Seefahrt ist für lebenslänglich und andere Geschichten - Gerd Peters - E-Book

Seefahrt ist für lebenslänglich und andere Geschichten E-Book

Gerd Peters

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Beschreibung

Mit seinen Hinstorff-Büchern "Meine seemännischen Fehler" (2012) und "Ich wollte zur See" (2014) traf Gerd Peters beim Publikum voll ins Schwarze. Allerdings wurde ihm bei Lesungen, in Briefen und E-Mails immer wieder die Frage gestellt, was er in seiner Laufbahn bei der Deutschen Seereederei (DSR) und danach noch erlebte. Unter anderem als Kapitän des Kreuzfahrtschiffes VÖLKERFREUNDSCHAFT schöpfte der Autor eine Fülle an Erfahrungen und Erlebnissen. In seinem neuen Buch versteht es Peters, treffend und spitzzüngig die Widersprüche des politischen und wirtschaftlichen Lebens innerhalb der DSR, die bürokratischen Hemmnisse der Militär- und Grenzkontrollapparate im In- und Ausland oder auch Alltagsgeschichten an Bord zu schildern. Immer mit dem Blick auf das Große und Ganze der Seewirtschaft der DDR. Ein fesselnder Bericht über eine besondere maritime Karriere, verankert im zeitgenössischen Hintergrund.

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Gerd Peters

Seefahrtist für lebenslänglich

und andere Geschichten

Danksagung

Für Informationen und Akteneinsicht danke ich Fregattenkapitän (Ing.) a. D. Georg Sebrandke. Persönliche Aufzeichnungen aus seiner Fahrenszeit und Fotos steuerte Peter Zintl vom Verein Seeleute Rostock e.V. bei. Günter Senf, Vorsitzender des Hanse Sail Vereins e.V. Rostock und Peter Rath vom Hanse Sail Büro danke ich für Fotos von der ersten Hanse Sail 1991 und Herrn Lutz Liebschner danke ich für Fotos aus unserer gemeinsamen Fahrtzeit an Bord des Fracht- und Lehrschiffes MS HEINRICH HEINE.

Verschiedene Foto-Arbeiten besorgte das Foto-Atelier Gau (Warnowallee 7, 18107 Rostock) in vorzüglicher Qualität.

Gerhard Bauch, Stralsund, stellte mir dankenswerterweise Fotos von unserem R-Boot 555 zur Verfügung.

Ursula Rosentreter danke ich für die freundliche Genehmigung, Fotos meines Kameraden, Fregattenkapitän a. D. Dr. Robert Rosentreter †, verwenden zu dürfen.

Ganz besonders danke ich meiner Frau Jutta für ihre ständige, geduldige, fleißige und verständnisvolle Mitarbeit an diesem, meinem sechsten Buch.

Darüber hinaus war sie Segelkameradin und als erste Kritikerin bekämpfte sie erfolgreich meine Neigung zu Bandwurmsätzen in meinen Diktaten.

Rostock, August 2017

Gerd Peters

Inhalt

Vorwort

Wie ich schwimmen lernte

Das Weihnachtsgeschenk 1942

Meine selbst gezeichnete Seekarte

Wie ich den 17. Juni 1953 erlebte

Die Warnemünder Segelwoche 1955

Das Mädchen im D-Zug

Der 1. Zug im Ernteeinsatz

Drei seekranke Seesegler

Als Paradesoldaten

Parteiwahlen in der R-Abteilung

Die Nachprüfung

Die Militärbürokratie

Der Atomschlag

Internationale Seesportmeisterschaften 1962 in Warnemünde

Eine medizinische Diagnose

Differenzen zwischen Kapitän und Politoffizier

Die Einladung des Admirals

Der Kampf um die Erweiterung des Fahrtbereiches

Vertrauen gegen Vertrauen

Mein Dienstantritt bei der Deutschen Seereederei Rostock

Ein völlig neuer Führungsstil

Der Staatsfeiertag

Mein erster Beitrag für die Reederei-Zeitung

An Bord des Fracht- und Lehrschiffes HEINRICH HEINE

Die Rache der Pharaonen

Ein Kran fällt um

Personalprobleme

Begegnungen

Eine Stewardess hinter schwedischen Gardinen

Ein attraktives Angebot

Meine erste Reise als Kapitän

Eine neue Aufgabe: Nautischer Inspektor

Eine schöne Idee

Erste Begegnung mit den Medien

Als Fernsehmoderator

Der nächste Sonderauftrag

Das Schifffahrtsmuseum Rostock braucht Hilfe

Als Kapitän des Flaggschiffes der Deutschen Seereederei

Kleines Schiff mit großer Wirkung – der Havariefall MS ZUROW

Eine erfolgreiche Verlegenheitslösung

Führungsprobleme

Wieder an Bord

In der Chefinspektion

Gratwanderungen I

Gratwanderungen II

Eine Sendung mit „Musik und Snacks“ über die Marine

Gratwanderungen III

Als freiberuflicher Journalist

Die erste Hanse Sail anno 1991

Die Prüfung

Die Deutsche Schifffahrts- und Marinegeschichte vereinigt sich

Zwei Ossis ziehen nach Hamburg I

Zwei Ossis ziehen nach Hamburg II

Erfahrungen mit Hafenmeistern

Ein Leben ohne Boot?

Glossar

Über den Autor

Literatur- und Quellenverzeichnis

Vorwort

Wer längere Zeit zur See gefahren ist, ganz egal ob bei der Marine, in der Hochseefischerei, an Bord von Frachtern, Tankern oder Passagierschiffen, sie alle erfassen den tieferen Sinn des Buchtitels sofort. Ich habe es mehrfach erlebt. Wenn ich in einer Runde von Fachleuten saß und beiläufig erwähnte, dass ich an einem neuen Buch arbeiten würde, so kam hin und wieder die Frage: „Wie soll es denn heißen?“ Ich nannte den Titel und spontan kam die Zustimmung: „Ja, das stimmt!“ Eine Runde von älteren Männern, die den größten Teil ihres Berufslebens auf See verbracht haben, ist der beste Beweis für meine These von der Lebenslänglichkeit und damit von der Unvergesslichkeit aller großen und kleinen Ereignisse eines Seemannslebens.

Und fast alle können auf Anhieb sagen, wie es bei ihnen angefangen und wie sich der Wunsch, Seemann zu werden, herausgebildet hat. Sehr oft begann es in jungen Jahren – vielleicht auf einer Hafenrundfahrt, beim Kinobesuch eines entsprechenden Films, im Verwandten- oder Bekanntenkreis gab es hier und da jemanden, der zur See gefahren war und dem zehnjährigen Jungen aus seiner Fahrenszeit Geschichten erzählen konnte. Hinzu kamen Bücher, Berichte, später das Fernsehen, Fachzeitschriften wurden durchblättert und die Erinnerungsliteratur durchforstet. Zu meiner Zeit, also in den 1930er-/40er-Jahren, las man die abenteuerlichen Erzählungen des Korvettenkapitäns Graf Luckner, die er auf seinem Vollschiff SEETEUFEL erlebte. Auch der Hamburger Kapitän Fred Schmidt ließ eine Reihe von Kapitänen zu Wort kommen. Und der Rostocker Segelschiffskapitän Ernst Weitendorf veröffentlichte in seinem Erinnerungsbuch „Aus dem Logbuch meines Lebens“ Episoden seines Seemannslebens. Dann las ich die Klassiker „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe oder „Lord Jim“ des Kapitäns und Schriftstellers Joseph Conrad. Und schließlich sind während und nach zwei fürchterlichen Weltkriegen ganze Bibliotheken mit Marine- und Seekriegsgeschichten vom Matrosen bis zum Admiral gefüllt worden. Selbst Oberbefehlshaber griffen zur Feder und schrieben ihre Erlebnisse auf, schilderten Siege, Niederlagen und ehrten das Andenken ihrer toten Kameraden.

Seeleute, besonders solche, die ein langes Berufsleben hinter sich haben, sind meistens mit einem sehr guten Gedächtnis ausgestattet. Ein typisches Beispiel dafür ist Kapitän Hans-Albert Wachtel, der als junger Mann seiner Mutter die Erlaubnis abrang, als Schiffsjunge zur See gehen zu dürfen und den Krieg in kanadischer Gefangenschaft verbringen musste. Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt Rostock heuerte er zuerst auf einer Warnow-Fähre an und schließlich absolvierte er sein weiteres Berufsleben in der Deutschen Seereederei, um schließlich als Kapitän Schiffe aller Art zu führen. So wurde er auch mein Kapitän, als ich 1966 als I. Offizier auf die VÖLKERFREUNDSCHAFT kam. Als ich ihn viele Jahre später im Ruhestand besuchte, um für eines meiner Bücher zu recherchieren, war er leider schon erblindet. Aber das Gedächtnis hatte nicht gelitten. Wir saßen einige Stunden zusammen, tranken Kaffee, und als ich ihn fragte, wie sein Seemannsleben begonnen hätte, begann er aus dem Stehgreif einen fast druckreifen Lebensbericht zu erzählen. Eine Unzahl von Einzelreisen, Namen, Zahlen, Daten, Fakten breitete er vor mir aus. Ich hatte Mühe, alles aufzuschreiben und nichts zu überhören. Er erwähnte nicht, wie beliebt er bei den Seeleuten an Bord seiner Schiffe war – das musste er auch nicht, denn ich hatte es auf der VÖLKERFREUNDSCHAFT selbst erlebt. Kapitän Wachtel schreckte aber auch nicht davor zurück, sehr deutlich zu werden, wenn ihm etwas in der Dienstausführung von Offizieren oder Besatzungsmitgliedern nicht gefiel. Ich glaube übrigens nicht, dass er jemals von seiner Disziplinarbefugnis Gebrauch gemacht hat. Wir sprachen darüber und dann sagte er: „Ach was, ich komme so klar!“

