Seelengespräche - Carmen Sylva - E-Book

Seelengespräche E-Book

Carmen Sylva

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Beschreibung

„Nicht die Erscheinung ist schön, sondern der Gedanke. Der Gedanke ist erhaben, nicht die Stellung. Der Gedanke ist Herrscher, nicht der Mensch.“ Carmen Sylva (Elisabeth zu Wied, Königin von Rumänien, 1843-1916)

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Seitenzahl: 161

Veröffentlichungsjahr: 2020

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Carmen Sylva, geborene Prinzessin Elisabeth zu Wied und ab 1881 die erste Königin von Rumänien (1843-1916), veröffentlichte zahlreiche literarische Werke – Gedichte, Theaterstücke, Märchen, Erzählungen, Aphorismen, Essays und Romane – die von 1880 bis 1916 weltweit ein breites Publikum fanden. Der Band „Seelengespräche“ enthält religiöse Texte, die die Königin im Jahr 1884 ihrer Mutter, Fürstin Witwe Marie zu Wied, zum 59. Geburtstag in einer gebundenen Handschrift mit der Widmung schenkte: „Meiner Mutter, meinem Religionslehrer und Vorbild auf dem Erdengange“. Der Band erschien als Buch zuerst 1888 in rumänischer Übersetzung in Rumänien und im Jahr 1901 im Bonner Verlag Emil Strauss in einer ersten und bisher einzigen deutschsprachigen Auflage. Diese Neuauflage der „Seelengespräche“ von 2019 enthält den gesamten Originaltext der Erstauflage sowie ein Nachwort zum Leben und Werk Carmen Sylvas.

 

Die Herausgeberin Silvia Irina Zimmermann veröffentlichte mehrere Bücher über die dichtende Königin. Sie ist Initiatorin und Leiterin der Forschungsstelle Carmen Sylva des Fürstlich Wiedischen Archivs in Neuwied.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Kai-Otto

 

Königin Elisabeth von Rumänien (Carmen Sylva)

mit ihrer Mutter, Fürstin Witwe Marie zu Wied, 1888.

Inhaltsverzeichnis

Seelengespräche

1. Andacht: Seelenstärke

2. Andacht: Unsere Berufung

3. Andacht: Selbstüberwindung

4. Andacht: Die Tagesneige des Lebens

5. Andacht: Über den Lebenskampf

6. Andacht: Die Stimme des Herzens

7. Andacht: Gottes lebendiger Bau

8. Andacht: Der heilige Berg

9. Andacht: Vergebung

10. Andacht: Über Leid und Zuversicht

11. Andacht: Weibliche Schönheit

12. Andacht: Vertrauen in Gottes Wort

13. Andacht: Der Geist Gottes

14. Andacht: Gott lieben

15. Andacht: Der Baum des Lebens

16. Andacht: Über Sanftmut und Geduld

17. Andacht: Über die Gegenwart Gottes

18. Andacht: Über die Reue

19. Andacht: Über Gottes Hilfe

20. Andacht: Über die Falschheit

21. Andacht: Seelische Freude

Nachwort

Carmen Sylva, Königin und Schriftstellerin

Kleine Andachten für Segenhaus

Editionshinweise

Bildnachweise:

Danksagung

Seelengespräche

 

 

 

 

Diese kleinen Andachten schrieb ich für den

Hausgottesdienst meiner Mutter, wenn sie nicht

kräftig genug, eine wirkliche Predigt zu lesen.

 

Carmen Sylva

 

 

1. Andacht: Seelenstärke

 

 

Die Worte, die unserer Andacht zu Grunde gelegt sind, finden wir verzeichnet im Briefe Pauli an die Römer, im 15. Kapitel, im ersten Verse:

 

„Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber haben.“

 

In dieser heiligen Stunde, in der wir strenge Rückschau halten wollen, um dann freudig auszublicken, müssen wir uns drei ernste Fragen vorlegen, drei Fragen, die wir nicht mit Worten, sondern nur mit unserm Wandel beantworten können: Sind wir stark? Tragen wir die Schwachen? Haben wir Gefallen an uns selber?

Sind wir stark und was heißt stark sein? Wir wollen nur in uns hineinschauen und uns fragen, wann wir stark gewesen in dem vergangenen Jahre. Haben wir eine leichte Pflicht gern erfüllt, ohne Opfer zu bringen, ohne Entbehrungen zu tragen, ohne Versuchungen widerstanden zu haben? Das war nicht stark sein.

