So weit das Licht reicht - Sabrina Imbler - E-Book

So weit das Licht reicht E-Book

Sabrina Imbler

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Beschreibung

Eine besondere Faszination geht von den geheimnisvollsten Kreaturen der Tiefsee aus, die verborgen vor den Augen der Welt ein Dasein fernab vom Sonnenlicht fristen. Weißhaarige Yeti-Krabben, unsterbliche Quallen, wilde Goldfische, hungernde Tiefseekraken und hybride Schmetterlingsfische – in jedem Kapitel verbindet Sabrina Imbler naturkundliche Beobachtungen mit Geschichten aus dem eigenen Leben und reflektiert über das Erwachsenwerden, Anpassung, fluide Sexualität, Migration, Gemeinschaft und Umweltzerstörung. Dabei entsteht ein dichtes Geflecht aus meeresbiologischen Fakten und persönlichen Erfahrungen, das einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. «So weit das Licht reicht» ist ein faszinierender Tauchgang von der Oberfläche bis zum Meeresgrund und nicht zuletzt ein Plädoyer für neue Visionen unserer Welt und der erstaunlichen Kreaturen, die sie beherbergt.

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SABRINA IMBLER

SO WEIT DAS LICHT REICHT

Die Kreaturen der Tiefsee

und was sie mir über das Leben erzählen

Mit Illustrationen von Simon Ban

Aus dem Englischen von Anja Kauß

C.H.BECK

Zum Buch

«Eine schwindelerregend schöne Ode an das Leben in all seinen Formen.»

Vogue

So weit das Licht reicht ist Naturbuch, poetisches Memoir und Coming-of-Age-Geschichte in einem – ein faszinierender Tauchgang von der Oberfläche bis zum Meeresgrund. In jedem Kapitel verbindet Sabrina Imbler naturkundliche Beobachtungen mit Geschichten aus dem eigenen Leben und reflektiert über das Erwachsenwerden, Anpassung, fluide Sexualität, Migration, Gemeinschaft und Umweltzerstörung.

«Sabrina Imblers Prosa ist so geschmeidig wie ein Tintenfisch …

und die Themen sind so elementar wie das Meer selbst.»

Sy Montgomery, Autorin von Rendezvous mit einem Oktopus

Über die Autor:in

Sabrina Imbler ist Schriftsteller:in und Wissenschaftsjournalist:in, lebt in Brooklyn und veröffentlicht Essays und Reportagen unter anderem in der New York Times, «The Atlantic», «Catapult» und «Sierra». So weit das Licht reicht ist Imblers Debüt und wurde vom Time Magazine zu einem der zehn besten Nonfiction-Bücher des Jahres 2022 gekürt.

Inhalt

Wenn man einen Goldfisch aussetzt

Meine Mutter und der verhungernde Oktopus

Meine Großmutter und der Stör

Anleitung zum Pottwalzeichnen

Bericht über gestrandeten Meeressäuger

Nekropsie-Bericht: Eine Beziehung

Nekropsie-Bericht: Eine Beziehung (Forts.)

Nekropsie-Bericht: Eine Beziehung (Forts.)

Nekropsie-Bericht: Eine Beziehung (Forts.)

Nekropsie-Bericht: Eine Beziehung (Forts.)

Nekropsie-Bericht: Eine Beziehung (Forts.)

Das pure Leben

Vorsicht, Riesenborstenwurm!

Hybride

Wir bilden Schwärme

Sich verwandeln wie Sepien

Unsterblich auch wir

Leben #2: Christie

Leben #3: Evan

Leben # 4–​8: Futaba

Leben #9: CV

Leben #10: Rosie

Leben #11: Alexis

Leben #12: Zefyr

Leben #13: T.

Leben #14–​19: Amy, Kirstin, Camille, Gabe, Darcy, Martha

Danksagung

Bibliografie

Motto

Wenn man einen Goldfisch aussetzt

Meine Mutter und der verhungernde Oktopus

Meine Großmutter und der Stör

Anleitung zum Pottwalzeichnen

Das pure Leben

Vorsicht, Riesenborstenwurm!

Hybride

Wir bilden Schwärme

Sich verwandeln wie Sepien

Unsterblich auch wir

Was fehlt dem Licht?Mehr von seinesgleichen?Ja.Ja, undDer Wunsch, die Dunkelheit zu stören.

Kimiko Hahn, Resplendent Slug(Prächtige Nacktschnecke)

Wenn man einen Goldfisch aussetzt

Die Wahrheit ist, dass man mich aufgefordert hat, eine ganz bestimmte Petco-Filiale zu verlassen, aber ich erzählte allen, ich hätte Hausverbot. Dieses Wort hatte Gewicht, es klang verwegen, brachte mehr Drama in mein gerade einmal dreizehnjähriges Leben. Ich sollte ja einfach nur den kleinen Petco im Einkaufszentrum verlassen, das man auf der Deponie neben unserer Stadt gebaut hatte, aber ich sagte allen, ich hätte Hausverbot bei Petco, also auch beim großen Petco, denn ich hoffte, sie würden denken, die gesamte Kette sehe in mir ein geschäftsschädigendes Element.

