Das Herz von Schottland: Drei Liebesromane in einem eBook - Christa Canetta - E-Book
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Das Herz von Schottland: Drei Liebesromane in einem eBook E-Book

Christa Canetta

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Beschreibung

Große Gefühle im Land der atemberaubenden Landschaften: Der romantische Liebesroman-Sammelband »Das Herz von Schottland« jetzt als eBook bei dotbooks. Drei Frauen, drei gefühlvolle Geschichten und jede Menge Überraschungen: Die große Liebe wartet schließlich immer dort auf uns, wo wir sie am wenigsten erwarten … Die junge Ärztin Lena Mackingtosh genießt ihr Single-Leben in Glasgow – bis sie die High-Heels gegen Gummistiefel tauschen muss, um eine kleine schottische Dorfpraxis zu übernehmen. Und dort trifft sie einen ruppiger Ranger, der fest entschlossen zu sein scheint, sie in den Wahnsinn zu treiben! Journalistin Johanna hingegen freut sich auf ein Abenteuer: Sie soll auf einer Highland-Burg herausfinden, ob es dort wirklich spukt – mit zwei ausgesprochen gutaussehenden »Geisterjägern« … Und Bianca? Die kommt nach Edinburgh, um den seltsamen Träumen auf den Grund zu gehen, die sie seit Wochen verfolgen. Kann es nun wirklich Zufall sein, dass sie hier dem charmanten Justin begegnet? Jetzt als eBook kaufen und genießen: der gefühlvolle Sammeband »Das Herz von Schottland« mit den Bestsellern »Das Leuchten der schottischen Wälder« von Christa Canetta, »Ein schottischer Sommer« von Maryla Krüger und »Brennende Träume« von Alina Stoica. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1044

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Über dieses Buch:

Drei Frauen, drei gefühlvolle Geschichten und jede Menge Überraschungen: Die große Liebe wartet schließlich immer dort auf uns, wo wir sie am wenigsten erwarten … Die junge Ärztin Lena Mackingtosh genießt ihr Single-Leben in Glasgow – bis sie die High-Heels gegen Gummistiefel tauschen muss, um eine kleine schottische Dorfpraxis zu übernehmen. Und dort trifft sie einen ruppiger Ranger, der fest entschlossen zu sein scheint, sie in den Wahnsinn zu treiben! Journalistin Johanna hingegen freut sich auf ein Abenteuer: Sie soll auf einer Highland-Burg herausfinden, ob es dort wirklich spukt – mit zwei ausgesprochen gutaussehenden »Geisterjägern« … Und Bianca? Die kommt nach Edinburgh, um den seltsamen Träumen auf den Grund zu gehen, die sie seit Wochen verfolgen. Kann es nun wirklich Zufall sein, dass sie hier dem charmanten Justin begegnet?

Informationen über die Autorinnen dieses Sammelbands finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Originalausgabe August 2020

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Das Leuchten der schottischen Wälder« von Christa Canetta 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Ein schottischer Sommer« von Maryla Krüger 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Brennende Träume« von Alina Stoica 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/inigocia, AVprophoto und adobeStock/FAB.1

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-051-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Christa Canetta, Maryla Krüger & Alina Stoica

DER HERZ VON SCHOTTLAND

Drei Romane in einem eBook:»Das Leuchten der schottischen Wälder«»Ein schottischer Sommer«»Brennende Träume«

dotbooks.

Christa CanettaDAS LEUCHTEN DER SCHOTTISCHEN WÄLDER

Wenn alle Hoffnung verloren scheint, bricht ein Sonnenstrahl durch dunkle Wolken … Die junge Ärztin Lena Mackingtosh arbeitet in einem Glasgower Krankenhaus und genießt ihr Single-Leben. Doch dann verändert eine schreckliche Nachricht alles: Ihre Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen! Schweren Herzens muss Lena in die kleine Gemeinde Broadfield zurückzukehren, um die Arztpraxis ihres Vaters zu übernehmen. Sie wird alles andere als herzlich empfangen: Obwohl sie hier geboren wurde, behandelt man die »Städterin« wie eine Fremde. Erst als Lena dem ebenso verschlossenen wie charismatischen Ranger Patrick MacDoneral begegnet, erwacht in ihr die Hoffnung auf ein neues Glück. Aber ist Patrick wirklich in der Lage, sich für einen anderen Menschen zu öffnen?

Kapitel 1

Im Kelvingrove Park von Glasgow waren die Feiern zum Osterfest in vollem Gange, vor allem in jenem Teil des Parks, in dem Lena Mackingtosh und Daniel Finerfield mit Freunden ausgelassen feierten. Sie begrüßten mit Tanz und Irish Ale den Frühling, der hier immer etwas später anfing als im übrigen Land. Das lag natürlich nicht am Klima und auch nicht am Kalender, sondern daran, dass man erst jetzt im Overland Hospital von Glasgow mit den Frühlingsinventuren und den Osterrenovierungen fertig war und ein paar Tage zum Luftholen hatte.

Lena und Daniel arbeiteten mit acht anderen Ärzten zusammen in der Inneren Abteilung, und mit ihnen und ihren Partnern oder Freunden begingen sie in jedem Jahr das Osterfest im Kelvingrove Park. Ein Ritual, das sehr beliebt war. Jeder brachte Snacks oder Getränke mit, eine batteriebetriebene Stereoanlage sorgte für ausgelassene Stimmung, und dass niemand vor dem Sonnenaufgang das kleine Fest verließ, war Ehrensache.

Lena und Daniel tanzten wie die anderen fröhlich und barfuß auf der taunassen Wiese und genossen das enge Beieinander, die verführerischen Berührungen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit und die heimliche Lust der kleinen Sinnlichkeit.

Auf den Stationen waren intime Beziehungen verboten, Professor Trabensting duldete keine Affären zwischen seinen Ärzten und Angestellten, und wer Wert auf die begehrte Stellung legte, hielt sich zurück. So hatten Lena und Daniel nicht oft Gelegenheit, unbekümmert die Anordnungen des Chefs zu umgehen.

»Kommt doch noch mit zu mir«, lud Daniel die Kollegen ein. »Ich habe einen guten Kaffee, und der Bäcker an der Ecke hat bestimmt schon geöffnet.« Aber alle schüttelten die Köpfe. »Nein, lass mal, jetzt muss ich den Schlaf nachholen, der mir heute Nacht verloren gegangen ist«, witzelte Domian. »Ich muss heute Nachmittag eine Visite mit dem Chef zusammen machen. Wehe, wenn ich da unausgeschlafen erscheine.«

Auch Lena lehnte, wie die anderen, die Einladung ab. »Ist nett von dir, aber ich muss mich auf einen Vortrag vorbereiten, den ich übermorgen vor Studenten vom Chef halten soll.«

»Schade.« Daniel schüttelte enttäuscht den Kopf. »Jedes Jahr dasselbe, erst die ausgelassene Stimmung, und dann geht jeder seiner Wege.«

»Irgendwann muss Schluss sein«, erkläre William. »War doch ein toller erster Ostertag, und nächstes Jahr gibt’s wieder einen.«

»Bist du verrückt?«, empörte sich Daniel. »Willst du mit der nächsten Feier etwa ein ganzes Jahr warten?«

»Nein, war doch bloß ein Scherz.«

Alle verabschiedeten sich, jeder ging in eine andere Richtung, nur Daniel und Lena verließen den Kelvingrove Park gemeinsam. »Ich bringe dich nach Hause«, erklärte Daniel und schob sein Rad neben das von Lena. Sie waren beide begeisterte Sportler, und wenn es irgend möglich war, ließen sie die Autos in den Garagen und benutzten die Räder.

Langsam fuhren sie durch den morgendlichen Park, überholten die ersten Jogger, winkten Frühaufstehern zu, die ihre Hunde ausführten, und erreichten wenig später Lenas Wohnung in der Argyle Street. Eigentlich wartete Daniel auf eine Einladung, aber Lena hatte keine Lust, das Zusammensein zu verlängern, das spürte er genau. Schade, dachte er, warum ist sie bloß so reserviert? Eine Tasse Kaffee, ein bisschen Schmusen auf dem Sofa oder ein gemeinsames Bad, aber darauf warte ich bei Lena wohl vergeblich.

Lena wusste genau, was Daniel dachte. Aber sie ging sehr sorgfältig mit ihren Gefühlen um. Und für Daniel gab es keine Gefühle. Noch nicht! Er war ein netter Kollege, ein guter Kumpel, ein bisschen auch ein Freund, mehr aber noch nicht. Lena war vorsichtig. Sie hasste Risiken, und sie hasste Enttäuschungen. Zweimal hatte sie ein solches Desaster bereits erlebt, und das genügte ihr. Sie schob ihr Rad in den Vorgarten, nahm das Gepäck vom Halter und winkte Daniel lächelnd zu. »Danke fürs Heimbringen. Bis Morgen also, eine Mütze Schlaf wird uns jetzt gut tun.« Und schon war sie in der Haustür verschwunden.

Aber aus dem Schlaf wurde nichts. Lena hatte kaum ihre kleine Wohnung in der dritten Etage erreicht, als das Telefon klingelte. Am Apparat war ein Sergeant Marloff von einem Polizeirevier in Barcaldine, der sie dringend persönlich zu sprechen wünschte.

