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Mit 34 Jahren trennt sich Caroline Rosales vom Vater ihrer zwei Kinder und ist fortan alleinerziehend. Aus dem ruhigen Familienbezirk im Grünen zieht sie ins «Problemviertel», die Vollzeit-Mama wird wieder berufstätig. In ihrem Buch schreibt Rosales über das Leben als Single Mom und berichtet von den Schwierigkeiten, dem gesellschaftlichen Tadel. Sie erzählt von der Missgunst unter Müttern, finanziellen und beruflichen Problemen, Dates und Patchwork-Experimenten, aber auch von neu gewonnenen Freiheiten und ungeahnten Kräften und dem völlig überraschenden, gefühlsextremen Leben mit zwei kleinen Kindern. Sie will kein Mitleid und keine Datingtipps und trotzdem eine Antwort auf die Frage: Werde ich je wieder mit jemandem kuscheln, der größer als 120 Zentimeter ist? Humorvoll und ehrlich schreibt Rosales über ihr Leben als Alleinerziehende. «Ich wollte kein Mitleid und schon gar keinen neuen Papi für meine Kinder.»
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Seitenzahl: 236
Veröffentlichungsjahr: 2018
Caroline Rosales
Was es wirklich heißt, alleinerziehend zu sein
Mit 34 Jahren trennt sich Caroline Rosales vom Vater ihrer zwei Kinder und ist fortan alleinerziehend. Aus dem ruhigen Familienbezirk im Grünen zieht sie ins «Problemviertel», die Vollzeit-Mama wird wieder berufstätig. In ihrem Buch schreibt Rosales über das Leben als Single Mom und berichtet von den Schwierigkeiten, dem gesellschaftlichen Tadel. Sie erzählt von der Missgunst unter Müttern, finanziellen und beruflichen Problemen, Dates und Patchwork-Experimenten, aber auch von neu gewonnenen Freiheiten und ungeahnten Kräften und dem völlig überraschenden, gefühlsextremen Leben mit zwei kleinen Kindern. Sie will kein Mitleid und keine Datingtipps und trotzdem eine Antwort auf die Frage: Werde ich je wieder mit jemandem kuscheln, der größer als 120 Zentimeter ist? Humorvoll und ehrlich schreibt Rosales über ihr Leben als Alleinerziehende.
«Ich wollte kein Mitleid und schon gar keinen neuen Papi für meine Kinder.»
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2018
Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Redaktion Ulrike Gallwitz
Umschlaggestaltung ZERO Media GmbH, München
Umschlagabbildung JT Vintage/mauritius images
ISBN 978-3-644-40338-3
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Der schlimmste Fehler von Frauen ist ihr Mangel an Größenwahn.
Irmtraud Morgner
Für Cleo.
Die willensstarke Cleo.
Neulich stehe ich mit einem Glas in der Hand auf einer Abendveranstaltung, da quatscht mich ein Typ von der Seite an. Er sei Anwalt im Filmgeschäft, very important, bitte, hier seine Businesskarte. Er guckt enttäuscht, als ich sie mir gar nicht ansehe, sondern einfach in meine Handtasche stecke. Man(n) kommt ins Sprechen. Er ist Mitte 40, alleinstehend. Ich habe zwei Kinder und bin alleinerziehend. Er sagt, er ist durch mit Alleinerziehenden.
Das Gespräch droht in die Real-Satire abzugleiten, also frage ich beherzt nach: «Aha, und warum?»
«Weil jedes zweite Treffen wegen Fieber oder Husten abgesagt wird», sagt er.
«Vielleicht ist es nur eine Ausrede», gebe ich etwas spöttisch zu bedenken. «Vielleicht fanden dich die Single Moms ja nicht so gut.»
«Doch», sagt er. «Doch, doch, das glaube ich schon.»
Ich muss laut lachen. Er nicht. Schaut blasiert ins Leere. Unklar bleibt, ob er beleidigt ist.
Alleinerziehend ist oft ein Stigma, eine Schublade, in die man einsortiert wird, ob man will oder nicht, ob man passt oder nicht. Dass dieser Status aber gar nicht so schlimm ist, hat das Bundesfamilienministerium bereits im Jahr 2011 offiziell bestätigt. Laut einer Studie des Ministeriums sehen die 1,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland – von denen neun von zehn Frauen sind – «ihre Lebenssituation überwiegend positiv». Wurde der Begriff «alleinerziehend» früher noch oft assoziiert mit einer unheilbaren Krankheit, war für manche gleichbedeutend mit «Dschungelcamp»-Zielgruppe, RTL2 und Dosenravioli, musste mittlerweile sogar das Bundesfamilienministerium dank hauseigener Studienergebnisse feststellen, dass mit «gängigen Vorurteilen» aufzuräumen ist. Gut für mich, so weit.