Ich war zu Petco gegangen, um eine Protestaktion in der Aquarienabteilung zu veranstalten. Meine Demonstration verlief wie folgt: Ich stand bei den Fischbecken und versuchte, die wenigen Kund*innen, die sich dorthin verirrten, davon zu überzeugen, lieber keine Fische zu kaufen. Der Petco, den ich mir dafür ausgesucht hatte – der nächstgelegene –, war meistens leer. Ich hätte daher als ganz normale Kundin durchgehen können, ohne weiter aufzufallen. Die echten Kund*innen, von denen die Wenigsten gekommen waren, um Goldfische oder Goldfischgläser zu kaufen, schienen mich nicht zu beachten. Sie hielten mich allenfalls für eine Petco-Mitarbeiterin; in diesen Fällen stammelte ich eine Entschuldigung und verdrückte mich in den Reptiliengang. Wenn die Gänge frei waren, behielt ich das Goldfischbecken im Blick. Es war beinahe so groß wie eine Badewanne, und die orangefarbenen Fische darin schimmerten wie Pailletten. Das Becken schien mehr Fische als Wasser zu enthalten, glitzernde Schuppen stoben in alle Richtungen, auf der vergeblichen Suche nach Platz. Die toten und sterbenden Fische trieben zu den Seiten des Beckens – sie schaukelten aufgedunsen an der Oberfläche oder lagen angefressen am Boden, wenn sie nicht schon halb vom Filter eingesogen waren.

Die Zeit verging ruhig, bis eine Mutter auf das Regal zukam, an dem ich Wache stand, und ein Fischglas herausnahm, vermutlich für ihren Sohn, der mittlerweile zwischen anderen Regalreihen verschwunden war. Meine sorgfältig einstudierte These (einen Goldfisch in einem Glas zu halten, sei unmenschlich) löste sich in disparate Fakten auf – Goldfische in Gläsern pinkeln sich selbst zu Tode! Goldfische können dreißig Zentimeter lang werden! Goldfische können zwanzig Jahre alt werden! –, bis mir ein Petco-Verkäufer in blauem Polohemd sagte, dass ich gehen müsse. Ich musste meine Mutter anrufen, damit sie mich auf dem Parkplatz abholte, wo ein anderer Petco-Verkäufer mit mir wartete, bis ihr beigefarbener SUV auftauchte.

Wir – der Petco-Verkäufer und ich – waren keine zwei Kilometer von der San Francisco Bay entfernt. Näher kam ich so etwas wie dem Meer normalerweise nicht, und wenn ich die Augen schloss, konnte ich das Salz in der Luft schmecken. Als der Wind nachließ und der markante Ozeangeruch sich verzog, konnte ich einen anderen, strengeren Geruch ausmachen: Abfall, so schwach, dass man am eigenen Geruchssinn zweifeln würde, wenn er nicht immer wiederkäme, dieser deutliche Gestank nach etwas, das irgendwo verrottet.

Wir warteten, rochen dabei Salz und Müll, und ich war angeekelt von meiner Unfähigkeit. Mein erster Versuch, mich zu engagieren, war ein Fehlschlag gewesen. All diese todgeweihten und sterbenden Fische. Die Glücklichsten von ihnen endeten vermutlich in einem Aquarium. Alle anderen würden tot in Fischgläsern enden, wobei sie jedoch nicht sofort sterben würden. Es ist nahezu unmöglich, sich zu verletzen, wenn man wie ein Fisch in seiner Weichzelle lebt: glattes Glas ohne Ecken und Kanten, in dem nie auch nur eine Schuppe einen Kratzer abbekommen könnte. Und doch würde jeder Einzelne schließlich sterben, wahrscheinlich vorzeitig. Weil jemand vergessen hatte, sich um ihn zu kümmern oder zu dem Schluss gekommen war, dass es zu viel Arbeit machte, sich richtig um ihn zu kümmern. Dass es zu viel Arbeit machte, das schmutzige Wasser durch frisches zu ersetzen. Dass es lästig war, ihn mit genügend Raum zum Leben und Wachsen zu versorgen.

Die beste Zukunft, die ich mir damals für einen Goldfisch vorstellen konnte, war ein Leben in einem größeren Becken, das vielleicht sogar über hundert Liter fasst, frisches Wasser und dazu einige Plastikpflanzen. Eine behaglichere Haft. Da ich nur Goldfische aus überfüllten Petco-Becken oder aus einsamen Gläsern kannte, hatte ich keine Vorstellung davon, wie ihr Leben jenseits der Glaswände eines Aquariums aussehen könnte. Ich konnte mir nicht ausmalen, was aus einem wildlebenden Goldfisch werden konnte.

Damals nahm ich an, das Einkaufszentrum mit dem Petco rieche nach Müll, weil es auf einer Mülldeponie gebaut worden war. Meine Mutter hatte mir gesagt, die ganze Stadt sei auf einer Mülldeponie gebaut worden, und ich malte mir aus, wie die Gebäude auf Platten aus zusammengepresstem Müll thronten. Aber dort, wo jetzt die Petco-Filiale stand, war früher einmal Salzmarschland gewesen, mit riesigen Sumpfgebieten rund um die Bucht von San Francisco. Heute zeigen Satellitenbilder der Bucht eine deutliche Grenze zwischen Grün und Blau, aber vor Hunderten von Jahren gab es keine solche Grenze zwischen Land und Meer. Die Bucht war ein Mündungsgebiet, Salzwasser und Süßwasser vermischten sich zu Brackwasser. Tag für Tag wurde durch den Wellenschlag und die hereinbrechende Flut weiteres Land freigelegt und verschlungen. Auf dem klebrigen, salzigen Boden in den tieferen Lagen gedeiht bis heute kaum irgendeine Pflanze. Aber weiter oben blühten damals einheimische Pflanzen: Pazifische Schlickgräser erreichten die Größe von Teenagern, stellenweise ragten Queller wie rosige Finger aus dem Boden. Zehntausend Jahre lang sah die Bucht so aus. Indigene Völker wie die Küsten-Miwok oder die zahlreichen Gruppen der Ohlone, wie die Muwekma, Ramaytush, Tamien, Chochenyo und Karkin-Völker, lebten dort und durchsuchten den Sumpf nach Essbarem.