»Aber Mr. Marloff, ich bin hier in Glasgow. Um was geht es denn?«

»Ja, aber«, stotterte der Sergeant, »ich habe hier Ihre Telefonnummer, ich – wir – müssten Sie dringend und persönlich sprechen, bitte … es ist wichtig.«

»Was ist passiert? Von wem haben Sie meine Nummer?«

»Also, Miss Mackingtosh, ich – wir haben Ihre Nummer in den Papieren gefunden.«

»In welchen Papieren?«

»Ja, also, ich habe eine traurige Mitteilung für Sie, Miss Mackingtosh. Ich würde Sie ihnen gern persönlich sagen und nicht am Telefon.«

»Bitte, was ist passiert?

»Miss Mackingtosh, es hat einen Autounfall gegeben. In der Nähe von Glasdrum, und aus den Papieren haben wir ersehen, dass es sich um einen Dr. Mackingtosh und seine Ehefrau handelt, die dort verunglückt sind.«

»Ja … aber … was ist mit meinen Eltern, sind sie verletzt, wo sind sie jetzt?«

»Ihre Eltern sind in der Klink von Barcaldine, aber es sieht gar nicht gut aus. Bitte kommen Sie doch so schnell wie möglich nach Barcaldine.«

»Ich bin schon unterwegs.«

Lena zog sich hektisch um, raffte ihre Papiere, etwas Wäsche, ihre Schlüssel vom Elternhaus und alles Geld, das sie gerade daheim hatte, zusammen und stürmte die Treppen hinunter in die Tiefgarage. Zum Glück sprang der alte Mini Cooper sofort an. Ein Blick auf die Benzinuhr, und schon war sie mit kreischenden Reifen aus der Ausfahrt hinaus und auf der Ausfallstrasse zum River Clyde, die sie direkt nach Norden über Arden und Tarbet, dann nach Tyndrum und von dort nach Westen über Connel nach Barcaldine bringen würde.

Sie kannte die Strecke auswendig. Wie oft war sie während ihres Studiums auf dieser Straße unterwegs gewesen. Tagsüber oder in der Nacht, bei Eis und Schnee, im Regen und im Sonnenschein, war sie durch die Berge von Loch Lomond und am Ufer vom Loch Awe und später über die Brücke bei Connel gefahren. Mal mit Herzklopfen, weil eine Prüfung bevorstand, mal mit Freude, weil eine Prüfung bestanden war. Mein Gott, überlegte sie, wie oft hatte ich Angst, wie oft war ich glücklich. Mal habe ich vor Tränen den Straßenrand nicht gesehen, weil mich ein Freund versetzt hatte, wie oft habe ich vor Freude gesungen, weil ich einen neuen Typen kennengelernt habe. Und jetzt? Mein Gott, was erwartet mich jetzt in Barcaldine? Und was hatten Mutter und Vater überhaupt in Glasdrum zu tun? Und das mitten in der Nacht? Waren sie auf dem Viehmarkt von Creagan? Wollte Mutter Alpakas verkaufen oder neue abholen? Oder suchten sie nach einem neuen Scherer? Der alte von früher hat sie schon ein paar Mal versetzt, und dann gab es Schwierigkeiten mit dem Wollhändler. Ach Mama, dachte Lena, du und deine Alpakas. Und Papa lässt dich nie im Stich, er kann als Landarzt noch so viel zu tun haben, er lässt dich nie allein fahren.

Lena erinnerte sich, wie das mit den Alpakas angefangen hatte. Sie war gerade sechs Jahre alt und noch nicht in der Schule, als ihr Vater, der seit Jahren keinen Urlaub gehabt hatte, und ihre Mutter die lang ersehnte Urlaubsreise nach Chile antraten. Sie wollten mit Lena durch die Anden wandern, auf Eseln reiten und in Zelten schlafen. Es gab da Treckingtouren, die sie sich leisten konnten. Das Teuerste war die Hin- und die Rückreise. Aber ihr Vater kannte einen Kapitän, der mit seinem Schiff Guano, diese Mixtur aus Exkrementen, Vogelkadavern und Federn, von den Chincha-Inseln vor Peru holte und nach Europa brachte, wo dieses überaus geschätzte Düngemittel hoch im Kurs stand. Dieser Kapitän nahm die Familie mit. Lena erinnerte sich an den Gestank des Vogelmistes, der die Rückreise fast unerträglich gemacht hatte und den sie bis heute in der Nase hatte, wenn sie nur daran dachte.

Auf dieser Treckingtour durch die Berge haben uns Lamas begleitet um das Gepäck zu tragen, und ich durfte darauf reiten, weil ich noch so klein und leicht war, dachte sie. Ja, und dann hat Mama die Alpakas gesehen und sich in die weißen und braunen, schwarzen und gefleckten Tiere verliebt. Als wir die Rückreise mit dem stinkenden Frachter antraten, hatten wir zehn von diesen sanftmütigen Wollknäueln dabei, und Papa hat zwei Jahre lang den Kapitän und seine Familie umsonst behandelt, um die Rückreise abzuzahlen.

Lena lächelte in Erinnerung an den Anfang der Alpakazucht. Ihr Vater hatte im Laufe der Zeit das ganze Land in Weiden umgewandelt, und ihre Mutter hatte inzwischen eine richtig gute, anerkannte Alpakazucht auf Paso Fernando aufgebaut. Lena lächelte, sogar die kleine Farm hatte er nach dem Pass benant, auf dem Mutter sich in die ersten Alpakas verliebt hat. Aber was um Himmels willen war jetzt passiert? Was hatten die Eltern gemacht, dass sie plötzlich in einer Klink lagen und dass die Polizei bat, Lena möge sofort kommen? Sie waren doch beide so gute Autofahrer, sie hatten doch noch nie einen Unfall.

Am späten Nachmittag erreichte Lena Barcaldine. Sie missachtete unterwegs alle Geschwindigkeitsbegrenzungen und holte alles aus dem alten Kleinwagen heraus.

Aber sie kam zu spät. Ihre Eltern waren bereits am Unfallort bei Glasdrum verstorben, wo ein schwerer Holztransporter ihren Wagen von der Straße abgedrängt und in eine Schlucht geschoben hatte.

»Miss Mackingtosh, es tut mir so leid«, empfing sie Sergeant Marloff, der im Eingangsbereich der Klinik auf sie gewartet hatte.

Lena nickte nur. Sie hatte keine Worte, sie hatte auch keine Tränen, sie war nur am Ende ihrer Kräfte. Müde ließ sie sich auf eine Bank fallen und starrte auf ihre Knie, die so stark zitterten, dass sie sie mit beiden Händen festhalten musste. Der Sergeant holte einen Becher Kaffee für sie aus einem Automaten und setzte sich neben sie. »Bitte, trinken Sie den, er ist stark und heiß, und vielleicht hilft er Ihnen ein bisschen.«

»Danke.« Es dauerte lange, bis Lena sich so weit beruhigt hatte, dass sie fragen konnte: »Kann ich meine Eltern sehen? Wo sind sie?«

»Sie liegen hier in einem ›Raum der Stille‹, wo die Angehörigen Abschied nehmen können. Wenn Sie wollen, begleite ich Sie.«

»Ja, bitte.« Lena stand langsam auf, der Sergeant stützte sie und führte sie einen langen Korridor entlang. »Sie dürfen nicht erschrecken«, erklärte er vorsichtig, »die Ärzte haben versucht, die Wunden zu schließen und die Verletzungen abzudecken, aber es war ein sehr schwerer Unfall, und wenn Sie Ihre Eltern so im Gedächtnis behalten wollen, wie Sie sie gekannt haben, sollten Sie auf den Anblick verzichten.«

»Ich bin selbst Ärztin, und ich kann mit solchen Anblicken umgehen«, schluchzte sie, »ich muss mich doch verabschieden.«

Der Sergeant reichte ihr ein Taschentuch und blieb vor der Tür zum Raum der Stille stehen. »Soll ich mit hereinkommen, Miss Mackingtosh?«, fragte er vorsichtig.

Lena schüttelte den Kopf. »Danke, aber ich glaube, ich möchte jetzt mit meinen Eltern allein sein.«

»Gut, ich warte hier draußen auf Sie. Aber bitte, bleiben Sie nicht zu lange.«

»Warum? Sie brauchen nicht auf mich zu warten.«

»Bitte, Miss Mackingtosh, Sie haben heute noch weitere Aufgaben vor sich.«

»Es gibt nichts, was jetzt wichtiger für mich wäre.«

»Einhundertzwanzig hungrige, unversorgte Tiere warten auf der Farm Paso Fernando auf Sie. Ein Ranger hat uns angerufen und um Hilfe gebeten.«

»Ach Gott, die Alpakas …«

Dann betrat Lena den Raum der Stille im Krankenhaus von Barcaldine.

Die beiden Toten lagen auf getrennt stehenden Bahren. Lena schob sie zusammen, dann hob sie vorsichtig die Tücher, die die Körper bedeckten. Aber beide waren mit weißen Mullbinden bandagiert, und Lena konnte nur ahnen, wer ihre Mutter und wer ihr Vater war. Weinend deckte sie die Toten wieder zu und suchte nach den Händen. Als sie sie gefunden hatte und ganz fest hielt, sagte sie leise: »Auf Wiedersehen, Mama, auf Wiedersehen, Papa.« Dann legte sie die Hand der Mutter in die des Vaters und verließ den Raum der Stille.