Aber wie bekommen meine Single-Freundinnen mit Kindern und ich es jetzt nur hin, dass auch der Rest der Republik Wind von diesem Paradigmenwechsel bekommt? Wie vermittelt man möglichst allen Teilnehmern auf Tinder und Co., dass alleinerziehende Mütter Dates nicht in der verzweifelten Absicht ausmachen, einen Mann für eine korrekte heterosexuelle, langfristige Paarbeziehung zu finden? Dass es ihnen nicht darum geht, jenen Hans oder Paul kennenzulernen, der die Mutti komplettiert und aus Elend und Einsamkeit befreit? Denn das, so kann ich versichern, klingt auch für uns vermeintlich hoffnungslose Fälle so aufregend wie Laternenbasteln im Kindergarten.
Jetzt also sogar mit staatlichem Studien-Gütesiegel: Alleinerziehende suchen nicht verzweifelter als Frauen ohne Kind nach Mr. Right. Sie wollen ganz einfach wie jede Frau lachen, flirten, über das Leben, die Literatur und die große weite Welt reden. Sie wollen nicht aussortiert werden, nur weil ein Kind mal krank werden kann oder es komplizierter ist. Aber sie wollen auch nicht gleich beim ersten Date gefragt werden, ob sie einen Papa für ihre Kinder brauchen. Und sie wollen ganz sicher niemanden mit ausgeprägtem Helfersyndrom anlocken. Und bitte schon gar nicht den, der sonst niemanden abbekommt, aber sich vor dem Treffen extra ausgerechnet hat, wie der Marktwert einer Alleinerziehenden mit der Anzahl ihrer Kinder proportional sinkt und so seine Chancen erhöht. Das führt dann zu Gesprächen, als würde Donald Trump unterm Tisch sitzen. Nach dem Motto: «Sie ist keine Zehn mehr auf der Attraktivitätsskala, aber ich lasse sie mal kommen.» Glücklicherweise ist die letzte Kategorie die absolute Ausnahme. Die Ausreißer nach unten kommen dennoch vor.
«Warum sollte jemand mit dir zusammen sein, wenn es genug 35-Jährige ohne Kind da draußen gibt, die noch auf den Richtigen warten?», wurde ich tatsächlich mal bei einem Date gefragt.
«Ich glaube, es gibt keinen Grund», antwortete ich. Darauf folgte eine minutenlange Pause. Ich begann in meiner Handtasche nach dem Handy zu kramen. Viel mehr fiel mir nicht ein.
«Oh», rief ich dann plötzlich und tat so, als hätte ich eine SMS bekommen. Die Kinder, das Fieber, der Husten.
«Tut mir leid, ich muss sofort nach Hause», sagte ich. Passiert als Single Mom ja ständig.
Zurück von der Abendveranstaltung, rief ich meinen besten Freund an.
«Kowalski, wach auf. Bitte, ich muss dich was fragen.»
«Rosales, so spät …»
«Es ist Mitternacht, das ist doch noch nicht zu spät, um anzurufen.»
«Ja, normalerweise nicht, ich war gestern aus, hab rumgesumpft.»
«Okay, also die Frage …»
«… aber bitte schnell …»
«Angenommen, ich würde ein Buch schreiben über eine Alleinerziehende, ihr erstes und zweites Jahr …»
«Also über dich.»
«Ja, also über mich. Irgendwie. Aber ganz anders, als du jetzt denkst. Also angenommen, die Hauptdarstellerin, das wäre schon ich. Wäre sie am Ende der zwei Jahre glücklich, was meinst du?»
«Hmm …»
«Ja?»
«Ja, weißt du, als wir vorgestern von mir mit dem Taxi in die Paris Bar gefahren sind …»
«Wir beide auf der Rückbank. Ich mag das Bild.»
«Ja, da hast du gesagt, dass es die zwei traurigsten Jahre, nein, die schrecklichsten Jahre deines Lebens waren, die zwei vergangenen. Aber du hast es so fröhlich gesagt, dass du auch die schönsten Jahre deines Lebens gemeint haben könntest … Rosales, bist du noch dran?»
«Ja, du hast recht. Das waren sie auch.»