Im achtzehnten Jahrhundert kamen die Spanier und tauften und versklavten das Volk der Ohlone und massakrierten es indirekt mit Krankheit. Vor etwa einhundertfünfzig Jahren hatten neuere Siedler den Ehrgeiz, in der Bucht Farmen und Städte zu bauen, aber in einem Salzsumpf kann man unmöglich Ackerbau betreiben oder ein Haus errichten. Also wurde das Sumpfgebiet als nutzlos und unbedeutend erachtet und folglich zerstört. Die Bucht wurde mit Deichen umgeben und der sumpfige Boden zu schlickigem Schlamm ausgetrocknet. Es entstand ein Molkereibetrieb mit Kühen, Heuwiesen und Salzteichen. In den 1960er Jahren wurde das Gebiet als Bauland für Einfamilienhäuser ausgewiesen, und Millionen von Kubikmetern Sand und Schlamm wurden im einstigen Watt abgeladen, um zu verhindern, dass die Gebäude in den weichen Schlick einsanken oder gar im Meer verschwanden. Das Land wurde als dem Meer abgewonnenes Marschland bezeichnet, und die Straßen, die man wie Furchen in den Boden zog, benannte man nach all dem, was man vertrieben oder ausgemerzt hatte: Austernplatz, Trachinotusplatz, Gasse der Fliegenden Fische. Als Kind wusste ich nicht, dass «ablagern» zwei Bedeutungen hat. Ich wusste nicht, dass der Gestank auf dem Petco-Parkplatz in Foster City genauso gut von der Bucht selbst herrühren konnte, von Wasser, das von zahlreichen Erdölraffinerien, von den Wasseraufbereitungsanlagen, von den hustenden, verrußten Abgasanlagen der Schiffe verschmutzt ist.

Als ich geboren wurde, hatte die Bucht von San Francisco bereits 95 Prozent ihrer Sumpfgebiete und Salzwiesen, die einst das Meer umsäumt hatten, eingebüßt. Fünfhundert Quadratkilometer Priele, Watt, Sandbänke, Bäche und Tümpel, gestaltet allein durch die Überflutungen, waren bereits zugepflastert und Farmen, Städten, Fabriken, Militärstützpunkten, Touristenorten, Schnellstraßen und einem Petco gewichen. Das heißt: Ich kannte meine Heimatstadt als Vorort und hatte keine Vorstellung davon, was sie früher einmal gewesen war. Ich wollte nur noch weg, und zwar so schnell wie möglich.

Wenn ich eine zweite Chance bekäme, würde ich zu jener Mutter im Petco sagen:

Sie haben vielleicht gelesen, dass ein Goldfisch proportional zur Größe seines Fischglases wächst. Aber im Gegensatz zu uns wachsen Goldfische zu einer unbestimmten Größe heran. Wenn sie die Möglichkeit haben, wachsen sie bis an ihr Lebensende. Unterschiedliche Goldfischarten können ganz unterschiedliche Größen erreichen und unterschiedliche Formen annehmen. Ein freilebender, ausgewachsener Goldfisch kann so viel wie eine Ananas wiegen.

Sie denken vielleicht, Goldfische werden nur ein Jahr alt, eventuell zwei. Aber sie können in Wirklichkeit viel älter werden. Zwanzig Jahre, wenn sie Glück haben. Goldfische können in einem Fischglas einige Jahre überleben, weil sie fast übernatürlich zäh sind und Bedingungen aushalten können, die für die meisten anderen Fischarten tödlich wären. Ein Goldfischglas ist ein winziges, isoliertes Milieu mit lebensbedrohlichem Sauerstoffmangel, was zur Folge hat, dass selbst eine geringfügige Veränderung der Zusammensetzung des Wassers lebensgefährlich sein kann. Ich erwähne das, weil Goldfische ausgiebig pinkeln. Sie setzen mehr Ammoniak frei als andere Aquariumsfische, einen Giftstoff, der in einem Teich oder Fluss natürlich verdünnt würde, einen Fisch in einem Fischglas aber töten kann. Aus diesem Grund entzieht ein Fischglas dem Goldfisch die Lebensgrundlage, würde ich zu der Frau sagen. Aber wenn ein Goldfisch es schafft, zu überleben, hält das niemand für eine außergewöhnliche Leistung.