Draußen bat sie den Sergeant: »Bitte sagen Sie dem Beerdigungsunternehmer, dass meine Eltern Hand in Hand und in einem gemeinsamen Sarg beerdigt werden sollen. Ich komme morgen und bespreche alles mit ihm. Jetzt muss ich nach Hause und Mutters Alpakas versorgen. Und dann muss ich mich um Vaters Praxis kümmern. Da wird es bestimmt Menschen geben, die auf seinen Besuch warten.«

Kapitel 2

Die Fahrt auf der engen, kurvenreichen Landstraße war in der Dunkelheit nicht ungefährlich. Auch wenn Lena jede Biegung kannte, die Tränen verschleierten ihren Blick, und die zitternden Hände zerrten am Lenkrad. Zum Glück hatte Sergeant Marloff sich bereit erklärt, Lena zu begleiten. Er wusste, in welcher Verfassung die junge Frau war, und erklärte seinem Kollegen: »Ich kann sie jetzt nicht allein lassen, wir wollen doch nicht, dass die gesamte Familie beerdigt werden muss.«

»Nein, nein, nur das nicht. Fahr mit und kümmere dich um die Frau. Ist ja schrecklich, was sie jetzt durchmachen muss.«

So nahm der Sergeant sein Motorrad und erklärte Lena: »Ich begleite Sie, Miss Mackingtosh. Ich fahre langsam vor Ihnen her, und Sie brauchen mir nur zu folgen.«

Lena nickte dankbar, für Worte hatte sie noch keine Kraft. Sie setzte sich hinter das Steuer und folgte dem Sergeant die lange, einsame Strecke von Barcaldine bis zum Benderloch, wo im Schutz der Berge Broadfield und am hinteren Dorfrand die kleine Farm der Eltern lag. Als sie Paso Fernando erreichten, sah sie im Schein der Autolampen die dicht gedrängte Schar der Alpakas am Ausgangsgatter stehen, wie immer bewacht von Lilly und Bully, den beiden Border Collies, die es gewohnt waren, die Herde am Abend zum Auslaufgatter zu treiben und in Schach zu halten, bis die Herrin kam und die Tiere versorgte.

Mein Gott, dachte Lena, diese vielen Tiere, was mache ich denn nur damit? Sie stieg aus und ging im Licht der Scheinwerfer zur Koppel, wo die Herde sie laut blökend empfing. Die Hunde, die die Alpakas ständig leise knurrend umkreisten, kamen immer wieder in ihre Nähe, um durch leises Kläffen ihre Freude, dass endlich jemand gekommen war, zu bezeugen.

Lena wusste, dass ihre Mutter bis in die ersten Maiwochen hinein die Herde tagsüber im Freien hielt und nachts in den großen Laufstall sperrte, wo sie vor der Kälte Schutz fanden. Ich muss die Gatter also so öffnen, dass die Tiere in den Stall laufen können und mir nicht entwischen, überlegte sie.

Als Sergeant Marloff sie fragend ansah, erklärte sie: »Wenn Sie mir noch helfen würden, die Gatter so zu stellen, dass die Tiere dort in den großen Stall laufen, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar. Und danach bitte gleich wieder schließen.«

Der Sergeant stellte sein Motorrad so, dass dessen Scheinwerfer den zweiten Teil des Durchgangs beleuchtete und half dann, die Gatter in die richtige Stellung zu bringen. Erst ganz zum Schluss öffnete Lena das letzte Tor und ließ die grummelnde Herde mit den wachsamen Hunden zum Stall hindurchlaufen. Dann schlossen sie die Zwischenzäune, und Lena bedankte sich. »Sonst treibt meine Mutter die Herde bei Tageslicht hinein, heute war das alles etwas schwieriger. Vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben.«

»Und wie geht es jetzt weiter, Miss Mackingtosh?«

»Ich stelle meinen Wagen so ab, dass die Scheinwerfer den Stall beleuchten, dann gebe ich den Tieren Heu und vor allem Wasser, und dann kümmere ich mich um das Haus.«

»Und was werden Sie selbst machen, Miss Mackingtosh? Werden Sie hierbleiben oder nach Glasgow zurückfahren?«

»Ich weiß es noch nicht, Sergeant Marloff. Ich muss mich um die Praxis meines Vaters kümmern, denn ich weiß, dass es sehr schwer ist, hier draußen geeignete Ärzte zu bekommen – und dann die Tiere, ich habe keine Ahnung von der Tierhaltung und von der Landwirtschaft, andererseits ist Paso Fernando alles, was mir meine Mutter hinterlassen hat. Irgendwie muss ich mich doch darum kümmern. Die Tiere sind ja keine Möbel, die man irgendwo in einem Lager abstellen kann.«

Der Sergeant spürte, dass Lena den ersten Schock überwunden hatte und dass Haus und Hof und die Praxis sie erst einmal von der Trauer ablenken würden. »Wann soll die Beerdigung stattfinden?«

»Ich komme morgen nach Barcaldine und bespreche alles mit dem Beerdigungsunternehmer und mit dem Pfarrer.«

»Werden Sie eine Trauerfeier organisieren?«

»Nur das Übliche, Sergeant Marloff. Wir haben keine Verwandten, die benachrichtigt werden müssten.«

»Na ja, Sie werden wissen, was nötig ist, der Beerdigungsunternehmer wird Sie unterstützen, und ich bin ja auch noch da. Sehen wir uns morgen?«

»Ja, natürlich, und vielen Dank für Ihre Hilfe. Kommen Sie gut zurück. Ich werde jetzt erst einmal die armen Tiere füttern und tränken, und dann werde ich überlegen, was aus Paso Fernando wird.« Sie reichte dem Polizisten dankbar die Hand und winkte ihm kurz nach, als er wendete und zur Dorfstraße hinunterfuhr.

Als der schwere Motor nicht mehr zu hören war, drehte sie sich ratlos um und schaute zum Stall hinüber. Sie sah, dass die Alpakas ruhelos umherliefen und nach Futter suchten. Mein Gott, dachte sie, was mache ich denn bloß? Die kranken Leute in dieser abgelegenen Gegend, die auf den Arzt angewiesen sind, und einhundertzwanzig Alpakas und zwei Hunde – und ich muss doch so schnell wie möglich nach Glasgow zurück, wir haben so viele Patienten im Krankenhaus, dass Überstunden für uns alle an der Tagesordnung sind. Die Verwaltung wirft mich raus, wenn ich die Klinik jetzt im Stich lasse. Die Beerdigung meiner Eltern wird man wohl dulden müssen, aber dann?

Als sie an ihre Eltern dachte, die nun tot und Hand in Hand im Raum der Stille lagen, liefen ihr wieder die Tränen über die Wangen. Die Hunde, als hätten sie ein Gespür dafür, kamen und liefen um sie herum und stupsten sie zärtlich an den Händen, rieben ihre Köpfe an ihren Beinen und winselten schwach vor sich hin.

»Ja, ja«, tröstete Lena sie leise, »ich weiß, ihr habt auch Hunger. Die Alpakas hatten ihr frisches Gras auf der Weide, aber das konntet ihr nicht fressen. Ihr bekommt gleich euer Futter, beruhigen wir erst mal die Herde da drinnen im Stall.«

Von den Hunden unmissverständlich an ihre Aufgaben erinnert, ging Lena hinüber zum offenen Laufstall, verteilte im Licht der Scheinwerfer Heu, wie sie es bei der Mutter gesehen hatte, und füllte mit einem Schlauch die Wassertröge, damit die Tiere ihren Durst löschen konnten und sich beruhigten.

Dann ging sie hinauf zu dem großen Cottage, öffnete mit zitternden Händen und Angst vor der Stille im Haus die Tür, machte Licht an und löschte die Scheinwerfer des Mini Coopers.

Im Haus war es kalt und dunkel. Lena schaltete im Wohnteil das Licht an und ließ die Praxisräume im Dunklen. In der Speisekammer fand sie Dosen mit Hundefutter, das sie in die Näpfe verteilte und den Hunden vor die Tür stellte, dann füllte sie Wasser in die anderen beiden Näpfe, damit die Border Collies nicht bei den Alpakas ihren Durst löschten, sondern die Herde in Ruhe ließen. Und dann setzte sie sich an den großen Tisch, legte den Kopf auf die auf der Tischplatte verschränkten Arme und ließ den Tränen freien Lauf.

Sie dachte an die geliebten Eltern, denen sie mit ihrem Wunsch, als Ärztin in der Großstadt zu leben und zu arbeiten, eine große Enttäuschung bereitet hatte, die dann aber alles getan hatten, damit ihre Pläne in Erfüllung gingen. Sie dachte an ihre Kindheit, als Paso Fernando noch ein kleines Landgut war und »Wacholder-Land« hieß, weil die Hügel mit den struppigen Sträuchern übersät waren.

Und dann kam die Reise nach Chile, und alles änderte sich, als ihre Mutter sich in die Alpakas verliebte. Und nun ändert sich auch mein Leben.