Auf langen Reisen, an langen Abenden vor Anker und hier und da auch mal an der Bar unterhalten sich die Seeleute. Sie erzählen einander von ihren Schiffen, von anderen Kapitänen, schildern ihre Erlebnisse in den Häfen unterschiedlicher Kontinente, tauschen sich aus über Kulturen, fremde Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche. Dabei denkt der Seemann nicht in Jahren, er denkt in Reisen. Der wichtigste Inhalt jeder Reise bleibt im Gedächtnis haften, wird weitererzählt, nach Hause geschrieben und später im Familienkreis berichtet. So werden die Erlebnisse aufgefrischt und so wird auch das eigene Erinnerungsvermögen trainiert. Man kann von ihnen viel erfahren, aber man muss zuhören können. Und wenn Freddy Quinn singt „Einmal noch nach Rio, einmal nach Schanghai“, dann mag das für die Bewohner des weiten schönen Binnenlandes kitschig klingen. Ist es aber nicht! Was bleibt, das ist die Sehnsucht nach der Weite des Meeres, nach den Erlebnissen der jungen Jahre, Erinnerungen an Kameraden und Schiffe. Und die Erkenntnis: Man kommt nicht los davon. Denn Seefahrt ist für lebenslänglich …

Wie ich schwimmen lernte

Schon längere Zeit hatten meine Eltern die Notwendigkeit diskutiert, dass es Zeit wäre, mir das Schwimmen beizubringen. Wenn bei viel Wind unser Boot auf der Seite lag (Seglerjargon: wir schoben Lage), dann ermahnte sie mich ständig, mich nur richtig festzuhalten. Sie hatte nämlich keine Hand für mich frei, denn sie musste die Fockschot bedienen, um sie gegebenenfalls rasch fieren zu können.

Bei mir hatte das bittere Gefühl, als Nichtschwimmer zusehen zu müssen, wie das Mädchen Gisela mit Bubi Berwald fröhlich in die Bucht hinausschwamm und ich traurig am Ufer zurückblieb, zur Einsicht geführt, auch meine Bereitschaft zu zeigen, endlich das Schwimmen zu lernen.

Eines Nachmittags war es dann soweit.

Folgerichtig begann mein Vater mit mir auf einer Wiese mit Trockenübungen. Das heißt, er machte mir vor, welche Schwimmbewegungen mit Armen und Beinen auszuführen wären und ich musste im Gras liegend diese Bewegungen nachmachen. Das war nicht sehr schwierig, denn auf diese Weise kann man nicht untergehen. Anschließend versuchte er es mit mir im flachen Wasser, hielt mich dabei am Oberkörper fest und ließ mich im Wasser liegend die Schwimmbewegungen wiederholen. Die anderen Sportsfreunde sahen diesem Treiben zu und sparten nicht mit freundlichen Ratschlägen. Der Junge müsste einen Schwimmkörper zum Üben kriegen, meinten einige. Mein Vater folgte diesem Rat und holte aus unserem Boot eines der beiden mit Kork gefüllten Sitzkissen aus Segeltuch herbei, das etwa 60 cm Durchmesser hatte und an dem ringsherum eine dünne Griffleine befestigt war. Diese Kissen sollten im Ernstfall als Rettungsmittel dienen, denn sie schwammen im Wasser auf. Mein Vater ließ mich auf das Kissen legen und es stellte sich heraus, dass es mich, ruhig liegend, tatsächlich trug. Sobald ich mich aber bewegte, rutschte es unter mir hin und her, mal nach links, mal nach rechts, und ich war in Gefahr, abzurutschen und dann nur noch auf meine Schwimmkünste angewiesen zu sein. Notwendigerweise musste ich mich damit im ganz flachen Wasser aufhalten und machte daher kaum Fortschritte. „Ja“, meinte Willy Lißek, unser Vorsitzender, der meine Schwimmversuche lächelnd beobachtet hatte, „das mit den Kissen ist nicht das Richtige. Wir versuchen es mal mit meinem Schwimmring.“ Er ging auf seinen Jollenkreuzer und kam mit dem Schlauch eines Autoreifens zurück, den er mit der Luftpumpe prall aufgeblasen hatte. „So“, meinte er, „der trägt dich bestimmt, leg dich mal rauf, du wirst sehen, der hält dich sicher über Wasser.“ Unter allgemeiner Anteilnahme tat ich mein Bestes.

Der Vereinsvorsitzende Willy Lißek versucht mir das Schwimmen beizubringen.

Als mir kalt wurde, bemühten sich die Damen des Klubs, mich wieder aufzuwärmen.

Nun lag ich tatsächlich auf dem Wasser, denn der Schwimmring trug mich hervorragend. Aber um vorwärts zu kommen, musste ich die Arme gewissermaßen nach unten ausstrecken, um Schwimmbewegungen zu machen und auch die Füße kamen nicht voll zur Wirkung. Ich fand, dass dieser Schlauch prima geeignet war, um ein bisschen herumzupaddeln oder Ulk damit zu treiben.

Es gelang mir nämlich, auf dem Rücken treibend, mich mit den Armen zügig vorwärts zu bewegen oder im Kreise herumzudrehen. Schwimmen konnte man diese Faxen aber nicht nennen. Meine Mutter achtete überdies sorgfältig darauf, dass ich nicht zu lange im Wasser blieb. Bei den ersten Anzeichen von Gänsehaut und Falten an den Fingerkuppen setzte sie dem Schwimmunterricht ein Ende, beorderte mich an Bord zurück, steckte mich in den Bademantel, rubbelte mich ab und setzte mich in die Sonne, damit ich schnell wieder warm werden konnte. So verbrachten wir im Urlaub 1940 bei schönem Sonnenschein noch einige Tage mit Schwimmtraining.

Zwar hatte der ganze Verein an meinem Schwimmunterricht Anteil genommen und verschiedene Methoden vorgeschlagen. Aber es kam nicht viel dabei heraus.

Als wir aus dem Segelurlaub zurückgekehrt waren, ließ mein Vater sich etwas Neues einfallen. Unser heimatlicher Bootssteg hatte die Form eines langgestreckten „T“. Auf der linken Seite lagen mit Vorleine am Steg die festgemachten Boote unseres Klubs. Am Heck lagen die Boote festgemacht mit Achterleinen an einer Dalbenreihe. Auf der anderen Seite des Stegs führte vom Ufer aus das Gleis der Slipanlage aus dem Bootsschuppen ins Wasser. Da die Wassertiefe auf der Seite ausreichend war, um auch größere Jachten zu Wasser lassen zu können, gab es Stehhöhe nur in unmittelbarer Ufernähe. Vorn, am Ende des Stegs, war eine Leiter an den hölzernen Pfählen verschraubt. Eines Nachmittags, nach der Rückkehr in den heimatlichen Klubhafen, setzte mein Vater für mich wieder eine Übungsstunde an. Als ich in Badehose auf dem Steg stand, band er mir das eine Ende der Fockschot um die Taille und meinte dann: „Also, wir machen das so: Da es im flachen Wasser mit dem Schwimmtraining nichts geworden ist, müssen wir es jetzt im tiefen Wasser versuchen. Du kletterst an der Leiter hinunter, legst dich flach aufs Wasser, ich halte dich an der Leine ganz straff fest, also untergehen kannst du nicht, dann beginnst du mit Schwimmübungen und ich führe dich vom Steg aus langsam an der Seite entlang. Angst musst du nicht haben, es kann nichts passieren, ich habe dich fest an der Leine.“ So geschah es dann auch. Ein bisschen unsicher wegen des nunmehr tiefen Wassers stieg ich die Leiter hinunter, vergewisserte mich, dass mein Vater die Leine ganz straff hielt und streckte mich auf der Wasseroberfläche aus. Seinen Anweisungen folgend, machte ich nun am Steg längs „schwimmend“ alle notwendigen Bewegungen. Langsam kam ich vorwärts, mein Vater folgte mir und führte mich an der Leine zum einen Ende des „T“ vorne um den Steg herum, dann wieder bis zum Hauptsteg und diesem folgend weiter Richtung Ufer. Das ging ganz gut, jedenfalls solange ich das Gefühl hatte, dass mein Vater die Leine straff hielt. Ich erwischte ihn allerdings einige Male dabei, die Leine etwas lose zu geben, damit ich regelrecht ins Schwimmen kam und nicht so daran hing. Jedes Mal, wenn ich das bemerkte, wurde ich sehr unsicher, fing an, aufgeregt zu paddeln, was mit Schwimmbewegungen nicht mehr viel zu tun hatte. Er redete dann beruhigend auf mich ein, holte die Leine wieder straff und es ging weiter. Jedenfalls bis zum nächsten Nachlassen. Nach etwa einer Viertelstunde wurde ich etwas sicherer im Wasser. Ich bemerkte nämlich, dass es mich tatsächlich trug, wenn mein Vater die Leine etwas lose ließ. Das war natürlich die entscheidende Erkenntnis. Ich protestierte nicht länger, wenn dies geschah. Natürlich bemerkte mein Vater, dass ich langsam mutiger wurde und dirigierte mich in unmittelbare Ufernähe. Dann stieg er zu mir ins Wasser, band mich los, ging mit mir zu einer Wassertiefe von etwa einem Meter und meinte dann: „So, nun versuchen wir es mal ohne Leine. Bleib in meiner Nähe und schwimm parallel zum Ufer immer langsam voraus, ich komme mit und kann dich sofort erreichen, wenn du in Schwierigkeiten kommst!“ Das klappte auch ganz gut, aber nach etwa zehn Metern verließ mich langsam die Kraft und ich musste mich hinstellen und anhalten. Mein Vater meinte nur, „das ist in Ordnung, ruh dich einen Augenblick aus und dann nehmen wir die Strecke zurück!“ Auch das klappte ganz gut. Aber als ich mich nach zehn Metern hinstellte, schmerzte mich plötzlich irgendetwas am Fuß. Ich hob ihn hoch und sah, dass er blutete. Wir bemerkten nun, dass in unmittelbarer Ufernähe allerhand zackige Steine im Wasser lagen, auch Muscheln waren vorhanden und irgendwelche Drahtstücke lagen dort. Mein Vater griff mich, trug mich ans Ufer, besah sich den Schaden und meinte nur: „Na ja, ist nur ein kleiner Kratzer, aber für heute wollen wir es genug sein lassen.“ An Bord kam ein Tropfen Jod aus Mutters Erste-Hilfe-Kasten auf die Wunde, anschließend ein kleines Pflaster und damit war der Schaden behoben.

