrennern aus Kintessack fachsimpeln und diskutieren. Da ging es um Wollpreise und Aufforstung, um Wasserreinheit für die Brennereien und Fangquoten für die Fischer, um Highlandspiele und um Frauen, ums Wetter natürlich und um die Königsfamilie, die derzeit Ferien auf Balmoral Castle machte. Ryan lächelte in Erinnerung an die Abende, an denen es manchmal ganz schön heiß herging, wenn keiner von seiner Meinung abweichen wollte und Scottish Ale reichlich floss. Er fühlte sich wohl in der Runde, er wurde akzeptiert, als einer der ihren angesehen, und die Männer nannten sich beim Vornamen. Er hoffte, dass es immer so bleiben würde. Für sie war er Ryan McGregor und niemand sonst.

Er wollte gerade aufstehen, um sich Eiswürfel für einen zweiten Whisky zu holen, als die Hunde die Köpfe hoben, die Ohren aufstellten und bellend zur Tür stürmten. Ryan stand auf und rief die großen Tiere zurück. Er hörte jetzt auch die Männerstimmen vor dem Haus. Bevor er öffnen konnte, wurde kräftig an die Tür geklopft, und dann sah er im Schein der Hoflaterne sieben seiner Pubfreunde aus Dyke in der Dunkelheit stehen.

»Wo kommt ihr denn her?« Ryan öffnete die Tür weit und rief: »Kommt herein, aber lasst die Schuhe draußen, sonst kriege ich Krach mit Linda, wenn sie zum Putzen kommt.«

Lachend, einander stützend, aber auch einander schubsend, wurden Stiefel ausgezogen und Schnürriemen gelöst. Es war nicht zu übersehen, dass einige der Männer nicht mehr ganz sicher auf den Beinen waren. Ryan beruhigte die Hunde, die sich knurrend, aber gehorsam auf ihre Decken legten, und holte zusätzliche Stühle aus der Küche.

»Hier, ich habe Bier mitgebracht.« Sogar Billy, der Wirt war mitgekommen. Stöhnend wuchtete er den Kasten durch die Tür. Er war rothaarig und klein, und seine Gesichtshaut war schlaff und bleich, weil er selten seine Gaststube verließ. Mit dem dicken Bierbauch bewegte er sich schwerfällig zu einem bequemen Sessel. »Gläser hast du doch hoffentlich selbst.«

Ryan, noch immer überrascht von dem unerwarteten Besuch, ging in die Küche, holte ein paar Zinnkrüge und aus der Speisekammer frisches Brot und einen Topf mit hausgemachter Wurst und brachte alles in die Halle. Hier wurde eine Diskussion, die ihren Ursprung wohl im Pub gehabt hatte, lautstark weitergeführt.

»Was ist überhaupt los, worüber streitet ihr?«, wollte er wissen.

»Na, über das Highlandfest in Inverness, ist doch klar.«

»Und was gibt es da zu streiten?«

»Wer was machen soll, das muss doch geregelt werden«, erklärte Tim, ein bulliger Viehzüchter mit einer beachtlichen Alkoholfahne. Breitbeinig stand er in der Mitte der Halle und schob die Daumen unter die Hosenträger. Die grünen Socken waren ihm über die Knöchel gerutscht, die Leinenhose war zu kurz, und das bunt karierte Baumwollhemd drohte über dem Bauch zu platzen.

»Keiner will auf den Trödelmarkt, alle wollen nur bei den Wettbewerben und bei den Spielen mitmachen.«

»Dafür haben wir schließlich trainiert. Ich stell mich doch nicht als Marktweib in eine Bude!«, rief einer der Männer.

»Ich hab mit den Schafen und den Hunden seit März geübt«, sagte ein anderer.

»Ich muss meine Welpen vorführen. Dieses Jahr kriege ich bestimmt einen Preis«, hieß es weiter.

»Und ich bin ein As im Stämmewerfen, das wisst ihr ganz genau. Wenn einer einen Preis für unsere Gegend holt, dann bin ich das«, ließ sich ein vierter Mann vernehmen.

»Ruhe! Seid mal ruhig, wartet, bevor ihr euch die Köpfe einschlagt.« Ryan stellte sich in die Mitte und hob beschwörend die Hände. »Erklärt mir jetzt mal, um was es geht. Ich hole einen Block, und dann schreiben wir auf, wer was macht.«

Er drehte sich um. »Los Billy, du bist der Erste.«

»Ich habe die Imbissbude mit den besten Fish and Chips. Nirgendwo gibt's bessere. Das ist mein Job, und das mache ich an beiden Tagen.«

»Steve?«

Ryan sah den kleinen unscheinbaren Mann an, der bei weitem der Intelligenteste von allen war.

»Ich bin Richter bei den Tartan-Entscheidungen. Wir kontrollieren die neuen Schottenmuster und beschließen, ob sie zugelassen werden. Das mache ich seit Jahren, da bin ich Spezialist.«

»Gut, weiter. Donald?«

»Ich habe fünf Schafe und einen Hund für die Hirtenspiele trainiert, das hat Monate gedauert.«

»Bob, was machst du?« Ryan sah den Hünen an, der seine Ärmel hochgekrempelt hatte und seine Muskeln spielen ließ.

»Ich bin der beste Werfer – also, legt euch nicht mit mir an.«

Ryan dachte zurück an Spiele in vergangenen Jahren, die er an anderen Orten gesehen hatte. Es war für ihn unbegreiflich gewesen, mit welcher Leichtigkeit die schwergewichtigen Männer mit den Baumstämmen hantiert hatten. »Also gut, du wirfst die Stämme. Und du Dick?«

»Ich hau den Lukas, dass der Bolzen beim Mond ankommt.«

»Angeber. Letztes Jahr hast du einen Hexenschuss gekriegt, da war außer großen Tönen nichts von dir zu hören!«, rief Bob dazwischen.

Die Stimmen wurden lauter, der Streit schien auszuufern. Ajax und Bella zogen sich knurrend in die Küche zurück.