Lena trocknete die Tränen und stand auf. Sie hatte Hunger und suchte in der Küche nach Brot und Butter. Dabei fiel ihr der Terminkalender des Vaters in die Hände. Sie blätterte in den Seiten und fand neben den Notizen für die fälligen Krankenbesuche auch die Eintragung des letzten Tages. »Fahrt nach Fasnacloich«, stand da. »Auktion besuchen und Zehenschneider für nächste Woche bestellen.«

Ach ja, erinnerte sich Lena, einmal im Herbst und einmal im Frühjahr muss ein Mann kommen und den Alpakas die Zehen kürzen. Sie haben ja keine Hufe wie Pferde, sondern weiche Schwielensohlen wie Kamele, die den Weiden gut tun, weil sie die Grasnarbe nicht zerstören.

Der kommt also in der nächsten Woche, überlegte sie und schrieb das Datum in den Kalender. Mein Gott, ich fange schon an, mich an den Rhythmus dieser Landwirtschaft zu gewöhnen.

Sie löschte die Lampen und ging in die obere Etage, wo sich die Schlafzimmer und das Bad befanden. Müde machte sie Licht in ihrem Zimmer, das noch immer genauso aussah wie in ihrer Kindheit und das ihre Mutter absichtlich nicht verändert hatte, damit »du immer weißt, hier wartet dein Zuhause auf dich«, wie sie bei jedem Besuch betont hatte. Ach Mutter! Die Tränen kamen zurück, und Lena kroch schnell ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

Die helle Sonne und das Bellen der Hunde weckten sie am nächsten Morgen. Lena stand auf, ging unter die Dusche und zog sich an. Die Tiere müssen als Erstes raus, überlegte sie, dann müssen die Hunde gefüttert werden, und dann brauche ich wenigstens einen starken Kaffee, bevor ich nach Barcaldine fahre. Sie ging hinunter und schaute in die Küche mit dem großen Herd. Um Himmels willen, den kann ich doch nicht für eine Tasse Kaffee anmachen, besser, ich frühstücke in der Stadt. Sie ging nach draußen, öffnete die Gatter so, dass ein Durchgang zur großen Weide entstand, und ließ die Alpakas aus dem Laufstall. Fröhlich und ausgelassen galoppierten die Tiere in die Freiheit. Die Hunde tobten hinterher. Als Lena das Weidetor verschloss, liefen sie mit ihr zurück zum Cottage, wo sie ihr Futter erwarteten. »Komm, Lilly, na los, Bully, wer ist als Erster beim Haus?« Sie klatschte in die Hände, und zum ersten Mal seit vielen Stunden lachte sie, als sich die Hunde beim Wettlauf fast überschlugen. Sie füllte ihnen die Näpfe und jagte sie dann wieder hinunter zur Weide, wo sie bis zum Abend die Herde bewachen würden.

Ich muss bei Tageslicht zurück sein, dachte Lena und schüttelte den Kopf. Wie soll das bloß in Zukunft werden? Vielleicht bekomme ich ein paar Tage oder ein paar Wochen Urlaub. Als Erstes muss ich versuchen, einen Nachfolger für Vaters Praxis zu finden. Und dann, die Herde zu verkaufen und das Land zu verpachten. Aber wer übernimmt schon diese abgelegenen Weiden? Und wer kauft eine so große Herde? Und wer will schon als Landarzt eine Praxis in der Abgeschiedenheit der Highlands übernehmen? Vater hat schon öfter davon gesprochen, sich zur Ruhe zu setzen, aber er konnte keinen Nachfolger finden. Und aus Verantwortungsgefühl seinen Patienten gegenüber hat er schließlich doch weitergemacht. Deshalb war er ja auch so enttäuscht, dass ich keine Landärztin werden wollte, sondern die Großstadt und ihre vielen Vorzüge mehr schätzte als das Leben hier in den Highlands. Ihm selbst war es ja auch nicht leicht gefallen, seine Praxis hierher zu verlegen, als Mutter das Cottage mit dem umliegenden Land erbte und er ihretwegen seine Praxis in Barcaldine aufgab. Da der Boden sich nicht als Ackerland eignete, war Mutters Idee von der Alpakazucht direkt ein Segen. Die Wolle ist nach wie vor sehr begehrt und auch die Hengstfohlen lassen sich sehr gut verkaufen.

Sie sah zurück zur Weide, wo mehr als dreißig Fohlen übermütig herumsprangen. Meine Güte, ich weiß ja nicht einmal, welches Fohlen ein Männchen und welches ein Weibchen ist, dachte Lena.

Sie schaute auf die Uhr. Schon nach neun, sie musste sich umziehen und nach Barcaldine fahren. Erschrocken stellte sie fest, dass sie nicht einmal Trauerkleidung besaß.

Sie zog Jeans und T-Shirt aus, die Reisekleidung vom Vortag an, bürstete den sandigen Schmutz von den Schuhen und verschloss das Haus. Dann hängte sie ein Schild mit der Aufschrift: »Die Praxis ist vorübergehend geschlossen« an die Eingangstür zu den Praxisräumen und fuhr ab.

Die Besprechungen beim Beerdigungsunternehmer und beim Pfarrer waren etwas schwierig, weil Lena auf einem Doppelsarg, der erst hergestellt werden musste, und auf einem Doppelgrab, das nicht in die gewohnten Reihen passte, bestand. Wegen dieser Extrawünsche konnte die Beerdigung erst in drei Tagen stattfinden.

Nach einem starken Kaffee und einem Sandwich in einem Coffeeshop kaufte Lena sich einen schwarzen Rock, eine schwarze Bluse und ein schwarzes Schultertuch, das man während der Trauerfeier um den Kopf trug.

Zum Schluss fuhr sie zur Polizeistation, um sich bei Sergeant Marloff noch einmal für seine Hilfe zu bedanken.

»Wie geht es Ihnen? Sind Sie mit allem zurechtgekommen?«, fragte er höflich und schaute Lena besorgt an.

»Es geht, aber nur von einem Tag bis zum nächsten, nicht weiter.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Ich habe einen Beruf in Glasgow, der mir sehr wichtig ist, auch weil ich Geld verdienen muss. Und nun habe ich eine Arztpraxis, über hundert Alpakas und zwei Hunde im Dorf Broadfield, die ich nicht allein lassen kann.«

»Warten Sie erst einmal die Beerdigung ab, danach werden Sie ruhiger und übersehen die Zukunft vielleicht etwas besser.«

»An den Problemen wird sich nichts ändern.«

»Ja, ich fürchte, die bleiben. Haben Sie denn schon mal mit Ihrem Chef gesprochen?«

»Nein, das habe ich noch vor mir.«

»Wenn Sie jetzt mit ihm telefonieren wollen, können Sie das von unserem Büro aus erledigen.«

»Danke, das wäre sehr nett. Vor dem Gespräch habe ich richtig Angst.«

»Aber warum denn?«

»Vielleicht werde ich auf der Stelle entlassen.«

»Unsinn, das gibt es doch gar nicht.«

»Doch, es gibt viele junge Ärzte, die nur auf eine freie Stelle warten, da ist man nicht auf mich angewiesen. Wir sind zwar ein eingespieltes Team auf unserer Station, aber das spielt keine Rolle, wenn es um dringende Arbeit geht.«

»Ja, ja, die Menschlichkeit muss dann dem Business weichen, das ist leider überall so.«

Sie hatten beide recht. Lena mit ihrer Angst um den Arbeitsplatz und Sergeant Marloff mit seinem Wissen um die fehlende Menschlichkeit.

Lena wurden zehn Urlaubstage zugestanden, kam sie dann nicht in die Klinik zurück, würden ihr die Entlassungspapiere zugestellt, erklärte man ihr in der Verwaltung.

Als sie sich später verabschiedeten, versicherte ihr der Polizist: »Bei der Beerdigung werde ich neben Ihnen stehen, Miss Mackingtosh, Sie sind dann nicht allein.«

»Danke, Sergeant Marloff.« Sie reichte ihm erleichtert die Hand. »Ich heiße Lena.«

»Und ich bin Robert, aber Sie können Bob zu mir sagen.«

In einem Supermarkt kaufte Lena Lebensmittel und Hundefutter und wusste tief in ihrem Herzen, dass sie Paso Fernando nicht verlassen konnte.

Kapitel 3

Die Beerdigung von Dr. Martin Mackingtosh und seiner Frau Emily verlief ganz anders, als Lena sie sich vorgestellt hatte. Der kleine Friedhof von Barcaldine konnte die Menschenmenge kaum fassen, die gekommen war, um Abschied von einem sehr beliebten Arzt zu nehmen und seiner Tochter in dieser schweren Stunde beizustehen.

Wie versprochen stand Robert Marloff, der Sergeant, am Grab neben ihr. An ihrer anderen Seite stand Dr. Daniel Finerfield und hinter ihm alle Kollegen und Freunde mit ihren Partnern aus Glasgow. Sogar Professor Trabensting war gekommen, und wie Lena später erfuhr, hatte er für die anschließende Zusammenkunft aller Teilnehmer im Hotel Creach Bheinn gesorgt.

Auf der anderen Seite hinter dem Sergeant hatten sich die Dorfbewohner von Broadfield und zahlreiche Patienten aus dem Umland vom Benderloch geschart, um ihrem geschätzten Arzt die letzte Ehre zu erweisen. Sogar Alpakazüchter aus Fasnacloich waren gekommen.