„Wenn der Bengel doch bloß mal stillstehen würde.“ An Bord unserer Jolle, Sommer 1937

Das war jedenfalls der entscheidende Durchbruch. Ich hatte Zutrauen in meine eigenen Schwimmkünste gewonnen und festgestellt, dass das Wasser tatsächlich trägt. Am nächsten Wochenende, am Badestrand in der Kleinen Krampe, versuchten wir es erneut, diesmal aber ohne Sicherheitsleine. Es klappte wieder, ich wurde auch nicht schon nach wenigen Metern schlapp, sondern hielt es nun schon zehn Minuten aus.

Am Ende des Sommers war auch meine Mutter beruhigt. „Tatsächlich, der Junge kann schwimmen“, sagte sie. Aber immer, wenn ich ins Wasser ging, folgten mir ihre besorgten Blicke und die stete Ermahnung: „Schwimm nicht zu weit raus, damit Papa dich im Notfall noch erreichen kann!“ Ich hatte schon immer gerne gebadet und mich im Wasser aufgehalten. Der letzte Rest von Angst war nun verflogen. Ich begann das Element Wasser zu lieben.

Das Weihnachtsgeschenk 1942

Eines Tages, es war Anfang Oktober 1942, kam mein Vater etwa eineinhalb Stunden später von der Arbeit nach Hause als gewöhnlich. Meine Mutter schien davon zu wissen, denn sie hatte sich mit dem Abendbrot auf einen späteren Zeitpunkt eingerichtet. Das war entschieden ungewöhnlich. Als er erschien, stellte sie ihm keinerlei Fragen und als sie das Geschirr in die Küche zurücktrug, stand mein Vater auf und ging ins Schlafzimmer. Nach einer kleinen Weile folgte ich ihm neugierig. Als ich durch die angelehnte Schlafzimmertür blickte, sah ich, dass er auf den Ehebetten eine größere Zeichnung ausgebreitet hatte und diese eingehend betrachtete. Leise trat ich näher. Was ich sah, ließ mein Herz höher schlagen. Es war ein großer Schiffsmodellbauplan eines Zerstörers der Kriegsmarine im Maßstab 1:100. Das bedeutete, das fertige Modell würde 1,17 m lang sein, 11,7 cm in der größten Breite und etwa drei cm Tiefgang haben. Mein Vater bemerkte wohl meine Neugierde, vertiefte sich aber in die Einzelheiten der Zeichnung und würdigte mich keines Blickes. Offenbar wollte er nicht gestört werden, und so ging ich leise aus dem Zimmer. Am nächsten Vormittag, als er auf Arbeit und meine Mutter zum Einkaufen gegangen war, fand ich den Bauplan im Bücherschrank meines Vaters. Im Schlafzimmer konnte ich ihn eingehend betrachten. Zeichnungen dieser Art von Schiffen der Kriegsmarine wurden damals vom Verlag Robert Loef herausgegeben. Es handelte sich um einen Zerstörer der Serie 1937, also mit fünf 12,7-cm-Geschützen in Einzelaufstellung und acht Torpedorohren vom Kaliber 53,3 cm in zwei Torpedorohrsätzen zu je vier Torpedos. Als ich die wunderbare, sehr detailgetreue Zeichnung ansah, wurde mir innerlich heiß und kalt. Würde mein Vater dieses Modell für mich bauen? In mir keimte eine starke Hoffnung auf, denn es war klar, dass ein solches Vorhaben ein Vierteljahr dauern würde. Bis Weihnachten würde mein Vater es wohl gerade so schaffen, dachte ich. Hoffnungsvoll faltete ich die Zeichnung sorgfältig zusammen und legte sie in den Bücherschrank zurück. Am folgenden Wochenende begann er mit dem Modellbau in unserer Küche. Auf dem Tisch wurde ein Schraubstock montiert. Im Modellbaugeschäft Flug-Bufe, damals in Berlin eine bekannte Modellbauartikel-Handlung, hatte mein Vater sich das passende Sperrholz besorgt sowie Rundhölzer und Holzplatten, aus denen er später die Spanten herausschnitt. In den Wochen darauf arbeitete mein Vater jeden Abend etwa zwei Stunden und fast die ganzen Wochenenden hindurch. Der Zerstörer nahm langsam Form an. Er wurde sorgfältig auf Kiel und auf Spanten gebaut, die Außenhaut durch Sperrholzplatten gefertigt, die mein Vater nach einem Bad in heißem Wasser schiffsformgerecht auf die Spanten zu bringen wusste. Auf dem Küchentisch lagen Schraubzwingen und diverse Werkzeuge. Es roch nach Sägemehl, später nach Lack und anderen Farben. Von Woche zu Woche schritt der Bau voran und inzwischen machte mein Vater gar keinen Hehl mehr daraus, dass es sein Weihnachtsgeschenk für mich sein würde. Eines Nachmittags nahm er mich zu Flug-Bufe mit und nach gemeinsamer Beratung kaufte er zwei Ankerketten (die Anker hatte er schon selbst zurechtgebogen), ein Dutzend Poller, um Leinen an Deck zu belegen und ein Dutzend Blöcke, um an den Masten Flaggleinen einscheren zu können. Die Geschütze konnten von Steuerbord nach Backbord gedreht werden. Er hatte sie mit einer Schraube an Deck befestigt und so auf einfache Weise drehbar gemacht. Gleiches galt sinngemäß für die beiden Torpedorohrsätze. Die Flakbewaffnung wurde nur angedeutet, war aber nicht zum Drehen vorgesehen. In der Woche vor Weihnachten wurde das Schiff schließlich grau lackiert, die Schornsteinkappen schwarz gestrichen, Flaggleinen und Antennen aufgebracht, Signalflaggen malte mein Vater maßstabsgerecht auf dünnem Papier wie auch die Kriegsflagge am achteren Flaggenstock. Die Bullaugen in der Bordwand wollte er aus Vereinfachungsgründen in schwarz mit einem selbst geschnitzten Stempel aus einem alten Radiergummi herstellen, aber es stellte sich heraus, dass die schwarze Farbe auf dem grauen Lack verlief. So musste er mühsam Bullauge für Bullauge einzeln mit einem kleinen Pinsel auf die Bordwand malen. Laut Bauplan war zur Stabilisierung des Modells – sozusagen als Kenterschutz – der Einbau von einigen Kilo Innenballast durch Eisenstücke vorgesehen. Mein Vater zog es aber vor, das entsprechende Ballastgewicht durch eine flache Eisenschiene unten am Kiel festzuschrauben. Dadurch zeigte der Zerstörer nach dem Eintauchen den vorgeschriebenen Tiefgang, richtete sich nach Krängung immer wieder auf und blieb senkrecht stehen, wenn man das Modell auf eine gerade Tischplatte absetzte. Kurz vor Weihnachten nahm mein Vater mich mit, als er das Modell zu Bekannten brachte, um es dort mit dem Hausherrn gemeinsam in einer großen Badewanne erstmals „vom Stapel zu lassen“. Er wollte herausfinden, ob es auch zeichnungsgemäß schwimmen würde. Als es nun in einer wohlgefüllten Badewanne erstmals zum Aufschwimmen kam, war mein Vater stolz auf seine Handwerksarbeit und wir alle waren von seinem Werk begeistert.

Der Originalzerstörer in See, daneben eine Zeichnung des Modells (Quelle: Schulungsmaterial der Gesellschaft für Sport und Technik)

Am Heiligen Abend 1942 hatte sich die ganze Familie, also beide Großelternpaare sowie Tante Ella und Onkel Paul, in unserer Wohnung wie üblich versammelt. Gegen 15 Uhr wurden die Kerzen des Weihnachtsbaumes angezündet, den wir am Abend zuvor geschmückt hatten. Dann hub ein allgemeines Kaffeetrinken an und um 15.45 Uhr wurde ich aus dem Zimmer geschickt und durfte mich im Schlafzimmer aufhalten, denn der Kaffeetisch im Wohnzimmer wurde für mich zu einem Gabentisch umgestaltet. Als einziges Kind der Familie konnte ich mich über die Geschenke nie beklagen. Aber diesmal war natürlich das Zerstörermodell das absolute Prunkstück. Als ich schließlich hereingerufen wurde, sah meine Mutter mir an, dass bei mir etwas ganz Typisches eingetreten war. Wie immer, wenn ich auf irgendwelche Dinge besonders gespannt war oder mich sehr gefreut hatte. Sie fasste an meine Stirn und stellte fest: „Mein Gott, der Junge hat vor Aufregung Fieber!“ Es stimmte. Aber natürlich verflog das Fieber ganz schnell, nachdem ich mein Gedicht aufgesagt und mich bei allen Familienmitgliedern für die Weihnachtsgeschenke bedankt hatte.

An diesem Abend saßen wir noch lange beisammen. Ich durfte ausnahmsweise länger aufbleiben. Bei Kartoffelsalat und Würstchen vergaßen wir ganz und gar, dass die 6. Armee in Stalingrad in eisigem Frost und Kälte mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Rote Armee ankämpfte und der deutsche Vormarsch an der Ostfront zum Stehen gekommen war. Wir wussten das von Onkel Paul, der als ehemaliges Mitglied der KPD und als gelernter Motorenschlosser bei den Junkers-Flugzeugwerken in Dessau kriegsverpflichtet war. Er hatte dort gelegentlich Kontakt mit Piloten, die zum Werk Dessau kamen, um fertige Flugzeuge an die Front zu überführen.