Zum Schluss würde ich ihr sagen: Vielleicht haben Sie einmal gehört, dass Goldfische ein Drei-Sekunden-Gedächtnis haben. Aber Goldfische können sich merken, dass ein farbiges Paddel bedeutet, dass Futter kommt, selbst Monate nachdem die Assoziation entstanden ist. Goldfische können komplexe Aufgaben lösen, wie etwa aus einem Netz zu entkommen oder durch ein Labyrinth zu navigieren. Wie kann so ein kleiner Fisch die Erinnerung an den verschlungenen Weg durch ein Labyrinth drei Monate lang behalten? Könnten Sie das? Aber wie ist es für ein Lebewesen mit einem dreimonatigen Gedächtnis, in einer Blase von der Größe eines Schmortopfes zu leben und zu sterben?

Immer wenn ich ein Praktikum oder eine neue Stelle antrete, erzähle ich, dass ich als Teenager bei Petco rausgeschmissen wurde. Das ist inzwischen zu einer Art Gründungsmythos geworden, mein erklärter Funfact. Ich habe die Geschichte schon so oft erzählt, dass mir die Einzelheiten meiner ursprünglichen Erinnerung unzugänglich geworden sind. Aus einer realen Erfahrung ist eine auswendig gelernte Erzählung geworden. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich meiner Mutter damals gesagt habe, damit sie mich dort hinfährt, oder wie ich den Mut aufgebracht habe, gegenüber Fremden eine solche Angriffslust an den Tag zu legen, wo ich mich doch kaum gegenüber meinen rüpelhaften Mitschüler*innen behaupten konnte, die mich mit ihrer unausgegorenen, nachgemachten Grausamkeit trotz allem dazu brachten, mich selbst zu hassen.

Woran ich mich jedoch erinnere, ist, dass ich in der achten Klasse war. Ich erinnere mich, dass ich dreizehn war – ein schreckliches Jahr. Ich erinnere mich, dass ich eine Privatschule besuchte. Über der Bürotür des Schulleiters war ein lateinischer Spruch ins Holz eingraviert, übersetzt «Freizeit ohne Lernen ist der Tod.» Am ersten Schultag erschien eine Schar von Kindern in Sweatshirts mit der Aufschrift «Stanford». Auch ich trug einen Kapuzenpulli; auf meinem stand «Gap». Wir waren zehn. Ich hörte, wie beim Kennenlernabend eine Mutter zu einer anderen sagte: «Wissen Sie, das ist Futter für Stanford», und die andere Mutter nickte zustimmend. Ich hatte den Begriff «Futter» noch nie als Bezeichnung für eine Schule gehört, sondern nur im Kontext von Goldfischen und Guppys, die als billig und unscheinbar genug gelten, dass Aquarienbesitzer*innen sie als lebende Beute für ihre größeren, wertvolleren Haustiere kaufen.

Ich erinnere mich, dass viele meiner Mitschüler*innen Kinder einflussreicher Leute waren: Vorstandsmitglieder und Professoren in Stanford, Führungskräfte aus Silicon Valley und Morgan Stanley, Erbinnen. Diese Kinder hatten Nachnamen wie Packard und Jobs. Die Poolparty für die Neulinge fand in einem ihrer Häuser statt, das auf mich wie ein Schloss wirkte, mit zwei Pools und einem Tennisplatz auf smaragdgrünem Rasen mit Springbrunnen. Ich weiß, dass meine Eltern mich auf diese Schule schickten, damit ich auf das bestmögliche College gehen konnte, was aus ihrer Sicht bedeutete, dass ich das bestmögliche Leben führen würde. Dies rief ich mir in Erinnerung, als der Erbe eines Computertechnologieunternehmens mich in Kurven und Schleifen an den gepolsterten Wänden der Turnhalle entlangjagte, wobei er ein Springseil aus Plastik wie eine Peitsche schwang. Ich wohnte nur ein paar Blocks von dieser Schule entfernt und erinnere mich, wie reiche Kinder meine Straße entlangfuhren, als könne der Tod ihnen nichts anhaben. Ich hörte das verräterische Quietschen der Reifen und sprang in die nächstgelegene Einfahrt oder Hecke und sah zu, wie die Autos vorbeirasten. Ich erinnere mich, wie ein metallisch glänzender Luxus-SUV aus der Einfahrt der Schule bog und in unseren Briefkasten schlitterte. Das Auto raste weiter und ließ einen weißen Metallrahmen zurück, der aussah wie ein verrenkter Ellbogen, die rote Flagge baumelte daran wie ein gebrochener Arm. Ich erinnere mich, dass Kinder an Schulen in meiner Nähe sich umbrachten wegen des ganzen Drucks; es gab so viele Suizide, dass das Gesundheitsamt die Todesfälle als «Cluster» einstufte. Ich erinnere mich, dass die Todesanzeige eines Schülers auch dessen Punktezahl beim American College Test aufführte. Die Todesanzeige einer anderen Schülerin gab die Anzahl ihrer Facebook-Freunde an. Ich erinnere mich noch, wie ich nächtelang auf AIM unterwegs war und versuchte, meine Freundin von ihrem Todeswunsch abzubringen.