»Leute, beruhigt euch. Wir finden eine Lösung. Warum muss überhaupt einer auf den Trödelmarkt?«

»Ist Tradition.«

»Weshalb schickt ihr nicht eure Frauen?«

»Ist Männersache. Auf dem Highlandmarkt dürfen nur Männer verkaufen.«

»Ist auch eine Art Wettbewerb.«

»Und was wird verkauft?«

»Mensch, Ryan, einfach alles«, erklärte Charly, mit seinen achtzig Jahren der Älteste von den Männern. »Kitsch und Kunst und Krempel. Wir sammeln im ganzen Landkreis. Das machen die Frauen, die sind schon seit Wochen unterwegs und stöbern durch Schuppen und Keller und Böden und Scheunen. Da kommt 'ne Menge Kram zusammen, das sag ich dir.«

Ryan sah den alten Mann an. »Warum übernimmst du nicht den Verkauf?«

»Ich hab doch die neuen Welpen. Wenn ich dieses Jahr einen Preis für meine Zucht kriege, kann ich sie bestens verkaufen. Ich brauche das Geld für ein neues Dach. Meine Emma schmeißt mich raus, wenn's diesen Winter wieder durchregnet.«

»Das seh ich ein. Wer bleibt also noch für den Trödelmarkt?«

Ryan sah sich um. Und was er sah, gefiel ihm nicht. Alle blickten mit glänzenden Augen auf ihn, der Streit war vergessen.

»Na, du natürlich!«, hieß es im Chor.

Erschrocken hob Ryan die Hände. »Nein! Das kommt nicht infrage. Da ist noch Ronald, warum macht er es nicht?«

»Ich bin in der Dudelsackkapelle, ich muss spielen, von morgens bis abends.«

Ryan schüttelte den Kopf. »Unmöglich, ich kann mich da nicht hinstellen. Das geht einfach nicht.«

»Bist du unser Freund, oder bist du's nicht?«

»Was spricht dagegen, Mann! Einen Tag kannst du doch mal opfern.«

»Jetzt kannst du zeigen, ob du zu uns gehörst. Du bist sowieso immer nur im Sommer hier, aber für uns ist es trotzdem so, als ob du hier geboren wärst. Nun zeig mal, dass du dazugehörst.«

Ryan fühlte sich überrumpelt. Kalter Schweiß brach ihm aus. Unmöglich, dachte er. Das kann ich nicht tun. Zu den Highlandspielen kamen die Menschen aus ganz Schottland angereist. Nicht auszudenken, wenn ihn Leute sahen, die ihn kannten, die ihn aus seinem anderen Leben bestens kannten. Er auf dem Trödelmarkt – er sah schon die Schlagzeilen in der Presse und hörte, wie sich alle die Mäuler zerrissen.

Unmöglich, dachte er wieder. Aber wie sollte er das seinen Freunden hier klar machen? Er konnte natürlich wegfahren. Einfach verschwinden, aber er wusste auch, dass er dann niemals wieder hierher kommen konnte. Er würde den schönsten Teil seines Lebens aufgeben, vier Wochen, auf die er sich ein ganzes Jahr lang freute. Die Gruppe um ihn herum war still geworden. Alle sahen ihn an. Ihre Augen schienen ihn förmlich zu durchbohren, erwartungsvoll, ihres Sieges schon sicher, denn sie hatten genau das getan, was Erfolg versprach: Sie hatten an seine Ehre appelliert und ihre Freundschaft in die Waagschale geworfen. Er konnte sie nicht enttäuschen, aber er konnte sich auch nicht auf den Trödelmarkt stellen. Er brauchte erst einmal Zeit zum Überlegen, zu viel hing für ihn von seiner Entscheidung ab.

»Lasst mir mal Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen.«

»Viel Zeit hast du aber nicht.«

»Wann sind die Spiele?«

»In einer Woche. Sie sind in diesem Jahr von Ende September auf Mitte August vorgezogen worden.«

»Wegen des Wetters. Wir hatten zuletzt immer Regen im September.«

Deshalb also hatte er die Spiele noch nicht miterlebt. Jetzt wurde ihm so manches klar. »Wer hat denn in den anderen Jahren den Verkauf übernommen?«

»Tom aus Auldearn. Aber dem ist die Frau gerade gestorben, der fällt weg.«

Ryan nickte. »Und sonst gibt es keinen unter all den Männern hier im Landkreis?«

»Du weißt doch, dass wir für unsere Gegend zuständig sind. Wir haben die Verantwortung, wir wurden gewählt. Ist nun mal so Tradition, also lass uns nicht hängen.«

»Ich überleg's mir. Mehr kann ich heute nicht sagen.«

»Okay. Aber in zwei Tagen müssen wir es wissen. Kommst du in den Pub, oder müssen wir dir wieder auf die Pelle rücken?«

»Ich komme in die Kneipe. Abgemacht.«

Erst jetzt drängten sich die Männer um Brot und Wurst, füllten die Krüge mit Bier und ließen sich gemütlich nieder. Die Hunde kamen aus der Küche und rollten sich wieder auf den Decken zusammen, Ryan legte Holz nach, denn der Abend versprach noch lang zu werden.

Kapitel 2

Andrea genoss das schöne Wetter. Sie hatte sich am Bootsanleger einen Liegestuhl gemietet und nutzte ihre Mittagspause zum Sonnenbad. Unter ihr plätscherten die Wellen der Außenalster gegen den Steg, und von weit her hörte sie die Kommandos eines Trainers, der mit seiner Rudermannschaft übte. Sie blinzelte in den Himmel, beobachtete eine ferne Wolkenwand und träumte vor sich hin.

Sie war schon immer eine Träumerin gewesen. Als Kind stellte sie sich große Hunde vor, die sie auf den langweiligen Spaziergängen mit den Eltern begleiteten. Sie gehorchten nur ihr und schützten sie mit dumpfem Knurren vor fremden Menschen. Einer gelben Dogge und einem gestromten Greyhound gab sie dabei den Vorzug. Andrea lächelte bei dem Gedanken an diese endlosen Spaziergänge im Hamburger Stadtpark. Als Teenager träumte sie von Pferden. Sie sah sich als Topreiterin jeden Wettkampf gewinnen, weil sie das schnellste und schönste Pferd besaß. Herrliche, aufregende Träume waren das gewesen, wenn sie sich abends mit ihnen unter der Bettdecke verkroch, weil die Mutter das Lesen verboten und die Lampe gelöscht hatte.