Mich kümmerte das wenig, war ich doch glücklich über den Zerstörer. Am ersten Weihnachtsfeiertag fotografierte mein Vater das Modell und mich, aber bei der ungenügenden Beleuchtung an einem trüben Winternachmittag wurde die Aufnahme nicht besonders scharf. Mein Vater hatte passend zum Modell auch zwei Dalbengruppen angefertigt, die man am flachen Seeufer in den Sand stecken konnte, um den Zerstörer daran festzumachen, wenn man es nicht vorzog, ihn vor Anker zu legen. Außerdem hatte er ein kleines Heft mit der Überschrift „Logbuch“ gestaltet, die Seiten waren mit Tusche liniert worden und es gab Spalten mit „Datum“, „Uhrzeit“, „Ereignis“, die bei jedem Spielen mit dem Modell ausgefüllt sein sollten. Mein Vater war eben ein gründlicher Mann.

Im Januar, kurz nach seinem Geburtstag, wurde er zur Wehrmacht eingezogen und in Spremberg in der Panzerjägerersatzabteilung 43 zum Einsatz in einer neu aufzustellenden 6. Armee ausgebildet. Als Fachmann für Kunstpressstoff-Verarbeitung wurde er Anfang Mai 1943 wieder aus der Wehrmacht entlassen und bei Telefunken reklamiert.

Der Sommer 1943 war für uns die letzte Segelsaison mit der Segeljacht MONIKA. Im Beiboot sicher verstaut, habe ich meinen Zerstörer bei unseren Segelausflügen immer mitgeführt. Nach dem Festmachen am Ufer spielte ich im flachen Wasser ausgiebig damit und manchmal schleppte ich ihn mit meinem Dingi. Im Herbst 1943 verkaufte mein Vater die MONIKA – und das war gut so. Der neue Eigner verlegte das Boot nach Schmöckwitz und damit überstand es das Kriegsende mit all seinen Folgen. Wäre die Jacht im Schuppen unseres Klubs der Segelfreunde Grünau in Berlin-Wendenschloss geblieben, so wäre sie im Winter 1944/45 wahrscheinlich mit den anderen Booten infolge eines nächtlichen Luftangriffes ein Opfer der Flammen geworden. Leider stand hier auch mein Zerstörer; wir hatten ihn im Herbst nicht mit nach Hause genommen. Bei diesem Angriff verbrannte das schönste Weihnachtsgeschenk meiner Kindheit.

Meine selbst gezeichnete Seekarte

Für mich begann die Segelsaison 1951 wie immer im März mit der Überholung von Erich Wolfs nationaler 35er-Jacht. Der Skipper pflegte dann eines Tages meinen Vater anzurufen, um ihm die Nachricht an mich aufzutragen: „Wenn der Sohnemann wieder Lust hat, in diesem Sommer mit mir zu segeln, dann soll er sich am nächsten Sonnabendnachmittag bei mir im Schuppen melden. Wir beginnen mit der Unterwasserschiffsüberholung, schleifen, streichen usw.“ An den folgenden Wochenenden waren der Skipper, Willi Bart und ich viele Stunden im Schuppen damit beschäftigt, das ganze Unterwasserschiff zu schleifen. Wenn Erich Wolf mit der Fläche zufrieden war, brachte er einen Anstrich von erstklassiger Kupferbronze auf, die in Ostberlin jedoch nicht zu bekommen war. Wie die meisten Berliner Segler kaufte der Skipper sie in Westberlin zum Wechselkurs von 1:5 illegal ein.

Im Schuppen war es relativ kühl; bei etwa zehn Grad fingen wir mit den Arbeiten an. Ich hatte ihm dann die Handlampe stets so zu halten, dass er beim Streichen genau sehen konnte, wie die Farbe deckt, dass keine Stellen frei blieben und der Anstrich gleichmäßig aufgetragen wurde. Danach ging es um die Außenhaut. Die schön gemaserte Mahagoni-Bordwand wurde zunächst mit feinstem Schleifpapier von uns dreien nass geschliffen. Wenn der Skipper damit zufrieden war, kommandierte er „Pause“ und wir verholten uns zum Mittagessen. Nach etwa einer Stunde sammelten wir uns wieder im Schuppen, dann wurde die Fläche sorgfältig mit Terpentin gesäubert. Vor Beginn des Lackierens hatte ich zwei Eimer Wasser anzuschleppen, der Skipper und Willi feuchteten den staubigen Schuppenboden damit kräftig rings um das Boot an, spritzten den Inhalt der Eimer freigiebig in der Gegend herum, um jede Staubentwicklung zu verhindern. Dann öffnete der Skipper feierlich die erste Büchse mit Tokiol-Bootslack, die ebenfalls aus Westberlin stammte. Das hielten die meisten Segler damals so, soweit sie es sich leisten konnten. Klarlack war zwar auch in Ostberlin verfügbar, viele meinten aber, er hätte nicht die gleiche Qualität. Ich habe später für meinen Piraten Ostlack benutzt, aber keinen nennenswerten Unterschied feststellen können. Erich Wolf nahm einen sorgfältig präparierten Lackpinsel zur Hand und fing am Steven an, sein Boot zu lackieren. Wiederum hatte ich mit der Handlampe klarzustehen und diese genau so zu halten, dass er die Lackverteilung ständig unter Kontrolle hatte. Ich muss heute noch sagen, dass ein Boot nicht sorgfältiger lackiert werden konnte.

Als Mitglied der Jugendabteilung des Segelklubs Tourensegler Grünau e.V., 1951

Blick auf das Klubhaus der Tourensegler Grünau in Berlin Schmöckwitz. Im Vordergrund das Starthaus für Regatten

Die Prozedur dauerte geraume Zeit und als wir fertig waren, war es draußen längst dunkel geworden. Der Skipper lud mich dann ein, mit seinem Auto mitzufahren. Er fuhr eine DKW-Limousine, deren Hinterteil aber zu einer Ladefläche umfunktioniert worden war. Ein Zwei-Takt-Motor reichte aus für Stadt und Nahbereichsfahrten. Er benutzte das Auto sowohl als Privat- als auch als Firmenwagen. Gewöhnlich setzte er mich am Bahnhof Ostkreuz ab und fuhr dann in seine in der Nähe gelegene Wohnung. Ich fuhr mit der S-Bahn bis zur Schönhauser Allee weiter.

Im Mai und Juni segelten wir wie üblich, nahmen an Regatten teil und waren auch erfolgreich. Für den Monat Juli hatte mich der Skipper sozusagen verborgt. Der neugebildete Fachausschuss Seesegeln des Bezirkes Berlin hatte eine vierwöchige Gemeinschaftsfahrt an die Ostsee geplant. Ziel war die Teilnahme an den Seeregatten der ersten offiziell organisierten Warnemünder Woche. Hierzu hatten sich etwa 16 Ostberliner Jachten gemeldet. Es waren seetüchtige oder zumindest küstentüchtige Kieljachten, zwei Jollenkreuzer und zwei Motorboote. Der Schleppzug sollte eines Sonnabendmorgens sehr früh an der Köpenicker Brücke zusammengestellt werden. Unter den Teilnehmern unseres Vereins waren der Sportsfreund Alfred Wyschinski mit seiner Ehefrau an Bord seines nationalen 45-m2-Binnenkreuzers STÜRMER, Segel-Nr. P 11, und der nationale 30-m2-Einheitsseefahrtskreuzer TAKU des stellvertretenden Leiters des Fachausschusses, Sportsfreund Hans Roßdeutscher. Bei Letzterem war immer noch mein Freund Harry Wolter angemustert. Wegen der langen Fahrt und der zu erwartenden Erschwernisse in den Küstengewässern hatte man Wyschinski geraten, nicht nur mit seiner Frau loszufahren, sondern eine dritte Person an Bord zu nehmen; mein Skipper hatte mich vorgeschlagen. Mein Urlaub betrug drei Wochen, die Reise sollte aber vier dauern. Da es jedoch eine offiziell geplante Segelsportveranstaltung war, erwirkte der Fachausschuss bei meinem Lehrmeister eine Freistellung für eine Woche. Am Freitag vor der Abfahrt trafen sich alle Boote an den Stegen des Köpenicker Segelvereins. Abends fand eine offizielle Verabschiedung statt, mit kurzen Reden, einigen Absprachen und Informationen; anschließend wurde ein Seglerball veranstaltet. Unsere kleine Flottille setzte sich im Wesentlichen aus Ehepaaren zusammen und von den jungen Köpenicker Seglern war niemand erschienen – bis auf die zahlreichen Töchter der Vereinsmitglieder. Nur Harry und ich gehörten sozusagen in die passende Altersgruppe. So hatten wir beide eine große Auswahl an Tänzerinnen und keinerlei lästige Konkurrenz. Als es gerade am schönsten wurde, stoppte um 23 Uhr die Musik, es wurde offiziell Feierabend geboten, mit Rücksicht auf unseren frühzeitigen Start am nächsten Morgen. Schon um 5.30 Uhr sollte der Schlepper erscheinen und den Zug zusammenstellen. Also mussten Harry und ich mit unseren Skipperfamilien gemeinsam an Bord gehen und uns zur Ruhe begeben. Unsere Tänzerinnen konnten wir nicht einmal nach Hause begleiten.

Die Zusammenstellung des Schleppzuges am nächsten Morgen war ein schwieriges Manöver. Der Schlepper hatte eine etwa 50 m lange Trosse bereitgelegt. Sie sollte als Mitteltrosse dienen und die Boote mussten jeweils an ihrer Steuer- oder Backbordseite versetzt festmachen – die größten Boote gleich hinter dem Schlepper, dann in gleicher Weise folgend die kleineren Jachten und Motorboote. Den Schluss bildeten die beiden hölzernen Jollenkreuzer. Hätte man alle Boote „im Gänsemarsch“ – eines nach dem anderen – angebunden, dann hätten die vorderen Boote den ungeheuren Zug der folgenden Boote auszuhalten gehabt. Dafür sind aber nur Lastkähne konstruktiv vorgesehen. Sportboote hätten die Beanspruchung nicht überstanden. Da an Bord jedes Bootes die kurze eigene Schleppleine am Maststuhl und damit im Drehpunkt eines Bootes festgemacht wurde, blieb jeder bei der flotten Fahrt des Schleppers manövrierfähig und konnte vom jeweiligen Skipper am Ruder nach Belieben dicht an die Schleppleine herangesteuert werden oder ein etwas größerer Abstand entfernt eingenommen werden.