Haben wir in gesundem Körper ein heiteres Gemüt gehabt, ohne Selbstüberwindung, ohne Geduld zu üben, ohne Schmerz und Mattigkeit? Das war nicht stark sein.

Haben wir uns die Arbeit leicht gemacht und die Augen abgewandt von dem Schwierigen und Unangenehmen? Sind wir dem nachgegangen, was uns Gewinn bot, in der selbstsüchtigen Gier nach Besitz und Wohlleben? Das war wieder nicht stark sein.

Stark sein heißt: treu ausharren bei der unternommenen Pflicht, wenn sie uns auch kein freundliches Gesicht macht, wenn uns auch niemand helfend unter die Arme greift, wenn auch kein Lob uns liebreich aufrichtet.

Stark sein heißt: von Opfern und Entbehrungen nicht reden, nicht einmal daran denken, wenn es gilt, zu dienen und zu leisten.

Stark sein heißt: gegen des Körpers Schwäche und Mattigkeit seines Geistes Kraft einzusetzen, wie der Soldat auf Vorposten, der dem Schnee, dem Wind, dem Feinde in dunkler Nacht hungrig entgegensieht, nicht das Antlitz vom beißenden Nordwind wegwendet, ob er ihm auch das Gesicht zerreißt, ob ihm auch Bart und Wimpern gefrieren; und ob er selber im Tode erstarrt, nicht wendet er sich schutzsuchend um. Denkt er in jener Stunde nicht der trauten, friedlichen, warmen Heimat? Würde er sich zu ihr fliehend wenden, er würde als Feigling erschossen. Sein einziger Lohn für Mut und Ausdauer ist eine verlorene Kugel und ein unbekanntes Grab.

Stark sein heißt: an Ehre, Lohn, Gewinn nicht denken, das Gute tun um des Guten willen, in reiner, kindlicher Freude an seiner Schöne.

Sind wir stark, meine Lieben?

Ein Zeichen größter Kraft ist es, die Schwachen zu tragen. Tragen wir sie? Haben wir Geduld, wenn unser Herr wunderlich ist und gar viel fordert, wenn unser Diener sich nicht leicht unserm Willen fügt, wenn Bruder oder Schwester oder Freunde gerade das von uns fordert, was uns am meisten Mühe kostet, gerade den Fehler hervorkehrt, der uns am widerwärtigsten ist? Sagen wir ihm keine herben Worte, oder was noch schlimmer ist, klagen über ihn hinter seinem Rücken und machen die anderen erst noch recht aufmerksam auf seine Fehler? Ist es uns noch jemals eingefallen, der Mitbrüder Schuld auf uns zu nehmen und die Rüge zu tragen, die ihnen gegolten? Haben wir uns nicht vielmehr beeilt, die eigne Schuld abzuwälzen? Haben wir uns nicht an das vorher Gleichgültige freundlich angeschlossen, nur um über den anderen vereint herzufallen und seine Fehler immer unerträglicher zu finden, je mehr wir sie besprachen?

Wir ertragen nicht ihren Widerspruch, nicht ihre Eitelkeit, nicht ihre Vergesslichkeit, nicht die kleinste üble Laune, deren Grund wir erforschen und entfernen könnten, hätten wir sie lieb.

Tragen heißt lieb haben. Und wen haben wir lieb? Wen haben wir so lieb, dass selbst seine Fehler uns liebenswert erscheinen, weil sie immer die Kehrseite einer Eigenschaft sind.

Tragen heißt verstehen. Und wen verstehen wir? Wann geben wir uns die Mühe zu erforschen, ob sein Herz schwer von Sorgen belastet ist? Wir sehen sein Haar bleichen, die Falten sein Gesicht durchziehen und wissen nicht, warum. Wir ahnen nicht, dass sein Auge schlaflos geblieben ist, dass er gelechzt hat nach der freundlichen Frage: „Ist dir nicht wohl?“, um sein übervolles Herz auszuschütten. Wir finden nur seinen Gang matt, sein Auge glanzlos, seine Antworten karg und einsilbig. O, er hätte gesprochen, wäre er nur gefragt worden, so wie Christus zu fragen verstand, dessen Auge feucht wurde, wenn er leiden sah.