Damals litt ich unter schrecklicher Schlaflosigkeit, und ich weiß noch, wie ich nachts wach lag und mir die bestmögliche Version meiner Zukunft auszumalen versuchte, die immer ungefähr so aussah: Nach dem College hätte ich irgendeinen wichtigen Job, bei dem ich Blazer und Bleistiftröcke trug. Einen (idealerweise heißen) Ehemann nach einer beachtlichen Anzahl von Partnern. Endlich reine Haut. Aber wenn ich versuchte, mich in diese üblichen und vernünftigen Zukunftsvisionen hineinzudenken, schweiften meine Gedanken immer ab zu meinem Tod. Genauer gesagt, stellte ich mir meine Beerdigung vor – wie sie ablaufen würde, wer daran teilnehmen würde, wen ich von meinem Beerdigungs-Türsteher abweisen lassen würde (ich war offensichtlich noch nie auf einer Beerdigung gewesen). Sterben wollte ich ja gar nicht, aber nicht mehr da zu sein (und pietätvoll betrauert zu werden) war für mich greifbarer als das, was ich wollen sollte.

Meinen ersten und einzigen Goldfisch bekam ich von besagter Schule. Er war Teil eines naturwissenschaftlichen Experiments, und unsere Biologielehrerin, die immer nach Hanf roch, verkündete, dass alle, die wollten, einen Goldfisch mit nach Hause nehmen könnten. Sie sagte nicht, was mit den Fischen passieren würde, wenn wir sie nicht mit nach Hause nähmen, und wir dachten nicht daran, danach zu fragen. Ich nannte den Fisch Quincy und hielt ihn in einem Goldfischglas auf meiner Kommode. Manchmal schwamm Quincy, aber meistens trieb er dahin. Sein Körper schien an einer Schnur zu hängen, die Flossen zuckten ziellos um das schäbige Schloss und den honigtaufarbenen Seetang, den ich im Marmorbruch am Boden des Glases angepflanzt hatte. Ich verbrachte viel Zeit damit, Quincy zu beobachten. Wenn ich auch nur kurz darüber nachdachte, wie wenig Platz der Fisch hatte, um sich zu bewegen und zu wachsen, fragte ich mich, ob ich etwas Grausames tat.

Also bat ich meinen Vater, mit mir in den japanischen Garten im Stadtpark zu fahren. Ich schmuggelte Quincy in einem kleinen Gefäß in die geräumige Bauchtasche meines Gap-Sweatshirts, ging zu einer nicht einsehbaren Ecke des Koi-Karpfenteichs und leerte das Glas aus. Quincys orangefarbener Körper bewegte sich schlängelnd durch das trübe Wasser des Tümpels, und dann, endlich: Erleichterung.

Als ich Monate später noch einmal in den japanischen Garten kam, suchte ich meinen Fisch, konnte ihn aber nicht wiederfinden.

Manchmal, wenn Menschen erfahren, dass sie ihre Goldfische durch das, was sie ihnen zumuten, umbringen, oder wenn sie ihrer Haustiere überdrüssig sind, werfen sie sie weg. Manchmal werfen sie sie in japanische Gartenteiche. Meist werden die Tiere jedoch in größeren Gewässern entsorgt: in Seen, Bächen oder Flüssen. Wenn Goldfische in einem Goldfischglas dem Untergang geweiht sind, sind sie in einem Fluss nicht aufzuhalten. Sie tun mehr als nur überleben; sie nehmen alles in Beschlag. Ihre von Unmengen an ausgepisstem Ammonium geröteten Kiemen nehmen nun begierig den Sauerstoff des sprudelnden Wassers auf, und nachdem sie Algen, Würmer, Schnecken und die Eier anderer Fische verschlungen haben, bläht sich ihr Körper auf. Er schwillt an bis zur Größe von Brathühnern, Cantaloupe-Melonen oder Milchkannen.

Das sind wildlebende Goldfische, und wenn du einen sehen würdest, würdest du ihn womöglich nicht als solchen erkennen. Goldfische, die ja wirklich golden sind, nehmen innerhalb weniger Generationen wieder ihre natürliche Farbe an. Hellorangefarbene Fische verschwinden, werden von Raubtieren gefressen und durch Fische mit stumpferem Glanz ersetzt, die sich letztlich kaum noch von anderen Karpfen unterscheiden. Sie verschwinden in den Algen.

Freilebende Goldfische wissen so gut zu leben, dass sie zu einer ökologischen Bedrohung geworden sind. Natürlich ist das nicht ihre Schuld; Goldfische wären nie in den Fluss gelangt, wenn wir sie nicht als Wegwerfartikel betrachtet hätten. Freilebende Goldfische sind in jedem US-Bundesstaat außer Alaska anzutreffen, und wenn sie in einem Gewässer ausgesetzt werden, zerstören sie jedes erdenkliche Gleichgewicht, das sich vorher eingependelt hat. Durch ihre aufrührerische Anwesenheit verdrängen sie einheimische Arten. Goldfische graben gerne, und auf der Suche nach Fressbarem reißen sie alles aus, was am Grund eines Sees wächst. Wenn sie undurchsichtige Wolken von Cyanobakterien verschlingen, fördert ihr Darm das Bakterienwachstum. Dadurch werden die Goldfische zu Inkubatoren von Algenblüten. Sie können bereits im Alter von einem Jahr laichen und Hunderte von klebrigen Eiern ablegen, die an Steinen, Pflanzen und allem, was ihnen Halt bietet, haften bleiben.