In der Berliner Stadtschleuse angekommen, bemerkten wir allerdings, dass die Sache doch nicht so einfach war. Voller Freude hatten wir alle in der Schleusenkammer Platz gefunden. Infolge mangelnder Übung hatten der Schlepper und alle Skipper jedoch nicht darauf geachtet, wo die Mitteltrosse verblieben war. Als sich das vordere Schleusentor öffnete und der Schlepper langsam mit der Fahrt anging, kam die Mitteltrosse vom Grund hoch. Da der eine oder andere Skipper nicht aufgepasst hatte, befanden sich, als Zug auf die Leinen kam, plötzlich zwei Boote an der falschen Seite und brachten damit den ganzen Schleppzug in Bedrängnis. Der Schlepper musste aufstoppen, die Schleppleine sank wieder auf den Grund. Die Boote schoren zur Seite nach Backbord bzw. nach Steuerbord aus und als die Trosse ein zweites Mal steif kam, stellte sich heraus, dass sie sich ordnungsgemäß in der Mitte befand und die Boote Steuerbord und Backbord fest mit ihren Stopperstek an der Mitteltrosse vertäut waren. So konnte die Fahrt ohne weitere Probleme durch Westberlin und den Tegeler See hindurch bis zur Schleuse Lehnitz fortgesetzt werden. Zu dieser Zeit gab es wasser-seitig keine Grenzsperren zwischen Ost- und Westberlin. Und bis 1961 gab es auch einen regen gegenseitigen Bootsaustausch zu den entsprechenden Regattaveranstaltungen in der geteilten Stadt. Nach dem Passieren der Schleuse Lehnitz ging es weiter auf den Großschifffahrtsweg und am Abend machte der Schleppzug kurz vor dem Schiffshebewerk Niederfinow an der Steuerbordseite des Ufers an der Böschung fest. Nach dem Abendessen gingen wir fast alle an Land, um uns ein bisschen die Beine zu vertreten. Als die Dunkelheit hereinbrach, bemerkten wir an der steilen Kanalböschung Tausende von kleinen Lichtpunkten, die sich bei näherem Hinzutreten als Glühwürmchen entpuppten. Dieses Phänomen habe ich damals zum ersten und zum letzten Mal gesehen.

Am nächsten Morgen um 5 Uhr weckte uns planmäßig mit kräftigem Sirenengeheul der Schlepper, dann hieß es, sich schnell frischzumachen und zu frühstücken, denn um 5.30 Uhr wurde losgeworfen und der Schlepper zog uns in die Schleusenkammer des Schiffshebewerkes. Das war ein hochinteressantes Erlebnis. Es war ein ganz eigenartiges Gefühl, sich aus der großen Höhe langsam herabsinken zu lassen. Alles geschah in unheimlicher Ruhe und Stetigkeit. Als wir, unten angekommen, voller Respekt auf die gewaltige Stahlkonstruktion über uns blickten, zog uns der Schlepper in ganz langsamer Fahrt aus dem Trog des Hebewerks heraus.

Das Schiffshebewerk Niederfinow kann bis zu 1 000 Tonnen Last heben.

Am Nachmittag erreichten wir den kleinen Hafen des Städtchens Garz. Es war der letzte Anlaufpunkt auf dem Territorium der DDR. Hier sollte uns beim Bürgermeister die Durchreisegenehmigung durch die Volksrepublik Polen in Form einer gemeinsamen Mannschaftsliste mit entsprechendem Visum erwarten. Leider war nichts vorhanden, sodass die Weiterfahrt zwangsweise unterbrochen werden musste. Am folgenden Morgen wurde deshalb unser Delegationsleiter, Sportsfreund Kurt Rohr, nach Berlin zurückgeschickt, um entsprechende Erkundigungen einzuholen. Am nächsten Tag kehrte er zurück und berichtete, er hätte jetzt zwar alle notwendigen Papiere und wir könnten weiterfahren, aber er habe kämpfen müssen bis hoch zum Büro Walter Ulbrichts. Der Sportverband hatte es nicht geschafft, die Sache richtig zu organisieren. Wir erfuhren später, dass sogar ein Telefongespräch zwischen Walter Ulbricht und dem polnischen Ministerpräsidenten erforderlich gewesen war, um die entsprechende Genehmigung zu erhalten.

Am nächsten Tag fuhr der Schleppzug weiter, passierte die Grenze und erreichte auf seinem Weg flussabwärts den polnischen Teil der Oder. In der Nähe der Ortschaft Gryfino, vormals Greifenhagen, kamen polnische Grenzsoldaten mit Motorbooten an unseren langsam fahrenden Schleppzug heran, stiegen über und kontrollierten die Ausweise. Da sie bisher nur mit der Berufsschifffahrt zu tun gehabt hatten, trugen sie – wie immer – ihre derben Lederstiefel, worüber die Skipper nicht sehr glücklich waren. Die Skipperfrauen legten schnellstens einen Lappen an Deck, um das Ärgste zu verhindern, was wiederum die Soldaten nicht heiter stimmte. So wurden die Kontrollen in sehr kühler Atmosphäre durchgeführt. Wir alle waren froh, als die Prozedur ihr Ende fand und wir die Reise in normaler Marschgeschwindigkeit fortsetzen konnten. Interessant war die Fahrt durch das frühere Stettin. Natürlich zeigte die Stadt damals noch erhebliche Kriegsschäden. Dann zeigte unser Kurs weiter hinaus auf das Oderhaff, schließlich passierten wir erneut die deutsch-polnische Grenze ohne weitere Schwierigkeiten und erreichten am Abend den kleinen Hafen an der gesprengten Eisenbahnbrücke von Karnin. Hier wurden wir erneut von unseren Grenzpolizisten in Empfang genommen.

Nun begannen die Vorbereitungen für das allgemeine Aufrichten der Masten, denn von Berlin bis hierher mussten wegen der Brücken und Schleusen alle Masten gelegt bleiben. Für zwei Segler bedeutete das ein ganz spezielles Manöver. Das Boot von Hans Roßdeutscher war nämlich ein Originalbau der Jachtwerft Karl Vertens in der Nähe von Schleswig, Baujahr 1937. Es hatte einen Steckmast, der mithilfe eines Mastkrans in die dazu vorgesehene Öffnung an Deck hineingesteckt und langsam heruntergelassen wurde, bis der Boden des Mastes kurz über dem Kiel der Jacht in eine vorgesehene Halterung glitt. Sie besaß keinen Maststuhl, um den Mast an Deck aufzustellen, wie es bei der Mehrzahl der Boote im Binnenland üblich war. Nun hatten die beiden Skipper, Alfred Wyschinski und Hans Roßdeutscher, schon in Berlin vereinbart, dass der Steckmast für die TAKU mithilfe einer speziellen Gaffelkonstruktion aufgerichtet werden sollte. Diese hatte Roßdeutscher in seiner Tischlerei nach einer Skizze anfertigen lassen. Der 45er STÜRMER von Alfred besaß eine sogenannte Gaffeltakelage, also einen relativ kurzen Mast, an welchem mithilfe einer Gaffel das Großsegel gesetzt werden konnte. Diese war aber zu schwach, um damit den Mast der TAKU zu bewegen. Also wurde mithilfe des Klau- und des Piekfalls die etwas kräftige hölzerne Gaffel von Hans Roßdeutscher am Mast der STÜRMER hochgezogen und die Leinen sorgfältig belegt. Dann wurde er von KARO 19 von der oberen Saling beigefangen und langsam an der Gaffel hochgezogen, so lange, bis er gewissermaßen frei hing. Das bedeutete für den Mast der STÜRMER eine starke Belastung, und wir sahen bei dem Manöver, dass er sich erheblich bog. Zum Glück war es ein Vorkriegsmast, solide gearbeitet, der das Gewicht aushielt. Dann wurde die Gaffel mit dem Steckmast vorsichtig so herumgeschwenkt, dass der untere Teil genau über dem Loch an Deck der TAKU hing. Jetzt galt es, die Halteleine langsam und vorsichtig wegzufieren. Zwei andere Sportsfreunde waren unten in der Vorluke klar. Als der Mast weiter und weiter nach unten glitt, packten sie dessen unteren Teil und sorgten dafür, dass er ordnungsgemäß in die Halterung auf dem Kiel einrastete. Hans Roßdeutscher musste nur noch die Wanten, das Vor- und das Achterstag mit den dazu vorgesehenen Spannschrauben ordentlich festsetzen, den Großbaum am Mast anbringen und war damit segelklar. Aber das ganze Manöver dauerte etwa zwei Stunden und wurde von allen Mitgliedern des Geschwaders mit Spannung verfolgt. Verständlich, dass nach der überstandenen Aufregung die Beteiligten von Hans Roßdeutscher einige kräftige Schnäpse eingeschenkt bekamen.

Am nächsten Morgen warfen wir los und der Verband segelte nach Stralsund. Beim Passieren des Seepolizei-Stützpunktes Wolgast, damals Arsenal genannt, sah ich erstmals einige Minenräumboote am Kai liegen. Sie stammten aus der Kriegsmarine. Wie ich später erfuhr, hatten sie zur Baltischen Flotte gehört und waren der jungen Seepolizei für die Ausbildung des Nachwuchses übergeben worden. In der Peenewerft entdeckte ich beim Vorbeifahren halbfertige Küstenschutzboote (sogenannte KS-Boote) und andere grau angestrichene Rümpfe, deren Bedeutung mir damals noch nicht ganz klar war. Und wieder dachte ich: ‚Im nächsten Jahr bist du 18 und dann kannst du auch zur Seepolizei gehen.‘ Diese Überlegungen beschäftigten mich noch abends in meiner Koje.