Behaglich räkelte sich Andrea in ihrem Liegestuhl und dachte zurück an die Abenteuer, die sie in ihren Träumen erlebt hatte. Mit zwanzig träumte sie von anderen Pferdestärken. In einem Wohnmobil ihrer Fantasie durchstreifte sie die Welt vom Nordkap bis Sizilien, von Gibraltar bis Wladiwostok.

Heftige Wellen klatschten plötzlich gegen die Planken. Andrea richtete sich auf und nahm ihre Tasche auf den Schoß, damit sie nicht nass wurde. Ein Ausflugsschiff glitt vorbei und versetzte das Wasser in Unruhe. Sie sah auf die Uhr. Fünfzehn Minuten noch, dann musste sie zurück ins Atelier. Im Westen war die Wolkenwand ein ganzes Stück näher gekommen. In einer Stunde würde es ein heftiges Gewitter geben.

Mit einem Seufzer des Behagens legte sich Andrea wieder zurück und träumte weiter: von der Karriereleiter, die sie mit fünfundzwanzig erklimmen wollte, und von dem Mann, den sie sich ein paar Jahre später erträumte. Einzigartig und dunkelhaarig musste er sein, gebildet, treu und charmant. Niveau, Geld und Humor würde er haben, und natürlich sollte er sie auf Händen tragen. Ach, diese Träume! Andrea setzte sich und rieb sich die Augen, in die etwas Sonnenöl gezogen war. Es wurde Zeit zurückzugehen.

Auch andere Sonnenanbeter standen auf. Man lachte und winkte sich zu, man kannte sich allmählich. Andrea brachte ihren Liegestuhl zurück, nahm die Tasche und stieg die Treppe zur Straße hinauf. Ein letzter Blick über das Wasser und hinüber zur Innenstadt, über der sich die Wolkenwand jetzt ausbreitete, dann ging sie in Richtung Mittelweg davon. Andrea dachte daran, was aus ihren Träumen geworden war. Ein kleines bisschen wenigstens hatten sie sich erfüllt. Zwölf Jahre lang besaß sie einen Hund, keinen großen, im Gegenteil, einen kleinen, eigenwilligen Dackel mit Namen Flöckchen. Furcht einflößend war der nicht, aber sehr liebenswert. Auch der Traum vom Pferd erfüllte sich: Sie durfte reiten lernen, weil ihr Vater einen Reitlehrer kannte und der Unterricht nichts kostete. Andrea lachte, als sie daran dachte. Das beste Pferd bekam sie nie, aber der dicke, stichelhaarige Sico, den jeder für ein Brauereipferd hielt, war treu. Er trug sie sicher, wenn auch langsam durchs Gelände und zurück in den Stall. Der Hafer war sein Wegweiser.

Ja, und die Weltreisen im Wohnmobil wurden auch Wirklichkeit, zum Teil jedenfalls. Passend zu ihrem alten gebraucht gekauften Morris Mini besorgte sich Andrea ein Minizelt aus zweiter Hand und fuhr mal in den Norden bis nach Dänemark und mal nach Süden bis zum Harz. Ja, und dann war da noch das Jahr als Aupairmädchen in den USA. Sie lernte Englisch und verliebte sich in den rot gelockten Sohn des Hufschmieds, der auf der Farm die Pferde beschlug. Ach Gott, war das lange her! Mit dem Traummann hatte der wirklich keine Ähnlichkeit.

Na ja, und auf der Karriereleiter kletterte sie immer noch. Sie sah auf die Uhr. Verflixt, sie war spät dran. Rasch legte Andrea eine Joggingstrecke ein, sonst konnte sie leicht von der Karriereleiter fallen. Atemlos erreichte sie kurz darauf das Atelier der Reinickes.

»Hallo Jens, was gibt es Neues?«

»Außer dem Sonnenbrand auf deiner Nase nur ein paar Aufträge für das Wochenende. Inken hat sie notiert.«

Andrea ging nach hinten zur Chefin.

»Du hast gut zu tun in den nächsten Tagen«, begrüßte diese ihre Angestellte und gab ihr die Terminliste.

Andrea las laut vor. »Eine Hochzeitsparty heute Abend, die Military morgen – meine Güte, da muss ich ja um vier Uhr aufstehen«, stöhnte sie. »Dann auch noch eine Taufe am Sonntag.« Sie faltete die Liste zusammen. »Da fange ich am besten gleich mit den Vorbereitungen an.«

Inken nickte und wandte sich wieder den Papieren auf ihrem Schreibtisch zu.

Andrea freute sich. Wochenendtermine brachten zusätzlich Geld, und das konnte sie dringend gebrauchen. Während sie ihr winziges Büro aufsuchte, dachte sie an ihre beruflichen Anfänge. Bis zum Abitur wusste sie eigentlich nicht, wozu sie Lust hatte. Sie träumte von einer Tierarztpraxis, aber dafür fehlte das Geld. Auch Innenarchitektur hätte ihr Spaß gemacht, aber die Konkurrenz war in Hamburg zu groß. Schließlich entschloss sie sich für Fotografie. Die Ausbildung sollte nicht ewig dauern und das Geld eines Tages reichlich fließen – jedenfalls träumte sie davon.

Sie hatte Glück und bekam eine Lehrstelle im Rosen-Atelier am Mittelweg. Den Namen bezog die kleine, aber feine Werkstatt von dem Haus, in dem sie untergebracht war. Eigentlich war es ein Hinterhofhaus, aber die Reinickes bezeichneten es etwas vornehmer als Gartenhaus. Es war von Kletterrosen überwuchert.