Tragen heißt helfen. Und wem helfen wir denn? Wir warten auf der andern Hilfe. Wir bieten ihnen eine solche Hilfe an, die sie nicht annehmen können, oder die ihnen gar nichts nützt. Und dann wollen wir Dank haben, endlosen Dank, weit mehr als unsere Hilfe je verdient hat! Wie gut, wie klug, wie selbstlos muss der Helfende sein! Wie muss er es verstehen, sich an des anderen Stelle zu setzen, sich ganz in ihn hineinzudenken! Wir aber werfen ihm überflüssige Brocken hin und wundern uns, wenn er sie nicht aufhebt. Wir geben dem Verdurstenden trockenes Brot, bloß, weil wir nicht gemeint, dass er durstig sei. O, wann, wann tragen wir unseren Nächsten?

Nun die letzte und schwerste Frage: Haben wir Gefallen an uns selbst? Wer würde es wagen, „Nein“ zu sagen! Dir sind die Kleider zuwider, du rühmst dich aber deines fleckenlosen Wandelns. Du findest dein Gesicht im Spiegel nicht schön, aber du hältst dich für klüger als die anderen. Deine Kinder sind zwar nicht vollkommen, aber doch viel besser erzogen als alle anderen. Dein Garten ist nicht so gut gelegen, trägt aber die schönsten Früchte. Dein Nächster ist immer mürrisch und du immer gut gelaunt; du bist stolz auf deine gute Laune, um die der andre sein Hab und Gut hergeben würde, wenn er nur einen starken Körper und ein heiteres Gemüt besäße. Du bist stolz auf das gebrachte Opfer und erzählst es immer. Und dadurch wird dein Opfer dem anderen leid. Er wünschte tausendmal, du hättest es nie gebracht. Du bist stolz auf deine Wahrheitsliebe und weißt nicht, dass deine bitteren Wahrheiten die anderen kränken und ihnen alle Fröhlichkeit verleiden.

Wer hat im Herzensgrunde nicht eine Stelle, in der er die Selbstgefälligkeit verbirgt und nicht denkt, dass ihm alles, ja alles von Gott geschenkt ward, und dass er so reichlich mit Fehlern und Schwächen begabt ist, wie er es selbst nicht ahnt. Nur die Schwäche des anderen hat er nicht, und darum ist er so stolz. Darum ist alle seine Kraft Schwäche; denn seine Schwäche ist eines anderen Stärke, auf dass sich der große, gewaltige Weltbau ergänze. Und wie der Weltbau, so jedes kleine Haus, so jede Familie, so jede Vereinigung. Würde jeder seine Kraft dem anderen dienstbar machen und seine Schwäche offen erkennen, so dass dort ein anderer einträte, so wären wir so, wie Gott uns gewollt hat, wie wir werden können, wenn wir mit Inbrunst seinen heiligen Worten nachstreben und nachleben. Dazu wolle er uns helfen. Amen.

 

***

 

Vater im Himmel! Du hast Kraft in Fülle für Deine schwachen Kinder! Du kannst uns bei der Hand nehmen, wenn wir vor unserem Tagewerk zagen. Du kannst unsere Leiden tragen helfen; Du gibst Mut, wenn die Sorgen uns erdrücken. Unsere Schwäche ist nicht kleinlich in Deinen Augen, da Du uns also gemacht. Du kennst das Maß der Kraft, das Du einem jeden zugeteilt; Du sendest auch die Last. Willig sollst Du uns finden und geduldig, wie es Deinen Kindern geziemt. Untereinander wollen wir uns liebreich tragen. Verzeih‘! Ach, verzeih‘ uns, wenn wir bisher zu oft gehadert, wenn wir nicht einander unter die Arme gegriffen, auf dass keiner strauchele in unserer Nähe. Lege Worte der Liebe auf unsere Lippen. Öffne unsere Augen, dass wir sehen, wo wir helfen sollten, dass wir an Leiden nicht kalt vorübergehen, dass wir Fehler nur durchschauen, um sie sanft und freundlich einzuhüllen. Und strafe uns nicht, Gott, wenn wir in eitler Selbstüberhebung zu viel von uns halten. Verzeih‘ uns auch diese Schwäche, mache unser Herz kindlich demütig, auf dass es nicht durch Jammer und Bitternis zur Demut geführt werden müsse. Wir wollen Dir danken durch Wort und Werk. Wir wollen uns unserer Schwachheit rühmen, auf dass Du in uns mächtig seist! Amen.