Schließlich erreichten wir Stralsund, wo wir einen Hafentag einlegten. Danach sollte es nach Warnemünde weitergehen, um an der ersten Ostseewoche teilzunehmen. Aber wegen des schlechten Wetters wurde daraus nichts. Der Wind wehte einige Tage sehr steif aus Südwest und wir hätten mit unseren Binnenbooten draußen auf See spätestens ab Darßer Ort sehr anstrengend gegen Wind und Seegang bis Warnemünde aufkreuzen müssen. Das ist bei Windstärke 6 bis 7 für Boote und Besatzungen aus dem Binnenland ein sehr ungewohntes und nicht ungefährliches Vorhaben. Da die Windstärke und Windrichtung sich auch in den Folgetagen nicht änderte, wurde dieser Teil der Reiseplanung aufgegeben.

Die Stralsunder Segler verstanden unser Bedauern und – kameradschaftlich wie sie waren – organisierten sie auf die Schnelle eine gemeinschaftliche Wochenend-Regatta auf dem Strelasund. In diesem relativ geschützten Gewässer herrschte nur Windstärke 5 und der Seegang entsprach dem eines größeren Binnensees. Das bedeutete, alle Boote konnten gerade noch Vollzeug fahren, mussten also nicht die Segelfläche reffen bzw. anderweitig verkleinern. So ließen sich an diesem Wochenende mehrere Wettfahrten absolvieren. Das Ergebnis war für die Berliner Flottille sehr erfolgreich: In den meisten Bootsklassen belegten unsere Fahrzeuge die ersten Plätze und wir, die Besatzung der STÜRMER und unser Skipper Alfred Wyschinski, wurden außerdem noch „schnellstes Boot der Wettfahrt“. Für Alfred war das keine Überraschung, denn auch in den heimatlichen Berliner Gewässern erwies sich P11 immer als ein sehr schnelles Schiff. Besonders, wenn es längere Strecken raumschots zu segeln gab (also wenn der Wind schräg von achtern kommt), dann wirkte sich das große Gaffelsegel als sehr günstig aus.

Am folgenden Montag steckten die Skipper die Köpfe zusammen und entschieden, nicht nach Warnemünde zu segeln. Stattdessen hieß es: „Heute geht’s für alle einzeln nach Kloster auf der Insel Hiddensee.“ Inzwischen wusste ich, dass mein Skipper Alfred keinerlei Seekarten an Bord hatte. Aber Hans Roßdeutscher besaß aus der Vorkriegszeit noch die sogenannten alten deutschen Admiralitätskarten, darunter auch eine vom Seegebiet Rügen West, in welcher auch das Gewässer zwischen Rügen und Hiddensee enthalten war. Alfred meinte zu mir: „Nimm dir ein Blatt Papier und Bleistift und geh mal rüber zur TAKU! Hans Roßdeutscher wird dir seine Seekarte geben und dann zeichnest du den für uns wichtigsten Teil zwischen Stralsund und Hiddensee ab! Kannst du das?“ Ich spürte leisen Zweifel. „Ja, das kann ich“, entgegnete ich. Mein Vater besaß zu Hause in seinem Bücherschrank auch eine ganze Reihe von Seekarten aus der Vorkriegszeit, weil er immer von Stettin über das Haff nach Swinemünde segeln wollte, was aber während des Krieges nicht möglich gewesen war. Ich hatte mir die Karten oft angesehen und wusste, worauf es ankam. „Na gut“, hieß es dann, „dann mal zu!“ Alfred hatte noch nie eine Seekarte in der Hand gehabt und außerdem trug er eine sehr starke Brille. Deswegen hatte er, wie ich wusste, auch die Auflage, nur sein eigenes Boot segeln zu dürfen, was auch auf seinem Segelschein vermerkt war. Also stieg ich rüber auf das Nachbarboot, Hans Roßdeutscher gab mir die Karte, räumte den Kajütentisch frei und so konnte ich in aller Ruhe eine sorgfältige Skizze anfertigen. Das Wichtigste war natürlich der Verlauf des Fahrwassers, insbesondere die Tonnen mit ihren Nummern mussten ordentlich eingetragen werden. Außerhalb des Tonnenstreifens war die Wassertiefe einzutragen, denn die Boote hatten immerhin 1,20 m Tiefgang, einige sogar 1,30 m. Die Skipper mussten folglich genau wissen, wo sie aus dem Fahrwasser herauslaufen konnten und wo nicht. Nach etwa einer Stunde hatte ich meine Seekarten-Skizze fertig, kam zurück und zeigte sie meinem Skipper. „Na gut“, meinte der, „dann musst du jetzt die Navigation übernehmen und mir unterwegs ansagen, wo wir uns befinden und zu welcher Tonne wir weiterfahren müssen.“

So geschah es auch, aber wir legten als letztes Boot unserer Flottille ab, da Frau Wyschinski noch an Land Provianteinkäufe machen musste. Als wir in Stralsund von der Nordmole ablegten und mit halbem Wind und schöner rauschender Fahrt den Sund nach Norden abliefen, sahen wir die Segel unserer Freunde nur noch ganz klein am Horizont. Bei dem herrschenden Wind lief die STÜRMER gut, obgleich nur Großsegel und die kleine Fock gesetzt waren. Tonne für Tonne wurde abgesegelt, ich hatte einen Bleistiftstummel in der Hosentasche und jedes dieser Seezeichen, an dem wir vorbeigekommen waren, wurde mit einem kleinen Querstrich versehen, sodass ich immer genau wusste, welches als nächstes an der Reihe war und meinen Skipper entsprechend einweisen konnte. Das lief auch alles ganz gut. Außerdem waren wir nicht allein. Gelegentlich kam uns ein kleines Fischereifahrzeug entgegen oder der von Hiddensee nach Stralsund verkehrende Ausflugsdampfer der Weißen Flotte. Der Wind wehte lebhaft, die Sonne schien, das Boot rauschte mit uns auf nahezu nördlichem Kurs an den Tonnen vorbei und die Crew war guter Dinge. An Backbord passierten wir Neuendorf, dann wurde das Fahrwasser sehr eng und wir glitten zwischen der Fährinsel an Backbord und dem Stolper Haken an Steuerbord in dem schmalen Fahrwasser mit halbem Wind weiter auf unserem Kurs. Aber nun kam der kritische Augenblick. Das Fahrwasser gabelte sich. Etwa mit nordnordwestlichem Kurs ging es weiter nach Kloster, aber fast auf Ostkurs nach Steuerbord abbiegend, verlief das Fahrwasser nach Wiek auf Rügen oder nordwärts in den Libben. Also wies ich meinen Skipper beizeiten darauf hin, dass an dieser Fahrwasserteilung der Kurs Richtung Nordnordwest mit Kurs nach Kloster eingeschlagen werden musste. „Das glaube ich nicht“, sagte er, „hier an Steuerbord ist es doch viel breiter!“ – „Ja“, antwortete ich, „aber das führt nicht nach Kloster, das führt praktisch raus in den Libben.“

Ich zeigte ihm meine Karte und es entstand ein regelrechter Disput. Ich konnte sagen, was ich wollte, er glaubte mir nicht, sondern ließ das Schiff mit Steuerbordkurs in das falsche Fahrwasser hineinlaufen. Er meinte, an der Backbordseite im Hintergrund sei das Ufer so niedrig, da könne unmöglich Kloster liegen. Ich konnte nur beteuern, dass meine Karte richtig abgezeichnet sei und die Tonnen unzweifelhaft stimmen würden. Aber ich musste die Erfahrung machen, wenn ein älterer Mensch selbst unsicher ist, dann traut er natürlich auch einem 17-Jährigen nicht so recht über den Weg. So blieb er starrsinnig bei seiner Meinung. Wir liefen weiter Richtung Buger Haken, dann ging er auf nördlichem Kurs das nächste Fahrwasser weiter und so liefen wir immer noch mit rauschender Fahrt und halbem Wind in die sich öffnende Bucht Libben hinein und waren im Begriff, in die offene See hineinzusteuern. Wir bemerkten das daran, dass sich der Tonnenabstand vergrößerte und auch der Wellengang erheblich zunahm. Das Land war nach Steuerbord und Backbord zurückgewichen, voraus nun der klare Horizont der offenen See zu sehen. Ich versuchte, den Skipper von der Umkehr zu überzeugen. Frau Wyschinski, die nun allmählich auch etwas ängstlich geworden war, riet ihrem Mann: „Alfred, hier müssen wir falsch sein, tu mir den Gefallen und dreh um!“ Einige Minuten hielt er noch seinen Kurs durch, merkte aber, dass die Ansteuerungstonne Libben schon in Sicht kam. So ging er dann mit flatternden Segeln durch den Wind und legte das Boot auf den Gegenkurs wieder zurück in das Fahrwasser des Vitter Boddens. Als wir nach einer Weile am Neubessiner Haken vorbeigefahren waren und in der Ferne den winzigen Hafen von Kloster erkennen konnten, bemerkten wir, dass Hans Roßdeutscher im Begriff war, mit dem Motor und ohne Segel aus dem Hafen Kloster auszulaufen. Offenbar hatte man dort unsere falsche Wahl des Fahrwassers bemerkt und er wollte uns in einem gewissen Gefühl der Verantwortlichkeit für Alfred Wyschinski zurückholen. So war es auch. Er kam uns mit flotter Fahrt entgegen, glücklicherweise gerade in dem Augenblick, als wir den Buger Haken passiert hatten und mit Westkurs in dem sehr engen Fahrwasser fürchterlich mit kurzen Schlägen hätten aufkreuzen müssen. Das blieb uns nun erspart. Hans Roßdeutscher lief mit großer Fahrt an uns vorbei und rief uns zu: „Nehmt die Segel runter und macht eine Schleppleine klar!“ Ich legte sie klar und als unser Boot nahezu gestoppt im Fahrwasser dümpelte, kam Roßdeutscher mit langsamer Fahrt in Luv vorbei; mit einem lässigen Schlenker warf ich ihm die Trosse hinüber. Er konnte sie festmachen, fuhr mit ganz langsamer Fahrt weiter. Im Schlepp der TAKU liefen wir nach einer knappen halben Stunde in den ruhigen kleinen Hafen von Kloster auf Hiddensee ein. Nach dem Festmachen gab es eine rege Unterhaltung zwischen Hans Roßdeutscher und unserer Crew. Er machte mir Vorwürfe, meinen Skipper falsch beraten zu haben. Ich erklärte ihm, dass ich verzweifelt versucht hätte, Alfred von der richtigen Route zu überzeugen, dass mir das aber nicht gelungen sei. Zu meinem Glück entschloss sich Frau Wyschinski, meine Aussage zu bestätigen, indem sie sagte: „Was Gerd sagt, ist richtig. Er hat wirklich ein paar Mal darauf hingewiesen, wo wir langfahren sollen. Aber Alfred hat ihm nicht geglaubt!“