Jens und Inken Reinicke, beide in den Fünfzigern, waren ein sehr bekanntes Fotografenehepaar aus Schleswig, die sich in Hamburg einen hervorragenden Namen gemacht hatten. Sie beschäftigten drei Angestellte und boten regelmäßig einem Lehrling eine Ausbildung an. Andrea bekam die Lehrstelle, weil sie sich verpflichtet hatte, auch nach der Ausbildung zu bleiben, um dann eine gravierende Lücke im Angebot des Ateliers auszufüllen. Spezialität der Werkstatt waren Porträtaufnahmen, Modefotografie für Hochglanzzeitschriften sowie Speisenarrangements für Kochbücher mit gehobenem Niveau. Was das Atelier nicht anbieten konnte, waren Termine außer Haus. Die sollte Andrea übernehmen, dafür wurde sie ausgebildet. Andrea willigte gern ein. Die Atelieraufnahmen langweilten sie, und da sie niemals das Geld für ein eigenes Studio haben würde, begegnete sie wenigstens auf diese Art interessanten Menschen. Dass sie dafür viele Wochenenden opfern musste, störte sie nicht.

Sie räumte ihren Schreibtisch auf, suchte die nötigen Straßenpläne zusammen und sortierte ihre Fotoausrüstung. Gut, dass die Apparate inzwischen so handlich geworden waren, man musste nicht mehr die großen Koffer herumschleppen und konnte trotzdem gute Arbeit leisten. Natürlich ging Andrea mit der Zeit und benutzte inzwischen auch Digitalkameras. Doch trotz aller Vorteile der modernen Technik griff sie oft zu ihrer bewährten Spiegelreflex. Dann ging sie hinüber ins Labor, um Holger zu bitten, am Montag als Erstes die Fotos zu entwickeln, die sie auf traditionelle Art geschossen hatte. Nach so einem arbeitsreichen Wochenende war sie immer sehr nervös und auch ängstlich und konnte es kaum erwarten, die Resultate ihrer Arbeit zu sehen. Die Digitalfotos prüfte sie normalerweise schon einmal zu Hause an ihrem PC.

Holger war der Techniker im Atelier. Der kleine Mann, fast schon im Rentenalter, war der eigentliche Künstler in diesem Studio. Er hatte ein angeborenes Talent für Bilder und machte aus den Fotografien jene Kunstwerke, die dem Atelier den guten Ruf einbrachten. Ganz gleich, ob er daran in der Dunkelkammer oder am Computer arbeitete. Er verehrte Andrea. Wenn sie plötzlich in der Tür stand, ging für ihn die Sonne auf. Selbst die Dunkelheit eines verregneten Nachmittags brachte sie zum Leuchten – jedenfalls kam es ihm heute so vor.

»Was für Aufnahmen werden das sein?«

»Innenaufnahmen einer Hochzeitsfeier, Fotos von der Vielseitigkeitsreiterei und Bilder von einer Taufe, da habe ich bestimmt Belichtungsschwierigkeiten. Ich darf keinen Blitz benutzen, damit das Baby nicht schreit.«

»Ich denke, das kriegen wir hin, Andrea, machen Sie sich keine Sorgen.«

»Ich weiß, und danke, Holger. Also dann bis Montag.«

»Trotzdem ein schönes Wochenende.«

»Ab Sonntagmittag habe ich frei. Vielleicht fotografiere ich ein paar Blumen in den Wallanlagen. Ich muss mir neue Glückwunschkarten basteln, die im Geschäft werden alle paar Wochen teurer.«

»Ich habe neulich welche gesehen, das Stück für zwei Euro, ist doch der helle Wahnsinn«, nickte Holger.

»Wenn Sie wollen, mache ich wieder welche für Sie mit.«

»Das wäre schön. Meine Frau und meine Freunde sind ganz wild danach, manche sammeln sie sogar und sagen, die seien zu schade zum Verschicken.«

»Also abgemacht. Tschüs, bis nächste Woche.«

Sie ging zurück in ihr Büro, froh, dem begabten Mann eine Freude gemacht zu haben. Sie wusste genau, was seine Arbeit für sie bedeutete. Immerhin würden ihre Fotos unter seinen Händen zu kleinen Kunstwerken werden.

Draußen war es fast dunkel. Das Gewitter hatte die Stadt erreicht, und der Regen prasselte gegen die Scheiben. Andrea nahm ihre Sachen, rief »Tschüs Inken, Tschüs Jens« und lief über den Hof durch die Toreinfahrt des Vorderhauses und hinüber zur Bushaltestelle. Die beiden winkten ihr nach. Sie mochten Andrea. Sie hatte frischen Wind in das Studio gebracht. Mit ihrem Lächeln bezauberte sie mürrische Kunden und quengelige Kinder, und auch unter den Mitarbeitern sorgte sie für gute Laune, wenn die Arbeit mal nicht so lief, wie sie sollte. Hoffentlich konnten sie sie noch eine Weile behalten. Ihnen war zwar klar, dass sich Andrea mehr wünschte als ein Angestelltenverhältnis in einem kleinen Fotoatelier. Sie wussten aber auch, dass Andrea selbst ihr Ziel noch nicht kannte, und das war gut so.

Andrea war wütend. Wie jeden Tag stand sie vor der Haustür und suchte ihr Schlüsselbund, das sich, wie üblich, in der letzten Ecke ihrer Tasche verkrochen hatte. Heute war das besonders schlimm, denn der Wind peitschte den Regen in schrägen Schnüren fast waagerecht durch die Straße, und das winzige Glasdach über der Haustür, lächerliche Spielerei eines Architekten, bot überhaupt keinen Schutz. Außerdem musste sie die Post aus dem Briefkasten nehmen, bevor das Papier völlig durchnässt war. In einem Anfall von Experimentierfreudigkeit hatte die Hausverwaltung die achtzehnteilige Kastenanlage außen in die Hauswand integriert, ein Schwachsinn, der nicht nur die Kästen, sondern auch deren Inhalt jedem Wetter aussetzte. Endlich hatte sie das Schlüsselbund, stopfte die Post in ihre Tasche und öffnete die Haustür. Der Schirm war verbogen und ließ sich nicht mehr schließen, vom Kostüm tropfte das Wasser, und die Frisur war auch hinüber. Und das an einem Freitagnachmittag! Während sie auf den Lift wartete, überlegte Andrea, wie sie sich wieder in Form bringen konnte, bevor sie die Wochenendtermine in Angriff nahm. Endlich kam der Lift. Als sie in der dritten Etage ausstieg, hinterließ sie eine beachtliche Pfütze auf dem genoppten Boden. Vor der Wohnungstür ließ sie Schuhe und Schirm stehen und ging auf Strümpfen hinein. Der empfindliche Teppichboden nahm ihr jede Unachtsamkeit übel.