Lena hatte keine Möglichkeit, sich mit Kollegen oder Freunden zu unterhalten. Es gab zu viele Hände zu schütteln, Beileidsbekundungen entgegenzunehmen und Fragen zu beantworten. Fragen, auf die sie selbst keine Antwort wusste. Erst ganz zum Schluss, als der Sonderbus aus Glasgow, der die Kollegen nach Barcaldine gebracht hatte, schon vorgefahren war, nahm Professor Trabensting sie kurz zur Seite. »Ich weiß, das ist heute nicht der richtige Augenblick um über Ihre Zukunft zu entscheiden, Dr. Mackingtosh, ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir nicht allzu viel Zeit haben. Bitte entscheiden Sie sich bald, ob Sie bei uns bleiben. Sie wissen, wir leiden unter einem großen Ärztemangel und können einen Posten wie den Ihren nicht lange unbesetzt lassen.«

Lena, die wusste, dass diese Frage auf sie zukommen würde, hatte sich bereits entschieden, nicht zuletzt nach den kurzen Gesprächen mit Patienten ihres Vaters.

»Professor Trabensting, ich danke Ihnen für Ihr Verständnis und vor allem für Ihr Engagement heute. Ohne Sie hätte ich das alles nicht geschafft und auch nicht finanzieren können. Deshalb will ich eine Entscheidung über meine Zukunft nicht lange hinauszögern. Ich bin gebeten worden, in Broadfield zu bleiben und die Praxis meines Vaters zu übernehmen. Außerdem muss ich mich um die Alpakazucht meiner Mutter kümmern, obwohl ich keine Ahnung habe, wie ich damit fertigwerden soll.«

Der Professor legte ihr eine Hand auf die Schulter und sagte eher väterlich denn als Vorgesetzter: »Dr. Mackingtosh, Sie sind eine gute Ärztin, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Sie sind verantwortungsbewusst und zuverlässig, energisch und konsequent, ich bin sicher, Sie werden Ihren Weg gehen. Wie das allerdings mit den kleinen Kamelen läuft, das weiß ich auch nicht. Aber auch da werden Sie einen Weg finden.«

Drei Tage später zog Lena ihren weißen Arztkittel an, nahm das Schild von der Tür und öffnete die Praxis. Sie hatte die Zeit genutzt und eine Speditionsfirma mit dem Umzug beauftragt, sich in Glasgow im Krankenhaus verabschiedet, bei Ämtern, Banken und Versicherungen ab- und in Barcaldine und in Broadfield angemeldet sowie die Ärztekammer von ihrem Wechsel in Kenntnis gesetzt.

Jetzt stand sie vor der Tür und sah hinunter auf die grünen Hügel der Highlands, auf die Dächer des Dorfes, auf die Gärten und Felder, die trotz aller Arbeit immer nur eine geringe Ernte versprachen. Nein, dachte sie, reich wird hier kein Mensch. Es reicht immer nur für das Nötigste. Von meinen Träumen, eine bekannte Ärztin zu werden, einen berühmten Namen zu haben und ein gutes Gehalt zu bekommen, muss ich mich verabschieden. Ohne Mutters Alpakazucht hätten meine Eltern mir das Studium nicht finanzieren können, denn von den verschiedenen Naturalien oder den Weihnachtsputen, mit denen die Dörfler oft genug Vaters Rechnungen bezahlten, hätte ich nicht studieren können.

Sie dachte einen Augenblick nach. Im Krankenhaus in Glasgow habe ich meine Träume einfach vergessen, wenn uns die Arbeit beschäftigte und man das erlösende Gefühl hatte, alles wird gut. Wir waren ein wunderbares, eingespieltes Team, in dem sich einer auf den anderen verlassen konnte. Aber das ist nun vorbei. Hier bin ich allein, hier muss ich ohne die Hilfe der Kollegen die Diagnosen stellen, die Krankheiten beurteilen und die Hilfe einsetzen, die ich für richtig halte. Ich hoffe, ich kann das.

Lena hatte Angst vor der Verantwortung und Angst vor den Menschen, die ihr so unbekannt waren und so fremd.

Würden sie überhaupt zu ihr kommen, ihr vertrauen und sich helfen lassen? Eine Frau als Ärztin, das war für die einfachen Leute hier draußen eine unbekannte Situation. Die zwei alten Männer, die mit ihr gesprochen hatten, vertraten bestimmt nicht die Meinung der Mehrheit, als sie sagten, sie bräuchten einen Arzt, und sie solle bleiben.

Dann sah sie hinüber zu der friedlich grasenden Alpakaherde, bewacht von den Border Collies und umgeben von den fröhlich herumspringenden Fohlen. Nächste Woche kommt der Zehenschneider, ich werde ihn fragen, ob er einen Gehilfen kennt, der mir die Arbeit mit der Herde abnimmt und für die Tiere sorgt, wenn ich unterwegs bin. Ein Landarzt muss viele Hausbesuche machen. Da kann ich nicht immer pünktlich daheim sein. Außerdem brauche ich einen Geländewagen, dachte sie erschrocken und sah hinauf zu den noch immer schneebedeckten Gipfeln der Highlands. Mit meinem kleinen Cooper kann ich nicht in die Berge fahren. Aber wovon soll ich so einen Geländewagen bezahlen? Mein Konto ist leer, der Umzug hat alles aufgebraucht. Also muss ich, wie Mutter das in jedem Frühjahr gemacht hat, die kleinen Hengstfohlen verkaufen. Und davon verstehe ich überhaupt nichts. Der Zehenschneider muss mir die Fohlen aussuchen, und dann werde ich ihnen Halsbänder umlegen, damit ich wenigstens weiß, welche Tiere verkauft werden können. Hoffentlich hilft mir der Zuchtverein dann dabei. Mein Gott, ist das alles kompliziert. Ich brauche als Ärztin ein Auto, aber ich kann es erst kaufen, wenn ich als Viehzüchterin Geld eingenommen habe. Und die Wolle muss auch geschoren und verkauft werden, hoffentlich kann mir der Zuchtverein einen Scherer schicken.

Lena ging nach drinnen. Da auf dem Weg herauf zum Haus niemand zu sehen war, setzte sie sich ans Telefon und besprach mit dem Zuchtverband die nächsten nötigen Schritte. Man versprach ihr, einen zuverlässigen Scherer zu schicken und würde sich dann auch um den Verkauf der Wolle kümmern. »Die Alpakazucht Ihrer Mutter hat einen guten Ruf, Sie werden davon profitieren«, versicherte ihr der Mann am anderen Ende der Leitung, und Lena legte leicht beruhigt den Hörer zurück in die Station.

Sie sah sich in der Praxis um. Alles blitzte vor Sauberkeit. Lenas Mutter hatte als Sprechstundenhilfe und Putzfrau für Ordnung gesorgt. Auch hier werde ich Hilfe brauchen, dachte Lena erschrocken und zählte im Stillen zusammen, welche Ausgaben auf sie zukommen würden. Unmöglich, dachte sie schließlich, das schaffe ich nie.

Kapitel 4

Patrick McDoneral durchstreifte die Hänge am Barcaldine Forest und beobachtete die neu angesiedelte Mufflonherde, die er aus dem Hochland von Glen Lochsie herübergeholt hatte, um den Bestand in seinem Revier zu vergrößern. Patrick war ein begeisterter Ranger und zum Leidwesen seiner alten, adligen Eltern nicht bereit, den Titel Earl of McDoneral zu tragen und zu präsentieren. »Lasst mich mit der High Society in Ruhe, ich interessiere mich nicht für die Bälle und Empfänge und die verdammten Fuchsjagden und die Audienzen im Schloss Archestown. Ich gehöre in den Wald und in die Berge, und damit müsst ihr euch abfinden«, erklärte er seinen Eltern, wenn sie ihn wieder einmal an Traditionen und Verpflichtungen erinnerten.

Er war ein hochgewachsener, gutaussehender und mit seinen vierzig Jahren auch ein begehrter Mann, dem der weibliche Hochadel gern näher gekommen wäre. Aber Patrick unterhielt sich lieber mit seinen Mufflons als mit heiratsfähigen Damen und zog die Stille in den Eulenwäldern dem Amüsement in den Schlössern vor.

Schon seit dem frühen Morgen hatte er die Wildschafe beobachtet und hoffte bei ihrem Anblick, dass sie sich heute Abend in den schützenden Wald zurückzögen, sonst würde es zu kalt für die Lämmer. Er zählte die Tiere und freute sich über die kräftigen Böcke mit den kreisrunden Hörnern, die den Winter gut überstanden hatten und auch in Zukunft für Nachwuchs sorgen würden.

Als er vor fünf Jahren die ersten Paare wieder in der Gegend angesiedelt hatte, waren viele seiner Kollegen skeptisch und befürchteten, die Tiere, in Wildgehegen gezogen, würden die Auswilderung nicht überleben. Aber er war zuversichtlich, denn er hatte Beweise aus früheren Zeiten, wo große Rudel die Highlands bevölkerten, bevor sie gejagt und – bis auf ganz wenige Tiere, die man dann einfing um sie in schützenden Gehegen zu erhalten -, ausgerottet wurden.