Ich war nicht am Ende – aber ich war auch nie wirklich am Start. Es war Juli, der heißeste Sommertag des Jahres, und ich spielte Tetris. Stapelte in der freien Wohnzimmerecke meines bald ehemaligen Heims mit den bodentiefen Fenstern in Berlin-Pankow Umzugskartons in die Höhe. Ich packte eine Kiste nach der anderen. Zehn Bücher nach unten. Ein Kerzenleuchter in die Mitte. In Zeitungspapier eingewickelte Gläser und Teller nach oben.
Ich konnte das bis um 7.30 Uhr am nächsten Morgen, wenn das Umzugsunternehmen eintreffen sollte, alles gar nicht schaffen, aber Logik war für mich gerade keine gültige Währung. Ich wälzte keinen Felsbrocken vor mir her wie Sisyphus, ich hob mit meinen 1,70 Metern Kartons in zwei Meter Höhe. Die Wand aus Kartons wurde größer und größer. Ich war Superfrau im ausgeleierten T-Shirt und mit Flip-Flops – potenter als Hugh Hefner in den Sechzigern. Die optimierteste Frau ever. Ever, ever.
Vor vier Monaten hatte ich mich von Marius, dem Vater meiner zwei Kinder getrennt. Vielleicht eine Bilanz-Geschichte, vielleicht eine Ansammlung aus vielen Kleinigkeiten, unsinnig, darüber zu sprechen – wir hatten es einfach nicht geschafft, zusammenzuhalten. Dabei sind wir aus demselben Holz gemacht. Zähe, ehrgeizige, unerschrockene Menschen. Das mag ich bis heute an ihm.
Ich habe Marius noch nie jammern hören. Selbst nach den schwersten Krisen und Ärgernissen in den vergangenen fünf Jahren als Eltern war er gut gelaunt. Marius ist groß, hat sehr blondes volles Haar. Als ich ihn kennenlernte, trug er eine rot karierte Jacke und eine dieser Nerd-Brillen, die damals im Jahr 2009 hip waren. Er machte mir den Hof, ging mit mir auf weite Reisen und öffnete mir sofort sein Heim. Vier Monate nach unserem Kennenlernen zog ich bei ihm ein. Da hatte er schon sein ganzes Badezimmer und seine Küche mit meinen Lieblingssachen bestückt. Kosmetik und Orangen. Himmel, ich liebe Orangen. Er hatte gleich zehn Kilo auf Vorrat gekauft. Er war immer sehr großzügig mit mir, warmherzig und lustig. Dann wurde ich schwanger, und der Ton zwischen uns änderte sich sehr schnell. Nachdem Max geboren war, schien mir Marius nicht mehr derselbe Mensch zu sein. Er war im Gegenzug traurig, dass ich mich die ganze Zeit beschwerte. So schnell hatten wir zueinandergefunden, so schnell erkannten wir allerdings auch, dass wir keine gemeinsame Idee vom Leben hatten. Wir gaben nicht auf, wollten eine Familie sein – im Jahr 2014 kam dann Lila auf die Welt. Mehr Glück, aber auch mehr zerbrochenes Porzellan.
Zwei Jahre später suchte sich Marius eine eigene Wohnung, und ich hielt das für eine gute Idee. Weil ich unglücklich war und mir selbst nicht mehr gefiel, mir lästig geworden war – auch als Abbild der vermeintlich perfekten Mutter. Denn nicht nur hatte mein Kinderwagen in den vergangenen vier Jahren immer das richtige Label gehabt, auch in meinem Kopf hatte immer die gerade angesagte Einstellung zu Mutterschaft, Erziehung und Lebensführung vorgeherrscht. Dafür war eine Gehirnwäsche gar nicht nötig gewesen, eine leichte Spülung hatte völlig ausgereicht. Ich hatte mir einiges abgeschaut und angelesen und war der Überzeugung, immer das Richtige und das Beste zu tun. Als Mutter, als Frau, als Angetraute und als Freundin. Ich spielte meinen Part als jedermanns Liebling wie im Schlaf. Ich entwarf und optimierte Einkaufslisten, putzte Kindernasen, noch bevor sie liefen, erinnerte mich an Schwiegermutters Geburtstag, kannte den Allergieplan der Kinder auswendig, kaufte säurearm und bio ein, applaudierte bei jeder Beförderung des Mannes, erinnerte Verwandte daran, zum Arzt zu gehen, und wusste immer, wann die Q-tips-Box leer war und wo der verlorene Schlüssel steckte. Ach ja, und nebenbei schrieb ich noch das ein oder andere Sachbuch zum Thema Karriere- und Familienplanung. Darüber, wie großartig alles so lief.