Sie zog sich aus, und während sie das Haar frottierte, sah sie in den Spiegel. Mit dreißig sollte man eine ruhigere Gangart einschalten, überlegte sie. Bald schon würde der Stress seine Spuren hinterlassen. Sie beugte sich nach vorn und suchte nach ersten Fältchen und glanzloser Haut, aber noch war es nicht so weit. Ihr Teint war in Ordnung, ihre großen, grauen Augen waren klar und lebendig, die Lippen gut geformt und die Nase schmal und richtig proportioniert. Es war ein junges Gesicht, das sie ansah, fein geschnitten und unverbraucht. Sie lächelte, und das Gesicht im Spiegel lächelte zurück. Es war ein offenes Lächeln und sie wusste um seine Wirkung. Andrea, hoch gewachsen und schlank, war nur mit ihrem Haar nicht zufrieden. Es war mittelbraun, zu fein und besaß nicht eine einzige Locke. Es war schwer zu frisieren, und so ließ sie es lang wachsen, um es bei offiziellen Anlässen hochstecken zu können. In der Freizeit trug sie es als Zopf oder als Pferdeschwanz, was ihr in ihrem Alter zwar albern vorkam, sie aber jung und unbekümmert aussehen ließ.

Andrea besah sich ihre Garderobe. Groß war die Auswahl nicht, aber sie musste sich heute Abend dem Fest im Atlantik-Hotel entsprechend anziehen. Nacheinander zog sie die Sachen heraus und schüttelte den Kopf: Mit den Träumen vom Reichtum klappte es auch noch nicht! Schließlich nahm sie ein schlichtes schwarzes Etuikleid vom Bügel und legte den in dezenten Farben gehaltenen Blazer von Jil Sander dazu. Es war das einzig edle Stück in ihrer Garderobe, und dass sie die Jacke in einem Secondhandladen gekauft hatte, musste ja niemand wissen. Sie dachte mit Bedauern an die verlockenden Auslagen der City-Boutiquen, die nur auf sie zu warten schienen. Aber so weit war sie noch nicht. Alles Geld, das sie verdiente und das nicht für Miete, Versicherungen und einen sehr knapp bemessenen Lebensunterhalt draufging, sparte sie. Nach wie vor träumte sie von der Karriereleiter, von Erfolgen und Anerkennung, und sie wusste genau, dass man dafür Geld brauchte. Sie wollte weiterkommen, nicht immer nur die kleine Fotografin sein, die man kreuz und quer herumschickte. Sie wollte ganz einfach mehr, und sie wusste, dass es nicht unbedingt eine Fotokarriere sein musste. Nur was es sein könnte, das war ihr noch nicht klar. Manchmal fühlte sie sich wie in einem Ballon gefangen. Ein kleiner Stich, der Ballon würde platzen, und sie wüsste, was sie wollte.

Während Andrea versuchte, ihr feuchtes Haar hochzustecken, klingelte das Telefon. Ausgerechnet jetzt, dachte sie, eine Hand auf dem Kopf, die andere voller Haarnadeln

Verärgert griff sie nach dem Hörer.

»Steinberg.«

»Hallo Andrea, wie geht es dir?«

»Tag Peter, ich bin in Eile.«

»Kann ich dir helfen?«

»Danke nein, ich muss arbeiten.« Peter war liebenswert und hilfsbereit, aber er war auch eine Klette, die man schwer abschütteln konnte. Andrea sah aus dem Fenster. Noch immer regnete es in Strömen, und das Wasser lief wie ein grauer Vorhang an den Scheiben herunter. Sie würde ein Taxi brauchen.

»Peter, ich muss weg, und ich bin noch nicht einmal gekämmt.«

»Ich bin ein erstklassiger Friseur.«

»Du bist verrückt. Aber ich muss jetzt wirklich los.« »Musst du arbeiten?«

»Was dachtest du denn?«

»Ich weiß viel zu wenig von dir und deinen Terminen.«

»Jetzt weißt du es ja.« Andrea ärgerte sich über ihre Schroffheit, aber manchmal ging ihr Peter einfach auf die Nerven.

»Ich könnte dich begleiten.«

»Das geht nicht, es ist eine geschlossene Gesellschaft.«

Sie dachte an die Bequemlichkeit in Peters Auto.

»Na gut, Peter, du könntest mich nach dem Termin abholen, mein Wagen ist zur Inspektion in der Werkstatt.«

»Wann und wo?«

»Kurz nach Mitternacht. Im Atlantik-Hotel.«

»Ich bin pünktlich.«

»Danke, dann bis nachher.« Das war typisch für Peter: Immer war er für sie da, immer rücksichtsvoll, immer bescheiden im Hintergrund – aber gerade das fand sie langweilig! Es war zwar angenehm zu wissen, dass sie später bequem und zuverlässig nach Hause kam, aber es war auch schwierig. Sie musste überlegen, wie sie Peter dann wieder loswurde. Nicht, dass er die Nacht mit ihr im Bett verbringen wollte. Davon war noch nie die Rede gewesen. Er saß einfach nur da und schwieg und sah sie an, und sie wusste nicht, worüber sie mit ihm reden sollte. Am Ende eines arbeitsreichen Tages war sie müde und ausgelaugt, da musste sie nicht noch mühsam Konversation betreiben. Andrea rief die Taxizentrale an und bat, den Wagen direkt in die Tiefgarage zu schicken. Sie würde das Tor öffnen und konnte dann ohne nass zu werden einsteigen.

Das Taxi kam pünktlich, und fünfzehn Minuten später war sie im Hotel. Ein Page führte sie durch die Halle und hinten in den großen Gartensaal. Das Fest war in vollem Gang, und Andrea hatte Mühe, sich bekannt zu machen und das Brautpaar nach den Fotowünschen zu fragen. Das Anschneiden der Hochzeitstorte, eine Polonäse mit Wunderkerzen, ein paar Sketche, ein paar Redner – die Wünsche waren nicht allzu ausgefallen, und Andrea machte sich an die Arbeit. Sie hielt sich so gut es ging im Hintergrund und fotografierte, was sich anbot. Als der Brautvater sie sah, ein schwergewichtiger, schwitzender Mann mit glänzenden Augen, nahm er sie in den Arm und schob sie mitten hinein in den Trubel.