Wenn Goldfische einmal in einem Teich, See oder Fluss sind, lassen sie sich nicht mehr entfernen. Man kann sie nicht alle mit der Angel oder dem Netz herausholen, und ganz gleich, wie viele Goldfische man entnommen hat, werden im Zuge der Paarung immer wieder neue nachkommen. Die einzige Möglichkeit, die Goldfische zu töten, ist, alle Fische im Wasser umzubringen, indem man tonnenweise Rotenon, einen für Fische giftigen Wirkstoff, versenkt, damit nichts überleben kann. Aber auch das ist nur in Teichen und Seen möglich, also in Gewässern mit festen Ufern, wo das Gift nicht entweichen kann.

Ein Fluss im Südwesten Australiens ist von wildlebenden Goldfischen besiedelt worden, die alle von einigen wenigen Haustieren abstammten, die jemand zwanzig Jahre vorher entsorgt hatte. Die milden Bedingungen des Vasse-Flusses sind ein Paradies für Goldfische, daher wachsen sie dort schneller als jede andere Population wildlebender Tiere. Die meisten Goldfische im Vasse-Fluss haben die Farben der Erde – Braun- und Olivtöne oder dunkle Grüntöne –, aber einige der größten sind unverkennbar orangefarben. Diese Prachtexemplare, die jeweils so viel wiegen wie ein Butternusskürbis, sind wahrscheinlich die ursprünglichen Goldfische, die im Vasse-Fluss ausgesetzt wurden, oder deren direkte Nachkommen. Erinnern sich diese Goldfische auch nur annähernd daran, wie das Leben im Goldfischglas war?

Ein Wissenschaftler, der sich mit den wildlebenden Fischen im Vasse-Fluss befasst, hat herausgefunden, dass sie bemerkenswerte Fähigkeiten haben. Er hat Goldfischschwärme gesehen, die täglich an die 300 Meter zurücklegen. Ein Fisch brachte es in einem Jahr sogar auf über 200 Kilometer. Die gesamte Gemeinschaft dieser wildlebenden Goldfische wanderte saisonal und schwamm während der Brutzeit in riesigen Schwärmen zu einem weit entfernten Sumpfgebiet. Die Goldfische, die in Gefangenschaft gehalten worden oder in einem Fluss geschlüpft waren, in dem sie nie sein sollten, verfügten über ein scheinbar angeborenes Wissen, das sich über Generationen von eingesperrten Fischen erhalten hatte.

Es wurden auch wildlebende Goldfische in Flussmündungen entdeckt. Zunächst war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass Goldfische nicht in Sumpfgebiete vordringen können, in denen sich Süßwasser mit Salz vermischt. Aber im Laufe der Zeit fand man immer mehr Goldfische in Gewässern in immer geringerer Entfernung zum Meer. Eine Population aus dem Fluss Vasse schien eine höhere Toleranz gegenüber Salz entwickelt zu haben als jede andere Goldfischpopulation der Welt. Die Wissenschaftler*innen fragten sich, ob diese Population ein mögliches Zeichen dafür sei, dass salzresistente Goldfische Mündungsgebiete als Salzbrücken nutzen können, um zu neuen Flüssen und Seen zu wandern. Die freilebenden Goldfische im Vasse-Fluss sind dem Ozean unwissentlich näher gekommen als alle anderen uns bekannten Goldfische. Sie trafen auf scheinbar unwirtliche Gewässer, und sie haben überlebt. Vielleicht ist der Wunsch zu entkommen etwas Universelles. Ich frage mich, ob die Goldfische eine Vorstellung von dem Ozean haben, der vor ihnen liegt.

Als meine Eltern beschlossen, dass ich auf eine andere Highschool wechseln solle, weinte ich und war wütend. Ich bot ihnen an, das Schulgeld zurückzuzahlen durch den Verkauf meines Blutplasmas, durch Teilnahme an medizinischen Versuchen oder durch den Verkauf einer Eizelle. «Mach dich nicht lächerlich», sagte meine Mutter entsetzt. «Du bist noch nicht mal alt genug, um eine Eizelle zu verkaufen.»

An meiner neuen Schule habe ich überkompensiert, um meine Chance auf die Zukunft zu retten, die mir vorschweben sollte. Ich belegte zusätzliche Kurse und suchte mir außerschulische Aktivitäten. Alles für Stanford. Mein Schultag begann um sieben Uhr morgens mit Biologie und endete nach elf Uhr abends mit Zeitungslektüre. An den Wochenenden half ich freiwillig bei Footballspielen, formte goldene Käseschnecken auf Nachos und baute flache, fürchterliche Hamburger. Ich füllte jeden wachen Moment mit einer Aufgabe; niemand sollte sagen können, ich hätte mich nicht genug bemüht, nicht hart genug gearbeitet, nicht alles gegeben. Wenigstens schlief ich jetzt leicht; meine Nächte waren kurz und traumlos und wurden von einer Armee von Weckern beendet. Ich konnte nicht mehr spüren, wer ich war, wusste nicht mehr, was «glücklich sein» bedeuten könnte, denn es gab immer etwas, woran ich denken musste. Das heißt: Ich war unausstehlich, und du hättest mich wahrscheinlich gehasst. Ich hasste mich. Im Sommer, bevor ich aufs College ging, arbeitete ich als Freiwillige auf einem Forschungsschiff in der Bucht von San Francisco. Ich hatte meinen Führerschein gemacht und genoss die Fahrt dorthin, die Fenster des beigefarbenen SUV meiner Mutter hatte ich runtergelassen, damit die salzige Luft hereinströmte. Ich verbrachte Vierstundenschichten auf dem Boot, einem dreißig Meter langen Schiff mit einem Rumpf in der Farbe von tiefem Wasser. Der Kapitän fuhr mit uns in einer Schleife um die Flussmündung, damit wir Schlamm- und Wasserproben entnehmen konnten. Während der Fahrt warfen wir ein Scherbrettnetz über das Heck des Bootes, holten es nach zehn Minuten wieder ein und schütteten seinen Inhalt in cremeweiße Behälter, die wie Fliegenpilze aus dem Deck sprossen.