Was soll ich sagen: Innerhalb kürzester Zeit war ich von einer Redakteurin bei einer großen Zeitung zu einem hübschen Abziehbild einer Großstadt-Mama geworden, die ihre Festanstellung gekündigt hatte, um sich neuen Aufgaben zu widmen: der Vollzeit-Mutterschaft.
Und weil das alles so schnell ging, scheint es mir im Rückblick so, als wäre ich eines Tages aufgewacht und hätte mit einem Mal einen Mann, zwei Kinder und eine große Wohnung im Herzen Berlins gehabt. Plötzlich war ich Anfang 30, Mutter von Max und Lila und Marius’ lovely wife. Darf ich mich vorstellen: Caroline Rosales, Hausfrau mit Studienabschluss.
Genau die packte also hier und heute, sechs Jahre nachdem sie den Vater ihrer Kinder kennengelernt hatte, alleine Kartons, weil ihr irgendwann auf dem gemeinsamen Weg der Kragen geplatzt war. Ebenjene, die trotzdem immer noch alles besser wusste und der Hilfe anzunehmen unangenehm war.
Ich war bei Umzugskiste Nummer 24 angekommen. Das Raclette-Gerät mit den Pfännchen und den Holzschabern. Umhüllt von Küchentüchern. Darauf stapelte ich noch drei Bücher, darunter Albert Camus’ «L’exil et le royaume». Und ein paar angestaubte Martini-Gläser. Mein ganzes Leben in Kisten. Ein Umzug weckt den ganzen Gemischtwarenladen der Erinnerungen. Von Schulzeit über Studium, große Erwartungen, berufliche Erfolge bis hin zu Kindern und nun: gescheiterter Familienführung.
Ich schloss den Karton und ließ mich auf die Couch fallen, die da noch einsam wie ein Monolith mitten im Wohnzimmer stand. Nur ein Moment Ruhe. Ich schloss die Augen. Ich war unendlich isoliert und hatte das Gefühl, selbst schuld daran zu sein.
Ich griff zum nächsten Karton, als ich aus dem Kinderzimmer einen lauten Knall und den dazugehörigen Schrei meiner zweijährigen Tochter hörte.
«Mann», rief ich durch die halbleere Wohnung und hastete ins Kinderzimmer. Lila stand mitten im Raum und hielt ihren Zeigefinger in die Höhe.
«Sssranktür auf meinen Finga.» Zwei dicke Tränen rollten meinem Mädchen die roten Bäckchen hinunter.
Ich schimpfte gleich los: «Dann pass besser auf. Außerdem hast du keine Schuhe an. Gleich stößt du dich!» Während ich mich ein weiteres Mal in ihre kleinen dicken Füße verliebte, die jetzt in ein Paar rosa Ballerinas schlüpften, blickte ich mich um. Das Kinderzimmer war schon halb leer, irgendwie ein Lichtblick.
Wieder hörte ich einen lauten Knall gleich neben mir. Mein Großer war dabei, Kinderbücher in einen leeren Karton zu hauen. Der Knall hallte durch das Zimmer.
«Könntest du die Bücher bitte nicht werfen, Max?! Die kosten Geld. Danke!», sagte ich gereizt.
Max rollte mit den Augen. «Aber Mama, unsere Arme sind zu kurz. Wir können die Bücher nicht leise in den Karton legen. Wir kommen nicht bis zum Boden.»
Touché! Ein Lachen entfuhr mir durch meinen geschlossenen Mund.
Ich schnappte mir Max, drückte ihn, wiegte ihn hin und her. Weil ich mich ganz plötzlich daran erinnerte, wie sehr ich auch ihn liebte, das Baby, das er einmal war, und den kleinen Jungen, der er heute ist.
«Mama», beschwerte er sich. Ich ließ ihn runter und sah ihm zu, wie er zu seinen Playmobil-Piraten zurücklief, wie er sie liebevoll in einen der Kartons legte.
Wie konnte ich ihm das bloß antun? Mich von seinem Papa zu trennen.