An Bord der 45-m2-Binnenkielkreuzerjacht STÜRMER von Alfred Wyschinski versucht der Skipper, mithilfe eines Bootshakens von der Dalbenreihe abzulegen. Sommer 1951

Das Thema wurde nicht wieder berührt. Und nachdem ich eine Nacht über den Vorfall geschlafen hatte, sah ich das Ganze in einem milderen Licht. Dennoch ärgerte ich mich darüber, dass der Skipper es seiner Frau überlassen hatte, mich zu entlasten und nicht selber zugegeben hatte, dass meine Kursvorschläge richtig gewesen waren. Noch in meiner Koje liegend, erwog ich den Gedanken, am nächsten Morgen auszusteigen und mit dem Hiddensee-Dampfer nach Stralsund zurückzufahren, um dann den Heimweg mit dem Zug nach Berlin anzutreten. Aber dann dachte ich mir: ‚Davonlaufen ist auch nicht das Richtige.‘

Schließlich segelten wir über den Greifswalder Bodden zurück nach Wolgast. Und als wir planmäßig den kleinen Brückenhafen von Karnin erreichten, lag dort schon der Schlepper MUNGO aus Aaken an der Elbe. Die Besatzung bestand aus einem jungen Ehepaar mit einem kleinen drei oder vier Jahre alten Mädchen und einem weiteren Besatzungsmitglied, dem Heizer. Dieser Schlepper brachte uns – nachdem alle Masten gelegt waren – wieder auf der gleichen Route zurück nach Berlin.

Im Großen und Ganzen war es doch eine schöne Reise und brachte mir viele neue Eindrücke und so manche Erfahrung. Und mein Interesse für den Dienst in der Seepolizei war wieder geweckt worden, denn sowohl die Männer unseres Schleppzuges als auch ich selbst, keiner war der Illusion erlegen, dass es sich hier um eine Polizeiformation handeln würde. Die beiden 2-cm-Flak auf den Minenräumbooten erzählten eine ganz andere Geschichte.

Wie ich den 17. Juni 1953 erlebte

Mein eigenes Leben im Frühjahr 1953 – die letzten Arbeiten an meinem Boot und die Indienststellung der Piratenjolle, die ersten Segelwochenenden mit meiner Freundin Lorchen, mein Dienst in der Betriebsberufsschule der Jachtwerft Berlin als Fachlehrer, im Wesentlichen bestimmt durch Unterrichtsvorbereitung, Unterricht, Klassenarbeiten und deren Zensierungen – beschäftigte mich derart, dass ich die große Politik, in diesem Fall die Innenpolitik der DDR in ihrer Entwicklung zwar täglich durch das Zeitungsstudium zur Kenntnis nahm, aber ihre Tragweite nicht voll erfasste. Der Tod Stalins und die vorsichtig eingeleitete Entstalinisierung der DDR hatten zur Folge, dass insbesondere aus der Arbeiterschaft Forderungen laut wurden, den Druck der Arbeitsnormen, die kürzlich erhöht worden waren, wieder zu mildern. Es hatte auch auf der Ebene der Partei und der Gewerkschaft dazu eine Reihe von Diskussionen gegeben, deren Höhepunkt die Veröffentlichung des „Neuen Kurses“ der Partei und seine Propagierung bildete. Wahrscheinlich kam es zu spät, wurde auch in den Großbetrieben nicht richtig vermittelt oder nicht schnell genug umgesetzt. Möglicherweise gab es auch viele bürokratische Hemmnisse. Jedenfalls kriselte es, besonders in Berlin. Das alles nahm ich nur am Rande wahr, ich wusste nicht einmal, ob es in der Jachtwerft auch solche Forderungen der Werftarbeiter gab. In der Betriebsberufsschule und in der Jugendwerft, wie die Lehrwerkstatt genannt wurde, merkten wir nichts davon. Weder die Lehrer und die Lehrausbilder noch die Lehrlinge in der Lehrwerkstatt waren von den Normenerhöhungen betroffen.

Am Vormittag des 17. Juni fuhr ich mit der S-Bahn nach Köpenick zur Arbeit. Ich hatte keine Eile, denn an diesem Tage begann mein Unterricht erst zur dritten Stunde. Beim Umsteigen am Bahnhof Ostkreuz waren mir schon einige Unregelmäßigkeiten bei den Durchsagen aufgefallen, aber ich schob das auf die möglichen Folgen eines eben zu Ende gegangenen fürchterlichen Sommergewitters über der Stadt. Im S-Bahnhof Karlshorst hieß es plötzlich: „Alles aussteigen, der Zug endet hier!“ Verwundert stiegen die Menschen aus, einige verließen den Bahnhof. Ich hatte vor, mit der Straßenbahn weiter nach Köpenick zu fahren, aber es kam keine. Also marschierte ich in Richtung Schöneweide, dann weiter nach Köpenick, denn die Berufsschule lag in Berlin-Grünau. Es wurde ein langer Weg. In Oberschöneweide kamen mir marschierende Kolonnen, offensichtlich Arbeiter und Angestellte des Transformatorenwerkes, in Zehnerreihen auf der Straße stadteinwärts entgegen. Sie führten Transparente bei sich mit Forderungen nach mehr Lohn, Rücknahme der Arbeitsnormen, aber von Forderungen nach Rücktritt der Regierung oder freien Wahlen ist mir nichts in Erinnerung. Als ich an ihnen vorüberging, winkten sie mir zu und riefen: „Los, komm mit, wir streiken!“ Ich dachte jedoch an meine wartenden Schüler und setzte meinen rund 15 km langen Weg fort. Gegen Mittag war ich am Ziel. Als ich mich beim Schulleiter wegen der Verspätung entschuldigte, winkte der bloß ab. „Ist schon gut, Kollege Peters, sie waren der letzte, der noch fehlte. Wissen sie nicht, dass wir inzwischen Belagerungszustand in Berlin haben? Jetzt kann ich dem Schulrat melden, dass alle Berufsschüler, die Ausbilder der Lehrwerkstatt und alle Lehrer vollzählig anwesend sind. Aber wir müssen die Schüler jetzt nach Hause schicken und zwar einzeln, denn Bewegungen von Gruppen auf der Straße sind ausdrücklich verboten.“ Wir Lehrer blieben noch einige Zeit in der Schule, hörten Radio und begriffen nach und nach den Ernst der Lage. Dann gingen auch wir nach Hause, für mich bedeutete das erneut einen langen Marsch, diesmal durch die ganze Stadt bis nach Prenzlauer Berg.

Auf dem Rückweg sah ich im Stadtzentrum sowjetische Truppenteile, teils zu Fuß, teils aufgesessen auf den Panzern. Die Lage war ruhig, aber angespannt. Ich machte nur noch einen kurzen Besuch bei Lorchen und ihrer Familie. Aber ich musste um 20 Uhr zu Hause sein, denn abends herrschte Ausgangssperre. Nach wenigen Tagen war alles vorbei.

Die Revolte der Arbeiter samt ihrer spontanen Streiks war gescheitert. Stalin war zwar tot, aber Moskau ließ die DDR nicht aus seinem Einflussbereich. Die Regierung in Berlin wusste die Panzer und Bajonette der sowjetischen Armee hinter sich. Der Westen hatte die Botschaft vernommen, dass die Machtverhältnisse in der DDR nur zu ändern waren, wenn man bereit war, einen Dritten Weltkrieg zu riskieren. Der Status quo blieb erhalten. Für die DDR-Bevölkerung gab es in der Folge einige wirtschaftliche Verbesserungen, die Sowjets fuhren ihre Reparationspolitik deutlich zurück. Otto Grotewohls „Politik des Neuen Kurses“ zeigte Wirkung und große Teile der Bevölkerung begannen, sich endgültig mit Partei und Regierung zu arrangieren. Im Westen begnügte man sich mit der Feststellung, dass alliierte Interessen nicht beeinträchtigt waren und ging zur Tagesordnung über.

Für mich sollte sich mit Wirkung zum 1. August 1953 eine neue Situation ergeben. Der Schulleiter hatte mir in einem Gespräch mitgeteilt, dass ich zu Beginn des nächsten Semesters ein Fernstudium an einer pädagogischen Fachschule mit dem Ziel aufnehmen müsste, nach einigen Jahren die Prüfung als Gewerbelehrer abzulegen. Andernfalls könnte ich als Stundenlehrer nicht länger beschäftigt werden. Das war für mich eine unangenehme Überraschung. Ich musste diesen, an sich gut gemeinten, Vorschlag ablehnen. Mich endgültig für den Beruf eines Gewerbelehrers zu entscheiden, hätte für mich bedeutet, meine Seefahrtspläne aufzugeben. Dazu war ich nicht bereit. Ich brachte also meine Klasse noch durch die Facharbeiterprüfung, die Anfang Juli erfolgte. Nach meinem mir zustehenden Jahresurlaub wurde ich auf eigenen Wunsch entlassen und war somit arbeitslos. Lorchen hatte Urlaub und wir beide segelten mit unserer Piratenjolle zusammen mit meinen Eltern an Bord ihres Jollenkreuzers in einen schönen Segelurlaub in die Gewässer südöstlich von Berlin: in die Seenlandschaft zwischen Ostberlin, dem Scharmützelsee einerseits und der Seenkette, die von der Dahme durchzogen wird und bis Teupitz reicht, also die Wälder und Seen, die mir schon seit Kindertagen vertraut waren.