»Ist doch klar, dass Sie hier mitfeiern. So ein nettes Mädchen hat man nicht alle Tage im Arm.« Und schon zog er sie auf die Tanzfläche, und an seinem Atem roch Andrea, woher die blitzenden Augen und die losen Worte kamen. Aber sie machte mit, ließ sich herumwirbeln und lachte, als die Herren der Gesellschaft einer nach dem anderen anfingen, sie abzuklatschen und sich um Tänze mit ihr zu bemühen. Sie wusste aber auch, dass sie sich zurückhalten musste, denn sie war hier, um zu arbeiten, und stand keineswegs im Mittelpunkt. Diskret zog sie sich aus dem Trubel zurück, machte noch ein paar Fotos und verließ kurz nach Mitternacht, als das Fest seinen Höhepunkt überschritten hatte, den Saal.

Peter saß im Foyer und hatte zwei Cognacgläser vor sich stehen. Als er Andrea sah, stand er auf und reichte ihr ein Glas: »Auf mein fleißiges Mädchen.«

Andrea mochte es gar nicht, wenn er so besitzergreifend redete, aber sie erkannte auch den guten Willen. Er wollte ihr einfach eine Freude machen! Dann brachte er sie zum Wagen und fuhr sie nach Hause.

»Ich möchte mich hier im Auto verabschieden, Peter. Ich bin sehr müde und muss morgen um vier Uhr aufstehen.«

Sie sah die Enttäuschung in seinem Gesicht und sein leichtes Kopfnicken. »Ich verstehe schon, Andrea. Es ist in Ordnung. Aber warum um Himmels willen musst du morgen, oder sagen wir heute, so früh aufstehen?«

»Ich muss um sieben Uhr in Luhmühlen sein. Um acht beginnt der Geländeritt der internationalen Military, und die englische Equipe hat unser Atelier beauftragt, Fotos von den Teamreitern zu machen.«

»Wie kommst du denn dahin?«

»Mit der Bahn bis Lüneburg, dann mit dem Sonderbus.«

»So etwas Dummes. Ich kann dich doch fahren.«

»Das will ich nicht Peter, du brauchst auch dein Wochenende zur Erholung.«

»Also, abgemacht. Ich sage jetzt gute Nacht, und um fünf stehe ich hier vor der Tür. Dann kannst du eine ganze Stunde länger schlafen.«

Andrea nickte. Warum eigentlich nicht. Ihr graute vor der Fahrerei mit Bahn und Bus, und Peter bot ihr die Fahrt an.

»Danke, ich nehme dein Angebot an.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und stieg aus, bevor er ihr die Tür öffnen konnte.

»Bleib sitzen und fahr schnell nach Hause, du brauchst die paar Stunden Schlaf auch.« Sie winkte und schloss die Haustür auf. Als Peter sah, dass sie in den Lift stieg, fuhr er davon.

Sie hatten sich bei einer Vernissage in der Milchstraße kennen gelernt. Andrea fotografierte die Bilder und Skulpturen, und Peter half dem Gastgeber, Freunde und Fremde durch die Ausstellung zu führen. Nachdem die letzten Besucher gegangen waren und der Partyservice das Feld geräumt hatte, waren sie zusammen mit dem Galeristen, den Künstlern und einigen Freunden nach nebenan in »Jeremias Biergarten« gegangen, um Manöverkritik zu üben und die verkauften Kunstwerke zu feiern. Alles in allem war man zufrieden. Wer zu einer Vernissage in die Milchstraße kam, litt nicht unter der augenblicklichen Wirtschaftskrise oder unter Arbeitslosigkeit. Und so endete der Abend in beinahe ausgelassener Stimmung.

Andrea fühlte sich wohl in der kleinen Runde. Obwohl sie nicht zur Hamburger Highsociety gehörte, wurde sie akzeptiert. Heimlich beobachtete sie Peter Erasmus, einen stillen, fast schüchternen Mann, den eine lange Freundschaft mit dem Gastgeber zu verbinden schien. Als sie sich endlich verabschiedete, war es spät geworden. Auch Peter Erasmus erhob sich. »Ich würde Sie gern nach Hause bringen, mein Wagen steht gleich nebenan.«

Es war das erste Mal, dass er sie direkt ansprach. Seine Stimme war ungewöhnlich leise und zurückhaltend.

»Danke, aber ich bin selbst motorisiert.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf und verabschiedete sich.

»Dann darf ich Sie zu Ihrem Auto bringen?«

Sie nickte, und er trug ihre Fototaschen zum Wagen.

Das war vor einem Jahr gewesen, und aus dieser kurzen Begegnung war eine aufrichtige Freundschaft geworden, in der es Andrea aber niemals gelungen war, die Zurückhaltung dieses Mannes zu durchstoßen. Bei aller Sympathie für ihn schaffte sie es nicht, ihn wirklich kennen zu lernen. Und eigentlich wollte sie es auch gar nicht. Außer Freundschaft empfand sie nichts für ihn, und so sollte es bleiben.

Peter, der langsam zurück zu seinem Haus in Harvestehude fuhr, dachte an Andrea. Müde hatte sie ausgesehen und noch sehr angespannt. Schade, dass sie sich so selten helfen ließ. Er mochte diese Frau, die so offen und fröhlich war, die das Leben nahm, wie es sich gab, und Probleme mit Optimismus bewältigte. Er freute sich mit ihr, wenn es ihr gut ging, und er litt mit ihr, wenn sie deprimiert war, was zum Glück selten vorkam. Er hätte ihr gern seine Zuneigung gezeigt, aber er wusste nicht, wie. Er war ein Phlegmatiker, das betraf sein ganzes Leben, nicht nur sein Verhalten Frauen gegenüber. Seine gut gehende Exportfirma wurde von Experten geführt, sein Haushalt von Anne, seiner früheren Gouvernante. Seine wenigen Freundschaften basierten auf Vertrauen und Zuverlässigkeit, nicht auf Kameradschaft und Zuneigung. Manche nannten ihn einen »typischen Hamburger«, steif und unnahbar, aber das war er nicht. Obwohl seine Familie seit Generationen in Hamburg lebte, stammten seine Vorfahren ursprünglich aus Ostpreußen, und diesem Menschenschlag sagte man Schwermut und Verschlossenheit nach. Daran musste es liegen, und daran konnte er überhaupt nichts ändern.