Meine Aufgabe bestand darin, jedes Tier, das wir fingen, zu messen und zu identifizieren. In den ersten Tagen auf dem Boot war ich zu nichts zu gebrauchen und blinzelte nur in die Gischt; meine Arme waren trotz des Nebels, der über der Bucht lag, sonnenverbrannt. Alles an Deck war rutschig, und mir fiel immer wieder mein Klemmbrett herunter. Ich nahm einen Fisch nach dem anderen aus dem Behälter und legte ihn flach auf ein durchsichtiges Lineal, das auf einem Tisch neben dem Behälter klebte. Ich strich ihre zappelnden, schleimig-glitschigen Körper glatt und sprach mit ihnen, als ob ich sie dazu überreden könnte, still zu liegen, was mir nie gelang. In meinen Händen bewegten sich die Fische in einer Art, wie ich es noch nie zuvor an Körpern beobachtet hatte: Es gab Augenblicke vollkommener Reglosigkeit, in denen sich allenfalls ein Auge wie wild bewegte, und dann wölbte sich plötzlich der ganze Körper, wenn der Fisch in die Luft schnellte. Ein Fisch, der springt, Pirouetten dreht und Purzelbäume in den Himmel schlägt. Und ich hastete hinter diesen Körpern her und barg sie in der hohlen Hand, bis ich sie über die Reling zurück ins Wasser werfen konnte.

An manchen Tagen fingen wir nur Anchovis und Sardinen, und mir schwirrte der Kopf davon, zwischen fünfhundert, sechshundert, siebenhundert nahezu identischen Kreaturen zu unterscheiden. Aber gelegentlich lieferten uns die Netze etwas Wunderbares. Einen gesprenkelten Zungenfisch, der mich direkt anblickte, als ich ihn vermaß. Kalifornische Fledermausrochen, die mit den Flügeln gegen den Beckenrand schlugen, als wüssten sie, was Fliegen ist, und als wollten sie es ausprobieren. Einmal fingen wir zwei Leopardenhai-Babys, und ich lernte sie zu halten, mit der linken Hand um den Schwanz, und mit der rechten die Stelle unter dem kleinen, gezackten Maul umfassend. Der Hai wand sich wie eine Schlange, aber ich hielt ihn fest und sicher, bis es Zeit war, ihn loszulassen. Da die Bucht ein Mündungsgebiet ist, fingen wir Fische, die im Brackwasser leben können. Sternförmige Flundern, Chamäleon-Grundeln, Geweihschnecken, die mit ihren Stacheln piksten und stachen, wenn man sie zu fest hielt. Einmal fing jemand einen weißen Stör, dessen Haut die Farbe einer Perle hatte und dessen Körper über fünfundvierzig Kilogramm wog. Natürlich fingen wir auch nichteinheimische Arten. Die Bucht von San Francisco wird oft als «hochgradig fremdbesiedeltes Ökosystem» bezeichnet, eines der am stärksten fremdbesiedelten Mündungsgebiete der Welt. In bestimmten Lebensräumen sind diese neu hinzugekommenen Arten zahlreicher als die einheimischen und überwiegen allein schon durch das schiere Gewicht ihrer unzähligen Körper.

Jeden Fisch, den ich vermessen hatte, sollte ich anschließend über Bord werfen. Zunächst warf ich sie über die Flanke des Schiffes und drehte mich dann um, damit ich sie nicht aufplatschen sah. Ich stellte mir vor, wie es sich anfühlen mochte, wenn das Wasser die Schuppen kühlt und Sauerstoff in die Kiemen rauscht – einen Moment lang Verwirrtheit und dann Erleichterung. Es dauerte mehrere Tage, bis ich merkte, dass die Hälfte der Fische, die ich über Bord warf, das Wasser nie wieder erreichte, sondern von einer umherstreifenden Bande von Möwen und Fischadlern aufgeschnappt wurde, die um unser Boot herum lauerte. Die Fischadler beobachteten mich bei meiner Arbeit, ihre Krallen umfassten die weiß gestrichene Reling, und wenn ich meinen Arm über Bord streckte, mit dem Fisch in der Hand, tauchten sie ab. Wenn die Vögel meinen Fischbehältern zu nahe kamen, wedelte ich mit meinem schleimigen Klemmbrett. Manchmal schrie und geiferte ich, während ich mit den Fischadlern um die Wette rannte, um einen Fisch aufzuheben, der sich selbst aus dem Wasser geschleudert hatte und japsend auf dem Deck lag. Wenn ich Fische über Bord warf, lehnte ich mich so weit wie nur möglich über die Reling, um ganz nah an der Brandung zu sein. So konnte ich sehen, wie die Schuppen der Fische aufblitzten und dann verschwanden.