Für Außenstehende sah mein Leben sicher perfekt aus, für mich stellte sich das allerdings anders dar. Meine Tage waren – auch ohne Bürojob oder berufliche Tätigkeit – durchgetaktet. Sich selbst Stress zu machen, schafft man ja am besten allein. Und weil ich alles autonom organisierte, besorgte und machte, war ich auch mein einziger Boss. Marius in den Alltag einzubeziehen, hätte – da war ich mir sicher – nur zu Terminproblemen und Organisationschaos geführt, und noch mehr Stress wollte ich schließlich nicht haben. Anfangs hatte es immerhin noch zarte Ansätze der Kooperation gegeben. Mal hatte ER den Großen vom Kindergarten abgeholt und auch mal einen Samstagnachmittag aufgepasst, als ich ein Seminar gebucht hatte. Doch mit meinem angeborenen Perfektionismus stand ich uns beiden im Weg. So gab es Streit beim abendlichen Zusammentreffen, weil Biogemüse XY nicht vorschriftsgemäß verkocht worden war, Gezanke, weil er an meinem Geburtstag abends noch eine Dienstbesprechung hatte. Irgendwann machte ich zu Hause alles nur noch alleine, es schien mir mit weniger Auseinandersetzung verbunden.
Dass ich tagsüber mit den Kindern alleine war, nahm ich als gegeben hin, irgendwie war es in Personalunion ja auch am einfachsten. Meine Tochter stillte ich weit über ihr erstes Jahr hinaus – sie war völlig auf mich fixiert. Wer, außer mir, hätte sich also tagsüber um die beiden kümmern können? Ich war schließlich ihre stolze Mama.
Die vergangenen Jahre stand ich täglich spätestens um sieben Uhr auf, zog die zwei Kinder an, wechselte Windeln, kochte Haferbrei mit Banane und Rosinen und abends dann Broccoli mit Fisch. Ich setzte mich auf wechselnde Spielplätze, weil mein Sohn Max mit zweieinhalb Jahren noch keinen Kindergarten besuchte. Man soll sie ja möglichst lang zu Hause behalten, hatte der Pädagoge des von mir konsultierten Ratgebers geschrieben. Lila war noch ein Baby, und frische Luft tat beiden so gut. Es machte mir nichts aus, die Mittagsschlafzeiten von Baby und Kleinkind zu koordinieren, alles war ja irgendwie im Flow. Das Wort «Flow» benutzte ich übrigens auch, wenn sich Freunde und Verwandte erkundigten, wie es mir ging.
Ich war so patent, so bemüht, dass in meinen Augen mindestens das Bundesverdienstkreuz fällig gewesen wäre, stattdessen wurde ich immer unzufriedener. Genervt, dass ich am Ende des Tages nie das geschafft hatte, was ich wollte, und die Liste der unerledigten Dinge länger und länger wurde. Dass andere Mütter es noch entspannter und unaufgeregter hinkriegten und, vor allem: dass sie so viel glücklicher schienen als ich, die nüchtern betrachtet alles hatte. Gesunde Kinder, ein gesichertes Leben. Wieso konnte ich mich nicht einfach zufriedengeben?, fragte und mahnte ich mich immer öfter.
Papa Marius kam erst spätabends nach Hause, dann hatte ich schon die Küche aufgeräumt und geputzt, dass die Cerankochfelder nur so glänzten, die Kinder gebadet und ins Bett gebracht. Ab und zu gingen wir aus, Marius und ich. Doch die Abende beim Italiener oder bei Freunden waren konversationstechnisch mit der Zeit so platt wie das Straßenpflaster geworden. Hauptsächlich aus dem Grund, weil ich weder etwas zu erzählen hatte noch Interesse für etwas anderes als meinen Kinder-Mikrokosmos aufbringen konnte. Wo hatte ich nur meinen Esprit gelassen? Die Lust, mich gut anzuziehen? Ich kannte nur noch meine blaue Wollstrickjacke und vielleicht noch eine Bluse. Auch die Kunst der Tisch-Unterhaltung, die ich einst beherrschte, war meiner bleiernen Müdigkeit und zunehmenden Bräsigkeit gewichen.
Mir fiel zu meiner großen Enttäuschung sogar auf, dass immer weniger Menschen auf Geburtstagen oder bei gemeinsamen Essen mit mir reden wollten – es sei denn, es ging um Kinder. Ich war auf gut Deutsch irgendwie raus und wirklich auch ziemlich unglücklich. Ich gab mir die Schuld, wo eigentlich zwei beteiligt waren. Und natürlich gab es die Aussprachen, die fünfeinhalb Stunden Paar-Therapie, das Es-besser-machen-Wollen. Doch all das führte am Ende dazu, dass ich mich mehr und mehr isolierte. Meine Kinder bedeuteten puren Frohsinn, unschuldiges Glück, die Partnerschaft trug ich mit, bis sie mir zu schwer wurde.