2. Andacht: Unsere Berufung

 

 

Den Text zu unserer heutigen Andacht finden wir im Evangelium Lucä, im 12. Kapitel, im 35. Verse:

 

„Lasset eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“

 

Was heißt das: seine Lenden gürten? Das heißt, dass man sich zu einer weiten Wanderung, zu kräftigen Schritten bereiten soll. Also fordert uns der Evangelist auf, beständig bereit, beständig auf der Wanderung zu sein, beständig des Rufes gewärtig, der an einen jeden ergeht. Schlimm ist es für den, der im Schlummer liegt in der Stunde, da der Ruf ertönt; denn sie schlägt nie wieder. Er wird nicht zweimal gerufen. Oder er hört, war aber nicht bereit, und bis er sich gürtet, ist der Augenblick vorüber, um den er sein ganzes Leben hingeben möchte, dem er sein ganzes Leben lang nachjagt, ohne ihn jemals wieder erhaschen zu können. Darum gibt es so unendlich viele unzufriedene Menschen, die immer wähnen, sich an einem falschen Platze zu befinden. Sie ahnen, dass der Ruf an sie ergangen und dass sie gefehlt haben. Dein Beruf ist, was dich ruft. Wenn du im Schlummer gelegen, dann klage nicht, dass du nichts gehört, sondern trage geduldig die Strafe, auf dem Pfad zu wandeln, der dir nicht gefällt.

Viele auch bilden sich ein, ganz genau zu wissen, was sie ruft, und rennen und jagen und kämpfen und mühen sich ab – vergebens – sie haben sich geirrt. Sie haben die falsche Fährte eingeschlagen und wollen nicht umkehren. Das Leben sei zu kurz, um wieder zu beginnen, wähnen sie, und bedenken nicht, wie lang es ist auf Irrwegen, und wie viel besser es wäre, kurze Zeit das Rechte zu tun, oder überhaupt etwas zu tun, anstatt auf Irrwegen gar nichts zu leisten.

Andere wähnen, ihren Beruf verfehlt zu haben, weil er sie nicht zu Reichtum, Amt und Würde führt. Aber wer sagt dir denn, dass du hierzu bestimmt warst? Darf die Grille klagen, dass sie keine Nachtigall, oder die Distel, dass sie keine Rose ist, oder der Bach, dass er nicht ein Meer sein kann? Aber wir wollen nicht begreifen, dass nicht jeder von uns nach den höchsten Glücksgütern greifen darf, so wenig wie nach den größten Verstandeskräften. Wie mancher sollte lieber Holz spalten, als Bücher schreiben, die Stube reinigen, als Kinder zu unterrichten, das Eisen hämmern, als den Staat regieren. Nicht das Schicksal tut dir Unrecht, sondern du selber; du tust dir Unrecht mit Sorglosig­keit, mit Unverstand, mit Selbst­überhe­bung. Jedes Geschäft ist ehrbar, jeder Beruf ist schön, jedes Leben ist ausgefüllt, wenn du mit gegürteten Lenden und festen Schritten einhergehst, dein Auge unbeirrt, offen und klar. Schau nicht nach dem anderen, der anderes tut und dessen Leben dir leichter scheint, sondern gehe du so, dass die anderen auf dich schauen. Du bist nicht so gering, als dass du nicht ein Streiter sein kannst, eine Stütze für viele, ein Vorbild für alle. Du musst nur eine Liebe für deinen Beruf haben, wie der Künstler für seinen Marmorblock oder für seine Leinwand. Kein Beruf ist schön, wenn du ihn nicht verschönst. Der König kann seinen Thron verunehren und in den Schmutz ziehen, und der Köhler kann seinen Meiler zu einem Altar erheben, darauf er sich täglich opfert, den Seinen, der Pflicht.

Nicht die Erscheinung ist schön, sondern der Gedanke. Der Gedanke ist erhaben, nicht die Stellung. Der Gedanke ist Herrscher, nicht der Mensch.

Gürte deine Lenden, mein Knabe, und frage: Für was darf ich leben, wo dienen, was vollbringen? Gürte deine Lenden, meine Magd, und frage: Für wen soll ich leben, wem dienen, wen erfreuen? Gürte deine Lenden, du Mann, und trage einen Berg, ohne zu keuchen, ohne zu straucheln. Gürte deine Lenden, du Mutter, und breite deine Fittiche nicht nur über die Deinen. Sei du allen Mutter, die dir nahen. Sei du eine Königin im Reiche der Aufopferung und des Selbstvergessens. Gürtet eure Lenden, ihr Greise, und schreitet heitern Antlitzes voran, der ewigen Heimat zu.