Warnemünder Segelwoche 1955

Zur Warnemünder Woche im Sommer 1955 hatte die Seeoffiziersschule ihre beiden Dienstjachten gemeldet. Für die Regattabesatzung der S150 (sie wurde ein Jahr später auf den Namen HORST LIEBIG getauft) hatte Oberleutnant zur See Fichtler mich wiederum als Bootsmann angefordert. Als Jachtenführer fungierte bei dieser Gelegenheit ein Kapitänleutnant Reißland, mir vorher völlig unbekannt. Dazu waren einige Stammbesatzungsmitglieder an Bord. Der Rest der Mannschaft bestand außer mir aus Offiziersschülern des dritten Lehrjahres. Ich weiß nicht, was Oberleutnant Fichtler meinen Kameraden vor dem Auslaufen aus Stralsund gesagt hatte, jedenfalls akzeptierten sie mich als Bootsmann.

Schon einige Tage vor Regattabeginn segelten wir nach Warnemünde. Es erschien notwendig, die Besatzung mit den Feinheiten des Regattasegelns und des Segelreviers vertraut zu machen. Wir lagen über Nacht im Alten Strom von Warnemünde, liefen morgens nach dem Frühstück aus und trainierten auf der Reede fleißig das Setzen und Bergen der verschiedenen Vorsegel, besonders wichtig in einer Regatta. Ferner wurden Wenden und Halsen geübt, der Dienst am Ruder sowie Ankermanöver, Anlegen und Ablegen. Schwierigkeiten bereitete uns von Anfang an der Spinnaker mit seinen 150 m2 Segelfläche. Es war eine ungeheure Blase aus leichtem Stoff, der bei mäßiger Brise aus achterlicher bzw. schrägachterlicher Richtung zusätzlich zum Großsegel zu setzen war. Wenn er vorgeheißt war, hatte die 18,5 m lange Jacht mit ihrem Tiefgang von 2,40 m statt der vorgesehen 150 m2 plötzlich die doppelte Segelfläche. Der dann diensttuende Rudergänger musste scharf aufpassen, um nicht etwa eine unvorhergesehene Halse herbeizuführen. Beim ersten Versuch gelang es uns zwar, den Spinnaker vorzuheißen und die Achterholer, mit denen der Spinnaker von Deck aus regiert wird, durchzusetzen. Aber als wir den etwa sechs Meter langen und schweren vierkantigen Spinnakerbaum in die vorgeschriebene Stellung zwischen dem Außenschothorn des Segels und dem vorgesehenen Beschlag am Mast bringen wollten, um somit den Spinnaker auszubaumen, damit er seine richtige Wirkung entfalten kann, wären wir mit vier Mann fast über Bord gegangen. Der Wind übte auf das große Segel einen derartigen Druck aus, dass unser Vorhaben, es so zu machen wie an Bord von kleinen und mittleren Jachten, nicht ausführbar war. Oberleutnant Fichtler sah mich an und sagte: „Na, Bootsmann, nun lassen Sie sich mal was einfallen!“ Ich sah mir die am Mast zur Verfügung stehenden Fallen und sonstige Taljen bzw. Drahtstander an und fand eine Möglichkeit, den Spinnakerbaum zuerst mit seiner Nock durch einen von oben vom Mast herunterkommenden Drahtstander abzufangen und ihn dann in den Beschlag am Mast einzuklinken. Dann befestigten wir das vorgesehene Außenschothorn des Spinnakers an der Nock und erst danach, sozusagen als letzter Arbeitsgang, wurde der Spinnaker vorgeheißt. Die beiden Achterholer mussten vorher bereits achtern in der Nähe des Cockpits belegt werden. Als der Spinnaker stand, blähte er sich im Wind, öffnete sich und nachdem der Außenachterholer etwas durchgesetzt wurde, stand er wunderschön bei achterlicher Brise voll ausgebreitet und gab dem Boot eine merklich größere Geschwindigkeit. Nun hatten wir den Bogen heraus. An diesem Nachmittag übten wir das Wegnehmen des Spinnakers, d.h. das Bergen des Segels und das erneute Setzen noch einige Male, bis es einigermaßen flüssig klappte. Das machte nicht allzu viel Spaß, denn es war eine schwierige Arbeit und in der Sonne auch schweißtreibend, aber die Handgriffe mussten sitzen. Es hätte ja sein können, dass wir auch in der Nacht diese Segel zu setzen hätten – bei einer Seeregatta von über fünfzig Meilen nicht auszuschließen! Froh darüber, die richtige Methode im Umgang mit dem Spinnaker gefunden zu haben, und guten Mutes über das Funktionieren aller übrigen Segel- und sonstigen Manöver liefen wir am späten Nachmittag in Warnemünde ein und machten erneut am Alten Strom fest.

Am nächsten Tag erwischte mich das Schicksal insofern, als dass ich mit dem Küchendienst dran war. Angesichts der geringen Besatzung und des knappen Personalbestandes an der Schwedenschanze (Seeoffiziersschule der Volkspolizei-See in Stralsund) hatte man uns keinen Koch mitgeben können. So hatte unser Kommandant festgelegt, dass wir Offiziersschüler abwechselnd je einen Tag als Koch zu fungieren hätten. Ich sah diesem Tag schon immer mit Bangen entgegen, denn meine Kochkünste kamen über Bratkartoffeln mit Spiegelei oder Pellkartoffeln mit Hering nicht hinaus. Beide Gerichte hatte es aber schon gegeben und so ließ ich mir für den nächsten Tag einfallen, Brühreis mit Rindfleisch zu kochen. Das hatte bei meiner Mutter immer sehr gut geschmeckt und es erschien mir einfach in der Zubereitung zu sein. Das Frühstück vorzubereiten, war kein großes Problem. Für das Mittagessen schüttete ich einige Kilo Reis in den größten Topf, der an Bord vorhanden war, gab Mohrrüben, Porree, Rindfleisch, Pfeffer und Salz hinzu, nicht zu vergessen die entsprechende Menge Wasser, und ließ das Ganze fröhlich auf dem Herd kochen. Natürlich vergaß ich nicht, von Zeit zu Zeit umzurühren. Aber in meiner Ahnungslosigkeit hatte ich nicht bedacht, dass der Reis aufquillt und deswegen schon vorher in Wasser zum Quellen gebracht werden musste, wenn das Gericht etwas Gescheites werden sollte. Als schließlich nach 12 Uhr die Backschafter den Tisch gedeckt hatten und mir mein Brühreis einigermaßen wohlschmeckend erschien, füllte ich meiner Gang die Teller. Das war nicht so einfach, denn in dem Topf befand sich nun sehr viel fester Reis und wenig Brühe, sodass das Ganze keine Suppe war, sondern eher dicker Brei. Vom Kommandanten bis zum letzten Mann machten die Besatzungsmitglieder lange Gesichter. Zögernd kosteten sie, stellten aber fest, dass es einigermaßen schmeckte. Nachschlag verlangte keiner. Das war ein trübes Zeichen. Kapitänleutnant Reißland entschied: „Offiziersschüler Peters, als Bootsmann sind Sie zu gebrauchen, für die Kombüse aber absolut ungeeignet!“ Ich nahm Haltung an und mit unbewegtem Gesicht den Tadel entgegen. Er hatte absolut recht. Zum Glück war die Crew nicht nachtragend. Mein Nachfolger hatte sich am nächsten Tag Kartoffelsalat und Bockwurst einfallen lassen, sich rechtzeitig über die Rezeptur informiert und die Kartoffeln schon am Abend zuvor gekocht. Es konnte nichts schiefgehen. Alle Mann wurden satt und der Frieden an Bord der Jacht war wiederhergestellt. Ich wurde zum Kochen nicht mehr eingeteilt.

Wir kreuzen auf zur Startlinie.

Schließlich kam der Tag der großen Seewettfahrt. Wir machten sorgfältig seeklar und liefen dann aus. Kapitänleutnant Reißland hatte uns von der Regattabesprechung kommend noch darüber informiert, dass wir zusammen mit unserem Schwesterschiff, dem 150-m2-Seefahrtskreuzer ERNST THÄLMANN der Hochseejachtenstation Greifswald-Wieck der GST, den ersten Start haben würden. Als drittes teilnehmendes Boot in unserer Klasse würde eine Privatjacht an den Start gehen, die LYDIA, eine mit 10,1 KR (Kreuzerrennformel) vermessene Jacht mit 13,5 m Länge und 72 m2 Segelfläche. Eigner war der Sportsfreund Horst Kollwitz aus Stralsund, Besitzer einer Kolbenschleiferei. Als wir vor der Startlinie erschienen, wehte der Wind in Stärke 2 aus Ost. Die Startlinie war so gelegt worden, dass wir vor dem Wind auf Westkurs zu starten hatten.

Wenn der Startball fällt, beginnt die Regatta.

Auf Höhe der Gaststätte Stolteraa lag eine Wendeboje aus, die mit der Steuerbordseite zu passieren war. Auf Ostkurs hatten wir aufzukreuzen bis zur Ansteuerungstonne des Fahrwassers der Westansteuerung nach Stralsund in der Nähe der Insel Hiddensee. Von dort sollte es dann zurück zur Startlinie vor Warnemünde gehen, die als Ziellinie zu durchqueren war. Als der Startschuss ertönte, lag die ERNST THÄLMANN günstiger an der Startlinie und kam gut in Fahrt. Wir mussten mit der S 150 erst noch ein Halsemanöver durchführen. Als wir auf der Strecke waren, erwischten wir ein Flautenloch. Ehe wir uns versahen, hatte die ERNST THÄLMANN etwa 50 m Vorsprung vor uns. An dritter Stelle lag die LYDIA. Alle drei Boote liefen vor dem Wind, was bei der schwachen Brise zur Folge hatte, dass bei der ERNST THÄLMANN