Vor zwei Monaten war Marius dann schließlich ausgezogen. Ein Punkt dahinter. Und ja, es war mein Fehler, Konsequenz dieser jahrelangen Konzentration auf die Kinder und mich, dass ich am Tag des Umzugs keine Nachbarin, keine Freundin, nicht einmal meine Mutter um Hilfe gebeten hatte. Auch meine Schwester wäre sofort gekommen, hätte ich nur gefragt und mir selbst eingestehen können, dass das hier kein Ein-Personen-Stück werden konnte. Dass eine Trennung von dem Mann und Vater meiner zwei kleinen Kinder kein Spaziergang werden würde. Es war alles so chaotisch, traurig und verkorkst. Wie war ich nur auf die Idee gekommen, wieder mit dem Kopf durch die Wand zu wollen? Ich gegen den Rest der Welt – ganz ohne Not.
Warum neigen Frauen gerade in ihrer Rolle als Mütter dazu, so wenig unterstützende Hände wie möglich zulassen zu wollen? Weil wir es uns selbst beweisen wollen? Weil wir denken, dass es unsere Pflicht ist, Kompetenz in allen Lebenslagen zu demonstrieren? In meiner frühen Erinnerung spielen die Jungs im Kindergarten in der Bauecke, die Mädchen, meine Freundinnen und ich, wickeln in der Puppenstube einen Raum weiter. Wenn es Ärger gab, hatten die Jungs Quatsch gemacht, wir Mädchen fielen selten auf, weil man beim Pony-Kämmen und Blümchen-Gießen wenig falsch machen konnte. Natürlich lernten wir später, diese Rollenklischees zu hinterfragen. Für die frühe Prägung kam das allerdings zu spät. So kümmern sich viele Frauen meiner und angrenzender Generationen, ob berufstätig oder nicht, mit einer unbeschwerten Fröhlichkeit praktisch alleine um die Kinder – und mehr noch, sie übernehmen die komplette Familienorganisation. Denk an die Zahnpasta, aber auch an den Impftermin. Setz dich an die Steuererklärung, plane den Kindergeburtstag – und denk dran, den Papa zu erinnern, dass in zwei Wochen Herbstfest in der Schule ist, damit er sich freinimmt. In Deutschland gehen Männer und Frauen als modernes Paar in den Kreißsaal hinein und kommen als Fünfziger-Jahre-Paar wieder heraus, hat der Schriftsteller Jakob Hein einmal gesagt. Das trifft auf meine Beziehung exakt zu, dabei hatten wir eigentlich – so dachte ich zumindest – die besten Voraussetzungen, es genau so nicht zu machen.
In meiner Beziehung mit Marius aber hat sich dieses Ungleichgewicht schneller eingestellt, als ich bis drei zählen konnte. Ach ja, apropos zählen, da war die Frage nicht weit: Möchtest du Elternsprecherin werden? Du hast es doch so mit Zahlen. Schließlich hast du ja mal BWL studiert.
Mein persönlicher Tiefpunkt war, als mir in meiner Funktion als Elternsprecherin eine Mama aus dem Kindergarten erklärte, dass der Joghurt, den unsere Kids zum Vesper bekamen, laut chinesischer Ernährungslehre eine kalte Speise sei und ob man nicht lieber auf «warmen» Tofu-Joghurt umsteigen sollte. Ob ich dazu eine kurze Mail für den Elternabend verfassen könnte. Ich dachte kurz darüber nach, wie ich der Mutter die Flasche Rotbäckchen-Saft aus meinem Einkaufswagen über den Kopf ziehen könnte, damit sie endlich schwieg, lächelte aber nur mit der Oberlippe.
Anstatt jedoch etwas zu ändern, zog ich dieses Leben durch. Wenn man es allerdings übertreibt, so wie ich es getan habe, wird irgendwann nicht nur der Vater, sondern auch die Nachbarin, die Kuchen vorbeibringt und zum Plausch bleibt, zu einer Störung im alltäglichen Routine-System. Die Kinder sind begeistert, essen den Kuchen, werfen in der Küche die Krümel durch die Luft, drehen noch mal voll auf, essen kein Abendbrot, sind nicht vor halb zehn im Bett. Und während die Nachbarin redete, zählte ich meine verbleibenden Soll-Schlafstunden rückwärts. Die Folge: Ich versuchte, noch konsequenter alles alleine zu machen – was schon Burnout-Warnstufe zwei bis drei entspricht.