Und was heißt: Lasset eure Lichter brennen? Trägt denn ein jeder von uns ein Licht in der Hand oder auf der Stirn? Ist denn das nicht das Erbteil einiger Auserwählter? Und müssen nicht die anderen bescheiden im Dunkeln wandeln? So wenig, wie es ein lebendes Auge gibt, dem der Lichtpunkt fehlt, so wenig, wie es einen Grashalm gibt, der samenlos bleiben kann, so wenig kann es einen Menschen geben, der nicht seinen eignen Schein verbreitet. Sehr verschieden ist sein Glanz. Der Eine ist warm und stark wie die Sonne und erwärmt und beglückt, was ihm naht, der andere ist gleich einem von Millionen Sternen; wäre er aber nicht da, so wäre seine Stelle leer. Einer ist ein Herdfeuer, das den kleinen Kreis erwärmt. Einer brennt still und beleuchtet eines Einsamen Nachtgedanken. Noch einer ist Sternschnuppe oder gar Irrlicht, wesenlos und doch vorhanden. Und wenn du nur ein weicher Mondstrahl bist, so kannst du doch die Nacht erhellen.

Du willst dein Licht verdecken und zertreten, weil du nur ein Glühwürmchen bist? Du willst nicht brennen, weil dein Herd zerfallen, der Raum niedrig und verräuchert ist? Und weißt du nicht, dass du Wohltat und Leben bist denen, die am meisten eines warmen Fünkchens bedürfen? Hüte dein Licht, sonst wirst du einmal selbst im Finstern stehen. Und wenn es dir gelingt, im Sturme die rettende Fackel, der unerschütterte Leuchtturm zu sein, so danke Gott auf deinen Knien, der dich zu solcher Größe berufen.

Nie wird ein guter Gedanke dein Haupt erhellen, ohne rings, dir unbewusst, Strahlen zu werfen, deren Kraft du selber nicht erkennen kannst. Aber auch der böse Gedanke hat Leuchtkraft und lockt, wie das Irrlicht, viele ins Verderben. Auch des bösen Gedankens Strahlen kannst du nicht messen und wirst dereinst mit Entsetzen gewahr werden, wie weit er geglänzt, wie viele er vernichtet!

Wie aber kann man die heilige Seelenflamme erhalten gegen die Stürme, Regengüsse, Eisesnächte des Lebens? Es gibt nur einen Stoff, der ewig brennt, und der heißt: Liebe! Den nähre du in deines Herzens Herd, lass ihn nie verlöschen, hüte ihn, wie dein größtes Gut; denn er ist stärker als Sturm und Frost, als erstickende Enttäuschung und Ströme von Undank und Bitternis.

Dies ist die ewige Flamme, die alles erwärmt und erhellt, Liebe zum Höchsten, Liebe zum Beruf, Liebe zu den Menschen. Nie, nie kannst du genug liebhaben. Glaube nicht, es müsse dir zurückkommen! Kehrt auch der Strahl zur Sonne zurück, von der er ausgegangen? Nein, er wird weggegeben; denn die Sonne trägt ewig neue Strahlen in ihrem Flammenkern. Gib du nur hinaus, du Kind Gottes, so viel du geben kannst; denn du trägst einen Flammenkern göttlichen Geistes in dir, der sich aus sich selber nährt und stärkt und erhellt, und der ewig zu strahlen die Macht hat. Lass dein Licht leuchten und fürchte dich nicht. Einst wird es dich selber führen und deinen Weg erhellen, durch des Todes Nacht hindurch, zum ewigen Glanz von dem es ausgegangen. Amen.

 

***

 

Wolle Du selbst uns gürten, Herr, zu dem Wege, den Du uns vorgezeichnet. Wolle du unsere Ohren öffnen, dass wir Deinen Ruf vernehmen! Und wolle Du das Licht in uns entzünden, das uns und alles ringsum hell und warm macht. Nähre Du selbst die Flamme der Liebe mit Deinem eignen Geistesodem, dass nichts sie verlösche, dass der Sturm sie stärke, dass das Ungemach ihre stille Glut nähre, dass der Zweifel sie nicht zertrete. Lass uns nicht an uns zweifeln und an unserm Beruf, sondern gieße uns Deinen Willen ins Herz, stähle unsere Glieder, öffne weit unseren Blick. Drücke auf unsere Stirn das Zeichen Deiner Knechtschaft. Amen.

3. Andacht: Selbstüberwindung

 

 

Den Text zu unserer heutigen Andacht finden wir verzeichnet im Evangelium Johanni im 16. Kapitel, im 33. Verse:

 

„Solches habe ich mit euch geredet, auf dass ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“