Kapitel 3

Der erste Weg am Morgen führte Ryan zu den Schafen. Die Collies, ausgeruht und den Magen voller Hundekuchen, tobten vor ihm her, sprangen über das Pferchgatter und scheuchten die Schafe auf. Ryan öffnete das Tor, und die Herde drängte heraus, verteilte sich, wurde von den Hunden wieder zusammengetrieben und folgte schließlich dem Mann, der durch das Heidekraut zu einem Hang lief, den die Herde heute abgrasen sollte. Sinn dieser vierwöchigen Weidezeit hier oben an der Küste war es, die Heide rund um seinen Feriensitz kurz zu halten und die Wiesen abzuweiden. Dann wurden die zweihundert Tiere wieder zurück zur restlichen Herde in die Nähe von Forfar transportiert, wo Ryan die eigentliche Schafzucht betrieb, Spinnereien unterhielt und den berühmten McGregor-Tweed in eigener Fabrikation herstellen ließ.

Während er den Hunden bei ihrer Arbeit zusah, grübelte Ryan erneut über sein Problem mit dem Trödelmarkt nach.

Er konnte diesen Männern nicht helfen, andererseits konnte er sie nicht im Stich lassen: Ihre Männerehre stand bei den Wettbewerben auf dem Spiel. Sie waren seine einzigen wirklichen Freunde, sie kannten und akzeptierten ihn als ihresgleichen. Sie würden alles tun, um ihm zu helfen, das Gleiche aber erwarteten sie auch von ihm.

Ganz anders war es bei den so genannten Freunden in der Stadt. Bei denen wusste er nie, warum sie sich um seine Freundschaft bemühten. War er selbst es, den sie mochten, oder war es sein Geld, sein Einfluss, seine Macht, die sie schätzten? Er würde es nie erfahren und musste daran denken, was ihm sein Vater damals gesagt hatte, als er ihm die Firmen übergab: »Du stehst an der Spitze, und da stehst du allein, denn auf der Spitze gibt es niemals Platz für zwei. Du hast Macht, und du hast Geld, aber einen Freund hast du da oben nicht. Du wirst sehr einsam sein, aber diesen Preis musst du bezahlen.«

Und doch hatte er Freunde gefunden, allerdings solche, die seine wahre Identität nicht kannten. Keiner von ihnen ahnte, dass ihr Kumpel Ryan in Wirklichkeit einer der reichsten Unternehmer Schottlands war. Die Männer hier wussten nicht, dass ihm die Gregor-Werften für Ölplattformen in Aberdeen gehörten, sie ahnten nichts von seiner Viehzucht. Niemand hatte ihnen je verraten, dass es sein Land war, das sie über ein Büro in Elgin gepachtet hatten. Nicht im Traum wären sie auf die Idee gekommen, dass sie in seinen Wäldern rodeten und in seinen Seen angelten.

Gerade deshalb wusste er, woran er bei ihnen war. Und nun sollte er das alles infrage stellen? Ließ er die Männer jetzt im Stich, brauchte er sich hier nicht mehr sehen zu lassen. Andererseits: Ging er für sie auf den Trödelmarkt und wurde erkannt, würden sie sich genauso zurückgestoßen fühlen, denn er hatte sie jahrelang getäuscht. Sie hielten ihn für einen einfachen Schäfer, der mit der Herde im übrigen Jahr im Tiefland lebte, und für einen Hobbyfischer, der das unberechenbare Meer genauso liebte wie sie.

Ryan setzte sich auf einen Findling und sah zur Herde hinüber, die Ajax umkreiste, während sich die Hündin neben ihm niedergelassen hatte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Tag versprach schön zu werden. Ryan beschloss, nach dem Frühstück an seinem Schuppen weiterzubauen. Er wollte ihn so vergrößern, dass er das Boot bequemer hineinziehen konnte, wenn er abreiste. Auch am Dach musste einiges gerichtet werden, die Stürme der Wintermonate hatten eine Menge Schindeln gelockert.

Er betrachtete seine Hände. Blasen und Schwielen würden bald von körperlicher Arbeit zeugen. Aber genau das war es, was er hier wollte: handfeste, schwere Arbeit bis zum Umfallen und eine gesunde Müdigkeit, die ihm abends in allen Knochen steckte.

Ryan stand auf, befahl den Hunden, bei der Herde zu bleiben, und machte sich auf den Rückweg.

Seine Gedanken kreisten dabei weiter um sein Dilemma. Nur ein einziger Mensch wusste von seinem Doppelleben: William, sein alter Viehzüchter, der die Angusrinder auf Black Isle und die Schafe im Tiefland mit seinen Gehilfen betreute. Nur er kannte das Cottage hier oben, weil er die Schafe und die Hunde herbrachte und wieder abholte. Und er kannte natürlich auch Ryans eigentliches Zuhause: Gregor Castle am Ufer des Dee. Dieses große, für ihn allein unbewohnbare Haus, hatte Ryan für einen symbolischen Preis von einem Pfund an die Stadt Aberdeen verkauft – allerdings mit der Auflage, innerhalb von drei Jahren ein Waisenhaus mit allen notwendigen Schulen darin einzurichten.

Die Stadtväter waren mit Begeisterung darauf eingegangen. Das Haus war baulich in erstklassigem Zustand und die gesamte Anlage gepflegt. Man suchte schon lange nach Räumlichkeiten, um verwaiste Kinder zusammenzubringen, die in kleinen, unwürdigen und über das ganze Land verteilten Unterkünften leben mussten.

Er selbst war ins Kutscherhaus gezogen und hatte viel Spaß an den Kindern, die durch den Park tobten, den Rasen zum Fußballplatz umfunktionierten und die zahllosen Obstbäume plünderten. Er hatte ihnen einen Stall voller Ponys hingestellt, sorgte für den Pferdepfleger und das Futter und erlaubte den Kindern, wann immer sie wollten, die Tiere zu besuchen. Er hatte eine gute Hand im Umgang mit den Jungen und Mädchen und bedauerte sehr, keine eigenen Kinder zu haben.