So erinnere ich mich, stellvertretend für viele andere, an eine Situation, in der Marius und ich nachts wach im Bett lagen.
«Oh, nein, die Waschmaschine muss noch ausgeräumt werden», schreckte ich auf.
«Vergiss es, Caro, mach es morgen», seufzte Marius nur.
Wortlos stand ich also auf, um alleine die Wäsche aufzuhängen, anstatt zu protestieren und auf seiner Mithilfe zu bestehen. Ihn zu einem kompetenten Komplizen meiner Organisation zu machen. Ähnlich ist es jetzt beim Umzug gelaufen. Wir sind getrennt, trotzdem ist es unsere Wohnung. Warum habe ich nicht darauf bestanden, dass er seine Geschäftsreise absagt, um unsere Sachen in Kartons zu packen? Warum habe ich die Maler organisiert, übernehme die Übergabe an die Hausverwaltung, begleite den Hausmeister zum Stromablesen in den Keller?
Im Grunde ist es wie der Ruf aus der Küche, ob er schon mal den Tisch decken könne, auf den hin er zurückruft: «In fünf Minuten.» Ihm (und das gilt wohl für viele Partner in Beziehungen) fehlte einfach der Gesamtüberblick, den er sich auf der einen Seite nie verschafft hatte, den ich ihm aber auch zu selten gewährte.
Und so hatte ich nun ein Worst-Case-Szenario erreicht: Ich organisierte und führte einen Vier-Personen-Umzug alleine durch.
Mein Handy surrte. Es war meine Mutter. Schon das Surren des Telefons klang so streng und scharf, als würde die erste Prüfung des Schicksals nahen. Am Abend zuvor hatte ich ihr gesagt, dass sie heute nicht zum Helfen kommen müsse. Ich riss mich zusammen und ging ran.
«Hallo, wie geht es dir? Ich wollte mal hören, ob du vorankommst?», fragte sie mit liebevoller Stimme.
«Ja, alles super», sagte ich. Ich wollte versuchen, freundlich zu bleiben, war aber genervt. Ich hatte schon beim Rangehen das Gefühl, dass sie mir nur wertvolle Zeit stehlen würde.
«Ich habe gerade einen großen Topf gefüllte Paprika gekocht, ich könnte ihn vorbeibringen …»
Sie gibt nie auf, dachte ich. Ihre Liebe zu mir war unerschöpflich. Und ich ging trotzdem unfair mit ihr um.
«Mama, du weißt doch, ich esse seit einer Weile schon kein Fleisch …»
«Ja, und die Kinder?», fragte sie weiter.
Sie tat mir leid. Und also gab ich nach. Auch weil ich realistisch betrachtet nun wirklich heute Abend nicht auch noch kochen konnte und es sonst nur Mirácoli gäbe mit dem Käse, der nach Kotze riecht.
«Gut, Mama. Komm vorbei», sagte ich bestimmt.
«Schön, ich mache mich in einer halben Stunde auf den Weg.» Meiner Mutter war die Freude in ihrer Stimme anzumerken. Wir legten beide erleichtert auf.
Ich setzte mich zu Max, der immer noch seine Playmobil-Piraten einsortierte.
«Wollen wir Papa nächste Woche besuchen?», fragte ich ihn sanft.
«Müssen Mamas und Papas nicht zusammenwohnen?», antwortete er schlagfertig.
Die Frage kam unvermittelt, Krallen bohrten sich in mein Herz. Ich seufzte unhörbar in mich hinein.
«Nein», sagte ich fest. «Das ist Blödsinn. Weißt du, Maxi, es gibt viele Lebensformen. Manchmal wohnen Papa und Mama zusammen. Manchmal aber auch nicht und sie besuchen sich. Manche Kinder haben zwei Mamas, manche gar keinen Papa, manche zwei Papas und keine Mama.»
Max blickte nicht hoch. Ich sah seine Augen nicht, nur seine wuscheligen blonden Haare. Wahrscheinlich interessierte ihn das Thema schon wieder nicht mehr.
«Aber, ich verstehe sehr gut, dass du traurig bist», nervte ich ihn weiter. «Außerdem haben wir jetzt zwei Wohnungen, das ist doch auch cool.»
Max blickte immer noch nicht hoch. Ich streichelte seinen Rücken.
«Maxi? Das wird richtig schön in unserer neuen Wohnung. Du bekommst ein Hochbett.»