Er nahm das Fernglas herunter und strich den Hunden zu seinen Füßen beruhigend über das Fell. Die beiden Pointer standen auf, sahen ihren Herrn erwartungsvoll an und folgten ihm, als er langsam den Abhang verließ. Einer rechts neben ihm, der andere links neben ihm. Er liebte diese britischen Vorstehhunde, die er während seiner Ausbildung in England kennen und schätzen gelernt hatte. Und als er endlich sein erstes Revier bekam, reiste er sofort in den Süden um zwei Welpen zu kaufen. Die beiden, die ihm jetzt folgten, kamen aus seiner eigenen Zucht, auf die er sehr stolz war.

Unten im Tal war es wärmer. Der Wind zerrte hier nicht mehr an Sträuchern und Heidekraut, und Patrick knöpfte seine Wachsjacke auf. Er ging zum Wald hinüber, wo er seinen Wagen abgestellt hatte.

Patrick McDoneral war hauptamtlicher Ranger in dem großen und zum Landschaftsschutzgebiet erklärten Benderloch. Er liebte seine Arbeit, den Frieden der Natur und die Tiere, die er hegte und pflegte. Er war ein ruhiger, harmoniebedürftiger Mann, und nach dem Schulabschluss, als die Zukunft Entscheidungen forderte, entschloss er sich gegen den Willen seiner schockierten Eltern, Wildhüter zu werden. Er studierte in Edinburgh Forstwirtschaft, absolvierte nach dem bestandenen Diplom eine zweijährige Betriebspraxis im Cairngorms National Park und in England und legte die Staatsprüfung für den Ranger ab. Damals war er 25. Nach fünf Jahren Dienst im Wester Ross wurde er zum offiziellen Wildhüter befördert. Und dann bekam er das Angebot aus Glasgow, das Gebiet um Benderloch zu übernehmen. Das war jetzt acht Jahre her. Acht wunderbare Jahre, dachte er dankbar und öffnete die Hecktür, damit die Hunde in den Land Rover springen konnten. Als er die Tür schließen wollte, merkte er, dass die Hunde unruhig wurden und leise knurrten. Er sah sich um und beobachtete den Waldrand. Und dann sah er sie.

Sie kam mitten aus dem Gebüsch, einen Schuh in der Hand, das Haar zerzaust und im Gesicht einen Kratzer. Sprachlos starrte er die junge Frau an. Hier gab es weit und breit keinen Ort, keine Straße, wo kam sie nur her?

»Mein Gott, ich dachte schon, ich müsste die Nacht im Wald verbringen.« Sie reichte ihm die Hand. »Ich bin Lena Mackingtosh, und ich habe mich total verfahren.«

Er nickte ihr nur zu und übersah die Hand. »McDoneral«, antwortete er zugeknöpft, denn Leute, die die Ruhe seines Waldes störten, hasste er. »Wie kommen Sie überhaupt in diese Gegend? Hier ist weit und breit Fahrverbot.«

»Das ist ja das Problem. Ich habe mich nach einer Straßenkarte gerichtet und sorgfältig darauf geachtet, nur öffentliche Wege zu benutzen. Und auf einmal war die Straße mitten im Wald zu Ende, und ein Schild verbot die Weiterfahrt. Ich wollte auf dem schmalen Grasstreifen wenden, und dabei ist mein Wagen in den Morast gerutscht. Es tut mir schrecklich leid. Sie sind der Wildhüter hier, nicht wahr?«

Er nickte. Dumme Person, das sieht man doch, dachte er, schließlich habe ich eine Uniform an. Und dann rutscht sie auch noch in einen Graben. »Sie sollten erst mal fahren lernen, bevor Sie sich in so eine Wildnis begeben«, brummte er und fuhr etwas lauter fort: »Wo genau ist das passiert?«

»Das wüsste ich selbst gern.« Lena war nun auch verärgert. Statt seine Hilfe anzubieten, war er unverschämt. Sie holte ihre Karte aus der Tasche und strich sich das Haar zurück. »Ich war auf dem Weg zu einem kranken Patienten. Bis hierhin bin ich auf einer Asphaltstraße gefahren, dann ging sie in einen Sandweg über, und mitten im Moor war Schluss.«

»Und warum sind Sie nicht zur Straße zurückgelaufen statt mitten durch das Moor?« Er legte seine Büchse und das Fernglas auf den Rücksitz des Wagens und sah sich erst dann die Karte an, die sie ihm hinhielt.

»Ich bin auf der Straße nicht einem einzigen Menschen oder Auto begegnet. Da dachte ich, quer durch den Wald käme ich schneller zu einem Dorf.«

»So ein Unsinn. Steigen Sie ein, ich weiß, wo Ihr Wagen steht.«

»Warum sind Sie so unfreundlich?«

»Weil ich für solche Dummheiten kein Verständnis habe. Schauen Sie sich Ihre Karte mal genauer an, dann sehen Sie, dass sich dieses Waldgebiet kilometerweit erstreckt, wie kann man denn da nach einem Dorf suchen.«

Lena zuckte mit den Schultern. »Ich bin zum ersten Mal in dieser Gegend unterwegs, und viel Übung im Landkartenlesen habe ich auch nicht. Ich bin, wenn Sie so wollen, ein Großstadtmensch und kenne mich nur mit Busfahrplänen aus.« Sie ging um den Wagen herum und stieg schnell ein, bevor dieser Grobian ohne sie abfuhr. Mühsam kletterte sie mit dem engen Kostümrock auf den Sitz. Unhöflich ist er auch noch, dachte sie und zog die Tür ins Schloss.

»Und warum haben Sie Ihren Schuh in der Hand?«

»Die Verschlusslasche ist abgerissen, ich habe ihn dauernd verloren.«

Patrick beruhigte die Hunde, die wieder leise knurrten. Dann startete er den Motor und fuhr am Waldrand entlang bis zu einer kaum sichtbaren Spur, die vom Wald in das Moor führte.

»Was machen Sie eigentlich hier? Touristenattraktionen gibt es nicht.«

»Ich muss Land und Leute kennenlernen«, erwiderte Lena ebenso kurz angebunden. »Ich übernehme die Arbeit meines Vaters in Broadfield und wollte einen Patienten besuchen.«

Verblüfft sah Patrick die junge Frau an. »Dann sind Sie die Person, die ihre Alpakas unversorgt auf der Weide stehen lässt.«

»Ich arbeitete in einer Glasgower Klinik und hatte keine Ahnung von dem Unfalltod meiner Eltern. Aber, wenn es Sie beruhigt, die Alpakas haben ihren unversorgten Zustand, wie Sie das nennen, gut überstanden.«

Wenig später hatten sie Lenas Wagen erreicht.

»Wie kann man denn mit so einem Stadtwägelchen in die Berge fahren?« Patrick war verblüfft, als er den Mini Cooper sah, der nur noch mit dem Verdeck aus dem trockenen Moor ragte.

»Ich bin durch halb Europa damit gefahren, aber so ein Gelände ist er nicht gewohnt.«

»Man sieht’s. Steigen Sie ein, und lösen Sie alle Bremsen.«

»Ich kann die Türen nicht öffnen, sie stecken im Morast fest.«

»Und wie sind Sie rausgekommen?«

»Durch das Verdeck.«

»Na bitte.«

Lena war frustriert. Wollte er etwa zuschauen, wie sie sich durch das kleine Verdeck quälte? Vorhin hatte sie den Rock ausgezogen um sich besser bewegen zu können. Sie konnte doch nicht im Beisein dieses fremden Mannes hier im Höschen herumklettern.

Unschlüssig sah sie auf das kleine Verdeck.

»Na, was ist? In einer halben Stunde wird es dunkel.«

»Drehen Sie sich bitte um, ich muss meinen Rock ausziehen.«

»Ich weiß, wie die Beine einer Frau aussehen«, erwiderte Patrick brummig, drehte sich aber um.

Lena zog den Rock aus und schob ihn mit dem Schuh zusammen durch das Verdeck. Dann kletterte sie hinterher, löste die Handbremse und kontrollierte, dass kein Gang eingelegt war. »Alles bereit«, rief sie ihm zu.

Der Wildhüter hatte ein Abschleppseil aus seinem Wagen geholt, befestigte es hinten an der Abschlepphalterung des Mini Coopers, prüfte den Boden und ging ein Stück am Moorrand entlang.

»Hier vorn wird das Gelände flacher, ich ziehe Sie bis hierher und dann aus dem Sumpf. Halten Sie das Lenkrad gerade, bis ich seitwärts blinke, dann lenken Sie den Wagen nach links. Verstanden?«

»Ich bin nicht schwerhörig.«

»Aber ein Großstadtmensch, wie Sie vorhin sagten.«

Lena sparte sich die Antwort und konzentrierte sich auf den Wagen. Der Rover fuhr langsam an, bis das Seil spannte. Dann zog er, und ihr Mini kratzte durch das Moor. Wurzeln, Steine und Sand schrammten an den Seiten entlang. Du meine Güte, dachte Lena entsetzt. Der Wagen ist Schrott, wenn ich hier jemals herauskomme. Ich kann ihn nicht einmal mehr in Zahlung geben, wenn ich einen anderen Wagen kaufe. Dann wurde der Boden flacher, der Rover blinkte links, Lena steuerte in die gleiche Richtung, und dann war sie draußen.

Befreit atmete sie auf. »Danke«, rief sie dem Ranger zu.