Ryan seufzte. Wie schön wäre es, wenn ein Junge neben ihm durch die Heide schlendern, über Findlinge springen und Rebhühner aufscheuchen würde. Oder wenn ein kleines Mädchen beim Frühstück auf seinem Schoß sitzen, seine Haare zausen und dann liebevoll die Ärmchen um seinen Hals legen würde. Ryan schüttelte den Kopf und ging weiter. Genau wie mit den Freunden war es mit den Frauen. Jene, die zu seinen Kreisen in Aberdeen gehörten und die er kannte, mochte er nicht. Sie waren meist arrogant und dumm, rechthaberisch und verschwenderisch. Jene dagegen, die er bei den wenigen gesellschaftlichen oder sportlichen Anlässen, die er besuchte, kennen lernte und die ihm gefielen, zogen alle die gleiche Show ab: Bei den ersten beiden Treffen waren sie nett und liebenswürdig, aber spätestens bei der dritten Verabredung übernahmen sie die Initiative, und dann kamen die Fragen: »Wie leben Sie?« »Was machen Sie?« »Was haben Sie?«

Spätestens zu dem Zeitpunkt brach er den Kontakt ab. Wo also sollte er die Frau treffen, die nichts von seinen Millionen wusste? Der es gleich war, ob er Fischer oder Fabrikant, Schäfer oder Laird war? Elf Monate im Jahr gehörte sein Leben dem Unternehmen. Aber in den Augustwochen musste er sich davon erholen, hier in der Einsamkeit, inkognito und unerreichbar für alle. Hier ergaben sich erst recht keine Frauenbekanntschaften, und gerade hier wollte er sie auch nicht.

Ryan schlenderte hinüber zu seinem Haus. Hinter seinem Rücken kroch die Morgenröte über die Hügelkuppe und tauchte den glänzenden grauen Granit des Hauses in schimmerndes Perlmutt. Beglückt blieb er stehen und sah zu, wie die sanften Farben silbrig wurden, als sich die ersten Sonnenstrahlen in den Butzenscheiben spiegelten. Hierhin gehörte er, das würde er nie aufgeben. Heute Abend würde er den Männern im Pub sagen, wer er war, und dann konnte er nur hoffen, dass sie die Wahrheit akzeptierten und seine Freunde blieben.

Er ging ins Haus und machte sich sein Frühstück: Porridge mit Rübensirup, so süß, wie er ihn mochte. Außerdem Speck, Eier und Würstchen, wie es sich für einen Arbeiter gehörte. Dazu gab es heißen Tee und im Backofen geröstetes Brot. Während er am Tisch saß und den Blick in die zur Küche hin offene Wohnhalle gleiten ließ, überzog ein wohliges Gefühl seinen ganzen Körper. Die höher steigende Sonne tauchte den Raum langsam in jenen rotbraunen Farbton, der diese Halle so warm und gemütlich machte. Am liebsten wäre Ryan noch stundenlang so sitzen geblieben, doch er gab sich einen Ruck und stand auf.

Ryan suchte sein Handwerkszeug zusammen und ging hinüber zum Schuppen. Er zog den Landrover heraus und den alten Pferdehänger, mit dem er früher seine Pferde zu Turnieren gebracht hatte und mit dem er jetzt ab und zu Zuchtschafe zum Markt transportierte, und machte sich an die Arbeit. Er sägte, hämmerte, schraubte und hobelte, bis die Sonne hoch am Himmel stand und anzeigte, dass es Zeit zum Mittagessen wurde.

Linda, die älteste Tochter des Schmieds in Dyke, eine hagere Frau mit blassem Gesicht, hatte frische Lebensmittel und eine Terrine mit Irishstew mitgebracht, und das ganze Haus roch köstlich nach dem Essen. Sie war eine stille, eher hässliche Frau, denn anstelle der Schneidezähne saß eine schlecht gemachte Zahnprothese, die viel zu weit nach vorn gerückt war. Aus diesem Grund vermied sie es zu reden und zu lachen und arbeitete meist stumm vor sich hin. Aber sie war zuverlässig und umsichtig, sah, was im Kühlschrank fehlte und wo gründliche Reinigung nötig war. Ab und zu versuchte sie auch, eine Art Garten vor dem Haus anzulegen, aber Heide und Unkraut waren stärker als sie, und so gab sie jedes Jahr nach den ersten Versuchen wieder auf. Als sie ihr Rad holte, um nach Hause zu fahren, gab Ryan ihr eine geräucherte Lachshälfte mit, die sie mit strahlendem Lächeln und ohne Rücksicht auf ihre Prothese entgegennahm. Ryan lächelte zurück und beschloss insgeheim, beim Schmied eine so große Arbeit in Auftrag zu geben, dass dieser mit einem Teil des Verdienstes eine neue Prothese beim Zahnarzt anfertigen lassen konnte. Ryan musste sehr vorsichtig sein, wenn er den Leuten finanziell helfen wollte. Sie waren stolz, und sie hielten ihn für arm, da musste so eine Hilfe gut geplant werden.

Als Linda fort war, setzte er sich auf die Bank vor dem Haus, zündete seine Pfeife an und sah den Bienen zu, die sich in den ersten blühenden Heidebüscheln tummelten und die zartvioletten Blüten der Disteln umschwirrten. Bis zu einem halben Meter hoch wuchs dieses silbergrüne, filigrane Unkraut, das die Schotten zu ihrer Nationalblume gekürt und in ihrem Wappen verewigt hatten.

Als die Pfeife ausgebrannt war, zog Ryan seine Jagdweste an, nahm eine Schrotflinte und Munition aus dem Gewehrschrank und lief über den Hang zu den Schafen. Bella war nicht nur ein guter Hütehund, sondern auch ein ausgezeichneter Apportierer. Für die Jagd oben im Moor brauchte er ihre Hilfe.

»Komm, mein Mädchen, wir holen uns ein paar wilde Kaninchen für das Abendessen.«