Ein Lächeln huschte über seinen süßen Kindermund. Mir fiel ein Stein vom Herzen, und gleichzeitig fühlte ich mich schlecht, ihn bestochen zu haben.
Armer Max. Nicht nur, dass seine Eltern sich trennten, nein, er hing auch noch den ganzen Tag in der Bude. Am heißesten Tag des Jahres. Mit seiner neurotischen Mutter. Ich fasste mir ein Herz. Klappte gerade eh nicht, mit zwei kleinen Kindern effizient zu packen. Würde wohl eine Nachtschicht werden.
«Wollen wir in den Park gehen und ein Eis essen?», fragte ich die beiden.
«Jaaaa», schallte es zurück. Max rannte vor durch den schon leeren Flur, Lila tapste ihrem großen Bruder aus echter Ergebenheit hinterher.
«Halt», rief ich, als sie zur Tür hinauswollten.
«Mama», mahnte mich Max.
«Okay, okay, meinetwegen ohne Schuhe …», gab ich seinem Einwand statt.
Zehn Minuten später saßen wir auf einer Parkbank, und den beiden lief das Wassereis die Arme runter. Hätte ich es nicht besser gewusst, wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass heute ein ganz schöner Tag war. Ab jetzt also alleinerziehend. Tag eins als Single Mom.
«Hallo, entschuldige. Ich glaube, das ist unsere Schaufel, die gelbe.»
Ich schaute von meiner Zeitung auf.
«Ja, sicher? Wir sind eigentlich auch mit einer gelben gekommen.»
«Nein, aber das ist unsere gelbe Schaufel. Wir gehen nämlich jetzt.»
«Ah, okay.»
«Darf ich mal?»
«Ich weiß nicht, meine Tochter hat sie gerade im Mund.»
Die Mutter bückte sich zu Lila und griff nach der Schaufel.
«Darf ich mal die Schaufel, junge Dame? Daaanke.»
«Also …»
«Ja, wusste ich es doch.»
Die Mutter zeigte auf ein laminiertes Namensschild in der Innenseite der Schaufel. Da stand: Leander Müller.
Ich nickte. «Ja, dann ist der Fall wohl klar.»
Die Mutter ging wortlos weg, und ich las weiter Zeitung.
Es war ein Sonntag auf dem Spielplatz in der Nähe unserer gemeinsamen Wohnung gewesen, als ich begonnen hatte, die Trennung von Marius auch wirklich als Chance für mich zu verstehen, als ich realisierte, dass zu verlieren auch etwas Befreiendes hatte.
Ich war im Gegensatz zu meinen immer patent und perfekt wirkenden Nachbarinnen nie die makellose Mutter gewesen. Aber jetzt, wo sich auch noch meine Ehe im Eimerchen befand, musste ich mich gar nicht mehr mit ihnen messen.
Vier Jahre lang hatte ich nicht gearbeitet, freiwillig, obwohl ich meinen Job liebte. Als ich Marius das erste Mal begegnete, lebte ich in einer Kreuzberger Altbauwohnung, die ich mir mit meinem heute besten Freund Kowalski teilte. Er machte Musik, und ich hatte mir meinen Klein-Mädchen-Traum erfüllt. Ich konnte von meinem Schreiben leben – und obendrauf sogar noch mein Studium alleine bezahlen. Aufgrund von Studiengebühren und den alltäglichen Kosten lebte ich bescheiden, aber es war möglich. Ich kaufte immer die billigste Zahnpasta, zahlte weniger als 500 Euro Miete und ging höchstens einmal alle zwei Monate in ein Restaurant. Dafür leistete ich mir einmal im Jahr einen Flug nach Indien oder China, wo ich dann low budget mit einem Rucksack herumreiste und fotografierte, um mich wie Helge Timmerberg oder Tiziano Terzani zu fühlen.
Einmal war ich sogar durch ein sechswöchiges Stipendium der Berliner Humboldt Universität nach Afghanistan gekommen. Wegen der prekären Sicherheitslage im Land hatte sich keiner getraut, das Stipendium anzunehmen, also waren noch viele Plätze frei gewesen, und ich hatte mich nur bewerben müssen, um mitzukommen. Ich schrieb Reportagen und fühlte mich wie frisch verknallt, wenn ich mir morgens am Kiosk die Ausgabe holte, in der meine Texte abgedruckt waren. Ich wollte nur schreiben und reisen, das reichte mir zum Glück.