Auf dem Rückweg zum Ufer tippte ich meine Messergebnisse von Hunderten von Sardellen in einen Computer, der sich in der Plastikwandverkleidung des Bootes befand. Und dann setzte ich mich auf das Deck und ließ das getrocknete Salz von meiner Haut abblättern. Nach den Ausfahrten mit dem Trawler war ich immer voller Schuppen. Ich hielt meine Arme gegen das Licht und bewunderte meine schillernde, schweißgetränkte Fischhaut. Tief in der Bucht hatte ich bei klarem Himmel den Eindruck, ich könnte die Erdkrümmung sehen, und stellte mir vor, wie die Erde am Horizont Stück für Stück verschwindet. Als könnte ich in all meine möglichen Zukunftsversionen hineinsehen.

Was bedeutet es, in freier Wildbahn zu überleben? Man kann es nicht tun, ohne selbst wild zu werden. Wir sind alle fähig, zu einem wilderen Zustand zurückzukehren. Die Wildnis kann eine Katze oder einen Hund zu einem Hungerleben oder einem frühen Tod verurteilen. Aber für einen Goldfisch bedeutet die Wildnis Aussicht auf Überfluss. Lässt man einen Goldfisch frei, so wird er nie zurückblicken. Nichts lebt seiner Natur gemäß in einem Glas; es lernt bestenfalls, das Glas zu überleben.

Für freilebende Goldfische werde ich wohl immer ein Faible haben. Ich weiß: Das ist nicht die Lektion, die ich aus alledem lernen sollte. Mir ist durchaus bewusst, dass Goldfische eine unumkehrbare Art von Verwüstung anrichten. Sie entwurzeln Bodenbewohner, zertrampeln Ökosysteme und säen fransige Parasiten ins Fleisch anderer Fische. Und wenn sie einen Teich einmal erobert haben, sind sie nicht mehr zu vertreiben. All das weiß ich, und mir schwebt keine Vorherrschaft der Goldfische vor, keine Welt, in der Fische von der Größe einer Cantaloupe-Melone wie Abrissbirnen durch empfindliche Ökosysteme ziehen. Aber wenn ich an Teiche mit füllhorngroßen Goldfischen denke, verspüre ich einen gewissen Triumph. Ich sehe etwas, von dem niemand erwartet hat, dass es lebt, und ich sehe nicht nur, dass es lebt, sondern dass es in voller Pracht steht – und nicht mehr allein ist. Ich sehe ein Wesen, das im Grunde über sich selbst erstaunt sein müsste.

Man stelle sich vor, wir hätten die Kraft, all dem zu trotzen, was uns beeinträchtigt oder zusetzt – Eingesperrtsein, Einsamkeit, unser eigener Giftmüll. Salz, Wellen, fünfundvierzig Kilogramm schwere Störe, die uns im Ganzen verschlucken könnten. Man stelle sich die Freiheit vor, wenn man zum ersten Mal Platz hat und Raum einnimmt. Man stelle sich vor, man kommt zum Highschool-Klassentreffen und begegnet dort allen, die einem früher das Gefühl gegeben haben, klein zu sein, nur dass man jetzt hundert Mal größer ist als früher. Ein ausrangierter Goldfisch hat kein Vorbild, an dem er sein neues und besseres Leben ausrichten könnte, aber er findet es trotzdem. Ich wüsste gerne, wie es sich anfühlt, unvorstellbar zu sein, eine Zukunft zu erfinden, die niemand von einem erwartet hat.

Da die Petco-Filiale in Foster City auf einer Deponie steht, sinkt sie ab. Die Deponie sinkt schneller als fast alle anderen in Kalifornien und nähert sich immer mehr dem Erdkern. Jedes Jahr sinkt die Stadt um immerhin zehn Millimeter, und das Meer steigt um bis zu drei Millimeter. Ein aussichtsloser Kampf. Lange Zeit schützten Dämme aus Stein Foster City vor dem Meer. Nun spritzt das Wasser über die Dämme, auf Wege und Türschwellen. Bald werden die Wellen über die Dämme hinwegrollen und die Farmen, die Stadt, die Fabriken, die Militärstützpunkte, die Touristenorte, die Schnellstraßen und die Petco-Filiale überfluten. Das Wasser könnte den Katzen, Käfigvögeln, Leopardgeckos, Kaninchen, Hamstern und Meerschweinchen zum Verhängnis werden. Aber ich stelle mir gerne vor, wie die Fische aus ihren Goldfischgläsern schwimmen und auf einen nicht zu erahnenden Horizont zusteuern.

Als ich einige Jahre nach der Highschool in einer wolkenverhangenen Stadt lebte, in der ich nur wenige Leute kannte, fuhr ich in den Ferien für einen Monat nach Hause. Ich war noch nie so lange wieder zu Hause gewesen, und ich war überrascht, wie schnell ich in alte Routinen verfiel. Mit dem zerschrammten beigefarbenen Auto meiner Mutter fuhr ich einkaufen, brachte meine Großeltern in die Mall und setzte meine Schwester an der Schule ab. Meine Eltern hatten mein Zimmer zu einem Abstellraum umfunktioniert, und so schlief ich inmitten von Aktenschränken und CD-Stapeln. Wenn ich nachmittags joggen ging, sprang ich instinktiv aus dem Weg, wenn Luxus-SUVs aus den Toren meiner alten Schule in meine Straße rasten.