»Fahren Sie hinter mir her, ich bringe Sie zur Brücke von Connel, und dann haben Sie freie Fahrt in Ihre Großstadt.«

»Könnte ich mir erst noch meinen Rock anziehen? Außerdem: Ich fahre nicht nach Connel. Ich muss zurück und mich um meine Alpakas in Broadfield kümmern. Danke, dass Sie mich vorhin an die Herde erinnert haben.«

»Wurde ja höchste Zeit, dass sich jemand darum kümmert.«

»Ich weiß, ich habe nur im gleichen Augenblick erfahren, dass meine Eltern tot sind, das war dann erst einmal wichtiger als die Versorgung von hundertzwanzig lebenslustigen Tieren.«

»Tut mir leid, dass es so gekommen ist. Das konnte ich nicht wissen.«

»Ist schon gut, Mr. McDoneral. Sind Sie öfter in den Bergen hinter unserem Dorf?«

»Hin und wieder, ich habe ein großes Gebiet zu betreuen.«

»Wenn es Sie nach Broadfield verschlägt, dann würde ich mich freuen, Ihnen zum Dank ein Glas Wein anbieten zu können.«

»Und wo finde ich Sie?«

»Bei den Alpakas natürlich. Ich bin übrigens der neue Arzt im Dorf.«

»Sie sind Arzt?«

»Ja, ich habe die Praxis meines Vaters übernommen. Die Praxis ist also gleich neben dem Alpakastall.«

»Ich bin mehr in der Wildnis unterwegs.«

»Trotzdem, ich lade Sie herzlich ein. Und vielen Dank für Ihre Hilfe heute.«

Er stieg in seinen Wagen, wartete einen Augenblick, dann fuhr er los. Lena streifte in aller Eile ihren Rock über, stieg ebenfalls ein und folgte ihm. Als sie den Wald verließen, war es dunkel. Schade, dachte Lena, so ein attraktiver Mann und so unhöflich, wer hat ihn bloß so verletzt.

Sie ahnte nicht, dass dieser attraktive, unhöfliche Mann gleich hinter der nächsten Kurve ausstieg und ihrem Wagen nachblickte.

Dummes Ding, dachte der Ranger, aber irgendwie bezaubernd. Schade, dass ich nicht aus meiner Haut heraus kann, wenn Frauen im Spiel sind. Die hätte mir gefallen, wenn sie nur nicht so dumm gewesen wäre.

Patrick hatte keine Erfahrung mit Frauen. Seine von den Gouvernanten und Erziehern einst anerzogene Zurückhaltung duldete keine Gefühlsausbrüche vor anderen Menschen. Seine Internatskameraden und später die Kommilitonen neckten ihn, nannten ihn gehemmt und introvertiert, und er zog sich noch weiter zurück. Er suchte keine Gesellschaft, das Alleinsein war ihm lieber. Dabei fühlte er sich nicht einsam, und ihm fehlte nichts, denn er hatte die Natur, die Tiere in der Wildnis und im Haus, die seinen Lebensrhythmus bestimmten. Dabei war er ein mutiger Mann, jemand, der keine Angst kannte, der beherzt zugreifen konnte und der vielen Menschen, die ihm begegneten, ein Vorbild wurde. Seinen Mitarbeitern, den Kollegen und den Waldarbeitern gegenüber war er aufgeschlossen und ein kompetenter Chef, der gerecht war und von allen respektiert wurde.

Nachdenklich fuhr er zurück in sein Cottage. Er freute sich auf den Kamin, in dem ein Feuer prasseln und Wärme verbreiten würde, und auf ein Glas Rotwein nach dem Abendessen, das fertig im Kühlschrank war und nur noch aufgewärmt werden musste. Er freute sich auf Shaica, die Hündin, die zu Hause sechs kleine Welpen versorgte. Und er freute sich auf das geruhsame Alleinsein mit einem guten Buch. Bezaubernd oder nicht, überlegte er und dachte kurz an die Fremde im Wald, nichts könnte mir diese Harmonie meines Lebens ersetzen.

Aber ein Stachel war geblieben, und der störte ihn, immer genau dann, wenn er nicht damit rechnete, wenn er gar nicht daran dachte, dann sah er sie wieder vor sich, wie sie aus dem Wald kam und wie sie sich im Höschen durch das Autofenster zwängte. Sein Rover hatte schließlich einen Rückspiegel.

Kapitel 5

Lena verbrachte eine unruhige Nacht, nicht zuletzt wegen der Erinnerung an die Irrfahrt am späten Nachmittag.

Selten habe ich mich so blamiert, dachte sie, dann schlief sie ein. Doch ein Albtraum plagte sie die ganze Nacht: Ein Ungeheuer in Uniform drohte sie übers Knie zu legen und zu verprügeln, und zwei Hunde, die eher Wölfen glichen, knurrten sie mit gefletschten Zähnen und großen, blitzenden Augen an.

Das kann ja heiter werden, dachte sie, als sie in der Morgendämmerung schließlich aufstand und unter die Dusche ging, um den Albtraum abzuwaschen und wach zu werden.

Auf Lenas Terminplan für den Beginn ihrer Arbeit in Broadfield stand für diesen Tag das Vorstellungsgespräch beim Bürgermeister, das erstaunlich positiv verlief. Der Bürgermeister, ein dicker alter Herr mit tränenden Augen und einem Kinnbart, begrüßte sie erfreut und hoffnungsvoll. »Wir waren schon sehr besorgt, keinen neuen Arzt zu finden«, erklärte er und drückte ihr dankbar die Hand. »Die jungen Leute mögen die Abgeschiedenheit hier hinter dem Benderloch nicht. Der Einsamkeit kann heutzutage keiner mehr etwas abgewinnen. Ich hoffe, Sie akzeptieren diese Abgeschiedenheit, Sie kennen das Leben hier ja seit Ihrer Kindheit. Und dazu kommt die Weitläufigkeit des Gebietes, in dem Sie arbeiten müssen. Die Dörfer sind hier nicht so geschlossen wie draußen im Flachland, hier liegen die Gehöfte weit verstreut, und viele sind nur schwer zu erreichen. Aber das wissen Sie ja.«

Als Lena zustimmend nickte, fuhr er fort: »Broadfield ist der zentrale Ort, der Mittelpunkt sozusagen. Hier laufen alle Fäden zusammen«, versicherte er stolz, während er einen Plan auf dem Tisch ausbreitete und mit dem Finger auf der Karte erklärte, wie weit das Gebiet der ärztlichen Betreuung reichte.

Er redete und lobte und präsentierte, würdigte und pries seine Gemeinde fast eine Stunde lang, und Lena dachte erschrocken, dass sie ihn bald unterbrechen sollte, wenn sie noch Fragen stellen wollte. Und so nahm sie selbstbewusst den Verlauf dieser kleinen Konferenz in die Hand und sagte plötzlich: »Verehrter Herr Bürgermeister, ich danke Ihnen, dass Sie mich mit Broadfield so intensiv vertraut gemacht haben. Ich war in den letzten Jahren immer nur zu kurzen Besuchen hier bei meinen Eltern, da ist es gut, dass Sie mir die Gegenwart deutlich gemacht haben. Aber jetzt möchte ich gern ein paar Fragen stellen.«

Verblüfft schwieg der dicke alte Mann, aber dann lachte er und erklärte: »Verzeihen Sie, aber ich liebe unsere Gemeinde und lasse mich gern etwas hinreißen.«

Nun lachte auch Lena und zog ihren Zettel mit den Fragen aus der Tasche. »Darf ich anfangen?«

»Aber bitte sehr. Nur heraus damit.«

»Zunächst möchte ich wissen: Suchen Sie einen Arzt, der von der Gemeinde angestellt ist, oder der frei arbeiten kann? Ich weiß nicht, wie das bei meinem Vater gehandhabt wurde.«

»Ich suche natürlich einen eigenständigen Arzt, der mit der Gemeinde als Institution kaum etwas zu tun hat. Nur wenn es um eine allgemeinmedizinische Arbeit geht, habe ich als Bürgermeister ein Mitspracherecht.«

Verblüfft sah Lena den Mann am Schreibtisch gegenüber an. »Was verstehen Sie darunter?«

»Schuluntersuchungen zum Beispiel oder Maßnahmen, die das Gesundheitsamt in Barcaldine vorschreibt, Impfungen und solche Sachen.«

»Ich verstehe. Danke, das deckt sich mit meinen Vorstellungen. Eine andere Frage: Gibt es hier in der Umgebung andere Mediziner, ich meine Laien, die auf der Basis von Naturheilkunde arbeiten? Ich weiß, dass das auf dem Land oft üblich ist.«

»Es gibt eine irische Heilerin die, wie die Leute sagen, über Naturheilkräfte verfügt, zu ihr gehen sie manchmal. Und eine Hebamme haben wir in Bonawe.«

»Danke, ich wollte nur wissen, ob es eine unmittelbare Konkurrenz für mich gibt.« Lena blickte ihr Gegenüber nachdenklich an.

»Nein, nein, ganz bestimmt nicht.«

»Wie sieht es mit der Bevölkerung aus, Broadfield macht einen sehr ruhigen, um nicht zu sagen, verlassenen Eindruck, wer lebt hier noch? Sind es nur die Alten, die sich von ihrer Heimat nicht trennen können, oder gibt es auch junge Leute hier?«

»Ja, da haben wir ein Problem. Die Wirtschaftskrise verschont auch die Highlands nicht. Die Landwirtschaft ist unrentabel geworden. Die Bauern verlassen ihre Höfe und verdingen sich als Saisonarbeiter oder suchen Arbeit in der Stadt. Zurück bleiben die Frauen mit ihren Kindern und alte Leute, die versuchen dann mit den Resten von Vieh und mit etwas Feldarbeit die notwendigen Lebensmittel zu erwirtschaften. Die Männer kommen an den Wochenenden, spielen dann den großen Macker, und oft kommt es zu Streitereien. Alkohol ist da auch ein großes Problem. Sie sehen, ich bin ganz ehrlich, leicht wird es hier nicht sein. Ihr Vater hat sich oft genug bei mir beklagt. Und arm ist Broadfield auch.«

»Ja, diese Probleme sind mir bekannt. Meine Mutter hat nicht umsonst mit der Alpakazucht angefangen.«

»Oh, das war eine vorzügliche Idee. Ich wünschte, wir könnten diese Zucht auf das Dorf ausweiten, das ergäbe eine Einnahmequelle für alle.«

»Darüber können wir sprechen, ich allein kann mich sowieso nicht darum kümmern. Und welche Möglichkeiten gibt es in Broadfield sonst noch, um Land und Leuten ein wenig auf die Sprünge zu helfen?«

»Wir haben zwei Schafherden, um die Heide zu verbeißen. Wenn wir die Felle schön verarbeiten und auch die Wolle verkaufen, kommt etwas Geld herein, aber es ist eigentlich nicht der Rede wert. Und wir bieten Kutschfahrten an, das mögen die Touristen, und die bringen Geld mit. Nicht viel, aber es reicht für das Nötigste«, unterstrich der Bürgermeister.

Lena nickte. »Ich verstehe. Und wo sind die jungen Leute? Der Nachwuchs, sozusagen?«

»Die sind längst nach Glasgow oder Edinburgh oder Inverness abgewandert. Erst wenn sie arbeitslos sind und keine Unterstützung mehr bekommen, tauchen sie hier wieder auf, lassen sich durchfüttern und verschwinden wieder.«

Nachdenklich sah Lena den Bürgermeister an. So schwierig hatte sie sich das Leben hier nicht vorgestellt. Andererseits reizte sie diese Misere. Sie konnte nicht nur als Ärztin helfen, sondern sich mit Leib und Seele einbringen. Mit sozialem Engagement konnte sie vielleicht Auswege finden.

»Ich denke, ich könnte, nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung, mit der Situation fertigwerden«, versicherte sie selbstbewusst. »Aber als Erstes muss ich mich um die Praxis meines Vaters kümmern. Ich fürchte, das wird nicht ganz leicht, denn eine Ärztin ist nicht unbedingt der Mensch, den die Bauern sehen wollen und dem sie vertrauen.«

»Das könnte schwierig werden, da haben Sie recht, aber man wird sich an Sie gewöhnen, Miss Mackingtosh, man muss es, denn die Krankheiten und die Gebrechen lassen leider nicht auf sich warten, und nach einer Weile wird man froh sein, Sie hier zu haben.«

»Davon bin ich überzeugt, sonst würde ich nicht bleiben.«

Der Bürgermeister war verblüfft. So eine selbstbewusste, intelligente und dabei so schöne junge Frau hatte er in seiner Amtszeit noch nicht erlebt.

Lena war zufrieden. Nicht glücklich, dafür war die Trauer zu intensiv und die äußeren Verhältnisse noch zu problematisch, aber zufrieden. Sie würde erreichen, was sie wollte: eine gut besuchte Praxis mit einer anerkannten, später vielleicht sogar beliebten Ärztin. Aber das musste die Zeit entscheiden. Vor der Arbeit fürchtete sie sich nicht, wohl aber vor der sozialen Situation in den abgelegenen, weit verstreuten Gehöften. Doch alles Nachdenken nutzte nichts, erst einmal musste sie anfangen, und dann würde man weitersehen.

Auf der Rückfahrt dachte sie noch einmal an ihr Gespräch mit dem Bürgermeister. Da habe ich ja mächtig angegeben, als ich erklärte, was ich für Vorstellungen von meiner Arbeit habe und wie ich die angehen werde. Aber der Bürgermeister, und hinter ihm steht natürlich das ganze Dorf, soll nicht denken, ich bin eine junge, unbedarfte Frau, mit der man machen kann, was man will. Ich bin zwar nur die Tochter meines Vaters, den sie alle schätzten, aber ich bin auch eine selbstständige Frau, die ein anspruchsvolles Studium hinter sich und mit Erfolg promoviert hat und jahrelang eine angesehene Ärztin im bekanntesten Krankenhaus von Glasgow war.

In ihrem Cottage angekommen, telefonierte Lena als Erstes mit Daniel Finerfield. Sie wusste, dass er auf ihren Anruf wartete, und sie wollte die Freundschaft auf jeden Fall erhalten.

Er meldete sich nach dem ersten Klingeln, und als er ihre Stimme erkannte, unterbrach er sie sofort mit den Worten: »Du fehlst uns!«

Verblüfft fragte Lena. »Wem? Wer ist uns?«

»Na ich, deine Kollegen, deine Freunde, deine Patienten, und ich glaube, in der Chefetage ist man auch nicht glücklich, dass man deiner frühen Kündigung so schnell zugestimmt hat.«

»Ihr werdet darüber hinwegkommen.«

»Glaube ich kaum«, brummte Daniel. »Jetzt erzähl erst mal, wie es dir geht. Ich habe ein paar Mal versucht dich anzurufen, aber dein Handy war immer ausgestellt. Warst du unterwegs?«

»Ja, ich war in den Highlands. Das Dorf hat eine weitreichende Gemeinde, und die Gehöfte liegen sehr verstreut in den Bergen.«

»Und – wie ist der erste Eindruck?«

»Ich glaube, ich werde das schaffen.«

»Erzähl.«

Lena berichtete von ihrer Fahrt, von dem Dorf und dem Gespräch mit dem Bürgermeister. Nur den Ranger verschwieg sie. Der war bedeutungslos bei der Suche nach ihrer Zukunft. Zumindest dachte sie das.

»Ich habe bald ein freies Wochenende, wenn du willst, komme ich dich besuchen. Ich bin doch daran interessiert, wie und wo meine Lena lebt und arbeitet. Hast du Zeit? Würdest du dich über meinen Besuch freuen?«

»Ich werde mir die Zeit nehmen. Und ich freue mich natürlich, dich zu sehen. Aber besorg dir eine gute Straßenkarte, Broadfield ist nicht auf jeder eingezeichnet.«

»Ich werde dich finden, du entgehst mir bestimmt nicht«, versicherte er lachend.

Lena atmete auf. Sie wusste, dass sie sich auf Daniel verlassen konnte. Und dieses Wissen war wichtig für sie. Ich brauche ihn bestimmt sehr oft, wenn ich hier medizinisch nicht weiterkomme, überlegte sie. Er und die Kollegen werden mir sicherlich helfen, wenn ich mit komplizierten Fällen zu tun habe. Es ist nicht leicht, so ganz allein die richtigen Diagnosen zu stellen, da braucht jeder Arzt einen Kollegen oder Freund, den er um Rat fragen kann. Offiziell kann ich mich bestimmt nicht mehr an die Klink wenden, aber inoffiziell würde mir Daniel immer helfen. Sie sah ihn vor sich, erschrocken und nachdenklich, als er erfahren hatte, dass sie nach Broadfield ziehen würde. Sie wusste, dass sich ihr Freund ernsthaft Sorgen um ihre Zukunft machte.

Er zeigt es nicht, aber er ist zutiefst enttäuscht, dass ich Glasgow und damit auch ihn verlassen habe. Er hat sich von unserer Freundschaft mehr erhofft, als ich zu geben bereit war. Umso netter, dass er mich jetzt nicht im Stich lässt, dachte sie voller Zuversicht.

Kapitel 6

Lena schaute auf die Uhr. Siebzehn Uhr vorbei, dachte sie, die Sprechstunde ist zu Ende. Wie an jedem Tag ist auch heute niemand gekommen. So kann das nicht weitergehen. Ich muss ins Dorf und dort nach alten Freunden suchen. Sie überlegte. Ellen vom Pub, früher hatten wir doch einen ganz guten Kontakt, vielleicht kann ich an die alten Zeiten anknüpfen. Dann ist da Leo, mit dem haben wir manchmal Fahrradtouren in die Berge gemacht, vielleicht hat der noch gute Verbindungen zu den alten Kumpels. Die sind doch alle hier geblieben. Vielleicht haben sie es mir übel genommen, dass ich damals nach Glasgow gegangen bin um Medizin zu studieren, während sie hier im Hinterland stecken geblieben sind. Wenn ich dann mal in den Ferien hergekommen bin, waren alle sehr reserviert, dabei hatte ich mich doch überhaupt nicht verändert. Oder doch? In Glasgow habe ich andere Menschen kennengelernt, gebildete Leute, junge Männer mit Weitblick und Frauen mit Niveau, die mich als Kind vom Land zuerst ziemlich mitleidig in ihren Kreisen aufgenommen haben.